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ARBEITSRECHT AKTUELL // 13/186

Ur­laub bei Teil­zeit

Ar­beit­neh­mer ver­lie­ren durch den Wech­sel von Voll­zeit zu Teil­zeit kei­ne wäh­rend der Voll­zeit­tä­tig­keit er­wor­be­nen Ur­laubs­an­sprü­che: Eu­ro­päi­scher Ge­richts­hof, Be­schluss vom 13.06.2013, Rs. C-415/12 (Bi­an­ca Bran­des ./. Land Nie­der­sach­sen)
Taschenrechner auf Geldscheinen Beim Ur­laubs­recht steckt der Teu­fel im De­tail

30.06.2013. In ei­nem ak­tu­el­len Be­schluss hat sich der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) wie­der ein­mal zum Ur­laubs­recht ge­äu­ßert und er­neut die Rech­te der Ar­beit­neh­mer beim The­ma Ur­laub ge­stärkt.

Dies­mal ging es um die Fra­ge, wie Rest­ur­laubs­an­sprü­che, die der Ar­beit­neh­mer wäh­rend sei­ner Voll­zeit­tä­tig­keit er­wor­ben hat, in Ur­laubs­ta­ge um­zu­rech­nen sind, wenn der Ar­beit­neh­mer mitt­ler­wei­le in Teil­zeit ar­bei­tet und sei­nen Voll­zeit-Rest­ur­laub da­her wäh­rend sei­ner Teil­zeit­be­schäf­ti­gung neh­men möch­te.

Laut EuGH darf es nicht da­zu kom­men, dass Ar­beit­neh­mer in­fol­ge ei­ner Ar­beits­zeit­ver­rin­ge­rung die wäh­rend ih­rer Voll­zeit­tä­tig­keit be­reits er­wor­be­nen Ur­laubs­an­sprü­che ver­lie­ren: EuGH, Be­schluss vom 13.06.2013, C-415/12 (Bran­des).

Was ge­schieht mit dem Rest­ur­laub nach ei­ner Ver­rin­ge­rung der Ar­beits­zeit?

Das Eu­ro­pa­recht sieht vor, dass je­der Ar­beit­neh­mer das Recht auf ei­nen be­zahl­ten Jah­res­ur­laub von min­des­tens vier Wo­chen hat (Art.31 Abs.2 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on vom 12.12.2007 i.V.m. Art.7 der Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 04.11.2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung - Ar­beits­zeit­richt­li­nie).

Auch nach deut­schem Recht ste­hen je­dem Ar­beit­neh­mer pro Ka­len­der­jahr vier Wo­chen be­zahl­ter Er­ho­lungs­ur­laub zu, vgl. § 1 und § 3 Abs.1 Bun­des­ur­laubs­ge­setz (BUrlG). Ge­nau­er ge­sagt sind es 24 Werk­ta­ge, wo­bei als „Werk­ta­ge“ al­le Ka­len­der­ta­ge gel­ten, die nicht Sonn- oder ge­setz­li­che Fei­er­ta­ge sind. Ei­ne Wo­che oh­ne ge­setz­li­che Fei­er­ta­ge hat so­mit sechs Werk­ta­ge.

Der vierwöchi­ge ge­setz­li­che Min­des­t­ur­laub in Deutsch­land er­gibt sich da­her erst aus ei­ner Um­rech­nung: Rech­net man die im BUrlG vor­ge­schrie­be­nen 24 Werk­ta­ge in Wo­chen um, er­ge­ben sich (24 : 6 =) vier Wo­chen Ur­laub. Ar­beit­neh­mer, die we­ni­ger als sechs Ta­ge pro Wo­che ar­bei­ten, müssen die­se vier Wo­chen dann wie­der mit der An­zahl ih­rer wöchent­li­chen Ar­beits­ta­ge mul­ti­pli­zie­ren, um auf ih­re Ur­laubs­ta­ge zu kom­men. So hat man z.B. bei ei­ner Fünf-Ta­ge-Wo­che ei­nen ge­setz­li­chen Ur­laub von (4 Wo­chen x 5 Ar­beits­ta­ge =) 20 Ar­beits­ta­gen.

Im Ge­setz nicht ge­re­gelt ist die Fra­ge, wie of­fe­ner Rest­ur­laub beim Über­gang von Voll­zeit zu Teil­zeit um­zu­rech­nen ist. Was pas­siert mit dem Rest­ur­laub, den ein Ar­beit­neh­mer während ei­ner voll­zei­ti­gen (fünftägi­gen) Beschäfti­gungs­zeit er­wor­ben, aber nicht ge­nom­men hat, wenn sei­ne Ar­beits­zeit auf ei­nen Teil­zeit­um­fang ver­rin­gert wird? Hier gibt es zwei Be­trach­tungs­wei­sen:

Die für den Ar­beit­neh­mer ungüns­ti­ge Um­rech­nung funk­tio­niert so: Wer z.B. 30 Ta­ge Rest­ur­laub aus Voll­zeit-Zei­ten hat, hat da­mit in Wo­chen aus­ge­drückt noch (30 : 5 =) sechs Wo­chen Rest­ur­laub. Möch­te er die­sen neh­men, nach­dem sei­ne Ar­beits­zeit auf ei­nen Teil­zeit­um­fang von drei Ta­ge pro Wo­che ver­rin­gert wor­den ist, ste­hen ihm „eben­so“ sechs Wo­chen Ur­laub wie zu­vor zu, nur dass die­se sechs Wo­chen eben (6 Wo­chen x 3 Ar­beits­ta­ge =) 18 Ur­laubs­ta­ge aus­ma­chen. Dem­ent­spre­chend ge­rin­ger fällt das Ur­laubs­ent­gelt aus, d.h. es wer­den nur 18 statt 30 Ta­ge Ur­laub be­zahlt.

Die für den Ar­beit­neh­mer güns­ti­ge Be­rech­nung sieht so aus: Der Ar­beit­neh­mer hat in der Zeit sei­ner voll­zei­ti­gen Beschäfti­gung ei­nen An­spruch auf 30 Ta­ge be­zahl­te Frei­stel­lung bzw. auf 30 „ech­te“ Ur­laubs­ta­ge er­wor­ben. Wenn er die­sen Rest­ur­laub nun nach dem Über­gang zur Teil­zeit bzw. zur Drei­ta­ge-Wo­che nimmt, hat er ei­nen An­spruch auf (30 : 3 =) zehn Wo­chen Ur­laub. Auf­grund des größeren „Rest­ur­laubs­kon­tos“ kann er während sei­ner Teil­zeit­beschäfti­gung dem­ent­spre­chend länger Ur­laub ma­chen, wo­durch er aber fi­nan­zi­ell im Er­geb­nis nicht bes­ser steht.

Das Ar­beits­ge­richt Nien­burg ver­trat in ei­nem Be­schluss vom Sep­tem­ber letz­ten Jah­res die Auf­fas­sung, dass die für den Ar­beit­neh­mer ungüns­ti­ge Um­rech­nungs­me­tho­de ge­gen das Eu­ro­pa­recht verstößt und leg­te da­her dem Eu­ropäischen Ge­richts­hof (EuGH) die Fra­ge vor, wie die­se Um­rech­nung vor­zu­neh­men ist (Ar­beits­ge­richt Nien­burg, Be­schluss vom 04.09.2012, 2 Ca 257/12 Ö, wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/350 Höhe des Ur­laubs­an­spruchs beim Wech­sel von Voll- in Teil­zeit).

Da­bei stütz­te sich das Ar­beits­ge­richt Nien­burg auf die ständi­ge Recht­spre­chung des EuGH, der zu­fol­ge der An­spruch auf ei­nen min­des­tens vierwöchi­gen be­zahl­ten Ur­laub ein be­son­ders wich­ti­ger Grund­satz des So­zi­al­rechts der Eu­ropäischen Uni­on ist. Die­ser An­spruch soll es dem Ar­beit­neh­mer ermögli­chen, sich zu er­ho­len und über ei­nen Zeit­raum für Ent­span­nung und Frei­zeit zu verfügen, was nach der EuGH-Recht­spre­chung ins­be­son­de­re auch dann gilt, wenn er sei­nen er­wor­be­nen Jah­res­ur­laub erst in ei­nem späte­ren Jahr neh­men kann.

Und da die für den Ar­beit­neh­mer ungüns­ti­ge Um­rech­nung des Rest­ur­laubs beim Wech­sel von Voll­zeit zur Teil­zeit ihm sei­nen be­reits er­wor­be­nen Ur­laub weg­knapst, verstößt sie ge­gen Art.7 der Richt­li­nie 2003/88/EG, so je­den­falls das Ar­beits­ge­richt Nien­burg.

Über die Vor­la­ge des Ar­beits­ge­richts Nien­burg hat nun­mehr vor zwei Wo­chen der EuGH ent­schie­den: EuGH, Be­schluss vom 13.06.2013, Rechts­sa­che C-415/12 (Bran­des ./. Land Nie­der­sach­sen).

Der Fall Bi­an­ca Bran­des: Nach Mut­ter­schutz und El­tern­zeit Kürzung des Rest­ur­laubs um 12 Ta­ge?

Die kla­gen­de Ar­beit­neh­me­rin, Frau Bi­an­ca Bran­des, war zunächst voll­zei­tig in ei­ner Fünf-Ta­ge-Wo­che beschäftigt. Im Jahr 2010 konn­te sie we­gen ei­nes schwan­ger­schafts­be­ding­ten Beschäfti­gungs­ver­bo­tes und während der Zei­ten ih­res Mut­ter­schut­zes 22 Ur­laubs­ta­ge nicht neh­men. Ab Mit­te De­zem­ber 2011 ar­bei­te­te sie nur noch im hälf­ti­gen Um­fang, und zwar drei Ta­ge pro Wo­che. Zu die­ser Zeit wa­ren wei­te­re sie­ben Ar­beits­ta­ge Ur­laub of­fen.

Da­her woll­te Frau Bran­des ge­richt­lich fest­stel­len las­sen, dass aus 2010 und 2011 ins­ge­samt 29 Ar­beits­ta­ge Ur­laub in das Jahr 2012 über­tra­gen wur­den. Ihr Ar­beit­ge­ber, das Land Nie­der­sach­sen, nahm die Um­rech­nung aber in der oben be­schrie­be­nen, d.h. für den Ar­beit­neh­mer ungüns­ti­gen Wei­se vor.

Dem Land Nie­der­sach­sen zu­fol­ge müssen die 29 Ar­beits­ta­ge Ur­laub aus der Voll­zeit durch die da­ma­li­gen fünf Ar­beits­ta­ge ge­teilt, d.h. in Wo­chen um­ge­rech­net und mit der neu­en Zahl der Ar­beits­ta­ge, d.h. mit drei, mul­ti­pli­ziert wer­den. Ab­ge­run­det würden der Kläge­rin da­mit 17 Ar­beits­ta­ge Ur­laub zu­ste­hen, im­mer­hin 12 we­ni­ger als von ihr er­rech­net.

EuGH: Ar­beit­neh­mer dürfen durch den Wech­sel von Voll­zeit zu Teil­zeit kei­ne während der Voll­zeittätig­keit er­wor­be­nen Ur­laubs­ansprüche ver­lie­ren

Der EuGH ent­schied die Fra­gen des Ar­beits­ge­richts Nien­burg so, wie auch das Ar­beits­ge­richt sie be­ant­wor­ten würde. Ei­ne zeit­an­tei­li­ge Kürzung des während ei­ner Voll­zeit­beschäfti­gung er­wor­be­nen Ur­laubs auf­grund des Über­gangs von Voll­zeit zu Teil­zeit verstößt ge­gen das Uni­ons­recht, d.h. „ins­be­son­de­re“ ge­gen Art.7 der Richt­li­nie 2003/88/EG.

Da­bei be­ruft sich der Ge­richts­hof auf ei­ne Ent­schei­dung aus dem Jah­re 2010, die ei­nen öster­rei­chi­schen Vor­la­ge­fall be­traf (EuGH, Ur­teil vom 22.04.2010, C-486/08 - Zen­tral­be­triebs­rat der Lan­des­kran­kenhäuser Ti­rols).

Be­reits in die­sem Ur­teil hat­te der EuGH klar­ge­stellt, dass der Über­gang von Voll­zeit zu Teil­zeit we­der den Ur­laubs­an­spruch re­du­zie­ren noch da­zu führen darf, dass der Ar­beit­neh­mer den be­reits er­wor­be­nen Ur­laub nur mit ge­rin­ge­rem Ur­laubs­ent­gelt ver­brau­chen kann. Al­ler­dings lag dem öster­rei­chi­schen Fall ei­ne Ur­laubs­be­rech­nung in St­un­den zu­grun­de, die sich von der deut­schen Be­rech­nung nach Ta­gen un­ter­schei­det, so dass das o.g. EuGH-Ur­teil aus dem Jah­re 2010 nicht oh­ne wei­te­res auf das deut­sche Ur­laubs­recht zu über­tra­gen ist.

Fa­zit: Da die Aus­sa­gen des EuGH nur für den­je­ni­gen Teil des Ur­laubs gel­ten, der vom Eu­ro­pa­recht zwin­gend vor­ge­schrie­ben ist, d.h. für den vierwöchi­gen Min­des­t­ur­laub, können Ar­beits- und Ta­rif­verträge für darüber hin­aus­ge­hen­de Ur­laubs­ansprüche wei­ter­hin ei­ne ab­wei­chen­de Be­rech­nungs­wei­se vor­se­hen, d.h. ei­ne Be­rech­nungs­wei­se ent­spre­chend der vom Land Nie­der­sach­sen ver­tre­te­nen An­sicht.

Für die An­wen­dung des BUrlG und den dar­in fest­ge­schrie­be­nen Min­des­t­ur­laub ist al­ler­dings künf­tig die vom EuGH ge­for­der­te Be­rech­nungs­wei­se ver­bind­lich. Denn das BUrlG enthält für die Um­rech­nung des Rest­ur­laubs beim Über­gang von Voll­zeit zu Teil­zeit gar kei­ne kon­kre­ten Re­ge­lun­gen vor, so dass ei­ner Um­set­zung des Eu­ro­pa­rechts hier nichts ent­ge­gen­steht.

Im übri­gen sind Ar­beits- und Ta­rif­verträge, wenn sie nicht aus­nahms­wei­se ein­mal aus­drück­li­che Vor­schrif­ten zur Um­rech­nung von Rest­ur­laub ent­hal­ten, so zu ver­ste­hen, dass die zusätz­li­chen Ur­laubs­ta­ge den ver­fah­rens­recht­li­chen Re­ge­lun­gen des BUrlG un­ter­ste­hen sol­len. Im Er­geb­nis heißt das, dass prak­tisch in al­len Fällen künf­tig die vom EuGH ge­for­der­te Um­rech­nungs­me­tho­de maßgeb­lich ist. Die ge­gen­tei­li­gen Aus­sa­gen ei­nes Ur­teils des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) aus dem Jah­re 1998 (BAG, Ur­teil vom 28.04.1998, 9 AZR 314/97) sind da­mit über­holt.

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Letzte Überarbeitung: 4. Juni 2019

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