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LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.03.2010, 7 Sa 58/10
Schlagworte: | Behinderung | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg | |
Aktenzeichen: | 7 Sa 58/10 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 30.03.2010 | |
Leitsätze: | Die unternehmerische Entscheidung einen leidensgerechten Arbeitsplatz in Wegfall zu bringen, erweist sich dann als unsachlich bzw. willkürlich, wenn der Arbeitgeber aus § 81 Abs. 4 SGB IX gleich wieder verpflichtet wäre, einen solchen zu schaffen. | |
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Berlin, Urteile vom 02.12.2009, 17 Ca 12606/09 | |
Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg
Verkündet
am 30. März 2010
Geschäftszeichen (bitte immer angeben)
7 Sa 58/10
17 Ca 12606/09
Arbeitsgericht Berlin
Hellwig, VA
als Urkundsbeamter/in
der Geschäftsstelle
Im Namen des Volkes
Urteil
In Sachen
pp
hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 7. Kammer,
auf die mündliche Verhandlung vom 30. März 2010
durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht R. als Vorsitzende
sowie die ehrenamtlichen Richter Frau W. und Herr Sch.
für Recht erkannt:
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin
vom 02. Dezember 2009 - 17 Ca 12606/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
Der am ……1955 geborene, verheiratete Kläger, der sechs volljährige Kinder hat, ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 13.06.1983 auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 36 d.A.) im Akkordlohn beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die Metallindustrie Anwendung.
Zunächst war der Kläger als Ofenbediener und später als Zieher tätig. Im Jahr 1995 erlitt er einen Arbeitsunfall, bei dem er mehrere Finger seiner linken Hand verlor und infolgedessen mit einem Grad von 60 als schwerbehindert anerkannt wurde. Da er nach einem werksärztlichen Attest vom 29. Juli 1996 seine bis dahin ausgeübte Tätigkeit in der Zieherei bzw. als Zieher ebenso wenig ausüben konnte, wie sonstige Tätigkeiten, bei denen eine volle Funktions- bzw. Greiffähigkeit beider Hände notwendig war, setzte ihn die Beklagte ab 1996 als Kranbediener im Bereich „Zieherei Allgemein“ ein. Für die dort anfallenden Aufgaben des Klägers wird auf die Tätigkeitsbeschreibung (Bl. 34 und 35 d. A.) Bezug genommen.
Auf Grund von Auftragsrückgängen schloss die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat unter dem 27. Februar 2009 eine Betriebsvereinbarung zum Zwecke der Einführung von Kurzarbeit für die Zeit vom 01. März 2009 bis zum 31. August 2009. Die Betriebsvereinbarung über Kurzarbeit wurde in der Folgezeit durch zwei Betriebsvereinbarungen ergänzt, mit denen u. a. auch die wöchentliche Arbeitszeit weiter reduziert wurde. Mit einer weiteren Betriebsvereinbarung aus Juli 2009 verlängerten die Betriebsparteien die Kurzarbeit auf den Zeitraum vom 1. September 2009 bis zum 28. Februar 2010. Ob sich die wirtschaftliche Lage bei der Beklagten seit Sommer 2009 entspannte, ist zwischen den Parteien streitig.
Außerdem schlossen die Betriebsparteien am 27. Februar 2009 eine Rahmenbetriebsvereinbarung über die Einführung eines Prämienentgelts für bestimmte Bereiche, u. a. auch für die Rohrzieherei. Diese Rahmenbetriebsvereinbarung Nr. 165 sah unter anderem für diejenigen Arbeitnehmer, die den zur Anwendung des Prämienentgelts auf die Arbeitsverhältnisse erforderlichen Änderungsvertrag abschlossen, bis zur vollständigen Beendigung von Kurzarbeit in den Jahren 2009 und 2010 den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen vor. Insgesamt unterzeichneten 111 von 127 Arbeitnehmern das Änderungsangebot der Beklagten zur Einführung eines Prämienentgelts. Der Kläger lehnte eine entsprechende Änderungsvereinbarung ab.
Mit Schreiben vom 20. Mai 2009 (Bl. 60 ff. d. A.) hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers aus betriebsbedingten Gründen an, für deren Begründung sie dort anführt, die Geschäftsführung habe am 19. Mai 2009 endgültig und abschließend beschlossen, die im Bereich Zieherei Allgemein eingerichtete Funktion eines „Kranbedieners“ vollständig und dauerhaft in Wegfall zu bringen und die verbleibenden Aufgaben ab dem 01. Oktober 2009 von 3 anderen Mitarbeitern, die in der Funktion eines „Kranbedieners/Anfasers/Richters und Einteilsägers bzw. eines Kranbedieners/Anfasers/Ofenbedieners tätig sind, mit erledigen zu lassen, bei Bedarf auf eine Personalreserve zurückzugreifen bzw. eventuelle Verzögerungen und das Entstehen von Arbeitsrückständen in Kauf zu nehmen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Anhörungsschreibens wird auf die Anlage B 5 (Bl. 60 – 68 d. A.) Bezug genommen. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung des Klägers mit Schreiben vom 27.05.2009 u.a. mit der Begründung, die Kündigungen beträfen nur solche Mitarbeiter, die das neue Leistungsentgeltsystem nicht akzeptiert hätten, ohne dass eine Sozialauswahl stattgefunden habe. Wegen der Einzelheiten der Begründung des Widerspruchs wird auf das Schreiben des Betriebsrates vom 27.05.2009 Bezug genommen.
Ebenfalls mit Schreiben vom 20. Mai 2009 (Bl. 69 d. A.) beantragte die Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung des Klägers. Diese wurde ihr mit Bescheid vom 29. Juni 2009 erteilt (Bl. 78 ff. d. A.). Nachdem die Beklagte den Bescheid erhalten hatte, sprach sie mit Schreiben vom 07. Juli 2009 dem Kläger gegenüber eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung zum 28. Februar 2010 aus und stellte ihn zugleich ab dem 1. Oktober 2009 von der Arbeitsleistung frei.
Mit der vorliegenden Klage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung, die er mangels betriebsbedingten Erfordernisses und wegen fehlerhafter Sozialauswahl für sozial ungerechtfertigt und wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung für unwirksam hält.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 2. Dezember 2009, auf dessen Tatbestand wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten vom 7. Juli 2009 nicht aufgelöst worden ist, und die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens in der Rohrlinie zu allen dort anfallenden Arbeiten, insbesondere als Kranbediener, zu den bisherigen Arbeitsbedingen weiter zu beschäftigen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, weil die Beklagte betriebsbedingte Gründe i. S. von § 1 Abs. 2 KSchG nicht bzw. nicht ausreichend vorgetragen habe. Zudem verstoße die Kündigung der Beklagten gegen das Ultima-Ratio-Prinzip. Milderes Mittel sei eine Änderungskündigung, mit der dem Kläger eine der Prämienregelung entsprechende Vertragsänderung hätte angeboten werden können. Außerdem sei die Kündigung mangels ordnungsgemäßer Betriebsratsanhörung gem. § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam, weil sich die Beklagte gegenüber dem Betriebsrat darauf beschränkt habe, die unternehmerische Entscheidung mitzuteilen, ohne plausibel darzustellen, warum die unternehmerische Entscheidung überhaupt getroffen worden sei, inwieweit die innerbetrieblichen Gründe kausal für die Entscheidung gewesen seien und warum durch eine Änderungskündigung die Kündung nicht zu vermeiden gewesen wäre. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Gegen dieses der Beklagten am 11. Dezember 2009 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung, die sie mit einem beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg am 11. Januar 2010 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und mit einem beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg am 10. Februar 2010 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Die Beklagte und Berufungsklägerin verweist auch in der Berufungsinstanz zur Begründung der Kündigung auf ihre erstinstanzlich vorgetragene unternehmerische Entscheidung des Geschäftsführers vom 19. Mai 2009, die im Bereich der Zieherei/Allgemein eingerichtete Funktion eines Kranbedieners mit Wirkung zum 1. Oktober 2009 wegfallen zu lassen und die verbleibenden Aufgaben dem Mitarbeiter G. H., der im Bereich Zieherei/Allgemein in der Funktion eines „Kranbedieners/Anfasers/Richters und Einteilsägers tätig sei sowie den beiden Mitarbeitern K. und W., die als Kranbediener/Anfaser/Ofenbediener tätig seien, zu übertragen. Bei Bedarf könne auf eine aus zwei weiteren Mitarbeitern des Bereichs Zieherei/Allgemein gebildete Personalreserve zurückgegriffen werden. Zudem habe die Geschäftsführung am 19. Mai 2009 endgültig entschieden, eventuelle Verzögerungen und das Entstehen von Arbeitsrückständen bei der Abarbeitung der verbleibenden Aufgaben eines Kranbedieners in Kauf zu nehmen. Diese unternehmerische Entscheidung habe zum Wegfall von zwei Arbeitsplätzen als „Kranbediener“ geführt, darunter auch der Arbeitsplatz des Klägers. Hintergrund für die unternehmerische Entscheidung sei ein anhaltender, sich in der 14. Kalenderwoche noch einmal gravierend verschlechternder Auftragsrückgang gewesen, der nicht durch die Einführung von Kurzarbeit habe ausreichend aufgefangen werden können. Unter Bezugnahme auf ihre Darstellungen zu den in den einzelnen Bereichen anfallenden Tätigkeiten sowie der rückläufigen Auftrags- und Arbeitsmengenentwicklung, die bei den verbleibenden Mitarbeitern zu entsprechenden freien Kapazitäten geführt hätten, hält die Beklagte die unternehmerische Entscheidung auch für auf Dauer durchführbar. Die Einführung von Kurzarbeit stehe der von der Beklagten angestellten Prognose eines dauerhaften Arbeitsausfalls nicht entgegen, da sich der Umfang nach Einführung von Kurzarbeit nochmals erhöht habe. Der Einsatz von Leiharbeitnehmern im Februar 2010 erfolge wegen einer kurzfristigen Auftragsspitze, die durch eine unerwartete fehlende Marktpräsenz der Wettbewerber verursacht worden sei. Die Unternehmensgruppe Diehl-Metall habe technische Probleme im Produktionsablauf zu bewältigen gehabt und die Beklagte um Unterstützung bei deren Lösung ersucht. Sowohl diese Unternehmensgruppe als auch deren Kunden hätten vorübergehend die benötigten Produkte bei der Beklagten bestellt. Soweit Mitarbeiter aufgrund des in der Rahmenbetriebsvereinbarung Nr. 165 vorgesehenen Kündigungsschutzes nicht mehr in die Sozialauswahl einzubeziehen gewesen seien, werde damit nicht in unzulässiger Weise das Kündigungsschutzgesetz umgangen. Die Zusage von Kündigungsschutz sei sachlich gerechtfertigt gewesen, weil den Arbeitnehmern, die mit der Prämienregelung einverstanden gewesen seien, nach einem Entgeltverzicht die Sicherung der Arbeitsplätze habe angeboten werden sollen. Die Kündigung verstoße nicht gegen das Maßregelungsverbot. Sie habe die Kündigung nicht ausgesprochen, weil der Kläger der Änderungsvereinbarung nicht zugestimmt habe, sondern dringende betriebliche Erfordernisse diese bedingt hätten. Auch habe sie dem Kläger nicht vorrangig eine Änderungskündigung aussprechen können, da es bei ihrer unternehmerischen Entscheidung nicht darum gegangen sei, das Prämienentgeltsystem nun noch bei denjenigen einzuführen, die zuvor dem widersprochen hätten, sondern die betriebliche Arbeitsmenge an den Bedarf anzupassen. Auch erweise sich die Betriebsratsanhörung als rechtswirksam.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 02. Dezember 2009 (Az.: 17 Ca 12606/09)
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil unter Ergänzung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens und verweist darauf, dass sich mittlerweile die Auftragslage verbessert habe, wie sich auch an dem Einsatz von Leiharbeitnehmern zeige. Mittlerweile müssten alle Arbeitnehmer im Bereich der Zieherei wieder voll arbeiten. Der Kläger vertritt außerdem die Auffassung, die Herausnahme derjenigen Mitarbeiter aus der Sozialauswahl, die die Änderungsvereinbarungen unterzeichnet hatten, stelle eine Umgehung von § 1 Abs. 3 KSchG dar, die so nicht zulässig sei. Die Beklagte habe die unternehmerische Entscheidung getroffen, diejenigen Arbeitnehmer zu kündigen, die den Änderungsvertrag nicht unterzeichnet hätten. Hier sei zudem der Vorrang der Änderungskündigung vor der Beendigungskündigung zur Durchsetzung eines Prämiensystems zu berücksichtigen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze der Beklagten und Berufungsklägerin vom 10. Februar 2010 (Bl. 292 – Bl. 307 d. A.) sowie vom 23.03.2010 (Bl. 350 – Bl. 360 d. A.) sowie auf denjenigen des Klägers und Berufungsbeklagten vom 18.03.2010 (Bl. 320 – Bl. 336 d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist von ihr fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG).
Die Berufung der Beklagten ist daher zulässig.
2. Die Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 7. Juli 2009 aufgelöst worden ist und die Beklagte zur vorläufigen Weiterbeschäftigung verurteilt. Auch in der Berufungsinstanz ist es der Beklagten nicht gelungen die soziale Rechtfertigung im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG für die streitgegenständliche Kündigung zu begründen. Die Kündigung erweist sich mithin als rechtsunwirksam.
2.1 Gemäß § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung ua. dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen. Dabei ist im Grundsatz davon auszugehen, dass sich betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG insbesondere aus innerbetrieblichen Umständen (Unternehmerentscheidungen), wie Rationalisierungs-maßnahmen, Umstellung oder Einschränkung der Produktion oder von Arbeitsabläufen ergeben (vgl. z.B. BAG v. 23.April 2008 – 2 AZR 1110/06 - EzA-SD 2008, Nr 15, 3-4). Eine solche unternehmerische Organisationsentscheidung begründet ein dringendes betriebliches Erfordernis iSd. § 1 Abs. 2 KSchG, wenn sie sich auf die Einsatzmöglichkeit des gekündigten Arbeitnehmers auswirkt. Dabei kann die unternehmerische Entscheidung auch darin bestehen, die Zahl der Arbeitskräfte zu bestimmen, mit denen eine Arbeitsaufgabe erledigt werden soll. Der Arbeitgeber kann grundsätzlich sowohl das Arbeitsvolumen (Menge der zu erledigenden Arbeit) als auch das diesem zugeordnete Arbeitskraftvolumen (Arbeitnehmer-Stunden) und damit auch das Verhältnis dieser beiden Größen zueinander festlegen (BAG v. 22. Mai 2003 – 2 AZR 326/02 - AP Nr 128 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Die unternehmerische Entscheidung selbst ist nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (vgl. z.B. BAG 21. September 2006 - 2 AZR 607/05 - AP KSchG 1969 § 2 Nr. 130 = EzA KSchG § 2 Nr. 62). Darunter fallen insbesondere solche unternehmerische Entscheidungen, die gegen gesetzliche und tarifliche Normen verstoßen (vgl. dazu BAG v. 18. Dezember 1997 - 2 AZR 709/96 - BAGE 87, 327).
Es obliegt den Arbeitsgerichten aber nachzuprüfen, ob eine unternehmerische Entscheidung überhaupt getroffen wurde und ob sie sich betrieblich dahingehend auswirkt, dass der Beschäftigungsbedarf für den gekündigten Arbeitnehmer entfallen ist. Zwar muss nicht ein bestimmter Arbeitsplatz entfallen sein. Voraussetzung ist aber, dass die Organisationsentscheidung ursächlich für den vom Arbeitgeber behaupteten Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses ist. Erschöpft sich die Entscheidung des Arbeitgebers im Wesentlichen darin, Personal einzusparen, so rückt sie nahe an den Kündigungsentschluss heran. Da die Kündigungsentscheidung selbst nach dem Gesetz nicht frei, sondern an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit ("Dauer") verdeutlichen, damit das Gericht prüfen kann, ob sie im Sinne der oben gekennzeichneten Rechtsprechung offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich, also missbräuchlich ausgesprochen worden ist (BAG v. 22. Mai 2003 – 2 AZR 326/02 – a.a.O.).
2.2 Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall erweist sich die streitgegenständliche Kündigung als sozial ungerechtfertigt. Die ihr zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung der Beklagten – deren Vortrag insoweit als zutreffend unterstellt – ist zum einen schon deshalb nicht auf Dauer durchführbar, weil sie so gegen gesetzliche Vorgaben in § 81 Abs. 4 SGB IX verstößt und eine Umorganisation wieder erforderlich würde, zum anderen ist sie auch hinsichtlich Durchführbarkeit und Dauer nicht hinreichend dargetan.
2.2.1 Nach dem Vortrag der Beklagten liegt dem Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses für den Kläger die unternehmerische Entscheidung zugrunde, die im Bereich Zieherei Allgemein eingerichtete Funktion eines „Kranbedieners“ ab dem 1.Oktober 2009 vollständig und dauerhaft wegfallen und die verbleibenden Aufgaben von Mitarbeitern wahrnehmen zu lassen, die in den Funktionen „Kranbediener/Anfaser/Richter und Einteilsäger“ (Herr H.) bzw. den Funktionen „Kranbediener/Anfaser/Ofenbediener“ (Herr K. und Herr W.) tätig sind. Diesen Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt, würden die beiden Arbeitsplätze eines alleinigen Kranbedieners in Wegfall geraten; es würden nur noch kombinierte Arbeitsplätze vorhanden sein. Auf diesen könnte der Kläger ohnehin nicht weiterbeschäftigt werden, weil er aufgrund der durch seinen Arbeitsunfall eingetretenen Verletzungen zur Verrichtung der kombinierten Tätigkeiten nicht in der Lage ist. Die Beklagte hatte ihm – nach ihrem eigenen Vortrag - den Arbeitsplatz des Kranbedieners mit den alleinigen Aufgaben eines Kranbedieners als leidensgerechten Arbeitsplatz zugewiesen.
Einer solchen auf Dauer angelegten unternehmerischen Entscheidung der Beklagten stehen indes die gesetzlichen Pflichten der Beklagten nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr 1 SGB IX entgegen, wonach die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger einen leidensgerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und ihm eine behindertengerechte Beschäftigung zu ermöglichen. Unstreitig ist der Kläger nach einem Arbeitsunfall bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin mit einem Grad von 60 als behindert anerkannt. Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Ist dazu die Umgestaltung der Arbeitsorganisation erforderlich, ist der Arbeitgeber auch dazu verpflichtet, sofern dies möglich ist. So kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer z.B. verlangen, dass er nur mit leichteren Arbeiten beschäftigt wird, sofern im Betrieb die Möglichkeit zu einer solchen Aufgabenumverteilung besteht (BAG v. 14. März 2006 – 9 AZR 411/05 - AP Nr 11 zu § 81 SGB IX).
Dieser Verpflichtung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX ist die Beklagte zunächst nachgekommen, indem sie dem Kläger nach dem Arbeitsunfall die Tätigkeit eines Kranbedieners zugewiesen hat. Dies waren die Tätigkeiten, die der Kläger mit seiner unfallbedingten Behinderung noch ausüben konnte. Diesen leidensgerechten Arbeitsplatz kann die Beklagte nicht allein durch die unternehmerische Entscheidung, verschiedene Tätigkeiten zusammenzufassen, in Wegfall bringen. Eine solche unternehmerische Entscheidung erwiese sich als unsachlich bzw. willkürlich. Die Beklagte wäre nämlich unmittelbar nach deren Umsetzung wieder verpflichtet im Wege einer Umorganisation die Tätigkeiten des Kranbedieners in einem Arbeitsplatz zusammenzufassen, um dem Kläger nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX wieder eine leidensgerechte Tätigkeit zuzuweisen.
2.2.2. Allerdings hat die Beklagte nicht nur die oben beschriebene unternehmerische Entscheidung zur Umgestaltung der Arbeitsplätze der Kranbediener getroffen, sondern zudem die Entscheidung, zwei Arbeitsplätze in Wegfall zu bringen, um die Zahl der Beschäftigten an das Arbeitsvolumen anzupassen. Insoweit hat die Beklagte ihre unternehmerische Entscheidung entsprechend der oben dargestellten Grundsätze hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit ("Dauer") indes nicht ausreichend verdeutlicht.
Die unternehmerische Entscheidung der Beklagten, im Bereich des Klägers zwei Arbeitsplätze wegfallen zu lassen, ist nur dann auf Dauer durchführbar, wenn im Bereich des Klägers entsprechendes Arbeitsvolumen entfällt. Dazu hat die Beklagte erstinstanzlich umfangreiche Berechnungen zum Rückgang der Arbeitsmenge und des durchschnittlich dadurch freiwerdenden Arbeitsvolumens in den verschiedenen Arbeitsbereichen, so auch im Arbeitsbereich des Klägers, schriftsätzlich dargestellt, in deren Ergebnis die Beklagte zu einem Rückgang von ca. 10,97 Stunden wöchentlich pro Arbeitnehmer kommt (vgl. S. 22 des Schriftsatz der Beklagten vom 18.11.2009). Dass dieser Rückgang aber auf Dauer bestehen wird, lässt sich dem Vortrag der Beklagten nicht hinreichend entnehmen. Vielmehr sprachen die verschiedenen, auch noch im Juli 2009, also in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Zugang der hier streitigen Kündigung, mit dem Betriebsrat abgeschlossenen Vereinbarungen zur Einführung von Kurzarbeit indiziell dafür, dass die Beklagte selbst von einem nur vorübergehenden Arbeitsmangel ausgegangen ist, der eine betriebsbedingte Kündigung noch nicht rechtfertigen kann (vgl. BAG v. 26.06.1997 – 2 AZR 494/96 - AP Nr 86 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung).
Dieses Indiz hat die Beklagte nicht durch konkreten Sachvortrag entkräftet, wonach eine Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger auf Dauer entfallen ist. Die Tätigkeiten der Kranbedienung sind in gleicher Weise von dem die Kurzarbeit begründenden Auftragsrückgang betroffen, wie die anderen Arbeiten in diesem Bereich. Rationalisierungsmaßnahmen, die zu einem geringeren Anfall dieser Arbeiten führen würden, hat die Beklagte nicht behauptet. Vielmehr beruft sich die Beklagte zur Widerlegung dieses Indizes auf ihre unternehmerische Entscheidung, den Arbeitsplatz eines Kranbedieners in der Weise umorganisiert zu haben, dass alleinige Tätigkeiten der Kranbedienung nicht mehr anfallen werden. Dies wäre zwar im Regelfall durchaus eine Rationalisierungsmaßnahme, die zu einem dauerhaften Wegfall entsprechender Arbeitsplätze führen und damit nach der obigen Rechtsprechung das durch die Einführung von Kurzarbeit begründete Indiz für den nur vorübergehenden Arbeitsmangel an der Tätigkeit eines (ausschließlichen) Kranbedieners widerlegen könnten. Im konkreten Fall galt dies jedoch nicht. Denn der Dauerhaftigkeit dieser unternehmerischen Entscheidung stand die sich aus dem Arbeitsunfall und der darauf beruhenden Schwerbehinderung des Klägers begründete Verpflichtung der Beklagten entgegen, dem Kläger einen leidensgerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Steigt das Auftragsvolumen und damit das Arbeitsvolumen wieder an, wovon die Beklagte in Anbetracht der vereinbarten Kurzarbeit wohl ausgeht, steigt auch das Arbeitsvolumen im Bereich der Kranbedienung wieder an. Die Beklagte könnte und müsste dem Kläger in diesem Fall – ungeachtet ihrer getroffenen unternehmerischen Entscheidung – nach entsprechender Umorganisation einen leidensgerechten Arbeitsplatz als Kranbediener zuweisen. Mithin war der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs für den Kläger gleichfalls nicht auf Dauer angelegt. Ein dringendes betriebliches Erfordernis war insoweit nicht gegeben. Dahingestellt bleiben kann in diesem Zusammenhang, ob der Kläger nicht nach entsprechenden Umorganisationen schon deshalb weiterbeschäftigt werden konnte, weil die Beklagte im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung beim Kläger, dem für die Prüfung der Wirksamkeit maßgeblichen Zeitpunkt, außerordentliche Kündigungen gegenüber anderen Mitarbeitern ausgesprochen hat und damit weiteres verteilbares Arbeitsvolumen frei geworden ist.
Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Berechnungen der Beklagten nur dann rechnerisch schlüssig sind, wenn die Beklagte die beiden Mitarbeiter, die sie als Personalreserve bezeichnet, gleich mit in ihre Einsatzplanung einbezieht. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, dass aufgrund ihrer unternehmerischen Entscheidung, die Arbeitsplätze der alleinigen Kranbediener in Wegfall zu bringen, zwei Arbeitsplätze als Kranbediener betroffen seien. Ausgehend von einem durchschnittlichen Rückgang an Arbeitszeitvolumen von ca. 10,97 Stunden pro Mitarbeiter ergab sich damit ein abzudeckender Bedarf von insgesamt, 48,06 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit. Dafür standen der Beklagten aber bei den 3 Mitarbeitern, die sie an sich für die Übernahme dieser Tätigkeit eingeplant hat, ohne Berücksichtigung der mit dem Betriebsrat vereinbarten Kurzarbeit, nur 32,91 Stunden zur Verfügung.
2.3 War die streitgegenständliche Kündigung schon mangels betriebsbedingtem Erfordernisses nicht sozial gerechtfertigt, kam es auf die Frage der zutreffenden Sozialauswahl und die Auswirkungen des einzelvertraglichen Kündigungsschutzes nicht an.
3. Die Berufung der Beklagten war aus diesen Gründen zurückzuweisen, mit der Folge, dass sie gemäß § 97 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen hat.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben.
R.
W.
Sch.
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