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ARBEITSRECHT AKTUELL // 16/017

Ab­mah­nung bei Ver­stoß ge­gen Be­triebs­ver­fas­sung?

Kei­ne in­di­vi­du­al­recht­li­che Ab­mah­nung ei­nes Be­triebs­rats­mit­glieds we­gen Ver­let­zung be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­cher Amts­pflich­ten: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 09.09.2015, 7 ABR 69/13
Hand mit gelber Karte

18.01.2016. Be­triebs­rats­mit­glie­der sind Ar­beit­neh­mer und ha­ben als sol­che ar­beits­ver­trag­li­che Rech­te und Pflich­ten. Gleich­zei­tig müs­sen sie als Or­ga­ne der Be­triebs­ver­fas­sung das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) be­ach­ten.

Bei (er­heb­li­chen) Ver­stö­ßen ge­gen ar­beits­ver­trag­li­che Pflich­ten dro­hen Ab­mah­nung und ver­hal­tens­be­ding­te Kün­di­gung, bei (gro­ben) Ver­stö­ßen ge­gen die Amts­pflich­ten ei­nes Be­triebs­rats der Aus­schluss aus dem Gre­mi­um ge­mäß § 23 Abs.1 Be­trVG.

Aber kann der Ar­beit­ge­ber ein Be­triebs­rats­mit­glied auch ab­mah­nen bzw. ihm ei­ne Kün­di­gung des Ar­beits­ver­trags an­dro­hen, weil er (an­geb­lich) be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Amts­pflich­ten ver­letzt hat, die ihn (nur) als Be­triebs­rats­mit­glied tref­fen? Zu die­ser Fra­ge hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung Stel­lung ge­nom­men: BAG, Be­schluss vom 09.09.2015, 7 ABR 69/13.

Ab­mah­nung von Be­triebs­rats­mit­glie­dern

Ver­letzt ein Be­triebs­rats­mit­glied durch ein be­stimm­tes Ver­hal­ten

  • nur sei­ne Pflich­ten als Ar­beit­neh­mer oder
  • zu­gleich sei­ne Pflich­ten als Ar­beit­neh­mer und als Be­triebs­rats­mit­glied,

kann der Ar­beit­ge­ber ei­ne (nor­ma­le bzw. "in­di­vi­du­al­recht­li­che") Ab­mah­nung we­gen Ver­let­zung ar­beits­ver­trag­li­cher Pflich­ten aus­spre­chen. Mit ei­ner sol­chen Ab­mah­nung droht der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer die ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung an für den Fall, dass er den ab­ge­mahn­ten Pflicht­ver­s­toß wie­der­holt.  

Ein Bei­spiel für die gleich­zei­ti­ge Ver­let­zung von Ar­beit­neh­mer- und Be­triebs­rats­pflich­ten ist die Be­lei­di­gung des Ar­beit­ge­bers oder sei­ner Re­präsen­tan­ten durch ein Be­triebs­rats­mit­glied bei der Wahr­neh­mung von Mit­wir­kungs­rech­ten nach dem Be­trVG. Ein sol­ches Fehl­ver­hal­ten stellt so­wohl ei­ne Ver­let­zung ar­beits­ver­trag­li­cher Ne­ben­pflich­ten dar als auch ei­nen Ver­s­toß ge­gen die be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Pflicht zur ver­trau­ens­vol­len Zu­sam­men­ar­beit (§ 2 Abs.1 Be­trVG).

Verstößt ein Be­triebs­rats­mit­glied aus­sch­ließlich ge­gen sei­ne be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Pflich­ten, kann der Ar­beit­ge­ber gemäß § 23 Abs.1 Be­trVG den ar­beits­ge­richt­li­chen Aus­schluss aus dem Be­triebs­rat be­an­tra­gen, falls der Pflicht­ver­s­toß "grob" war.

In ju­ris­ti­schen Kom­men­ta­ren zum Be­trVG liest man manch­mal, dass dem Aus­schluss­ver­fah­ren nach § 23 Abs.1 Be­trVG ei­ne "be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Ab­mah­nung" vor­aus­ge­hen müsse. Denn dem Be­triebs­rats­mit­glied müsse vor Ein­lei­tung ei­nes ge­richt­li­chen Aus­schluss­ver­fah­rens die Ge­le­gen­heit ge­ge­ben wer­den, sein Ver­hal­ten zu ändern. Der Mehr­heits­mei­nung zu­fol­ge gibt es ei­ne sol­che "be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Ab­mah­nung" gar nicht. Denn da­von steht ers­tens nichts im Ge­setz und zwei­tens langt ja nicht je­der Pflicht­ver­s­toß für ei­nen Aus­schluss aus dem Be­triebs­rat, son­dern nur ein "gro­ber" Pflicht­ver­s­toß.

Das BAG hat sich bis­lang die­ser Fra­ge nicht geäußert. Im­mer­hin hat es vor ei­ni­gen Jah­ren klar­ge­stellt, dass der Be­triebs­rat (als Gre­mi­um) nicht vom Ar­beit­ge­ber ver­lan­gen kann, ei­ne ("in­di­vi­du­al­recht­li­che") Ab­mah­nung, die ein Be­triebs­rats­mit­glied kas­siert hat, aus der Per­so­nal­ak­te des Be­trof­fe­nen zu ent­fer­nen, denn ein sol­cher An­spruch auf Ent­fer­nung ei­ner Ab­mah­nung steht als In­di­vi­du­al­recht al­lein dem ab­ge­mahn­ten Be­triebs­rats­mit­glied zu (BAG, Be­schluss vom 04.12.2013, 7 ABR 7/12, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 14/163 Ab­mah­nung und Be­triebs­rat).

Die­se strik­te Tren­nung von In­di­vi­du­al­rech­ten und be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Pflich­ten legt es na­he, dass ("in­di­vi­du­al­recht­li­che") Ab­mah­nun­gen von Be­triebs­rats­mit­glie­dern we­gen Ver­let­zung ih­rer be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Amts­pflich­ten recht­lich un­zulässig sind.

Im Streit: Ar­beit­ge­ber mahnt Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den we­gen an­geb­li­cher Miss­ach­tung der ver­trau­ens­vol­len Zu­sam­men­ar­beit von Be­triebs­rat und Geschäfts­lei­tung ab

Im Streit­fall tra­fen Be­triebs­rat und Geschäfts­lei­tung ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung über den Ein­satz von Leih­ar­beit­neh­mern. Die­se Be­triebs­ver­ein­ba­rung ver­sand­te der Vor­sit­zen­de des Be­triebs­rats als PDF per E-Mail an al­le Ar­beit­neh­mer des Kon­zerns, denn er woll­te den an­de­ren Kon­zern­be­triebsräten ei­ne "Hil­fe­stel­lung" zu­kom­men las­sen.

Das Un­ter­neh­men mahn­te den Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den dar­auf­hin ab. In die­ser „Ab­mah­nung als Be­triebs­rat“ heißt es:

„Sehr ge­ehr­ter Herr A,

am 09.12.2011 ha­ben Sie sich mit ei­ner E-Mail an al­le Mit­ar­bei­ter des N Kon­zerns ge­wandt. Hier­bei ha­ben Sie die BV Leih­ar­beit der E ver­sandt.

Ihr Ver­hal­ten stellt ei­nen Ver­s­toß ge­gen die ver­trau­ens­vol­le Zu­sam­men­ar­beit dar. [...] Für Ihr Fehl­ver­hal­ten mah­nen wir Sie hier­mit ab. Soll­ten Sie er­neut ge­gen das Prin­zip der ver­trau­ens­vol­len Zu­sam­men­ar­beit ver­s­toßen und sich in ent­spre­chen­der Art und Wei­se pflicht­wid­rig ver­hal­ten, müssen Sie da­mit rech­nen, dass wir Ih­ren Aus­schluss als Be­triebs­rats­mit­glied beim Ar­beits­ge­richt be­an­tra­gen wer­den (§ 23 Be­trVG). Ge­ge­be­nen­falls könn­te so­gar ei­ne Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses in Be­tracht kom­men."

Der Be­triebs­rat und der ab­ge­mahn­te Be­triebs­vor­sit­zen­de zo­gen vor das Ar­beits­ge­richt Bre­men-Bre­mer­ha­ven. Der Be­triebs­rat be­an­trag­te dort er­folg­reich im Be­schluss­ver­fah­ren die Fest­stel­lung, dass die Ab­mah­nung ei­ne Störung der Be­triebs­ar­beit sei (Ar­beits­ge­richt Bre­men-Bre­mer­ha­ven, Be­schluss vom 22.11.2012, 8 BV 802/12). Vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Bre­men stell­te der Be­triebs­rats­vor­sit­zen­de ei­nen An­trag auf Ent­fer­nung der Ab­mah­nung aus sei­ner Per­so­nal­ak­te. Auch das LAG gab dem Be­triebs­rat und sei­nem Vor­sit­zen­den Recht (LAG Bre­men, Be­schluss vom 02.07.2013, 1 TaBV 35/12).  

BAG: Kei­ne in­di­vi­du­al­recht­li­che Ab­mah­nung ei­nes Be­triebs­rats­mit­glieds we­gen Ver­let­zung be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­cher Amts­pflich­ten

Das BAG hielt nur den An­trag des Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den auf Ent­fer­nung der Ab­mah­nung für be­gründet. Der Be­triebs­rat da­ge­gen hat­te mit sei­nen Anträgen in Er­furt kei­nen Er­folg.

Wie schon in sei­nem o.g. Be­schluss vom 04.12.2013 ( ABR 7/12) stellt das BAG noch­mals klar, dass der Be­triebs­rat als Gre­mi­um kei­ne klag­ba­ren Ansprüche in Be­zug auf ei­ne Ab­mah­nung hat, die ei­nem sei­ner Mit­glie­der er­teilt wur­de. Der Be­triebs­rat kann we­der die Ent­fer­nung der Ab­mah­nung aus der Per­so­nal­ak­te des be­trof­fe­nen Be­triebs­rats­mit­glieds ver­lan­gen noch die ar­beits­ge­richt­li­che Fest­stel­lung, dass ei­ne sol­che Ab­mah­nung nicht rech­tens war. Um­ge­kehrt kann al­ler­dings das ab­ge­mahn­te Be­triebs­rats­mit­glied al­ler­dings sei­ne In­di­vi­du­al­rech­te (auch) im ar­beits­ge­richt­li­chen Be­schluss­ver­fah­ren gel­tend ma­chen.

Hier im Streit­fall hat­te der Ar­beit­ge­ber dem Be­triebs­rat­vor­sit­zen­den ei­ne Ab­mah­nung er­teilt we­gen des (an­geb­li­chen) Ver­s­toßes ge­gen das Ge­bot der ver­trau­ens­vol­len Zu­sam­men­ar­beit, d.h. we­gen ei­ner (an­geb­li­chen) Amts­pflicht­ver­let­zung.

Ei­ne sol­che in­di­vi­du­al­recht­li­che "Sank­ti­on" al­lein we­gen der (an­geb­li­chen) Ver­let­zung be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­cher Amts­pflich­ten ist aber aus­ge­schlos­sen, so das BAG. Die strei­ti­ge Ab­mah­nung war da­her be­reits aus die­sem Grun­de, d.h. ge­ne­rell un­zulässig. Es konn­te da­her of­fen­blei­ben, ob der Be­triebs­rat­vor­sit­zen­de hier im Streit­fall mit sei­ner E-Mail tatsächlich ge­gen sei­ne Amts­pflich­ten ver­s­toßen hat­te oder nicht.

Fa­zit: Ei­ne in­di­vi­du­al­recht­li­chen Ab­mah­nung ei­nes Be­triebs­rats­mit­glied we­gen Ver­s­toßes ge­gen die ihm ob­lie­gen­den be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Amts­pflich­ten ist ge­ne­rell un­zulässig. Ar­beit­ge­ber können Be­triebs­rats­mit­glie­dern nicht die Kündi­gung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses an­dro­hen, weil sie (an­geb­lich) ge­gen ih­re Pflich­ten als Be­triebs­rat ver­s­toßen ha­ben.

Wei­ter­hin of­fen ge­las­sen ha­ben die Er­fur­ter Rich­ter die Fra­ge, ob ei­ne be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Ab­mah­nung vor der Ein­lei­tung des Aus­schluss­ver­fah­rens gemäß § 23 Abs.1 Be­trVG er­for­der­lich ist oder nicht bzw. ob es ei­ne sol­che Art von "Ab­mah­nung" über­haupt gibt.

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Letzte Überarbeitung: 5. Juni 2019

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