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ARBEITSRECHT AKTUELL // 18/143

BAG-Recht­spre­chung zum Vor­be­schäf­ti­gungs­ver­bot ge­kippt

Die BAG-Recht­spre­chung, die sach­grund­lo­se Be­fris­tun­gen mit dem­sel­ben Ar­beit­ge­ber nach drei­jäh­ri­ger Pau­se wie­der er­laubt, ist ver­fas­sungs­wid­rig: Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, Be­schluss vom 06.06.2018, 1 BvL 7/14, 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14
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13.06.2018. Seit sei­nem Ur­teil vom 06.04.2011 (7 AZR 716/09) legt das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) § 14 Abs.2 Satz 2 Teil­zeit- und Be­fris­tungs­ge­setz (Tz­B­fG) in dem Sin­ne aus, dass die Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­ver­hält­nis­ses oh­ne Sach­grund schon dann mög­lich ist, wenn zwi­schen den Par­tei­en mehr als drei Jah­re lang kein Ar­beits­ver­hält­nis be­stand (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/074 Sach­grund­lo­se Be­fris­tung von Ar­beits­ver­trä­gen er­leich­tert).

Die­se BAG-Recht­spre­chung war hef­tig um­strit­ten, da die aus dem Jah­re 2000 stam­men­de Be­fris­tungs­re­ge­lung des § 14 Abs.2 Satz 2 Tz­B­fG kei­ne An­halts­punk­te für ei­ne drei­jäh­ri­ge Ka­renz­zeit als Be­fris­tungs-Frei­brief bie­tet. Im Ge­gen­teil spricht viel da­für, dass die da­mals be­ste­hen­de rot-grü­ne Bun­des­tags­mehr­heit die Mög­lich­keit zu sach­grund­lo­ser Be­fris­tun­gen ziem­lich „ra­bi­at“, näm­lich auf den Fall des erst­ma­li­gen Ver­trags­ab­schlus­ses be­schrän­ken woll­te.

Vor die­sem Hin­ter­grund ha­ben seit 2011 ei­ni­ge Ar­beits- und Lan­des­ar­beits­ge­rich­te (LAG) ab­wei­chend von der BAG-Li­nie ent­schie­den, d.h. sie ha­ben Be­fris­tungs­kon­troll­kla­gen statt­ge­ge­ben, bei de­nen es um ei­ne sach­grund­lo­se Be­fris­tung ging, der wie­der­um ei­ne län­ger als drei Jah­re zu­rück­lie­gen­de Vor­be­schäf­ti­gung vor­aus­ging (wir be­rich­te­ten u.a. in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 16/347 Stutt­gar­ter LAG con­tra Bun­des­ar­beits­ge­richt).

Am Mitt­woch letz­ter Wo­che hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) ent­schie­den, dass die o.g. BAG-Recht­spre­chung ver­fas­sungs­wid­rig ist. Sie ver­stößt näm­lich ge­gen die Bin­dung der Jus­tiz an Ge­setz und Recht und da­mit ge­gen das Rechts­staats­prin­zip (Art.20 Abs.3 Grund­ge­setz - GG): BVerfG, Be­schluss vom 06.06.2018, 1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14.

Wel­che Gren­zen setzt die Ver­fas­sung der richter­recht­li­chen Rechts­fort­bil­dung?

§ 14 Abs.2 Tz­B­fG er­laubt bei Neu­ein­stel­lun­gen die Be­fris­tung von Ar­beits­verhält­nis­sen oh­ne ei­nen Sach­grund, al­ler­dings nur bis zu Ma­xi­mal­dau­er von zwei Jah­ren. Für länge­re Be­fris­tun­gen bzw. Be­fris­tungs­ket­ten sind sach­li­che Gründe er­for­der­lich.

Ob sol­che Gründe vor­lie­gen oder nicht, kann der be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer ge­richt­lich über­prüfen las­sen, was aus Ar­beit­ge­ber­sicht mit Ri­si­ken ver­bun­den ist. Da­her ist die sach­grund­lo­se Be­fris­tung für Ar­beit­ge­ber ei­ne gu­te, weil recht­lich si­che­re Be­fris­tungsmöglich­keit. § 14 Abs.2 Satz 1 und 2 Tz­B­fG lau­tet:

„Die ka­len­dermäßige Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­ver­tra­ges oh­ne Vor­lie­gen ei­nes sach­li­chen Grun­des ist bis zur Dau­er von zwei Jah­ren zulässig; bis zu die­ser Ge­samt­dau­er von zwei Jah­ren ist auch die höchs­tens drei­ma­li­ge Verlänge­rung ei­nes ka­len­dermäßig be­fris­te­ten Ar­beits­ver­tra­ges zulässig. Ei­ne Be­fris­tung nach Satz 1 ist nicht zulässig, wenn mit dem­sel­ben Ar­beit­ge­ber be­reits zu­vor ein be­fris­te­tes oder un­be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis be­stan­den hat.“

Gemäß dem o.g. BAG-Ur­teil vom 06.04.2011 (7 AZR 716/09) sind die Wor­te "be­reits zu­vor" im Sin­ne von "in­ner­halb der letz­ten drei Jah­re" zu ver­ste­hen. Ei­ne sach­grund­lo­se Be­fris­tung schei­tert die­ser Recht­spre­chung zu­fol­ge nicht an ei­nem frühe­ren Ar­beits­verhält­nis der­sel­ben Ver­trags­par­tei­en, wenn die­ses Ar­beits­verhält­nis länger als drei Jah­re zurück­liegt (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/074 Sach­grund­lo­se Be­fris­tung von Ar­beits­verträgen er­leich­tert).

Nach An­sicht des BAG und der Befürwor­ter sei­ner Recht­spre­chung genügt ei­ne dreijähri­ge Ka­renz­zeit, um den Miss­brauch sach­grund­lo­ser Be­fris­tun­gen durch sog. Ket­ten­be­fris­tun­gen zu ver­hin­dern. Für die­se An­sicht spricht vor al­lem der Fall sehr lan­ge zurück­lie­gen­der Vor­beschäfti­gun­gen: Wenn ein Un­ter­neh­men vor 20 Jah­ren ei­nen Ar­beit­neh­mer ein­mal als Werk­stu­den­ten beschäftigt hat, ist es sach­lich nicht nach­voll­zieh­bar, war­um die­ser al­te Sach­ver­halt 20 Jah­re später ei­ner sach­grund­lo­sen Be­fris­tung mit dem Ex-Werk­stu­den­ten ent­ge­gen­ste­hen soll­te.

Auch wenn die­se und ähn­li­che Über­le­gun­gen po­li­tisch vernünf­tig klin­gen: Die rot-grüne Bun­des­tags­mehr­heit des Jah­res 2000 hat sich bei der Re­form des Be­fris­tungs­rechts be­wusst an­ders ent­schie­den.

Im da­ma­li­gen Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren wur­de nämlich die Möglich­keit ei­ner kur­zen Ka­renz­zeit von ei­ni­gen Jah­ren dis­ku­tiert, fand aber kei­ne Zu­stim­mung. So hat­te der Sach­verständi­ge Prof. Preis oh­ne Er­folg ei­ne zweijähri­ge Ka­renz­zeit an­ge­regt (Bun­des­tag Drucks. 14/4625, S.18). Und die FDP kri­ti­sier­te an der ge­plan­ten Re­ge­lung, dass künf­tig "je­der Be­trieb nach­prüfen müsse, ob er den be­tref­fen­den Ar­beit­neh­mer be­reits als Aus­hilfs­kraft beschäftigt ha­be" (Bun­des­tag Drucks. 14/4625, S.20). Auch die­ser Ein­wand ge­gen ein zeit­lich un­be­fris­te­tes Vor­beschäfti­gungs­ver­bot konn­te sich im Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren nicht durch­set­zen.

Vor dem Hin­ter­grund die­ser Ge­setz­ge­bungs­ge­schich­te und an­ge­sichts des kla­ren Wort­lauts von § 14 Abs.2 Satz 2 Tz­B­fG („be­reits zu­vor“) wen­den Kri­ti­ker ge­gen die o.g. BAG-Recht­spre­chung ein, dass die­se die ver­fas­sungs­recht­lich vor­ge­schrie­be­ne Ge­set­zes­bin­dung der Recht­spre­chung ver­letzt, d.h. ge­gen Art.20 Abs.3 GG verstößt. Die­ser Kri­tik ha­ben sich in den ver­gan­ge­nen Jah­ren auch ei­ni­ge Lan­des­ar­beits­ge­rich­te (LAG) an­ge­schlos­sen, d.h. das BAG konn­te sich mit sei­ner Mei­nung nicht wirk­lich durch­set­zen (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 14/115 Sach­grund­lo­se Be­fris­tung und Vor­beschäfti­gung und in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 16/347 Stutt­gar­ter LAG con­tra Bun­des­ar­beits­ge­richt). 

Aber auch aus der po­li­tisch ent­ge­gen­ge­setz­ten Blick­rich­tung kann man die Ver­ein­bar­keit von § 14 Abs.2 Satz 2 Tz­B­fG mit der Ver­fas­sung in Zwei­fel zie­hen. Denn im­mer­hin ist der Ab­schluss be­fris­te­ter Ar­beits­verträge durch das Grund­recht der Be­rufs­frei­heit (Art.12 GG) geschützt, so dass ein zeit­lich „ewi­ges“ Ver­bot ei­nes sach­grund­los be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trags als Fol­ge ei­ner lan­ge zurück­lie­gen­den Vor­beschäfti­gung un­verhält­nismäßig und da­mit ver­fas­sungs­wid­rig sein könn­te.

Die Streitfälle: Ver­fas­sungs­be­schwer­de ei­nes im Ent­fris­tungs­pro­zess un­ter­le­ge­nen Ar­beit­neh­mers, Vor­la­ge­be­schluss des Ar­beits­ge­richts Braun­schweig

In ei­nem der bei­den Ver­fah­ren, über die das BVerfG zu ent­schei­den hat­te (1 BvR 1375/14), ging es um ei­nen Ar­beit­neh­mer, des­sen Ent­fris­tungs­kla­ge auf der Grund­la­ge der o.g. BAG-Recht­spre­chung rechts­kräftig ab­ge­wie­sen wor­den war (LAG Nürn­berg, Ur­teil vom 30.01.2014, 5 Sa 1/13, BAG, Be­schluss vom 30.04.2014, 7 AZN 119/14).

Das an­de­re Ver­fah­ren lan­de­te auf­grund ei­nes Vor­la­ge­be­schlus­ses des Ar­beits­ge­richts Braun­schweig (Be­schluss vom 03.04.2014, 5 Ca 463/13) in Karls­ru­he (1 BvL 7/14). Denn das Ar­beits­ge­richt in­ter­pre­tier­te § 14 Abs.2 Satz 2 Tz­B­fG ab­wei­chend vom BAG als zeit­lich un­be­grenz­tes Vor­beschäfti­gungs­ver­bot, be­wer­te­te ein so weit­ge­hen­des Ver­bot aber als Ver­let­zung der Be­rufs­frei­heit (Art.12 GG) von Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer so­wie als Ver­s­toß ge­gen den Gleich­be­hand­lungs­grund­satz (Art.3 GG).

BVerfG: Die vom BAG pos­tu­lier­te Drei-Jah­res-Gren­ze verstößt ge­gen die Ge­set­zes­bin­dung der Jus­tiz und ist da­her ver­fas­sungs­wid­rig

Das BVerfG ent­schied, dass die um­strit­te­ne Be­schränkung der sach­grund­lo­sen Be­fris­tung auf die (wirk­lich) erst­ma­li­ge Ein­stel­lung ei­nes Ar­beit­neh­mers in § 14 Abs.2 Satz 2 Tz­B­fG, d.h. ent­spre­chend der Aus­le­gung des Ar­beits­ge­richts Braun­schweig, we­der die Be­rufs­frei­heit der Ar­beit­neh­mer (Art.12 Abs.1 GG) noch die be­ruf­li­che und wirt­schaft­li­che Betäti­gungs­frei­heit der Ar­beit­ge­ber (Art.12 Abs.1, Art.2 Abs.1 GG) noch das all­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­bot (Art.3 Abs.1 GG) ver­letzt.

Denn wenn man die Ein­schränkun­gen der Ar­beits­ver­trags­frei­heit und da­mit der Be­rufs­frei­heit, die mit § 14 Abs.2 Satz 2 Tz­B­fG ver­bun­den sind, ge­gen die ge­setz­ge­be­ri­schen Zie­le abwägt, er­weist sich § 14 Abs.2 Satz 2 Tz­B­fG als ver­fas­sungs­kon­form. Die ge­setz­li­chen Be­schränkun­gen der Be­fris­tungsmöglich­keit die­nen nämlich der so­zia­len Ab­si­che­rung der Ar­beit­neh­mer und da­mit eben­falls ih­rer Be­rufs­frei­heit so­wie der Beschäfti­gungsförde­rung und da­mit dem So­zi­al­staats­prin­zip (Ur­teil, Rn.46 bis 48).

Bei der Be­wer­tung von § 14 Abs.2 Satz 2 Tz­B­fG als ver­fas­sungs­kon­form setzt das BVerfG al­ler­dings aus­drück­lich vor­aus, dass die Ar­beits­ge­rich­te sach­grund­lo­se Be­fris­tun­gen in ei­ni­gen (we­ni­gen) Ex­tremfällen trotz ei­ner Vor­beschäfti­gung als wirk­sam be­wer­ten können, um un­zu­mut­ba­re Ent­schei­dun­gen zu ver­mei­den.

Ei­ne sol­che, im Er­geb­nis nicht zur Un­wirk­sam­keit der Be­fris­tung führen­de Vor­beschäfti­gung kann z.B. ex­trem lan­ge zurück­lie­gen und/oder ei­nen ganz an­de­ren In­halt ha­ben und/oder sehr kurz ge­we­sen sein. Hier den­ken die Karls­ru­her Rich­ter an lan­ge zurück­lie­gen­de stu­den­ti­sche Mi­ni­jobs oder dgl. In sol­chen (sel­te­nen) Aus­nah­mefällen „können und müssen“ die Ar­beits­ge­rich­te durch ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­le­gung § 14 Abs. 2 Satz 2 Tz­B­fG ein­schränken (Ur­teil, Rn.63).

Die­se ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­te­nen Ein­schränkun­gen können al­ler­dings nicht sche­ma­tisch ent­spre­chend der bis­he­ri­gen BAG-Recht­spre­chung durch ei­ne frei er­fun­de­ne Drei-Jah­res-Gren­ze vor­ge­nom­men wer­den. An die­ser Stel­le bestäti­gen die Karls­ru­her Rich­ter die Kri­ti­ker der BAG-Recht­spre­chung: Sie setzt sich nämlich über die (auf­grund der Ge­set­zes­ma­te­ria­li­en klar er­kenn­ba­ren) Ab­sich­ten des Ge­setz­ge­bers hin­weg und plat­ziert an die Stel­le des ge­setz­ge­be­ri­schen Kon­zepts ei­nes ge­ne­rel­len bzw. zeit­lich un­be­schränk­ten Vor­beschäfti­gungs­ver­bots ein po­li­tisch ab­wei­chen­des ei­ge­nes Kon­zept, nämlich ei­ne zeit­lich be­schränk­te Ka­renz­zeit (Ur­teil, Rn.76, Rn.81 bis 87). Das verstößt ge­gen die Ge­set­zes­bin­dung der Jus­tiz bzw. ge­gen Art.20 Abs.3 GG.

Im Er­geb­nis be­ant­wor­te­te das BVerfG die Vor­la­ge­fra­ge des Ar­beits­ge­richts Braun­schweig in dem Sin­ne, dass § 14 Abs. 2 Satz 2 Tz­B­fG mit dem GG ver­ein­bar ist, vor­aus­ge­setzt, dass die­se Vor­schrift nur auf Fälle an­ge­wen­det wird,

„in de­nen die Ge­fahr der Ket­ten­be­fris­tung und ei­ne Ab­kehr von un­be­fris­te­ter Beschäfti­gung als Re­gel­fall be­steht“ (Ur­teil, Rn.88).

Wei­ter­hin hat­te die Ver­fas­sungs­be­schwer­de des im Ent­fris­tungs­pro­zess un­ter­le­ge­nen Ar­beit­neh­mers ge­gen die Ab­wei­sung sei­ner Kla­ge Er­folg (Ur­teil, Rn.89).

Fa­zit: Die ziem­lich selbst­herr­li­che und da­her ärger­li­che Recht­spre­chung des BAG, d.h. die vom BAG er­fun­de­ne dreijähri­ge Ka­renz­zeit als Frei­brief für sach­grund­lo­se Be­fris­tun­gen ist vom Tisch. Von sel­te­nen Aus­nah­mefällen ab­ge­se­hen führt je­de Vor­beschäfti­gung, d.h. auch ein lan­ge (zehn Jah­re, 15 Jah­re usw.) zurück­lie­gen­des Ar­beits­verhält­nis zur Un­wirk­sam­keit ei­ner sach­grund­lo­sen Be­fris­tung.

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Letzte Überarbeitung: 29. August 2019

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