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LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 01.06.2011, 4 Sa 218/11
Schlagworte: | Kündigung: Weiterbeschäftigungsmöglichkeit, Kündigung: Betriebsbedingt | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg | |
Aktenzeichen: | 4 Sa 218/11 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 01.06.2011 | |
Leitsätze: | Betrieb im Sinne des § 1 Abs 2 S 2 Nr 1 Buchst b KSchG ist nur ein im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gelegener Betrieb. Zur Begründung der Sozialwidrigkeit einer Kündigung kann sich ein Arbeitnehmer deswegen nicht auf einen freien Arbeitsplatz im Ausland berufen.(Rn.56) | |
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 17.12.2010, 25 Ca 7689/10 | |
Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg
Verkündet
am 1. Juni 2011
Geschäftszeichen (bitte immer angeben)
4 Sa 218/11
25 Ca 7689/10
Arbeitsgericht Berlin
G.-K.,
Gerichtsbeschäftigte
als Urkundsbeamter/in
der Geschäftsstelle
Im Namen des Volkes
Urteil
In Sachen
pp
hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 4. Kammer,
auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juni 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Sch. als Vorsitzenden
sowie die ehrenamtlichen Richter Frau P. und Herr F.
für Recht erkannt:
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom
17. Dezember 2010 - 25 Ca 7689/10 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
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Tatbestand
Die Parteien streiten um den Bestand des Arbeitsverhältnisses des Klägers.
Die Beklagte, eine ungarische Fluglinie mit Hauptsitz in Budapest, verfügte zuletzt über vier Büros in Deutschland (München, Berlin-Stadt, Berlin Flughafen und Hamburg Flughafen). Sie beschäftigte in Deutschland insgesamt 17 Arbeitnehmer, von denen acht im Berliner Stadtbüro und zwei am Flughafen Tegel tätig waren. Bis zum Jahre 2006 existierte in Deutschland ein Betriebsrat, der von den Mitarbeitern sämtlicher deutscher Büros gewählt worden ist.
Der am ….. 1950 geborene, verheiratete Kläger war seit dem 15. März 1978 als Stationsleiter/Airport Manager am Flughafen Tegel für die Beklagte tätig. Der Kläger ist gebürtiger Ungar und spricht fließend ungarisch. Der undatierte Arbeitsvertrag enthielt ua. folgende Regelung:
„§ 2 Tätigkeit
Der Mitarbeiter wird als Stationsleiter eingestellt.
… Der Mitarbeiter ist damit einverstanden, nach Bedarf auch andere Arbeiten zu übernehmen, die seiner Ausbildung und seinen Fähigkeiten entsprechen und sich ggf. in einer andere Abteilung oder andere Betriebstätte von M. versetzen zu lassen.
….“
Hinsichtlich der weiteren Bestimmungen des Arbeitsvertrags wird auf Bl. 204 – 215 d. A. verwiesen.
Der Kläger und sein ebenfalls als Stationsleiter am Flughafen Tegel tätiger Kollege Herr M. hatten die Aufgabe, die Flüge und die Airport Handling Companies, die die Abfertigung der Flüge durchführen, zu beaufsichtigen und zu kontrollieren sowie sich auch um die organisatorische Abwicklung vor Ort, insbesondere bei Komplikationen wie Verspätungen, Überbuchungen und Stornierungen zu kümmern. Der Kläger versah seinen Dienst während der Abfertigung des morgendlichen Flugs, Herr M. wurde für den Flug am Nachmittag
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eingesetzt. Herr M. ist seit dem 16. Februar 2010 durchgehend arbeitsunfähig krank.
Mit am 08. September 2009 notariell beglaubigten Beschluss (Bl. 76 – 78 d. A., Übersetzung Bl. 107 – 110 d. A.) entschied die Geschäftsleitung der Beklagten, sämtliche ausländischen Repräsentanzen in den darin namentlich aufgeführten Ländern zu schließen.
Ende April 2010 kündigte die Beklagte sämtliche Arbeitsverhältnisse in Deutschland unter Einhaltung der jeweiligen Kündigungsfristen mit Ausnahme der Arbeitnehmer, die sich in Elternzeit befanden, und der Schwerbehinderten. Ebenso erklärte sie die Kündigung der Mietverhältnisse über die Büros (vgl. Kopien der Kündigungsschreiben bezüglich der Büroräume in Hamburg, Berlin Flughafen zum 31. Juli 2010 und Berlin Stadt, Bl. 37 – 39 d. A.), wobei das Mietverhältnis über das Berliner Stadtbüro infolge des Abschlusses eines Zeitmietvertrags erst mit Ablauf des 31. März 2011 beendet werden konnte. Den Flugbetrieb selbst von Frankfurt/Main, Berlin, Hamburg und Stuttgart nach Budapest führt die Beklagte fort.
Mit Schreiben vom 22. April 2010, dem Kläger zugegangen am 28. April 2010 kündigte die Beklagten das Arbeitsverhältnis des Klägers. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut:
„Herrn
I. R.
- im Hause -
22. April 2010
Ihr Anstellungsverhältnis
Sehr geehrter Herr R.,
auf Grund der Schließung des deutschen Büros der M. sind wir leider gezwungen, das zwischen uns bestehende Anstellungsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen fristgerecht zum nächstzulässigen Termin zu beenden. Dies ist nach unserer Berechnung der 30. November 2010.
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Wir bedauern, zum Ausspruch der Kündigung gezwungen gewesen zu sein und wünschen Ihnen für Ihren weiteren beruflichen und privaten Lebensweg alles Gute.
Mit freundlichen Grüßen
Chief Executive Officer M.G.
Chief Commercial Officer K. M.”
Der Chief Executive Officer (im Folgenden: CEO) M. G. ist allein vertretungsberechtigt für die Beklagte.
Nach Einholung der erforderlichen behördlichen Zustimmungen kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 21. Juni 2010 die Arbeitsverhältnisse der Schwerbehinderten und in Elternzeit befindlichen Arbeiternehmer in Deutschland.
Den Kläger stellte die Beklagte ab 09. August 2010 von der Erbringung der Arbeitsleistung frei. Lediglich die Arbeitnehmer L.-H. und B., die in dem Berliner Stadtbüro tätig sind und lange Kündigungsfristen haben, beschäftigte die Beklagte zunächst noch weiter.
Mit der am 17. Mai 2010 bei Gericht eingegangenen und der Beklagten am 25. Mai 2010 zugestellten Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung der Beklagten vom 22. April 2010 gewandt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil das Kündigungsschreiben den Aussteller nicht hinreichend erkennen lasse. Die Beklagte werde in dem Schreiben nicht ausdrücklich erwähnt und es sei nicht kenntlich gemacht, dass die Unterzeichner im Namen der Beklagten – und nicht etwa für eine Tochtergesellschaft der Beklagten – gehandelt hätten. Der Kläger hat behauptet, seine Tätigkeit falle nicht weg, es sei nicht möglich bzw. ineffektiv seine Tätigkeiten vom Geschäftssitz der Beklagten in Budapest aus durchzuführen. Eine unangekündigte Kontrolle der Airport Handling Company durch Mitarbeiter aus Budapest scheitere schon daran, dass die Mitarbeiter keine allgemeine Zutrittsberechtigung für den Sicherheitsbereich des Flughafens besäßen. Ein Einwirken auf den Entscheidungsvorgang vor Ort und eine Prüfung, ob die Leistungen der Airport Handling Company tatsächlich erbracht würden, sei von Budapest aus nicht möglich. Die Besatzung der
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Flugzeuge sei nicht in der Lage, Berichte über die Arbeit der Airport Handling Companies zu fertigen. In Interviews im ungarischen Radio und Fernsehen sei ferner geäußert worden, dass eine erwogene Schließung der Auslandsbüros überprüft werde.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 22. April 2010 nicht aufgelöst wird.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, sie gebe ihre Präsenz in Deutschland vollständig auf. Die Positionen der Stationsleiter seien auf Grund des Beschlusses vom 08. September 2009 deutschlandweit gestrichen worden. Die Abfertigung der Flüge aus Deutschland erfolge vollständig durch die A. H. C., eigenes Personal in Deutschland sei nicht erforderlich. Die Kontrolle der A. H. C. erfolge vom Hauptsitz der Beklagten in Budapest aus, die Organisation der Abwicklung bei Flugkomplikationen erfolge durch ein Callcenter in Budapest und die A.H. C. G.. Wegen der Einzelheiten der von Beklagten behaupteten Verteilung der bisherigen Aufgaben des Klägers wird auf den Schriftsatz vom 29. Oktober 2010, S. 2 – 5 (Bl. 100 – 103 d. A.) verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 17. Dezember 2010 abgewiesen. Zur Begründung hat es – kurz gefasst – ausgeführt, die Kündigung sei zum einen nicht aus formellen Gründen nichtig, da das Kündigungsschreiben von einem bevollmächtigten Vertreter unterschrieben sei und sich aus dem Schreiben objektiv erkennbar ergebe, dass der Vertreter für die Beklagten handelte. Die Kündigung sei auch sozial gerechtfertigt. Der Arbeitsplatz des Klägers sei aufgrund der am 8. September 2009 notariell beurkundeten unternehmerischen Entscheidung entfallen; die Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung habe zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits greifbare Formen angenommen.
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Gegen das ihm am 27. Dezember 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger mit beim Landesarbeitsgericht am 27. Januar 2011 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 21. März 2011 mit beim Landesarbeitsgericht am 21. März 2011 eingegangenen Schriftsatz begründet. Der Kläger vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag. Er vertritt in der Berufungsinstanz zusätzlich die Auffassung, eine Betriebsstilllegung sei deswegen nicht gegeben, weil die Beklagte die deutschen Grenzen überschreitend aufgestellt sei. Er verweist darauf, dass die Beklagte zum Kündigungszeitpunkt nicht alle ihre Stationen in Europa geschlossen hatte. Die Beklagte betreibe die Stationen in Athen, Amsterdam, Brüssel, Madrid und Tel Aviv auch gegenwärtig noch weiter. In diesen Stationen werden auch jeweils noch Stationsleiter mit einem dem Aufgabenkreis des Klägers identischen Arbeitsaufgaben beschäftigt. Es handele sich auch um einen Betrieb, da alle Stationsleiter ebenso wie der Kläger fachlich und disziplinarisch der in Budapest ansässigen Verkehrsdirektorin der Beklagten unterstellt seien. Insoweit sei die Beklagte verpflichtet gewesen, eine Sozialauswahl unter Einbeziehung der übrigen Standorte durchzuführen. Auch handele es sich nicht um eine Betriebsstilllegung, sondern um eine Verlagerung nach Ungarn. Die Arbeiten sollten in Zukunft von dem Hauptsitz der Beklagten in Budapest wahrgenommen werden; insoweit hätte die Beklagte vortragen müssen, wie ihr Stammpersonal im Head Office in Budapest in der Lage sein soll, die Tätigkeit der bisherigen 17 Mitarbeiter in Deutschland ohne überobligatorische Leistung zu übernehmen. Die Beklagte verfüge auch über die Möglichkeit, den Kläger innerhalb des Unternehmens auf einem anderen freien Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung habe bei der Beklagten ein Arbeitsplatz in der Abteilung Station Support in Budapest absehbar zur Besetzung offen gestanden. Diesen Arbeitsplatz hätte der Kläger ausfüllen können. Zudem bestehe in der Verkehrsabteilung der Beklagten in Budapest auf den Arbeitsplätzen als Verkehrsofficer und Rampofficer stets eine hohe Fluktuation, was für die Beklagte bereits bei Ausspruch der Kündigung absehbar gewesen sei.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,
1. auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 17. Dezember 2010 - 25 Ca 7698/10 – abzuändern,
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2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 22. April 2010 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Vertiefung ihres Rechtsvorbringens. Sie behauptet, es habe zum Zeitpunkt der Kündigung keine freien Arbeitsplätze in Budapest gegeben. Die anderweitige Behauptung des Klägers sei aber bereits aus Rechtsgründen unerheblich, da ein „freier Arbeitsplatz“ im Rechtsinne nur ein solcher im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sein könne.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie ihren Vortrag in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat keinen Erfolg.
A. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. c. statthafte Berufung des Klägers ist von ihm fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG). Sie ist damit zulässig.
B. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 22. April 2010 aufgelöst worden. Die Kündigung erweist sich als rechtswirksam.
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I. Auf das Vertragsverhältnis ist deutsches Rechts anwendbar. Dies ergibt sich nach Auffassung der Kammer allerdings nicht erst aus der Anwendung der am 17. Dezember 2009 in Kraft getretenen Verordnung (EG) Nr. 593/ 2008 (im Folgenden: Rom I) iVm. Art. 3 Nr. 1. b) EGBGB (so allerdings wohl in einem gleich gelagerten Fall LAG Hamburg 22. März 2011 - 1 Sa 2/11 - nv.). Diese Verordnung gilt nach deren Art. 1 Abs. 1 für vertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen, wobei es genügt, dass überhaupt in Frage steht, welche Rechtsordnung anzuwenden ist (vgl. MüKo-BGB/ Martiny 5. Aufl. Rom I – VO Rn. 15 mwN). Vorliegend geht indes nicht um die Frage, ob deutsches Recht oder eine andere Rechtsordnung anzuwenden sind, sondern welcher Inhalt der anzuwendenden deutschen Norm, insbesondere § 1 KSchG, zukommt (vgl. unten IV.).
Aber auch unter Zugrundlegung der Verordnung (EG) Nr. 593/ 2008 ist vorliegend deutsches Recht anwendbar. Nach Art. 8 Abs. 2 Satz 1 Rom I unterliegt der Arbeitsvertrag dem Recht des Staates, in dem oder andernfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, soweit das auf den Arbeitsvertrag anzuwendende Recht nicht durch Rechtswahl bestimmt ist. Die Parteien haben in ihrem Arbeitsvertrag eine Rechtswahl nicht getroffen. Der Kläger verrichtete seine Arbeit gewöhnlich in Deutschland. Demnach ist auch nach Rom I das deutsche Arbeitsrecht auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden
II. Die Kündigung vom 22. April 2010 wirkt nach § 164 BGB für und gegen die Beklagte. Die Kündigung ist im Sinne von § 164 Satz 1 BGB „im Namen“ der Beklagten abgegeben worden.
1. Für die Frage, ob jemand eine Erklärung auch in fremdem Namen abgibt, kommt es auf deren objektiven Erklärungswert an. Maßgeblich ist gemäß § 157 BGB wie sich die Erklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte für den Empfänger darstellt (BAG 28. November 2007 - 6 AZR 1108/06 - AP Nr. 36 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag = EzA § 123 BGB 2002 Nr. 7, zu II. 1. b. der Gründe).
2. Unter Berücksichtigung von Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und unter Anlegung eines objektiven Empfängerhorizonts ist die
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Kündigung vom 22. April 2010 für die Beklagte ausgesprochen worden. Das Schreiben ist vom CEO der Beklagten, der zum Ausspruch der Kündigung auch allein vertretungsberechtigt war, ausgesprochen worden. Das Schreiben nimmt Bezug auf die Schließung der deutschen Büros der Beklagten und es wird das Anstellungsverhältnis mit dem Kläger gekündigt. Nach Treu und Glauben konnte der Kläger diese Erklärung nur als Kündigung des zwischen ihm und der Beklagten tatsächlich bestehenden Arbeitsverhältnisses, nicht jedoch als Kündigung eines nicht existierenden Arbeitsverhältnisses zu einer Tochtergesellschaft oder dem CEO der Beklagten selbst verstehen.
III. Die Kündigung der Beklagten vom 22. April 2010 ist nicht nach § 623 BGB iVm. § 126 BGB unwirksam.
Nach § 623 BGB bedarf die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Kündigung der Schriftform. Die durch Gesetz vorgeschriebene Schriftform wird nach § 126 Abs. 1 BGB dadurch erfüllt, dass die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet wird. Unterzeichnet für eine Vertragspartei ein Vertreter die Erklärung, muss das Vertretungsverhältnis in der Urkunde deutlich zum Ausdruck kommen (BAG 28. November 2007 - 6 AZR 1108/06 - AP Nr. 36 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag = EzA § 123 BGB 2002 Nr. 7, zu II. 1. b. der Gründe). Die Schriftform des § 126 BGB ist nur gewahrt, wenn der rechtsgeschäftliche Vertretungswille in der Urkunde, wenn auch nur unvollkommen, Ausdruck gefunden hat (BAG 28. November 2007 - 6 AZR 1108/06 - AP Nr. 36 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag = EzA § 123 BGB 2002 Nr. 7, zu II. 1. b. der Gründe; BAG 21. April 2005 – 2 AZR 162/04 - AP BGB § 623 Nr. 4 = EzA BGB 2002 § 623 Nr. 4, zu II 2 der Gründe).
Der rechtgeschäftliche Vertretungswille für die Beklagte ist in dem Kündigungsschreiben vom 22. April 2010 – wie oben unter B II. dargelegt – ausreichend zum Ausdruck gekommen. Die Schriftform der §§ 126 BGB iVm. 623 BGB wurde damit durch die eigenhändige Unterschrift des CEO namens und in Vollmacht für die Beklagte gewahrt.
IV. Die Kündigung der Beklagten ist nicht nach § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam.
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1. § 1 KSchG findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien, das länger als sechs Monate bestand, Anwendung. Die Geltung des 1. Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes für das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch nicht nach § 23 Abs. 1 Satz 2 bis 4 KSchG ausgeschlossen. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte zum Kündigungszeitpunkt mehr als 5 bzw. mehr als 10 Arbeitnehmer iSd. § 23 Abs. 1 Satz 2 bis 4 KSchG beschäftigte, ohne dass es einer Entscheidung bedürfte, ob die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 KSchG im Inland erfüllt werden müssen.
2. Nach § 1 Abs. 1 KSchG ist eine Kündigung unwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.
a. Vorliegend ist die Kündigung iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG aus dringenden betrieblichen Erfordernissen, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers in dem Betrieb entgegenstehen, gerechtfertigt.
aa. Zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen, die nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG einen Grund zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung abgeben können, gehört die Stilllegung des gesamten Betriebes. Unter Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Verfolgung des bisherigen Betriebszweckes dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen. Mit der Stilllegung des gesamten Betriebes entfallen alle Beschäftigungsmöglichkeiten. Der Arbeitgeber muss endgültig entschlossen sein, den Betrieb stillzulegen. Demgemäß ist von einer Stilllegung auszugehen, wenn der Arbeitgeber seine Stilllegungsabsicht unmissverständlich äußert, allen Arbeitnehmern kündigt, etwaige Mietverträge zum nächstmöglichen Zeitpunkt auflöst, die Betriebsmittel, über die er verfügen kann, veräußert und die Betriebstätigkeit vollständig einstellt. Die betreffenden betrieblichen Umstände müssen greifbare Formen angenommen haben. Diese liegen vor, wenn im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung aufgrund einer vernünftigen, betriebswirtschaftlichen Betrachtung davon auszugehen ist, zum Zeitpunkt des Kündigungstermins sei mit einiger Sicherheit der Eintritt eines die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben (BAG 28. Mai 2009 – 8
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AZR 273/08 - AP Nr. 370 zu § 613a BGB = EzA § 17 KSchG Nr. 20, zu B. I. 1. a. der Gründe).
bb. Vorliegend hat die Beklagte die am 8. September 2009 dokumentierte unternehmerische Entscheidung getroffen, sämtliche Büros in Deutschland zu schließen und damit ihren Betrieb in Deutschland stillzulegen. Insoweit schließt sich das Berufungsgericht den überzeugenden Ausführungen des Arbeitsgericht an (S. 8 – 9 des Urteils = Bl. 147 – 148 d. A.) und sieht von einer rein wiederholenden Darstellung ab (§ 69 Abs. 2 ArbGG).
cc. Das Vorbringen des Klägers in der Berufungsinstanz rechtfertigt keine andere Bewertung. Der Kläger beruft sich insoweit darauf, dass die Beklagte die deutschen Grenzen überschreitend aufgestellt ist und zum Kündigungszeitpunkt nicht alle ihre Stationen in Europa geschlossen waren und im Übrigen die Aufgaben des Klägers in Budapest weiter wahrgenommen werden.
Dieses Vorbringen des Klägers stellt das Vorliegen einer Betriebsstilllegung nicht in Zweifel. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG müssen die dringenden betrieblichen Gründe eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers „in diesem Betrieb“ entgegenstehen. Die Aufrechterhaltung von anderen Betriebsstätten außerhalb Deutschlands stellt eine Betriebsstilllegung in Deutschland aber nicht in Zweifel. Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit „in diesem Betrieb“ iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG setzt das Vorliegen einer Betriebsstätte in Deutschland voraus. Der Begriff des Betriebes wird – in Ermangelung von Hinweisen für eine unterschiedliche Bedeutung – im Kündigungsschutzgesetz einheitlich gebraucht (BAG 17. Januar 2008 – 2 AZR 902/06 - AP Nr. 40 zu § 23 KSchG 1969 = EzA § 23 KSchG Nr. 31, zu B. II. 1. b. der Gründe; Bepler AuR 1997, 54 (57); Falder NZA 1998, 1254 (1257); M. Schmidt NZA 1998, 169 (172)). Das Bundesarbeitsgericht vertritt im Hinblick auf § 23 KSchG in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass das Kündigungsschutzgesetz nur auf im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gelegene Betriebe anzuwenden ist (BAG 26. März 2009 - 2 AZR 883/07- AP Nr. 45 zu § 23 KSchG 1969; zu B. I. der Gründe; BAG 17. Januar 2008 – 2 AZR 902/06 - AP Nr. 40 zu § 23 KSchG 1969 = EzA § 23 KSchG Nr. 31, zu B II. 2. der Gründe; BAG 3. Juni 2004 - 2 AZR 386/03 - AP KSchG 1969 § 23 Nr. 33 = EzA KSchG § 23 Nr. 27, zu B I 4 der Gründe; BAG 9. Oktober 1997 – 2 AZR 64/97- AP Nr. 16 zu § 23 KSchG 1969 = EzA § 23 KSchG Nr. 16, zu II 2 a der Gründe).
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Dem schließt sich die erkennende Kammer an. Zwar ist der räumliche Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nicht deshalb zwingend auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland begrenzt, weil die räumliche Geltung eines Gesetzes sich maximal auf den örtlichen Zuständigkeitsbereich des rechtssetzenden Organs erstrecken würde (so noch BAG 9. Oktober 1997 – 2 AZR 64/97- AP Nr. 16 zu § 23 KSchG 1969 = EzA § 23 KSchG Nr. 16, zu II 2 a der Gründe); ob privatrechtliche Normen des deutschen Rechts Anwendung finden, bestimmt sich vielmehr in jedem Einzelfall nach Maßgabe des Internationalen Privatrechts (instruktiv Junker, FS Konzen, S. 367 ff.; Gravenhorst, RdA 2007, 283), dh. bei Individualarbeitsverträgen seit dem 17. Dezember 2009 nach Art. 8 Rom I.
Insoweit lässt sich eine Begrenzung des Anwendungsbereichs des KSchG nicht bereits aus dem Territorialprinzip herleiten. Ebensowenig determiniert aber der räumliche Anwendungsbereich einer Norm deren materiellen Inhalt. Die Tatsache, dass die Geltung des KSchG ggf. im Rahmen des Art. 8 Rom I auch für Arbeitnehmer vereinbart werden kann, die außerhalb Deutschlands arbeiten, bedeutet damit nicht automatisch, dass Betrieb iSd. KSchG auch ein außerhalb Deutschlands gelegener Betrieb sein muss. Vielmehr ist der Inhalt des Betriebsbegriffs durch Auslegung zu ermitteln (so auch Junker FS Konzen, 367 (377)).
Das BAG hat bereits in seiner Entscheidung vom 17. Januar 2008 (2 AZR 902/06 - AP Nr. 40 zu § 23 KSchG 1969 = EzA § 23 KSchG Nr. 31, zu B. II. 2. a. der Gründe) im Einzelnen begründet, dass bei einer Auslegung der Norm § 23 KSchG nur Betriebe erfasst, die in der Bundesrepublik Deutschland liegen (zustimmend Mückl EWiR 2009, 585; Otto/Mückl BB 2009, 1926; Otto/Mückl BB 2008, 1231; kritisch Straube DB 2009, 1406; Deinert, ArbuR 2008, 300; Pomberg EWiR 2008, 667; zusammenfassend Boemke, JuS 2008, 751). Dem schließt sich die erkennende Kammer an. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 12.03.2009, mit dem es die gegen diese Entscheidung gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht angenommen hat (- 1 BvR 1250/08 nv. – zitiert nach juris), ausdrücklich erklärt, dass die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts, das Kündigungsschutzgesetz gelte grundsätzlich nur für Betriebe in der Bundesrepublik Deutschland, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Das
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BAG hat seine Rechtsprechung in seiner Entscheidung vom 26. März 2009 (- 2 AZR 883/07- AP Nr. 45 zu § 23 KSchG 1969; zu B. I. der Gründe) bestätigt.
Ist ein Betrieb iSd. § 23 KSchG nur ein im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gelegener Betrieb und wird der Betriebsbegriff im Kündigungsschutzgesetz einheitlich gebraucht, so kann auch ein Betrieb iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG nur ein im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gelegener Betrieb sein. Hat die Beklagte ihren im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gelegener Betrieb stillgelegt, so stehen dringenden betrieblichen Gründe eine Weiterbeschäftigung Klägers „in diesem Betrieb“ entgegen, auch wenn die Beklagte andere Betriebsstätten außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland aufrechterhält.
Etwas anderes lässt sich auch nicht aus der Entscheidung des BAG vom 26. Mai 2011 (- 8 AZR 37/10 –) herleiten. In dem dortigen Fall hat das BAG bei einem in Deutschland gelegenen Betrieb eine Kündigung wegen Verstoßes gegen § 613a Abs. 4 BGB für unwirksam erachtet, weil ein Betriebsteil an ein Schweitzer Unternehmen übertragen wurde. Dies stellt einen nach deutschem Recht zu beurteilenden Betriebsübergang dar, der eine Rechtfertigung der ausgesprochenen Kündigungen durch dringende betriebliche Gründe ausschließt. Welcher Nationalität der Erwerber des Betriebsteils ist, ist dabei unerheblich. Dies hat aber für die hier zu beurteilende Frage, ob ein Betrieb i.S.d. Kündigungsschutzgesetzes auch eine Betriebsstätte im Ausland sein kann, keine rechtliche Relevanz.
b. Die Kündigung ist auch nicht deswegen unwirksam, weil nach der Behauptung des Klägers, bei der Beklagten freie Arbeitsplätze außerhalb Deutschlands bestünden. Die von dem Kläger benannten Arbeitsplätze außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland sind keine „freien Arbeitsplätze“, deren Nichtberücksichtigung zu einer Sozialwidrigkeit der Kündigung führte.
Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 1 b) KSchG ist eine Kündigung auch sozial ungerechtfertigt, wenn in Betrieben des privaten Rechts der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann. Vorausgesetzt ist damit stets eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in einem Betrieb i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 2
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Ziff. 1 b) KSchG. Da der Begriff des Betriebes – in Ermangelung von Hinweisen für eine unterschiedliche Bedeutung – im Kündigungsschutzgesetz einheitlich gebraucht wird (BAG 17. Januar 2008 – 2 AZR 902/06 - AP Nr. 40 zu § 23 KSchG 1969 = EzA § 23 KSchG Nr. 31, zu B. II. 1. b. der Gründe; Bepler AuR 1997, 54 (57); Falder NZA 1998, 1254 (1257); M. Schmidt NZA 1998, 169 (172)), ist Betrieb auch iSd. § 1 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 1 b) KSchG nur ein im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gelegener Betrieb. Der Arbeitnehmer kann dementsprechend nicht iSd. § 1 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 1 b) KSchG in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden, wenn der Arbeitgeber keinen anderen Betrieb in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland unterhält. Vorliegend hat sich der Kläger nur auf freie Arbeitsplätze im Ausland berufen. Diese sind keine Arbeitsplätze „in demselben Betrieb oder einem anderen Betrieb des Unternehmens“ iSd. § 1 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 1 b) KSchG.
Diese einheitliche auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland abstellende Betrachtungsweise hinsichtlich des Betriebsbegriffs im KSchG ist bei der Überprüfung der Sozialwidrigkeit einer Kündigung auch geboten. Bei der Prüfung der Sozialwidrigkeit ist Voraussetzung, dass gegenüber allen etwa angesprochenen Arbeitnehmern und gegenüber dem Arbeitgeber dasselbe, nämlich deutsches Arbeitsrecht und insbesondere das Recht des Kündigungsschutzgesetzes angewendet und auch durchgesetzt werden kann. Diese Voraussetzung sicherzustellen, ist ein elementares Anliegen bei der Auslegung des Begriffs „Betrieb“, weil anderenfalls die Kohärenzen und Korrespondenzen des Kündigungsschutzrechts zerrissen würden (BAG 26. März 2009 - 2 AZR 883/07- AP Nr. 45 zu § 23 KSchG 1969; zu B. I. 2. b. der Gründe). Dies zeigt sich im besonderen Maße auch bei der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben desselben Unternehmens (BAG 26. März 2009 - 2 AZR 883/07- AP Nr. 45 zu § 23 KSchG 1969; zu B. I. 2. a. der Gründe). Hierzu hat das LAG Berlin Brandenburg bereits ausgeführt (Urteil vom 5. Mai 2011 – 5 Sa 219/11 – und Urteil vom 5. Mai 2011 – 5 Sa 220/11-):
„Zum einen würde dies die Freiheit des einer anderen Rechtsordnung unterliegenden Unternehmens bei der Auswahl ggfs. neu einzustellender Arbeitnehmer einschränken, ohne dass dies dem im ausländischen Betrieb geltenden Recht entsprechen müsste, zum anderen würden die Bewerbungschancen der Mitbewerber im Ausland beeinträchtigt, ohne
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dass diese ihrerseits vergleichbare Rechte erwerben könnten, wie diese den deutschen Arbeitnehmern zustehen. Hinzu kommt, dass bei dauerhafter Versetzung und Tätigkeitsaufnahme in einem ausländischen Betrieb innerhalb der Europäischen Union bei fehlender Rechtswahl im Arbeitsvertrag nach Art. 8 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 nunmehr automatisch das dort geltende nationale Recht auf das Arbeitsverhältnis zur Anwendung käme, was Auswirkungen insbesondere auf Vergütung, Kündigungsschutz und sonstige Arbeitsbedingungen hätte. Schon deshalb dürfte hierfür regelmäßig eine Änderungsvereinbarung bzw. im Falle der Nichteinigung eine Änderungskündigung erforderlich sein. Dies würde zusätzliche Fragen der Zumutbarkeit aufwerfen, die in ihrer Komplexität vom Sinn und Zweck des aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgeleiteten Beschäftigungsanspruches in anderen Betrieben eines Unternehmens zur Vermeidung einer Kündigung nicht mehr erfasst würden.“
Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich die erkennende Kammer an.
c. Die Kündigung ist auch nicht nach § 1 Abs. 3 KSchG sozial ungerechtfertigt. Eine Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG hatte die Beklagte nicht vorzunehmen.
aa. Eine Sozialauswahl erfolgt stets betriebsbezogen (BAG 18. Oktober 2006 - 2 AZR 676/05 - EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 73 = AP Nr. 163 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG 2. Juni 2005 – 2 AZR 158/04 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 73 = EzA KSchG § Soziale Auswahl Nr. 61). In die Sozialauswahl sind deswegen nur Arbeitnehmer einzubeziehen, die in demselben Betrieb tätig sind. Auch im Hinblick auf die durchzuführende Sozialauswahl kann Betrieb nur ein in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gelegener Betrieb sein. Die Durchführung einer Sozialauswahl unter Einbeziehung aller Arbeitnehmer der Beklagten europaweit wäre im Übrigen weder rechtlich noch tatsächlich möglich, da die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer ganz unterschiedlichen Rechtsordnungen unterliegen. Erstreckte man die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG auch auf Arbeitnehmer, die anderen Rechtsordnungen unterliegen, würde man § 1 Abs. 3 KSchG mittelbar auch auf Arbeitsverhältnisse ausdehnen, die unzweifelhaft § 1 Abs. 3 KSchG gar nicht unterliegen, da man den Arbeitgeber zwänge, ggf. Kündigungen gegenüber
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nicht in der Bundesrepublik Deutschland tätigen Arbeitnehmern an Stelle der in der Bundesrepublik Deutschland tätigen auszusprechen. Des Weiteren ist auch nicht ersichtlich, dass die mittelbare Erstreckung des § 1 Abs. 3 KSchG auf Arbeitsverhältnisse, die dem deutschen Recht nicht unterliegen, und die damit verbundene Kündigung „sozial stärkerer“ Arbeitnehmer im Ausland überhaupt durchsetzbar ist. Dem könnten die im Ausland geltende Vertragsrechte und die für die dort bestehenden Arbeitsverhältnisse geltenden gesetzlichen Bestimmungen entgegenstehen. Eine Sozialauswahl kann entsprechend nur in demselben, in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland befindlichen Betrieb durchgeführt werden.
bb. Da im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung sämtliche Arbeitnehmer des Beschäftigungsbetriebes in Deutschland, mit Ausnahme der Schwerbehinderten und in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmer, deren Sonderkündigungsschutz bereits einer Sozialauswahl entgegenstand, ebenfalls gekündigt wurden, und auch keine etappenweise Betriebsstilllegung vorlag, war eine Sozialauswahl nicht vorzunehmen.
V. Andere Unwirksamkeitsgründe sich nicht ersichtlich. Die Kündigung der Beklagten vom 22. April 2010 hat damit das Arbeitsverhältnis innerhalb der Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Nr. 7 BGB zum 30. November 2010 beendet.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Danach hat der Kläger die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
D. Die Entscheidung über die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2
Nr. 1 ArbGG.
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Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil kann von d. Kläger bei dem
Bundesarbeitsgericht,
Hugo-Preuß-Platz 1, 99084 Erfurt
(Postadresse: 99113 Erfurt),
Revision eingelegt werden.
Die Revision muss innerhalb
einer Notfrist von einem Monat
schriftlich beim Bundesarbeitsgericht eingelegt werden.
Sie ist gleichzeitig oder innerhalb
einer Frist von zwei Monaten
schriftlich zu begründen.
Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgesetzten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
Die Revisionsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Revision gerichtet wird und die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Revision eingelegt werde.
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Als solche sind außer Rechtsanwälten nur folgende Stellen zugelassen, die zudem durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln müssen:
• Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
• juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Für d. Beklagte ist kein Rechtsmittel gegeben.
Der Schriftform wird auch durch Einreichung eines elektronischen Dokuments i. S. d. § 46 c ArbGG genügt. Nähere Informationen dazu finden sich auf der Internetseite des Bundesarbeitsgerichts unter www.bundesarbeitsgericht.de.
Dr. Sch.
P.
F.
Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:
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