HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/181

Ge­richt er­schwert Kün­di­gung von Be­triebs­rä­ten

Kün­di­gung von Be­triebs­rats­mit­glie­dern - ein Hür­den­lauf: Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 22.01.2010, 10 Sa 424/09
Sitzung des Betriebsrats, Betriebsratsversammlung Mit Be­triebs­rä­ten ver­ein­ba­ren pfif­fi­ge Ar­beit­ge­ber Auf­he­bungs­ver­trä­ge
16.09.2010. Be­triebs­rä­te ha­ben die Auf­ga­be, die In­ter­es­sen der Be­leg­schaft ei­nes Be­trie­bes ge­gen­über dem Ar­beit­ge­ber zu ver­tre­ten.

Da­mit Be­triebs­rat­mit­glie­der bei Kon­flik­ten oh­ne Furcht vor ar­beits­recht­li­chen Maß­nah­men auf Au­gen­hö­he mit dem Be­triebs­part­ner ver­han­deln kön­nen, sieht das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) für sie ei­nen spe­zi­el­len Kün­di­gungs­schutz vor.

Ei­ne Kün­di­gung ist da­mit zwar nicht un­mög­lich, wird aber ex­trem er­schwert: Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 22.01.2010, 10 Sa 424/09.

Wann kann der Ar­beit­ge­ber ei­nem Be­triebs­rats­mit­glied kündi­gen?

Be­triebs­rats­mit­glie­der können gemäß § 15 Abs. 4 und Abs. 5 Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) nur in sel­te­nen Aus­nah­mefällen or­dent­lich gekündigt wer­den, nämlich bei ei­ner Still­le­gung des Be­triebs oder ei­ner Be­triebs­ab­tei­lung. Da­ge­gen sind außer­or­dent­li­che Kündi­gun­gen von Be­triebs­rats­mit­glie­dern im Prin­zip eben­so wie bei an­de­ren Ar­beit­neh­mern möglich, nämlich im­mer dann, wenn sich der Ar­beit­ge­ber auf ei­nen wich­ti­gen Grund im Sin­ne von § 626 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) be­ru­fen kann, d.h. auf ei­nen Um­stand, der ihm die Fortführung des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist un­zu­mut­bar macht.

Ob­wohl § 626 BGB Be­triebs­rats­mit­glie­der ge­genüber außer­or­dent­li­chen Kündi­gun­gen nicht stärker als an­de­re Ar­beit­neh­mer schützt, gibt es mit Rück­sicht auf das Amt des Be­triebs­rats ei­nen wei­ter­ge­hen­den ver­fah­rens­recht­li­chen Schutz: Der Be­triebs­rat - als Gre­mi­um - muss nämlich gemäß § 102 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) zu der ge­plan­ten außer­or­dent­li­chen Kündi­gung ei­nes sei­ner Mit­glie­der an­gehört wer­den und er muss die­ser Kündi­gung gemäß § 103 Abs. 1 Be­trVG der vor Aus­spruch der Kündi­gung zu­stim­men. Ver­wei­gert der Be­triebs­rat die vom Ar­beit­ge­ber er­be­te­ne Zu­stim­mung, kann die­ser das Ar­beits­verhält­nis vor­erst nicht kündi­gen, son­dern muss zunächst beim Ar­beits­ge­richt be­an­tra­gen, die Zu­stim­mung des Be­triebs­rats zu er­set­zen.

Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG muss die Zu­stim­mung spätes­tens bei Aus­spruch der Kündi­gung vor­lie­gen oder durch ei­ne ge­richt­li­che Ent­schei­dung er­setzt sein. Kündigt der Ar­beit­ge­ber oh­ne Zu­stim­mung bzw. Zu­stim­mungs­er­set­zung, ist die Kündi­gung un­wirk­sam, d.h. auch ei­ne nachträgli­che Zu­stim­mung bzw. Zu­stim­mungs­er­set­zung nützt dann nichts mehr.

Nach dem Ge­setz liegt ei­ne Zu­stim­mungs­er­set­zung erst vor, wenn ein ent­spre­chen­der ar­beits­ge­richt­li­cher Be­schluss rechts­kräftig ist. Das heißt bei ei­nem erst vor dem Ar­beits­ge­richt und dann vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) geführ­ten Pro­zess, dass der Ar­beit­ge­ber auch im Fal­le des Ob­sie­gens vor dem LAG erst noch ab­war­ten muss, bis die ein­mo­na­ti­ge Frist für die Ein­le­gung ei­ner Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de ver­stri­chen ist. Mit die­ser Be­schwer­de ver­sucht der vor dem LAG un­ter­le­ge­ne Be­triebs­rat, in das Rechts­be­schwer­de­ver­fah­ren vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) her­ein­zu­kom­men, wenn das LAG die­ses Rechts­mit­tel nicht zu­ge­las­sen hat. Und für den Fall, dass der Be­triebs­rat Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de ein­ge­legt hat, muss die­se erst vom BAG zurück­ge­wie­sen wer­den, da­mit der Ar­beit­ge­ber die Kündi­gung aus­spre­chen kann.

Vor dem Hin­ter­grund die­ser Rechts­la­ge kann der Be­triebs­rat den Son­derkündi­gungs­schutz des von ei­ner außer­or­dent­li­chen Kündi­gung be­droh­ten Be­triebs­rats­mit­glieds verlängern, in­dem er das ge­richt­li­che Zu­stim­mungs­er­set­zungs­ver­fah­ren durch Ein­le­gung ei­ner Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de „künst­lich“ in die Länge zieht. Aber auch dann, wenn der Be­triebs­rat von die­sem Rechts­be­helf gar kei­nen Ge­braucht macht, muss der Ar­beit­ge­ber ei­nen Mo­nat nach dem LAG-Be­schluss war­ten, bis die Ein­mo­nats­frist für die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de ver­stri­chen ist. In je­dem Fall wird die Rechts­kraft ei­ner ge­richt­li­chen Zu­stim­mungs­er­set­zung hin­aus­ge­scho­ben.

Wäre ei­ne Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de von vorn­her­ein „aus­sichts­los“, ist es aus Sicht des Ar­beit­ge­bers ärger­lich, den­noch den Ab­lauf der Ein­mo­nats­frist ab­war­ten zu müssen. Erst recht ärger­lich ist es, im Fal­le der Ein­le­gung ei­ner Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de die Ent­schei­dung des BAG an­zu­war­ten. Denn in bei­den Fällen wird die Rechts­kraft der Zu­stim­mungs­er­set­zung des LAG hin­aus­ge­scho­ben, was dem be­trof­fe­nen Be­triebs­rats­mit­glied ei­nen um verlänger­ten Lohn­an­spruch ver­schafft.

Es wird da­her seit lan­gem die Fra­ge dis­ku­tiert, ob der Ar­beit­ge­ber im Fal­le der „Aus­sichts­lo­sig­keit“ ei­ner Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de schon früher, d.h. un­verzüglich nach der LAG-Ent­schei­dung die außer­or­dent­li­che Kündi­gung erklären kann. Vor kur­zem hat das das LAG Nie­der­sach­sen hier­zu Stel­lung ge­nom­men (Ur­teil vom 22.01.2010, 10 Sa 424/09).

Der Fall: Ar­beit­ge­ber be­ach­tet bei Kündi­gung ei­ne mögli­che Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de nicht

Der kla­gen­de Ar­beit­neh­mer war La­ger­ar­bei­ter und Be­triebs­rats­mit­glied. Er hat­te mit dem Ga­bel­stap­ler ei­ni­ge Unfälle ver­ur­sacht, wes­halb der Ar­beit­ge­ber ihm ei­ne an­de­re, schlech­ter be­zahl­te Tätig­keit zu­zu­wei­sen woll­te. Da­her be­an­trag­te er beim Be­triebs­rat die Zu­stim­mung zur außer­or­dent­li­chen Ände­rungskündi­gung des Klägers. Der Ar­beit­ge­ber woll­te ihm an­bie­ten, künf­tig als Räum­er zu ei­nem ge­rin­ge­ren Lohn tätig zu wer­den.

Da der Be­triebs­rat die Zu­stim­mung nicht er­tei­len woll­te, be­an­trag­te der Ar­beit­ge­ber bei Ge­richt die Er­set­zung der Zu­stim­mung. Die­ser An­trag hat­te vor dem Ar­beits­ge­richt und vor dem LAG Er­folg. Der Be­schluss des LAG, in dem die Rechts­be­schwer­de nicht zu­ge­las­sen wor­den war, wur­de dem Ar­beit­ge­ber im Ok­to­ber 2008 zu­ge­stellt. Schon am nächs­ten Tag, d.h. vor Ab­lauf der Frist für die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de, sprach der Ar­beit­ge­ber die außer­or­dent­li­che Ände­rungskündi­gung aus.

Das Be­triebs­rats­mit­glied er­hob dar­auf­hin Kündi­gungs­schutz­kla­ge und ar­gu­men­tier­te, die Kündi­gung sei un­wirk­sam, weil der Ar­beit­ge­ber sie vor Rechts­kraft der zu­stim­mungs­er­set­zen­den Ge­richts­ent­schei­dung erklärt ha­be. Die­ser An­sicht war auch das in ers­ter In­stanz zuständi­ge Ar­beits­ge­richt Os­nabrück und erklärte die Kündi­gung da­her für un­wirk­sam (Ur­teil vom 25.02.2009, 4 Ca 520/08).

Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen: So nicht! Erst Zu­stim­mung rechts­kräftig er­set­zen, dann kündi­gen.

Das in der zwei­ten In­stanz zuständi­ge LAG Nie­der­sach­sen kam auch zu dem Er­geb­nis, dass die Kündi­gung un­wirk­sam war. Zur Be­gründung heißt es, dass der Ar­beit­ge­ber die Ein­mo­nats­frist zur Ein­le­gung der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de und da­mit den Ein­tritt der Recht­kraft nicht ab­ge­war­tet ha­be.

An­ders als die frühe­re Recht­spre­chung des BAG woll­te das LAG es dem Ar­beit­ge­ber nicht ge­stat­ten, die Kündi­gung „im Aus­nah­me­fall“ schon vor Ab­lauf der ein­mo­na­ti­gen Be­schwer­de­frist zu erklären. Nach der al­ten BAG-Recht­spre­chung, auf die sich der Ar­beit­ge­ber be­ru­fen hat­te, brauch­te der Ar­beit­ge­ber die Be­schwer­de­frist im Aus­nah­me­fall nicht ab­zu­war­ten, son­dern konn­te so­gleich kündi­gen, falls ei­ne Rechts­be­schwer­de oder Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de „of­fen­sicht­lich un­statt­haft oder un­zulässig“ wären (BAG, Ur­teil vom 09.07.1998, 2 AZR 142/98). Da je­doch die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de seit 2005 un­ter er­leich­ter­ten Be­din­gun­gen zulässig ist und seit­dem dar­auf gestützt wer­den kann, dass die Rechts­sa­che grundsätz­li­che Be­deu­tung ha­be, kann man nicht mehr si­cher sa­gen, dass ei­ne Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de „of­fen­sicht­lich aus­sichts­los“ wäre.

Fa­zit: Die - oh­ne­hin nie über­zeu­gen­de - Recht­spre­chung des BAG ist über­holt, wo­nach im „Aus­nah­me­fall“ schon vor Ein­tritt der for­mel­len Rechts­kraft der ge­richt­li­chen Zu­stim­mungs­er­set­zung ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung ei­nes Be­triebs­rats­mit­glie­des an­geb­lich zulässig sein soll­te. Ar­beit­ge­ber, die den­noch vor­schnell kündi­gen, be­en­den da­mit das ge­genüber dem Be­triebs­rat in Gang ge­setz­te bzw. lau­fen­de Zu­stim­mungs­ver­fah­ren. Und ist die­ses Ver­fah­ren durch die Kündi­gung be­en­det ist, ver­liert der Ar­beit­ge­ber sein Kündi­gungs­recht meist endgültig, da auf­grund der lan­gen Dau­er des über zwei In­stan­zen geführ­ten Ge­richts­ver­fah­rens die Zwei-Wo­chen-Frist des § 626 Abs.2 BGB be­reits ab­ge­lau­fen ist. Ein zwei­ter Ver­such, we­gen des­sel­ben Sach­ver­halts er­neut ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung aus­zu­spre­chen, ist da­her für den Ar­beit­ge­ber - von Aus­nah­men ab­ge­se­hen - aus­ge­schlos­sen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 4. Januar 2021

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de