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ARBEITSRECHT AKTUELL // 17/095

Kün­di­gungs­schutz nach Ent­las­sungs­ver­lan­gen des Be­triebs­rats

Muss der Ar­beit­ge­ber auf An­trag des Be­triebs­rats ei­nen be­triebs­stö­ren­den Ar­beit­neh­mer ent­las­sen, ist des­sen Kün­di­gungs­schutz ein­ge­schränkt: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 28.03.2017, 2 AZR 551/16
Hausverbot, Kündigung, Entlassung

31.03.2017. Be­triebs­rä­te sol­len sich nor­ma­ler­wei­se da­für ein­set­zen, dass ih­re Kol­le­gen von Kün­di­gun­gen des Ar­beit­ge­bers mög­lichst ver­schont blei­ben. Dem dient u.a. die Pflicht des Ar­beit­ge­bers, den Be­triebs­rat ge­mäß § 102 Abs.1 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) vor je­der Kün­di­gung an­zu­hö­ren.

Aus­nahms­wei­se kann sich der Be­triebs­rat aber auch ein­mal für die Ent­las­sung ei­nes Ar­beit­neh­mers stark ma­chen, wenn die­ser auf­grund er­heb­li­cher Pflicht­ver­stö­ße den Be­triebs­frie­den stört (§ 104 Satz 1 Be­trVG). Ein sol­ches Ent­las­sungs­ver­lan­gen kann der Be­triebs­rat ge­richt­lich durch­set­zen, so dass der Ar­beit­ge­ber zur Ent­las­sung ge­zwun­gen ist.

Vor­ges­tern hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ent­schie­den, dass ein Ge­richts­ver­fah­ren über die Pflicht des Ar­beit­ge­bers zur Ent­las­sung prä­ju­di­zie­ren­de Wir­kung hat für ei­nen spä­ter ge­führ­ten Kün­di­gungs­schutz­pro­zess, mit dem sich der ent­las­se­ne Ar­beit­neh­mer ge­gen sei­ne Kün­di­gung zur Wehr setzt: BAG, Ur­teil vom 28.03.2017, 2 AZR 551/16 (Pres­se­mel­dung des Ge­richts).

Wel­che Wir­kun­gen hat ein Pro­zess zwi­schen Be­triebs­rat und Ar­beit­ge­ber über des­sen Pflicht zur Ent­las­sung ei­nes be­triebsstören­den Ar­beit­neh­mers für ei­ne späte­re Kündi­gungs­schutz­kla­ge?

Gemäß § 104 Satz 1 Be­trVG kann der Be­triebs­rat vom Ar­beit­ge­ber die Ent­las­sung oder Ver­set­zung ei­nes be­triebsstören­den Ar­beit­neh­mers ver­lan­gen. Be­triebsstörend ist ein Ar­beit­neh­mer, der

  • sich ge­setz­wid­rig verhält und/oder
  • die in § 75 Abs.1 Be­trVG ge­nann­ten Grundsätze des fai­ren Ver­hal­tens im Be­trieb ver­letzt, z.B. durch frau­en­feind­li­che, ras­sis­ti­sche oder frem­den­feind­li­che Betäti­gun­gen,

und der durch die­ses Fehl­ver­hal­ten wei­ter­hin

  • den Be­triebs­frie­den stört, und zwar
  • wie­der­holt und ernst­lich.

In sol­chen Fällen kann der Be­triebs­rat vom Ar­beit­ge­ber die Ent­las­sung oder die Ver­set­zung des Ar­beit­neh­mers ver­lan­gen, wo­bei die Ver­set­zung als mil­de­res Mit­tel den Vor­rang hat. Wei­te­re Vor­aus­set­zung für ein Ent­las­sungs­ver­lan­gen ist außer­dem, dass der Ar­beit­ge­ber die ge­for­der­te Ent­las­sung recht­lich über­haupt um­set­zen kann, d.h. dass er zur Kündi­gung be­rech­tigt ist.

Weist der Ar­beit­ge­ber die For­de­rung des Be­triebs­rats nach Ent­las­sung ei­nes be­triebsstören­den Ar­beit­neh­mers zurück, kann der Be­triebs­rat vor das Ar­beits­ge­richt zie­hen mit dem Ziel, den Ar­beit­ge­ber durch Ge­richts­be­schluss zur Ent­las­sung zu ver­pflich­ten. Wird ein sol­ches ar­beits­ge­richt­li­ches Ver­fah­ren rechts­kräftig zu­guns­ten des Be­triebs­rats ent­schie­den, ist der Ar­beit­ge­ber zur Ent­las­sung ver­pflich­tet. Da­bei hat er die Wahl, ob er die­se Pflicht durch Aus­spruch ei­ner Kündi­gung um­setzt oder durch ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag. Kommt er sei­ner Pflicht zur Ent­las­sung aber gar nicht nach, kann der Be­triebs­rat ein Zwangs­geld ge­gen ihn verhängen las­sen.

Nach herr­schen­der Mei­nung ist der Ar­beit­neh­mer, über des­sen Ent­las­sung Be­triebs­rat und Ar­beit­ge­ber strei­ten, an die­sem Ge­richts­ver­fah­ren zu be­tei­li­gen. Er kann da­her sei­ne Sicht der Din­ge vor­tra­gen auf der Sei­te des Ar­beit­ge­bers dafür strei­ten, dass der An­trag des Be­triebs­rats ab­ge­wie­sen wird.

Ge­setz­lich nicht klar ge­re­gelt ist die Fra­ge, wel­che recht­li­chen Aus­wir­kun­gen ei­ne sol­che Be­tei­li­gung des Ar­beit­neh­mers an dem Ver­fah­ren zwi­schen Be­triebs­rat und Ar­beit­ge­ber hat, wenn der Ar­beit­ge­ber nach ver­lo­re­nem Pro­zess ge­zwun­ge­ner­maßen ei­ne Kündi­gung aus­spricht und der Ar­beit­neh­mer die­se mit ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge an­greift. Könn­te der Ar­beit­neh­mer hier er­neut be­strei­ten, dass er durch rechts­wid­ri­ges Fehl­ver­hal­ten den Be­triebs­frie­den stört, und könn­te er vor­brin­gen, dass gar kein Grund für ei­ne Kündi­gung be­steht, hätte der zu­vor geführ­te Pro­zess um die Ent­las­sungs­pflicht des Ar­beit­ge­bers kei­nen rech­ten Sinn. Da­mit wäre auch das Recht des Be­triebs­rats aus § 104 Satz 1 Be­trVG ent­wer­tet.

Es spricht da­her viel dafür, dass der Vor­pro­zess zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat über die Pflicht des Ar­beit­ge­bers, ei­nen be­triebsstören­den Ar­beit­neh­mer zu ent­las­sen, recht­li­che Bin­dungs­wir­kung hat für ei­nen späte­ren Kündi­gungs­schutz­pro­zess, mit dem sich der ent­las­se­ne Ar­beit­neh­mer ge­gen die Kündi­gung zur Wehr setzt.

Im Streit: Ge­walttäti­ge Büro­kraft wird auf Ver­lan­gen des Be­triebs­rats gekündigt

Im Streit­fall hat­te ei­ne Büroan­ge­stell­te, die seit 1993 bei ei­nem großen Ver­si­che­rungs­un­ter­neh­men an­ge­stellt war, im Ok­to­ber 2014 ei­nen Kol­le­gen tätlich an­ge­grif­fen, weil die­ser ein Fens­ter zum Lüften geöff­net hat­te. Nach­dem der Kol­le­ge das Fens­ter trotz ei­nes Wut­aus­bruchs der An­ge­stell­ten nicht wie­der schließen woll­te, stürm­te die­se auf ihn zu, riss sei­ne Hand vom Fens­ter­griff los und schloss das Fens­ter.

Im Ja­nu­ar 2015 gab es (trotz ei­ner zwi­schen­zeit­li­chen Ab­mah­nung des tätli­chen An­griffs vom Ok­to­ber 2014) er­neut ei­nen ähn­li­chen Vor­fall. Hier hat­te ei­ne Ar­beits­kol­le­gin ei­nen Roll­la­den her­un­ter­ge­las­sen, um nicht von der Son­ne ge­blen­det zu wer­den, wor­auf­hin sie von der An­ge­stell­ten wütend da­zu auf­ge­for­dert wur­de, den Roll­la­den wie­der hoch­zu­fah­ren. Als sie dies nicht tat, schlug die An­ge­stell­te sie mit vol­ler Wucht auf den Arm.

Die­se Vorfälle be­wer­te­te das (vom Be­triebs­rat an­ge­ru­fe­ne) Ar­beits­ge­richt Düssel­dorf als Körper­ver­let­zung und da­mit als ge­setz­wid­ri­ges Ver­hal­ten im Sin­ne von § 104 Satz 1 Be­trVG. Da sich die be­trof­fe­nen Kol­le­gen be­droht fühl­ten und mit ihr nicht mehr mit der An­ge­stell­ten zu­sam­men­ar­bei­ten woll­ten, ging das Ar­beits­ge­richt auch von ei­ner ernst­li­chen Störung des Be­triebs­frie­dens aus. Es ver­pflich­te­te da­her den Ar­beit­ge­ber auf An­trag des Be­triebs­rats zur Ent­las­sung der ag­gres­si­ven Büro­kraft (Ar­beits­ge­richt Düssel­dorf, Be­schluss vom 21.08.2015, 11 BV 100/15). An dem Ver­fah­ren wa­ren der Be­triebs­rat, der Ar­beit­ge­ber und die An­ge­stell­te be­tei­ligt. Da kei­ner ge­gen den Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Be­schwer­de ein­leg­te, wur­de er rechts­kräftig.

Ei­ni­ge Mo­na­te später be­folg­te der Ar­beit­ge­ber den Be­schluss des Ar­beits­ge­richts und kündig­te die Büroan­ge­stell­te. Da­bei sprach er so­wohl ei­ne frist­lo­se Kündi­gung aus als auch (hilfs­wei­se) ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung. Ge­gen bei­de Kündi­gun­gen er­hob die Ar­beit­neh­me­rin Kündi­gungs­schutz­kla­ge. Das Ar­beits­ge­richt Düssel­dorf (Ur­teil vom 01.02.2016, 4 Ca 6451/15) und das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Düssel­dorf als Be­ru­fungs­in­stanz be­wer­te­ten die frist­lo­se Kündi­gung als un­wirk­sam, die frist­ge­rech­te Kündi­gung da­ge­gen als rech­tens (LAG Düssel­dorf, Ur­teil vom 13.06.2016, 9 Sa 233/16).

Denn für ei­ne außer­or­dent­li­che und frist­los aus­ge­spro­che­nen Kündi­gung war die ge­setz­li­che Zwei­wo­chen­frist (§ 626 Abs.2 BGB) be­reits ab­ge­lau­fen, da der Ar­beit­ge­ber zum Kündi­gungs­zeit­punkt schon vie­le Mo­na­te bzw. länger als zwei Wo­chen über die Kündi­gungs­sach­ver­hal­te Be­scheid wuss­te. Dem­ge­genüber hiel­ten bei­de Ge­rich­te die or­dent­li­che Kündi­gung für rech­tens. Denn die gekündig­te Ar­beit­neh­me­rin hat­te zwar Kündi­gungs­schutz nach dem Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG), doch half ihr das im Er­geb­nis nichts, da die Kündi­gung so­zi­al ge­recht­fer­tigt war (§ 1 KSchG). Da­bei be­rie­fen sich bei­de Ge­rich­te sich auf die präju­di­zie­ren­de Wir­kung des Vor­pro­zes­ses.

BAG: Muss der Ar­beit­ge­ber auf An­trag des Be­triebs­rat ei­nen be­triebsstören­den Ar­beit­neh­mer ent­las­sen, ist des­sen Kündi­gungs­schutz ein­ge­schränkt

Auch in Er­furt hat­te die ag­gres­si­ve An­ge­stell­te kei­nen Er­folg, denn das BAG wies ih­re Re­vi­si­on zurück. Zur Be­gründung heißt es in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG:

Hat der Be­triebs­rat in ei­nem ar­beits­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren den Ar­beit­ge­ber da­zu ver­pflich­ten können, ei­nen be­triebsstören­den Ar­beit­neh­mer gemäß § 104 Satz 1 Be­trVG zu ent­las­sen, hat der Aus­gang die­ses Ver­fah­rens präju­di­zi­el­le Wir­kung für ein späte­res Kündi­gungs­schutz­ver­fah­ren, mit dem sich der gekündig­te be­triebsstören­der Ar­beit­neh­mer ge­gen die Kündi­gung zur Wehr setzt. Denn in­fol­ge des Vor­pro­zes­ses liegt, so das BAG, für ei­ne späte­re or­dent­li­che Kündi­gung ein drin­gen­des be­trieb­li­ches Er­for­der­nis im Sin­ne von § 1 Abs.1 Satz 2 KSchG vor.

Die Ent­schei­dung des BAG passt gut zu der ähn­li­chen Si­tua­ti­on, dass der Ar­beit­ge­ber ein Be­triebs­rats­mit­glied außer­or­dent­lich kündi­gen möch­te. Dafür braucht er gemäß § 103 Be­trVG die Zu­stim­mung des Be­triebs­rats. Ver­wei­gert der Be­triebs­rat die Zu­stim­mung, kann der Ar­beit­ge­ber sie durch das Ar­beits­ge­richt er­set­zen las­sen; in die­sem Pro­zess ist das be­trof­fe­ne Be­triebs­rats­mit­glied zu be­tei­li­gen. Wenn der Ar­beit­ge­ber den Pro­zess ge­winnt und das Be­triebs­rats­mit­glied dem­ent­spre­chend außer­or­dent­lich kündigt, steht in ei­nem späte­ren Kündi­gungs­schutz­pro­zess ver­bind­lich fest, dass ein wich­ti­ger Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung ge­ge­ben ist.

Fa­zit. Mit die­ser Ent­schei­dung stärkt das BAG das Recht des Be­triebs­rats aus § 104 Satz 1 Be­trVG. Vor­aus­set­zung für die­se Bin­dungs­wir­kung ist al­ler­dings, dass der be­triebsstören­de Ar­beit­neh­mer, des­sen Ent­las­sung der Be­triebs­rat durch­set­zen möch­te, an dem Ver­fah­ren zwi­schen Be­triebs­rat und Ar­beit­ge­ber be­tei­ligt wird. Ei­ne sol­che Be­tei­li­gung ist zwar nicht aus­drück­lich im Ge­setz vor­ge­schrie­ben, aber auf­grund der ak­tu­el­len BAG-Recht­spre­chung ge­bo­ten. Als Ver­fah­rens­be­tei­lig­ter kann der be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer ver­su­chen, das Ge­richt da­von zu über­zeu­gen, dass der An­trag des Be­triebs­rats un­be­gründet ist. Hat er da­mit Er­folg, wird der Ar­beit­ge­ber wohl kaum ei­ne Kündi­gung aus­spre­chen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­grün­de ver­öf­fent­licht. Das voll­stän­dig be­grün­de­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 6. Oktober 2020

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