HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/136

Kün­di­gungs­schutz für Wahl­be­wer­ber ei­ner Be­triebs­rats­wahl

BAG legt Son­der­kün­di­gungs­schutz für Wahl­be­wer­ber bei Be­triebs­rats­wah­len weit aus: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 07.07.2011, 2 AZR 377/10
Sitzung des Betriebsrats, Betriebsratsversammlung

27.03.2012. Wer sich als Be­triebs­rat für sei­ne Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen ein­setzt, eckt oft beim Ar­beit­ge­ber an. Da­her gilt für Be­triebs­rats­mit­glie­der ein be­son­de­rer Kün­di­gungs­schutz, der or­dent­li­che Kün­di­gun­gen weit­ge­hend aus­schließt.

Die­ser be­son­de­re Kün­di­gungs­schutz greift nach dem Ge­setz schon im Vor­feld ein, näm­lich bei ei­ner Be­triebs­rats­wahl. Ge­mäß § 15 Abs.3 Satz 1 Kün­di­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) sind näm­lich auch Mit­glie­der des Wahl­vor­stan­des und Wahl­be­wer­ber vor or­dent­li­chen Kün­di­gun­gen prak­tisch si­cher. Aber ab wel­chem Zeit­punkt ist ein Ar­beit­neh­mer ein "Wahl­be­wer­ber" im Sin­ne die­ser Schutz­vor­schrift? Die­se Fra­ge hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung ge­klärt: BAG, Ur­teil vom 07.07.2011, 2 AZR 377/10.

Wer hat be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz als Wahl­be­wer­ber - und ab wel­chem Zeit­punkt?

Gemäß § 15 Abs.3 Satz 1 KSchG ist die or­dent­li­che Kündi­gung ei­nes Wahl­be­wer­bers vom Zeit­punkt der "Auf­stel­lung des Wahl­vor­schlags" an bis zur Be­kannt­ga­be des Wahl­er­geb­nis­ses im All­ge­mei­nen un­zulässig, d.h. der Ar­beit­ge­ber kann ei­nen Wahl­be­wer­ber im All­ge­mei­nen nur wirk­sam kündi­gen, wenn er dafür ei­nen "wich­ti­gen Grund" im Sin­ne von § 626 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) vor­wei­sen kann, d.h. wenn er zu ei­ner außer­or­dent­li­chen Kündi­gung be­rech­tigt wäre.

Aber wann ge­nau ist ein Ar­beit­neh­mer als Wahl­be­wer­ber "auf­ge­stellt"? Genügt es da­zu schon, wenn der Na­me des Wahl­be­wer­bers auf ei­nem Wahl­vor­schlag fest­ge­hal­ten wird, der die nach § 14 Abs. 4 Be­trVG er­for­der­li­che An­zahl von Stütz­un­ter­schrif­ten enthält, oder muss ein sol­cher Wahl­vor­schlag darüber hin­aus auch beim Wahl­vor­stand ein­ge­gan­gen sein? Dann würde der Son­derkündi­gungs­schutz des Wahl­be­wer­bers erst später ein­set­zen.

Und was ist, wenn der Wahl­be­wer­ber bei Aus­fer­ti­gung oder bei Ein­gang ei­nes Wahl­vor­schlags mit ihm als Kan­di­da­ten noch kei­ne sechs Mo­na­te im Be­trieb beschäftigt ist und da­her gemäß § 8 Abs.1 Be­trVG noch nicht wähl­bar ist, aber bei der später statt­fin­den­den Be­triebs­rats­wahl sei­ne Wähl­bar­beit er­rei­chen würde? Kann er sich dann auf den be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz als Wahl­be­wer­ber be­ru­fen, ob­wohl er bei sei­ner Be­wer­bung (noch) nicht wähl­bar ist?

Die­se bei­den Fra­gen hat das BAG zu­guns­ten des Wahl­be­wer­bers ent­schie­den und da­mit den ge­setz­li­chen Son­derkündi­gungs­schutz für Wahl­be­wer­ber weit aus­ge­legt.

BAG: "Auf­ge­stellt" sind Wahl­be­wer­ber, so­bald die nöti­gen Stütz­un­ter­schrif­ten vor­lie­gen, und zu die­sem Zeit­punkt muss Wähl­bar­keit noch nicht vor­lie­gen

Im Streit­fall ging es um die or­dent­li­che Kündi­gung ei­nes Ar­beit­neh­mers während der sechs­mo­na­ti­gen War­te­zeit nach § 1 Abs.1 KSchG, die gemäß Ar­beits­ver­trag außer­dem Pro­be­zeit war, so dass mit verkürz­ter Frist gekündigt wer­den konn­te. Ei­ne so­che Pro­be­zeitkündi­gung er­hielt der Ar­beit­neh­mer, nach­dem er zum 01.02.2008 ein­ge­stellt wor­den war, En­de Ju­li 2008.

We­ni­ge Ta­ge zu­vor hat­te er sich selbst für die be­vor­ste­hen­de Be­triebs­rats­wahl als Kan­di­dat vor­ge­schla­gen und auch vier Kol­le­gen ge­fun­den, die sei­nen Vor­schlag mit ih­ren Un­ter­schrif­ten un­terstütz­ten.

An dem Tag, als er die Kündi­gung er­hielt, war sein Vor­schlag aber noch nicht beim Wahl­vor­stand ein­ge­gan­gen. Und außer­dem war der Ar­beit­neh­mer En­de Ju­li 2008 noch kei­ne sechs Mo­na­te im Be­trieb beschäftigt und da­her noch nicht wähl­bar (§ 8 Abs.1 Be­trVG), wohl aber zum Zeit­punkt der für Sep­tem­ber 2008 ge­plan­ten Be­triebs­rats­wahl.

Ge­gen sei­ne Pro­be­zeitkündi­gung er­hob der Ar­beit­neh­mer Kündi­gungs­schutz­kla­ge und hat­te da­mit in al­len drei In­stan­zen Er­folg. So­wohl das Ar­beits­ge­richt Leip­zig (Ur­teil vom 27.05.2009, 13 Ca 3266/08) als auch das Säch­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt (Ur­teil vom 12.05.2010, 5 Sa 361/09) und zu­letzt auch das BAG hiel­ten die or­dent­li­che Kündi­gung auf­grund des Wahl­be­wer­ber-Kündi­gungs­schut­zes für un­wirk­sam.

Denn, so das BAG: Ein Ar­beit­neh­mer ist als Wahl­be­wer­ber "auf­ge­stellt", so­bald sei­ne Be­wer­bung mit­samt den er­for­der­li­chen Stütz­un­ter­schrif­ten aus­ge­fer­tigt ist. Auf den (späte­ren) Zeit­punkt des Ein­gangs der Be­wer­bung beim Wahl­vor­stand kommt es nicht an, so die Er­fur­ter Rich­ter un­ter Be­ru­fung auf den Schutz­zweck des § 15 Abs.3 Satz 1 KSchG. Und ein sol­ches Wahl­be­wer­bungs­schrei­ben war hier schon ei­ni­ge Ta­ge vor Zu­gang der Kündi­gung in der Welt.

Fa­zit: Das BAG nimmt den Kündi­gungs­schutz, den Wahl­be­wer­ber ge­nießen, so ernst, dass es ihn möglichst weit­ge­hend zu­guns­ten von Wahl­be­wer­bern aus­legt bzw. an­wen­det. So­gar ein tak­ti­sches Aus­nut­zen die­ses Kündi­gungs­schut­zes ist nach An­sicht des BAG nicht rechts­miss­bräuch­lich, d.h. man darf ziel­ge­rich­tet kan­di­die­ren, um ei­ner be­vor­ste­hen­den or­dent­li­chen Kündi­gung des Ar­beit­ge­bers die recht­li­che Grund­la­ge zu ent­zie­hen.

Aber ganz gleich aus wel­chen Gründen man kan­di­diert: Wich­tig ist es, nicht nur Stütz­un­ter­schrif­ten zu sam­meln, son­dern auf der Be­wer­bung auch gleich fest­zu­hal­ten, an wel­chem Tag und zu wel­cher Uhr­zeit die Un­ter­schrif­ten ge­leis­tet wur­den. Denn ab dem Zeit­punkt der letz­ten er­for­der­li­chen Stütz­un­ter­schrift greift der Son­derkündi­gungs­schutz von Wahl­be­wer­bern ein.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 4. Januar 2021

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 4.0 von 5 Sternen (5 Bewertungen)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de