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Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Welt­an­schau­ung

Per­sön­li­che Ein­stel­lun­gen, Sym­pa­thi­en oder Hal­tun­gen sind kei­ne Welt­an­schau­ung: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 20.06.2013, 8 AZR 482/12
Was ist ei­ne Welt­an­schau­ung?

28.06.2013. Ge­richts­ent­schei­dun­gen zum Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Welt­an­schau­ung sind sel­ten.

Denn ei­ne "Welt­an­schau­ung" liegt nach der Recht­spre­chung nur bei ei­nem fest­ge­füg­ten und ge­dank­lich ei­ni­ger­ma­ßen fol­ge­rich­ti­gen Ge­dan­ken­ge­bäu­de vor, das "die Welt" und die Stel­lung des Men­schen in der Welt um­fas­send er­klä­ren soll.

Noch sel­te­ner sind ge­richt­lich ent­schie­de­ne Fäl­le, in de­nen um die Fra­ge ge­strit­ten wird, ob ein Ar­beit­neh­mer dis­kri­mi­niert wur­de, weil der Ar­beit­ge­ber ihm ei­ne Welt­an­schau­ung zu Un­recht un­ter­stellt hat. In ei­nem ak­tu­el­len Ur­teil muss­te sich das Bun­des­ar­beits­ge­richt mit ei­nem sol­chen Fall be­fas­sen: BAG, Ur­teil vom 20.06.2013, 8 AZR 482/12.

Wann sind Ein­stel­lun­gen ei­ne "Welt­an­schau­ung"?

Das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) ver­bie­tet Dis­kri­mi­nie­run­gen im Ar­beits­le­ben, un­ter an­de­rem we­gen der "Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung" (§ 1 AGG).

Wer da­her ei­ne Stel­le nicht be­kommt, weil er die "fal­sche" Re­li­gi­on hat, kann we­gen der er­lit­te­nen re­li­gi­ons­be­ding­ten Dis­kri­mi­nie­rung ei­ne Gel­dentschädi­gung ver­lan­gen (§ 15 Abs.2 AGG) - vor­aus­ge­setzt, die un­ter­blie­be­ne Ein­stel­lung (= Be­nach­tei­li­gung) be­ruht nicht auf ge­setz­lich an­er­kann­ten Sach­gründen.

Da sich Ar­beit­ge­ber nicht ger­ne vor­hal­ten las­sen, sie würden Be­wer­ber oder Ar­beit­neh­mer dis­kri­mi­nie­ren, sind of­fen­sicht­li­che Verstöße ge­gen Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te sel­ten. Und noch sel­te­ner sind sie hieb- und stich­fest zu be­wei­sen. Da­her gewährt § 22 AGG den (mögli­cher­wei­se) Be­trof­fe­nen ei­ne Be­wei­ser­leich­te­rung.

Da­nach gilt für Be­wer­bungs­ver­fah­ren: Wenn ein Stel­len­be­wer­ber In­diz-Tat­sa­chen be­weist, die ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten las­sen, muss der Ar­beit­ge­ber be­wei­sen, dass die vom Be­wer­ber er­lit­te­ne Be­nach­tei­li­gung (= die un­ter­blie­be­ne Ein­stel­lung) nicht auf dis­kri­mi­nie­ren­den Gründen be­ruht.

Frag­lich und vor Ge­richt im­mer wie­der um­strit­ten ist da­bei die Fra­ge, wel­che Umstände beim Be­wer­bungs­ver­fah­ren In­di­zi­en dafür sind, dass ein nicht ein­ge­stell­ter Be­wer­ber dis­kri­mi­niert wur­de, z.B. we­gen sei­ner Welt­an­schau­ung. Genügt es hier viel­leicht schon, wenn ein mit Chi­na eng ver­bun­de­ner Re­dak­teur be­haup­tet, er sei we­gen sei­ner Nähe zur Volks­re­pu­blik Chi­na be­nach­tei­ligt wor­den?

Der Fall des BAG: Freie Rund­funk­mit­ar­bei­te­rin erhält kei­ne Fest­an­stel­lung - an­geb­lich auf­grund von Sym­pa­thi­en für die Volks­re­pu­blik Chi­na

Im Streit­fall ging es um ei­ne Re­dak­teu­rin, die an der Pe­kin­ger Fremd­spra­chen­uni­ver­sität Ger­ma­nis­tik stu­diert hat­te und später in Deutsch­land seit 1987 für ei­ne Rund­funk­an­stalt als freie Mit­ar­bei­te­rin in der Chi­na-Re­dak­ti­on ar­bei­te­te. Dort be­ar­bei­te­te sie über­wie­gend nicht-po­li­ti­sche The­men. Mit­glied ei­ner po­li­ti­schen Par­tei war sie nie.

Im April 2010 be­warb sie sich um ei­ne Fest­an­stel­lung, wur­de aber ab­ge­wie­sen. En­de Ju­ni 2010 teil­te ihr die Rund­funk­an­stalt mit, dass sie über das Jah­res­en­de 2010 hin­aus wei­te­re Ho­no­rar­verträge nicht mehr er­hal­ten wer­de.

Dar­auf­hin er­hob die Re­dak­teu­rin den Vor­wurf ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung. Denn die Rund­funk­an­stalt soll ihr an­geb­lich (zu Un­recht) ei­ne Welt­an­schau­ung un­ter­stellt ha­ben.

Das würde nach dem Ge­setz genügen, denn ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung liegt auch dann vor, wenn der dis­kri­mi­nie­ren­de Ar­beit­ge­ber ein be­stimm­tes Merk­mal nur ver­mu­tet und die Be­nach­tei­li­gung auf die­ser (fal­schen) Ver­mu­tung be­ruht (§ 7 Abs.1 AGG): Wer he­te­ro­se­xu­ell ist und als ver­meint­lich Schwu­ler ei­ne Stel­le nicht be­kommt, wird dis­kri­mi­niert.

Al­ler­dings wa­ren die von der Re­dak­teu­rin ins Feld geführ­ten In­di­zi­en dafür, dass der Rund­funk­an­stalt ihr ei­ne be­stimm­te Welt­an­schau­ung un­ter­stellt ha­ben soll, sehr dünn: An­geb­lich soll die Rund­funk­an­stalt bei ihr ei­ne „Sym­pa­thie für die Volks­re­pu­blik Chi­na“ ver­mu­tet und „da­mit Un­terstützung für die KP Chi­na“. Sie sei ent­las­sen wor­den, weil die Sen­de­an­stalt an­ge­nom­men ha­be, „sie sei ge­genüber der Volks­re­pu­blik Chi­na zu re­gie­rungs­freund­lich“.

Im Er­geb­nis soll die Sen­de­an­stalt sie we­gen ei­ner un­ter­stell­ten, in Wahr­heit aber nicht ge­ge­be­nen Welt­an­schau­ung dis­kri­mi­niert ha­ben. Das Ar­beits­ge­richt Bonn (Ur­teil vom 17.03.2011, 3 Ca 2957/10) und das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln als Be­ru­fungs­ge­richt wie­sen die Entschädi­gungs­kla­ge ab (LAG Köln, Ur­teil vom 13.02.2012, 2 Sa 768/11).

BAG: Persönli­che Ein­stel­lun­gen, Sym­pa­thi­en oder Hal­tun­gen sind kei­ne Welt­an­schau­ung

Auch das BAG ent­schied ge­gen die Re­dak­teu­rin. In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG heißt es zu den Gründen die­ser Ent­schei­dung:

Nach dem Vor­trag der Re­dak­teu­rin soll die Rund­funk­an­stalt (zu Un­recht) an­ge­nom­men ha­ben, sie he­ge Sym­pa­thie für die Volks­re­pu­blik Chi­na und be­rich­te zu freund­lich über de­ren Re­gie­rung. Das aber sind, so das BAG, kei­ne Tat­sa­chen, die den Schluss dar­auf zu­las­sen, die Kläge­rin sei we­gen ei­ner ihr un­ter­stell­ten Welt­an­schau­ung be­nach­tei­ligt wor­den. Und auch wenn die Sen­de­an­stalt der Re­dak­teu­rin ei­ne zu große Re­gie­rungsnähe un­ter­stellt ha­ben soll­te, liegt dar­in noch kei­ne un­ter­stell­te "Welt­an­schau­ung".

Im Übri­gen, so das BAG, be­deu­tet Sym­pa­thie für ein Land nicht Sym­pa­thie für des­sen Re­gie­rung oder die re­gie­rungs­tra­gen­de Par­tei. Und schon gar nicht wird dem­je­ni­gen, der mit ei­nem Land sym­pa­thi­siert, un­ter­stellt, er sym­pa­thi­sie­re auch mit dem welt­an­schau­li­chen Fun­da­ment der re­gie­rungs­tra­gen­den Par­tei. Aus Sicht der Er­fur­ter Rich­ter war die Kla­ge da­her un­schlüssig.

Fa­zit: Es ist zwar denk­bar, dass ein Stel­len­be­wer­ber we­gen bei ei­ner bei ihm ver­mu­te­ten Welt­an­schau­ung be­nach­tei­ligt wird, doch muss er dann eben ent­spre­chen­de In­di­zi­en vor­wei­sen können. Dass ihm der Ar­beit­ge­ber be­stimm­te persönli­che Ein­stel­lun­gen, Sym­pa­thi­en oder Hal­tun­gen un­ter­stellt, heißt noch nicht, dass der Ar­beit­ge­ber vom Vor­lie­gen ei­ner „Welt­an­schau­ung“ aus­geht.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­gründe schrift­lich ab­ge­fasst und veröffent­licht. Die Ent­schei­dungs­gründe im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 28. Oktober 2018

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