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LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20.01.2011, 11 Sa 353/10
Schlagworte: | Kündigung: Verhaltensbedingt | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz | |
Aktenzeichen: | 11 Sa 353/10 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 20.01.2011 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Koblenz, Urteil vom 8.06.2010, 12 Ca 137/10 | |
Aktenzeichen:
11 Sa 353/10
12 Ca 137/10
ArbG Koblenz
Entscheidung vom 20.01.2011
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 08.06.2010, Az: 12 Ca 137/10, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um den Bestand des Arbeitsverhältnisses nach Ausspruch einer arbeitgeberseitigen ordentlichen Kündigung.
Die Beklagte betreibt Lebensmittel-Discounter und beschäftigt ständig mehr als 10 Vollzeitarbeitnehmer. Der am 31.01.1961 geborene, verheiratete und 2 Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 15.12.1995 seit dem 02.01.1996 bei der Beklagten als Bezirksleiter/Bereichsleiter beschäftigt. Sein Bruttomonatsverdienst beträgt durchschnittlich 6.300,00 EUR. Als Bereichsleiter ist der Kläger verantwortlich für eine Anzahl ihm anvertrauter Filialen. Die Bereichsleiter sind fachlich den Verkaufsleitern unterstellt, disziplinarisch den Niederlassungsleitern.
Am 15.09.2008 erinnerte die im Verkaufssekretariat tätige Frau K. auf Bitten des zuständigen Verkaufsleiters, Herrn F., den Kläger an fehlende Umsatzmeldungen. Im Rahmen des diesbezüglich von Frau K. mit dem Kläger geführten Telefonats unterstrich sie die ohnehin bekannte Wichtigkeit der Vorlage der abgemahnten Meldung und erklärte des Weiteren, dass der Verkaufsleiter Herr F. größten Wert auf den nunmehr umgehenden Vollzug lege. Der Kläger kommentierte dies mit der Äußerung: "Jawohl, mein Führer".
Frau K. informierte den Verkaufsleiter F.über diese Äußerung des Klägers, der sodann am Wochenende mit dem Kläger telefonierte. Die Einzelheiten des Telefonats sind zwischen den Parteien streitig. Anschließend entschuldigte sich der Kläger bei Frau K. für seine Äußerung.
Über die mit Schreiben vom 29.09.2008 von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses führten die Parteien einen Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Koblenz bzw. zweitinstanzlich dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (Az: 12 Ca 2360/08 sowie 11 Sa 263/09). Der Tenor des erstinstanzlichen Urteils lautete: "Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.09.2008 nicht beendet worden ist." Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz wies durch Urteil vom 17.12.2009 die Berufung der Beklagten rechtskräftig zurück. Wegen der Einzelheiten des Urteils des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 17.12.2009 wird auf das in JURIS vollständig veröffentlichte Urteil verwiesen.
Mit Schreiben vom 28.12.2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.05.2010 (Bl. 10 f. d. A.).
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28.12.2009 nicht aufgelöst wird, sondern ungekündigt fortbesteht,
die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens in ihrem Zweigbetrieb in A-Stadt als Bezirksleiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, bei der Äußerung des Klägers am 15.09.2008 handele es nicht um einen einmaligen Vorfall, da der Kläger dieselbe Äußerung gegenüber Frau K. schon zuvor einmal in einem Telefonat wegen fehlender Umsatzmeldungen am 01.09.2008 gemacht habe. Weiterhin habe sich eine Kundin namens Sch. per E-Mail vom 16.09.2008 beschwert über das von ihr bei einem Einkauf am 02.09.2008 beobachtete Verhalten des Klägers gegenüber der Mitarbeiterin M..
Das Arbeitsverhältnis sei auch zuvor nicht unbelastet gewesen, da es in den Jahren 2002 bis 2007 zu Kritikschreiben, Ermahnungen und Abmahnungen gekommen sei. Wegen der Einzelheiten dieses Sachvortrags wird auf den Schriftsatz vom 06.04.2010, Bl. 55 ff. d. A., verwiesen. Ergänzend wird zur Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Übrigen auf den Tatbestand des Arbeitsgerichts Koblenz im Urteil vom 08.06.2010 Bezug genommen (Bl. 126 - 129 d. A.)
Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht Koblenz in vollem Umfang nach den Klageanträgen erkannt.
Diese Entscheidung hat es - zusammengefasst - damit begründet, die streitgegenständliche ordentliche Kündigung sei nicht aus verhaltensbedingten Gründen gerechtfertigt, da sich die Beklagte auf die von ihr vorgetragenen Kündigungsgründe nicht berufen könne. Es handele sich vorliegend insoweit nämlich um eine unzulässige Wiederholungskündigung, da das rechtskräftige Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 17.12.2009 (11 Sa 263/09) hinsichtlich dieser Sachverhalte bereits über die fehlende soziale Rechtfertigung entschieden habe. Das Vorbringen der Beklagten in der Berufungsinstanz und das Berufungsurteil des Landesarbeitsgerichts vom 17.12.2009 belegten, dass von der Beklagten der vorliegend streitgegenständlichen ordentlichen Kündigung vom 28.12.2009 derselbe Sachverhalt zugrunde gelegt werde, den sie bereits im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz - 11 Sa 263/09 - zur Begründung der damals streitgegenständlichen Kündigung vom 29.09.2008 angeführt habe. Die Beklagte habe im vorliegenden Kündigungsschutzverfahren lediglich hinsichtlich der substantiierten Darlegung dieses Sachverhaltes nachgebessert. Auch das Argument, dem Verfahren des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz habe eine fristlose Kündigung zugrunde gelegen während nunmehr eine ordentliche Kündigung streitgegenständlich sei, greife nicht. Das Landesarbeitsgericht habe in den Entscheidungsgründen festgestellt, dass selbst bei Umdeutung dieser Kündigung vom 29.09.2008 in eine ordentliche Kündigung diese nicht nach § 1 Abs. 1 und 2 KSchG aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt wäre. Daran ändere auch die Formulierung im Konjunktiv nichts. Die Tatsache, dass das Landesarbeitsgericht über den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag der Beklagten entschieden habe, der seitens des Arbeitgebers nur gestellt werden dürfe, falls auch die vorsorglich ausgesprochene ordentliche Kündigung oder die mittels Umdeutung anzunehmende ordentliche Kündigung nicht sozial gerechtfertigt sei, zeige eindeutig, dass das Landesarbeitsgericht auch über die Unwirksamkeit der Kündigung vom 29.09.2008 als umgedeutete ordentliche Kündigung rechtskräftig entschieden habe. Denn ansonsten wäre der Auflösungsantrag der Beklagten bereits mit dem Argument abgelehnt worden, dass dieser im Falle einer fristlosen Kündigung nicht vom Arbeitgeber gestellt werden könne.
Damit sei der Kündigungsschutzantrag begründet, und der Weiterbeschäftigungsanspruch sei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, ausgehend von der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27.02.1985 ebenfalls begründet.
Wegen der weiteren Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 08.06.2010 (Bl. 129 - 135 d.A.) Bezug genommen.
Das Urteil vom 08.06.2010 ist der Beklagten am 01.07.2010 zugestellt worden. Hiergegen hat sie mit am 08.07.2010 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 01.10.2010, gleichtägig eingegangen, innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet (Bl. 164 ff. d. A.).
Nach Maßgabe dieses Schriftsatzes, auf den zur Ergänzung verwiesen wird, macht sie zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen geltend, sie habe mit der Kündigung vom 29.09.2008 keine hilfsweise erklärte ordentliche und fristgerechte Kündigung verbunden. Sie habe sich in dem Verfahren des Arbeitsgerichts Koblenz (12 Ca 2360/08) bzw. des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz (11 Sa 263/09) auch nicht auf eine entsprechende Umdeutung der außerordentlichen und fristlosen Kündigung in eine ordentliche und fristgerechte Kündigung berufen. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz habe sich in seiner Entscheidung lediglich in einem obiter dictum, gekennzeichnet durch die Verwendung des Konjunktivs, mit einer etwaigen Umdeutung in eine ordentliche Kündigung befasst. Bei der Kündigung vom 28.12.2009 handele es sich deshalb nicht um eine unzulässige Wiederholungskündigung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, sondern um eine nach rechtskräftiger Entscheidung über die außerordentliche Kündigung weiterhin mögliche ordentliche Kündigung auf der Grundlage derselben Kündigungsgründe. Die Beklagte sei deshalb nicht gehindert, die streitgegenständliche ordentliche Kündigung auf das letztlich unstreitige Geschehen vom 15.09.2008, das streitige, unter Beweisantritt vorgetragene vergleichbare Geschehen bereits am 01.09.2008 sowie das erstinstanzlich durch Bezugnahme auf eine Kunden-E-Mail dargestellte Verhalten des Klägers im Beisein der Kundin Sch. zu stützen. Da sich die Beklagte im Verfahren weder auf eine Umdeutung berufen habe, noch die Einlassung beider Parteien hierauf abgezielt habe, habe sich das Arbeitsgericht Koblenz nicht mit mehr befasst als von den Parteien beantragt worden sei. Gleiches gelte auch für das Berufungsverfahren, in welchem weder klägerseits noch von Beklagtenseite eine ordentliche und fristgerechte Kündigung thematisiert worden sei. Folgerichtig sei das Landesarbeitsgericht zu einer "Verböserung" des erstinstanzlichen Urteils weder berechtigt gewesen, noch habe es eine solche vorgenommen. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz habe auch keinerlei Feststellungen über eine Umdeutung der Kündigung getroffen, sondern ausschließlich im Konjunktiv ausgeführt, dass die Kündigung vom 29.09.2008 auch als umgedeutete ordentliche Kündigung ungerechtfertigt wäre.
Den Vorfall vom 01.09.2008, den sie im Vorprozess lediglich im Rahmen der Interessenabwägung in den Rechtsstreit eingeführt habe, lege sie nunmehr als weiteren Kündigungsgrund der Kündigung zugrunde, sowie weiterhin den Vorwurf unangemessenen Verhaltens gegenüber einer Mitarbeiterin im Beisein der Kundin Sch..
Durch Schriftsatz vom 08.10.2010 hat der Kläger der Partnergesellschaft T., L. & Partner, Rechtsanwälte, sowie Herrn Rechtsanwalt Volker L. den Streit verkündet.
Er beantragt,
auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 08.06.2010, Az: 12 Ca 137/10, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten beider Rechtszüge.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, eine erneute materielle Prüfung des zur Begründung der ersten Kündigung ge- und verbrauchten Kündigungsgrundes dürfe im vorliegenden Kündigungsschutzverfahren nicht erfolgen. Aus den Gründen des Urteils des Landesarbeitsgerichts im ersten Kündigungsschutzverfahren folge, dass das Landesarbeitsgericht in Anwendung der Grundsätze des § 140 BGB über eine ordentliche Kündigung entschieden habe. Diese Auffassung stützt er auf die im Urteil enthaltenen Sätze auf Seite 17
"Die vorliegende Beleidigung der Mitarbeiterin Frau K. führt im Rahmen einer Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips, nicht zum Überwiegen der berechtigten Interessen der kündigenden Beklagten an der vorzeitigen (auch nicht ordentlichen) Beendigung des Arbeitsverhältnisses"
sowie auf Seite 18 des Urteils des Landesarbeitsgerichts
"Auch als umgedeutete ordentliche Kündigung wäre die Kündigung vom 29.09.2008 sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 1 und 2 KSchG und daher unwirksam. Auch insoweit erscheint die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien nach Einzelfallumständen nicht angemessen.".
Auch das Vorbringen der Beklagten im Vorprozess habe die Umdeutung gerechtfertigt, da sie geltend gemacht habe, das angebliche Fehlverhalten des Klägers sei derart gravierend, "dass eine weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien, und sei es auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist, nicht in Betracht" komme. Die Beklagte habe im gleichen Schriftsatz betont, dass es an einer Basis für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses fehle.
Zur Sache macht der Kläger unter Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Vortrag weiterhin geltend, der ihm unmittelbar vorgesetzte Zeuge F. habe dem Kläger am 27.09.2008 mitgeteilt, dass die Beklagte dem Kläger lediglich eine Ermahnung ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen erteilen würde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags beider Parteien wird auf die vorgetragenen Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.
II. Die Berufung war insgesamt zurückzuweisen, da das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28.12.2009 nicht aufgelöst worden ist und der Kläger einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses hat. Die Berufungskammer folgt im Ergebnis der angefochtenen Entscheidung des Arbeitsgerichts Koblenz.
1. Der Kündigungsschutzantrag ist begründet. Zutreffend ist das Arbeitsgericht Koblenz zu dem Ergebnis gekommen, dass die streitgegenständliche ordentliche Kündigung der Beklagten vom 28.12.2009 nicht aus verhaltenbedingten Gründen im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG gerechtfertigt ist.
1.1. Dies folgt allerdings nicht bereits daraus, dass es dem Arbeitgeber verwehrt ist, eine erneute Kündigung auf Gründe zu stützen, die in einem rechtskräftig abgeschlossenen Vorprozess Grundlage der dort streitgegenständlichen Kündigung waren.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Berufungskammer anschließt (22.05.2003 - 2 AZR 485/02 - BB 2003, 1905 bis 1906), ist das Urteil in dem ersten Kündigungsschutzprozess in der Weise präjudiziell für das zweite Verfahren über eine weitere Kündigung aufgrund derselben Kündigungsgründe, dass eine erneute materielle - möglicherweise von dem Ergebnis des ersten Prozesses abweichende - Nachprüfung des zur Stützung der ersten Kündigung verbrauchten Kündigungsgrundes in dem zweiten Verfahren nicht erfolgen darf. Der Arbeitgeber kann allenfalls noch kündigen, wenn er andere Kündigungsgründe geltend macht (und dabei vielleicht den verbrauchten Kündigungsgrund unterstützend heranzieht), wenn sich der Sachverhalt wesentlich geändert hat und damit ein neuer Kündigungstatbestand vorliegt, wenn er nunmehr nicht fristlos, sondern fristgerecht kündigen will oder wenn die Kündigungserklärung aus nicht materiellrechtlichen Gründen (Formmangel, fehlerhafte Betriebsratsanhörung etc.) unwirksam war. Jedenfalls mit der bloßen Wiederholung der Kündigung aufgrund desselben Kündigungssachverhaltes ist er ausgeschlossen (BAG a. a. O., B I. 1. a) der Gründe).
1.2. Maßgeblich für die materielle Prüfung der Kündigungsgründe durch die Berufungskammer ist daher, dass - entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts - über eine ordentliche Kündigung, die auf die streitgegenständlichen Kündigungsgründe gestützt worden wäre, in dem Verfahren 12 Ca 2360/08/11 Sa 263/09 nicht bereits rechtskräftig entschieden worden ist.
Der Umfang des in Rechtskraft erwachsenen Gegenstands der Entscheidung aus dem Vorprozess ist nicht bereits dem Urteilstenor zu entnehmen. Dieser lautet in der Fassung des arbeitsgerichtlichen Urteils, das in der Berufung aufrechterhalten wurde: "Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.09.2008 nicht beendet worden ist." und lässt damit vom Wortlaut her offen, ob durch außerordentliche oder ordentliche Kündigung, mit oder ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden sollte. Er entspricht mit dieser Formulierung dem seitens des Klägers erhobenen Klageantrag mit Ausnahme des Zusatzes "sondern ungekündigt fortbesteht". Diesen hat das Arbeitsgericht ausweislich der Entscheidungsgründe zu A. als lediglich erläuternden Zusatz ohne eigenen Antragsinhalt nicht in die Entscheidung einbezogen (Seite 5 des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 10.03.2009 in 12 Ca 2360/08, Bl. 61 d.A.).
Damit war auch ausweislich der weiteren Entscheidungsgründe der Entscheidung des Arbeitsgerichts Koblenz vom 10.03.2009 unter Berücksichtigung des punktuellen Streitgegenstandsbegriffs, der sich aus §§ 13, 4, 7 KSchG ergibt, Gegenstand der arbeitsgerichtlichen Entscheidung ausschließlich anlässlich einer ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung der Bestand des Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt des Zugangs dieser Kündigungserklärung.
Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat diesen Ausspruch auf die Berufung der Beklagten bestätigt. Zutreffend weist die Beklagte nunmehr darauf hin, dass im gesamten Berufungsverfahren des Vorprozesses ein weiterer Beendigungstatbestand und sei es im Wege der Umdeutung der erklärten außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung von den Parteien nicht eingeführt worden ist. Ergänzend hebt die erkennende Berufungskammer hervor, dass insbesondere weder entsprechend § 6 KSchG im Vorprozess auf eine Erweiterung der Klageanträge hingewirkt wurde, noch eine ausdrückliche Erweiterung der Klageanträge durch Einbeziehung einer etwaig umzudeutenden ordentlichen Kündigung erfolgt ist.
Die zitierten Ausführungen im Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 17.12.2009 rechtfertigen keine anderweitige Bewertung des Streitgegenstandes. Dort ist in den Gründen erkennbar vorsorglich eine Abwägung der Interessenlage auch für den Fall einer etwaig umzudeutenden ordentlichen Kündigung vorgenommen worden. Durch die Verwendung des Konjunktivs hat das Landesarbeitsgericht in der Entscheidung deutlich gemacht, dass die Erwägungen gerade nicht entscheidungstragend sind. Auch die Systematik des Urteils zeigt, dass die Überlegungen im Rahmen der Prüfung der ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung erfolgen, die das Landesarbeitsgericht in dem Gliederungspunkt II. 1. seiner Urteilsbegründung vorgenommen hat, eingeführt durch den Obersatz "Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien wurde durch die von der Beklagten unter dem 29. September ausgesprochene außerordentliche Kündigung nicht beendet." und endend mit der abschließenden Feststellung "Die Berufungskammer hält daher trotz der verbalen Entgleisung des Klägers den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung als ultima ratio für nicht angemessen.".
Abweichend von dem durch Tenor, zugrunde liegenden Antrag und von den Parteien in das Verfahren eingeführten Sachverhalt, wie er im Tatbestand wiedergegeben ist, abweichend weiter von Wortlaut und Systematik der Entscheidungsgründe den Streitgegenstand auf weitere Ausführungen in den Entscheidungsgründen zu stützen, mit der Argumentation, die Zurückweisung des Auflösungsantrages hätte mit anderer Begründung erfolgen müssen, verbietet sich. Dazu enthält das vorliegend angefochtene Urteil, das sich der Kläger insofern zu eigen macht, die Argumentation, die Abweisung des Auflösungsantrags der Beklagten sei mangels Vorliegens der in §§ 9, 10, 14 Abs.2 KSchG normierten Eigenschaft eines leitenden Angestellten in Person des Klägers als unbegründet erfolgt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dürfe aber der Arbeitgeber einen Auflösungsantrag nur stellen, falls er auch vorsorglich ordentlich gekündigt habe. Dies zeige eindeutig, dass das Landesarbeitsgericht auch über die Unwirksamkeit der Kündigung vom 29.09.2008 als umgedeutete ordentliche Kündigung mit entschieden habe. Ansonsten wäre der Auflösungsantrag der Beklagten ebenfalls bereits mit dem Argument abgelehnt worden, dass dieser im Falle einer fristlosen Kündigung nicht vom Arbeitgeber gestellt werden kann. Diese Argumentation des Arbeitsgerichts Koblenz in der vorliegend angefochtenen Entscheidung vom 08.06.2010 ist in keiner Weise zwingend. Führen mehrere alternative Begründungen jeweils selbständig zu dem gefundenen Ergebnis, hier der fehlenden Begründetheit des Auflösungsantrags, so kann die Zugrundelegung des einen Begründungsstranges ohne jedwede ausdrücklichen Ausführungen zu dem anderen Begründungsstrang - auf die ständige Rechtsprechung des BAG zur Zulässigkeit des arbeitgeberseitigen Auflösungsantrags nimmt das LAG-Urteil vom 17.12.2009 an keiner Stelle Bezug - nicht den Schluss rechtfertigen, die andere alternative Begründung werde verneint. Bei mehreren alternativen Argumenten, die jeweils eigenständig das Ergebnis begründen, sind weitere Ausführungen gerade nicht erforderlich. Schlüsse verbieten sich, selbst wenn das Gericht nicht den "einfachsten Begründungsweg" gewählt hat.
Insgesamt bezieht sich danach die rechtskräftige Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz aus dem Urteil vom 17.12.2009 ausschließlich auf die außerordentliche Kündigung.
1.3. Der Kündigungsschutzantrag des Klägers ist dennoch begründet, da die streitgegenständliche ordentliche Kündigung der Beklagten vom 28.12.2009 nicht aus verhaltensbedingten Gründen im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG gerechtfertigt ist.
Zwar liegt ein Grund vor, der an sich geeignet ist, eine verhaltensbedingte Kündigung des Klägers gemäß § 1 Abs. 2 KSchG zu rechtfertigen. Dieser Grund führt jedoch im Rahmen der Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht zum Überwiegen der Interessen der kündigenden Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
1.3.1. Im Ausgangspunkt ist, wie von der Berufung geltend gemacht, davon auszugehen, dass grobe Beleidigungen des Arbeitgebers und/oder seiner Vertreter oder Repräsentanten einerseits oder von Arbeitskollegen andererseits, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den bzw. für die Betroffenen bedeuten, einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen und sogar eine außerordentliche fristlose Kündigung an sich rechtfertigen (BAG vom 10.10.2002 - 2 AZR 418/01 - DB 2003, 1797 ff., LAG Rheinland-Pfalz vom 25.05.2007 - 6 Sa 143/07 - zitiert nach JURIS). Der Arbeitnehmer kann sich dann nicht erfolgreich auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung (Artikel 5 Abs. 1 GG) berufen. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit schützt zum einen weder Formalbeleidigungen und bloße Schmähungen noch bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen. Zum anderen ist dieses Grundrecht nicht schrankenlos gewährt, sondern wird insbesondere durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Artikel 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss in ein ausgeglichenes Verhältnis mit diesem gebracht werden (BAG, a. a. O. mit Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Zwar können die Arbeitnehmer des Unternehmens öffentlich Kritik am Arbeitgeber und den betrieblichen Verhältnissen, gegebenenfalls auch überspitzt oder polemisch, äußern. In groben Maße unsachliche Angriffe, die unter anderem zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber dagegen nicht hinnehmen. Dabei ist die strafrechtliche Beurteilung kündigungsrechtlich nicht ausschlaggebend. Auch eine einmalige Ehrverletzung ist kündigungsrelevant und umso schwerwiegender, je unverhältnismäßiger und überlegter sie erfolgte (BAG, a. a. O.).
1.3.2. Bereits das unstreitig zugestandene Verhalten des Klägers am 15.09.2008 überschreitet die danach maßgebliche Grenze der noch zulässigen kritischen Äußerung und Polemik. Zugestanden hat der Kläger die einmalige Äußerung der Worte "Jawohl, mein Führer" als Reaktion auf die von ihm als eine Entgleisung im Ton und als Anmaßung der Frau K. empfundene Aufforderung zur umgehenden Nachreichung der Umsatzmeldung.
Darüber hinaus stützt die Beklagte die von ihr nunmehr ausgesprochene ordentliche Kündigung auf das streitige Vorbringen eines vergleichbaren Verhaltens in gleicher Situation bereits am 01.09.2008 sowie unangemessenes, von einer Kundin kritisiertes Verhalten am 02.09.2008.
Ist eine Pflichtverletzung erfolgt - sei es im unstreitigen Umfang, sei es darüber hinaus unter Berücksichtigung der weiteren Kündigungsgründe - so ist die Wirksamkeit der Kündigung weiter davon abhängig, ob die Pflichtverletzung im Rahmen einer Interessenabwägung und besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Arbeitgebers an der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt.
Nach der von der Berufungskammer vorgenommenen Bewertung des gesamten Kündigungssachverhaltes kommt es auf die Erweislichkeit des Beklagtenvortrages zu einem bereits am 01.09.2008 vorangegangenen Vorfalls nicht an, da die in jedem Fall vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des Klägers auszufallen hätte. Der Vorfall vom 02.09.2009 kann bereits mangels Substantiierung des dem Kläger vorgeworfenen Verhaltens nicht zugrunde gelegt werden. Im Einzelnen sind folgende Erwägungen maßgeblich:
1.3.2.1 Die Beklagte legt ihrer Kündigungsentscheidung in vorliegendem Verfahren nunmehr ausdrücklich auch das Verhalten des Klägers vom 02.09.2008 zugrunde, das von ihr auch in vorliegendem Prozess ausschließlich durch Bezugnahme auf den Inhalt einer E-Mail einer Kundin eingeführt wird.
Soweit die Beklagte inhaltlich auf die Ausführungen der E-Mail Bezug nimmt und hervorhebt, der Kläger habe Belegschaftsmitglieder "wie beim Militär" behandelt, so ist weder das Verständnis der Kundin noch der Beklagten von einer Behandlung wie beim Militär dargelegt, geschweige denn ein konkreter Vorwurf gegenüber dem Kläger beschrieben. Soweit vorgetragen wird, dem Kläger stehe es nicht zu, Maßregelungen von Mitarbeitern im Beisein von Kunden vorzunehmen, so enthält weder der Schriftsatz Ausführungen, worin diese Maßregelungen bestanden hätten, noch lässt sich dies der E-Mail entnehmen. Die Kammer schließt sich hier auch ausdrücklich der Bewertung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz in der Entscheidung vom 17.12.2009 über genau diesen, ebenso wenig substantiiert vorgetragenen Vorwurf an. Auch in vorliegendem Verfahren ist es dem Vortrag der Beklagten nicht zu entnehmen, in welcher Form die Zurechtweisung einer Verkäuferin aus welchem Grund erfolgt sein soll. Nachgereicht wurde seit dem Vorprozess über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung lediglich der Namen der betroffenen Verkäuferin.
1.3.2.2 Die Kammer hatte zur Vermeidung einer überflüssigen Beweisaufnahme, soweit neben dem unstreitigen Vorfall vom 15.09.2008 der Vortrag eines weiteren vergleichbaren Vorfalls am 01.09.2008 betroffen ist, eine hypothetische Abwägung der Interessen für den Fall der vollen Erweislichkeit des Vortrags der Beklagten vorzunehmen. Die Erweislichkeit einer bereits am 01.09.2008 in vergleichbarer Situation erfolgten Äußerung "Jawohl, mein Führer" gegenüber der Arbeitnehmerin K. war deshalb für die Abwägung zunächst zu unterstellen.
Zwar kann nicht nachvollzogen werden, aus welchen Gründen im Falle eines sich wiederholenden exakt gleichen Gesprächsverlaufs mit der wortgleichen, dem Kläger vorgeworfenen Äußerung, die nach den Angaben der Beklagten die Gefühle der betroffenen Mitarbeiterin jeweils erheblich verletzt habe, die Beschwerde der Mitarbeiterin erst nach dem zweiten Vorfall und allein bezogen auf den zweiten Vorfall gegenüber dem Vorgesetzten vorgetragen worden ist, im weiteren Verlauf ein Personalgespräch ausschließlich über den zweiten Vorfall geführt wurde, eine Entschuldigung nur für den zweiten Vorfall vom Vorgesetzten angesprochen, vom Kläger erklärt und von der betroffenen Mitarbeiterin entgegen genommen wurde, und die Begründung der außerordentlichen Kündigung ausschließlich auf den zweiten Vorfall gestützt wurde und erst mit der Berufungsbegründung im Vorprozess mit Schriftsatz vom 02.07.2009 - zu diesem Zeitpunkt noch unsubstantiiert - ein vergleichbarer vorangegangener Vorfall eingeführt wurde, und auch die weitere Argumentation im Vorprozess konsequent zu dem Vorfall unter Verwendung des Singulars durchgehalten wurde, wenn doch das dem Kläger vorgeworfene Verhalten sich in gleicher Weise an zwei Tagen im Abstand von 14 Tagen wiederholt hat.
Die Kammer unterstellt dennoch aus prozessökonomischen Gründen die volle Erweislichkeit des vorangegangenen Vorgangs am 01.09.2008, exakt übereinstimmend mit dem, der sich unstreitig auch am 15.09.2008 ereignet hat, da eine Beweisaufnahme nur durchzuführen ist, wenn es für die Entscheidung auf sie ankommt. Innerhalb der Bewertung des Geschehens ist dann allerdings die unstreitig unterbliebene Reaktion am 01.09.2010 ebenso zugrunde zu legen wie die unstreitige Tatsache, dass das Telefonat zwischen Herrn F.und dem Kläger sich ausschließlich auf den 15.09. bezog, ebenso wie die gegenüber Frau K. ausgesprochene und entgegen genommene Entschuldigung.
Auch nach der deshalb vorzunehmenden Bewertung einer nicht "einmaligen Entgleisung", sondern des zweimaligen Pflichtverstoßes führt die in jedem Fall vorzunehmende Interessenabwägung zum Überwiegen des klägerischen Interesses am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und die ausgesprochene verhaltensbedingte Kündigung erweist sich als unverhältnismäßig.
1.3.3. Bei den widerstreitenden Interessen beider Parteien ist auf Seiten der Beklagten insbesondere das Maß der Pflichtverletzung und der damit einhergehenden Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses zu bewerten.
Für das Maß des mit den Äußerungen verbundenen Beleidigung kommt es auf In halt und Zusammenhang der Äußerungen an.
Die Anrede "Jawohl mein Führer" ist ein eindeutig aus dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch entstammendes Zitat. Die Äußerung enthält unmittelbar weder einen Vergleich mit der Person noch mit dem Verhalten des "Führers" Hitler. Allerdings hat der Kläger die Anrede gewählt, mit der sich dieser als Ausdruck des unbedingten Befehlsgehorsams hat anreden lassen. Ein etwaiger Vergleich bezieht sich damit unmittelbar auf die Erwartung unbedingten Befehlsgehorsams.
Soweit der Kläger sich allerdings darauf bezieht, Frau K. habe sich ihm gegenüber im Ton vergriffen und er habe hierauf humorvoll und durch die Verwendung militärischer Sprache reagieren wollen, so ist dem Kläger entgegenzuhalten, dass das von ihm gewählte Zitat über die danach beabsichtigte Kritik am Befehlston der Frau K. deutlich hinausgeht und eine eindeutige Anspielung auf den nationalsozialistischen Machthaber Hitler enthält. Eine solche Anspielung verbietet sich im innerbetrieblichen Gebrauch, da es sich um einen Tabubruch durch Verwendung des aus dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch entstammenden Zitats handelt und damit geeignet ist, die Gefühle der betroffenen Mitarbeiterin zu verletzen.
Dem Kläger kann nicht zugestimmt werden, soweit er meint, heutzutage sei die humorvolle und kabarettistische Aufarbeitung der nationalsozialistischen Zeit möglich und verbreitet, jedenfalls soweit der Kläger dies auf das Ausüben polemischer Kritik in der betrieblichen Zusammenarbeit erstrecken will. Damit verkennt der Kläger den Zusammenhang der Äußerung. Er hat sich gerade nicht über die Nationalsozialisten lustig gemacht, sondern sein Spott zielte auf Frau K.. In diesem Zusammenhang verbietet sich auch nach der Einschätzung der erkennenden Kammer jede Anspielung auf den Nationalsozialismus. In der Bewertung des Maßes der Beleidigung teilt die Kammer allerdings angesichts der Umstände nicht die drastische Einschätzung der erstinstanzlichen Entscheidung im Vorprozess über die außerordentliche Kündigung, durch die Äußerung stelle der Kläger Frau K. hinsichtlich ihrer Handlungs- und Verhaltensweise mit Menschen auf eine Stufe, die in der Zeit des Nationalsozialismus Verbrechen anordneten und begingen. Wie ausgeführt, impliziert das Zitat gerade nicht unmittelbar den Vergleich mit Personen oder mit Handlungs- oder Verhaltensweisen, sondern mit der Erwartung unbedingten Befehlsgehorsams. Die Äußerung enthält also eine beleidigende Anspielung nicht aber einen - noch deutlich beleidigenderen - Vergleich. Auch nach der Einschätzung der Kammer handelt es sich aber um eine ernst zu nehmende Pflichtverletzung im Arbeitsverhältnis, die gerade im Falle der Wiederholung des Verhaltens innerhalb kurzer Frist von zwei Wochen als solche geeignet ist, als Grundlage für eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung herangezogen zu werden.
Durch die - zu unterstellende - Wiederholung des Tabubruchs kommt eine Beharrlichkeit auf Seiten des Klägers zum Ausdruck, die zu seinen Lasten zu berücksichtigen wäre, gleichzeitig wird auch unter Berücksichtigung seines prozessualen Sachvortrags zur "humoristischen Aufarbeitung des Dritten Reichs" erst recht im Falle der Wiederholung deutlich, dass der Kläger diesen Tabubruch leicht nimmt. In diesem Fall kann die bei der ersten Äußerung auch nach dem zu unterstellenden Sachvortrag der Beklagten gänzlich fehlende Reaktion geeignet sein, diese Einschätzung des Klägers zu verstärken bzw. ihm den Eindruck zu vermitteln, dass auch die Betroffene den Vorgang leicht genommen hat.
1.3.4. Die durch diese Gesamtumstände gekennzeichneten, zugrunde zu legenden Pflichtverletzungen des Klägers führen im Rahmen der stets gebotenen Interessenabwägung nicht zum Überwiegen der Interessen der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Eine Abmahnung wäre als milderes Mittel gegenüber der Kündigung angemessen und ausreichend gewesen, um einen künftigen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu erreichen.
Für eine verhaltensbedingte Kündigung gilt das Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht eine Sanktion für eine Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch für die Zukunft belastend auswirken (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. 23.06.2009 - 2 AZR 283/08 - NZA 2009, 1168 ff., 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 - DB 2010, 2395 ff.). Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde auch zukünftig den Arbeitsvertrag nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine vorausgegangene einschlägige Abmahnung voraus. Diese dient der Objektivierung der negativen Prognose. Liegt eine ordnungsgemäße Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer erneut seine vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsverstößen kommen. Außerdem ist die Abmahnung als milderes Mittel in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einer Kündigung vorzuziehen, wenn durch ihren Ausspruch das Ziel - ordnungsgemäße Vertragserfüllung - erreicht werden kann (BAG, a. a. O.). Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren. Nach dieser Norm ist eine Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach einer erfolglosen Abmahnung zulässig.
Allerdings kann eine Abmahnung bei schweren Pflichtverletzungen entbehrlich sein. Bei einer schweren Pflichtverletzung ist nämlich regelmäßig dem Arbeitnehmer die Rechtswidrigkeit seines Handelns ohne weiteres genauso erkennbar, wie der Umstand, dass eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG, a. a. O.).
Gemessen hieran bedurfte es auch im Falle voller Erweislichkeit, soweit der Kündigungssachverhalt streitig ist, vor dem Ausspruch der Kündigung einer Abmahnung. Die dem Kläger vorgeworfenen Verhaltensmängel können von diesem für die Zukunft abgestellt werden. In Anwendung des Prognosegrundsatzes ist für den vorliegenden Fall festzuhalten, dass gerade, da der Kläger die von ihm getätigten Äußerungen leichtfertig ausgesprochen und den für die Betroffene beleidigenden Charakter der Äußerungen nicht erkannt hat, die Erwartung berechtigt ist, dass der Kläger sich eine Warnung mit Kündigungsdrohung zu Herzen nehmen werde und das Arbeitsverhältnis vertragsgerecht fortgesetzt werden könnte. Diese Erwartung wird bestätigt durch die vom Kläger, nachdem er vom Vorgesetzten telefonisch zur Rede gestellt worden war, gegenüber der betroffenen Mitarbeiterin erklärte Entschuldigung.
Danach liegen die Voraussetzungen für die Entbehrlichkeit einer Abmahnung nicht vor.
Gleichzeitig war eine vorherige, einschlägige und erfolglose Abmahnung unstreitig nicht erteilt worden.
Die von der Beklagten in den Rechtsstreit eingeführten "Abmahnungen" aus den Jahren 2002 bis 2006, deren Rechtswirksamkeit dahingestellt, betreffen die Umsetzung arbeitgeberseitiger Vorgaben in den Filialen und in einem Fall Verstöße gegen Sozialversicherungs- und Steuerrecht und damit einen anderen Pflichtenkreis.
Demnach hätte unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Beklagte es bei einer Abmahnung bewenden lassen müssen und die ausgesprochene Kündigung erweist sich als rechtsunwirksam.
2. In Ergebnis und Begründung zutreffend hat das Arbeitsgericht die Beklagte deshalb auch zur einstweiligen Weiterbeschäftigung des Klägers für die Dauer des Kündigungsschutzrechtsstreits verurteilt und hierbei zutreffend die Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27.02.1985 (GS 1/84, NZA 1985, 702 ff.) zugrunde gelegt.
II. Insgesamt ist die Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge aus §§ 97 Abs. 1, 91 ZPO zurückzuweisen.
Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.
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