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ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/011

Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on bei der Dia­ko­nie

Kirch­li­che Ar­beit­ge­ber dür­fen kon­fes­si­ons­lo­se Be­wer­ber bei der Be­set­zung von Stel­len mit "welt­li­chen" Ar­beits­auf­ga­ben nicht be­nach­tei­li­gen: Ar­beits­ge­richt Ber­lin, Ur­teil vom 18.12.2013, 54 Ca 6322/13
Gesetzestext mit darauf liegendem Holzkreuz Müs­sen al­le Mit­ar­bei­ter der Dia­ko­nie gu­te Chris­ten sein?

08.01.2014. Das Ar­beits­ge­richt Ber­lin hat in ei­nem ak­tu­el­len Fall ent­schie­den, dass ein dia­ko­ni­scher, d.h. zur Evan­ge­li­schen Kir­che Deutsch­lands (EKD) ge­hö­ren­der Ar­beit­ge­ber ei­nen Stel­len­be­wer­ber zu Un­recht we­gen sei­ner Re­li­gi­on dis­kri­mi­niert hat.

Zwar kön­nen kirch­li­che Ar­beit­ge­ber Be­wer­ber in be­stimm­ten Fäl­len we­gen ih­rer Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung be­vor­zu­gen oder be­nach­tei­li­gen. Die­ses Recht be­steht aber nur bei der Ver­ga­be von Stel­len, bei de­nen es auf die Re­li­gi­on an­kommt.

Die­ses Son­der­recht hat das Ar­beits­ge­richt Ber­lin dem ver­klag­ten dia­ko­ni­schen Ar­beit­ge­ber ab­ge­spro­chen, weil die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le mit der Ver­kün­di­gung des christ­li­chen Glau­bens we­nig bis nichts zu tun hat­te: Ar­beits­ge­richt Ber­lin, Ur­teil vom 18.12.2013, 54 Ca 6322/13.

Wann kommt es bei der Ar­beit für ei­nen kirch­li­chen Ar­beit­ge­ber auf die Re­li­gi­on an?

Das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) ver­bie­tet Dis­kri­mi­nie­run­gen im Er­werbs­le­ben aus Gründen der Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung.

Die­ses Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot er­fasst ins­be­son­de­re auch die Stel­len­aus­schrei­bung und Stel­len­be­set­zung. Ar­beitsplätze müssen nämlich gemäß § 11 AGG un­ter Ver­mei­dung von Dis­kri­mi­nie­run­gen aus­ge­schrie­ben wer­den.

Und natürlich darf der Ar­beit­ge­ber auch nicht die Aus­wahl zwi­schen meh­re­ren, ob­jek­tiv gleich gut ge­eig­ne­ten Stel­len­be­wer­bern aus Gründen ei­ner ihm lieb­sa­men oder un­lieb­sa­men Re­li­gi­on tref­fen (§ 2 Abs.1 Nr.3 AGG).

Al­ler­dings er­laubt § 8 Abs.1 AGG ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung von Stel­len­be­wer­bern we­gen ih­rer Re­li­gi­on, wenn die Re­li­gi­on

  • we­gen der Art der aus­zuüben­den Tätig­keit oder
  • der Be­din­gun­gen ih­rer Ausübung

ei­ne we­sent­li­che und ent­schei­den­de be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stellt. Außer­dem muss der Zweck ei­ner sol­chen Un­gleich­be­hand­lung von Be­wer­bern rechtmäßig und die Un­gleich­be­hand­lung an­ge­mes­sen sein.

Darüber hin­aus dürfen Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten und ih­re ka­ri­ta­ti­ven Ein­rich­tun­gen gemäß § 9 AGG Stel­len­be­wer­ber je nach ih­rer Re­li­gi­on un­gleich be­han­deln, wenn ei­ne be­stimm­te Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung un­ter Be­ach­tung des Selbst­verständ­nis­ses der je­wei­li­gen Re­li­gi­ons­ge­mein­schaft oder Ver­ei­ni­gung

  • im Hin­blick auf ihr Selbst­be­stim­mungs­recht oder
  • nach der Art der Tätig­keit

ei­ne ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stellt.

Frag­lich ist, ob kirch­li­che Ar­beit­ge­ber un­ter Be­ru­fung auf die­se Aus­nah­me­vor­schrif­ten kon­fes­si­ons­lo­se Be­wer­ber ab­leh­nen dürfen, die sich auf für ei­ne wis­sen­schaft­li­che Re­fe­ren­tentätig­keit be­wor­ben ha­ben.

Der Fall des Ar­beits­ge­richts Ber­lin: Kon­fes­si­ons­lo­se Be­wer­be­rin für ei­ne wis­sen­schaft­li­che Re­fe­ren­ten­stel­le wird ab­ge­lehnt

Im Streit­fall hat­te ein dia­ko­ni­sches Werk der EKD ei­ne Stel­le für ei­nen Re­fe­ren­ten/ei­ne Re­fe­ren­tin aus­ge­schrie­ben, um ei­nen un­abhängi­gen Be­richt zur Um­set­zung der An­ti­ras­sis­mus­kon­ven­ti­on der Ver­ein­ten Na­tio­nen durch Deutsch­land er­stel­len zu las­sen.

Ent­spre­chend den kirch­li­chen Be­stim­mun­gen hieß es in der Stel­len­aus­schrei­bung, Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zung sei die Mit­glied­schaft in ei­ner christ­li­chen Kir­che und die Iden­ti­fi­ka­ti­on mit dem dia­ko­ni­schen Auf­trag.

Ei­ne kon­fes­si­ons­lo­se Be­wer­be­rin wur­de zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch nicht ein­ge­la­den und er­hielt ei­ne Ab­sa­ge. Dar­auf­hin klag­te sie auf Zah­lung ei­ner Gel­dentschädi­gung gemäß § 15 Abs.2 AGG.

Ar­beits­ge­richt Ber­lin: Bei ei­ner wis­sen­schaft­li­chen Re­fe­ren­ten­stel­le ist die christ­li­che Re­li­gi­on kei­ne we­sent­li­che und ent­schei­den­de be­ruf­li­che An­for­de­rung

Das Ar­beits­ge­richt Ber­lin ver­ur­teil­te den Ar­beit­ge­ber zur Zah­lung ei­nes Mo­nats­ge­halts, denn es war der Mei­nung, dass hier ein Ver­s­toß ge­gen das Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot vor­lag.

Zur Be­gründung heißt es in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des Ge­richts, dass die christ­li­che Kon­fes­si­on im vor­lie­gen­den Streit­fall kei­ne we­sent­li­che bzw. ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung war.

Das The­ma des An­ti­ras­sis­mus ist zwar auch nach re­li­giösen und dia­ko­ni­schen Wert­vor­stel­lun­gen wich­tig, so das Ge­richt, doch führt das nicht da­zu, dass die Zu­gehörig­keit zur christ­li­chen Re­li­gi­on für die aus­ge­schrie­be­ne Tätig­keit als Re­fe­rent er­for­der­lich ist.

Der ver­klag­te dia­ko­ni­sche Ar­beit­ge­ber konn­te sich da­her im Er­geb­nis nicht auf Art.140 Grund­ge­setz (GG) be­ru­fen, der in Ver­bin­dung mit Vor­schrif­ten der Wei­ma­rer Reichs­ver­fas­sung das Selbst­be­stim­mungs­recht der Kir­chen ga­ran­tiert.

Auch durch § 9 AGG war die Ab­leh­nung der Be­wer­be­rin nicht ge­recht­fer­tigt, so das Ar­beits­ge­richt.

Fa­zit: Das Ar­beits­ge­richt Ham­burg hat­te vor sechs Jah­ren ei­nen ähn­li­chen Fall ent­schie­den, und zwar zu­guns­ten ei­ner ab­ge­lehn­ten mos­le­mi­schen Be­wer­be­rin (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell 08/028: Wer die Mu­sik be­zahlt, be­stimmt, was ge­spielt wird), doch hat­te sich dann in der Be­ru­fungs- und Re­vi­si­ons­in­stanz her­aus­ge­stellt, dass die Ham­bur­ger Kläge­rin nicht al­le fach­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Ein­stel­lung vor­wei­sen konn­te und ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung da­her nicht vor­lag (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/177 Un­sach­li­che Mo­ti­ve für Ab­leh­nung ei­nes Be­wer­bers).

Um­so wich­ti­ger ist das jetzt er­gan­ge­ne Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin, da kirch­li­che Ar­beit­ge­ber bei vie­len Stel­len­aus­schrei­bun­gen rou­ti­nemäßig die Mit­glied­schaft in ei­ner christ­li­chen Kir­che zur Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zung ma­chen. Das ist recht­lich un­zulässig und kann Ansprüche auf Gel­dentschädi­gung we­gen re­li­gi­ons­be­ding­ter Dis­kri­mi­nie­rung zur Fol­ge ha­ben.

So je­den­falls das Ar­beits­ge­richt Ber­lin. Soll­te die Dia­ko­nie in Be­ru­fung ge­hen oder soll­te das Ver­fah­ren bis zum Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ge­trie­ben wer­den, kann es durch­aus sein, dass die nächs­ten In­stan­zen an­ders ent­schei­den.

Die Be­wer­tung des Ar­beits­ge­richts ist je­den­falls nach­voll­zieh­bar. Denn ob­wohl § 9 AGG den Spiel­raum der Kir­chen bei der Fest­le­gung von Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zun­gen ge­genüber § 8 Abs.1 AGG er­wei­tert, ist auch § 9 AGG nicht so zu ver­ste­hen, dass kirch­li­che Ar­beit­ge­ber ein be­lie­big großes Er­mes­sen bei der Betäti­gung ih­res "Selbst­be­stim­mungs­rechts" ha­ben.

Auch kirch­li­che Ar­beit­ge­ber können nicht ein­fach un­ter Ver­weis auf ihr Selbst­be­stim­mungs­recht un­ter­schieds­los bei al­len Stel­len­aus­schrei­bun­gen ein christ­li­ches Be­kennt­nis zur Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zung ma­chen. Denn wenn die Kir­chen­mit­glied­schaft als be­ruf­li­che An­for­de­rung im Hin­blick auf das kirch­li­che Selbst­be­stim­mungs­recht "ge­recht­fer­tigt" sein soll, setzt das ei­ne ra­tio­nal nach­voll­zieh­ba­re Be­gründung dafür vor­aus, bei wel­chen Po­si­tio­nen dem kirch­li­chen Ar­beit­ge­ber ein christ­li­ches Be­kennt­nis wich­tig ist und bei wel­chen an­de­ren Po­si­tio­nen nicht (oder nicht so sehr).

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ar­beits­ge­richt sei­ne Ur­teils­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil fin­den Sie hier:

Hin­weis: Im wei­te­ren Ver­lauf des Rechts­streits hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg im Mai 2014 als Be­ru­fungs­ge­richt über das Ver­fah­ren ent­schie­den und dem Ar­beit­ge­ber Recht ge­ge­ben. Als nächs­te In­stanz hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) im März 2016 das Ver­fah­ren aus­ge­setzt und den Eu­ropäischen Ge­richts­hof um Klärung der Fra­ge ge­be­ten, ob die nach deut­schem Recht (bis­her) an­er­kann­ten Son­der­rech­te kirch­li­cher Ar­beit­ge­ber bei der Fest­le­gung der Kon­fes­si­on als Stel­len­an­for­de­rung mit dem Eu­ro­pa­recht ver­ein­bar sind. In ei­nem Grund­satz­ur­teil vom April 2018 hat der EuGH die Fra­gen des BAG be­ant­wor­tet und da­bei die recht­li­chen Spielräume kirch­li­cher Ar­beit­ge­ber be­schränkt. In­for­ma­tio­nen zu die­sen Ent­schei­dun­gen, die in die­sem Streit­fall er­gan­gen sind, fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 20. April 2018

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