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LAG Köln, Be­schluss vom 07.10.2011, 4 TaBV 52/11

   
Schlagworte: Betriebsratsmitglied
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Aktenzeichen: 4 TaBV 52/11
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 07.10.2011
   
Leitsätze: 1. Auch durch eine Regelungsabrede kann eine von § 38 Abs. 1 S. 1 - 4 BetrVG abweichende anderweitige Regelung über die Freistellung vereinbart werden. § 38 Abs. 1 S. 5 ist insoweit nicht abschließend.

2. Eine solche durch Regelungsabrede getroffene Vereinbarung ist wie eine Betriebsvereinbarung analog § 77 Abs. 5 BetrVG kündbar.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 6.04.2011, 7 BV 234/10
   

4 TaBV 52/11

7 BV 234/10
Ar­beits­ge­richt Köln

 

Verkündet am 07. Ok­to­ber 2011

 

E,
Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

 

LAN­DES­AR­BEITS­GERICHT KÖLN

BESCHLUSS

In dem Be­schluss­ver­fah­ren

mit den Be­tei­lig­ten

1. - An­trag­stel­ler und Be­schwer­deführer -

Ver­fah­rens­be­vollmäch­tig­te:

2. - An­trags­geg­ner -

Ver­fah­rens­be­vollmäch­tig­te:

hat die 4. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln auf die münd­li­che Anhörung vom 07.10.2011 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Dr. B als Vor­sit­zen­den so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter E und B


b e s c h l o s s e n:

Die Be­schwer­de des An­trag­stel­lers ge­gen den Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Köln vom 06.04.2011 - 7 BV 234/11 - wird zurück­ge­wie­sen.

Die Rechts­be­schwer­de wird zu­ge­las­sen.


G r ü n d e

I.

Die Be­tei­lig­ten strei­ten um den Um­fang der dem Be­triebs­rat zu­ste­hen­den Frei­stel­lun­gen.


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Die Ar­beit­ge­be­rin ist ei­ne in­ter­na­tio­na­le Luft­fahrt­ge­sell­schaft, die in K ih­re Haupt­ver­wal­tung un­terhält.

Im Zu­ge der Einführung ei­ner neu­en Kon­zern­struk­tur seit dem Jah­re 1995 und der da­mit ver­bun­de­nen Aus­glie­de­rung von Be­triebs­tei­len der Ar­beit­ge­be­rin auf selbständi­ge Kon­zern­ge­sell­schaf­ten war zwi­schen der Ar­beit­ge­be­rin und wei­te­ren Ge­sell­schaf­ten auf der ei­nen Sei­te und dem Be­triebs­rat auf der an­de­ren Sei­te strei­tig, ob ein Ge­mein­schafts­be­trieb in K fort­be­ste­he. Anläss­lich dies­bezügli­cher ge­richt­li­cher Aus­ein­an­der­set­zun­gen im Zu­sam­men­hang mit der Be­triebs­rats­wahl 1998 kam es im Jah­re 2000 zu ei­ner Ver­ein­ba­rung über das ge­mein­sa­me Verständ­nis der be­trieb­li­chen Struk­tu­ren in der Haupt­ver­wal­tung K. Die­se wur­de von dem Be­triebs­rat, der Ar­beit­ge­be­rin und wei­te­ren Ge­sell­schaf­ten un­ter­zeich­net. In­so­weit wird auf Bl. 12. d. A. Be­zug ge­nom­men. Die Ar­beit­ge­be­rin über­sand­te dem Be­triebs­rat die­se Ver­ein­ba­rung mit ei­nem An­schrei­ben vom 10.02.2000 (Bl.13 d. A.), in dem sie un­ter an­de­rem ih­re Rechts­auf­fas­sung hin­sicht­lich des ak­ti­ven und pas­si­ven Wahl­rechts der be­trof­fe­nen Mit­ar­bei­ter äußer­te. Am Schluss des Schrei­bens heißt es:

„Für den Fall, dass der Be­triebs­rat der L-AG, un­ter die Zahl von 600 Mit­ar­bei­tern sin­ken soll­te, sagt die L-AG zu, den­noch zwei Mit­glie­der von der Ar­beit frei­zu­stel­len (§ 38 Be­trVG)“.

§ 38 wur­de durch das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz vom 23.07.2001 geändert. Der Schwel­len­wert wur­de auf 500 Ar­beit­neh­mer ab­ge­senkt.

In den fol­gen­den Be­triebs­rats­wah­len 2002 (626 Beschäftig­te) und 2006 (575 Beschäftig­te) kam es auf das Schrei­ben vom 10.02.2000 nicht an.

In­zwi­schen ist die Be­leg­schaftsstärke in der K Haupt­ver­wal­tung auf et­wa 440 Beschäftig­te ab­ge­sun­ken. Der Be­triebs­rat wur­de im Mai 2010 neu gewählt.



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Es wur­den 11 Mit­glie­der in den Be­triebs­rat gewählt. Der Be­triebs­rat be­stimm­te zunächst 2 Be­triebs­rats­mit­glie­der zur Frei­stel­lung in Voll­zeit, nämlich Herrn B, den Vor­sit­zen­den, und Frau S. Nach­dem Frau S auf Grund ei­ner Al­ters­teil­zeit­ver­ein­ba­rung aus dem Be­triebs­rat aus­ge­schie­den ist, wur­de an de­ren Stel­le Frau M als wei­te­res frei­ge­stell­tes Be­triebs­rats­mit­glied be­stimmt. Frau M hat al­ler­dings nur ei­ne Teil­zeit­stel­le von 80 % in­ne. Für die ver­blei­ben­den 20 % be­stimm­te der Be­triebs­rat Herrn P.

Mit Schrei­ben vom 10.06.2010 erklärte die Ar­beit­ge­be­rin den Wi­der­ruf, hilfs­wei­se die Kündi­gung der Zu­sa­ge vom 10.02.2000. Aus­weis­lich die­ses Schrei­bens (Bl. 14 d. A.) soll­ten die da­mals vom Be­triebs­rat be­schlos­se­nen Frei­stel­lun­gen für die lau­fen­de Amts­zeit un­berührt blei­ben. Die wei­te­re Frei­stel­lung Herrn P lehnt die Ar­beit­ge­be­rin un­ter Hin­weis auf den aus ih­rer Sicht feh­len­den Frei­stel­lungs­an­spruch ab (Bl. 112 d. A.).

Für sein Fest­stel­lungs­in­ter­es­se hat sich der Be­triebs­rat zunächst dar­auf be­ru­fen, dass da­von aus­zu­ge­hen sei, dass die An­zahl der re­gelmäßig Beschäftig­ten im Be­trieb der Haupt­ver­wal­tung auch bei der nächs­ten Be­triebs­rats­wahl im Jah­re 2014 un­ter 500 lie­gen wer­de und die An­zahl der vor­zu­neh­men­den Frei­stel­lun­gen da­mit maßgeb­lich von der Zu­sa­ge aus dem Jahr 2000 abhängen wer­de. Der dem vor­lie­gen­den An­trag zu­grun­de lie­gen­de Kon­flikt wer­de da­mit neu ent­ste­hen.

Der Be­triebs­rat ist der Auf­fas­sung, dass es sich bei dem Schrei­ben vom 10.02.2010 um ei­ne ein­sei­ti­ge Zu­sa­ge han­de­le, die über das Jahr 2002 hin­aus Rechts­wir­kun­gen er­zeu­ge und als sol­che nicht gekündigt wer­den könne. Sie um­grei­fe auch die heu­te in § 38 Abs. 1 Satz 5 Be­trVG ge­trof­fe­ne Re­ge­lung, dass Teil­frei­stel­lun­gen möglich sei­en.

Der Be­triebs­rat hat be­an­tragt,


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fest­zu­stel­len, dass min­des­tens zwei Mit­glie­der des An­trag­stel­lers frei­zu­stel­len sind, auch wenn die An­zahl der re­gelmäßig Beschäftig­ten im Be­trieb der Haupt­ver­wal­tung des Ar­beit­ge­bers un­ter 500 ab­sin­ken soll­te, oh­ne dass es ei­ner kon­kre­ten Dar­le­gung der Er­for­der­lich­keit der Frei­stel­lung ei­nes über die Zah­len­staf­fel des § 38 Abs. 1 Satz 1 Be­trVG hin­aus­ge­hen­den Be­triebs­rats­mit­glieds be­darf.

Die Ar­beit­ge­be­rin hat be­an­tragt,

den An­trag zurück­zu­wei­sen.

das Ar­beits­ge­richt hat den An­trag als un­zulässig man­gels er­for­der­li­chen Fest­stel­lungs­in­ter­es­ses ab­ge­wie­sen. Ge­gen die­sen ihm am 27.05.2011 zu­ge­stell­ten Be­schluss hat der An­trag­stel­ler am 14.06.2011 Be­schwer­de ein­ge­legt und die­se zu­gleich be­gründet. Er führt wei­ter aus, war­um ein Fest­stel­lungs­in­ter­es­se ge­ge­ben sei. In­so­weit wird auf die Be­schwer­de­be­gründung (Bl. 101 – 103 d. A.) Be­zug ge­nom­men.

Der Be­triebs­rat be­ruft sich zur Aus­le­gung des Schrei­bens vom 10.02.2000 dar­auf, Hin­ter­grund der er­wei­ter­ten Frei­stel­lun­gen sei es ge­we­sen, dass ei­ne größere An­zahl von Frei­stel­lun­gen dau­er­haft auf Grund der Tat­sa­che ge­bo­ten ge­we­sen sei, dass die in dem Be­trieb der Ar­beit­ge­be­rin an­ge­sie­del­ten Ar­beitsplätze und die dort be­ste­hen­den Ar­beits­be­din­gun­gen sehr un­ter­schied­li­cher Na­tur sei­en, so dass ei­ne sehr in­di­vi­du­el­le und da­mit ar­beits­in­ten­si­ve Be­triebs­rats­ar­beit er­for­der­lich sei. Dem­ent­spre­chend sei ei­ne Dau­er­re­ge­lung ge­trof­fen wor­den.

Der Be­triebs­rat be­an­tragt,


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den Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Köln vom 06.04.2011 - 7 BV 234/10 - ab­zuändern und fest­zu­stel­len, dass min­des­tens 2 Mit­glie­der des An­trag­stel­lers - bei Teil­frei­stel­lun­gen ent­spre­chend mehr - frei­zu­stel­len sind, auch so­lan­ge die Zahl der re­gelmäßig Beschäftig­ten im Be­trieb der Haupt­ver­wal­tung der An­trags­geg­ne­rin un­ter 500 liegt, oh­ne dass es ei­ner kon­kre­ten Dar­le­gung der Er­for­der­lich­keit der Frei­stel­lung ei­nes über die Zah­len­staf­fel des § 38 Abs. 1 S. 1 Be­trVG hin­aus­ge­hen­den Be­triebs­rats­mit­glieds be­darf.

Die Ar­beit­ge­be­rin be­an­tragt

die Be­schwer­de zurück­zu­wei­sen.

Die Ar­beit­ge­be­rin meint, es sei in dem Schrei­ben ein­deu­tig und aus­drück­lich auf § 38 Be­trVG 1972 Be­zug ge­nom­men wor­den. Es ha­be in Fra­ge ge­stan­den, in­wie­weit der Be­triebs­rat wei­ter­hin zuständig sei und wel­che Ar­beit­neh­mer der Ar­beit­ge­be­rin in der Be­triebs­rats­wahl 2002 für den Be­triebs­rat K wahl­be­rech­tigt ge­we­sen sei­en. Es ha­be nur für die­se Be­triebs­rats­wahl ei­ne Zwi­schenlösung ge­fun­den wer­den sol­len.

Das Schrei­ben spre­che auch nur von zwei Be­triebs­rats­mit­glie­dern, es las­se sich nicht so ver­ste­hen, dass da­mit „zwei voll­beschäftig­te“ Be­triebs­rats­mit­glie­der ge­meint sei­en und dass im Fal­le von teil­zeit­beschäftig­ten Be­triebs­rats­mit­glie­dern wei­te­re Be­triebs­rats­mit­glie­der teil­wei­se frei­ge­stellt wer­den soll­ten. Auch § 38 Abs. 1 Be­trVG 1972 ha­be kei­ne Möglich­keit ei­ner Teil­frei­stel­lung vor­ge­se­hen.

Die Ar­beit­ge­be­rin meint auch, dass die Zu­sa­ge im Schrei­ben vom 10.02.2000 durch die Ände­rung des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes im Jahr 2001 ge­gen­stands­los ge­wor­den sei. Die recht­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen hätten sich



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grund­le­gend geändert; das Schrei­ben ha­be sich aus­drück­lich auf die al­te Fas­sung des § 38 Be­trVG 1972 be­zo­gen.

Je­den­falls aber sei die Zu­sa­ge wirk­sam wi­der­ru­fen bzw. gekündigt wor­den.

We­gen des übri­gen Vor­brin­gens der Be­tei­lig­ten wird auf die zwi­schen die­sen ge­wech­sel­ten Schriftsätzen Be­zug ge­nom­men, die Ge­gen­stand der Anhörung wa­ren.


II.

Die zulässi­ge, form- und frist­ge­recht ein­ge­leg­te und be­gründe­te Be­schwer­de des Be­triebs­rats hat­te in der Sa­che kei­nen Er­folg. Der An­trag war zwar zulässig, je­doch nicht be­gründet.

1. Die Zulässig­keit des An­trags schei­tert nicht am man­geln­den Fest­stel­lungs­in­ter­es­se. Da­bei kann da­hin­ste­hen, ob die Ar­beit­ge­be­rin den An­spruch des Be­triebs­ra­tes zur­zeit frei­wil­lig erfüllt. Denn sie be­strei­tet trotz der (teil­wei­sen) Erfüllung des An­spru­ches ei­ne ent­spre­chen­de Ver­pflich­tung für die Ge­gen­wart und für die Zu­kunft (vgl. da­zu z. B. BAG 15.02.2011 – 3 AZR 35/09 – Rn. 30).

Das Fest­stel­lungs­in­ter­es­se schei­tert auch nicht dar­an, dass heu­te noch nicht ab­zu­se­hen ist, ob der zu­grun­de lie­gen­de Kon­flikt nach der nächs­ten Be­triebs­rats­wahl wie­der ent­steht. Er kann je­den­falls nach der nächs­ten Be­triebs­rats­wahl neu ent­ste­hen. Ei­ne ge­richt­li­che Fest­stel­lung kann den Kon­flikt für die Zu­kunft be­en­den (vgl. BAG 23.06.2009 – 1 ABR 23/08).

2. Der An­trag ist je­doch un­be­gründet.



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Die Kam­mer ist wie der Be­triebs­rat der Mei­nung, dass sich aus der „Zu­sa­ge“ vom 10.02.2000 nicht nur Rech­te für die Be­triebs­rats­wahl 2002 er­ga­ben, son­dern für ei­ne un­be­stimm­te Zeit darüber hin­aus. Die Kam­mer sieht in der „Zu­sa­ge“ al­ler­dings nicht ein ein­sei­ti­ges Rechts­geschäft, son­dern ein über § 151 BGB an­ge­nom­me­nes zwei­sei­ti­ges Rechts­geschäft. Die Kam­mer ist auch mit dem Be­triebs­rat der Auf­fas­sung, dass die zu­ge­sag­ten Frei­stel­lun­gen auch in Form von Teil­frei­stel­lun­gen in An­spruch ge­nom­men wer­den konn­ten. Im Er­geb­nis aber kann der Be­triebs­rat heu­te und in der Zu­kunft aus die­ser Ver­ein­ba­rung kei­ne Rech­te mehr her­lei­ten, weil die Ar­beit­ge­be­rin sie wirk­sam gekündigt hat. Im Ein­zel­nen:

a. Rechts­be­gründend ist nach Auf­fas­sung der Kam­mer nicht – wie der Be­triebs­rat es meint – ei­ne „ein­sei­ti­ge Zu­sa­ge“. Rechts­be­gründet ist viel­mehr ei­ne Re­ge­lungs­ab­re­de zwi­schen dem An­trag­stel­ler und der An­trags­geg­ne­rin.

Schuld­recht­li­che ein­sei­ti­ge Rechts­geschäfte sind nach der Sys­te­ma­tik des BGB die sel­te­ne Aus­nah­me. Das BGB re­gelt im 11. Ti­tel des 8. Ab­schnitts des 2. Bu­ches drei schuld­recht­li­che ein­sei­ti­ge Rechts­geschäfte: die Aus­lo­bung (§ 657 BGB), das Preis­aus­schrei­ben (§ 661 BGB) und die Ge­winn­zu­sa­ge (§ 661 a BGB – da­zu BGH 16.10.2003 – III ZR 106/03). Ty­pisch ist sol­chen ein­sei­ti­gen Rechts­geschäften (ins­be­son­de­re der Aus­lo­bung), dass sie sich an ei­nen großen, oft un­be­stimm­ten Empfänger­kreis rich­ten. Die­ses ist ähn­lich bei der so­ge­nann­ten „Ge­samt­zu­sa­ge“, die das Bun­des­ar­beits­ge­richt gleich­wohl als ei­nen über § 151 BGB an­ge­nom­me­nen Ver­trag be­han­delt (vgl. BAG 11.12.1996 – 5 AZR 336/95), wenn es auch ge­le­gent­lich da­von re­det, dass ei­ne Ge­samt­zu­sa­ge ei­ne „ein­sei­ti­ge Ver­pflich­tungs­erklärung des Ar­beit­ge­bers an die Be­leg­schaft“ sei (BAG 15.07.2008 – 3 AZR 61/07).

Im vor­lie­gen­den Fall rich­te­te sich die Erklärung (Zu­sa­ge) der Ar­beit­ge­be­rin an ei­nen be­stimm­ten Empfänger, den Be­triebs­rat. Es gibt kei­nen Grund, die dort ein­ge­gan­ge­ne Ver­pflich­tung als ein­sei­ti­ges Rechts­geschäft



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an­zu­se­hen. Die An­nah­me kam viel­mehr über § 151 BGB zu­stan­de, da es sich um ei­ne für den Be­triebs­rat aus­sch­ließlich vor­teil­haf­te Zu­sa­ge han­del­te.

Es han­delt sich mit­hin um ei­ne „Re­ge­lungs­ab­re­de“, ei­nen Be­griff, den das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz nicht kennt, der sich aber für al­le nicht in Form ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung ge­trof­fe­nen Ver­ein­ba­run­gen zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat ein­gebürgert hat (vgl. statt vie­ler: Fit­ting § 77 Be­trVG Rn. 216), und für die ein „viel­ge­stal­ti­ger“ An­wen­dungs­be­reich ge­se­hen wird, von or­ga­ni­sa­to­ri­schen Fra­gen über in­halt­li­che Re­ge­lun­gen von Be­tei­li­gungs­rech­ten bis hin zu Ab­spra­chen über Kos­ten und Sach­auf­wand (Fit­ting a. a. O. Rn. 220).

b. Die Kam­mer ist auch mit dem Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm (19.08.2009 – 10 Sa 295/99) der Auf­fas­sung, dass § 38 Abs. 1 Satz 5 Be­trVG in­so­weit nicht ab­sch­ließend sind, als dass nur durch Ta­rif­ver­trag oder Be­triebs­ver­ein­ba­rung an­der­wei­ti­ge Re­ge­lun­gen über die Frei­stel­lung ver­ein­bart wer­den könn­ten, die­ses je­den­falls, so­weit es um Re­ge­lun­gen zu Guns­ten des Be­triebs­ra­tes geht. Dass in § 38 Abs. 1 Satz 5 nur (ne­ben dem Ta­rif­ver­trag) von „Be­triebs­ver­ein­ba­rung“ die Re­de ist, liegt schlicht dar­an, dass das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz den Be­griff der Re­ge­lungs­ab­re­de nicht kennt. Da durch die vor­lie­gend strit­ti­ge Ab­re­de nor­ma­ti­ve Wir­kung nicht er­zeugt wer­den soll­te, ist auch kein Grund er­sicht­lich, die Schrift­form ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung zu ver­lan­gen.

c. Die Ab­re­de war auch nicht nur für die Be­triebs­rats­wahl im Jahr 2002 ge­trof­fen. Das er­gibt die Aus­le­gung des Schrei­bens der An­trags­geg­ne­rin vom 10.02.2000 (Bl. 13 d. A.). Das Schrei­ben über­sen­det zunächst ei­ne „Ver­ein­ba­rung über das ge­mein­sa­me Verständ­nis zum The­ma Zuständig­keit des Kölner Be­triebs­ra­tes“ (Bl. 12. d. A.) In die­ser Ver­ein­ba­rung geht es um be­triebs­ver­fas­sungs­recht­lich re­le­van­te Struk­tu­ren von Be­trie­ben der An­trags­geg­ne­rin. Die Ver­ein­ba­rung ist er­sicht­lich nicht al­lein auf ei­ne be­stimm­te Wahl be­zo­gen. Es soll le­dig­lich „vor den Neu­wah­len (2002)“ kein Ge­brauch von den dor­ti­gen Fest­stel­lun­gen ge­macht wer­den.



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Die wei­te­ren Ab­lei­tun­gen, die in dem Über­sen­dunggschrei­ben vom 10.02.2000 (Bl. 13. d. A.) ge­trof­fen wer­den, gel­ten aus­drück­lich „für zukünf­ti­ge Be­triebs­rats­wah­len“. Dem­ge­genüber erfährt der letz­te Satz des Schrei­bens, in dem die hier strit­ti­ge „Zu­sa­ge“ ge­trof­fen wird, kei­ner­lei zeit­li­che Ein­schränkung. We­der aus dem Wort­laut, noch aus dem Zu­sam­men­hang lässt sich ei­ne Aus­le­gung da­hin­ge­hend ab­lei­ten, dass die Zu­sa­ge nur für die Be­triebs­rats­wahl 2002 gel­ten soll­te. Die An­trags­geg­ne­rin hat auch kei­ne nach­voll­zieh­ba­ren Be­gleit­umstände vor­ge­tra­gen, die ge­gen Wort­laut und Sys­te­ma­tik ei­ne Aus­le­gung in die­se Rich­tung geböten. Ob es der ein­sei­ti­ge Wil­le der Ar­beit­ge­be­rin war, nur ei­ne Re­ge­lung für das Jahr 2002 zu tref­fen, kann da­hin­ste­hen. Es lässt sich je­den­falls nicht fest­stel­len, dass der Ver­trags­part­ner (der Be­triebs­rat) auch ei­nen ent­spre­chen­den sub­jek­ti­ven Wil­len hat­te.

d. Es ist auch nicht er­sicht­lich, war­um die Ver­ein­ba­rung durch die Ände­rung des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes im Jah­re 2001 „ge­gen­stands­los“ ge­wor­den sein soll­te.

So­fern die An­trags­geg­ne­rin be­haup­tet, dass Schrei­ben be­zie­he sich „aus­drück­lich auf die al­te Fas­sung von § 38 Be­trVG 1972“, so ist die­ses nicht nach­voll­zieh­bar. We­der ist in dem Schrei­ben (Bl. 13. d. A.) von ei­ner „der­zeit gel­ten­den Fas­sung“ die Re­de, noch von „Be­trVG 1972“. Es ist le­dig­lich die da­mals gel­ten­de Schwel­le von 600 Mit­ar­bei­tern ge­nannt.

e. Da sich das Schrei­ben nicht auf ei­ne be­stimm­te Fas­sung des § 38 Be­trVG, son­dern, und die­ses aus­drück­lich, auf „§ 38 Be­trVG“ be­zog und – wie be­reits dar­ge­stellt – zeit­lich nicht be­grenzt war, gilt es kon­se­quen­ter Wei­se auch für die heu­ti­ge Fas­sung des § 38 Be­trVG. Schon dar­aus ließe sich ab­lei­ten, dass Frei­stel­lun­gen auch in Form von Teil­frei­stel­lun­gen er­fol­gen können, wie die heu­ti­ge ge­setz­li­che Re­ge­lung aus­drück­lich vor­sieht. Aber auch schon zum frühe­ren Recht hat­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt in der Ent­schei­dung vom 26.06.1996 (7 ABR 48/95) an­er­kannt, dass Teil­frei­stel­lun­gen zur



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Ausschöpfung des Rah­mens des § 38 Abs. 1 Be­trVG zulässig wa­ren, die­ses je­den­falls, wenn ei­ne sol­che Auf­tei­lung den Ar­beit­ge­ber nicht vor be­son­de­re or­ga­ni­sa­to­ri­sche Pro­ble­me stell­te, die die­ser im Ein­zel­nen dar­le­gen muss­te. Da die Zu­sa­ge der Ar­beit­ge­be­rin un­ein­ge­schränkt auf § 38 Be­trVG Be­zug nimmt, ist der Be­griff „zwei Mit­glie­der“ im Sin­ne des § 38 Abs. 1 Be­trVG zu ver­ste­hen, der eben­falls be­stimm­te Zah­len von Be­triebs­rats­mit­glie­dern nennt, da­bei aber die Möglich­keit von Teil­frei­stel­lun­gen zur Ausfüllung der ins­ge­samt 2 Stel­len zulässt.

f. Die Ar­beit­ge­be­rin hat aber mit Schrei­ben vom 10.06.2010 die Ver­ein­ba­rung wirk­sam gekündigt. Da das Schrei­ben laut Ein­gangs­stem­pel des Be­triebs­rats bei die­sem am 29.06.2010 ein­ge­gan­gen ist (Bl. 14 d. A.) ist die Wir­kung der Ver­ein­ba­rung zum 29.09.2010 be­en­det wor­den.

Nach herr­schen­der Auf­fas­sung ist ei­ne Re­ge­lungs­ab­re­de je­den­falls dann in ent­spre­chen­der An­wen­dung des § 77 Abs. 5 Be­trVG künd­bar, wenn die ab­ge­spro­che­ne Re­ge­lung auf länge­re Dau­er an­ge­legt ist (BAG 10.03.1992 RP 1 zu § 77 Be­trVG 1972 Re­ge­lungs­ab­re­de; Ri­char­di § 77 Be­trVG Rand­no­te 232; Fit­ting u. a. § 77 Be­trVG Rand­no­te 225. Das BAG be­gründet dies in der zi­tier­ten Ent­schei­dung zu­tref­fend da­mit, dass bei Re­ge­lungs­ab­re­den von länge­rer Dau­er sich „je­de Par­tei wie bei je­dem an­de­ren Dau­er­schuld­verhält­nis bürger­li­chen Rechts durch Kündi­gung von dem schuld­recht­li­chen Ver­trag lösen können“ muss. Das BAG wen­det da­bei – na­he­lie­gend – die Kündi­gungs­frist des § 77 Abs. 5 Be­trVG ana­log an. Die­se Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts steht in Ein­klang mit der Recht­spre­chung des BGH, nach der auch aty­pi­sche Dau­er­schuld­verhält­nis­se grundsätz­lich or­dent­lich künd­bar sind (vgl. z. B. 26.02.1987 III ZR 164/85; 25.05.1993 X ZR 79/92; 20.07.2006 III ZR 145/05).

Ei­ne Unkünd­bar­keit im dem Sin­ne, dass nur aus wich­ti­gem Grun­de gekündigt wer­den könn­te, ist im vor­lie­gen­den Fall we­der ver­ab­re­det noch aus den Umständen zu ent­neh­men.


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6. Nach Auf­fas­sung der Kam­mer gilt der dar­ge­stell­te Grund­satz, dass un­be­fris­te­te Dau­er­schuld­verhält­nis­se durch or­dent­li­che Kündi­gung be­en­det wer­den können, auch für aty­pi­sche Dau­er­schuld­verhält­nis­se, die durch ein­sei­ti­ges Rechts­geschäft be­gründet wer­den (so­fern sol­che über­haupt vor­stell­bar sind). So­weit der Be­triebs­rat meint, dann, wenn es sich um ei­ne ein­sei­ti­ge Zu­sa­ge han­de­le, gel­te die­ses Kündi­gungs­recht nicht, lässt er es an ei­ne Be­gründung feh­len. Es ist nicht er­sicht­lich, war­um ein Schuld­ner sich aus ei­ner ein­sei­tig ein­ge­gan­ge­nen Ver­pflich­tung mit Dau­er­cha­rak­ter un­ter schwe­re­ren Be­din­gun­gen lösen können soll­te, als aus ei­nem Ver­trag.


III.

Die Kam­mer hat die Rechts­be­schwer­de zu­ge­las­sen, weil das BAG – so­weit er­sicht­lich – bis­lang zu ei­ner von § 38 Abs. 1 ab­wei­chen­der Re­ge­lung, die nicht durch Ta­rif­ver­trag oder Be­triebs­ver­ein­ba­rung ge­trof­fen wird, noch nicht Stel­lung ge­nom­men hat. Die­ses gilt so­wohl für die grundsätz­li­che Zulässig­keit als auch für die Künd­bar­keit. Die zi­tier­te Recht­spre­chung des BAG zur Künd­bar­keit von Re­ge­lungs­ver­ein­ba­run­gen be­trifft nur Ab­re­den über Mit­be­stim­mungs­fra­gen. Zu Ab­re­den über or­ga­ni­sa­to­ri­sche Fra­gen, ins­be­son­de­re über Frei­stel­lun­gen hat sich das BAG in­so­weit bis­lang nicht geäußert.


RECH­TSMIT­TEL­BE­LEH­RUNG


Ge­gen die­sen Be­schluss kann vom An­trag­stel­ler


R E C H T S B E S C H W E R D E



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ein­ge­legt wer­den.

Die Rechts­be­schwer­de muss

in­ner­halb ei­ner Not­frist* von ei­nem Mo­nat

nach der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Be­schlus­ses schrift­lich beim

Bun­des­ar­beits­ge­richt
Hu­go-Preuß-Platz 1
99084 Er­furt
Fax: 0361 2636 2000

ein­ge­legt wer­den.

Die Rechts­be­schwer­de­schrift muss von ei­nem Be­vollmäch­tig­ten un­ter­zeich­net sein. Als Be­vollmäch­tig­te sind nur zu­ge­las­sen:

1. Rechts­anwälte,
2. Ge­werk­schaf­ten und Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­bern so­wie Zu­sam­men­schlüsse sol­cher Verbände für ih­re Mit­glie­der oder für an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der,
3. Ju­ris­ti­sche Per­so­nen, de­ren An­tei­le sämt­lich im wirt­schaft­li­chen Ei­gen­tum ei­ner der in Nr. 2 be­zeich­ne­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen ste­hen, wenn die ju­ris­ti­sche Per­son aus­sch­ließlich die Rechts­be­ra­tung und Pro­zess­ver­tre­tung der Mit­glie­der die­ser Or­ga­ni­sa­ti­on oder ei­nes an­de­ren Ver­ban­des oder Zu­sam­men­schlus­ses mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung ent­spre­chend de­ren Sat­zung durchführt und wenn die Or­ga­ni­sa­ti­on für die Tätig­keit der Be­vollmäch­tig­ten haf­tet.

In den Fällen der Zif­fern 2 und 3 müssen die Per­so­nen, die die Rechts­be­schwer­de­schrift un­ter­zeich­nen, die Befähi­gung zum Rich­ter­amt ha­ben.
Ei­ne Par­tei die als Be­vollmäch­tig­ter zu­ge­las­sen ist, kann sich selbst ver­tre­ten.



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* ei­ne Not­frist ist un­abänder­lich und kann nicht verlängert wer­den.

Dr. B 

B

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