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ARBEITSRECHT AKTUELL // 15/144

Ver­fas­sungs­ge­richt be­stä­tigt Ta­rif­un­fä­hig­keit der CG­ZP

Kein Ver­stoß ge­gen das Rechts­staats­prin­zip durch rück­wir­ken­de ge­richt­li­che Fest­stel­lung der CG­ZP-Ta­rif­un­fä­hig­keit: Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, Be­schluss vom 25.04.2015, 1 BvR 2314/12
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02.06.2015. Seit das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) vor ei­ni­gen Jah­ren fest­ge­stellt hat, dass die Ta­rif­ge­mein­schaft Christ­li­cher Ge­werk­schaf­ten für Zeit­ar­beit und Per­so­nal-Ser­vice-Agen­tu­ren (CG­ZP) kei­ne wirk­sa­men Ta­rif­ver­trä­ge ab­schlie­ßen kann, ist es still um die­se Or­ga­ni­sa­ti­on ge­wor­den.

Denn der we­sent­li­che Zweck der CG­ZP be­stand dar­in, den Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men ex­trem ar­beit­ge­ber­freund­li­che Bil­lig-"Ta­rif­ver­trä­ge" zur Ver­fü­gung zu stel­len, um durch de­ren An­wen­dung den an­sons­ten ein­grei­fen­den Equal-Pay-Grund­satz aus­zu­he­beln.

Vor ei­ni­gen Wo­chen hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) ent­schie­den, dass die ge­gen die CG­ZP er­gan­ge­nen Ent­schei­dun­gen des BAG ver­fas­sungs­recht­lich in Ord­nung wa­ren: BVerfG, Be­schluss vom 25.04.2015, 1 BvR 2314/12.

Können Ar­beits­ge­rich­te Ta­rif­verträgen rück­wir­kend die Gel­tung neh­men?

Ändert ein Bun­des­ge­richt wie der Bun­des­ge­richts­hof (BGH) oder das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­ner Grund­satz­ent­schei­dung sei­ne bis­he­ri­ge Recht­spre­chung zu ei­ner be­stimm­ten Fra­ge, so legt es manch­mal fest, dass die geänder­te Recht­spre­chung erst ab ei­nem be­stimm­ten Zeit­punkt gel­ten soll. So hat bei­spiels­wei­se das BAG sei­ne 2004 geänder­te Aus­le­gung von ar­beits­ver­trag­li­chen Be­zug­nah­men auf Ta­rif­verträge aus­drück­lich nicht auf Ar­beits­verträge an­ge­wandt, die vor 2002 ab­ge­schlos­sen wur­den.

Hin­ter­grund sol­cher Alt­fall­re­ge­lun­gen und Über­g­angs­fris­ten ist die Tat­sa­che, dass die von Ände­run­gen der höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung be­trof­fe­nen Bürger in ih­rem Ver­trau­en in den Fort­be­stand der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung geschützt wer­den sol­len, zu­min­dest für ei­ne ge­wis­se Zeit. Denn der Schutz des Ver­trau­ens in ei­ne be­re­chen­ba­re Pra­xis von Behörden und Ge­rich­ten ist Be­stand­teil des Rechts­staats­prin­zips (Art.20 Abs.3 Grund­ge­setz - GG).

An die­ser Stel­le gibt es al­ler­dings ei­nen er­heb­li­chen Un­ter­schied zwi­schen der Rück­wir­kung von Ge­set­zen und der Rück­wir­kung von Ge­richts­ent­schei­dun­gen. Denn während die nachträgli­che Ände­rung be­reits ab­ge­wi­ckel­ter, der Ver­gan­gen­heit an­gehören­der Sach­ver­hal­te ("ech­te Rück­wir­kung") durch ein Ge­setz im All­ge­mei­nen ver­fas­sungs­recht­lich un­zulässig ist, ist ei­ne sol­che Rück­wir­kung ge­richt­li­cher Ent­schei­dun­gen in der Re­gel zulässig.

Die Recht­spre­chung er­zeugt nämlich auch dann, wenn sie von ei­nem Bun­des­ge­richt stammt, kei­ne über den Ein­zel­fall hin­aus­rei­chen­de for­mal­ju­ris­ti­sche Bin­dung der Bürger. Da­her ist die Ände­rung ei­ner ständi­gen höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung mit dem ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­te­nen Ver­trau­ens­schutz ver­ein­bar, wenn sie aus­rei­chend be­gründet ist und sich im Rah­men ei­ner vor­her­seh­ba­ren Ent­wick­lung hält.

Von die­ser Re­gel ist nur dann ei­ne Aus­nah­me zu ma­chen, wenn ei­ne höchst­rich­ter­li­che Recht­spre­chung langjährig und ge­fes­tigt war, d.h. wenn das Bun­des­ge­richt über Jah­re hin­weg im­mer wie­der be­tont hat, an sei­ner Recht­spre­chung auch in Zu­kunft fest­hal­ten zu wol­len. In sol­chen Fällen kann es auf­grund des Rechts­staats­prin­zips ge­bo­ten sein, ei­ne Recht­spre­chungsände­rung durch Über­g­angs­fris­ten zu ergänzen und/oder Altfälle von der geänder­ten Recht­spre­chung aus­zu­neh­men.

Mögli­cher­wei­se be­steht die Not­wen­dig­keit von Über­g­angs­fris­ten zur Wah­rung des Rechts­staats­prin­zips auch dann, wenn das BAG als höchs­tes Ar­beits­ge­richt ei­nen in der Ver­gan­gen­heit viel­fach an­ge­wand­ten Ta­rif­ver­trag für nich­tig erklärt.

Im Streit: Die CG­ZP-Be­schlüsse des LAG Ber­lin-Bran­den­burg und des BAG aus dem Jah­re 2012

Seit An­fang 2004 ist im Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ge­set­zes (AÜG) der Grund­satz der glei­chen Be­zah­lung („equal pay“) von Leih­ar­beit­neh­mern und Stamm­be­leg­schaft fest­ge­schrie­ben, al­ler­dings mit ei­ner Aus­nah­me für den Fall, dass die Zeit­ar­beits­fir­ma auf ih­re Ar­beit­neh­mer ei­nen spe­zi­ell für die "Bran­che" der Leih­ar­beit gel­ten­den Ta­rif­ver­trag an­wen­det. Ein sol­cher Leih­ar­beits­ta­rif­ver­trag kann schlech­te­re Löhne und Ar­beits­be­din­gun­gen vor­se­hen als die­je­ni­gen, die für die Stamm­be­leg­schaft im Ent­lei­her­be­trieb gel­ten (§ 9 Nr.2 AÜG).

Sol­che Bil­lig-Ta­rif­verträge für die Leih­ar­beits­bran­che hat­te seit 2004 die CG­ZP ab­ge­schlos­sen und da­mit den Zeit­ar­beits­fir­men die ju­ris­ti­sche Möglich­keit eröff­net, vom Equal-Pay-Grund­satz ab­zu­wei­chen. Die­se "Ta­rif­verträge" tru­gen der CG­ZP den Ruf ein, ein willfähri­ges U-Boot der Zeit­ar­beits­fir­men zu sein. Ob die CG­ZP über­haupt ei­ne ech­te Ge­werk­schaft und ob ih­re "Ta­rif­verträge" mehr als ein Täuschungs­manöver wären, war da­her seit 2004 in der po­li­ti­schen und ju­ris­ti­schen Dis­kus­si­on.

Im De­zem­ber 2010 sprach das BAG der CG­ZP die Ta­riffähig­keit ab, und zwar aus for­mal­ju­ris­ti­schen Gründen, die mit Mängeln der CG­ZP-Sat­zung zu tun hat­ten (BAG, Be­schluss vom 14.12.2010, 1 ABR 19/10 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/034 BAG: Die CG­ZP kann kei­ne Ta­rif­verträge ab­sch­ließen), doch hat­te die­se Ent­schei­dung kei­ne Ver­bind­lich­keit für die Zeit vor dem 07.12.2009, dem Tag der münd­li­chen Ver­hand­lung in der Vor­in­stanz.

Die Ta­rif­unfähig­keit der CG­ZP für die Zeit da­vor stell­te das BAG in ei­nem wei­te­ren Be­schluss vom Mai 2012 fest (BAG, Be­schluss vom 22.05.2012, 1 ABN 27/12). Ge­nau­er ge­sagt wies das BAG die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de ge­gen ei­nen sol­chen Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg vom 09.01.2012 (24 TaBV 1285/11) zurück (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/211 CG­ZP - Ta­rif­verträge endgültig ge­kippt).

Hier­ge­gen wand­ten sich ei­ni­ge Zeit­ar­beits­fir­men mit ei­ner Ver­fas­sungs­be­schwer­de vor dem BVerfG in Karls­ru­he, denn aus ih­rer Sicht ver­stieß die rück­wir­ken­de Fest­stel­lung der Ta­rif­unfähig­keit der CG­ZP ge­gen die Grundsätze der Rechts­si­cher­heit und des Ver­trau­ens­schut­zes und da­mit ge­gen das Rechts­staats­prin­zip (Art.20 Abs.3 GG).

BVerfG: Rechts­staats­prin­zip ge­wahrt - kein Ver­s­toß ge­gen Rechts­si­cher­heit und Ver­trau­ens­schutz

Das BVerfG wies die Ver­fas­sungs­be­schwer­den zurück (Be­schluss vom 25.04.2015, 1 BvR 2314/12), und zwar mit fol­gen­der Be­gründung:

Die Zeit­ar­beits­fir­men konn­ten auf kei­ne für sie güns­ti­ge höchst­rich­ter­li­che Recht­spre­chung ver­trau­en, denn ei­ne sol­che Recht­spre­chung gab es nie. Um­ge­kehrt: Als sich das BAG im De­zem­ber 2012 erst­mals mit der Fra­ge der Ta­riffähig­keit der CG­ZP be­fass­te, kam es zu ei­nem für die CG­ZP und die Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men ungüns­ti­gen Er­geb­nis (Ta­rif­unfähig­keit).

Ein schützens­wer­tes Ver­trau­en in den Fort­be­stand ei­ner höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung konn­te da­her von vorn­her­ein nicht ent­ste­hen. Dar­an ändert auch die et­was über­ra­schen­de Be­gründung der BAG-Ent­schei­dung mit for­mal­ju­ris­ti­schen Sat­zungs­feh­lern nichts, so die Karls­ru­her Rich­ter.

Ergänzend weist das BVerfG dar­auf hin, dass die Ta­riffähig­keit der CG­ZP von Be­ginn ih­rer Tätig­keit an öffent­lich in Fra­ge ge­stellt wur­de. Über die­se Zwei­fel ha­ben sich die kla­gen­den Zeit­ar­beits­fir­men hin­weg­ge­setzt und die Bil­lig-"Ta­ri­fe" der CG­ZP zu ih­rem Vor­teil an­ge­wandt. Da­mit ha­ben sie das Ri­si­ko in Kauf ge­nom­men, dass später ein­mal die Ta­rif­unfähig­keit der CG­ZP fest­ge­stellt wer­den könn­te.

Sch­ließlich konn­ten sich die Zeit­ar­beits­fir­men auch nicht dar­auf be­ru­fen, dass die Ar­beits­agen­tu­ren bei der Er­tei­lung von Er­laub­nis­sen zur Ar­beit­neh­merüber­las­sung Kennt­nis da­von hat­ten, dass die Mus­ter­ar­beits­verträge der an­trag­stel­len­den Zeit­ar­beits­fir­men auf die "Ta­rif­verträge" der CG­ZP ver­wie­sen. Auch dar­aus folgt kein ver­fas­sungs­recht­lich schützens­wer­tes Ver­trau­en der Zeit­ar­beits­fir­men, denn die Ent­schei­dung über die Ta­riffähig­keit ei­ner Ge­werk­schaft liegt al­lein bei den Ge­rich­ten für Ar­beits­sa­chen und nicht bei ei­ner Behörde wie der Ar­beits­agen­tur.

Fa­zit: Die Ent­schei­dung des BVerfG ist über­zeu­gend und konn­te kaum an­ders aus­fal­len. Hätte das BAG die Ta­rif­unfähig­keit der CG­ZP nicht auch für die Ver­gan­gen­heit fest­ge­stellt, wäre das ei­ne Ein­la­dung an die Ar­beit­ge­ber zu ei­nem Katz-und-Maus-Spiel ge­we­sen: Kaum wird die Ta­rif­unfähig­keit der ei­nen Zeit­ar­beits-"Ge­werk­schaft" fest­ge­stellt, wird schon die nächs­te ge­gründet und schließt neue "Ta­rif­verträge" ab. Ei­nem sol­chen Thea­ter ist mit der ak­tu­el­len BVerfG-Ent­schei­dung der Bo­den ent­zo­gen.

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Letzte Überarbeitung: 7. Dezember 2016

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