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Arbeitsgericht Köln contra BAG
08.05.2019. Vor gut einem halben Jahr hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) eine überraschende Entscheidung zugunsten der Arbeitgeberseite gefällt.
Danach können sich Arbeitnehmer bei einem Zahlungsverzug ihres Arbeitgebers nicht auf § 288 Abs.5 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) berufen, so dass ihnen (über die Verzugszinsen hinaus) keine 40-Euro-Pauschale zusteht (BAG, Urteil vom 25.09.2018, 8 AZR 26/18, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 18/239 Keine Verzugskostenpauschale bei Gehaltsrückstand).
Vor einigen Wochen hat das Arbeitsgericht Köln im gegenteiligen Sinne entschieden und sich damit ausdrücklich gegen das BAG gestellt: Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 14.02.2019, 8 Ca 4245/18.
- Was geht vor: § 288 Abs.5 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) oder § 12a Abs.1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)?
- Im Streit: Arbeitnehmer eines Autoherstellers wird nach längerer Krankheit trotz Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nicht beschäftigt und nicht bezahlt
- Arbeitsgericht Köln: Arbeitnehmer können bei Zahlungsverzug des Arbeitgebers eine 40-Euro-Pauschale gemäß § 288 Abs.5 BGB verlangen
Was geht vor: § 288 Abs.5 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) oder § 12a Abs.1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)?
Gemäß § 288 Abs.5 BGB haben Gläubiger bei Zahlungsverzug des Schuldners einen Anspruch auf 40,00 EUR Verzugskostenpauschale. Auf den ersten Blick gilt dieser Anspruch für alle Vertragsverhältnisse und damit auch für Arbeitsverhältnisse. In § 288 Abs.5 BGB heißt es:
"Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist."
Für die Anwendbarkeit von § 288 Abs.5 BGB zugunsten von Arbeitnehmern in Fällen des Lohnverzugs sprechen folgende Überlegungen:
- Arbeitnehmer sind "Gläubiger einer Entgeltforderung". Denn sie haben einen Anspruch auf Zahlung von Lohn bzw. Gehalt, das der Arbeitgeber für die erhaltene Arbeitsleistung bezahlen muss.
- Der Arbeitgeber ist kein Verbraucher, sondern Unternehmer im Sinne von § 14 Abs.1 BGB. Danach ist Unternehmer jede "natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt."
Gegen die Anwendbarkeit von § 288 Abs.5 BGB im Arbeitsrecht spricht allerdings § 12a Abs.1 Satz 1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG). Diese Regelung lautet:
"In Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs besteht kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Entschädigung wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten oder Beistands."
Zwar schließt § 12a Abs.1 Satz 1 ArbGG den Anspruch auf Erstattung von Rechtsverfolgungskosten, insbesondere von Rechtsanwaltskosten, nach seinem Wortlaut nur für Gerichtsverfahren aus, doch gilt dieser Ausschluss der Kostenerstattung nach jahrzehntelang "geltender" Rechtsprechung des BAG auch für die Einschaltung eines Anwalts im außergerichtlichen Stadium. Denn durch den Ausschluss der Abwälzung von Anwaltskosten auf die Gegenpartei sollen Kostenrisiken vermindert und Arbeitnehmer geschützt werden, und das macht auch bei außergerichtlichen Streitigkeiten Sinn.
BEISPIEL: Ein Arbeitnehmer beauftragt einen Anwalt damit, rückständige Lohnforderungen beizutreiben, und zwar zunächst außergerichtlich durch ein an den Arbeitgeber gerichtetes Anwaltsschreiben. Für die Kosten eines solchen Schreibens müsste normalerweise der säumige Schuldner aufkommen, da es sich bei den Anwaltskosten um einen Teil des Verzugsschadens handelt. Allerdings schließt § 12a Abs.1 Satz 1 ArbGG einen solchen Kostenerstattungsanspruch nach der BAG-Rechtsprechung aus, da § 12a Abs.1 Satz 1 ArbGG eben nicht nur für Gerichtsprozesse, sondern bereits bei außergerichtlichen Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gilt.
Vor diesem Hintergrund spricht § 12a Abs.1 Satz 1 ArbGG dagegen, die Verzugspauschalen-Regelung (§ 288 Abs.5 BGB) im Arbeitsrecht anzuwenden. Denn in § 288 Abs.5 BGB heißt es ja ausdrücklich, dass die 40-Euro-Pauschale auf einen Schadensersatzanspruch des Gläubigers anzurechnen ist, soweit dieser Schaden "in Kosten der Rechtsverfolgung begründet" ist. Einen solchen Anspruch auf Ersatz von Rechtsverfolgungskosten haben Arbeitnehmer und Arbeitgeber aber wegen § 12a Abs.1 Satz 1 ArbGG generell nicht.
Daher ist fraglich, ob § 288 Abs.5 BGB gegenüber § 12a Abs.1 Satz 1 ArbGG vorrangig ist oder umgekehrt. Diese Frage hat das BAG im September 2018 zugunsten von § 12a Abs.1 Satz 1 ArbGG entschieden (BAG, Urteil vom 25.09.2018, 8 AZR 26/18, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 18/239 Keine Verzugskostenpauschale bei Gehaltsrückstand). Nach Ansicht des BAG haben Arbeitnehmer keinen Anspruch auf die 40-Euro-Pauschale, wenn der Arbeitgeber mit Gehaltszahlungen in Verzug ist.
Das sieht das Arbeitsgericht Köln jetzt anders und stellt sich damit gegen das BAG.
Im Streit: Arbeitnehmer eines Autoherstellers wird nach längerer Krankheit trotz Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nicht beschäftigt und nicht bezahlt
Im Fall des Arbeitsgerichts Köln wollte ein Kölner Autohersteller einen etwa 18 Monate lang krankheitsbedingt abwesenden Mitarbeiter nicht wieder beschäftigen, da ein Wiedereingliederungsversuch im Mai 2018 - aus Sicht des Autoherstellers - gescheitert war. Der Arbeitgeber ging von fortbestehender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit aus.
Der Mitarbeiter ließ nicht locker und legte im Juni 2018 ein fachärztliches Positiv-Attest vor, das ihm Arbeitsfähigkeit bescheinigte. Außerdem stellte er sich beim Betriebsarzt vor. Dieser führte einen Reaktionstest durch, den der Arbeitnehmer bestand.
Nach einigem Hin und Her arbeitete der Mitarbeiter ab September 2018 wieder, doch waren die Löhne für die Juni, Juli und August im Streit. Denn während dieser Zeit hatte der Arbeitnehmer nicht gearbeitet und das Unternehmen wollte daher keinen Lohn bezahlen.
Der Arbeitnehmer erhob daher wegen dieser drei Monatslöhne Lohnklage vor dem Arbeitsgericht Köln, wobei er erhaltenes Arbeitslosengeld in Abzug brachte. Andererseits verlangte er eine Verzugspauschale von jeweils 40,00 EUR für Juni und für Juli 2018, insgesamt somit 80,00 EUR.
Arbeitsgericht Köln: Arbeitnehmer können bei Zahlungsverzug des Arbeitgebers eine 40-Euro-Pauschale gemäß § 288 Abs.5 BGB verlangen
Das Arbeitsgericht Köln verurteilte den Autohersteller antragsgemäß zur Zahlung des rückständigen Arbeitslohnes und der 80,00 EUR Verzugspauschale. In den Urteilsgründen setzt sich das Gericht ausführlich mit dem BAG-Urteil vom 25.09.2018 (8 AZR 26/18) auseinander und verweigert dem BAG die Gefolgschaft. Denn, so das Arbeitsgericht Köln:
§ 12a Abs.1 Satz 1 ArbGG ist eine bundesgesetzliche Vorschrift und steht daher auf gleicher Ebene wie § 288 Abs.5 BGB. Allerdings ist § 12a Abs.1 Satz 1 ArbGG die ältere Vorschrift. Daher kann sie § 288 Abs.5 BGB (der erst ab Juli 2014 gilt) als jüngere bzw. spätere Norm nicht verdrängen (Arbeitsgericht Köln, Urteil, Leitsatz 3.). Und in der Tat geht die juristische Methodenlehre in solchen Fällen im Allgemeinen von der Vorrangregel aus, dass die jüngere Norm die ältere verdrängt.
Vor diesem Hintergrund hätte der Gesetzgeber, so das Arbeitsgericht, bei Erlass des § 288 Abs.5 BGB dessen Unanwendbarkeit im Arbeitsrecht ausdrücklich klarstellen müssen, wenn er denn gewollt hätte, dass Arbeitnehmern keine 40-Euro-Pauschale zustehen soll. Eine solche Klarstellung findet sich aber in den Gesetzesmaterialien nicht (Arbeitsgericht Köln, Urteil, Leitsatz 4.).
Schließlich hält das Arbeitsgericht dem BAG entgegen, dass § 12a Abs.1 Satz 1 ArbGG (entgegen der Ansicht des BAG) nicht sämtliche bis zum Schluss der ersten Instanz entstandenen Beitreibungskosten und damit auch die Verzugspauschale ausschließen kann, denn eine solche Interpretation der beiden fraglichen Paragraphen ist widersprüchlich (so jedenfalls das Arbeitsgericht). Denn nach der Gesetzesbegründung zu § 288 Abs.5 BGB beinhaltet der Begriff der „Beitreibungskosten“ auch die Verzugszinsen, die aber nach allgemeiner Ansicht auch Arbeitnehmern bei Lohnrückständen zustehen (Arbeitsgericht Köln, Urteil, Leitsatz 5.).
Das Arbeitsgericht beruft sich im Wesentlichen auf die Gesetzesbindung der Gerichte (Arbeitsgericht Köln, Urteil, Rn.108 bis 111). Dabei erinnert das Arbeitsgericht daran, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erst im Sommer 2018 die Um-Interpretation des zeitlich unbegrenzten Vorbeschäftigungsverbots bei der sachgrundlosen Arbeitsvertrags-Befristung in eine dreijährige Karenzzeit durch das BAG als verfassungswidrige Verletzung der Gesetzesbindung (Art.20 Abs.3 Grundgesetz - GG) beanstandet bzw. diese BAG-Rechtsprechung gekippt hat (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 18/143 BAG-Rechtsprechung zum Vorbeschäftigungsverbot gekippt).
Dazu heißt es in dem Urteil des Arbeitsgerichts Köln (Rn.108 bis 111):
"Ein Gericht kann eine bundesgesetzliche Norm nicht einfach unangewendet lasen (...) Insofern hat auch jüngst der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts (...) entschieden, dass richterliche Rechtsfortbildung den klaren Willen des Gesetzgebers nicht übergehen und durch ein eigenes Regelungsmodell ersetzen darf (...). Im Zweifelsfall ist eine gesetzliche Regelung so anzuwenden, wie sie im Gesetz steht."
Fazit: Es ist zwar keine wirtschaftlich sehr bedeutsame Frage, ob Arbeitnehmer bei Zahlungsverzug des Arbeitgebers die 40-Euro-Pauschale gemäß § 288 Abs.5 BGB verlangen können oder nicht. Das Arbeitsgericht Köln hat aber zurecht deutlich gemacht, dass es bei dieser Frage ums Prinzip geht, nämlich um die Gesetzesbindung der Justiz.
Praktisch gesehen spricht das Urteil des Arbeitsgerichts aus Arbeitnehmersicht dafür, die Pauschale in geeigneten Fällen jetzt doch wieder geltend zu machen. Denn ob das jeweils angerufene Arbeits- oder Landesarbeitsgericht dem (reichlich selbstherrlichen) BAG-Urteil vom 25.09.2018 (8 AZR 26/18) folgt oder nicht, ist eine offene Frage.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 14.02.2019, 8 Ca 4245/18
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.09.2018, 8 AZR 26/18
- Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 10.10.2017, 8 Sa 284/17
- Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 22.11.2016, 12 Sa 524/16
- Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 13.10.2016, 3 Sa 34/16
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- Musterschreiben: Mahnschreiben wegen Gehaltsrückstandes
- Musterschreiben: Abmahnung - Musterschreiben „Abmahnung wegen Zahlungsverzugs“
- Musterschreiben: Zurückbehaltungsrecht - Ausübung
- Arbeitsrecht aktuell: 18/239 Keine Verzugskostenpauschale bei Gehaltsrückstand
- Arbeitsrecht aktuell: 18/143 BAG-Rechtsprechung zum Vorbeschäftigungsverbot gekippt
- Arbeitsrecht aktuell: 16/370 LAG Köln: Bei Zahlungsverzug werden 40,00 EUR fällig
- Arbeitsrecht aktuell: 16/347 Stuttgarter LAG contra Bundesarbeitsgericht
Letzte Überarbeitung: 28. September 2021
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