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LAG Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 09.09.2011, 17 Sa 16/11

   
Schlagworte: Betriebsrat
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Aktenzeichen: 17 Sa 16/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 09.09.2011
   
Leitsätze: Die heimliche Übertragung einer Betriebsratssitzung durch ein Betriebsratsmitglied an Dritte stellt sowohl eine Amtspflicht- als auch eine Vertragspflichtverletzung dar und ist grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen. Dies gilt auch, wenn die Kündigung nur auf dem dringenden Verdacht der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gestützt wird. Im Rahmen der Interessenabwägung kann unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls in diesem Fall jedoch eine Abmahnung als angemessene Maßnahme ausreichend sein
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 26.01.2011, 28 Ca 7333/10
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ba­den-Würt­tem­berg

 

Verkündet

am 09.09.2011

Ak­ten­zei­chen (Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben)

17 Sa 16/11

28Ca 7333/10
ArbG Stutt­gart

 

Be­schluss

In dem Rechts­streit

- Be­klag­te/Be­ru­fungskläge­rin -

Proz.-Bev.:

ge­gen

- Kläge­rin/Be­ru­fungs­be­klag­te -

Proz.-Bev.:

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg - 17. Kam­mer -
durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Lan­des­ar­beits­ge­richt Dr. Rie­ker,
den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Kraut­wald
und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Schütz
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 09.09.2011

für Recht er­kannt:

1. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Stutt­gart vom 26.01.2011 - 28 Ca 7333/10 - wird auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

2. Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

 

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Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten zu­letzt noch über die Wirk­sam­keit zwei­er außer­or­dent­li­cher Kündi­gun­gen vom 13.09.2010 und vom 20.09.2010.

Die 1956 ge­bo­re­ne le­di­ge Kläge­rin ist seit Ju­li 1990 bei der Be­klag­ten als Mit­ar­bei­te­rin im Ver­kauf beschäftigt. Sie ver­dien­te zu­letzt mo­nat­lich € 2.445,- brut­to. Die Be­klag­te be­treibt bun­des­weit Kaufhäuser. Die Kläge­rin ist seit 11.05.2010 Mit­glied des 23-köpfi­gen Be­triebs­rats, wel­cher zuständig ist für die Be­triebsstätten in S. , L. , S. und R. so­wie Mit­glied des Be­triebs­aus­schus­ses.

Am 01.09.2010 fand die ers­te Be­triebs­aus­schuss­sit­zung un­ter Be­tei­li­gung der Kläge­rin statt. Kurz vor Be­ginn die­ser Sit­zung um 14.00 Uhr wur­de die Kläge­rin auf ih­rem Mo­bil­te­le­fon an-ge­ru­fen. Sie be­weg­te sich Rich­tung Toi­let­te, um das Gespräch an­zu­neh­men. Kur­ze Zeit später be­gab sich die Kläge­rin Rich­tung Sit­zungs­raum und nahm dort zwi­schen den Be­triebs-rats­mit­glie­dern Frau S. und Frau B. Platz. Die Kläge­rin leg­te das Mo­bil­te­le­fon in ei­ne vor ihr be­find­li­che schwar­ze Sam­mel­map­pe. Ge­gen 14.45 Uhr for­der­te Frau S. die Kläge­rin auf, ihr das Mo­bil­te­le­fon zu zei­gen, sie wol­le das Dis­play se­hen. Die ge­nau­en je­wei­li­gen Äußerun­gen so­wie das ge­naue Ver­hal­ten der Kläge­rin auf die­se Auf­for­de­rung hin sind zwi­schen den Par­tei­en strei­tig.

Mit Schrei­ben vom 01.09.2010 (Blatt 62 der erst­in­stanz­li­chen Ak­te) lud die Be­klag­te die Klä-ge­rin zu ei­nem Gespräch für den 02.09.2010 ein. Bei die­sem Gespräch wa­ren ne­ben der Kläge­rin die Be­reichs­lei­te­rin Frau P. und de­ren Kol­le­gin Frau K. so­wie - auf Wunsch der Kläge­rin - die Be­triebsrätin Frau K. und Frau F. von Ver.di an­we­send. Der ge­naue In­halt des Gesprächs ist zwi­schen den Par­tei­en wie­der­um strei­tig. Hin­sicht­lich der von Frau P. an­ge­fer­tig­ten Do­ku­men­ta­ti­on wird auf Blatt 139-140 der erst­in­stanz­li­chen Ak­te ver­wie­sen. Mit wei­te­rem Schrei­ben vom 03.09.2010 lud die Be­klag­te die Kläge­rin noch­mals zu ei­nem Gespräch auf den 06.09.2010 ein (Blatt 69 der erst­in­stanz­li­chen Ak­te) mit dem Ziel, ihr „er­neut Ge­le­gen­heit zu ge­ben, den ge­gen Sie er­ho­be­nen Ver­dacht auf Mit­schnei­den/Mithören las­sen über Ihr Mo­bil­te­le­fon aus­zuräum­en und ei­nen ent­spre­chen­den Be­weis an­zu­tre­ten“. Die Kläge­rin, wel­che zu die­sem Zeit­punkt ar­beits­unfähig krank war, nahm die­sen Gesprächs­ter­min nicht wahr.

Mit Schrei­ben vom 07.09.2010 be­an­trag­te die Be­klag­te beim Be­triebs­rat die Zu­stim­mung zur außer­or­dent­li­chen Kündi­gung der Kläge­rin. Hin­sicht­lich des vollständi­gen In­halts des Anhö-rungs­schrei­bens wird auf Blatt 136/137 der erst­in­stanz­li­chen Ak­te ver­wie­sen. U.a. heißt es hier­in: „Hier­mit be­an­tra­gen wir die Zu­stim­mung für die außer­or­dent­li­che Kündi­gung von Frau B. 

 

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we­gen Be­ge­hung ei­ner Straf­tat, hilfs­wei­se we­gen des drin­gen­den Ver­dachts“ so­wie „Ein sol­ches Ver­hal­ten stellt ei­nen schwer­wie­gen­den Ver­trau­ens­miss­brauch dar. Es ist Ar­beit­neh­mern nicht zu­zu­mu­ten, dass sie oh­ne ihr Wis­sen ab­gehört oder über­wacht wer­den. Das Ver­trau­en in die Per­son und In­te­grität von Frau B. ge­genüber an­de­ren Ar­beit­neh­mern und dem Ar­beit­ge­ber ist auf Dau­er und un­wie­der­bring­lich gestört. Aus die­sem Grun­de se­hen wir uns ge­zwun­gen, das Ar­beits­verhält­nis mit Frau B. aus wich­ti­gem Grund mit so­for­ti­ger Wir­kung zu be­en­den. Hilfs­wei­se wird die Kündi­gung auf den drin­gen­den Ver­dacht, dass Frau B. die­se Tat be­gan­gen hat, gestützt“. Die Kläge­rin äußer­te sich ge­genüber dem Be­triebs­rat schrift­lich mit Schrei­ben vom 11.09.2010 (Blatt 70-71 der erst­in­stanz­li­chen Ak­te). Der Be­triebs­rats­vor­sit­zen­de teil­te der Be­klag­ten mit Schrei­ben vom 13.09.2010 (Blatt 142 der erst­in­stanz­li­chen Ak­te) mit, der Be­triebs­rat und der Per­so­nal­aus­schuss hätten be­schlos­sen, die Zu­stim­mung gemäß § 103 Be­trVG zu er­tei­len. Die Be­klag­te fer­tig­te nach Er­halt des Zu­gangs der Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats das Kündi­gungs­schrei­ben vom 13.09.2010 aus (Blatt 49 der erst­in­stanz­li­chen Ak­te) und stell­te es am glei­chen Tag der Kläge­rin in de­ren Pri­vat­brief­kas­ten zu.

Vor dem Ar­beits­ge­richt Stutt­gart führ­te die Kläge­rin zu­sam­men mit 4 wei­te­ren Be­triebs­rats-mit­glie­dern ein Be­schluss­ver­fah­ren ge­gen den Be­triebs­rat we­gen Frei­stel­lung von Mit­glie­dern des Be­triebs­rats von der Ar­beits­pflicht gemäß § 38 Be­trVG. Die Kläge­rin leg­te im Rah­men die­ses Ver­fah­rens un­ter dem Da­tum vom 11.08.2010 ei­ne ei­des­statt­li­che Ver­si­che­rung vor (Blatt 143 der erst­in­stanz­li­chen Ak­te), wel­che u.a. fol­gen­de Erklärung enthält: „Ich ha­be am 29.07.2010 für die Be­triebsräte der Lis­te 3 - ver.di - ei­nen er­neu­ten An­trag auf Frei­stel­lung in schrift­li­cher Form für die Lis­te 3 mit ent­spre­chen­der Be­gründung über­reicht“. Am 09.09.2010 fand in die­ser Rechts­strei­tig­keit ein Ter­min zur Anhörung der Be­tei­lig­ten vor der Kam­mer statt. Hin­sicht­lich des In­halts des Sit­zungs­pro­to­kolls im Ver­fah­ren 6 BV­Ga 46/10 wird auf Blatt 68 und 69 der zweit­in­stanz­li­chen Ak­te ver­wie­sen. Mit Schrei­ben vom 10.09.2010 (Blatt 145 - 146 der erst­in­stanz­li­chen Ak­te) be­an­trag­te die Be­klag­te die Zu­stim­mung des Be­triebs­rats zu ei­ner wei­te­ren außer­or­dent­li­chen Kündi­gung der Kläge­rin. Die Be­klag­te stützt die be­ab­sich­tig­te Kündi­gung auf den Vor­wurf, die Kläge­rin ha­be vorsätz­lich ei­ne fal­sche ei­des­statt­li­che Ver­si­che­rung ab­ge­ge­ben. Der Be­triebs­rats­vor­sit­zen­de teil­te der Be­klag­ten am 20.09.2010 (Blatt 147 der erst­in­stanz­li­chen Ak­te) schrift­lich mit, der Be­triebs­rat und der Per­so­nal­aus­schuss hätten be­schlos­sen, die Zu­stim­mung gemäß § 103 Be­trVG zu er­tei­len. Mit Schrei­ben vom sel­ben Tag sprach die Be­klag­te hilfs­wei­se er­neut mit so­for­ti­ger Wir­kung die Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses aus.

Die Kläge­rin er­hob un­ter dem Da­tum vom 24.09.2010 und 05.10.2010 Kla­ge ge­gen die­se bei­den Kündi­gun­gen. Die­se sei­en un­wirk­sam. Der Be­triebs­rat sei nicht ord­nungs­gemäß an­gehört wor­den, sei­ne Be­schlüsse sei­en nicht wirk­sam zu­stan­de ge­kom­men. Die Kläge­rin

 

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ha­be nicht während der Sit­zung des Be­triebs­aus­schus­ses ei­ne Ver­bin­dung zu ei­nem außen-ste­hen­den Drit­ten ge­hal­ten und so ein Abhören der Sit­zung ermöglicht. Ihr Te­le­fon ha­be auch während der Sit­zung kei­ne Geräusche von sich ge­ge­ben. Sie sel­ber ha­be nicht mehr­fach die Po­si­ti­on des Te­le­fons verändert. Das Dis­play ha­be sich nach Her­aus­nah­me des Te­le­fons aus der Map­pe in­fol­ge ei­nes Tas­ten­drucks nicht verändert. Sie ha­be nicht in der Aus­schuss­sit­zung geäußert, dass sie ver­ges­sen ha­be, das Han­dy aus­zu­schal­ten. Auch im Per­so­nal­gespräch am Fol­ge­tag ha­be sie ge­sagt, dass sie ei­nen Mit­schnitt oder ein Mithören der Sit­zung nicht ermöglicht ha­be. Das Te­le­fon sei nach ih­rer Kennt­nis nicht in Be­trieb ge­we­sen. Der be­haup­te­te Ver­s­toß sei auch nicht ge­eig­net, ei­nen wich­ti­gen Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung dar­zu­stel­len. Al­len­falls be­ste­he der Ver­dacht der Ver­let­zung von Pflich­ten aus dem Be­triebs­rats­amt, der je­doch ei­ne Kündi­gung nicht recht­fer­ti­ge. Die Kündi­gung ver­s­toße auch ge­gen Be­nach­tei­li­gungs- und Maßre­ge­lungs­ver­bo­te. Der Be­triebs­rats­be­schluss zur Zu­stim­mung der Kündi­gung vom 13.09.2010 sei nich­tig, da der Be­triebs­rat feh­ler­haft be­setzt ge­we­sen sei. Hier­auf ha­be die Ge­werk­schaft die Be­klag­te mit Schrei­ben vom 13.09.2010 hin­ge­wie­sen.

Die Kündi­gung vom 20.09.2010 sei eben­falls nicht ge­recht­fer­tigt. Sie ha­be kei­ne fal­sche ei-des­statt­li­che Erklärung ab­ge­ge­ben. Viel­mehr ha­be sie tatsächlich in der Sit­zung vom 29.07.2010 ei­nen An­trag auf Frei­stel­lung für die Be­triebsräte der Lis­te 3 ge­stellt. Dies er­ge­be sich auch aus der Nie­der­schrift der außer­or­dent­li­chen Be­triebs­rats­sit­zung vom 20.09.2010, in der fest­ge­hal­ten sei, dass 4 Be­triebs­rats­mit­glie­der die Überg­a­be des An­tra­ges ge­se­hen hätten. Be­zo­gen auf die Kündi­gung vom 20.09.2010 rügt die Kläge­rin wei­ter die Ein­hal­tung der Erklärungs­frist des § 626 Abs. 2 BGB.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt:

1. Es wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en durch die au-ßer­or­dent­li­che Kündi­gung vom 13.09.2010, zu­ge­gan­gen am 13.09.2010 nicht auf­ge-löst wor­den ist.
2. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, der kläge­ri­schen Par­tei ein Zwi­schen­zeug­nis zu er­tei­len, das sich auf Ver­hal­ten und Leis­tung er­streckt.
3. Es wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en durch die au-ßer­or­dent­li­che Kündi­gung vom 20.09.2010, zu­ge­gan­gen am 20.09.2010, nicht auf­gelöst wor­den ist.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

 

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Die Be­klag­te ver­tritt die Mei­nung, die Kläge­rin ha­be mas­siv ge­gen ih­re Pflich­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis ver­s­toßen. Der Kläge­rin sei auch ein straf­ba­res Ver­hal­ten zur Last zu le­gen. Zu­min­dest be­ste­he dies­bezüglich der drin­gen­de Ver­dacht. Frau S. ha­be während der Aus­schuss­sit­zung am 01.09.2010 Geräusche aus dem Mo­bil­te­le­fon der Kläge­rin ver­nom­men, wie wenn in Pa­pier geblättert wer­de. Die Kläge­rin ha­be auch mehr­fach die Po­si­ti­on des Han­dys verändert. Als die Kläge­rin auf ent­spre­chen­de Auf­for­de­rung ihr Han­dy aus der Map­pe ge­nom­men ha­be, sei ein bun­tes Dis­play er­schie­nen, wel­ches sich nach Tas­ten­druck durch die Kläge­rin verändert ha­be. Auf Fra­ge, ob die Kläge­rin ihr Han­dy an­ha­be, ha­be sie ge­ant­wor­tet, sie sei an­ge­ru­fen wor­den, ha­be aber ver­ges­sen, das Han­dy aus­zu­schal­ten. Die Kündi­gung vom 20.09.2010 sei ge­recht­fer­tigt, da sich im Anhörungs­ter­min vom 09.09.2010 her­aus­ge­stellt ha­be, dass die Kläge­rin ent­ge­gen ih­rer ei­dess­statt­li­chen Ver­si­che­rung den be­haup­te­ten An­trag auf Frei­stel­lung vom 29.07.2010 nicht über­ge­ben ha­be.

Mit Ur­teil vom 26.01.2011 gab das Ar­beits­ge­richt der Kla­ge statt. Bei­de Kündi­gun­gen sei­en rechts­un­wirk­sam. Zwar stel­le das be­haup­te­te Ver­hal­ten der Kläge­rin, den Be­triebs­aus­schuss mit­tels Han­dy ab­gehört zu ha­ben, nicht le­dig­lich ei­ne Amts­pflicht­ver­let­zung, son­dern auch ei­ne Ver­trags­pflicht­ver­let­zung dar. Be­reits aus dem Vor­brin­gen der Be­klag­ten las­se sich nicht der für ei­ne rich­ter­li­che Über­zeu­gungs­bil­dung not­wen­di­ge Schluss zie­hen, die Kläge­rin ha­be ei­nem Drit­tem ermöglicht, an der Aus­schuss­sit­zung als Zuhörer teil­zu­neh­men. Auch die Be­klag­te sei nicht da­von aus­ge­gan­gen, dass der Sach­ver­halt ab­sch­ließend auf­geklärt sei, an­sons­ten wäre ei­ne er­neu­te Ein­la­dung zu ei­ner Stel­lung­nah­me überflüssig ge­we­sen. Es ha­be nicht der Ein­ver­nah­me der Zeu­gen be­durft, da durch die­se al­len­falls der Ver­dacht der vor­ge­wor­fe­nen Tat hätte nach­ge­wie­sen wer­den können. Die Kündi­gung sei auch nicht als Ver­dachtskündi­gung wirk­sam. Der Vor­trag der Be­klag­ten las­se nicht be­reits er­ken­nen, dass die Kündi­gung auch auf den bloßen Ver­dacht gestützt wer­de, die Kläge­rin ha­be ei­ne Pflicht­wid­rig­keit be­gan­gen. Wie­so der Ver­dacht ei­ne wei­te­re Zu­sam­men­ar­beit der Be­klag­ten mit der Kläge­rin aus­sch­ließe, ha­be die Be­klag­te nicht hin­rei­chend dar­ge­legt. Die Kündi­gung sei auch auf­grund des Er­geb­nis­ses der In­ter­es­sen­abwägung un­wirk­sam, der Aus­spruch ei­ner Ab­mah­nung wäre ei­ne aus­rei­chen­de Sank­ti­on ge­we­sen. Auch die Kündi­gung vom 20.09.2010 be­en­de das Ar­beits­verhält­nis nicht. Be­reits aus dem Vor­trag der Be­klag­ten er­ge­be sich nicht, dass die Kläge­rin tatsächlich ei­ne fal­sche ei­des­statt­li­che Ver­si­che­rung ab­ge­ge­ben ha­be. Die Kläge­rin ha­be ei­nen An­spruch auf Er­tei­lung ei­nes Zwi­schen­zeug­nis­ses.

Ge­gen die­ses Ur­teil, wel­ches der Be­klag­ten am 17.02.2011 zu­ge­stellt wur­de, leg­te die­se be­zo­gen auf die Be­stands­schutz­anträge am 16.03.2011 Be­ru­fung ein und be­gründe­te die­se nach ent­spre­chen­der Verlänge­rung der Be­gründungs­frist mit am 17.05.2011 ein­ge­reich­tem Schrift­satz.

 

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Die Be­klag­te wie­der­holt und ver­tieft ih­ren erst­in­stanz­li­chen Vor­trag. Sie trägt vor, sie ha­be ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts dar­ge­tan, dass die Kläge­rin mit ih­rem Mo­bil­te-le­fon über ei­nen länge­ren Zeit­raum ei­ne Ver­bin­dung auf­recht­er­hal­ten ha­be, mit wel­cher die Sit­zung des Be­triebs­aus­schus­ses an drit­te Per­so­nen außer­halb des Rau­mes über­tra­gen wor­den sei. Aus dem Te­le­fon sei­en Geräusche zu hören ge­we­sen, die Kläge­rin ha­be das Te­le­fon in der Po­si­ti­on verändert und das Dis­play des Te­le­fo­nes ha­be sich nach Tas­ten­druck verändert. Im Zu­sam­men­hang mit der Äußerung der Kläge­rin, sie ha­be ver­ges­sen, das Han­dy aus­zu­schal­ten er­ge­be sich das Ein­geständ­nis der Kläge­rin, die Sit­zung ab­gehört zu ha­ben. Bei der Be­haup­tung, sie ha­be ver­ges­sen, das Han­dy aus­zu­schal­ten, könne es sich nur um ei­ne Schutz­be­haup­tung han­deln. Es ma­che auch kei­nen Sinn, wenn die Kläge­rin ei­ner­seits be­haup­tet, das Te­le­fon fehl­be­dient zu ha­ben, an­de­rer­seits, sie ha­be dies nicht vollständig aus­ge­schal­tet. Die Kläge­rin ha­be in dem Per­so­nal­gespräch auch das Be­ste­hen ei­ner Mo­bil­funk­ver­bin­dung ein­ge­stan­den. Aus dem Um­stand, dass die Be­klag­te die Kläge­rin zu ei­nem wei­te­ren Gespräch ein­ge­la­den hat, könne nicht ge­fol­gert wer­den, dass sie den Sach­ver­halt nicht aus­rei­chend auf­geklärt ha­be. Viel­mehr soll­te der Kläge­rin Ge­le­gen­heit ge­ge­ben wer­den, oh­ne die „ge­werk­schaft­li­che Führungs­per­son“ zu dem Vor­fall Stel­lung zu neh­men. Die hilfs­wei­se Anhörung zur Ver­dachtskündi­gung sei er­folgt, da die Be­klag­te ha­be si­cher ge­hen wol­len, dass nicht erst­in­stanz­lich die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Tatkündi­gung ver­neint würden und ei­ne Ver­dachtskündi­gung man­gels Be­triebs­rats­be­tei­li­gung nicht in Be­tracht kom­me. Der von der Be­klag­ten vor­ge­tra­ge­ne Sach­ver­halt genüge je­den­falls, um das Vor­lie­gen ob­jek­ti­ver Ver­dachts­mo­men­te zu be­gründen. Auch die hilfs­wei­se von der ers­ten In­stanz durch­geführ­te In­ter­es­sen­abwägung ge­he an der Sa­che vor­bei. Die Ar­gu­men­ta­ti­on sei be­denk­lich, so­weit das Ge­richt ausführe, der Ver­s­toß rich­te sich in ers­ter Li­nie ge­gen Funk­ti­ons­träger und nicht ge­gen Ar­beits­kol­le­gen. Ei­nem Mit­glied ei­nes be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Gre­mi­ums, das nicht be­reit sei, die vor­ge­ge­be­nen Re­ge­lun­gen für die­ses Gre­mi­um ein­zu­hal­ten, könne nicht un­ter­stellt wer­den, dass die­se Per­son Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen bzw. dem Ar­beit­ge­ber ge­genüber ein an­de­res Ver­hal­ten an den Tag le­ge. Das Ver­hal­ten der Kläge­rin kon­su­mie­re jed­we­des Ver­trau­en­s­po­ten­ti­al un­abhängig von der Dau­er der Beschäfti­gung. Die Tat­sa­che, dass ein Amts­ent­he­bungs­ver­fah­ren ge­gen die Kläge­rin durch­geführt wer­den könne, könne nicht zu­guns­ten des Ar­beit­neh­mers bei der In­ter­es­sen­abwägung berück­sich­tigt wer­den.

Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts sei auch die Kündi­gung vom 20.09.2010 nicht zu be­an­stan­den. Das Ar­beits­ge­richt ha­be we­sent­li­che Tei­le des be­klag­ten­sei­ti­gen Vor­tra­ges außer Acht ge­las­sen. In der ei­des­statt­li­chen Ver­si­che­rung vom 11.08.2010 ha­be die Kläge­rin erklärt, sie ha­be am 29.07.2010 für die Be­triebsräte der Lis­te 3 ei­nen neu­en An­trag auf Frei­stel­lung in schrift­li­cher Form über­reicht, wo­hin­ge­gen in der An­trags­schrift sich die Be­haup-

 

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tung fin­de, durch die Be­triebsräte der Lis­te 3 sei zu Be­ginn der Sit­zung durch die Lis­tenfüh-re­rin, der Kläge­rin, der wie­der­hol­te An­trag auf Frei­stel­lung über­reicht wor­den. Im Anhörungs-ter­min ha­be sich so­dann her­aus­ge­stellt, dass die Kläge­rin den be­haup­te­ten An­trag am 29.07.2010 zu kei­nem Zeit­punkt über­reicht ha­be. Ins­be­son­de­re ha­be die Kläge­rin nicht sa­gen könne, ob und wenn ja, zu wel­chem Zeit­punkt und an wen sie den An­trag ab­ge­ge­ben ha­ben will. Wenn die Kläge­rin nicht mehr wis­se, wann und an wen sie den An­trag über­ge­ben ha­ben will, könne die ei­des­statt­li­che Erklärung nur falsch sein.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

un­ter Abände­rung der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts Stutt­gart vom 26.01.2011 - AZ 28 Ca 7333/10 - die Kla­ge be­zo­gen auf die Be-stands­schutz­anträge ab­zu­wei­sen.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Kläge­rin ver­tei­digt das erst­in­stanz­li­che Ur­teil. Das Ar­beits­ge­richt ha­be zu­tref­fend fest­ge-stellt, dass die Kündi­gun­gen un­wirk­sam sei­en. Den Ausführun­gen des Ar­beits­ge­richts könne zwar nicht ge­folgt wer­den, so­weit in dem Ver­hal­ten der Kläge­rin be­zo­gen auf die Kündi­gung vom 13.09.2010 auch ei­ne Ver­trags­ver­let­zung ge­se­hen wer­de. Es hand­le sich hier­bei aus-schließlich um ei­ne Amts­pflicht­ver­let­zung. Es hand­le sich auch bei Zu­grun­de­le­gung ei­nes be­son­ders stren­gen Maßsta­bes nicht um ei­nen Sach­ver­halt, der ge­eig­net wäre, ei­nen Grund für ei­ne frist­lo­se Kündi­gung ab­zu­ge­ben. Dies las­se sich be­reits aus dem Ver­hal­ten der Be-triebs­rats­mit­glie­der ent­neh­men. Die­se hätten ei­nen Straf­an­trag nicht ge­stellt. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­klag­ten sei das der Kläge­rin zur Last ge­leg­te Ver­hal­ten auch nicht nach-ge­wie­sen. Der vom Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend fest­ge­stell­te Sach­ver­halt spre­che al­len­falls für ei­nen mehr oder we­ni­ger be­gründe­ten Ver­dacht. Die Kläge­rin ha­be die Fra­ge, ob das Mo­bil-te­le­fon tatsächlich lau­fe, so ver­ste­hen können und müssen, ob die­se an­ge­schal­tet sei. Dies ha­be sie wahr­heits­gemäß mit „ja“ be­ant­wor­tet. Es ha­be auch nur ei­ne Per­son ge­ge­ben, wel­che 45 Mi­nu­ten lang den Ver­dacht ge­habt ha­be, die Sit­zung wer­de ab­gehört und wel­che gehört ha­ben will, wie am an­de­ren En­de der Lei­tung in Ak­ten oder Pa­pie­ren geblättert wor­den sei. Ein sol­ches Geräusch las­se sich al­len­falls bei ei­ner an­ge­schal­te­ten Frei­sprech­funk­ti­on hören. Die Kläge­rin ha­be zu kei­nem Zeit­punkt, auch nicht in dem Per­so­nal­gespräch mit Frau P. erklärt, dass ei­ne Ver­bin­dung be­stan­den ha­be. Das Ar­beits­ge­richt sei auch zu­tref­fend da­von aus­ge­gan­gen, dass auch das Pro­to­koll der Be­klag­ten wi­der­spieg­le, dass die Be­klag­te le­dig­lich von ei­nem Ver­dacht aus­ge­gan­gen sei. Die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Tat

 

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kündi­gung sei­en nicht dar­ge­legt. Die Be­klag­te könne sich auch nicht auf ei­ne Ver­dachtskündi­gung be­ru­fen, da die­se ei­nen ei­genständi­gen Kündi­gungs­grund dar­stel­le. Da kei­ne Dif­fe­ren­zie­rung hin­sicht­lich der Be­gründung zwi­schen Tat- und Ver­dachtskündi­gung er­folgt sei und aus der ge­sam­ten Anhörung des Be­triebs­rats mit Aus­nah­me des Ein­lei­tungs­sat­zes nur zu ent­neh­men sei, dass die Tat ob­jek­tiv vor­ge­le­gen ha­be, könne die Kündi­gung nicht wirk­sam auf den Ver­dacht ei­ner Straf­tat gestützt wer­den. We­der sei die Kläge­rin hier­zu be­fragt wor­den noch sei der Be­triebs­rat in­so­weit wirk­sam an­gehört wor­den. Bezüglich der In­ter­es­sen­abwägung sei­en die Ausführun­gen des Ar­beits­ge­richts zu­tref­fend.

Hin­sicht­lich der Kündi­gung vom 20.09.2010 sei das Vor­brin­gen der Be­klag­ten auch in der Be­ru­fung nicht ge­eig­net, ei­nen Sach­vor­trag zu leis­ten, aus wel­chem sich ent­neh­men las­se, dass die Kläge­rin ei­ne fal­sche ei­des­statt­li­che Ver­si­che­rung ab­ge­ge­ben ha­be. In die­sem Zu-sam­men­hang sei auch die Anhörung des Be­triebs­rats un­zu­rei­chend und un­vollständig und stünde im Wi­der­spruch zum Sit­zungs­pro­to­koll vom 09.09.2010.

We­gen des wei­te­ren Sach- und Streit­stan­des wird auf den In­halt der ge­wech­sel­ten Schriftsätze ers­ter und zwei­ter In­stanz nebst An­la­gen so­wie auf die Pro­to­kol­le der münd­li­chen Ver­hand­lung ers­ter und zwei­ter In­stanz ver­wie­sen.

 

 

Ent­schei­dungs­gründe

I.

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ist gemäß § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statt­haft. Sie ist auch in der ge­setz­li­chen Form und Frist ein­ge­legt und recht­zei­tig be­gründet wor­den, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519 Abs. 1, 520 ZPO.

II.

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ist un­be­gründet. Das Ar­beits­ge­richt geht zu­tref­fend da­von aus, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis we­der durch die außer­or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 13.09.2010 (1.) noch durch die außer­or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 20.09.2010 be­en­det wor­den ist (2.).

 

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1. Die außer­or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 13.09.2010 ist rechts­un­wirk­sam. Sie hat das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis nicht wirk­sam be­en­det. Die Kündi­gung schei­tert nicht be­reits an der er­for­der­li­chen ord­nungs­gemäßen Zu­stim­mung des Be­triebs­rats gemäß § 103 Be­trVG (a). Auch stellt das der Kläge­rin vor­ge­wor­fe­ne Ver­hal­ten ei­ne Ver­trags­pflicht­ver­let­zung dar (b), wel­che ge­ne­rell ge­eig­net ist, ei­nen wich­ti­gen Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung zu be­gründen (c). Je­doch lie­gen we­der die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Tatkündi­gung vor (d) noch er­weist sich ei­ne et­wai­ge Ver­dachtskündi­gung un­ter dem Ge­sichts­punkt der In­ter­es­sen­abwägung als wirk­sam (e).

Die Kündi­gung ei­nes Be­triebs­rats­mit­glieds ist nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG un­wirk­sam, es sei denn, dass Tat­sa­chen vor­lie­gen, die den Ar­beit­ge­ber zur Kündi­gung aus wich­ti­gem Grund oh­ne Ein­hal­tung ei­ner Kündi­gungs­frist be­rech­ti­gen, und dass die nach § 103 Be­trVG er­for­der­li­che Zu­stim­mung des Be­triebs­rats vor­liegt oder durch ge­richt­li­che Ent­schei­dung er­setzt ist.

a. Die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 13.09.2010 ist nicht be­reits we­gen ei­nes feh­ler­haf­ten Be­triebs­rats­be­schlus­ses un­wirk­sam.

Mit der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ist da­von aus­zu­ge­hen, dass die sach­li­chen Un­ter­schie­de zwi­schen dem Anhörungs- und dem Zu­stim­mungs­ver­fah­ren die An­wen­dung der zu § 102 Be­trVG ent­wi­ckel­ten Grundsätze der Sphären­theo­rie auf das Zu­stim­mungs­ver­fah­ren nach § 103 Be­trVG aus­sch­ließen (vgl. hier­zu mit wei­te­rer Be­gründung: BAG 29. No­vem­ber 1984 - 2 AZR 581/83 - zi­tiert nach Ju­ris). Zur Ver­mei­dung un­bil­li­ger Er­geb­nis­se hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt je­doch im Rah­men des § 103 Be­trVG ei­nen Ver­trau­ens­schutz des Ar­beit­ge­bers an­ge­nom­men. Hat der für die Außen­ver­tre­tung des Be­triebs­rats zuständi­ge Be­triebs­rats­vor­sit­zen­de bzw. sein Stell­ver­tre­ter dem Ar­beit­ge­ber mit­ge­teilt, die Zu­stim­mung zur außer­or­dent­li­chen Kündi­gung sei er­teilt, so kann der Ar­beit­ge­ber in der Re­gel da­von aus­ge­hen, dass er nach den Umständen des Fal­les kei­nen Zwei­fel an ei­nem ord­nungs­gemäßen Be­schluss ha­ben konn­te. Nur wenn der Ar­beit­ge­ber zum Zeit­punkt der Kündi­gung weiß oder wis­sen muss­te, dass der Be­schluss un­wirk­sam ist, kann er sich nicht auf Ver­trau­ens­schutz be­ru­fen (BAG aaO.).

Nach die­sen Grundsätzen ist vor­lie­gend da­von aus­zu­ge­hen, dass die Be­klag­te hin­sicht­lich ei­ner even­tu­el­len Falsch­be­set­zung des Be­triebs­rats­gre­mi­ums und der da­mit ein­her­ge­hen­den Un­wirk­sam­keit ei­nes Be­triebs­rats­be­schlus­ses bei Aus­spruch der Kündi­gung auf die Rich­tig­keit des Be­schlus­ses ver­trau­en

 

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konn­te. So­weit die Kläge­rin ausführ­te, die Ge­werk­schaft ha­be mit Schrei­ben vom 13.09.2010 dar­auf hin­ge­wie­sen, dass ei­ne Fehl­be­set­zung des Be­triebs­rats­gre­mi­ums be­stand, leg­te die Kläge­rin we­der das Schrei­ben vor noch leg­te sie dar, wel­chen In­halt der Hin­weis auf die an­geb­li­che Fehl­be­set­zung hat­te noch be­haup­tet sie, dass die Be­klag­te die­ses Schrei­ben vor Zu­gang der Kündi­gung an die Kläge­rin er­hal­ten ha­be. Da­mit ist nicht aus­rei­chend dar­ge­legt, von wel­chen Feh­lern bei der Be­triebs­rats­anhörung die Be­klag­te vor Aus­spruch der Kündi­gung Kennt­nis hat­te oder Kennt­nis ha­ben konn­te.

b. Für den Be­griff des wich­ti­gen Grun­des iSd. § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG gel­ten die Maßstäbe des § 626 Abs. 1 BGB. Gemäß die­ser Vor­schrift kann das Ar­beits­verhält­nis vom Ar­beit­ge­ber aus wich­ti­gem Grund oh­ne Ein­hal­tung ei­ner Kündi­gungs­frist gekündigt wer­den, wenn Tat­sa­chen vor­lie­gen, auf­grund de­rer dem Kündi­gen­den un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­fal­les und un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist zu­ge­mu­tet wer­den kann. Da­bei ist zunächst zu prüfen, ob ein be­stimm­ter Sach­ver­halt oh­ne die be­son­de­ren Umstände des Ein­zel­fal­les an sich ge­eig­net ist, ei­nen wich­ti­gen Grund ab­zu­ge­ben. In der zwei­ten Stu­fe er­folgt die Prüfung, ob bei Berück­sich­ti­gung der be­son­de­ren Umstände des Ein­zel­fal­les und Abwägung der ge­gen­sei­ti­gen In­ter­es­sen die Kündi­gung im kon­kre­ten Ein­zel­fall ge­recht­fer­tigt ist (vgl. et­wa BAG 16. De­zem­ber 2004 - 2 ABR 7/04 - AP BGB § 626 Nr. 191).

Amts- und Man­datsträger dürfen durch ih­re be­son­de­re Stel­lung we­der be­vor­zugt noch be­nach­tei­ligt wer­den. Al­ler­dings ist in­so­weit den Re­ge­lun­gen des § 15 KSchG Rech­nung zu tra­gen, als ei­ne Prüfung, ob dem Ar­beit­ge­ber die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist zu­zu­mu­ten ist, auf­grund des Aus­schlus­ses des Rechts zur or­dent­li­chen Kündi­gung nicht grei­fen kann. Um ei­ne § 78 Be­trVG wi­der­spre­chen­de Be­nach­tei­li-gung des geschütz­ten Per­so­nen­krei­ses aus­zu­sch­ließen, ist bei der Zu­mut­bar­keitsprüfung die fik­ti­ve or­dent­li­che Kündi­gungs­frist zu­grun­de zu le­gen (BAG 27. Sep­tem­ber 2001 - 2 AZR 487/00 - EzA § 15 KSchG Nr. 54).

Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (zu­letzt BAG 5. No­vem­ber 2009 - 2 AZR 487/08 - AP KSchG 1969 § 15 Nr. 65 mwN) ist bei der be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung ei­nes Be­triebs­rats­mit­glie­des zunächst da­nach zu dif­fe­ren­zie­ren, ob die­sem ei­ne rei­ne Ver­let­zung ei­ner Pflicht aus dem Ar­beits­verhält­nis vor­ge­wor­fen wird oder ob die Pflicht­ver­let­zung im Zu­sam­men-

 

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hang mit sei­ner Tätig­keit als Be­triebs­rats­mit­glied steht. Wird ei­nem Be­triebs­rats­mit­glied le­dig­lich die Ver­let­zung ei­ner Amts­pflicht zum Vor­wurf ge­macht, so ist die Kündi­gung un­zulässig und nur ein Aus­schluss­ver­fah­ren nach § 23 Be­trVG möglich. Ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung kommt nur dann in Be­tracht, wenn zu­gleich ei­ne schwe­re Ver­let­zung der Pflich­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis vor­liegt. Ist ein Ver­hal­ten zu be­wer­ten, das der Be­triebs­ratstätig­keit ent­springt und zu­gleich ei­ne Amts- und ei­ne Ver­trags­ver­let­zung sein kann, dann ist an die An­nah­me ei­ner schwe­ren Ver­let­zung des Ar­beits­ver­tra­ges, al­so an die Be­rech­ti­gung zur frist­lo­sen Ent­las­sung ein stren­ge­rer Maßstab an­zu­le­gen als bei ei­nem Ar­beit­neh­mer, der dem Be­triebs­rat nicht an­gehört. (BAG 5. No­vem­ber 2009 aaO. so­wie BAG 20. De­zem­ber 1961 - 1 AZR 404/61 - AP KSchG § 13 Nr. 16). Das Er­for­der­nis, bei der Prüfung des wich­ti­gen Grun­des zur Kündi­gung eins Amts­trägers ei­nen "be­son­ders stren­gen Maßstab" an­zu­le­gen dient nur da­zu, die freie Betäti­gung des Be­triebs­rats­mit­glie­des in sei­nem Amt zu gewähr­leis­ten (vgl. BAG 25. Mai 1982 - 7 AZR 155/80 - zi­tiert nach Ju­ris). Ei­ne Ver­let­zung der Pflich­ten aus dem Ar­beits­ver­trag, die im Rah­men ei­ner Amtstätig­keit be­gan­gen wird, kann aus ei­ner Kon­flikt­si­tua­ti­on ent­stan­den sein, der der Ar­beit­neh­mer, der nicht Be­triebs­rats­mit­glied ist, nicht aus­ge­setzt ist. Dies ist bei­spiels­wei­se der Fall, wenn es bei Ver­hand­lun­gen zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat im Ver­lauf länge­rer schwie­ri­ger und er­reg­ter Aus­ein­an­der­set­zun­gen je nach der Persönlich­keits­struk­tur der Teil-neh­mer zu ver­ba­len Be­lei­di­gun­gen kommt. Die in dem stren­ge­ren Prüfungs­maßstab zum Aus­druck kom­men­de Tat- und Si­tua­ti­ons­ge­rech­tig­keit ist in sol­chen Fällen kei­ne ver­bo­te­ne Bes­ser­stel­lung des Be­triebs­rats­mit­glieds, son­dern Fol­ge der Be­ach­tung der be­son­de­ren Sach­la­ge (BAG 25. Mai 1982, aaO).

Ein be­stimm­tes Ver­hal­ten ist nur dann aus­sch­ließlich ei­ne Amts­pflicht­ver­let­zung, wenn dem Be­triebs­rats­mit­glied le­dig­lich ein Ver­s­toß ge­gen al­lein kol­lek­tiv­recht­li­che Pflich­ten zum Vor­wurf zu ma­chen ist. Verstößt das Be­triebs­rats­mit­glied statt­des­sen ge­gen ei­ne für al­le Ar­beit­neh­mer glei­cher­maßen gel­ten­de ver­trag­li­che Pflicht, liegt - zu­min­dest auch - ei­ne Ver­trags­pflicht­ver­let­zung vor (BAG 25. Mai 1982 aaO.; BAG 15. Ju­li 1992 - 7 AZR 466/91 - AP BGB § 611 Ab­mah­nung Nr. 9).

Un­ter Zu­grun­de­le­gung die­ser Grundsätze des Bun­des­ar­beits­ge­richts zur Fra­ge des Vor­lie­gens ei­nes wich­ti­gen Grun­des bei ei­nem Fehl­ver­hal­ten ei­nes Man­datsträgers ist das der Kläge­rin vor­ge­wor­fe­ne Ver­hal­ten nicht nur als

 

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Amts­pflicht­ver­let­zung, son­dern auch als Ar­beits­ver­trags­ver­let­zung zu wer­ten und da­mit grundsätz­lich die Möglich­keit des Aus­spruchs ei­ner außer­or­dent­li­chen Kündi­gung eröff­net.

In sei­ner Ent­schei­dung vom 25. Mai 1982 (aaO.) hat das BAG be­reits aus­geführt, dass auch in­ner­halb und anläss­lich ei­ner Be­triebs­rats­sit­zung getätig­te Äußerun­gen ne­ben ei­ner Amts­pflicht­ver­let­zung auch ei­ne Ver­trags­pflicht­ver­let­zung dar­stel­len können. Eben­so stellt nach Auf­fas­sung der Kam­mer das heim­li­che Mithören­las­sen von Äußerun­gen, wel­che in­ner­halb ei­ner Be­triebs­rats­sit­zung/Be­triebs­aus­schuss­sit­zung von Be­triebs­rats­mit­glie­dern ermöglicht wur­de, so­wohl ei­ne Amts­pflicht­ver­let­zung als auch ei­ne Ver­let­zung ei­ner ar­beits­ver­trag­li­chen Ne­ben­pflicht dar.

aa) Das Vor­lie­gen ei­ner Amts­pflicht­ver­let­zung ist zu be­ja­hen, da mit Wei­ter­ga­be des Gesprächs­in­halts an Drit­te ge­gen die be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Vor­schrift, dass Be­triebs­rats­sit­zun­gen nicht öffent­lich sind, ver­s­toßen wird. Zwar be­steht im All­ge­mei­nen kei­ne Pflicht der Be­triebs­rats­mit­glie­der, über den Ver­lauf von Be­triebs­rats­sit­zun­gen Still­schwei­gen zu be­wah­ren. Ei­ne sol­che Schwei­ge­pflicht ist nur zu be­ja­hen, wenn die Ver­schwie­gen­heits­pflicht des § 79 Be­trVG greift oder bei Vor­lie­gen be­son­de­rer Umstände (mit wei­te­rer Be­gründung Hes­si­sches Lan­des­ar­beits­ge­richt 16. De­zem­ber 2010 - 9 TaBV 55/10 - zi­tiert nach Ju­ris). Sol-che sind vor­lie­gend nicht er­sicht­lich. Durch die Ermögli­chung des Mithörens wird je­doch un­mit­tel­bar ge­gen die Re­ge­lung ver­s­toßen, dass die Be­triebs­aus­schuss­sit­zun­gen eben­so wie Be­triebs­rats­sit­zun­gen nicht öffent­lich sind. Der Aus­schluss der Öffent­lich­keit ist für die Be­triebs­rats­sit­zun­gen in § 30 Satz 4 Be­trVG ge­re­gelt. Für die Aus­schuss­sit­zung fin­det sich kei­ne aus­drück­li­che Re­ge­lung im Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz, je­doch gel­ten für die Geschäftsführung des Be­triebs­aus­schus­ses grundsätz­lich die Vor­schrif­ten über die Geschäftsführung des Be­triebs­rats sinn­gemäß. Die Sit­zun­gen des Be­triebs­aus­schus­ses sind des­halb eben­so wie die Be­triebs­rats­sit­zun­gen sel­ber nicht öffent­lich (Fit­ting, Be­trVG 25. Auf­la­ge § 27 Rz. 55). Zu­dem kommt als mögli­che Amts­pflicht­ver­let­zung die in § 74 Abs. 2 Satz 2 Be­trVG fest­ge­leg­te Pflicht des Be­triebs­rats in Be­tracht, al­le Betäti­gun­gen zu un­ter­las­sen, durch die der Ar­beits­ab­lauf oder der Frie­den des Be­trie­bes be­ein­träch­tigt wer­den.

 

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bb) Ne­ben ei­ner Amts­pflicht­ver­let­zung stellt das von der Be­klag­ten be­haup­te­te Ver­hal­ten der Kläge­rin auch ei­ne Ar­beits­pflicht­ver­let­zung dar. Mit der heim­li­chen Wei­ter­lei­tung der Wor­te der Be­triebs­rats­mit­glie­der an außen­ste­hen­de Drit­te, wel­che zu­gleich den Straf­tat­be­stand des § 201 Abs. 2 Satz 1 StGB ver­wirk­licht, wird in das Persönlich­keits­recht je­des ein­zel­nen an­we­sen­den Be­triebs­rats­mit­glieds ein­ge­grif­fen. Da­mit verstößt ein Ar­beit­neh­mer, wel­cher un­be­fugt Gesprächs­in­hal­te Drit­ten zugäng­lich macht, ge­gen die sich aus dem Ar­beits­ver­trag als Ne­ben­pflicht er­ge­ben­de Ver­pflich­tung, die Persönlich­keits­rech­te ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber so­wie ge­genüber den an­de­ren Ar­beit­neh­mern zu wah­ren. Auch Be­triebs­rats­mit­glie­dern kommt im Rah­men der Wah­rung von Persönlich­keits­rech­ten der­sel­be Schutz zu wie dies bei den Ar­beit­neh­mern der Fall ist, die nicht dem Be­triebs­rat zu­gehören. Al­lein die Zu­gehörig­keit zum Be­triebs­rats­gre­mi­um kann nicht da­zu führen, dass Verstöße ge­gen die Ver­pflich­tung, die Ver­trau­lich­keit des Wor­tes zu wah­ren, ar­beits­ver­trags­be­zo­gen sank­ti­ons­los blie­ben. Durch die Zu­gehörig­keit zum Be­triebs­rats­gre­mi­um ge­ben die Ar­beit­neh­mer ih­re Persönlich­keits­rech­te nicht auf. Ein heim­li­ches Abhören stellt des­halb nicht aus­sch­ließlich ei­nen Ver­s­toß ge­gen al­lein kol­lek­tiv­recht­li­che Pflich­ten dar.

c. Das der Kläge­rin vor­ge­wor­fe­ne Fehl­ver­hal­ten des heim­li­chen Mithören­las­sens ist auch grundsätz­lich ge­eig­net, ei­nen wich­ti­gen Grund für ei­ne frist­lo­se Kündi­gung zu be­gründen.

Hier­zu hat das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend aus­geführt, dass un­abhängig von der straf­recht­li­chen Be­ur­tei­lung die Wei­ter­ga­be des er­kenn­bar nicht für ei­nen Drit­ten be­stimm­ten Wor­tes mit­tels ei­ner ver­deck­ten, tech­ni­schen Ein­rich­tung ei­ne mas­si­ve Störung des Be­triebs­frie­dens dar­stellt. Die Er­heb­lich­keit des Ver­s­toßes er­gibt sich darüber hin­aus auch aus der straf­recht­li­chen Wer­tung ei­nes ent­spre­chen­den Fehl­ver­hal­tens. Die Ver­let­zung der Ver­trau­lich­keit des Wor­tes wird mit ei­ner Frei­heits­stra­fe bis zu drei Jah­ren oder ei­ner Geld­stra­fe ge­ahn­det (§ 201 Abs. 1 StGB). Auch aus der mögli­chen Höhe des zu verhängen­den Straf­maßes ist er­kenn­bar, dass der Schutz des persönli­chen Wor­tes in der deut­schen Rechts­ord­nung ei­nen ho­hen Stel­len­wert ein­nimmt.

d. Die Kam­mer kann der Be­klag­ten je­doch nicht dar­in fol­gen, dass ih­re Dar­le­gun­gen ge­eig­net wären, ei­ne Tatkündi­gung zu be­gründen. Mit dem Ar­beits­ge­richt geht auch die Be­ru­fungs­kam­mer da­von aus, dass aus dem Be­klag­ten­vor-

 

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trag nicht der er­for­der­li­che hin­rei­chen­de Schluss ge­zo­gen wer­den kann, die Kläge­rin ha­be es in der Sit­zung am 01.09.2010 ei­nem außen­ste­hen­den Drit­ten be­wusst ermöglicht, an der Sit­zung des Be­triebs­aus­schus­ses als Zuhörer teil­zu­neh­men. Die Kläge­rin sel­ber hat zu kei­nem Zeit­punkt das ab­sicht­li­che Mithören­las­sen zu­ge­ge­ben. Im Rah­men des im An­schluss an die Be­triebs-aus­schuss­sit­zung geführ­ten Per­so­nal­gespräches ist ein „Geständ­nis“ der Kläge­rin nicht er­folgt. Aus der Nie­der­schrift von Frau P. und Frau K. über den In­halt des Per­so­nal­gespräches er­gibt sich, dass die Kläge­rin ei­nen Mit­schnitt eben­so ver­neint hat wie den Vor­wurf, das Mithören der Sit­zung ermöglicht zu ha­ben. So­weit die Kläge­rin – was zwi­schen den Par­tei­en strei­tig ist – wei­ter ge­sagt ha­ben soll „das Te­le­fon war in Be­trieb“, je­doch nicht ha­be nen­nen wol­len, mit wel­chem An­schluss die Te­le­fon­ver­bin­dung be­stan­den ha­be, kann hier­aus mögli­cher­wei­se zwar der drin­gen­de Ver­dacht in Be­zug auf ei­ne be­wusst auf­ge­bau­ten Ver­bin­dung ent­nom­men wer­den, für den Nach­weis ei­ner Tat genügt die­ser Vor­trag je­doch nicht. Al­lein der Um­stand, dass das Te­le­fon in Be­trieb war, lässt nicht den zwin­gen­den Rück­schluss zu, die Kläge­rin ha­be be­wusst und ab­sicht­lich ei­ne Ver­bin­dung nach außen auf­recht­er­hal­ten. Et­was an­de­res er­gibt sich auch nicht, wenn man den Vor­trag der Be­klag­ten bezüglich des Ver­laufs der Be­triebs­aus­schuss­sit­zung zu­grun­de legt. Auch im Rah­men die­ser Sit­zung hat die Kläge­rin nach dem Vor­trag der Be­klag­ten das be­wuss­te Mithören­las­sen nicht zu­ge­ge­ben. Viel­mehr trägt auch die Be­klag­te vor, die Kläge­rin ha­be erklärt, sie ha­be ver­ges­sen, das Han­dy aus­zu­schal­ten. Auch wenn die Be­klag­te an dem Wahr­heits­ge­halt die­ser Aus­sa­ge nach­voll­zieh­ba­rer­wei­se beträcht­li­che Zwei­fel hat, führt dies nicht da­zu, dass die Tat der Kläge­rin auf­grund die­ses Ver­hal­tens als er­wie­sen an­ge­nom­men wer­den kann. Dies gilt auch, so­weit die Be­klag­te vorträgt, die Kläge­rin ha­be in der Map­pe die Stel­lung des Han­dys verändert, sie ha­be nach Auf­for­de­rung das Han­dy aus der Ta­sche ge­zo­gen, die­ses ha­be ein pink/li­la-far­be­nes Dis­play auf­ge­wie­sen und nach Tas­ten­druck das Dis­play verändert. Die­se Umstände sind al­le­samt ge­eig­net, den drin­gen­den Ver­dacht zu be­gründen, die Kläge­rin ha­be be­wusst ei­nen Drit­ten über ihr Han­dy die Sit­zung mit­ver­fol­gen las­sen und nicht le­dig­lich ver­ges­sen, das Han­dy nach Be­en­den des Te­le­fo­na­tes aus­zu­schal­ten. Aus die­sen Umständen kann je­doch nicht der Nach­weis als zwin­gend er­bracht an­ge­se­hen wer­den, die Kläge­rin ha­be be­wusst und ziel­ge­rich­tet ei­nem un­be­fug­ten Drit­ten das Mithören ermöglicht.

e. Der Vor­trag der Be­klag­ten führt auch un­ter dem Ge­sichts­punkt der Ver­dachtskündi­gung nicht zu ei­ner wirk­sa­men Kündi­gung.

 

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aa) Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts kann nicht nur ei­ne er­heb­li­che Ver­trags­ver­let­zung son­dern auch schon der schwer­wie­gen­de Ver­dacht an ei­ner sol­chen ei­nen wich­ti­gen Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung dar­stel­len. Ei­ne Ver­dachtskündi­gung liegt vor, wenn und so­weit der Ar­beit­ge­ber sei­ne Kündi­gung da­mit be­gründet, ge­ra­de der Ver­dacht ei­nes (nicht er­wie­se­nen) straf­ba­ren bzw. ver­trags­wid­ri­gen Ver­hal­tens ha­be das für die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis er­for­der­li­che Ver­trau­en zerstört. Ei­ne Ver­dachtskündi­gung ist nur zulässig, wenn sich star­ke Ver­dachts­mo­men­te auf ob­jek­ti­ve Tat­sa­chen gründen, die Ver­dachts­mo­men­te ge­eig­net sind, das für die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis er­for­der­li­che Ver­trau­en zu zerstören und der Ar­beit­ge­ber al­le zu­mut­ba­ren An­stren­gun­gen zur Aufklärung des Sach­ver­halts un­ter­nom­men hat, ins­be­son­de­re dem Ar­beit­neh­mer Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me ge­ge­ben hat (BAG statt vie­ler: 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 43). Da­bei ist die vor­he­ri­ge Anhörung des Ar­beit­neh­mers Wirk­sam­keits­vor­aus­set­zung der Ver­dachtskündi­gung. Die Kündi­gung ver­stieße an­dern­falls ge­gen den Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit und wäre nicht ul­ti­ma ra­tio (BAG 13. Sep­tem­ber 1995 - 2 AZR 587/94 - AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 25). Auch bei Vor­lie­gen der sons­ti­gen Vor­aus­set­zun­gen der Ver­dachtskündi­gung ist ei­ne ab­sch­ließen­de In­te-res­sen­abwägung durch­zuführen.

bb) Die Be­klag­te kann die Kündi­gung vor­lie­gend grundsätz­lich auf den Ver­dacht ei­ner schwer­wie­gen­den Ver­trags­ver­let­zung stützen.

Von ei­ner Ver­dachtskündi­gung ist nicht aus­zu­ge­hen, wenn der Ar­beit­ge­ber, ob­wohl er nur ei­nen Ver­dacht hegt, die Ver­feh­lung des Ar­beit­neh­mers als si­cher hin­stellt und mit die­ser Be­gründung die Kündi­gung erklärt. Dies gilt auch dann, wenn der Vor­wurf, be­stimm­te Pflicht­ver­let­zun­gen be­gan­gen zu ha­ben, auf Schluss­fol­ge­run­gen des Ar­beit­ge­bers be­ruht oder wenn der Ar­beit­ge­ber nach dem Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me im Kündi­gungs­pro­zess nicht den vol­len Be­weis für sei­ne Be­haup­tung er­brin­gen kann, son­dern nur ein be­gründe­ter Ver­dacht nicht aus­zu­sch­ließen ist (BAG 2. April 1986 - 2 AZR 324/85 - AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 18). Die Ge­rich­te können je­doch die (Tat-)Kündi­gung un­ter dem Ge­sichts­punkt der Ver­dachtskündi­gung be-

 

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ur­tei­len, wenn der Ar­beit­ge­ber die Kündi­gung - zu­min­dest hilfs­wei­se - auch auf den Ver­dacht stützt. Der Ar­beit­ge­ber ist auch nicht ge­hin­dert, erst nach Aus­spruch der Kündi­gung die­se auf den Ver­dacht ei­ner straf­ba­ren Hand­lung zu stützen, wenn - wie vor­lie­gend bei Er­for­der­nis ei­ner Be­triebs­rats­be­tei­li­gung - die­se ord­nungs­gemäß er­folgt ist. Hier­von ist be­zo­gen auf die streit­ge­genständ­li­che Be­triebs­rats­anhörung gemäß § 103 Be­trVG vom 07.09.2010 aus­zu­ge­hen. Zwar geht die Be­klag­te - dies führt die Kläge­rin zu­tref­fend aus - im Rah­men der Be­triebs­rats­anhörung da­von aus, dass die Kläge­rin die ihr vor­ge­wor­fe­ne Tat be­gan­gen hat und dass die­se Tat be­wie­sen ist. Dies er­gibt sich aus den For­mu­lie­run­gen im Rah­men der Be­gründung zur be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung. Da­ne­ben macht die Be­klag­te je­doch deut­lich, dass sie für den Fall des Nicht­nach­wei­ses ei­ner Tat die Kündi­gung hilfs­wei­se auf den Ver­dacht stützen möch­te. So­wohl im Ein­lei­tungs­satz („hier­mit be­an­tra­gen wir die Zu­stim­mung für die außer­or­dent­li­che Kündi­gung von Frau B. we­gen Be­ge­hung ei­ner Straf­tat, hilfs­wei­se we­gen des drin­gen­den Ver­dachts“) als auch im vor­letz­ten Ab­satz der Be­triebs­rats­anhörung, der mit dem Satz en­det, dass hilfs­wei­se die Kündi­gung auf den drin­gen­den Ver­dacht, dass Frau B. die­se Tat be­gan­gen hat, gestützt wer­de, fin­det sich der ein­deu­ti­ge Hin­weis, dass für den Fall, dass die Tat nicht als er­wie­sen an­ge­se­hen wird, die Kündi­gung hilfs­wei­se auf de­ren drin­gen­den Ver­dacht gestützt wer­den soll.

cc) Die Be­klag­te hat auch hin­rei­chend Tat­sa­chen vor­ge­tra­gen, die im Fal­le des Nach­wei­ses aus­reich­ten, den drin­gen­den Ver­dacht ei­ner durch die Kläge­rin vor­ge­nom­me­nen Straf­tat bzw. ei­nes er­heb­li­chen Pflich­ten­ver­s­toßes zu be­gründen.

Die von der Be­klag­ten dar­ge­leg­ten und von der Kläge­rin be­strit­te­nen Umstände in Be­zug auf das Per­so­nal­gespräch am 02.09.2010 so­wie die von der Be­klag­ten be­haup­te­ten Be­ob­ach­tun­gen an­de­rer Be­triebs­aus­schuss­mit­glie­der und die be­haup­te­te Re­ak­ti­on der Kläge­rin bei der Be-triebs­aus­schuss­sit­zung sind nach Auf­fas­sung der Kam­mer ge­eig­net, den drin­gen­den Ver­dacht dar­an zu be­gründen, die Kläge­rin ha­be be­wusst ei­nen Drit­ten die Be­triebs­aus­schuss­sit­zung mithören las­sen. Die Ein­las­sung der Kläge­rin, sie ha­be ver­ges­sen ihr Han­dy aus­zu­schal­ten ist im Zu­sam­men­hang mit dem be­haup­te­ten Tas­ten­druck, den an­geb­lich gehörten Geräuschen des Te­le­fons und den Verände­run­gen der Stel-

 

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lung des Te­le­fons in der Ak­ten­map­pe von Sei­ten der Kläge­rin ge­eig­net, den drin­gen­den Ver­dacht zu be­gründen, die Kläge­rin ha­be nicht le­dig­lich ver­se­hent­lich das Mithören ei­nes Drit­ten ermöglicht, son­dern dies ge­zielt ver­an­lasst oder zu­min­dest be­wusst ermöglicht. Es be­steht in­so­weit ei­ne ho­he Wahr­schein­lich­keit dafür, dass die Be­haup­tung der Kläge­rin, sie ha­be le­dig­lich ver­ges­sen, das Han­dy aus­zu­schal­ten, bzw. sie ha­be das Han­dy, da es sich um ein neu­es ge­han­delt ha­be, feh­ler­haft be­dient, le­dig­lich ei­ne Schutz­be­haup­tung der Kläge­rin ist, die nicht ge­eig­net ist, den drin­gen­den Ver­dacht zu be­sei­ti­gen.

dd) Dem Er­for­der­nis ei­ner ord­nungs­gemäßen Anhörung der Kläge­rin ist die Be­klag­te ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Kläge­rin eben­falls ge­recht ge­wor­den. Der Ver­such, ein zwei­tes Per­so­nal­gespräch mit der Kläge­rin zu führen, wel­ches schließlich auf­grund Er­kran­kung der Kläge­rin nicht zu­stan­de ge­kom­men ist, schließt die ord­nungs­gemäße Anhörung nicht aus. Das Per­so­nal­gespräch vom 02.09.2010 genügt den An­for­de­run­gen an ei­ne ord­nungs­gemäße Anhörung der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­me­rin. Für ei­ne wirk­sa­me Anhörung ist nicht er­for­der­lich, dass be­reits im Vor­feld im Zu­sam­men­hang mit der Ein­la­dung zum Gespräch der ge­naue Vor­wurf, wel­cher In­halt des Gesprächs wer­den soll, be­zeich­net wird. Dies gilt ins­be­son­de­re dann, wenn – wie vor­lie­gend – die Kläge­rin auf­grund der Es­ka­la­ti­on in der Be­triebs­aus­schuss­sit­zung und des na­hen zeit­li­chen Zu­sam­men­hangs ge­nau wis­sen muss­te, zu wel­chem Ver­hal­ten sie im Rah­men des Per­so­nal­gesprächs gehört wird. Auch der Um­stand, dass die Be­klag­te nach Ab­schluss des ers­ten Per­so­nal­gespräches ein zwei­tes in Erwägung zog bzw. der Kläge­rin an­bot, ist nicht ge­eig­net, die Ord­nungs­gemäßheit der durch­geführ­ten Anhörung zu ver­nei­nen. Die Be­klag­te be­gründet die An­be­rau­mung des zwei­ten Gesprächs da­mit, sie ha­be der Kläge­rin Ge­le­gen­heit ge­ben wol­len, „oh­ne Be­ein­flus­sung Drit­ter“ den „von ihr ein­geräum­ten Sach­ver­halt noch­mals zu erklären“ und ihr noch­mals zu ver­deut­li­chen, wie sehr ihr Ver­hal­ten Ein­fluss auf den Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses ha­be. Nimmt die Kläge­rin un­ter die­ser Prämis­se das er­neut an­ge­bo­te­ne Gespräch nicht wahr und äußert sie ih­rer­seits auf­grund krank­heits­be­ding­ter Ver­hin­de­rung nicht den Wunsch an ei­ner Ver­le­gung des Gesprächs­ter­mins, ist der Rück­schluss der Be­klag­ten nicht zu be­an­stan­den, die Kläge­rin ha­be kei­ne Ab­sicht, ihr Ver­hal­ten wei­ter zu erklären bzw. Tat­sa­chen vor­zu­tra­gen, wel­che den Ver­dacht, zu wel­chem die Kläge­rin be­reits an­gehört wur­de, ent­kräften könn-

 

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ten. Al­lein der Ver­such der Durchführung ei­nes wei­te­ren Gesprächs führt bei des­sen Nicht­zu­stan­de­kom­men nicht zu ei­ner un­vollständi­gen Anhörung der be­tref­fen­den Per­son, wenn die­ser im Rah­men des ers­ten Gesprächs – wie vor­lie­gend ge­sche­hen – aus­rei­chend Ge­le­gen­heit ge­ge­ben wur­de, zu dem klar ab­ge­grenz­ten und deut­lich an­ge­spro­che­nen Vor­wurf des be­wuss­ten heim­li­chen Mithören­las­sens Drit­ter Stel­lung zu be­zie­hen.

ee) Der drin­gen­de Ver­dacht der Ver­let­zung der Ver­trau­lich­keit des Wor­tes genügt nach Auf­fas­sung der Kam­mer un­ter Berück­sich­ti­gung der Umstände des Ein­zel­fal­les und Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le je­doch nicht, um im vor­lie­gen­den Fall ei­nen wich­ti­gen Grund für die außer­or­dent­li­che Kündi­gung der Kläge­rin zu be­gründen. Das Ar­beits­ge­richt hat in­so­weit zu­tref­fend aus­geführt, dass aus die­sem Grund die Durchführung der Be­weis­auf­nah­me ent­behr­lich war.

Der Ver­dacht, die Kläge­rin ha­be Be­triebs­rats­mit­glie­der un­er­laubt abhören las­sen, ist vor­lie­gend nicht ge­eig­net, das für die Auf­recht­er­hal­tung des Ar­beits­verhält­nis­ses er­for­der­li­che Ver­trau­en der Be­klag­ten in die Kläge­rin un­wie­der­bring­lich zu zerstören. Ent­schei­dend ist da­bei, ob der ob­jek­tiv durch be­stimm­te im Zeit­punkt der Kündi­gung vor­lie­gen­de In­di­ztat­sa­chen be­gründe­te Ver­dacht die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­zu­mut­bar macht. Zu­tref­fend führt das Ar­beits­ge­richt in­so­weit aus, dass dies nicht der Fall sei, viel­mehr als Re­ak­ti­on der Be­klag­ten auf das der Kläge­rin vor­ge­wor­fe­ne Ver­hal­ten ei­ne Ab­mah­nung aus­rei­che. Die­sen Ausführun­gen schließt sich das Be­ru­fungs­ge­richt hin­sicht­lich der Grundsätze des Er­for­der­nis­ses ei­ner Ab­mah­nung (Zif­fer A I. 7 a des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils) voll­umfäng­lich an und nimmt hier­auf aus­drück­lich Be­zug.

Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts hält die Be­ru­fungs­kam­mer es je­doch für un­er­heb­lich, ob die „Abhörak­ti­on“ ge­genüber Be­triebs­rats­mit­glie­dern oder ge­genüber an­de­ren Ar­beit­neh­mer statt­ge­fun­den hat. Hin­sicht­lich des Un­rechts­ge­halts die­ses Ver­hal­tens be­steht kein Un­ter­schied, ob die­ses ge­genüber Be­triebs­rats­mit­glie­dern oder an­de­ren Ar­beit­neh­mern aus­geführt wird, da bei­de glei­cher­maßen in ih­rem Persönlich­keits­recht zu schützen sind. Nicht aus­zu­sch­ließen ist je­doch, dass die Kläge­rin sel­ber - die be­wuss­te Abhörak­ti­on un­ter­stellt - da­von

 

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aus­ge­gan­gen ist, dass der Un­rechts­ge­halt ein an­de­rer ist, da sie sel­ber Mit­glied des Be­triebs­aus­schus­ses war und da­mit für sie in ers­ter Li­nie ei­ne Be­trof­fen­heit des Be­triebs­rats er­sicht­lich war, zu­mal der Tat­vor­wurf un­mit­tel­bar mit ei­ner Be­triebs­aus­schuss­sit­zung ver­knüpft war. Die Kläge­rin muss­te des­halb nicht zwin­gend da­mit rech­nen, dass die Be­klag­te in ih­rer Funk­ti­on als Ar­beit­ge­be­rin nicht die Be­trof­fen­heit des Be­triebs­rats, der sich sel­ber durch ein Aus­schluss­ver­fah­ren schützen kann, son­dern die Be­trof­fen­heit der Be­triebsräte in ih­rer Funk­ti­on als Ar­beit­neh­mer in den Vor­der­grund stellt. Auch aus die­sem Grund ist bei Vor­lie­gen des Ver­dachts un­be­fug­ten Abhörens nicht aus­zu­sch­ließen, dass der Kläge­rin durch ei­ne Ab­mah­nung ihr Fehl­ver­hal­ten so ver­deut­licht wer­den kann, dass die Be­klag­te in Zu­kunft mit ei­ner Wie­der­ho­lung nicht zu rech­nen hat. Da mögli­cher­wei­se die Kläge­rin sub­jek­tiv aus­sch­ließlich Tei­le des Be­triebs­rats­gre­mi­ums in ih­rem Recht auf Ver­trau­lich­keit des Wor­tes an­griff, kann hier­aus auch nicht der zwin­gen­de Schluss ge­zo­gen wer­den, dass das Ver­trau­en der Be­klag­ten in die Kläge­rin als Ar­beit­neh­me­rin un­wie­der­bring­lich zerstört ist. Auch un­ter die­sem Ge­sichts­punkt er­scheint vor­lie­gend ei­ne Ab­mah­nung nicht ent­behr­lich.

Die durch­zuführen­de In­ter­es­sen­abwägung führt zu kei­nem an­de­ren Er­geb­nis. Das Ar­beits­ge­richt hat in­so­weit ei­ne um­fas­sen­de, zu­tref­fen­de und ausführ­li­che In­ter­es­sen­abwägung un­ter A I 7 c der Gründe des Ur­teils (Blatt 214 bis 215 der Ak­te) durch­geführt, der sich die Be­ru­fungs-kam­mer voll umfäng­lich an­sch­ließt und in­so­weit zur Ver­mei­dung von Wie­der­ho­lun­gen von der Wie­der­ga­be ab­sieht. Die Ein­wen­dun­gen der Be­ru­fungskläge­rin sind nicht ge­eig­net, die Erwägun­gen bezüglich der In­ter­es­sen­abwägung an­ders zu ge­wich­ten. Ent­ge­gen de­ren Einschätzung ist das er­ken­nen­de Ge­richt mit dem Ar­beits­ge­richt der Auf­fas­sung, dass auch die der Kläge­rin vor­ge­wor­fe­ne „Spit­zeltätig­keit“ nicht jed­we­des Ver­trau­en­s­po­ten­ti­al auf­braucht. Ergänzend ist noch dar­auf hin­zu­wei­sen, dass der Be­triebs­rat sel­ber in Per­son der Frau S. das Ver­hal­ten der Kläge­rin nach dem Vor­trag der Be­klag­ten 45 Mi­nu­ten lang be­ob­ach­tet hat und so­mit 45 Mi­nu­ten lang mit ermöglicht hat, dass die im Rah­men der Be­triebs­aus­schuss­sit­zung ge­spro­che­nen Äußerun­gen von Drit­ten mit­gehört wer­den können. Auch die­ses Ver­hal­ten ei­ner von der „Abhörak­ti­on“ be­trof­fe­nen Be­triebsrätin zeigt, dass zu­min­dest auch bei ihr die Schwe­re des der Kläge­rin vor­ge­wor­fe­nen Ver­s­toßes als nicht so gra­vie-

 

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rend an­ge­se­hen wur­de als dass die­se dafür Sor­ge ge­tra­gen hätte, das (ver­mu­te­te) Ver­hal­ten der Kläge­rin so­fort zu un­ter­bin­den.

Im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung ist aus Sicht der Kam­mer hin­sicht­lich der Fra­ge der Wirk­sam­keit ei­ner Kündi­gung nicht zu berück­sich­ti­gen, ob der Be­triebs­rat ein Aus­schluss­ver­fah­ren ge­genüber der Kläge­rin durchführen kann. Bei Verstößen ge­gen ar­beits­ver­trag­li­che Pflich­ten stellt der mögli­che (u.U. vorüber­ge­hen­de) Aus­schluss aus dem Be­triebs­rat kein ge­eig­ne­tes Mit­tel ei­ner von Sei­ten des Ar­beit­ge­bers ge­bo­te­nen Sank­ti­on dar. Un­er­heb­lich für die Fra­ge, wes­sen In­ter­es­sen über­wie­gen, ist auch der Um­stand, ob die ein­zel­nen Be­triebs­rats­mit­glie­der Straf­an­zei­ge ge­gen die Kläge­rin ge­stellt ha­ben. Zwar kann das Stel­len ei­ner (be­rech­tig­ten) Straf­an­zei­ge ein In­diz für ein be­son­ders schwer­wie­gen­des Fehl­ver­hal­ten des be­tref­fen­den Ar­beit­neh­mers dar­stel­len. Es kann aus dem Un­ter­las­sen ei­ner Straf­an­zei­ge durch an­de­re be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer, wel­ches vielfälti­ge Gründe bis hin zur Rück­sicht­nah­me auf ei­nen Kol­le­gen ha­ben kann, je­doch nicht ge­fol­gert wer­den, dass die Ar-beit­ge­be­rin ein we­ni­ger stark zu ge­wich­ten­des In­ter­es­se an der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis hat. Auch wenn die Fra­ge der mögli­chen Durchführung des Aus­schluss­ver­fah­rens und der Stel­lung ei­nes Straf­an­tra­ges im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung kei­ne Berück­sich­ti­gung zu-guns­ten der Kläge­rin fin­den, kommt die Kam­mer bei ei­ner Ge­samt­abwägung der bei­der­sei­ti­gen In­ter­es­sen mit den obi­gen und den vom Ar­beits­ge­richt aus­geführ­ten Erwägun­gen zu dem Er­geb­nis, dass vor­lie­gend das In­ter­es­se der Kläge­rin am Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­genüber den­je­ni­gen der Ar­beit­ge­be­rin an der so­for­ti­gen Be­en­di­gung über­wie­gen.

2. Die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 20.09.2010 ist eben­falls rechts­un­wirk­sam und hat das Ar­beits­verhält­nis nicht be­en­det.

a. Zu­tref­fend geht das Ar­beits­ge­richt da­von aus, dass ei­ne vorsätz­li­che Falsch­aus­sa­ge ei­nes Be­triebs­rats­mit­glieds in ei­nem den ei­ge­nen Ar­beit­ge­ber be­tref­fen­den Ge­richts­ver­fah­ren zu­min­dest auch ei­ne Ver­trags­pflicht­ver­let­zung dar­stellt und nicht le­dig­lich ei­ne Ver­let­zung der Amts­pflich­ten (BAG 5. No­vem­ber 2009 - 2 AZR 487/08 - AP KSchG 1969 § 15 Nr. 65).

 

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b. Ei­ne vorsätz­li­che Falsch­aus­sa­ge in ei­nem Ge­richts­ver­fah­ren, in wel­chem der Ar­beit­ge­ber be­tei­ligt ist, ist grundsätz­lich ge­eig­net, ei­nen wich­ti­gen Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung zu be­gründen. Die Be­reit­schaft, in ei­nem Ar­beits­ge­richts­ver­fah­ren be­wusst falsch aus­zu­sa­gen, ist auch un­ter Zu­grun­de­le­gung ei­nes stren­gen Prüfungs­maßsta­bes nicht zu recht­fer­ti­gen. Ein sol­ches Ver­hal­ten stellt viel­mehr als ei­ne schwe­re Pflicht­ver­let­zung ei­nen wich­ti­gen Grund zur Kündi­gung dar; es ist im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung nach § 626 BGB nicht al­lein we­gen des Be­triebs­rats­am­tes mil­der zu be­ur­tei­len als das ent­spre­chen­de Ver­hal­ten ei­nes nicht durch § 15 KSchG geschütz­ten Ar­beit­neh­mers.

c. Die Be­klag­te konn­te vor­lie­gend je­doch nicht nach­wei­sen, dass die Kläge­rin im Rah­men des Be­schluss­ver­fah­rens vor dem Ar­beits­ge­richt Stutt­gart ei­ne vorsätz­li­che Falsch­aus­sa­ge getätigt hat. Der maßgeb­li­che In­halt der ei­des­statt­li­chen Erklärung be­zieht sich auf die Aus­sa­ge der Kläge­rin, sie ha­be in der Sit­zung am 29.07.2010 ei­nen „er­neu­ten An­trag auf Frei­stel­lung … über­reicht“. Die Be­klag­te hat kei­ne aus­rei­chen­den Tat­sa­chen dafür vor­ge­tra­gen, dass die­se ei­des­statt­li­che Erklärung tatsächlich falsch ist bzw. der drin­gen­de Ver­dacht be­steht, dass die­ser Teil der Erklärung ei­ne be­wuss­te Falsch­aus­sa­ge be­inhal­tet. So­weit die Be­klag­te da­mit ar­gu­men­tiert, in der An­trags­schrift des maßgeb­li­chen Be­schluss­ver­fah­rens be­fin­de sich die Be­haup­tung, „durch die Be­triebsräte der Lis­te 3 sei zu Be­ginn der Sit­zung durch die Lis­tenführe­rin, die Kläge­rin, der wie­der­hol­te An­trag auf Frei­stel­lung in schrift­li­cher Form für die Lis­te 3 mit ent­spre­chen­der Be­gründung über­reicht wor­den“ kann die­ser Vor­trag, wel­cher ge­ra­de nicht durch die Kläge­rin sel­ber er­folg­te, nicht gleich­ge­setzt wer­den mit dem In­halt der von der Kläge­rin ab­ge­ge­be­nen ei­des­statt­li­chen Erklärung. In die­ser be­fin­det sich im Ge­gen­satz zu der An­trags­schrift ge­ra­de kein Zeit­punkt, wann ge­nau der neue An­trag am 29.07.2010 über­reicht wor­den sein soll. Nur auf den In­halt der ei­des­statt­li­chen Erklärung sel­ber kann es aber an­kom­men, wenn sich die Be­klag­te zur Be­gründung der frist­lo­sen Kündi­gung auf de­ren fal­schen In­halt be­zieht. Den wei­te­ren Vor­trag der Be­klag­ten, die Kläge­rin ha­be selbst nicht sa­gen können, ob und wenn ja zu wel­chem Zeit­punkt und an wen sie sei­ner­zeit den ent­spre­chen­den An­trag ab­ge­ge­ben ha­ben will, kann die Be­klag­te nicht be­wei­sen. We­der stellt die für das Vor­lie­gen ei­nes Kündi­gungs­grun­des be­weis­pflich­ti­ge Be­klag­te die­sen Vor­trag kon­kret un­ter Be­weis noch er­gibt sich der Vor­trag aus dem Sit­zungs­pro­to­koll des Ar­beits­ge­richts Stutt­gart vom 09.09.2010. Im Ge­gen­satz zu dem Vor­trag der Be­klag­ten heißt es in dem Sit­zungs­pro­to­koll: „Frau B. 

 

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erklärt auf Fra­ge der Vor­sit­zen­den, ob und wann ge­nau sie den mit An­la­ge A6 vor­ge­leg­ten An-trag auf Frei­stel­lun­gen über­ge­ben ha­be, den An­trag ha­be sie nach Be­ginn der Be­triebs­rats­sit­zung am 29.07.2010 ent­we­der dem Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den oder der stell­ver­tre­ten­den Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den über­ge­ben und zwar zum Ta­ges­ord­nungs­punkt 6. Auf wei­te­re Nach­fra­ge kann Frau B. je­doch nicht mehr si­cher sa­gen, ob dies zu Be­ginn oder vor Be­ginn des Ta­ges­ord­nungs­punk­tes 6 ge­nau ge­sche­hen ist. Auf wei­te­re Nach­fra­ge der Vor­sit­zen­den erklärt Frau B., je­den­falls vor Be­ginn des Ta­ges­ord­nungs­punk­tes 7 sei die­ser An­trag über­ge­ben wor­den. Sie erklärt wei­ter, sie sei auf­ge­stan­den und ha­be den An­trag dem Vor­sit­zen­den oder der stell­ver­tre­ten­den Vor­sit­zen­den ge­bracht“. Die­se im Pro­to­koll fest­ge­hal­te­nen Aus­sa­gen ent­spre­chen nicht dem Vor­trag der Be­klag­ten, die Kläge­rin ha­be nicht mehr sa­gen können, „ob und wenn ja zu wel­chem Zeit­punkt und an wen sie sei­ner­zeit den ent­spre­chen­den An­trag ab­ge­ge­ben ha­be“. Die Kläge­rin hat aus­weis­lich des Pro­to­kolls ge­sagt, dass sie den An­trag ab­ge­ge­ben hat, hat den Zeit­raum ein­ge­grenzt und zwei Per­so­nen ge­nannt, wo­von ei­ne der Empfänger ge­we­sen sein soll. Die­se im Pro­to­koll fest­ge­hal­te­ne Aus­sa­ge steht nicht im Wi­der­spruch zu der ab­ge­ge­be­nen ei­des­statt­li­chen Erklärung. Der Vor­trag der Kläge­rin steht auch nicht im Ge­gen­satz zu der sich in der An­trags­er­wi­de­rung be­fin­den­den Aus­sa­ge, dass die Kläge­rin „zu Be­ginn“ der Sit­zung kei­ne Lis­te über­reicht ha­be. Ei­ne Überg­a­be zu Be­ginn der Sit­zung hat die Kläge­rin in ih­rer ei­des­statt­li­chen Erklärung ge­ra­de nicht be­haup­tet. An­de­re Tat­sa­chen, aus de­nen sich der Schluss ei­ner vorsätz­li­chen Falsch­aus­sa­ge der Kläge­rin zie­hen ließe, trägt die Be­klag­te nicht vor. So­weit die Be­klag­te be­haup­tet, die Vor­sit­zen­de im Ver­fah­ren 6 BV­Ga 46/10 ha­be erklärt, sie über­le­ge, in An­be­tracht des Aus­sa­ge­ver­hal­tens der Kläge­rin und der von ihr ab­ge­ge­be­nen ei­des­statt­li­chen Ver­si­che­rung die Ak­te der Staats­an­walt­schaft vor­zu­le­gen, kann al­lein hier­aus eben­falls nicht der Schluss ei­ner tatsächli­chen Falsch­aus­sa­ge oder des drin­gen­den Ver­dachts hier­an ge­zo­gen wer­den. Es fehlt in­so­weit an ei­nem kon­kre­ten Vor­trag, wel­ches Ver­hal­ten der Kläge­rin hier­zu An­lass ge­ge­ben ha­ben soll. Hin­zu kommt, dass auch tatsächlich ei­ne Vor­la­ge bei der Staats­an­walt­schaft nicht statt­ge­fun­den hat. Da­mit kann die Be­klag­te nicht nach­wei­sen, dass die Kläge­rin ei­ne vorsätz­li­che Falsch­aus­sa­ge getätigt hat. Der Vor­trag der Be­klag­ten genügt auch nicht an­satz­wei­se, um ei­nen drin­gen­den Ver­dacht ei­ner vorsätz­li­chen Falsch­aus­sa­ge durch die Kläge­rin zu be­gründen. Die Be­klag­te hat so­mit da­mit das Vor­lie­gen ei­nes wich­ti­gen Grun­des nicht aus­rei­chend dar­ge­legt und nach­ge­wie­sen. Dies hat das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend aus­geführt. Die Be­ru­fung war des­halb auch in­so­weit zurück­zu­wei­sen.

 

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III.

1. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

2. Die Zu­las­sung der Re­vi­si­on war nicht ge­bo­ten, da die Vor­aus­set­zun­gen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vor­lie­gen.

 

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­se Ent­schei­dung ist ein Rechts­mit­tel nicht ge­ge­ben. Auf § 72a ArbGG wird hin­ge-wie­sen.


Dr. Rie­ker

Dr. Kraut­wald

Schütz

 

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