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LAG Köln, Beschluss vom 07.10.2011, 4 TaBV 52/11
Schlagworte: | Betriebsratsmitglied | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Köln | |
Aktenzeichen: | 4 TaBV 52/11 | |
Typ: | Beschluss | |
Entscheidungsdatum: | 07.10.2011 | |
Leitsätze: | 1. Auch durch eine Regelungsabrede kann eine von § 38 Abs. 1 S. 1 - 4 BetrVG abweichende anderweitige Regelung über die Freistellung vereinbart werden. § 38 Abs. 1 S. 5 ist insoweit nicht abschließend. 2. Eine solche durch Regelungsabrede getroffene Vereinbarung ist wie eine Betriebsvereinbarung analog § 77 Abs. 5 BetrVG kündbar. | |
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 6.04.2011, 7 BV 234/10 | |
4 TaBV 52/11
7 BV 234/10
Arbeitsgericht Köln
Verkündet am 07. Oktober 2011
E,
Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN
BESCHLUSS
In dem Beschlussverfahren
mit den Beteiligten
1. - Antragsteller und Beschwerdeführer -
Verfahrensbevollmächtigte:
2. - Antragsgegner -
Verfahrensbevollmächtigte:
hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Anhörung vom 07.10.2011 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. B als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter E und B
b e s c h l o s s e n:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 06.04.2011 - 7 BV 234/11 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
G r ü n d e
I.
Die Beteiligten streiten um den Umfang der dem Betriebsrat zustehenden Freistellungen.
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Die Arbeitgeberin ist eine internationale Luftfahrtgesellschaft, die in K ihre Hauptverwaltung unterhält.
Im Zuge der Einführung einer neuen Konzernstruktur seit dem Jahre 1995 und der damit verbundenen Ausgliederung von Betriebsteilen der Arbeitgeberin auf selbständige Konzerngesellschaften war zwischen der Arbeitgeberin und weiteren Gesellschaften auf der einen Seite und dem Betriebsrat auf der anderen Seite streitig, ob ein Gemeinschaftsbetrieb in K fortbestehe. Anlässlich diesbezüglicher gerichtlicher Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Betriebsratswahl 1998 kam es im Jahre 2000 zu einer Vereinbarung über das gemeinsame Verständnis der betrieblichen Strukturen in der Hauptverwaltung K. Diese wurde von dem Betriebsrat, der Arbeitgeberin und weiteren Gesellschaften unterzeichnet. Insoweit wird auf Bl. 12. d. A. Bezug genommen. Die Arbeitgeberin übersandte dem Betriebsrat diese Vereinbarung mit einem Anschreiben vom 10.02.2000 (Bl.13 d. A.), in dem sie unter anderem ihre Rechtsauffassung hinsichtlich des aktiven und passiven Wahlrechts der betroffenen Mitarbeiter äußerte. Am Schluss des Schreibens heißt es:
„Für den Fall, dass der Betriebsrat der L-AG, unter die Zahl von 600 Mitarbeitern sinken sollte, sagt die L-AG zu, dennoch zwei Mitglieder von der Arbeit freizustellen (§ 38 BetrVG)“.
§ 38 wurde durch das Betriebsverfassungsgesetz vom 23.07.2001 geändert. Der Schwellenwert wurde auf 500 Arbeitnehmer abgesenkt.
In den folgenden Betriebsratswahlen 2002 (626 Beschäftigte) und 2006 (575 Beschäftigte) kam es auf das Schreiben vom 10.02.2000 nicht an.
Inzwischen ist die Belegschaftsstärke in der K Hauptverwaltung auf etwa 440 Beschäftigte abgesunken. Der Betriebsrat wurde im Mai 2010 neu gewählt.
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Es wurden 11 Mitglieder in den Betriebsrat gewählt. Der Betriebsrat bestimmte zunächst 2 Betriebsratsmitglieder zur Freistellung in Vollzeit, nämlich Herrn B, den Vorsitzenden, und Frau S. Nachdem Frau S auf Grund einer Altersteilzeitvereinbarung aus dem Betriebsrat ausgeschieden ist, wurde an deren Stelle Frau M als weiteres freigestelltes Betriebsratsmitglied bestimmt. Frau M hat allerdings nur eine Teilzeitstelle von 80 % inne. Für die verbleibenden 20 % bestimmte der Betriebsrat Herrn P.
Mit Schreiben vom 10.06.2010 erklärte die Arbeitgeberin den Widerruf, hilfsweise die Kündigung der Zusage vom 10.02.2000. Ausweislich dieses Schreibens (Bl. 14 d. A.) sollten die damals vom Betriebsrat beschlossenen Freistellungen für die laufende Amtszeit unberührt bleiben. Die weitere Freistellung Herrn P lehnt die Arbeitgeberin unter Hinweis auf den aus ihrer Sicht fehlenden Freistellungsanspruch ab (Bl. 112 d. A.).
Für sein Feststellungsinteresse hat sich der Betriebsrat zunächst darauf berufen, dass davon auszugehen sei, dass die Anzahl der regelmäßig Beschäftigten im Betrieb der Hauptverwaltung auch bei der nächsten Betriebsratswahl im Jahre 2014 unter 500 liegen werde und die Anzahl der vorzunehmenden Freistellungen damit maßgeblich von der Zusage aus dem Jahr 2000 abhängen werde. Der dem vorliegenden Antrag zugrunde liegende Konflikt werde damit neu entstehen.
Der Betriebsrat ist der Auffassung, dass es sich bei dem Schreiben vom 10.02.2010 um eine einseitige Zusage handele, die über das Jahr 2002 hinaus Rechtswirkungen erzeuge und als solche nicht gekündigt werden könne. Sie umgreife auch die heute in § 38 Abs. 1 Satz 5 BetrVG getroffene Regelung, dass Teilfreistellungen möglich seien.
Der Betriebsrat hat beantragt,
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festzustellen, dass mindestens zwei Mitglieder des Antragstellers freizustellen sind, auch wenn die Anzahl der regelmäßig Beschäftigten im Betrieb der Hauptverwaltung des Arbeitgebers unter 500 absinken sollte, ohne dass es einer konkreten Darlegung der Erforderlichkeit der Freistellung eines über die Zahlenstaffel des § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hinausgehenden Betriebsratsmitglieds bedarf.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
das Arbeitsgericht hat den Antrag als unzulässig mangels erforderlichen Feststellungsinteresses abgewiesen. Gegen diesen ihm am 27.05.2011 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 14.06.2011 Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet. Er führt weiter aus, warum ein Feststellungsinteresse gegeben sei. Insoweit wird auf die Beschwerdebegründung (Bl. 101 – 103 d. A.) Bezug genommen.
Der Betriebsrat beruft sich zur Auslegung des Schreibens vom 10.02.2000 darauf, Hintergrund der erweiterten Freistellungen sei es gewesen, dass eine größere Anzahl von Freistellungen dauerhaft auf Grund der Tatsache geboten gewesen sei, dass die in dem Betrieb der Arbeitgeberin angesiedelten Arbeitsplätze und die dort bestehenden Arbeitsbedingungen sehr unterschiedlicher Natur seien, so dass eine sehr individuelle und damit arbeitsintensive Betriebsratsarbeit erforderlich sei. Dementsprechend sei eine Dauerregelung getroffen worden.
Der Betriebsrat beantragt,
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den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 06.04.2011 - 7 BV 234/10 - abzuändern und festzustellen, dass mindestens 2 Mitglieder des Antragstellers - bei Teilfreistellungen entsprechend mehr - freizustellen sind, auch solange die Zahl der regelmäßig Beschäftigten im Betrieb der Hauptverwaltung der Antragsgegnerin unter 500 liegt, ohne dass es einer konkreten Darlegung der Erforderlichkeit der Freistellung eines über die Zahlenstaffel des § 38 Abs. 1 S. 1 BetrVG hinausgehenden Betriebsratsmitglieds bedarf.
Die Arbeitgeberin beantragt
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Arbeitgeberin meint, es sei in dem Schreiben eindeutig und ausdrücklich auf § 38 BetrVG 1972 Bezug genommen worden. Es habe in Frage gestanden, inwieweit der Betriebsrat weiterhin zuständig sei und welche Arbeitnehmer der Arbeitgeberin in der Betriebsratswahl 2002 für den Betriebsrat K wahlberechtigt gewesen seien. Es habe nur für diese Betriebsratswahl eine Zwischenlösung gefunden werden sollen.
Das Schreiben spreche auch nur von zwei Betriebsratsmitgliedern, es lasse sich nicht so verstehen, dass damit „zwei vollbeschäftigte“ Betriebsratsmitglieder gemeint seien und dass im Falle von teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern weitere Betriebsratsmitglieder teilweise freigestellt werden sollten. Auch § 38 Abs. 1 BetrVG 1972 habe keine Möglichkeit einer Teilfreistellung vorgesehen.
Die Arbeitgeberin meint auch, dass die Zusage im Schreiben vom 10.02.2000 durch die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 2001 gegenstandslos geworden sei. Die rechtlichen Rahmenbedingungen hätten sich
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grundlegend geändert; das Schreiben habe sich ausdrücklich auf die alte Fassung des § 38 BetrVG 1972 bezogen.
Jedenfalls aber sei die Zusage wirksam widerrufen bzw. gekündigt worden.
Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätzen Bezug genommen, die Gegenstand der Anhörung waren.
II.
Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde des Betriebsrats hatte in der Sache keinen Erfolg. Der Antrag war zwar zulässig, jedoch nicht begründet.
1. Die Zulässigkeit des Antrags scheitert nicht am mangelnden Feststellungsinteresse. Dabei kann dahinstehen, ob die Arbeitgeberin den Anspruch des Betriebsrates zurzeit freiwillig erfüllt. Denn sie bestreitet trotz der (teilweisen) Erfüllung des Anspruches eine entsprechende Verpflichtung für die Gegenwart und für die Zukunft (vgl. dazu z. B. BAG 15.02.2011 – 3 AZR 35/09 – Rn. 30).
Das Feststellungsinteresse scheitert auch nicht daran, dass heute noch nicht abzusehen ist, ob der zugrunde liegende Konflikt nach der nächsten Betriebsratswahl wieder entsteht. Er kann jedenfalls nach der nächsten Betriebsratswahl neu entstehen. Eine gerichtliche Feststellung kann den Konflikt für die Zukunft beenden (vgl. BAG 23.06.2009 – 1 ABR 23/08).
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
- 7 -
Die Kammer ist wie der Betriebsrat der Meinung, dass sich aus der „Zusage“ vom 10.02.2000 nicht nur Rechte für die Betriebsratswahl 2002 ergaben, sondern für eine unbestimmte Zeit darüber hinaus. Die Kammer sieht in der „Zusage“ allerdings nicht ein einseitiges Rechtsgeschäft, sondern ein über § 151 BGB angenommenes zweiseitiges Rechtsgeschäft. Die Kammer ist auch mit dem Betriebsrat der Auffassung, dass die zugesagten Freistellungen auch in Form von Teilfreistellungen in Anspruch genommen werden konnten. Im Ergebnis aber kann der Betriebsrat heute und in der Zukunft aus dieser Vereinbarung keine Rechte mehr herleiten, weil die Arbeitgeberin sie wirksam gekündigt hat. Im Einzelnen:
a. Rechtsbegründend ist nach Auffassung der Kammer nicht – wie der Betriebsrat es meint – eine „einseitige Zusage“. Rechtsbegründet ist vielmehr eine Regelungsabrede zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin.
Schuldrechtliche einseitige Rechtsgeschäfte sind nach der Systematik des BGB die seltene Ausnahme. Das BGB regelt im 11. Titel des 8. Abschnitts des 2. Buches drei schuldrechtliche einseitige Rechtsgeschäfte: die Auslobung (§ 657 BGB), das Preisausschreiben (§ 661 BGB) und die Gewinnzusage (§ 661 a BGB – dazu BGH 16.10.2003 – III ZR 106/03). Typisch ist solchen einseitigen Rechtsgeschäften (insbesondere der Auslobung), dass sie sich an einen großen, oft unbestimmten Empfängerkreis richten. Dieses ist ähnlich bei der sogenannten „Gesamtzusage“, die das Bundesarbeitsgericht gleichwohl als einen über § 151 BGB angenommenen Vertrag behandelt (vgl. BAG 11.12.1996 – 5 AZR 336/95), wenn es auch gelegentlich davon redet, dass eine Gesamtzusage eine „einseitige Verpflichtungserklärung des Arbeitgebers an die Belegschaft“ sei (BAG 15.07.2008 – 3 AZR 61/07).
Im vorliegenden Fall richtete sich die Erklärung (Zusage) der Arbeitgeberin an einen bestimmten Empfänger, den Betriebsrat. Es gibt keinen Grund, die dort eingegangene Verpflichtung als einseitiges Rechtsgeschäft
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anzusehen. Die Annahme kam vielmehr über § 151 BGB zustande, da es sich um eine für den Betriebsrat ausschließlich vorteilhafte Zusage handelte.
Es handelt sich mithin um eine „Regelungsabrede“, einen Begriff, den das Betriebsverfassungsgesetz nicht kennt, der sich aber für alle nicht in Form einer Betriebsvereinbarung getroffenen Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat eingebürgert hat (vgl. statt vieler: Fitting § 77 BetrVG Rn. 216), und für die ein „vielgestaltiger“ Anwendungsbereich gesehen wird, von organisatorischen Fragen über inhaltliche Regelungen von Beteiligungsrechten bis hin zu Absprachen über Kosten und Sachaufwand (Fitting a. a. O. Rn. 220).
b. Die Kammer ist auch mit dem Landesarbeitsgericht Hamm (19.08.2009 – 10 Sa 295/99) der Auffassung, dass § 38 Abs. 1 Satz 5 BetrVG insoweit nicht abschließend sind, als dass nur durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung anderweitige Regelungen über die Freistellung vereinbart werden könnten, dieses jedenfalls, soweit es um Regelungen zu Gunsten des Betriebsrates geht. Dass in § 38 Abs. 1 Satz 5 nur (neben dem Tarifvertrag) von „Betriebsvereinbarung“ die Rede ist, liegt schlicht daran, dass das Betriebsverfassungsgesetz den Begriff der Regelungsabrede nicht kennt. Da durch die vorliegend strittige Abrede normative Wirkung nicht erzeugt werden sollte, ist auch kein Grund ersichtlich, die Schriftform einer Betriebsvereinbarung zu verlangen.
c. Die Abrede war auch nicht nur für die Betriebsratswahl im Jahr 2002 getroffen. Das ergibt die Auslegung des Schreibens der Antragsgegnerin vom 10.02.2000 (Bl. 13 d. A.). Das Schreiben übersendet zunächst eine „Vereinbarung über das gemeinsame Verständnis zum Thema Zuständigkeit des Kölner Betriebsrates“ (Bl. 12. d. A.) In dieser Vereinbarung geht es um betriebsverfassungsrechtlich relevante Strukturen von Betrieben der Antragsgegnerin. Die Vereinbarung ist ersichtlich nicht allein auf eine bestimmte Wahl bezogen. Es soll lediglich „vor den Neuwahlen (2002)“ kein Gebrauch von den dortigen Feststellungen gemacht werden.
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Die weiteren Ableitungen, die in dem Übersendunggschreiben vom 10.02.2000 (Bl. 13. d. A.) getroffen werden, gelten ausdrücklich „für zukünftige Betriebsratswahlen“. Demgegenüber erfährt der letzte Satz des Schreibens, in dem die hier strittige „Zusage“ getroffen wird, keinerlei zeitliche Einschränkung. Weder aus dem Wortlaut, noch aus dem Zusammenhang lässt sich eine Auslegung dahingehend ableiten, dass die Zusage nur für die Betriebsratswahl 2002 gelten sollte. Die Antragsgegnerin hat auch keine nachvollziehbaren Begleitumstände vorgetragen, die gegen Wortlaut und Systematik eine Auslegung in diese Richtung geböten. Ob es der einseitige Wille der Arbeitgeberin war, nur eine Regelung für das Jahr 2002 zu treffen, kann dahinstehen. Es lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass der Vertragspartner (der Betriebsrat) auch einen entsprechenden subjektiven Willen hatte.
d. Es ist auch nicht ersichtlich, warum die Vereinbarung durch die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahre 2001 „gegenstandslos“ geworden sein sollte.
Sofern die Antragsgegnerin behauptet, dass Schreiben beziehe sich „ausdrücklich auf die alte Fassung von § 38 BetrVG 1972“, so ist dieses nicht nachvollziehbar. Weder ist in dem Schreiben (Bl. 13. d. A.) von einer „derzeit geltenden Fassung“ die Rede, noch von „BetrVG 1972“. Es ist lediglich die damals geltende Schwelle von 600 Mitarbeitern genannt.
e. Da sich das Schreiben nicht auf eine bestimmte Fassung des § 38 BetrVG, sondern, und dieses ausdrücklich, auf „§ 38 BetrVG“ bezog und – wie bereits dargestellt – zeitlich nicht begrenzt war, gilt es konsequenter Weise auch für die heutige Fassung des § 38 BetrVG. Schon daraus ließe sich ableiten, dass Freistellungen auch in Form von Teilfreistellungen erfolgen können, wie die heutige gesetzliche Regelung ausdrücklich vorsieht. Aber auch schon zum früheren Recht hatte das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 26.06.1996 (7 ABR 48/95) anerkannt, dass Teilfreistellungen zur
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Ausschöpfung des Rahmens des § 38 Abs. 1 BetrVG zulässig waren, dieses jedenfalls, wenn eine solche Aufteilung den Arbeitgeber nicht vor besondere organisatorische Probleme stellte, die dieser im Einzelnen darlegen musste. Da die Zusage der Arbeitgeberin uneingeschränkt auf § 38 BetrVG Bezug nimmt, ist der Begriff „zwei Mitglieder“ im Sinne des § 38 Abs. 1 BetrVG zu verstehen, der ebenfalls bestimmte Zahlen von Betriebsratsmitgliedern nennt, dabei aber die Möglichkeit von Teilfreistellungen zur Ausfüllung der insgesamt 2 Stellen zulässt.
f. Die Arbeitgeberin hat aber mit Schreiben vom 10.06.2010 die Vereinbarung wirksam gekündigt. Da das Schreiben laut Eingangsstempel des Betriebsrats bei diesem am 29.06.2010 eingegangen ist (Bl. 14 d. A.) ist die Wirkung der Vereinbarung zum 29.09.2010 beendet worden.
Nach herrschender Auffassung ist eine Regelungsabrede jedenfalls dann in entsprechender Anwendung des § 77 Abs. 5 BetrVG kündbar, wenn die abgesprochene Regelung auf längere Dauer angelegt ist (BAG 10.03.1992 RP 1 zu § 77 BetrVG 1972 Regelungsabrede; Richardi § 77 BetrVG Randnote 232; Fitting u. a. § 77 BetrVG Randnote 225. Das BAG begründet dies in der zitierten Entscheidung zutreffend damit, dass bei Regelungsabreden von längerer Dauer sich „jede Partei wie bei jedem anderen Dauerschuldverhältnis bürgerlichen Rechts durch Kündigung von dem schuldrechtlichen Vertrag lösen können“ muss. Das BAG wendet dabei – naheliegend – die Kündigungsfrist des § 77 Abs. 5 BetrVG analog an. Diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steht in Einklang mit der Rechtsprechung des BGH, nach der auch atypische Dauerschuldverhältnisse grundsätzlich ordentlich kündbar sind (vgl. z. B. 26.02.1987 III ZR 164/85; 25.05.1993 X ZR 79/92; 20.07.2006 III ZR 145/05).
Eine Unkündbarkeit im dem Sinne, dass nur aus wichtigem Grunde gekündigt werden könnte, ist im vorliegenden Fall weder verabredet noch aus den Umständen zu entnehmen.
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6. Nach Auffassung der Kammer gilt der dargestellte Grundsatz, dass unbefristete Dauerschuldverhältnisse durch ordentliche Kündigung beendet werden können, auch für atypische Dauerschuldverhältnisse, die durch einseitiges Rechtsgeschäft begründet werden (sofern solche überhaupt vorstellbar sind). Soweit der Betriebsrat meint, dann, wenn es sich um eine einseitige Zusage handele, gelte dieses Kündigungsrecht nicht, lässt er es an eine Begründung fehlen. Es ist nicht ersichtlich, warum ein Schuldner sich aus einer einseitig eingegangenen Verpflichtung mit Dauercharakter unter schwereren Bedingungen lösen können sollte, als aus einem Vertrag.
III.
Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil das BAG – soweit ersichtlich – bislang zu einer von § 38 Abs. 1 abweichender Regelung, die nicht durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung getroffen wird, noch nicht Stellung genommen hat. Dieses gilt sowohl für die grundsätzliche Zulässigkeit als auch für die Kündbarkeit. Die zitierte Rechtsprechung des BAG zur Kündbarkeit von Regelungsvereinbarungen betrifft nur Abreden über Mitbestimmungsfragen. Zu Abreden über organisatorische Fragen, insbesondere über Freistellungen hat sich das BAG insoweit bislang nicht geäußert.
RECHTSMITTELBELEHRUNG
Gegen diesen Beschluss kann vom Antragsteller
R E C H T S B E S C H W E R D E
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eingelegt werden.
Die Rechtsbeschwerde muss
innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
nach der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses schriftlich beim
Bundesarbeitsgericht
Hugo-Preuß-Platz 1
99084 Erfurt
Fax: 0361 2636 2000
eingelegt werden.
Die Rechtsbeschwerdeschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
1. Rechtsanwälte,
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
3. Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Rechtsbeschwerdeschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
Eine Partei die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
Dr. B
E
B
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Dr. Martin Hensche Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hensche@hensche.de | |
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