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BAG, Ur­teil vom 16.12.2010, 2 AZR 485/08

   
Schlagworte: Datenschutz Arbeitnehmer
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 485/08
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 16.12.2010
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Halberstadt, Urteil vom 29.08.2007, 3 Ca 431/07
Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 15.04.2008, 11 Sa 522/07
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

2 AZR 485/08
11 Sa 522/07
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Sach­sen-An­halt

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
16. De­zem­ber 2010

UR­TEIL

Schmidt, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Be­klag­ter, Be­ru­fungs­be­klag­ter und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 18. März 2010 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Kreft, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Ey­lert, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Ber­ger so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Ba­er­baum und Dr. Sieg für Recht er­kannt:

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Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Sach­sen-An­halt vom 15. April 2008 - 11 Sa 522/07 - wird auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner außer­or­dent­li­chen Kündi­gung.

Der Be­klag­te be­treibt bun­des­weit Dro­ge­riemärk­te. Die Kläge­rin war seit 1994 bei ihm als Verkäufe­r­in/Kas­sie­re­rin tätig. Zu­letzt er­ziel­te sie bei ei­ner re­gelmäßigen wöchent­li­chen Ar­beits­zeit von 20 St­un­den ei­nen mo­nat­li­chen Brut­to­ver­dienst von 1.323,86 Eu­ro. Ar­beits­ort der Kläge­rin war die Ver­kaufs­stel­le (Fi­lia­le) B. Außer ihr wa­ren dort zwei wei­te­re Ar­beit­neh­me­rin­nen beschäftigt. Ein Be­triebs­rat war für den Be­zirk, dem die Ver­kauf­stel­le zu­ge­ord­net ist, nicht gewählt wor­den.

In der Fi­lia­le hing seit Jah­ren ein Pla­kat in Größe DIN-A3 aus, das ei­nen Hin­weis dar­auf ent­hielt, die Ver­kaufs­stel­len des Be­klag­ten würden durch De­tek­ti­ve, Ka­me­ra­an­la­gen und den Ein­satz von Si­cher­heits­diens­ten über­wacht. Tatsächlich kam Über­wa­chungs­tech­nik, außer im Rah­men von kurz­fris­ti­gen De­tek­tiv­einsätzen, nicht zum Ein­satz. Im Zeit­raum vom 17. bis 23. März 2007 ließ der Be­klag­te an der De­cke über dem Kas­sen­be­reich ei­ne Vi­deo­ka­me­ra an­brin­gen, mit de­ren Hil­fe die Kas­sier­vorgänge auf­zeich­net wur­den. Hierüber wur­den die Kläge­rin und ih­re Kol­le­gin­nen nicht ge­son­dert un­ter­rich­tet.

Bei der Aus­wer­tung der Vi­deo­auf­zeich­nun­gen fiel der zuständi­gen Ver­kaufs­lei­te­rin auf, dass die Kläge­rin am 23. März 2007 nach Dienst­schluss ei­nen sog. Per­so­nal­ein­kauf getätigt hat­te. Ei­ne an­sch­ließen­de Über­prüfung des den Ein­kauf do­ku­men­tie­ren­den Kas­sen­strei­fens er­gab, dass die Kläge­rin Wa­ren - über­wie­gend Süßig­kei­ten - im Wert von et­was über 60,00 Eu­ro er­wor­ben

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hat­te. In Höhe von 36,00 Eu­ro war der Kauf­preis mit ins­ge­samt sie­ben „pro­dukt­be­zo­ge­nen Gut­schei­nen“, ua. für ei­ne elek­tri­sche Zahnbürs­te und ein Win­del­pa­ket, ver­rech­net wor­den, ob­wohl die Kläge­rin sol­che Ar­ti­kel nicht ein­ge­kauft hat­te. Das ent­sprach nicht dem Ver­wen­dungs­zweck der Cou­pons. Pro­dukt­be­zo­ge­ne Gut­schei­ne (Ra­batt-Cou­pons) sind an den je­wei­li­gen Wa­ren­re­ga­len an­ge­bracht, wer­den aber auch in Form von Gut­schein­hef­ten an Kun­den aus­ge­ge­ben. Sie dürfen, wie der Kläge­rin be­kannt war, nur beim Er­werb der be­tref­fen­den Wa­ren ver­rech­net wer­den.

Im Per­so­nal­gespräch vom 2. April 2007 wur­de der Kläge­rin un­ter Vor­la­ge des Kas­sen­strei­fens Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me ge­ge­ben. Sie räum­te ein, dass sie die Gut­schei­ne nicht ha­be einlösen dürfen. Dem Be­klag­ten sei hier­durch aber kein Scha­den ent­stan­den.

Mit Schrei­ben vom 2. April 2007 kündig­te die Ver­kaufs­lei­te­rin für den Be­klag­ten das Ar­beits­verhält­nis „frist­los“ zum 3. April 2007.

Die Kläge­rin hat Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­ho­ben. Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Kündi­gung sei schon man­gels Kündi­gungs­be­fug­nis der Ver­kaufs­lei­te­rin, zu­min­dest aber des­halb un­wirk­sam, weil dem Kündi­gungs­schrei­ben kei­ne Ori­gi­nal­voll­macht bei­ge­le­gen ha­be. Zu­dem lie­ge kein Grund zur Kündi­gung vor. Bei ih­rem Per­so­nal­ein­kauf ha­be es sich um ein außer­dienst­li­ches Ver­hal­ten ge­han­delt. Dem Be­klag­ten sei kein Scha­den ent­stan­den, da er die Wert­cou­pons in je­dem Fall bei den aus­stel­len­den Fir­men ein­rei­che. Über­dies dürf­ten die aus der Vi­deoüber­wa­chung ge­won­ne­nen Er­kennt­nis­se we­gen Ver­s­toßes ge­gen § 6b BDSG nicht ver­wer­tet wer­den. Das gel­te auch für Tat­sa­chen, von de­nen der Be­klag­te durch die un­zulässi­ge Vi­deoüber­wa­chung nur mit­tel­bar Kennt­nis er­langt ha­be.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt

fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis durch die frist­lo­se Kündi­gung vom 2. April 2007 nicht auf­gelöst wor­den ist.

Der Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Er hat gel­tend ge­macht, die Ver­kaufs­lei­te­rin sei be­rech­tigt und be­vollmäch­tigt ge­we­sen, die Kündi­gung zu erklären. Dies sei der Kläge­rin auf­grund ar­beits­ver­trag­li­cher

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Ver­ein­ba­run­gen be­kannt ge­we­sen. Die Kündi­gung sei ge­recht­fer­tigt. Die Kläge­rin ha­be sich grob pflicht­wid­rig ver­hal­ten und da­durch auf sei­ne Kos­ten ei­nen ihr nicht zu­ste­hen­den Vermögens­vor­teil er­langt. Der da­mit ein­her­ge­hen­de Ver­trau­ens­bruch schließe ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung aus. Die in der Fi­lia­le durch­geführ­te Vi­deoüber­wa­chung sei zulässig ge­we­sen. In der Ver­kaufs­stel­le sei­en ho­he In­ven­tur­dif­fe­ren­zen auf­ge­tre­ten, die auf Pflicht­ver­let­zun­gen der Mit­ar­bei­te­rin­nen hin­ge­deu­tet hätten. An­de­re Möglich­kei­ten zur Aufklärung des Ver­dachts ha­be er - oh­ne Er­folg - aus­geschöpft. So sei­en durch De­tek­tiv­einsätze nur we­ni­ge Kun­den­diebstähle auf­ge­deckt wor­den. Bei Test­einkäufen hätten sich kei­ne Un­re­gelmäßig­kei­ten er­ge­ben. Im Übri­gen kom­me es auf die Zulässig­keit der Über­wa­chung nicht an, weil der Sach­ver­halt un­strei­tig sei. Be­weis­ver­wer­tungs­ver­bo­te könn­ten in­so­weit kei­ne Rol­le spie­len. Je­den­falls dürfe ihm nicht ver­wehrt wer­den, sei­nen Vor­trag auf Er­kennt­nis­se zu stützen, die er aus an­de­ren In­for­ma­ti­ons­quel­len ge­won­nen ha­be.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung der Kläge­rin zurück­ge­wie­sen. Mit der Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ih­ren Fest­stel­lungs­an­trag wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en ist durch die außer­or­dent­li­che Kündi­gung vom 2. April 2007 zu dem in ihr be­stimm­ten Ter­min auf­gelöst wor­den.

I. Die Kündi­gung ist nicht we­gen feh­len­der Kündi­gungs­be­rech­ti­gung der Ver­kaufs­lei­te­rin oder des­halb un­wirk­sam, weil dem Kündi­gungs­schrei­ben kei­ne auf die­se lau­ten­de Ori­gi­nal­voll­macht bei­gefügt ge­we­sen wäre.

1. Wenn es tatsächlich an ei­ner Be­vollmäch­ti­gung als sol­che ge­fehlt ha­ben soll­te, wäre die Kündi­gung zwar grundsätz­lich gemäß § 180 Satz 1 BGB un­wirk­sam. Bei ei­ner Kündi­gung als ein­sei­ti­gem Rechts­geschäft ist ei­ne Ver­tre­tung oh­ne Ver­tre­tungs­macht un­zulässig. Die Kläge­rin hat die un­ter Vor­la­ge

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der Ko­pie ei­ner Voll­macht erklärte Kündi­gung je­doch nicht „bei der Vor­nah­me“ be­an­stan­det, son­dern erst­mals mit der Kla­ge­schrift vom 19. April 2007, die dem Be­klag­ten am 25. April 2007 zu­ge­stellt wur­de. Be­reits zum Zeit­punkt der Kla­ge­er­he­bung wa­ren seit Aus­spruch der Kündi­gung mehr als zwei Wo­chen ver­stri­chen. Gründe für ihr Zu­war­ten hat die Kläge­rin nicht be­nannt. Da­mit kann nicht da­von aus­ge­gan­gen wer­den, sie ha­be die Rüge „bei Vor­nah­me“ der Kündi­gung er­ho­ben (Se­nat 12. Sep­tem­ber 1985 - 2 AZR 193/84 - zu B II 2 a der Gründe, ZIP 1986, 388). Dem­ent­spre­chend war die Kündi­gung in ent­spre­chen­der An­wen­dung von § 180 Satz 2, § 177 Abs. 1 BGB nur schwe­bend un­wirk­sam und ge­neh­mi­gungsfähig (vgl. Se­nat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 37, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 7). Ei­ne sol­che Ge­neh­mi­gung hat der Be­klag­te je­den­falls kon­klu­dent da­durch er­teilt, dass er im vor­lie­gen­den Rechts­streit die Kündi­gungs­be­fug­nis der Ver­kaufs­lei­te­rin aus­drück­lich be­haup­tet und die Rechtmäßig­keit der Kündi­gung ver­tei­digt hat (Se­nat 12. Sep­tem­ber 1985 - 2 AZR 193/84 - zu B II 2 a der Gründe, aaO).

2. Hat die Ver­kaufs­lei­te­rin Kündi­gungs­voll­macht be­ses­sen, ist die Kündi­gung nicht gem. § 174 Satz 1 BGB un­wirk­sam. Ih­re Zurück­wei­sung durch die Kläge­rin er­folg­te nicht „un­verzüglich“ iSd. § 174 Satz 1, § 121 Abs. 1 BGB.

II. Die Kündi­gung ist nicht nach § 626 BGB un­wirk­sam. Der Be­klag­te hat die Kündi­gungs­erklärungs­frist des § 626 Abs. 2 BGB ge­wahrt. Ein wich­ti­ger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt vor.

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Ar­beits­verhält­nis aus wich­ti­gem Grund oh­ne Ein­hal­tung ei­ner Kündi­gungs­frist gekündigt wer­den, wenn Tat­sa­chen vor­lie­gen, auf­grund de­rer dem Kündi­gen­den un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­falls und un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist nicht zu­ge­mu­tet wer­den kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sach­ver­halt oh­ne sei­ne be­son­de­ren Umstände „an sich“, dh. ty­pi­scher-wei­se als wich­ti­ger Grund ge­eig­net ist. Als­dann be­darf es der Prüfung, ob dem Kündi­gen­den die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­ter Berück­sich­ti­gung

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der kon­kre­ten Umstände des Falls und un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le - je­den­falls bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist - zu­mut­bar ist oder nicht (st. Rspr., Se­nat 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 17, BA­GE 118, 104).

2. Die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, ein wich­ti­ger Grund lie­ge vor, hält der re­vi­si­ons­recht­li­chen Prüfung stand.

a) Zum Nach­teil des Ar­beit­ge­bers be­gan­ge­ne Ei­gen­tums- oder Vermögens­de­lik­te, aber auch nicht straf­ba­re, ähn­lich schwer­wie­gen­de Hand­lun­gen un­mit­tel­bar ge­gen das Vermögen des Ar­beit­ge­bers kom­men ty­pi­scher­wei­se als Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung in Be­tracht (bspw. Se­nat 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 25 ff., EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 13. De­zem­ber 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. Au­gust 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b bb der Gründe, BA­GE 92, 184). Das gilt un­abhängig von der Höhe ei­nes dem Ar­beit­ge­ber durch die Pflicht­ver­let­zung ent­stan­de­nen Scha­dens. Maßge­bend ist viel­mehr der mit der Pflicht­ver­let­zung ver­bun­de­ne Ver­trau­ens­bruch (Se­nat 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 27, aaO; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BA­GE 114, 264; 12. Au­gust 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b bb der Gründe, aaO).

b) Ei­ne sol­che, die Schwel­le zum wich­ti­gen Grund über­schrei­ten­de Pflicht­ver­let­zung der Kläge­rin liegt nach dem un­strei­ti­gen Sach­ver­halt vor. Die Kläge­rin hat sich vorsätz­lich auf Kos­ten des Be­klag­ten ei­nen ihr nicht zu­ste­hen­den Vermögens­vor­teil ver­schafft. Da­mit hat sie ih­re ge­genüber dem Be­klag­ten be­ste­hen­de Pflicht zur Rück­sicht­nah­me (§ 241 Abs. 2 BGB) er­heb­lich ver­letzt.

aa) Das Ver­hal­ten der Kläge­rin vom 23. März 2007 ist, was die Einlösung und Ver­rech­nung von sie­ben pro­dukt­be­zo­ge­nen Gut­schei­nen im Wert von ins­ge­samt 36,00 Eu­ro an­be­langt, vom Lan­des­ar­beits­ge­richt als un­strei­tig fest­ge­stellt. Da­ge­gen hat die Kläge­rin Ver­fah­rensrügen nicht er­ho­ben. Eben­so

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we­nig hat sie das Feh­len ih­rer Be­rech­ti­gung zur Einlösung der Gut­schei­ne in Ab­re­de ge­stellt. Die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, dem Be­klag­ten sei durch das Ver­hal­ten der Kläge­rin ein Scha­den ent­stan­den, ist nicht zu be­an­stan­den. Der Be­klag­te durf­te die Gut­schei­ne nur bei ei­nem tatsächli­chen Ver­kauf ent­spre­chen­der Pro­duk­te an die be­tref­fen­den Lie­fe­ran­ten wei­ter­rei­chen. Soll­te sich der Scha­den im Kündi­gungs­zeit­punkt noch nicht rea­li­siert ha­ben, wäre je­den­falls von ei­ner scha­dens­glei­chen Vermögens­gefähr­dung aus­zu­ge­hen.

bb) Die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, ihr Fehl­ver­hal­ten sei der Kläge­rin vor­werf­bar, sie ha­be die Vermögensschädi­gung des Be­klag­ten vorsätz­lich her­bei­geführt, ist nicht zu be­an­stan­den. Die­se Wer­tung liegt im We­sent­li­chen auf tatsäch­li­chem Ge­biet und ist Ge­gen­stand der tatrich­ter­li­chen Be­weiswürdi­gung iSv. § 286 ZPO. Das Re­vi­si­ons­ge­richt kann bezüglich der Fest­stel­lung in­ne­rer Tat­sa­chen nur prüfen, ob das Tat­sa­chen­ge­richt von den rich­ti­gen Be­ur­tei­lungs­maßstäben aus­ge­gan­gen ist, die we­sent­li­chen Umstände berück­sich­tigt und Denk­ge­set­ze, Er­fah­rungssätze so­wie Ver­fah­rens­vor­schrif­ten nicht ver­letzt hat (vgl. Se­nat 23. Ju­ni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 27 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 17). Sol­che Rechts­feh­ler sind nicht er­kenn­bar. Die Kläge­rin hat nicht in Ab­re­de ge­stellt, dass ihr die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne be­rech­tig­te Einlösung pro­dukt­be­zo­ge­ner Gut­schei­ne be­kannt wa­ren. So­weit sie der An­nah­me des Be­ru­fungs­ge­richts, bei ei­ner un­be­rech­tig­ten Einlösung von sie­ben pro­dukt­be­zo­ge­nen Gut­schei­nen sei ein Ver­se­hen aus­zu­sch­ließen, gleich­wohl ent­ge­gen­tritt, wird nicht deut­lich, wor­auf ih­re Rüge zielt. Soll­te sie dar­auf ab­stel­len, das Lan­des­ar­beits­ge­richt hätte ihr Ge­le­gen­heit zur Ergänzung ih­res Vor­brin­gens ge­ben müssen, fehlt es an Dar­le­gun­gen, wel­chen wei­te­ren, ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Sach­vor­trag sie dar­auf­hin ge­hal­ten hätte. So­weit die Kläge­rin vor­ge­bracht hat, sie ha­be je­den­falls nicht den Be­klag­ten selbst schädi­gen wol­len, über­sieht sie, dass ih­rer Pflicht­ver­let­zung auch dann er­heb­li­ches Ge­wicht zu­kommt, wenn sie dar­auf ver­traut ha­ben soll­te, ein Scha­den würde letzt­lich nicht beim Be­klag­ten, son­dern nach Wei­ter­rei­chung der Gut­schei­ne bei ei­nem Drit­ten - dem be-

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tref­fen­den Lie­fe­ran­ten - ein­tre­ten. Dass auch dies nicht im In­ter­es­se des Be­klag­ten lie­gen konn­te, war für sie oh­ne Wei­te­res er­kenn­bar.

cc) Der An­nah­me ei­ner schwer­wie­gen­den Pflicht­ver­let­zung steht nicht ent­ge­gen, dass es sich um ei­nen pri­va­ten, außer­halb der Ar­beits­zeit lie­gen­den Ein­kauf han­del­te. Die Kläge­rin war auch in­so­weit ver­pflich­tet, auf die be­rech­tig­ten In­ter­es­sen des Be­klag­ten Rück­sicht zu neh­men (§ 241 Abs. 2 BGB). Die Ver­let­zung der Pflicht zur Rück­sicht­nah­me kann den Ar­beit­ge­ber zur Kündi­gung be­rech­ti­gen, wenn das außer­dienst­li­che Ver­hal­ten ne­ga­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf den Be­trieb oder ei­nen Be­zug zum Ar­beits­verhält­nis hat (Se­nat 10. Sep­tem­ber 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 77; 27. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 98/07 - Rn. 21, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 90 = EzA KSchG § 1 Ver­dachtskündi­gung Nr. 4). Da­von ist ty­pi­scher­wei­se aus­zu­ge­hen, wenn der Ar­beit­neh­mer - wie hier die Kläge­rin - in sei­ner Frei­zeit in Be­rei­che­rungs­ab­sicht das dem Un­ter­neh­men zu­zu­rech­nen­de Vermögen des Ar­beit­ge­bers un­mit­tel­bar vorsätz­lich schädigt oder doch gefähr­det (vgl. Se­nat 20. Sep­tem­ber 1984 - 2 AZR 633/82 - zu I 4 b der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 80 = EzA BGB § 626 nF Nr. 91).

c) Die außer­or­dent­li­che Kündi­gung ist auch un­ter Berück­sich­ti­gung der wei­te­ren Umstände des Streit­falls und nach Abwägung der wi­der­strei­ten­den In­ter­es­sen der Par­tei­en ge­recht­fer­tigt.

aa) Ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung kommt nur in Be­tracht, wenn es kei­nen an­ge­mes­se­nen Weg gibt, das Ar­beits­verhält­nis fort­zu­set­zen, weil dem Ar­beit­ge­ber sämt­li­che mil­de­ren Re­ak­ti­onsmöglich­kei­ten un­zu­mut­bar sind (st. Rspr., Se­nat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 7). Als mil­de­re Re­ak­tio­nen sind ins­be­son­de­re Ab­mah­nung und or­dent­li­che Kündi­gung an­zu­se­hen. Sie sind dann al­ter­na­ti­ve Ge­stal­tungs­mit­tel, wenn schon sie ge­eig­net sind, den mit der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung ver­folg­ten Zweck - die Ver­mei­dung des Ri­si­kos künf­ti­ger Störun­gen - zu er­rei­chen (Se­nat 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 32 ff., EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32).

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bb) Dem wird die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts ge­recht.

(1) Ei­ne Ab­mah­nung war nach den Umständen des Falls ent­behr­lich. Zur Klar­stel­lung der ver­trag­li­chen Pflich­ten be­durf­te es ih­rer nicht. Die Ver­trags­ver­let­zung war für die Kläge­rin er­kenn­bar. Ei­ne Ab­mah­nung war auch nicht aus Gründen der Verhält­nismäßig­keit er­for­der­lich. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat an­ge­nom­men, das Ver­hal­ten der Kläge­rin ha­be das Ver­trau­en des Be­klag­ten in ei­ne künf­tig ord­nungs­gemäße Ver­trags­erfüllung nach­hal­tig be­ein­träch­tigt. Das ist re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den. Die Kläge­rin hat die Gut­schei­ne in Be­rei­che­rungs­ab­sicht zweck­wid­rig ver­wen­det. Die Vermögensschädi­gung des Be­klag­ten lag auf der Hand. Das Ge­wicht der Pflicht­ver­let­zung wird noch da­durch verstärkt, dass die Kläge­rin be­wusst ge­gen Vor­ga­ben ver­s­toßen hat, zu de­ren Be­ach­tung sie im Rah­men ih­rer Tätig­keit als Kas­sie­re­rin ver­pflich­tet war. Dass sie den Ein­kauf bei ei­ner Kol­le­gin ab­ge­wi­ckelt hat, spricht nicht ge­gen ein man­geln­des Un­rechts­be­wusst­sein. Die Kläge­rin konn­te of­fen­sicht­lich auf de­ren Ver­schwie­gen­heit ver­trau­en. An­ders lässt es sich nicht erklären, dass die - gleich­falls ent­las­se­ne - Kol­le­gin die Einlösung der Wert­cou­pons nicht ver­wei­gert und das Ver­hal­ten der Kläge­rin zunächst kei­ne Be­an­stan­dun­gen aus­gelöst hat. Viel­mehr ist da­von aus­zu­ge­hen, dass die Kläge­rin die ge­rin­gen Über­wa­chungsmöglich­kei­ten des Be­klag­ten und die en­ge Ver­bun­den­heit der Mit­ar­bei­te­rin­nen der Fi­lia­le aus­ge­nutzt hat. Bei ei­nem sol­chen, ins­ge­samt auf Heim­lich­keit an­ge­leg­ten Ver­hal­ten ist dem Be­klag­ten - für die Kläge­rin er­kenn­bar - die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses, und sei es nach Er­tei­lung ei­ner Ab­mah­nung, nicht zu­zu­mu­ten.

(2) Die frist­lo­se Kündi­gung ist auch un­ter Ein­be­zie­hung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le ge­recht­fer­tigt. Dem Be­klag­ten war selbst die Ein­hal­tung der - fünf­mo­na­ti­gen - Kündi­gungs­frist un­zu­mut­bar. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat in die­sem Zu­sam­men­hang al­le wei­te­ren Ge­sichts­punk­te berück­sich­tigt und ver­tret­bar ge­gen­ein­an­der ab­ge­wo­gen. Ins­be­son­de­re hat es der Kläge­rin ih­re langjähri­ge Be­triebs­zu­gehörig­keit zu­gu­te ge­hal­ten. Dass es gleich­wohl und trotz der Erst­ma­lig­keit des Vor­falls von ei­nem über­wie­gen­den In­ter­es­se des Be­klag­ten an der so­for­ti­gen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses aus­ge­gan­gen

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ist, ist un­ter Be­ach­tung des Ge­wichts der in Re­de ste­hen­den Pflicht­ver­let­zung, der Stel­lung der Kläge­rin als Verkäufe­r­in und Kas­sie­re­rin und der Tat­sa­che, dass bei ih­rer Tätig­keit häufig kei­ne an­de­ren Ar­beit­neh­mer zu­ge­gen sind, nicht rechts­feh­ler­haft.

d) Der Wirk­sam­keit der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung steht nicht ent­ge­gen, dass der Be­klag­te durch Aus­wer­tung ei­ner Vi­deo­auf­nah­me vom Ver­hal­ten der Kläge­rin Kennt­nis er­langt hat. Ob § 6b BDSG durch die Be­ob­ach­tung des Kas­sen­be­reichs ein­sch­ließlich sei­ner Um­ge­bung ver­letzt wur­de oder die Vi­deo­auf­zeich­nung aus an­de­ren Gründen rechts­wid­rig war, kann of­fen blei­ben.

aa) Nach der Recht­spre­chung des Se­nats (zu­letzt 13. De­zem­ber 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 30 mwN, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20) führt der Um­stand, dass ei­ne Par­tei die Kennt­nis der von ihr be­haup­te­ten Tat­sa­chen auf rechts­wid­ri­ge Wei­se er­langt hat, nicht not­wen­dig zu ei­nem Ver­bot von de­ren pro­zes­sua­ler Ver­wer­tung. Falls die be­tref­fen­den Tat­sa­chen von der Ge­gen­sei­te nicht be­strit­ten wer­den, al­so un­strei­tig ge­wor­den sind, be­steht ein sol­ches Ver­bot nur, wenn der Schutz­zweck der bei der In­for­ma­ti­ons­ge­win­nung ver­letz­ten Norm ei­ner ge­richt­li­chen Ver­wer­tung der In­for­ma­ti­on zwecks Ver­mei­dung ei­nes Ein­griffs in höher­ran­gi­ge Rechts­po­si­tio­nen die­ser Par­tei zwin­gend ent­ge­gen­steht.

(1) Im ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teils­ver­fah­ren gel­ten wie im Zi­vil­pro­zess die Dis­po­si­ti­ons­ma­xi­me und der Ver­hand­lungs- oder Bei­brin­gungs­grund­satz. Das Ge­richt darf nur die von den Par­tei­en vor­ge­brach­ten Tat­sa­chen ver­wer­ten (Se­nat 13. De­zem­ber 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20). Um­ge­kehrt ist es zu­gleich an den Vor­trag der Par­tei­en und ei­nen ihm un­ter­brei­te­ten, ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Sach­ver­halt ge­bun­den. Der Vor­trag ei­ner Par­tei kann nicht oh­ne ge­setz­li­che Grund­la­gen (wie zB die Präklu­si­ons­vor­schrif­ten) un­be­ach­tet und „un­ver­wer­tet“ blei­ben. Ord­nungs­gemäß in den Pro­zess ein­geführ­ten Sach­vor­trag muss das Ge­richt berück­sich­ti­gen. Das Zi­vil­pro­zess­recht kennt grundsätz­lich kein Ver­bot der „Ver­wer­tung” von Sach­vor­trag. Der bei­ge­brach­te Tat­sa­chen­stoff ist ent­we­der un­schlüssig oder un­be­wie­sen, ist aber nicht „un­ver­wert­bar”. Dies gilt zu­mal

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dann, wenn der Sach­ver­halt un­strei­tig ist. Das Ge­richt ist an ein Nicht­be­strei­ten (wie an ein Geständ­nis) grundsätz­lich ge­bun­den. Es darf für un­be­strit­te­ne Tat­sa­chen kei­nen Be­weis ver­lan­gen und er­he­ben (Se­nat 13. De­zem­ber 2007 - 2 AZR 537/06 - aaO; 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b cc der Gründe, BA­GE 105, 356). Ein „Ver­wer­tungs­ver­bot” würde den An­spruch der Par­tei­en auf recht­li­ches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG ein­schränken. Die­ser ver­pflich­tet das Ge­richt, er­heb­li­chen Vor­trag ei­ner Par­tei zur Kennt­nis zu neh­men und bei der Ent­schei­dungs­fin­dung in Erwägung zu zie­hen (Se­nat 13. De­zem­ber 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 25, aaO).

(2) Den­noch kann rechts­wid­ri­ges Ver­hal­ten ei­ner Pro­zess­par­tei bei der In­for­ma­ti­ons­ge­win­nung zu ei­nem Ver­wer­tungs­ver­bot führen. Das ist der Fall, wenn ei­ne sol­che Sank­ti­on un­ter Be­ach­tung des Schutz­zwecks der ver­letz­ten Norm zwin­gend ge­bo­ten er­scheint. In ei­nem ge­richt­li­chen Ver­fah­ren ist dar­auf Be­dacht zu neh­men, dass das Ge­richt den Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten in Ausübung staat­li­cher Ho­heits­ge­walt ge­genüber tritt. Es ist bei der Ur­teils­fin­dung nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grund­rech­te ge­bun­den und zu ei­ner rechts­staat­li­chen Ver­fah­rens­ge­stal­tung ver­pflich­tet. Aus dem Rechts­staats­prin­zip folgt sei­ne Pflicht zu ei­ner fai­ren Hand­ha­bung des Pro­zess- und Be­weis­rechts (vgl. BVerfG 13. Fe­bru­ar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 93, BVerfGE 117, 202). Dar­aus folgt für den Zi­vil­pro­zess zwar nicht, dass je­de un­zulässig er­lang­te In­for­ma­ti­on pro­zes­su­al un­ver­wert­bar wäre (Se­nat 15. Au­gust 2002 - 2 AZR 214/01 - zu II 3 b aa der Gründe, BA­GE 102, 190; BGH 1. März 2006 - XII ZR 210/04 - Rn. 22, BGHZ 166, 283). Sie ist es im Ein­zel­fall aber dann, wenn mit ih­rer ge­richt­li­chen Ver­wer­tung ein er­neu­ter Ein­griff in recht­lich geschütz­te, hoch­ran­gi­ge Po­si­tio­nen der an­de­ren Pro­zess­par­tei oder die Per­pe­tu­ie­rung ei­nes sol­chen Ein­griffs ver­bun­den wäre, und dies auch durch schutzwürdi­ge In­ter­es­sen der Ge­gen­sei­te - hier des Be­klag­ten - nicht ge­recht­fer­tigt wer­den könn­te (Se­nat 13. De­zem­ber 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 36, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20).

bb) An die­ser Recht­spre­chung hält der Se­nat fest. Die Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, un­strei­ti­ger Sach­vor­trag, selbst wenn un­ter Ver­let­zung

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von Grund­rech­ten ge­won­nen sei, sei stets und un­ein­ge­schränkt pro­zes­su­al ver­wert­bar, weil die be­las­te­te Par­tei die Möglich­keit des Be­strei­tens ge­habt ha­be (in die­sem Sin­ne auch HWK/Lembke 4. Aufl. BDSG Vorb. Rn. 112; Grimm/ Schie­fer RdA 2009, 329, 342; Hei­nemann MDR 2001, 137, 141 f.), über­zeugt nicht. Es ist schon zwei­fel­haft, ob der Par­tei, die sich der Be­haup­tung ob­jek­tiv zu­tref­fen­der Tat­sa­chen durch ih­ren Pro­zess­geg­ner aus­ge­setzt sieht, in An­se­hung der pro­zes­sua­len Wahr­heits­pflicht (§ 138 Abs. 1, Abs. 2 ZPO) ein­schränkungs­los ein „Recht zur Lüge“ zu­steht (dies befürwor­tend Zöller/Gre­ger ZPO 28. Aufl. § 138 Rn. 3; Hei­nemann MDR 2001, 137, 142). Je­den­falls kann sie nicht um­ge­kehrt so­gar ver­pflich­tet sein, wi­der bes­se­res Wis­sen rich­ti­gen Vor­trag zu be­strei­ten und sich in Fällen, in de­nen ein­fa­ches Be­strei­ten nicht aus­reicht, mit ei­nem be­wusst fal­schen Ge­gen­vor­brin­gen zu be­las­ten (vgl. Lunk NZA 2009, 457, 459). Sie trüge mit Blick auf mögli­che Zwei­fel an der Zulässig­keit ih­res Be­strei­tens das Ri­si­ko, dem Vor­wurf zu­min­dest des Ver­suchs ei­nes Pro­zess­be­trugs aus­ge­setzt zu sein. Dass kann die Rechts­ord­nung ei­ner Par­tei nicht ab­ver­lan­gen. Hat ei­ne Par­tei den Tat­sa­chen­vor­trag der Ge­gen­sei­te nicht be­strit­ten, ist ihr die Möglich­keit, sich auf die Rechts­wid­rig­keit der ihm zu­grun­de­lie­gen­den In­for­ma­ti­ons­be­schaf­fung zu be­ru­fen, nur dann ge­nom­men, wenn in ih­rem Nicht­be­strei­ten zu­gleich die Ein­wil­li­gung in ei­ne pro­zes­sua­le Ver­wer­tung der frag­li­chen Tat­sa­chen liegt. Dann wie­der­um stellt sich die Fra­ge nach ei­nem Ver­wer­tungs­ver­bot nicht (vgl. Münch­KommZ­PO/Prütting 3. Aufl. § 284 Rn. 75; Hel­le JZ 2004, 340, 345; Ma­ties, NJW 2008, 2219; Schrei­ber ZZP 122, 227, 230).

cc) Da­nach be­steht im Streit­fall kein Ver­wer­tungs­ver­bot.

(1) Al­ler­dings hat die Kläge­rin in ei­ne Ver­wer­tung der durch die Vi­deo­auf­zeich­nung er­lang­ten In­for­ma­tio­nen nicht ein­ge­wil­ligt. Sie hat zwar das Ge­sche­hen vom 23. März 2007 teils durch be­ja­hen­de Erklärung ein­geräumt, teils da­durch zu­ge­stan­den, dass sie den sub­stan­ti­ier­ten Ausführun­gen des Be­klag­ten nicht mit kon­kre­tem Tat­sa­chen­vor­trag ent­ge­gen ge­tre­ten ist (§ 138 Abs. 2, Abs. 3 ZPO). Sie hat aber zu­gleich gel­tend ge­macht, dem Be­klag­ten sei

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es ver­wehrt, „die ver­bo­te­nen Früch­te“ der Vi­deoüber­wa­chung „zu ern­ten“. Da­mit hat sie de­ren Ver­wer­tung of­fen­sicht­lich wi­der­spro­chen.

(2) Die Ver­wer­tung der un­strei­ti­gen Tat­sa­chen er­weist sich auf der Grund­la­ge der an­zu­stel­len­den Güter­abwägung den­noch als zulässig. Ein mögli­cher, durch Berück­sich­ti­gung des Sach­vor­trags des Be­klag­ten per­pe­tu­ier­ter rechts­wid­ri­ger Ein­griff in recht­lich geschütz­te Po­si­tio­nen der Kläge­rin wiegt nicht so schwer, dass der An­spruch des Be­klag­ten, mit sei­nem un­strei­ti­gen Vor­brin­gen Gehör zu fin­den, zurück­tre­ten müss­te. Der Schutz des Ar­beit­neh­mers vor ei­ner - un­ter­stellt - rechts­wid­ri­gen Vi­deoüber­wa­chung ver­langt nicht, auch sol­che un­strei­ti­gen Tat­sa­chen außer Acht zu las­sen, die dem Ar­beit­ge­ber nicht nur durch die Vi­deo­auf­zeich­nung, son­dern oh­ne Rechts­ver­s­toß auch aus ei­ner an­de­ren In­for­ma­ti­ons­quel­le be­kannt ge­wor­den sind.

(a) Das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschütz­te, auch im Pri­vat­rechts­ver­kehr zu be­ach­ten­de all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht des Ar­beit­neh­mers - hier in sei­ner Aus­prägung als Recht auf in­for­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung und Recht am ei­ge­nen Bild - ist nicht schran­ken­los gewähr­leis­tet. Ein­grif­fe in das Persönlich­keits­recht des Ar­beit­neh­mers können durch Wahr­neh­mung über­wie­gen­der schutzwürdi­ger In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers ge­recht­fer­tigt sein. Bei ei­ner Kol­li­si­on mit den In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers ist durch ei­ne Güter­abwägung im Ein­zel­fall zu er­mit­teln, ob es den Vor­rang ver­dient (BVerfG 9. Ok­to­ber 2002 - 1 BvR 1611/96 - und - 1 BvR 805/98 - zu C II 3 a der Gründe, BVerfGE 106, 28; Se­nat 13. De­zem­ber 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 36, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20 mwN).

(b) Im Rah­men die­ser Abwägung ist zu berück­sich­ti­gen, dass das Grund­ge­setz ei­ner wirk­sa­men Rechts­pfle­ge ei­ne be­son­de­re Be­deu­tung bei­misst. Auch im Zi­vil­pro­zess, in dem über Rech­te und Rechts­po­si­tio­nen der Par­tei­en in­ner­halb ei­nes Pri­vat­rechts­verhält­nis­ses ge­strit­ten wird, sind die Auf­recht­er­hal­tung ei­ner funk­ti­onsfähi­gen Rechts­pfle­ge und das Stre­ben nach ei­ner ma­te­ri­ell rich­ti­gen Ent­schei­dung wich­ti­ge Be­lan­ge des Ge­mein­wohls. Um die Wahr­heit zu er­mit­teln, sind die Ge­rich­te ge­hal­ten, den von den Par­tei­en in den Pro­zess ein­geführ­ten Vor­trag und ggf. die an­ge­bo­te­nen Be­weis­mit­tel zu be-

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rück­sich­ti­gen. Die­se Be­lan­ge können als Be­stand­teil der ver­fas­sungs­gemäßen Ord­nung das all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht ein­schränken (vgl. BVerfG 9. Ok­to­ber 2002 - 1 BvR 1611/96 - und - 1 BvR 805/98 - BVerfGE 106, 28; BAG 23. April 2009 - 6 AZR 189/08 - Rn. 35, BA­GE 130, 347; Se­nat 13. De­zem­ber 2007 - 2 AZR 537/06 - AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20).

(c) Zwar ge­hen das In­ter­es­se an ei­ner funk­ti­onsfähi­gen Zi­vil­rechts­pfle­ge und ma­te­ri­ell rich­ti­gen Ent­schei­dun­gen und ver­bun­den da­mit das Be­stre­ben des Gläubi­gers, sich Be­weis­mit­tel für zi­vil­recht­li­che Ansprüche zu si­chern, dem all­ge­mei­nen Persönlich­keits­recht nicht et­wa stets vor (BVerfG 13. Fe­bru­ar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 93 f., BVerfGE 117, 202; 9. Ok­to­ber 2002 - 1 BvR 1611/96 - und - 1 BvR 805/98 - zu C II 4 a aa und bb der Gründe, BVerfGE 106, 28). Im Streit­fall tre­ten aber As­pek­te hin­zu, die die Berück­sich­ti­gung der ge­won­ne­nen In­for­ma­tio­nen zu­las­sen.

(aa) Der Sach­vor­trag des Be­klag­ten stützt sich vor­nehm­lich auf die Aus­wer­tung des Kas­sen­strei­fens vom 23. März 2007 und auf Erklärun­gen der Kläge­rin im Per­so­nal­gespräch vom 2. April 2007. Die Zulässig­keit der Er­he­bung und Ver­wer­tung der Kas­sen­da­ten als sol­che steht da­bei nicht in Fra­ge. Zwar ist der Be­klag­te erst durch die Vi­deo­auf­zeich­nung auf die­se zusätz­li­che In­for­ma­ti­ons­quel­le „ges­toßen“. Den­noch be­durf­te es für sein Vor­brin­gen kei­nes Rück­griffs auf die Vi­deo­auf­zeich­nung selbst.

(bb) Da­mit ist die Fra­ge an­ge­spro­chen, ob ein als sol­ches zulässi­ges Er­kennt­nis- und Be­weis­mit­tel ei­nem pro­zes­sua­len Ver­wer­tungs­ver­bot un­ter­lie­gen kann, wenn es sei­ner­seits oh­ne ei­ne wei­te­re, zu­vor rechts­wid­rig ge­won­ne­ne In­for­ma­ti­on nicht hätte er­langt wer­den können (vgl. BGH 1. März 2006 - XII ZR 210/04 - Rn. 18 f., BGHZ 166, 283; für den Straf­pro­zess: BGH 24. Au­gust 1983 - 3 StR 136/83 - BGHSt 32, 68; 18. April 1980 - 2 StR 731/79 - BGHSt 29, 244). Die Pro­ble­ma­tik be­darf kei­ner um­fas­sen­den Erörte­rung. Im Streit­fall geht es nicht um Er­kennt­nis­se, die der Be­klag­te tatsächlich nur durch die mögli­cher­wei­se rechts­wid­ri­ge Vi­deoüber­wa­chung hat ge­win­nen können. Sie wa­ren ihm un­abhängig da­von zugäng­lich. Die Aus­wer­tung des Kas­sen­strei­fens und die Be­fra­gung der Kläge­rin und ih­rer Kol­le­gin wa­ren auch oh­ne tech­ni­sche Über-

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wa­chung möglich, zu­mal nach ei­ge­nem Vor­trag der Kläge­rin Einkäufe von Mit­ar­bei­tern mit de­ren Ein­verständ­nis in den Ta­gesun­ter­la­gen be­son­ders ver­merkt wer­den. Da­mit kommt ei­ner mögli­chen Ver­let­zung des all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts der Kläge­rin kein sol­ches Ge­wicht zu, dass un­ter Berück­sich­ti­gung des An­spruchs des Be­klag­ten auf Gewährung recht­li­chen Gehörs ein Außer­acht­las­sen der letzt­lich erst aus dem Kas­sen­strei­fen ge­won­ne­nen Er­kennt­nis­se ge­recht­fer­tigt wäre. Glei­ches gilt für die Ein­las­sun­gen der Kläge­rin im Per­so­nal­gespräch vom 2. April 2007. Da­bei kommt es nicht dar­auf an, ob der Be­klag­te im Rah­men sei­ner Aufklärungs­bemühun­gen oh­ne­hin auf den frag­li­chen Kas­sen­aus­zug ges­toßen wäre (zu die­sem As­pekt Schrei­ber ZZP 122, 227, 235; Gem­me­ke Be­weis­ver­wer­tungs­ver­bo­te im ar­beits­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren S. 214 f.). Viel­mehr kann ei­ner Pro­zess­par­tei die Möglich­keit, für sie güns­ti­ge Tat­sa­chen mit recht­lich un­be­denk­li­chen Mit­teln nach­zu­wei­sen, nicht des­halb ver­sagt wer­den, weil sie das Wis­sen von der Ge­eig­net­heit ei­nes sol­chen Mit­tels auf rechts­wid­ri­ge Wei­se er­langt hat (zur Be­gren­zung der Fern­wir­kung von Ver­wer­tungs­ver­bo­ten vgl. auch BVerfG 8. De­zem­ber 2005 - 2 BvR 1686/04 - zu 2 b der Gründe, BVerfGK 7, 61). Das gilt im Streit­fall um­so mehr, als es um den Nach­weis ei­nes schwer­wie­gen­den Ver­trau­ens­bruchs geht.

III. Die Kläge­rin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten ih­rer er­folg­lo­sen Re­vi­si­on zu tra­gen.

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