HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 18/011

Kein Ein­sichts­recht des Be­triebs­rats in Lohn­lis­ten an­de­rer Be­trie­be

Ob­wohl der Gleich­be­hand­lungs­grund­satz be­triebs­über­grei­fend gilt, kann der Be­triebs­rat nur in die Lohn­lis­ten der Ar­beit­neh­mer „sei­nes“ Be­triebs Ein­sicht neh­men: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 26.09.2017, 1 ABR 27/16
Taschenrechner, Buchhaltung, Lohnabrechnung, Lohnbuchhaltung

12.01.2018. Vor ei­ni­gen Jah­ren hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ent­schie­den, dass der ar­beits­recht­li­che Gleich­be­hand­lungs­grund­satz nicht nur in­ner­halb ei­nes Be­trie­bes gilt, son­dern un­ter­neh­mens­weit bzw. be­triebs­über­grei­fend (BAG, Ur­teil vom 03.12.2008, 5 AZR 74/08, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 09/006 Gleich­be­hand­lung bei be­triebs­über­grei­fen­der Lohn­er­hö­hung).

Aber folgt dar­aus, dass der Be­triebs­rat auf­grund der An­sprü­che, die die Ar­beit­neh­mer in „sei­nem“ Be­trieb aus dem un­ter­neh­mens­weit gel­ten­den Gleich­be­hand­lungs­grund­satz her­lei­ten könn­ten, auch zur Ein­sicht in die Lohn- und Ge­halts­lis­ten an­de­rer Be­trie­be be­rech­tigt ist?

Nein, so das BAG in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung: BAG, Be­schluss vom 26.09.2017, 1 ABR 27/16.

Wie weit reicht das Recht des Be­triebs­rats bzw. Be­triebs­aus­schus­ses zur Ein­sicht­nah­me in die Lis­ten über die Brut­tolöhne und -gehälter?

Gemäß § 80 Abs.1 Nr.1 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) hat der Be­triebs­rat darüber zu wa­chen, dass die zu­guns­ten der Ar­beit­neh­mer gel­ten­den Ge­set­ze, Ver­ord­nun­gen, Un­fall­verhütungs­vor­schrif­ten, Ta­rif­verträge und Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen durch­geführt wer­den. Da­bei ist un­ter „Ge­setz“ im Sin­ne die­ser Vor­schrift auch das sog. Richter­recht zu ver­ste­hen, d.h. die­je­ni­gen Rechts­grundsätze, die zwar nicht ge­setz­lich ein­deu­tig fest­ge­schrie­ben sind, aber auf der Grund­la­ge ei­ner ge­fes­tig­ten höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung ähn­lich wie ge­setz­li­che Re­ge­lun­gen „gel­ten“. Da­her hat der Be­triebs­rat gemäß § 80 Abs. 1 Nr.1 Be­trVG auch über die Ein­hal­tung des von den Ar­beits­ge­rich­ten ent­wi­ckel­ten Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes zu wa­chen.

Aus § 80 Abs.1 Nr.1 Be­trVG fol­gen zwar noch kei­ne kon­kre­ten Mit­be­stim­mungs­rech­te, aber im­mer­hin ein Recht des Be­triebs­rats zur Un­ter­rich­tung durch den Ar­beit­ge­ber (§ 80 Abs.2 Satz 1, 1.Halb­satz Be­trVG). Außer­dem heißt es in § 80 Abs.2 Satz 2 Be­trVG:

„Dem Be­triebs­rat sind auf Ver­lan­gen je­der­zeit die zur Durchführung sei­ner Auf­ga­ben er­for­der­li­chen Un­ter­la­gen zur Verfügung zu stel­len; in die­sem Rah­men ist der Be­triebs­aus­schuss oder ein nach § 28 ge­bil­de­ter Aus­schuss be­rech­tigt, in die Lis­ten über die Brut­tolöhne und -gehälter Ein­blick zu neh­men.“

An die­ser Stel­le fragt sich, ob die hier im Ge­setz ge­nann­ten Lohn- und Ge­halts­lis­ten auf den je­wei­li­gen Be­trieb bzw. des­sen Ar­beit­neh­mer be­schränkt sind oder ob der Be­triebs­rat auch in die Lohn- und Ge­halts­lis­ten an­de­rer Be­trie­be des­sel­ben Un­ter­neh­mens Ein­blick neh­men kann. Dafür spricht, dass der Be­triebs­rat nur durch ein sol­ches Ein­sichts­recht in die La­ge ver­setzt wird zu über­prüfen, ob der un­ter­neh­mens­weit gel­ten­de Gleich­be­hand­lungs­grund­satz zu­guns­ten der von ihm ver­tre­te­nen Ar­beit­neh­mer „sei­nes“ Be­trie­bes ein­ge­hal­ten wird.

Streit im Nah­ver­kehrs­un­ter­neh­men: Ei­ner von vier Be­triebsräten möch­te wis­sen, wie viel die Kol­le­gen in an­de­ren Be­trie­ben ver­die­nen

Der Streit­fall be­traf ein nord­deut­sches Ver­kehrs­un­ter­neh­men mit vier Be­trie­ben, in de­nen je­weils ein Be­triebs­rat ge­bil­det war. Die vier Be­triebsräte hat­ten ei­nen Ge­samt­be­triebs­rat er­rich­tet.

Ei­ner der Be­triebsräte, der auch ei­nen Be­triebs­aus­schuss be­stellt hat­te, ver­lang­te vom Ar­beit­ge­ber im Ja­nu­ar 2015 Ein­sicht in Lis­ten über die Brut­tolöhne und -gehälter sämt­li­cher Ar­beit­neh­mer des Un­ter­neh­mens. Denn er woll­te nach­voll­zie­hen, ob der Ar­beit­ge­ber den un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­satz be­ach­tet und die Be­leg­schaft „sei­nes“ Be­triebs nicht be­nach­tei­ligt.

Nach­dem das Bus­un­ter­neh­men dem Be­triebs­rat bzw. dem Be­triebs­aus­schuss nur die Brut­to­lohn­lis­ten sei­nes Be­trie­bes vor­le­gen woll­te, zog der Be­triebs­rat vor Ge­richt. Da­mit woll­te er den Ar­beit­ge­ber ver­pflich­ten, den Mit­glie­dern sei­nes Be­triebs­aus­schus­ses Ein­sicht in Brut­to­lohn- und Ge­halts­lis­ten al­ler Ar­beit­neh­mer des Un­ter­neh­mens mit Aus­nah­me der lei­ten­den An­ge­stell­ten zu gewähren.

Das Ar­beits­ge­richt Elms­horn (Be­schluss vom 03.06.2015, 1 BV 10e/15) und das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Schles­wig-Hol­stein (Be­schluss vom 09.02.2016, 1 TaBV 43/15) ga­ben dem Be­triebs­rat Recht.

BAG: Ob­wohl der Gleich­be­hand­lungs­grund­satz be­triebsüberg­rei­fend gilt, kann der Be­triebs­rat nur in die Lohn­lis­ten der Ar­beit­neh­mer „sei­nes“ Be­triebs Ein­sicht neh­men

Das BAG hob die Ent­schei­dung der Vor­in­stan­zen auf und wies den An­trag des Be­triebs­rats ab. Zur Be­gründung heißt es:

Der Be­triebs­rat hat zwar nach § 80 Abs.1 Nr.1 Be­trVG auch über die Ein­hal­tung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes zu wa­chen, und die­ser fin­det un­ter­neh­mens­weit An­wen­dung, wenn sich die Ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers auf al­le oder meh­re­re Be­trie­be des Un­ter­neh­mens be­zieht. Dar­aus folgt al­ler­dings noch kein Ein­sichts­recht des Be­triebs­rats in die Lohn- und Ge­halts­lis­ten an­de­rer Be­trie­be.

Denn, so das BAG: Der Be­triebs­rat hat die Auf­ga­be, auf die Her­stel­lung in­ner­be­trieb­li­cher Lohn­ge­rech­tig­keit hin­zu­wir­ken, wor­aus ein Recht zur Ein­sicht in die Lohn­lis­ten gemäß § 80 Abs.2 Satz 2 Be­trVG folgt. Die­ses Ein­sichts­recht be­steht nach An­sicht des BAG al­ler­dings nicht, wenn ein Be­tei­li­gungs­recht oder ei­ne sons­ti­ge Auf­ga­be des Be­triebs­rats „of­fen­sicht­lich nicht in Be­tracht kommt“.

Das ist im Hin­blick auf den un­ter­neh­mens­weit gel­ten­den Gleich­be­hand­lungs­grund­satz laut BAG der Fall. Denn das Mit­be­stim­mungs­recht aus § 87 Abs.1 Nr.10 Be­trVG be­trifft nur „Fra­gen der be­trieb­li­chen Lohn­ge­stal­tung“, und auch das Über­wa­chungs­recht gemäß § 80 Abs.1 Satz 1 Be­trVG ist nach An­sicht des BAG kei­ne Auf­ga­be, auf die sich der Be­triebs­rat zur Be­gründung ei­nes Ein­sichts­rechts in die Lohn­lis­ten an­de­rer Be­trie­be be­ru­fen könn­te. Denn, so das BAG:

„Das bloße Er­mit­teln ei­ner Rechts­grund­la­ge für mögli­che Ent­gelt­kla­gen ein­zel­ner Ar­beit­neh­mer >ins Blaue hin­ein< ist nicht Teil der Über­wa­chungs­be­fug­nis­se nach § 80 Abs.1 Nr.1 Be­trVG. Die­se sind auf die Durchführung von Ar­beit­neh­mer­schutz­re­ge­lun­gen ge­rich­tet.“

Fa­zit: Die Ent­schei­dung des BAG hätte auch an­ders aus­fal­len können, denn auch das LAG Schles­wig-Hol­stein konn­te für sei­nen Be­schluss gu­te Ar­gu­men­te anführen. Letzt­lich be­ruht der BAG-Be­schluss auf der Über­le­gung, dass die Mit­be­stim­mungs- und Über­wa­chungs­rech­te des Be­triebs­rats auf „sei­nen“ Be­trieb be­grenzt sind.

Prak­tisch ge­se­hen heißt das: Die Durch­set­zung des un­ter­neh­mens­weit gel­ten­den Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes ist nicht Auf­ga­be des Be­triebs­ra­tes, son­dern des Ge­samt­be­triebs­rats.


Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 2. August 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 5.0 von 5 Sternen (1 Bewertung)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de