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ArbG Stuttgart, Urteil vom 14.12.2011, 31 BV 248/11
Schlagworte: | Kündigung, Betriebsrat | |
Gericht: | Arbeitsgericht Stuttgart | |
Aktenzeichen: | 31 BV 248/11 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 14.12.2011 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | ||
Arbeitsgericht Stuttgart
Aktenzeichen: 31 BV 248/11
Beschluss vom 14.12.2011
Der Antrag wird zurückgewiesen.
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Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die von der Antragstellerin begehrte gerichtliche Ersetzung der seitens des Antragsgegners verweigerten Zustimmung zu der gegenüber dem Beteiligten Ziff. 3 beabsichtigten außerordentlichen Kündigung.
Der am 00.00.1952 geborene, verheiratete Beteiligte Ziff. 3 ist jedenfalls seit 01.12.1968, nach dem Vortrag des Beteiligten Ziff. 3 seit 01.09.1967, bei der Antragstellerin beschäftigt. Der Beteiligte Ziff. 3 ist seit 1990 Mitglied des Betriebsrats des Werkes der Antragstellerin in U. und in dieser Funktion von der beruflichen Tätigkeit freigestellt. Der Beteiligte Ziff. 3 ist Ersatzkandidat für das Mitglied des Aufsichtsrates Herrn A. O., der beabsichtigte im November 2011 wegen Eintritts in den Ruhestand aus dem Aufsichtsrat auszuscheiden. Der Beteiligte Ziff. 3, der eine Ausbildung zum Starkstromelektriker absolviert hat und Elektroinstallateur-Meister ist, ist seit 01.01.2008 als sog. E4-Leiter in die Entgeltgruppe 16 eingestuft. Er unterliegt dem besonderen Kündigungsschutz des § 4.4 MTV für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden.
Mit Schreiben vom 09.08.2011 begehrte die Arbeitgeberin vom Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten Ziff. 3 (wegen des gesamten Inhalts dieses Schreibens wird auf Anlage B 3, Blatt 36 bis 40 der Akte verwiesen). Der Betriebsrat hat mit Schreiben vom 11.08.2011 (Anlage B 4, Blatt 41 f. der Akte) mitgeteilt, dass er durch Betriebsratsbeschluss vom selben Tag beschlossen habe, seine Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung des Beteiligten Ziff. 3 zu verweigern. Der Betrieb, für den der Antragsgegner gewählt ist, setzt sich zusammen aus den Teilbetrieben S.-U., S.-H., S. B.-C. und E.-M.. Die Ehefrau des Beteiligten Ziff. 3 ist Mitarbeiterin in der Personalabteilung der Antragstellerin und hat ihren Arbeitsplatz in einem Gebäude des Betriebsteils in E.-M.. Der Beteiligte Ziff. 3 hat sein Büro im Betriebsteil S.-U., das Betriebsratsbüro des Antragsgegners befindet sich im Gebäude des Betriebsteils E.-M,. Der Beteiligte Ziff. 3 wohnt mit seiner Ehefrau gemeinsam in W,.
Die Antragstellerin begründet ihre beabsichtigte Kündigung mit dem Vorwurf, dass der Beteiligte Ziff. 3 Zeitbetrug begangen habe, indem er während seiner Arbeitszeit seine Ehefrau in seinem Dienstwagen von seinem Arbeitsplatz in U. nach M. zur deren
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Arbeitsplatz gefahren habe. Aufgrund eines anonymen Schreibens vom 13.07.2011 überprüfte die Antragstellerin die Arbeitszeiten des Beteiligten Ziff. 3 und seiner Ehefrau im Zeitraum vom 26.04.2011 bis zum 07.07.2011 und veranlasste eine Beobachtung des Klägers (vgl. Anlage B 1, Blatt 23 bis 33 der Akte: Abschlussbericht der Werksicherheit). Die Beobachtungen ergaben, dass der Kläger am 21.07.2011, 25.07.2011 und 01.08.2011 jeweils morgens vor dem Gebäude 136 bzw. 136/1 im Werk U. vorfuhr und einstempelte. Während der Beteiligte Ziff. 3 sich im Gebäude aufhielt, blieb seine Frau jeweils im Dienstwagen sitzen. An diesen drei Tagen fuhr der Beteiligte Ziff. 3 kurze Zeit später zum Betrieb M., ließ seine Frau am Werkstor aussteigen und kehrte dann nach U. zurück, ohne in M. seinen Wagen verlassen zu haben.
Weiterhin stützt die Antragstellerin ihre beabsichtigte Kündigung auf den Verdacht des Zeitbetruges, da im Zeitraum zwischen 26.04.2011 und 07.07.2011 die Ehefrau des Beteiligten Ziff. 3 an insgesamt 30 Tagen zwischen 12 und 15 Minuten nach dem Beteiligten Ziff. 3 eingestempelt habe. Diese Zeit entspricht ungefähr der Fahrtzeit vom Arbeitsplatz des Beteiligten Ziff. 3 in U. zum Werk in M.. Am 04.08.2011 wurde der Beteiligte Ziff. 3 zu diesem Sachverhalt angehöhrt und ihm wurde weitere Gelegenheit zur Stellungnahme bis 08.08.2011 gegeben.
Weiterhin beabsichtigt die Antragstellerin ihre außerordentliche Kündigung auf den Verdacht des Arbeitszeitbetruges im Zeitraum 07.01.2008 bis zum 08.08.2011 zu stützen. Mit Schreiben vom 17.08.2011 (Anlage B 5, Blatt 98 bis 103 der Akte, auf die Bezug genommen wird) wurde der Betriebsrat um Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung gebeten, welche er mit Schreiben vom 18.08.2011(Anlage B 6, Blatt 104) ablehnte. Dem Be-triebsrat wurde mitgeteilt, dass in der Zeit vom 07.01.2008 bis 08.08.2011 174 auffällige Paa-rungen beim Vergleich der Stempelzeiten zwischen dem Beteiligten Ziff. 3 und seiner Ehefrau vorhanden seien, woraus sich der dringende Verdacht ergebe, dass in den meisten dieser 174 Fälle ebenfalls Zeitbetrug vorgelegen habe.
Die Antragstellerin macht im Wesentlichen geltend:
Es bestehe ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Tatkündigung sowie eine Verdachtskündigung. Mit dem Einstempeln im Werk U. am 21.07.2011, 25.07.2011 und 01.08.2011 habe der Beteiligte Ziff. 3 zwar nach außen hin zum Ausdruck gebracht, seine Arbeit begonnen zu haben. Da er aber in Anbetracht seiner im Fahrzeug wartenden Ehefrau in
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allen drei Fällen offensichtlich von vornherein vorgehabt habe, sie nicht lange warten zu lassen, sondern an ihren Arbeitsplatz nach M. zu fahren, habe er mit dem Einstempeln darüber getäuscht, dass er seine Arbeitszeit kurze Zeit danach wieder für diese private Erledigung verwenden würde. Der Vortrag des Beteiligten Ziff. 3 zu den Geschehnissen am 21.07.2011 sei völlig diffus, nicht einmal umrisshaft erläutere der Beteiligte Ziff. 3 zu welchem Zweck er sich ursprünglich habe nach M. begeben wollen. Unsubstantiiert und unglaubhaft sei die Behauptung des Beteiligten Ziff. 3, er habe aus betriebsratsbezogenen Anlässen sowohl während der Hin- sowie während der Rückfahrt durchgängig telefoniert, dies werde bestritten. Für den 25.07.2011 gelte das oben gesagte entsprechend, allerdings scheine hier nach den Angaben des Beteiligten Ziff. 3 von vornherein kein dienstlicher Anlass für eine Fahrt nach M. vorhanden gewesen zu sein. Auch für den 01.08.2011 seien die oben dargelegten Zweifel der Antragstellerin an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Beteiligten Ziff. 3 gegeben.
Soweit die Antragstellerin beabsichtige, hilfsweise eine Verdachtskündigung auszusprechen, lägen hinreichend gesicherte Feststellungen vor, aus denen sich der dringende Verdacht ergebe, dass sich der Beteiligte Ziff. 3 zumindest an einigen der 30 auffälligen Tage im Zeitraum 26.04.2011 bis 07.07.2011 in gleicher Weise verhalten habe, wie an den drei Tagen mit einschlägiger Beobachtung.
Entgegen der Ansicht des Beteiligten Ziff. 3 sei es auch unschädlich, dass er zu dem Verdacht des Arbeitszeitbetruges im Zeitraum vom 07.01.2008 bis 08.08.2011 nicht angehört worden sei. Denn wenn der Arbeitnehmer von vorneherein nicht bereit sei, sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen substantiiert zu äußern und so an der Aufklärung mitzuwirken, sei die weitere Anhörung überflüssig. Im vorliegenden Fall ergebe sich aus der völligen Verweigerungshaltung des Beteiligten Ziff. 3, die er bis zur Einreichung des Schriftsatzes vom 28.10.2011 an den Tag gelegt habe, dass der Beteiligte Ziff. 3 zur Sachverhaltsaufklärung, sogar soweit sie Rechtfertigungsgründe für sein Verhalten betreffe, nichts beitragen wolle. Für die Antragstellerin bestehe daher der dringende Verdacht, dass der Beteiligte Ziff. 3 sich in einer Vielzahl von Fällen während seiner Dienstzeit nach M. begeben habe, ohne dort Betriebsratstätigkeiten nachzugehen und ihm dies genauso bewusst gewesen sei, wie die Tatsache, dass es sich hierbei um Arbeitszeitbetrug handele. Durch ein derartiges planmäßiges, offensichtlich rechtswidriges Verhalten über einen längeren Zeitraum hinweg zum Nachteil des Arbeitgebers, sehe die Antragstellerin das Vertrauensverhältnis zum Beteiligten Ziff. 3 als derart gestört, dass eine weitere Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr vorstellbar sei. Dies gelte besonders vor dem
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Hintergrund, dass der Beteiligte Ziff. 3 bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses Mitglied des Aufsichtsrates der Antragsstellerin werde.
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Die Antragstellerin beantragt:
Die Zustimmung des Antragsgegners zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglied G.-D. B. wird ersetzt.
Die Beteiligten Ziff. 2 und 3 beantragen jeweils,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Beteiligte Ziff. 3 macht insbesondere geltend:
Meistens fahre die Ehefrau des Beteiligten Ziff. 3 mit ihrem Ehemann zum Arbeitsplatz. Teilweise fahre sie mit dem Beteiligten Ziff. 3 bis zum S-Bahnhof S. B.-C. und greife von dort aus auf öffentliche Verkehrsmittel zurück. An anderen Tagen fahre der Beteiligte Ziff. 3 direkt von zu Hause zum Betriebsteil M., wo Frau B. aussteige und er weiter zum Betriebsteil U. fahre,. Teilweise führen die Eheleute auch direkt zum Werksteil M., wenn der Beteiligte Ziff. 3 sich in das dortige Betriebsratsbüro begebe. An anderen Tagen führen die Eheleute B. zunächst gemeinsam nach U., der Beteiligte Ziff. 3 bitte seine Ehefrau zu warten, mit dem Hinweis, dass er beabsichtige nach kurzer Zeit in den Betriebsteil M. zum dortigen Betriebsratsbüro zu fahren. Die kurze Zeit benötige er, um E-Mails zu lesen, Kalendereinträge zu kontrollieren und zu prüfen, ob ihm im Büro von Betriebsratskollegen handschriftliche Notizen hinterlassen worden seien.
Am 21.07.2011 habe er vorgehabt sein Büro im Betrieb U. aufzusuchen, um Mails und sonstige Nachrichten durchzusehen, um dann in das Betriebsratsbüro nach M. zu fahren. Die in seinem Büro vorgefundenen Nachrichten hätten dazu geführt, dass der Beteiligte Ziff. 3 seinen Arbeitsplan geändert habe. Der von ihm geplante Besuch im Betriebsratsbüro sei zugunsten anderer Aufgaben gewichen. Er habe aus dienstlichen betriebsratsbezogenen Anlässen telefoniert und die Telefonzeit genutzt, seine noch im Fahrzeug wartende Ehefrau an deren Arbeitsplatz nach M. zu fahren, er habe sowohl während der Hin- wie auch während der Rückfahrt durchgängig telefoniert. Am 25.07.2011 habe er wiederum geplant gehabt zunächst in seinem Büro Mails und sonstige Nachrichten zu recherchieren und im Anschluss hieran das Betriebsratsbüro im Betrieb M. aufzusuchen. Unmittelbar nachdem er sein Büro betreten habe, habe er ein dienstliches Telefonat geführt und es deshalb unterlassen sich an seinem Arbeitsplatzrechner anzumelden. Er habe sich wieder zu seinem
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Fahrzeug begeben und sodann unter fortdauerndem Telefonat die Fahrt zum Betrieb M. durchgeführt. Auch am 01.08.2011 habe der Beteiligte Ziff. 3 vorgehabt, zunächst seine Mails und Nachrichten zu sichten, um dann das Betriebsratsbüro im Betrieb M. aufzusuchen. Warum an diesem Tag der Beteiligte Ziff. 3 seinen Plan geändert habe, sei dem Beteiligten Ziff. 3 nicht mehr in bester Erinnerung.
Bei der Verdachtskündigung sei zu berücksichtigen, dass eine spätere Anmeldung der Ehefrau des Beteiligten Ziff. 3 sich auch dann ergebe, wenn Frau B. die letzten Meter mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklege. Es genüge nicht auf der Grundlage des Vergleichs der Anmeldezeiten im Arbeitszeitsystem einen Verdacht zu begründen, für den es sonst keine weiteren Verdachtsmomente gebe. Zu dem nachgeschobenen Kündigungssachverhalt bzgl. der auffälligen Zeitdifferenzen seit 07.01.2008 sei eine Anhörung des Beteiligte Ziff. 3 erforderlich gewesen. Unter Beachtung einer Fahrtzeit von 15 Minuten zwischen U. und M. seien im Jahr 2008 nur noch 7 Tage zeitkritisch im Sinne der Darstellung der Antragstellerin. Im Jahr 2009 verblieben gerade 13 zeitkritische Tage.
Der Antragsstellerin gehe es nicht darum, dass sie möglicherweise das Vertrauen in die Redlichkeit des Beteiligten Ziff. 3 verloren habe. Es gehe der Antragstellerin originär darum zu verhindern, dass der Beteiligte Ziff. 3 als Ersatzkandidat Mitglied des Aufsichtsrats werde. Dies ergebe sich auch daraus, dass die Antragstellerin bei ähnlichen gleichen und schwerwiegenderen Pflichtverletzungen regelmäßig das Arbeitsverhältnis nicht kündige, sondern eine Abmahnung ausspreche, eine Ermahnung erteile oder den Sachverhalt nur schriftlich dokumentiere.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird zur Darstellung des Sach- und Streitstandes auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, soweit noch nicht auf sie verwiesen wurde, ergänzend Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
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Die Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten Ziff. 3 war nicht gem. § 103 II BetrVG zu ersetzen. Eine außerordentliche Kündigung des Beteiligten Ziff. 3 wäre unter Berücksichtigung aller Umstände nicht gerechtfertigt.
1. Nach § 15 I KSchG ist die Kündigung eines Mitglieds des Betriebsrats vorbehaltlich der Ausnahmen des IV und V dieser Vorschrift unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen und die nach § 103 II BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt wird.
a) Das Gericht hat den Beschluss des Betriebsrats, die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3 abzulehnen, nicht nur auf Ermessensfehler hin nachzuprüfen, sondern eine eigene Rechtsentscheidung zu treffen, die sich daran zu orientieren hat, ob die Voraussetzungen der Bestimmung des § 626 BGB vorliegen. Gem. § 626 I BGB kann ein Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigendem unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
b) Die Konkretisierung des wichtigen Kündigungsgrundes hat im Wege einer abgestuften Prüfung in zwei systematisch zu trennenden Abschnitten zu erfolgen. Zu prüfen ist zunächst, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben. Ist diese Voraussetzung erfüllt, so kommt es weiter darauf an, ob sich der Sachverhalt über seine abstrakte Eignung hinaus unter Berücksichtigung aller vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalles und bei einer umfassenden Interessenabwägung zu einem die außerordentliche Kündigung im Streitfall rechtfertigenden Grund konkretisiert hat (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. etwa BAG, Urteil v. 17.05.1984 - 2 AZR 3/83, NZA 1985, 91 f.).
2. Gemäß der vorstehend genannten Kriterien wäre eine außerordentliche Kündigung des Beteiligten Ziff. 3 nicht gerechtfertigt.
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a) Die Arbeitgeberin stützt sich zur Begründung der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung zum einen auf den Verdachts des Zeitbetruges.
aa) Nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen wichtigen Verfehlung kann einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 I BGB zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung gegenüber dem verdächtigten Arbeitnehmer darstellen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. etwa BAG, Urteil v. 18.11.1999, 2 AZR 743/98) liegt eine Verdachtskündigung dann vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren, bzw. vertragswidrigen Verhaltens, habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Der Verdacht einer strafbaren Handlung stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar, der in dem Tatvorwurf nicht enthalten ist. § 626 I BGB lässt eine Verdachtskündigung dann zu, wenn starke Verdachtsmomente auf objektiven Tatsachen gründen (dringender Verdacht), wenn die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (BAG, Urteil v. 18.11.1999, 2 AZR 743/98).
bb) Vorliegend liegen weder die tatbestandlichen noch die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Verdachtskündigung vor. Zwar hat die Ehefrau des Beteiligten Ziff. 3, Frau B., im Zeitraum zwischen dem 26.04.2011 und 07.07.2011 an ca. 30 Tagen zwischen 12 und 15 Minuten nach ihrem Mann eingestempelt. Dieser Sachverhalt allein kann jedoch den dringenden Verdacht des versuchten Arbeitszeit- und Entgeltbetruges nicht begründen. Der Beteiligte Ziff. 3 hat erläutert, dass es verschiedene Alternativen gibt, wie der Beteiligte Ziff. 3 und seine Ehefrau den Weg zu ihrem Arbeitsplatz zurücklegen. Teilweise fährt die Ehefrau des Beteiligten Ziff. 3 mit ihrem Ehemann bis zum S-Bahnhof S.-B. C. und legt dann den Rest der Strecke mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück. In diesen Fällen kann sich eine derartige zeitliche Differenz von 12 bis 15 Minuten zwischen dem Einstempeln der Ehefrau und dem Beteiligten Ziff. 3 nachvollziehbar ergeben. Nachdem auch andere nicht unwahrscheinliche
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Geschehensabläufe zu den nach Meinung der Arbeitgeberin auffälligen Stempelzeiten geführt haben können, ist nach Auffassung der Kammer ein dringender Verdacht nicht gegeben. Objektive Tatsachen, die zu einem starken Verdachtsmoment führen, liegen nicht vor, allenfalls ein für eine Verdachtskündigung nicht ausreichender Anfangsverdacht ließe sich vorliegend begründen.
cc) Soweit die Arbeitgeberin sich nachträglich noch auf den Verdacht weiterer Fälle des Arbeitszeitbetruges im Zeitraum zwischen 07.01.2008 und 08.08.2011 stützt, kann es dahinstehen, ob dieser Sachverhalt nachgeschoben werden kann. Jedenfalls wurde der Beteiligte Ziff. 3 zu diesem Tatverdacht bzw. Sachverhalt nicht angehört.
Voraussetzung für eine Verdachtskündigung ist auch, dass der Arbeitgeber alles Zumutbare getan hat, um den Verdacht aufzuklären, wobei insbesondere die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers Wirksamkeitsvoraussetzung ist. Die Arbeitgeberin hat den Beteiligten Ziff. 3 zu diesen Vorwürfen nicht angehört und ihm keine Gelegenheit gegeben sich zu entlasten. Die Beklagte ist ihrer insoweit obliegenden Aufklärungspflicht nicht nachgekommen. Zwar kann eine Anhörung überflüssig sein, wenn der Arbeitnehmer von vornherein nicht bereit ist, sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern und an der Aufklärung mitzuwirken. Eine fehlende Bereitschaft an der Aufklärung mitzuwirken, lässt sich vorliegend dem Verhalten des Beteiligten Ziff. 3 jedoch nicht entnehmen. Allein aus der Tatsache, dass der Beteiligte Ziff. 3 sich im Prozess erst nach dem Gütetermin zum Sachverhalt eingelassen hat, lässt sich keine allgemeine Verweigerungshaltung des Beteiligten Ziff. 3 herleiten. Der Beteiligte Ziff. 3 hat außerdem im Rahmen der Anhörung zu den Verdachtsmomenten für den Zeitraum 26.04.2011 bis 07.07.2011 außergerichtlich sowohl mündlich als auch schriftlich durch seinen Prozessvertreter Stellung genommen. Daher kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass er sich zu den neuen Vorwürfen nicht geäußert hätte.
b) Soweit die Arbeitgeberin sich zur Begründung der beabsichtigten außerordentlichen Tatkündigung auf die angeführten Verstöße bei der Zeiterfassung an den drei Tagen im Juli und August 2011 stützt, kann dahinstehen, ob dieser Sachverhalt sich so zugetragen hat wie von der Arbeitgeberin behauptet. Denn die beabsichtigte außerordentliche Tatkündigung wäre, die Richtigkeit des Vortrags der Arbeitgeberin zu ihren Gunsten unterstellt, unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen unverhältnismäßig.
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aa) Der vorsätzliche Missbrauch eines Arbeitnehmers einer Stempeluhr ist zwar an sich geeignet einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung i.S.v. § 626 I BGB darzustellen.
bb) Jedoch ist bei der abschließenden Interessenabwägung das Interesse des Beteiligten Ziff. 3 an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gegenüber der Arbeitgeberin an einer Beendigung überwiegend. Zu berücksichtigen sind dabei regelmäßig das Gewicht und die Auswirkung einer Vertragspflichtverletzung, etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen, der Grad des Verschuldens des Arbeitsnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (vgl. BAG, Urteil v. 09.06.2011, 2 AZR 381/10).
Vorliegend ist zugunsten des Beteiligten Ziff. 3 entscheidend zu berücksichtigen, dass er seit mehr als 40 Jahren bei der Antragstellerin beschäftigt ist und 59 Jahre alt ist. Aufgrund seines Alters und der Tatsache, dass der Beteiligte Ziff. 3 seit über 34 Jahre nicht mehr in seinem erlernten Beruf tätig war, sind die Chancen des Beteiligten Ziff. 3 auf dem Arbeitsmarkt als eher problematisch einzuschät-zen. Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung ist es weiterhin von erhebli-cher Bedeutung, dass der Beteiligte Ziff. 3 bereits seit mehr als 40 Jahren beschäftigt ist, ohne dass es in der Vergangenheit zu Störungen oder gar Abmahnungen gekommen wäre. Eine so lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste (vgl. BAG, Urteil v. 10.06.2010, 2 AZR 541/09).
Der Beteiligte Ziff. 3 hat durch seine beanstandungsfreie Tätigkeit über mehr als 40 Jahre hinweg Loyalität zur Arbeitgeberin gezeigt. Der Beteiligte Ziff. 3 hat zwar nach Auffassung der Arbeitgeberin dreimal ca. im Umfang von einer halben Stunde einen Arbeitszeitbetrug begangen, einen systematischen und vorsätzlichen über einen
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längeren Zeitraum hinweg begangenen Arbeitszeitbetrug konnte die Arbeitgeberin jedoch nicht darlegen. Zugunsten der Arbeitgeberin muss berücksichtigt werden, dass das Vertrauensverhältnis trotzdem belastet ist, im Hinblick auf die bisherige Zusammenarbeit und das erworbene Maß an Vertrauen ist eine Weiterbeschäftigung des Beteiligten Ziff. 3 trotz des behaupteten Pflichtenverstoßes jedoch nicht unzumutbar. Die Störung des Vertrauensverhältnisses ist vorliegend nicht so schwer, dass es der Arbeitgeberin nicht zumutbar wäre, das Arbeitsverhältnis für die Dauer der fiktiven Kündigungsfrist vorzusetzten.
III.
Die Entscheidung ergeht gerichtskosten- und auslagenfrei, § 2 II GKG.
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