HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BAG, Ur­teil vom 25.10.2007, 8 AZR 593/06

   
Schlagworte: Mobbing
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 8 AZR 593/06
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 25.10.2007
   
Leitsätze: Der Arbeitgeber haftet nach § 278 BGB für Schäden, die einer seiner Arbeitnehmer dadurch erleidet, dass ihn sein Vorgesetzter schuldhaft in seinen Rechten verletzt.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Dortmund, Urteil vom 22.12.2004, 8 (4) Ca 5534/04
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 06.03.2006, 16 Sa 76/05
   


 

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

8 AZR 593/06
16 Sa 76/05
Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

25. Ok­to­ber 2007

UR­TEIL

Di­ede­rich, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le 

 

Das Ur­teil des Se­nats wur­de

durch Be­schluss vom 23. Ja­nu­ar

2008 be­rich­tigt.

Er­furt, 23. Ja­nu­ar 2008

Krebste­kies, RAF

 

In Sa­chen 

 

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Ach­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 25. Ok­to­ber 2007 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Hauck, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Böck und Brein­lin­ger so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Bährin­ger und Hen­ni­ger für Recht er­kannt:


Auf die Re­vi­si­on des Klägers wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm vom 6. März 2006 - 16 Sa 76/05 - auf­ge­ho­ben.
 


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Die Sa­che wird zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung - auch über die Kos­ten der Re­vi­si­on - an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.


 

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand


 

Der Kläger ver­langt von der Be­klag­ten die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses sei­nes vor­ge­setz­ten Chef­arz­tes und die Zah­lung von Schmer­zens­geld. Hilfs­wei­se be­gehrt er das An­ge­bot ei­nes ver­gleich­ba­ren Ar­beits­plat­zes, an dem er ge­genüber sei­nem jet­zi­gen Vor­ge­setz­ten nicht mehr wei­sungs­ge­bun­den ist.

Der Kläger ist seit dem 15. Au­gust 1987 in dem von der Be­klag­ten be­trie­be­nen Kran­ken­haus als Arzt in der Neu­ro­chir­ur­gi­schen Ab­tei­lung (jetzt: Neu­ro­chir­ur­gi­sche Kli­nik) beschäftigt. Die­sem Ar­beits­verhält­nis liegt ein schrift­li­cher Dienst­ver­trag vom 28. Ju­li 1987 zu­grun­de. In § 2 die­ses Ver­tra­ges heißt es - so­weit hier von In­ter­es­se -:


„Für das Dienst­verhält­nis gel­ten die „Richt­li­ni­en für Ar­beits­verträge in den Ein­rich­tun­gen des Deut­schen Ca­ri­tas­ver­ban­des“ (AVR) in der je­weils gel­ten­den Fas­sung.“

 


§ 23 der AVR lau­tet:

„1. Ansprüche aus dem Dienst­verhält­nis ver­fal­len, wenn sie nicht in­ner­halb ei­ner Aus­schluss­frist von sechs Mo­na­ten nach Fällig­keit vom Mit­ar­bei­ter oder vom Dienst­ge­ber schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den, so­weit die AVR nichts an­de­res be­stim­men.


2. Für den­sel­ben Sach­ver­halt reicht die ein­ma­li­ge Gel­tend­ma­chung des An­spru­ches aus, um die Aus­schluss­frist auch für später fällig wer­den­de Leis­tun­gen un­wirk­sam zu ma­chen.“

Ab 1. De­zem­ber 1990 wur­de der Kläger zum Ober­arzt und ab dem 1. Ju­li 1992 zum Ers­ten Ober­arzt der Neu­ro­chir­ur­gi­schen Kli­nik er­nannt. Nach dem Aus­schei­den des Chef­arz­tes Dr. T An­fang 2001 wur­de ihm die kom­mis­sa­ri­sche Lei­tung der Neu­ro­chir­ur­gi­schen Kli­nik über­tra­gen. Die Be­wer­bung des Klägers um die Chef-

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arzt­stel­le blieb er­folg­los. Die­se wur­de ab dem 1. Ok­to­ber 2001 dem ex­ter­nen Be­wer­ber Dr. H über­tra­gen.


Der Kläger war seit 13. No­vem­ber 2003 we­gen ei­ner psy­chi­schen Er­kran­kung ar­beits­unfähig. Er nahm, nach­dem er noch Ur­laub ein­ge­bracht hat­te, am 19. Ju­li 2004 sei­ne Ar­beit wie­der auf. Während sei­ner Ar­beits­unfähig­keit hat­te er sich bis 11. Fe­bru­ar 2004 in sta­ti­onärer, da­nach in am­bu­lan­ter Be­hand­lung be­fun­den. Vom 7. Mai bis 19. Mai 2004 hat­te der Kläger ei­nen Wie­der­ein­glie­de­rungs­ver­such un­ter­nom­men, der je­doch er­folg­los ab­ge­bro­chen wur­de. Seit Ok­to­ber 2004 ist der Kläger fort­lau­fend ar­beits­unfähig er­krankt.


Seit Mai 2002 fühlt sich der Kläger „ge­mobbt“. Nach­dem er im März 2003 ers­te Vorwürfe ge­gen den Chef­arzt Dr. H er­ho­ben hat­te, führ­te der Ver­wal­tungs­di­rek­tor der Be­klag­ten ei­ne Rei­he von Gesprächen mit den bei­den be­trof­fe­nen Ärz­ten so­wie mit an­de­ren Ärz­ten und Mit­ar­bei­tern der Neu­ro­chir­ur­gi­schen Kli­nik. Im Som­mer 2003 schal­te­te der Kläger ei­nen Rechts­an­walt ein. Der Ver­such, im Ju­ni 2003 im Rah­men ei­nes Kon­fliktlösungs­ver­fah­rens un­ter Lei­tung ei­nes ex­ter­nen Ver­mitt­lers die Aus­ein­an­der­set­zung zu schlich­ten, schlug fehl, da Dr. H ein sol­ches Ver­fah­ren nicht für zielführend hielt. Am 1. April und 23. April 2004 fan­den so ge­nann­te Kon­flikt­ver­mitt­lungs­kon­fe­ren­zen un­ter Lei­tung des Ver­mitt­lers statt, an de­nen ne­ben dem Kläger und Dr. H auch der ärzt­li­che Di­rek­tor der Be­klag­ten teil­nahm. Die Be­klag­te hat­te Dr. H an­ge­wie­sen, an die­sem Kon­flikt­ver­mitt­lungs­ver­fah­ren mit­zu­wir­ken. Auch die­ses Ver­fah­ren wur­de er­geb­nis­los ab­ge­bro­chen.


Der Kläger stützt sei­ne Mob­bing­vorwürfe im We­sent­li­chen auf fol­gen­de, im Ein­zel­nen strei­ti­ge Vorfälle:


Er be­haup­tet, er ha­be kurz­fris­tig sei­nen für die Zeit vom 9. Au­gust bis 30. Au­gust 2002 an­ge­mel­de­ten Ur­laub ändern und da­her die ge­buch­te Pau­schal­rei­se um­bu­chen müssen, da Dr. H dies ver­langt ha­be, weil er selbst bis zum 10. Au­gust 2002 in Ur­laub sei. Das Glei­che sei in den Herbst­fe­ri­en ge­sche­hen, in de­nen er sei­nen im Ein­verständ­nis mit Dr. H an­ge­mel­de­ten Ur­laub zum 18. Ok­to­ber 2002 ha­be ab­bre­chen müssen, weil die­ser dies mit der Erklärung ver­langt ha­be, dass ihm als Chef­arzt der Vor­rang gebühre und er ab dem 19. Ok­to­ber 2002 in Ur­laub sei. Dr. H ha­be sich dann al­ler­dings seit dem 20. Ok­to­ber 2002 wie­der im Dienst be­fun­den.


Zum Jah­res­wech­sel 2001/2002 ha­be es ei­ne um­fang­rei­che Dis­kus­si­on über die Ver­wen­dung ver­schie­de­ner Im­plan­ta­te bei Wir­belsäulen­ope­ra­tio­nen ge­ge­ben. Da­bei sei sein gut vor­be­rei­te­ter und sorgfältig dar­ge­leg­ter Vor­schlag durch Dr. H in
 


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Ge­gen­wart Drit­ter oh­ne das ge­rings­te In­ter­es­se zur Kennt­nis ge­nom­men und „ab­gebügelt“ wor­den.


Mit Schrei­ben vom 27. Fe­bru­ar 2003 ha­be ihm der Chef­arzt ei­ne in­halt­lich un­zu­tref­fen­de Ab­mah­nung er­teilt. Rich­tig sei al­ler­dings, dass er von der in Fra­ge ste­hen­den Pa­ti­en­tin ge­sagt ha­be, die­se sei „zu pan­ne“.

Am 4. Ju­ni 2003 sei er von Dr. H auf dem Flur vor den Aufzügen in Ge­gen­wart von vier Kol­le­gen her­ab­las­send und ag­gres­siv dar­auf an­ge­spro­chen wor­den, dass bei ei­ner von ihm über­wach­ten Hirn­tu­mo­ro­pe­ra­ti­on vier Bohrlöcher an­stel­le von ma­xi­mal zwei ge­setzt wor­den sei­en. Da­bei ha­be Dr. H geäußert, dass, falls der Kläger dies nicht könne, er es ihm demnächst bei ei­ner Ope­ra­ti­on zei­gen wer­de.


Am sel­ben Ta­ge sei, als der Chef­arzt Dr. H nicht mehr an­we­send ge­we­sen sei, ein an­gekündig­ter Pa­ti­ent von der Oberärz­tin Dr. S auf aus­drück­li­che An­wei­sung des Dr. H emp­fan­gen wor­den. Hier­von sei er nicht un­ter­rich­tet wor­den, ob­wohl beim Mit­tag­es­sen von die­sem Vor­gang die Re­de ge­we­sen sei.

Im Vier­au­gen­gespräch ha­be Dr. H wie­der­holt und ernst­haft ihm ge­genüber den Vor­wurf er­ho­ben, dass er den vor­ma­li­gen Chef­arzt Dr. T hin­ter­gan­gen und des­sen Raus­wurf ver­an­lasst ha­be.


Im Rah­men ei­ner Dis­kus­si­on um fachüberg­rei­fen­de Be­reit­schafts­diens­te sei­en ihm vor ver­sam­mel­ter Mann­schaft von Dr. H un­lau­te­re Mo­ti­ve un­ter­stellt wor­den. Dr. H ha­be geäußert, der Kläger, würde nur so ar­gu­men­tie­ren, „um sei­nen Arsch im Bett las­sen zu können“, des Wei­te­ren, „um sei­ne Pfründe zu si­chern“.

In ei­nem Kon­flikt­gespräch am 24. Ju­ni 2003 ha­be Dr. H erklärt, er ha­be sich nach sei­ner Be­ru­fung zum Chef­arzt bei den nie­der­ge­las­se­nen Fach­kol­le­gen vor­ge­stellt. Die­se hätten sich ne­ga­tiv über den Kläger geäußert und sei­ne ärzt­li­chen Fähig­kei­ten in Zwei­fel ge­zo­gen.

Mit Schrei­ben vom 26. Sep­tem­ber 2003 ha­be Dr. H ihm zu Un­recht vor­ge­wor­fen, sich selbst Ur­laub gewährt und hier­durch ei­nen per­so­nel­len Eng­pass ver­ur­sacht zu ha­ben.

Am 29. Sep­tem­ber 2003 ha­be Dr. H ihn be­schul­digt, die Be­hand­lung ei­ner Pa­ti­en­tin während sei­ner Ur­laubs­ab­we­sen­heit ei­genmäch­tig und ent­ge­gen sei­nen Wei­sun­gen vor­ge­nom­men zu ha­ben. Sein (sc. des Klägers) Ver­hal­ten sei ei­ne Un­verschämt­heit. Tatsächlich ha­be die Rück­spra­che mit der Se­kretärin je­doch er­ge­ben,
 


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dass die Pa­ti­en­ten­be­hand­lung in je­der Wei­se den ab­ge­spro­che­nen The­ra­pie­maßnah­men ent­spro­chen ha­be.


Im Ok­to­ber 2003 sei er so­wie ein wei­te­rer Ober­arzt von Dr. H ge­fragt wor­den, ob sie be­reit sei­en, in ei­nem Zim­mer zu­sam­men­zu­ar­bei­ten. Im Hin­blick auf die Not­wen­dig­keit, am­bu­lan­te Pa­ti­en­ten in ih­ren Zim­mern zu un­ter­su­chen, hätten sie bei­de je­doch erklärt, dass dies nicht möglich sei. Trotz­dem sei ei­ni­ge Ta­ge später ein Schreib­tisch für den an­de­ren Ober­arzt in sein Zim­mer ge­stellt wor­den.

Am 4./5. No­vem­ber 2003 ha­be er ei­ne von ei­nem As­sis­tenz­arzt durch­geführ­te Ope­ra­ti­on fortführen müssen. Ent­ge­gen der bis­her prak­ti­zier­ten sit­zen­den La­ge­rung sei in Bauch­la­ge­rung ope­riert wor­den. Als er, der Kläger, in der Frühbe­spre­chung am Fol­ge­tag auf die me­di­zi­nisch-recht­li­che Pro­ble­ma­tik ei­ner Ope­ra­ti­on in ei­ner La­ge­rung, über die zu­vor nicht auf­geklärt wor­den sei, hin­ge­wie­sen ha­be, sei er von Dr. H mit den Wor­ten: „Ich bin hier Ope­ra­teur und Sie sind mein Hand­lan­ger. Sie ha­ben zu tun, was ich Ih­nen sa­ge!“ an­ge­schrien wor­den.

Während sei­ner Ar­beits­unfähig­keit bis zum 6. Mai 2004 sei das Schrei­ben ei­nes Rechts­an­walts ein­ge­gan­gen, der nach dem Tod ei­nes durch ihn, den Kläger, ope­rier­ten Pa­ti­en­ten Scha­dens­er­satz­ansprüche gel­tend ge­macht ha­be. Hierüber sei er, we­der durch das Kran­ken­haus noch durch Herrn Dr. H in­for­miert wor­den. Die­ser ha­be viel­mehr dem Rechts­an­walt schrift­lich mit­ge­teilt, dass die an­ge­for­der­ten Ope­ra­ti­ons­be­rich­te nicht exis­tier­ten und „der Ober­arzt Dr. B“ die­se Be­rich­te nicht um­ge­hend nach dem Ein­griff, wie meis­tens üblich, ver­fasst ha­be, son­dern die­se wohl zu ei­nem späte­ren Ter­min ha­be ab­fas­sen wol­len, dann je­doch seit dem 7. No­vem­ber 2003 ar­beits­unfähig er­krankt sei. Er selbst, der Kläger, ha­be erst am 27. April 2004 durch ein Er­mitt­lungs­ver­fah­ren der Staats­an­walt­schaft er­fah­ren, dass der Pa­ti­ent ver­stor­ben sei und ihm die Schuld an­ge­las­tet wer­de.


Während des Wie­der­ein­glie­de­rungs­ver­suchs ha­be er am 7. Mai 2004 an­ge­fragt, ob sein Dienst vom 20. Mai 2004 auf ei­nen an­de­ren Ter­min ver­legt wer­den könne, da er an die­sem Tag an ei­ner ge­plan­ten Fa­mi­li­en­fei­er teil­neh­men wol­le. Ob­wohl er den Tausch für zwei an­de­re Diens­te an­ge­bo­ten ha­be, ha­be Herr Dr. H geäußert, dass das nicht ge­he, da es ein Fei­er­tag sei.


Am Vor­mit­tag des 10. Mai 2004 ha­be die Se­kretärin des Chef­arz­tes ver­sucht, ihn in des­sen Auf­trag aus sei­nem Ar­beits­zim­mer zu ver­wei­sen, da ei­ne Teil­zeit­kraft für drei St­un­den ein Ar­beits­zim­mer mit ei­ge­nem Com­pu­ter brau­che, um ih­re Ar­beit zu er­le­di­gen.
 


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Als er am sel­ben Ta­ge zwei Kol­le­gen auf ei­ner Vi­si­te ha­be be­glei­ten wol­len, sei er auf der Sta­ti­on von Dr. H an­ge­fah­ren wor­den, was er auf der Vi­si­te zu tun ha­be, er ha­be kla­re An­wei­sun­gen ge­ge­ben, dass OP-Be­rich­te zu dik­tie­ren sei­en.


An die­sem Ta­ge ha­be dann um 15.00 Uhr ei­ne Dienst­be­spre­chung statt­ge­fun­den, die ursprüng­lich für 15.45 Uhr an­ge­setzt ge­we­sen sei. Wohl auf Wei­sung des Chef­arz­tes sei er, der Kläger, zu­vor von der Ter­minsände­rung nicht in­for­miert wor­den.

Nach­dem er am 19. Ju­li 2004 im An­schluss an sei­ne Ar­beits­unfähig­keit und sei­nen Ur­laub den Dienst auf­ge­nom­men ha­be und ihm der Dienst­plan aus­gehändigt wor­den sei, ha­be er Dr. H ge­fragt, ob er am Fol­ge­tag zwi­schen 17.00 Uhr und 19.00 Uhr ei­nen seit länge­rem ge­plan­ten pri­va­ten Ter­min wahr­neh­men könne. Ei­ne As­sis­tenzärz­tin sei be­reit ge­we­sen, sei­nen Dienst bis 19.00 Uhr zu über­neh­men. Dr. H ha­be dies je­doch ab­ge­lehnt.

In ei­nem Gespräch am 6. Au­gust 2004 ha­be ihn Dr. H un­ter vier Au­gen auf­ge­for­dert dar­zu­le­gen, wie er sich die wei­te­re Zu­kunft in der Ab­tei­lung vor­stel­le, da er nicht mehr das Ver­trau­en der übri­gen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen be­sit­ze. Dr. H ha­be erklärt, er würde sei­ner Fürsor­ge­pflicht nach­kom­men und ihm je­der­zeit be­hilf­lich sein, ei­nen an­de­ren adäqua­ten Ar­beits­platz zu fin­den.


Bei ei­ner Ope­ra­ti­on am 9. Sep­tem­ber 2004, bei der er zu­sam­men mit ei­nem Kol­le­gen nach ei­nem bei ei­ner Ope­ra­ti­on im Schädel ver­blie­be­nen Glas­split­ter ge­sucht ha­be, ha­be er ver­se­hent­lich mit dem Mi­kro­sau­ger die­sen Glas­split­ter ab­ge­saugt. Dr. H, der nach Auf­fin­den des Glas­split­ters hin­zu­ge­ru­fen wor­den sei, ha­be ihn vor ver­sam­mel­ter Mann­schaft an­ge­fah­ren, wes­halb er den Split­ter nicht ent­spre­chend ei­ner zu­vor er­teil­ten An­wei­sung be­las­sen ha­be.


Am 20. Sep­tem­ber 2004 ha­be ihn Dr. H an­ge­wie­sen, ei­ner Kol­le­gin bei ei­ner Ope­ra­ti­on zu as­sis­tie­ren und da­bei ge­sagt: „Sie wis­sen ja schon, ge­ra­der Haut­schnitt, Bohr­loch über der Ko­ro­nar­naht“.

Am 22. Sep­tem­ber 2004 ha­be Dr. H in Wi­der­spruch zu ei­ner zu­vor ge­trof­fe­nen Ver­ein­ba­rung über die Be­hand­lung von Pri­vat­pa­ti­en­ten ihm mit­ge­teilt, dass er nur auf persönli­che, di­rek­te An­wei­sung des Dr. H et­was an Pri­vat­pa­ti­en­ten zu tun ha­be.

Bei ei­nem Ein­griff an ei­ner Pa­ti­en­tin am 27. Sep­tem­ber 2004 sei ihm von dem Anästhe­sis­ten mit­ge­teilt wor­den, dass die An­zahl der Throm­bo­zy­ten so nied­rig sei,
 


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dass bei Fort­set­zung des Ein­griffs die Ge­fahr ei­ner schwer­wie­gen­den Ge­rin­nungsstörung bestünde. Er ha­be dies Dr. H te­le­fo­nisch mit­ge­teilt. Die­ser ha­be oh­ne wei­te­re Erklärung mit dem Anästhe­sis­ten ge­spro­chen und sich von die­sem den Wert bestäti­gen las­sen. So­dann ha­be Dr. H über den Anästhe­sis­ten emp­feh­len las­sen, die Ope­ra­ti­on ab­zu­bre­chen.


Der Kläger führt sei­ne Er­kran­kung ab No­vem­ber 2003 und sei­ne er­neu­te Er­kran­kung ab Ok­to­ber 2004 auf das „Mob­bing-Ver­hal­ten“ des Dr. H zurück. Die­ser wei­ge­re sich ins­be­son­de­re, an ei­ner Lösung der be­ste­hen­den Kon­flik­te mit­zu­wir­ken. Die Be­klag­te sei nicht be­reit, ge­eig­ne­te Maßnah­men ge­gen den Chef­arzt zu er­grei­fen.

Der Kläger hat zu­letzt fol­gen­de Sach­anträge ge­stellt: 

1. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, das An­stel­lungs­verhält­nis mit dem Chef­arzt der Neu­ro­chir­ur­gi­schen Kli­nik Herrn Dr. med. Rai­ner H zu be­en­den.

Hilfs­wei­se:

Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, dem Kläger ei­nen sei­ner Leis­tungsfähig­keit und Stel­lung ent­spre­chen­den Ar­beits­platz, der im Hin­blick auf Tätig­keit und Vergütung mit sei­nem in­ne­ge­hal­te­nen Ar­beits­platz ver­gleich­bar ist, an­zu­bie­ten, an dem ei­ne be­ruf­li­che Wei­sungs­ge­bun­den­heit ge­genüber Herrn Dr. med. Rai­ner H nicht be­steht.


2. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an den Kläger ein Schmer­zens­geld, des­sen Höhe in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stellt wird, nebst Zin­sen in Höhe von 5 % über dem Ba­sis­zins­satz der Eu­ropäischen Zen­tral­bank seit Kla­ge­zu­stel­lung zu zah­len.

Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt.

Sie be­strei­tet, dass der Kläger von dem Chef­arzt der Neu­ro­chir­ur­gi­schen Kli­nik Dr. H ge­mobbt wor­den sei. Auch ha­be sie al­les ihr Mögli­che un­ter­nom­men, um das Verhält­nis zwi­schen dem Kläger und Dr. H zu ent­span­nen.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Die Be­ru­fung des Klägers hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ge­wie­sen und die Re­vi­si­on zu­ge­las­sen. Mit die­ser ver­folgt der Kläger sein Kla­ge­ziel wei­ter, während die Be­klag­te die Zurück­wei­sung der Re­vi­si­on be­an­tragt.
 


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Ent­schei­dungs­gründe


Die Re­vi­si­on des Klägers ist be­gründet. Sie führt zur Auf­he­bung des an¬ge­foch­te­nen Ur­teils und zur Zurück­ver­wei­sung der Sa­che an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung.

A. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge im We­sent­li­chen aus fol­gen­den Gründen ab­ge­wie­sen.

I. Ei­ne Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit dem Chef­arzt Dr. H durch die Be­klag­te könne der Kläger un­abhängig da­von, ob die­ser ihn „ge­mobbt“ ha­be, al­lein des­halb nicht ver­lan­gen, weil es Sa­che der Be­klag­ten als Ar­beit­ge­be­rin sei, zu ent­schei­den, mit wel­chen ge­eig­ne­ten Maßnah­men sie auf die be­trieb­li­che Kon­flikt­la­ge re­agie­re. Sie könne nicht da­zu ver­pflich­tet wer­den, ei­ne Kündi­gung aus­zu­spre­chen, de­ren Rechts­wirk­sam­keit we­gen des Feh­lens ei­ner vor­he­ri­gen Ab­mah­nung zwei­fel­haft sei.

II. Ein An­ge­bot zur Wei­ter­beschäfti­gung auf ei­nem sei­ner bis­he­ri­gen Tätig­keit gleich­wer­ti­gen Ar­beits­platz könne der Kläger des­halb nicht for­dern, weil die­ses der Be­klag­ten nicht möglich sei. Die fach­li­che Qua­li­fi­ka­ti­on des Klägers ste­he ei­nem Ein­satz als Ers­ter Ober­arzt in ei­ner an­de­ren Ab­tei­lung des von der Be­klag­ten be­trie­be­nen Kran­ken­hau­ses ent­ge­gen. Die Be­klag­te sei auch nicht ver­pflich­tet, ei­ne für den Kläger ge­eig­ne­te Stel­le zu schaf­fen.


III. Ein Schmer­zens­geld­an­spruch ste­he dem Kläger nicht zu, ob­wohl er schlüssig die Vor­aus­set­zun­gen für ei­nen sol­chen Scha­dens­er­satz­an­spruch vor­ge­tra­gen und be­wie­sen ha­be. Er ha­be für die Zeit ab dem 1. Au­gust 2002 bis zu sei­ner er­neu­ten Er­kran­kung seit Ok­to­ber 2004 ei­ne Viel­zahl von Fällen vor­ge­tra­gen, bei de­nen durch den Chef­arzt Dr. H die Persönlich­keit des Klägers miss­ach­tet wor­den sei. So zeu­ge die im Zu­sam­men­hang mit dem vom Kläger ver­lang­ten Ab­bruch sei­nes Herbst­ur­lau­bes 2002 ge­mach­te Äußerung des Chef­arz­tes Dr. H „er sei der Chef und könne sei­nen Ur­laub nicht nach sei­nen Ärz­ten rich­ten“ und des­sen Wei­ge­rung, die Gründe für den dann letzt­lich nicht an­ge­tre­te­nen ei­ge­nen Ur­laub zu erläutern, von man­geln­der Rück­sicht­nah­me des Chef­arz­tes auf die Gefühle des ihm un­ter­stell­ten Klägers.
 


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Auch die am 4. Mai 2003 er­folg­te Be­lei­di­gung des Klägers im Zu­sam­men­hang mit der Dis­kus­si­on über die Be­reit­schafts­diens­te zei­ge er­heb­li­che Mängel im zwi­schen­mensch­li­chen Um­gang des Dr. H mit dem Kläger.

Man­geln­der Re­spekt vor der Per­son des Klägers und die Miss­ach­tung sei­ner Po­si­ti­on als Ers­ter Ober­arzt sei­en auch bei der Aus­ein­an­der­set­zung um die An­zahl der Bohrlöcher bei ei­ner un­ter der Lei­tung des Klägers durch­geführ­ten Ope­ra­ti­on zum Aus­druck ge­kom­men.

Nicht verständ­lich sei wei­ter, aus wel­chem Grund Dr. H ge­ra­de vom Kläger, als Ers­tem Ober­arzt, ver­langt ha­be, sein Zim­mer mit ei­nem an­de­ren Ober­arzt zu tei­len.

Bei den Aus­ein­an­der­set­zun­gen über die An­zahl der Bohrlöcher und der La­ge­rung des Pa­ti­en­ten bei be­stimm­ten Ope­ra­tio­nen ha­be Dr. H den nöti­gen Re­spekt ge­genüber dem Kläger in fach­li­cher Hin­sicht ver­mis­sen las­sen.

Zwar nei­ge auch der Kläger da­zu, sich im Ton­fall und in der Wort­wahl zu ver­grei­fen, je­doch sei von den an­we­sen­den Ärz­ten das Ver­hal­ten des Klägers bei den frag­li­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen nicht als un­an­ge­mes­sen emp­fun­den wor­den.

Ein et­wai­ger Scha­dens­er­satz­an­spruch des Klägers sei nicht nach § 23 AVR ver­fal­len. Der Kläger ha­be durch die am 24. Ok­to­ber 2004 (rich­tig wohl: 13. Ok­to­ber 2004) der Be­klag­ten zu­ge­stell­ten Kla­ge sei­nen Schmer­zens­geld­an­spruch frist­ge­recht in­ner­halb der sechs­mo­na­ti­gen Aus­schluss­frist gel­tend ge­macht, da sich „ge­eig­ne­te Vorgänge zur Be­gründung sei­nes Mob­bing­vor­wurfs“ in der Zeit­span­ne von sechs Mo­na­ten vor der Kla­ge­zu­stel­lung zu­ge­tra­gen hätten.

Die durch Dr. H be­gan­ge­nen Persönlich­keits­ver­let­zun­gen sei­en auch für die De­pres­sio­nen des Klägers ursächlich ge­we­sen, de­ret­we­gen er ab dem 13. No­vem­ber 2003 ar­beits­unfähig ge­wor­den sei. Ei­ne Haf­tung des Chef­arz­tes und da­mit der Be­klag­ten, die sich sei­ner als Erfüllungs­ge­hil­fe be­dient ha­be, schei­te­re al­ler­dings dar­an, dass den Chef­arzt kein Ver­schul­den an der Ge­sund­heitsschädi­gung des Klägers tref­fe. Für ihn sei nicht er­kenn­bar ge­we­sen, dass durch sein ver­trags­wid­ri­ges Ver­hal­ten die Krank­heit des Klägers aus­gelöst wer­de. Er ha­be nicht da­mit rech­nen müssen, dass der Kläger auf Grund der Aus­ein­an­der­set­zung, die die­ser sei­ner­seits eben­falls nicht ge­scheut ha­be, „in die Kniee ge­hen wer­de“. Ab dem Zeit­punkt, ab dem Dr. H von der psy­chi­schen Er­kran­kung des Klägers auf Grund der be­ruf­li­chen Si­tua­ti­on Kennt­nis ge­habt ha­be und ab dem des­halb ei­ne be­son­de­re Rück­sichts­nah­me ge­genüber dem
 


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Kläger ge­bo­ten ge­we­sen wäre, sei­en Hand­lun­gen des Chef­arz­tes Dr. H, die den Rechts­kreis des Klägers ver­letzt hätten, nicht mehr fest­zu­stel­len.

Ein An­spruch des Klägers auf Schmer­zens­geld we­gen Ver­let­zung des all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts schei­te­re dar­an, dass es an der für ei­nen An­spruch er­for­der­li­chen Schwe­re des Ein­grif­fes oder der Schuld des Chef­arz­tes feh­le.

B. Die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts hält ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung nicht stand.


Die zulässi­ge Re­vi­si­on ist be­gründet.

I. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat le­dig­lich ge­prüft, ob der Kläger ge­gen die Be­klag­te Ansprüche hat, die sich dar­aus er­ge­ben, dass sie sich das Ver­hal­ten des Chef­arz­tes Dr. H, des­sen sie sich als Erfüllungs­ge­hil­fen be­dient, § 278 BGB, zu­rech­nen las­sen muss. Es feh­len Ausführun­gen da­zu, ob dem Kläger die gel­tend ge­mach­ten Ansprüche ge­gen die Be­klag­te un­mit­tel­bar we­gen von die­ser selbst be­gan­ge­ner Ver­trags­ver­let­zun­gen oder un­er­laub­ter Hand­lun­gen zu­ste­hen.

Al­lein die­ser Rechts­feh­ler führt schon zur Auf­he­bung des Be­ru­fungs­ur­teils und zur Zurück­ver­wei­sung des Rechts­streits an das Lan­des­ar­beits­ge­richt nach § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

II. Zu­tref­fend nimmt das Lan­des­ar­beits­ge­richt an, dass das Ver­hal­ten des Chef­arz­tes Dr. H kei­nen An­spruch des Klägers ge­gen die Be­klag­te be­gründet, das Ar­beits­verhält­nis mit dem Chef­arzt zu „be­en­den“.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat das Kla­ge­be­geh­ren oh­ne Rechts­feh­ler da­hin­ge­hend aus­ge­legt, dass der Kläger von der Be­klag­ten die Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit dem Chef­arzt ver­langt.

1. Das Be­ru­fungs­ge­richt ist da­von aus­ge­gan­gen, der Kläger ha­be schlüssig vor­ge­tra­gen, dass sein Vor­ge­setz­ter Dr. H Hand­lun­gen be­gan­gen ha­be, durch die in ei­ner Ge­samt­schau Ver­let­zun­gen von Rechtsgütern des Klägers kau­sal ver­ur­sacht wor­den sei­en.

a) Zu­tref­fend geht das Lan­des­ar­beits­ge­richt da­von aus, dass „Mob­bing“ kein Rechts­be­griff und da­mit auch kei­ne An­spruchs­grund­la­ge für Ansprüche des Ar­beit­neh­mers ge­gen den Ar­beit­ge­ber oder ge­gen Vor­ge­setz­te bzw. ei­nen oder meh­re­re Ar­beits­kol­le­gen ist (Se­nat 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - NZA 2007, 1154). Da


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Mob­bing“ so­mit als ei­genständi­ge An­spruchs­grund­la­ge, ver­gleich­bar mit ei­ner Rechts­norm, aus­schei­det, erübrigt sich im Er­geb­nis ei­ne all­ge­meingülti­ge De­fi­ni­ti­on des Be­grif­fes „Mob­bing“, wenn der Ar­beit­neh­mer kon­kre­te Ansprüche gel­tend macht. Dann muss nämlich je­weils ge­prüft wer­den, ob der in An­spruch Ge­nom­me­ne in den vom Kläger ge­nann­ten Ein­z­elfällen ar­beits­recht­li­che Pflich­ten, ein ab­so­lu­tes Recht des Ar­beit­neh­mers iSd. § 823 Abs. 1 BGB, ein Schutz­ge­setz iSd. § 823 Abs. 2 BGB ver­letzt oder ei­ne sit­ten­wid­ri­ge vorsätz­li­che Schädi­gung iSd. § 826 BGB be­gan­gen hat. In die­sem Zu­sam­men­hang ist zu be­ach­ten, dass es Fälle gibt, in de­nen die ein­zel­nen, vom Ar­beit­neh­mer dar­ge­leg­ten Hand­lun­gen oder Ver­hal­tens­wei­sen sei­ner Ar­beits­kol­le­gen oder sei­ner Vor­ge­setz­ten bzw. sei­nes Ar­beit­ge­bers für sich al­lein be­trach­tet noch kei­ne Rechts­ver­let­zun­gen dar­stel­len, die Ge­samt­schau der ein­zel­nen Hand­lun­gen oder Ver­hal­tens­wei­sen je­doch zu ei­ner Ver­trags- oder Rechts­gut­ver­let­zung führt, weil de­ren Zu­sam­men­fas­sung auf Grund der ih­nen zu­grun­de lie­gen­den Sys­te­ma­tik und Ziel­rich­tung zu ei­ner Be­ein­träch­ti­gung ei­nes geschütz­ten Rechts des Ar­beit­neh­mers führt (vgl. Se­nat 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - aaO mwN).

Dies ent­spricht auch weit­ge­hend der seit In­kraft­tre­ten des AGG vom 14. Au­gust 2006 (in Kraft seit 18. Au­gust 2006) be­ste­hen­den Rechts­la­ge. § 3 Abs. 3 AGG de­fi­niert den Be­griff der „Belästi­gung“, wel­che ei­ne ver­bo­te­ne Be­nach­tei­li­gung iSd. §§ 1, 2 AGG dar­stellt. Da­nach ist ei­ne Belästi­gung ei­ne Be­nach­tei­li­gung, wenn un­erwünsch­te Ver­hal­tens­wei­sen, die mit ei­nem in § 1 AGG ge­nann­ten Grund in Zu­sam­men­hang ste­hen, be­zwe­cken oder be­wir­ken, dass die Würde der be­tref­fen­den Per­son ver­letzt und ein von Einschüchte­run­gen, An­fein­dun­gen, Er­nied­ri­gun­gen, Entwürdi­gun­gen oder Be­lei­di­gun­gen ge­kenn­zeich­ne­tes Um­feld ge­schaf­fen wird.

Mit die­ser De­fi­ni­ti­on des Be­grif­fes „Belästi­gung“ hat der Ge­setz­ge­ber letzt­lich auch den Be­griff des „Mob­bing“ um­schrie­ben, so­weit die­ses sei­ne Ur­sa­chen in der Ras­se, der eth­ni­schen Her­kunft, dem Ge­schlecht, der Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, im Al­ter oder der se­xu­el­len Iden­tität (§ 1 AGG) des Belästig­ten hat (so auch: Bau­er/Göpfert/Krie­ger AGG § 3 Rn. 46; ErfK/Preis 7. Aufl. § 611 BGB Rn. 768a so­wie Wol­merath Mob­bing 3. Aufl. Rn. 33 und Bies­ter on­line ju­ris­PR-ArbR 35/2006 Anm. 6, die al­ler­dings an­neh­men, dass „Mob­bing“ deut­lich über den Be­griff der Belästi­gung des § 3 Abs. 3 AGG hin­aus­geht).

Die­ser in § 3 Abs. 3 AGG um­schrie­be­ne Be­griff des „Mob­bing“, der sich le­dig­lich auf Be­nach­tei­li­gun­gen aus ei­nem der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe be­zieht, kann auf die Fälle der Be­nach­tei­li­gung ei­nes Ar­beit­neh­mers - gleich aus wel­chen Gründen -

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über­tra­gen wer­den. Die­se Norm zeigt vor al­lem, dass es grundsätz­lich auf die Zu­sam­men­schau der ein­zel­nen „un­erwünsch­ten“ Ver­hal­tens­wei­sen an­kommt, um zu be­ur­tei­len, ob „Mob­bing“ vor­liegt. § 3 Abs. 3 AGG stellt nämlich dar­auf ab, ob ein durch „Einschüchte­run­gen, An­fein­dun­gen, Er­nied­ri­gun­gen, Entwürdi­gun­gen oder Be­lei­di­gun­gen ge­kenn­zeich­ne­tes Um­feld“ ge­schaf­fen wird. Ein Um­feld wird aber grundsätz­lich nicht durch ein ein­ma­li­ges, son­dern durch ein fort­dau­ern­des Ver­hal­ten ge­schaf­fen. Da­mit sind al­le Hand­lun­gen bzw. Ver­hal­tens­wei­sen, die dem sys­te­ma­ti­schen Pro­zess der Schaf­fung ei­nes be­stimm­ten Um­fel­des zu­zu­ord­nen sind, in die Be­trach­tung mit ein­zu­be­zie­hen. Des­halb dürfen ein­zel­ne zurück­lie­gen­de Hand­lun­gen/Ver­hal­tens­wei­sen nicht bei der Be­ur­tei­lung un­berück­sich­tigt ge­las­sen wer­den (vgl. Rieb­le/Klumpp ZIP 2002, 369). We­sens­merk­mal der als „Mob­bing“ be­zeich­ne­ten Form der Rechts­ver­let­zung des Ar­beit­neh­mers ist da­mit die sys­te­ma­ti­sche, sich aus vie­len ein­zel­nen Hand­lun­gen/Ver­hal­tens­wei­sen zu­sam­men­set­zen­de Ver­let­zung, wo­bei den ein­zel­nen Hand­lun­gen oder Ver­hal­tens­wei­sen für sich al­lein be­trach­tet oft kei­ne recht­li­che Be­deu­tung zu­kommt (vgl. Se­nat 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - NZA 2007, 1154).


Die ge­setz­li­che Re­ge­lung des § 3 Abs. 3 AGG ent­spricht auch in­halt­lich im We­sent­li­chen dem vom Bun­des­ar­beits­ge­richt ver­wen­de­ten „Mob­bing“-Be­griff. So hat der Sieb­te Se­nat be­reits in sei­nem Be­schluss vom 15. Ja­nu­ar 1997 (- 7 ABR 14/96 - BA­GE 85, 56 = AP Be­trVG 1972 § 37 Nr. 118 = EzA Be­trVG 1972 § 37 Nr. 133) „Mob­bing“ als „sys­te­ma­ti­sches An­fein­den, Schi­ka­nie­ren oder Dis­kri­mi­nie­ren von Ar­beit­neh­mern un­ter­ein­an­der oder durch Vor­ge­setz­te“ be­zeich­net.

b) Die Fra­ge, ob ein Ge­samt­ver­hal­ten als ei­ne ein­heit­li­che Ver­let­zung von Rech­ten des Ar­beit­neh­mers zu qua­li­fi­zie­ren ist und ob ein­zel­ne Hand­lun­gen oder Ver­hal­tens­wei­sen für sich ge­nom­men oder in der Ge­samt­schau ei­nen rechts­ver­let­zen­den Cha­rak­ter ha­ben, un­ter­liegt der re­vi­si­ons­recht­lich nur ein­ge­schränkt über­prüfba­ren tatrich­ter­li­chen Würdi­gung. Ob Rech­te des Ar­beit­neh­mers ver­letzt wor­den sind, muss von den Tat­sa­chen­ge­rich­ten auf Grund ei­ner Güter- und In­ter­es­sen­abwägung un­ter sorg­sa­mer Würdi­gung al­ler Umstände des Ein­zel­fal­les be­ur­teilt wer­den. Die­se Würdi­gung darf dem Be­ru­fungs­ge­richt nicht ent­zo­gen wer­den (Se­nat 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - NZA 2007, 1154). Da­her kann das Re­vi­si­ons­ge­richt nur über­prüfen, ob das Lan­des­ar­beits­ge­richt Denk­ge­set­ze oder all­ge­mei­ne Er­fah­rungssätze ver­letzt, al­le we­sent­li­chen Umstände des Ein­zel­fal­les be­ach­tet und hin­rei­chend gewürdigt hat und ob es in die vor­zu­neh­men­de Güter- und In­ter­es­sen­abwägung die

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we­sent­li­chen Umstände des Ein­zel­fal­les in nach­voll­zieh­ba­rer Wei­se mit ein­be­zo­gen hat so­wie ob das Ur­teil in sich wi­der­spruchs­frei ist.

c) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist nach um­fang­rei­cher Be­weis­auf­nah­me zu dem Er­geb­nis ge­langt, dass sich vor der ers­ten Er­kran­kung des Klägers ab 13. No­vem­ber 2003 meh­re­re Vorfälle er­eig­net ha­ben, die ge­eig­net wa­ren, die Per­son des Klägers und sei­ne fach­li­che Qua­li­fi­ka­ti­on her­ab­zuwürdi­gen. So ha­be der Chef­arzt Dr. H in den vom Lan­des­ar­beits­ge­richt im Ein­zel­nen dar­ge­leg­ten Fällen der her­aus­ra­gen­den Stel­lung des Klägers als Ers­ter Ober­arzt der Neu­ro­chir­ur­gi­schen Kli­nik nicht den not­wen­di­gen Re­spekt ent­ge­gen­ge­bracht und auch im Übri­gen er­heb­li­che Mängel im zwi­schen­mensch­li­chen Um­gang mit dem Kläger er­ken­nen las­sen. Wei­ter hat es an­ge­nom­men, dass es nach der ers­ten Er­kran­kung des Klägers zu sol­chen Vorfällen nicht mehr ge­kom­men ist.

Es ist nicht er­sicht­lich, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt bei die­ser Würdi­gung we­sent­li­che Umstände des Ein­zel­fal­les nicht berück­sich­tigt hat oder bei der vor­ge­nom­me­nen In­ter­es­sen­abwägung be­stimm­ten Ge­sichts­punk­ten kei­ne oder ei­ne un­zu­tref­fen­de Be­deu­tung bei­ge­mes­sen hat. Ge­gen die Fest­stel­lun­gen und Würdi­gun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts wen­det sich auch we­der der Kläger in sei­ner Re­vi­si­ons­be­gründung noch er­hebt die Be­klag­te in ih­rer Re­vi­si­ons­er­wi­de­rung durch­grei­fen­de Ge­genrügen. Der Kläger meint le­dig­lich, noch wei­te­re Vorfälle hätten sich als „Mob­bing“ dar­ge­stellt.

2. Die­ses Ver­hal­ten des Chef­arz­tes, wel­chem der Kläger aus­ge­setzt war, be­gründet kei­nen An­spruch des Klägers ge­gen die Be­klag­te, das Ar­beits­verhält­nis mit dem Chef­arzt zu kündi­gen.

a) Nach bis­her in ständi­ger Recht­spre­chung ver­tre­te­ner Auf­fas­sung hat der Ar­beit­ge­ber im Rah­men sei­ner Fürsor­ge­pflicht auf das Wohl und die be­rech­tig­ten In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers Rück­sicht zu neh­men. Die Fürsor­ge­pflicht ist Aus­fluss des in § 242 BGB nie­der­ge­leg­ten Ge­dan­kens von Treu und Glau­ben, der auch den In­halt des Ar­beits­verhält­nis­ses be­stimmt. Bei der Fra­ge, was Treu und Glau­ben und die Fürsor­ge­pflicht im Ein­zel­fall ge­bie­ten, ist ins­be­son­de­re auf die in den Grund­rech­ten zum Aus­druck ge­kom­me­nen Wer­tent­schei­dun­gen des Grund­ge­set­zes Be­dacht zu neh­men. Dies hat zur Fol­ge, dass der Ar­beit­ge­ber das Persönlich­keits­recht des Ar­beit­neh­mers nicht ver­let­zen darf und dass der Ar­beit­neh­mer im Fal­le ei­ner Ver­let­zung An­spruch auf Be­sei­ti­gung der fortwähren­den Be­ein­träch­ti­gung und auf das

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Un­ter­las­sen wei­te­rer Ver­let­zungs­hand­lun­gen hat (BAG 12. Sep­tem­ber 2006 - 9 AZR 271/06 - AP BGB § 611 Per­so­nal­ak­te Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlich­keits­recht Nr. 4). Dar­aus folgt, dass der Ar­beit­ge­ber die Pflicht hat, sei­ne Ar­beit­neh­mer vor Belästi­gun­gen durch Vor­ge­setz­te, Mit­ar­bei­ter oder Drit­te, auf die er Ein­fluss hat, zu schützen und ih­nen ei­nen men­schen­ge­rech­ten Ar­beits­platz zur Verfügung zu stel­len (HWK/Thüsing 2. Aufl. § 611 BGB Rn. 256).


Die­se all­ge­mei­ne, letzt­lich aus § 242 BGB her­ge­lei­te­te Ver­pflich­tung hat­te der Ge­setz­ge­ber für den Fall der se­xu­el­len Belästi­gung ei­nes Beschäftig­ten in § 3 Abs. 2 Beschäftig­ten­schutz­ge­setz (gültig bis 17. Au­gust 2006) aus­drück­lich klar­ge­stellt. Da­nach war der Ar­beit­ge­ber ver­pflich­tet, ge­eig­ne­te Maßnah­men zu tref­fen, um die Fort­set­zung ei­ner fest­ge­stell­ten Belästi­gung zu un­ter­bin­den. Gleich­zei­tig kon­kre­ti­sier­te § 4 Abs. 1 Nr. 1 Beschäftig­ten­schutz­ge­setz die­se Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers da­hin­ge­hend, dass er im Ein­zel­fall an­ge­mes­se­ne ar­beits­recht­li­che Maßnah­men wie Ab­mah­nung, Um­set­zung, Ver­set­zung oder Kündi­gung zu er­grei­fen hat.

Im ab 18. Au­gust 2006 in Kraft ge­tre­te­nen AGG hat der Ge­setz­ge­ber für den Fall der Be­nach­tei­li­gung ei­nes Ar­beit­neh­mers aus den in § 1 AGG ge­nann­ten Gründen die dies­bezügli­chen Pflich­ten des Ar­beit­ge­bers wei­ter kon­kre­ti­siert. § 12 Abs. 3 AGG ver­langt, dass dann, wenn Beschäftig­te ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot ver­s­toßen, der Ar­beit­ge­ber die im Ein­zel­fall ge­eig­ne­ten, er­for­der­li­chen und an­ge­mes­se­nen Maßnah­men zur Un­ter­bin­dung der Be­nach­tei­li­gung wie Ab­mah­nung, Um­set­zung, Ver­set­zung oder Kündi­gung er­greift.

Zwar hat in die­sen ge­setz­lich nor­mier­ten Fällen der be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer ge­gen den Ar­beit­ge­ber An­spruch dar­auf, dass die­ser die zur Be­sei­ti­gung der Störung er­for­der­li­chen Maßnah­men er­greift, ei­nen An­spruch auf ei­ne be­stimm­te Maßnah­me eröff­nen die ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten je­doch nicht. Viel­mehr ver­bleibt dem Ar­beit­ge­ber ein Er­mes­sens­spiel­raum, durch wel­che Maßnah­men er die auf­ge­tre­te­nen Belästi­gun­gen des Ar­beit­neh­mers be­sei­ti­gen will. § 4 Beschäftig­ten­schutz­ge­setz stell­te ei­ne Ko­di­fi­zie­rung des ar­beits­recht­li­chen Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes dar (BAG 25. März 2004 - 2 AZR 341/03 - AP BGB § 626 Nr. 189 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 6). Auch § 12 AGG lässt dem Ar­beit­ge­ber ei­nen Er­mes­sens­spiel­raum, mit wel­chen Maßnah­men er auf Belästi­gun­gen ei­nes Ar­beit­neh­mers durch Vor­ge­setz­te oder Mit­ar­bei­ter re­agiert. Der Ar­beit­neh­mer hat al­ler­dings An­spruch auf die Ausübung rechts­feh­ler­frei­en Er­mes­sens durch den Ar­beit­ge­ber (Schleu­se­ner/Suckow/Voigt AGG § 12 Rn. 46). Der Ar­beit­ge­ber muss nur sol­che Maßnah­men er­grei­fen, die er nach den

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Umständen des Ein­zel­fal­les als verhält­nismäßig an­se­hen darf (Bau­er/Göpfert/Krie­ger § 12 Rn. 32) und die ihm zu­mut­bar sind. Wenn al­ler­dings nach ob­jek­ti­ver Be­trach­tungs­wei­se ei­ne rechts­feh­ler­freie Er­mes­sens­ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers nur das Er­geb­nis ha­ben kann, ei­ne be­stimm­te Maßnah­me zu er­grei­fen, hat der Ar­beit­neh­mer An­spruch auf de­ren Durchführung.


Die­se für die Fälle der se­xu­el­len Belästi­gung und der Be­nach­tei­li­gung we­gen der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe ge­setz­lich ge­re­gel­ten Ver­pflich­tun­gen des Ar­beit­ge­bers können auch auf Fälle des sog. „Mob­bings“ über­tra­gen wer­den. Dies gilt ins­be­son­de­re des­halb, weil sich § 4 Beschäftig­ten­schutz­ge­setz und § 12 AGG le­dig­lich als die Kon­kre­ti­sie­rung der dem Ar­beit­ge­ber ge­genüber sei­nem Ar­beit­neh­mer ob­lie­gen­den Fürsor­ge­pflicht dar­stel­len. Für „Mob­bing“-Fälle nach In­kraft­tre­ten des AGG (ab 18. Au­gust 2006) kommt ei­ne ana­lo­ge An­wen­dung in Fra­ge, für frühe­re Fälle kann die all­ge­mei­ne Fürsor­ge­pflicht des Ar­beit­ge­bers ent­spre­chend den in den ge­setz­li­chen Re­ge­lun­gen zum Aus­druck kom­men­den Grundsätzen kon­kre­ti­siert wer­den.

b) Da­nach hat der Kläger auf Grund des Ver­hal­tens des ihm vor­ge­setz­ten Chef­arz­tes kei­nen An­spruch ge­gen die Be­klag­te, das Ar­beits­verhält­nis mit die­sem zu kündi­gen.

Ei­ne sol­che Kündi­gung entspräche nicht dem Verhält­nismäßig­keits­grund­satz und wäre der Be­klag­ten nicht zu­mut­bar. In Fra­ge käme nur ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung. Nach all­ge­mei­ner Mei­nung stellt die Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­nes un­ter § 1 KSchG fal­len­den Ar­beit­neh­mers im­mer die sog. ul­ti­ma ra­tio dar, dh. vor Aus­spruch der Kündi­gung muss der Ar­beit­ge­ber ver­su­chen, ob er die­se nicht mit mil­de­ren Mit­teln ver­mei­den kann. Ei­ne Kündi­gung ist nach § 1 Abs. 1 und 2 KSchG so­zi­al nicht ge­recht­fer­tigt, wenn es an­de­re ge­eig­ne­te mil­de­re Mit­tel gibt, um die Ver­tragsstörung künf­tig zu be­sei­ti­gen (st. Rspr., vgl. BAG 7. De­zem­ber 2006 - 2 AZR 182/06 - AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 56 = EzA SGB IX § 84 Nr. 1).

Die Be­klag­te wäre wie bei je­der ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung re­gelmäßig ver­pflich­tet, ih­rem Chef­arzt vor Aus­spruch der Kündi­gung ei­ne Ab­mah­nung aus­zu­spre­chen (BAG 12. Ja­nu­ar 2006 - 2 AZR 179/05 - AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 68). Da ei­ne sol­che bis­lang un­strei­tig nicht er­folgt ist, wäre der Aus­spruch ei­ner ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung der Be­klag­ten un­zu­mut­bar. Dafür, dass die Kündi­gung des Chef­arz­tes aus­nahms­wei­se oh­ne vor­he­ri­ge Ab­mah­nung die ein­zi­ge, dem Verhält­nis-

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mäßig­keits­grund­satz ent­spre­chen­de Maßnah­me dar­stellt, wel­che die Be­klag­te bei pflicht­gemäßer Er­mes­sens­ausübung hätte tref­fen müssen, sind we­der ob­jek­ti­ve An­halts­punk­te er­kenn­bar noch vom Kläger vor­ge­tra­gen.


3. Der Kläger hat kei­nen An­spruch dar­auf, dass ihm die Be­klag­te ei­nen sei­ner Leis­tungsfähig­keit und Stel­lung ent­spre­chen­den Ar­beits­platz an­bie­tet, der im Hin­blick auf Tätig­keit und Vergütung mit sei­nem in­ne­ge­hal­te­nen Ar­beits­platz ver­gleich­bar ist und an dem ei­ne be­ruf­li­che Wei­sungs­ge­bun­den­heit ge­genüber dem Chef­arzt Dr. H nicht be­steht.

a) Ins­be­son­de­re fin­det die­ses Be­geh­ren kei­ne An­spruchs­grund­la­ge in der Fürsor­ge­pflicht der Be­klag­ten. Durch die­se wird die Be­klag­te ver­pflich­tet, den Kläger
vor Belästi­gun­gen durch sei­nen Vor­ge­setz­ten zu schützen. Die­se Ver­pflich­tung fin­det ih­re Gren­zen je­doch dar­in, dass der Ar­beit­ge­ber kei­ne Maßnah­men er­grei­fen muss, die ihm unmöglich oder un­zu­mut­bar sind.

b) Zu­tref­fend geht das Lan­des­ar­beits­ge­richt da­von aus, dass der Kläger als Fach­arzt für Neu­ro­chir­ur­gie bezüglich sei­nes Ein­sat­zes grundsätz­lich auf die­ses Fach­ge­biet be­schränkt ist. Das vom Kläger ge­for­der­te An­ge­bot ei­nes „sei­ner ... Stel­lung ent­spre­chen­den Ar­beits­plat­zes, der im Hin­blick auf Tätig­keit und Vergütung mit sei­nem in­ne­ge­hal­te­nen Ar­beits­platz ver­gleich­bar ist“, ver­langt, dass die Be­klag­te dem Kläger die Stel­le ei­nes Ers­ten Ober­arz­tes an­bie­tet. Nur ei­ne sol­che entspräche von der Stel­lung her dem jet­zi­gen Ar­beits­platz des Klägers. Dass der Kläger Kennt­nis­se und Fähig­kei­ten in an­de­ren me­di­zi­ni­schen Fach­ge­bie­ten be­sitzt, be­gründet zwar mögli­cher­wei­se ei­nen An­spruch auf ei­ne Beschäfti­gung in ei­ner „Nicht-Neu­ro­chir­ur­gi­schen“ Ab­tei­lung, nicht je­doch auf ei­ne Tätig­keit als Ers­ter Ober­arzt in ei­ner sol­chen, die mit der Wei­sungs­be­fug­nis ge­genüber den dort täti­gen „nicht-neu­ro­chir­ur­gi­schen“ Fachärz­ten ver­bun­den wäre. Dafür be­darf es ei­nes Arz­tes mit der ein­schlägi­gen Fach­arzt­aus­bil­dung.

Wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stellt hat, ist ein an­de­rer Ar­beits­platz für ei­nen Ers­ten Ober­arzt mit neu­ro­chir­ur­gi­scher Fach­aus­bil­dung im Kli­ni­kum der Be­klag­ten nicht vor­han­den. Ei­ne sol­che her­aus­ge­ho­be­ne Stel­le zu schaf­fen, ist der Be­klag­ten nicht zu­zu­mu­ten. Dies würde die Ein­rich­tung ei­ner ei­ge­nen Ab­tei­lung ver­lan­gen, in wel­cher der Kläger die Funk­ti­on ei­nes Ers­ten Ober­arz­tes ein­neh­men könn­te und in der er als Fach­arzt für Neu­ro­chir­ur­gie fach- und sach­ge­recht ein­ge­setzt
 


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wer­den könn­te. Ein sol­ches Ver­lan­gen des Klägers darf die Be­klag­te auf Grund des ar­beits­ver­trag­li­chen Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes ab­leh­nen.

4. Der Kläger hat ge­gen die Be­klag­te An­spruch auf ei­ne bil­li­ge Entschädi­gung in Geld (Schmer­zens­geld). Die­ser An­spruch ist we­gen Ver­let­zung der ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten durch den Chef­arzt als Erfüllungs­ge­hil­fen der Be­klag­ten ge­genüber dem Kläger be­gründet, § 241 Abs. 2, § 253 Abs. 2, § 278, § 280 Abs. 1 BGB.

a) Die Be­klag­te hat als Ar­beit­ge­be­rin ge­genüber dem Kläger als Ar­beit­neh­mer be­stimm­te Fürsor­ge- und Schutz­pflich­ten wahr­zu­neh­men. Je­der Ver­trags­par­tei er­wach­sen aus ei­nem Schuld­verhält­nis nicht nur Leis­tungs-, son­dern auch Ver­hal­tens­pflich­ten zur Rück­sicht­nah­me und zum Schutz der Rech­te, Rechtsgüter und In­ter­es­sen des an­de­ren Teils, § 241 Abs. 2 BGB in der ab 1. Ja­nu­ar 2002 gel­ten­den Fas­sung. Dies ver­bie­tet auch die Her­abwürdi­gung und Miss­ach­tung ei­nes Ar­beit­neh­mers. Die­ser hat da­her An­spruch dar­auf, dass auf sein Wohl und sei­ne be­rech­tig­ten In­ter­es­sen Rück­sicht ge­nom­men wird, dass er vor Ge­sund­heits­ge­fah­ren, auch psy­chi­scher Art, geschützt wird, und dass er kei­nem Ver­hal­ten aus­ge­setzt wird, das be­zweckt oder be­wirkt, dass sei­ne Würde ver­letzt und ein von Einschüchte­run­gen, An­fein­dun­gen, Er­nied­ri­gun­gen, Entwürdi­gun­gen oder Be­lei­di­gun­gen ge­kenn­zeich­ne­tes Um­feld ge­schaf­fen wird. Der Ar­beit­ge­ber ist in die­sem Zu­sam­men­hang ins­be­son­de­re auch zum Schutz der Ge­sund­heit und der Persönlich­keits­rech­te des Ar­beit­neh­mers ver­pflich­tet (Se­nat 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - NZA 2007, 1154 mwN).


b) Ei­nem sol­chen, als „Mob­bing“ be­zeich­ne­ten Ver­hal­ten war der Kläger - wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt in re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den­der Wei­se fest­ge­stellt hat - durch den Chef­arzt Dr. H seit dem Jah­re 2002 aus­ge­setzt. Die­ser war Vor­ge­setz­ter des Klägers, so dass die Be­klag­te des­sen Ver­schul­den nach § 278 BGB wie ei­ge­nes Ver­schul­den zu ver­tre­ten hat. Der Ar­beit­ge­ber haf­tet dem be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer ge­genüber gemäß § 278 BGB für schuld­haft be­gan­ge­ne Rechts­ver­let­zun­gen, die von ihm als Erfüllungs­ge­hil­fen ein­ge­setz­te Mit­ar­bei­ter oder Vor­ge­setz­te be­ge­hen (all­ge­mei­ne Mei­nung; vgl. Se­nat 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - NZA 2007, 1154 mwN). Da­bei ist es je­doch er­for­der­lich, dass die schuld­haf­te Hand­lung des als Erfüllungs­ge­hil­fe des Ar­beit­ge­bers han­deln­den Mit­ar­bei­ters in ei­nem in­ne­ren sach­li­chen Zu­sam­men­hang mit den Auf­ga­ben steht, die der Ar­beit­ge­ber ihm als Erfüllungs­ge­hil­fen zu­ge­wie­sen hat. Dies ist re­gelmäßig dann der Fall, wenn der Erfüllungs­ge­hil­fe ge­genüber dem be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer die Fürsor­ge­pflicht des Ar­beit­ge­bers


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kon­kre­ti­siert bzw. wenn er ihm ge­genüber Wei­sungs­be­fug­nis hat (Se­nat 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - aaO). Dass der Chef­arzt Dr. H ge­genüber dem Kläger wei­sungs­be­fugt war, ist un­strei­tig. Die rechts­ver­let­zen­den Hand­lun­gen und Ver­hal­tens­wei­sen des Dr. H fan­den auch im Zu­sam­men­hang mit der Erfüllung der ar­beits­ver­trag­lich ge­schul­de­ten Dienst­leis­tun­gen statt.


c) Ent­ge­gen der An­sicht des Lan­des­ar­beits­ge­richts hat der Chef­arzt die Ge­sund­heitsschädi­gung des Klägers schuld­haft ver­ur­sacht.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist auf Grund der durch­geführ­ten Be­weis­auf­nah­me nach § 286 ZPO zu der Über­zeu­gung ge­langt, dass „die den Rechts­kreis des Klägers ver­let­zen­den Hand­lun­gen des Dr. H“ die Er­kran­kung des Klägers ab dem 13. No­vem­ber 2003 aus­gelöst ha­ben. Ge­gen die­se Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts hat die Be­klag­te kei­ne durch­grei­fen­den Ver­fah­rensrügen er­ho­ben.

Die An­nah­me des Lan­des­ar­beits­ge­richts, das Ver­schul­den des Chef­arz­tes be­zie­he sich nicht auf die Er­kran­kung des Klägers, hält ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung nicht stand.

aa) Nach all­ge­mei­nen zi­vil­recht­li­chen Grundsätzen muss sich das Ver­schul­den des Schädi­gers nur auf die Pflicht-, Rechts­gut- oder Schutz­ge­setz­ver­let­zung, nicht je­doch auf den ein­ge­tre­te­nen Scha­den be­zie­hen. Dies gilt al­ler­dings nur dann, wenn der Scha­den adäquat kau­sal her­bei­geführt wor­den ist (Se­nat 18. April 2002 - 8 AZR 348/01 - BA­GE 101, 107 = AP BGB § 611 Haf­tung des Ar­beit­neh­mers Nr. 122 = EzA BGB § 611 Ar­beit­neh­mer­haf­tung Nr. 70). Von die­sem Grund­satz macht die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts je­doch dann ei­ne Aus­nah­me, wenn ein Fall der pri­vi­le­gier­ten Haf­tung, ins­be­son­de­re in den Fällen der be­trieb­lich ver­an­lass­ten Ar­beit­neh­mer­haf­tung, vor­liegt. Dann muss sich das Ver­schul­den des Ar­beit­neh­mers auch auf den kon­kre­ten Scha­den­s­ein­tritt be­zie­hen. An­sons­ten würde die Zu­wei­sung des un­ein­ge­schränk­ten Haf­tungs­ri­si­kos für al­le Schäden, die auf Grund der Ver­let­zungs­hand­lung des Schädi­gers ent­stan­den sind, zu ei­nem un­bil­li­gen Er­geb­nis führen. Der Schuld­ner, der schuld­haft sei­ne Ver­pflich­tung ver­letzt, hätte für je­den adäquat ver­ur­sach­ten Scha­den ein­zu­ste­hen, selbst wenn die­ser für ihn nicht er­kenn­bar war. Dies wi­derspräche dem Ziel der Haf­tungs­pri­vi­le­gie­rung (vgl. Se­nat 18. April 2002 - 8 AZR 348/01 - aaO mit ein­ge­hen­der Be­gründung).


bb) Ei­ne Haf­tungs­pri­vi­le­gie­rung zu­guns­ten des Chef­arz­tes Dr. H greift vor­lie­gend nicht ein.


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(1) Die Haf­tungs­be­schränkung nach § 105 Abs. 1 SGB VII ist nicht ein­schlägig. Nach die­ser Vor­schrift sind Per­so­nen, die durch ei­ne be­trieb­li­che Tätig­keit ei­nen Ver­si­che­rungs­fall von Ver­si­cher­ten des­sel­ben Be­trie­bes ver­ur­sa­chen, die­sen so­wie de­ren An­gehöri­gen und Hin­ter­blie­be­nen nach an­de­ren ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten zum Er­satz des Per­so­nen­scha­dens nur ver­pflich­tet, wenn sie den Ver­si­che­rungs­fall vorsätz¬lich oder auf ei­nem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII ver­si­cher­ten Weg her­bei­geführt ha­ben. Nach § 7 Abs. 1 SGB VII sind Ver­si­che­rungsfälle iSd. Ge­set­zes Ar­beits­unfälle und Be­rufs­krank­hei­ten. Im Streit­fal­le liegt je­doch we­der ein Ar­beits­un­fall noch ei­ne Be­rufs­krank­heit vor.

(2) Vor­lie­gend grei­fen auch nicht die Grundsätze der Ein­schränkung der Ar­beit­neh­mer­haf­tung in­fol­ge be­trieb­li­cher Ver­an­las­sung der schädi­gen­den Hand­lung ein.

Ein Vor­ge­setz­ter, der im Rah­men der ihm vom Ar­beit­ge­ber über­tra­ge­nen Wei­sungs­be­fug­nis sei­ne ihm als Erfüllungs­ge­hil­fen des Ar­beit­ge­bers mit über­tra­ge­nen ar­beits­ver­trag­li­chen Schutz­pflich­ten (vgl. Se­nat 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - NZA 2007, 1154) ge­genüber ei­nem ihm un­ter­stell­ten Ar­beit­neh­mer ver­letzt, kann sich nicht auf ei­ne Haf­tungs­pri­vi­le­gie­rung be­ru­fen. Die Haf­tungs­be­schränkung des Ar­beit­neh­mers bei be­trieb­lich ver­an­lass­ten Tätig­kei­ten fin­det ih­re dog­ma­ti­sche Be­gründung dar­in, dass auf Sei­ten des Ar­beit­ge­bers des­sen Be­triebs­ri­si­ko zu berück­sich­ti­gen ist. Da­bei wird die­ser Be­griff in die­sem Zu­sam­men­hang ver­wen­det, um ein Abwägungs­merk­mal bei der Ver­tei­lung des Haf­tungs­ri­si­kos zu kenn­zeich­nen, nicht aber in der ihm sonst zu­kom­men­den Be­deu­tung als Lohn­zah­lungs­ri­si­ko des Ar­beit­ge­bers bei zufälli­ger Unmöglich­keit der Dienst­leis­tung. In die­sem Sin­ne ist im Rah­men des § 254 BGB bei al­len be­trieb­lich ver­an­lass­ten Tätig­kei­ten dem Ar­beit­ge­ber sei­ne Ver­ant­wor­tung für die Or­ga­ni­sa­ti­on sei­nes Be­trie­bes und die Ge­stal­tung der Ar­beits­be­din­gun­gen in recht­li­cher und tatsäch­li­cher Hin­sicht zu­zu­rech­nen (vgl. BAG 27. Sep­tem­ber 1994 - GS 1/89 (A) - BA­GE 78, 56 = AP BGB § 611 Haf­tung des Ar­beit­neh­mers Nr. 103 = EzA BGB § 611 Ar­beit­neh­mer­haf­tung Nr. 59).

Woll­te man im vor­lie­gen­den Fal­le dem schädi­gen­den Vor­ge­setz­ten Dr. H ei­ne Haf­tungs­pri­vi­le­gie­rung einräum­en, würde dies zu ei­nem wi­der­sin­ni­gen Er­geb­nis führen. Der Kläger würde dann nämlich we­gen des vom Ar­beit­ge­ber zu tra­gen­den Be­triebs­ri­si­kos für Schäden, die er bei der Ver­rich­tung be­trieb­li­cher Tätig­kei­ten ver­schul­det, nur in be­schränk­tem Um­fan­ge haf­ten. Da die Be­klag­te als Ar­beit­ge­be­rin aber nach § 278 BGB das Ver­schul­den des Klägers in glei­chem Um­fan­ge wie ihr ei­ge­nes
 


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Ver­schul­den zu ver­tre­ten hätte, käme ihr letzt­lich die im In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers gel­ten­de Haf­tungs­pri­vi­le­gie­rung selbst zu­gu­te.


cc) Der Chef­arzt Dr. H hat schuld­haft ge­gen sei­ne ihm von der Be­klag­ten über­tra­ge­nen ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­pflich­tun­gen ver­s­toßen, Ver­hal­tens­wei­sen zu un­ter­las­sen, die es be­zwe­cken oder be­wir­ken, dass die Würde des Klägers ver­letzt wird und ein von Einschüchte­run­gen, An­fein­dun­gen, Er­nied­ri­gun­gen, Entwürdi­gun­gen oder Be­lei­di­gun­gen ge­kenn­zeich­ne­tes Um­feld ge­schaf­fen wird. Durch die­ses vom Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stell­te Ver­hal­ten des Chef­arz­tes ist die psy­chi­sche Er­kran­kung des Klägers ver­ur­sacht wor­den. Dies hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt auf Grund der durch­geführ­ten Be­weis­auf­nah­me eben­falls fest­ge­stellt. Die­ser Scha­den ist durch das Ver­hal­ten des Chef­arz­tes auch adäquat kau­sal ver­ur­sacht wor­den. Wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­tref­fend ausführt, kann die adäquat kau­sa­le Scha­dens­ver­ur­sa­chung nicht dar­an schei­tern, dass be­reits die er­folg­lo­se Be­wer­bung des Klägers um die letzt­lich Dr. H über­tra­ge­ne Chef­arzt­stel­le beim Kläger mögli­cher­wei­se ei­ne psy­chi­sche Vorschädi­gung aus­gelöst hat. Der Schädi­ger kann sich nicht dar­auf be­ru­fen, ein psy­chi­scher Ge­sund­heits­scha­den sei nur des­halb ein­ge­tre­ten, weil der Ver­letz­te in­fol­ge von körper­li­chen Ano­ma­li­en oder Dis­po­si­tio­nen zur Krank­heit be­son­ders anfällig ge­we­sen sei. Wer ei­nen ge­sund­heit­lich schon ge­schwäch­ten Men­schen ver­letzt, kann nicht ver­lan­gen, so ge­stellt zu wer­den, als wenn der Be­trof­fe­ne ge­sund ge­we­sen wäre (st. Rspr. vgl. BGH 30. April 1996 - VI ZR 55/95 - BGHZ 132, 341 = NJW 1996, 2425 mwN; 11. No­vem­ber 1997 - VI ZR 376/96 - BGHZ 137, 142 = NJW 1998, 810).


Des­halb führt, wenn - wie im Streit­fal­le - kei­ne Haf­tungs­pri­vi­le­gie­rung zu­guns­ten des Ar­beit­neh­mers ein­greift nach all­ge­mei­nen zi­vil­recht­li­chen Haf­tungs­re­geln der schuld­haf­te Ver­s­toß des Chef­arz­tes ge­gen sei­ne ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­pflich­tun­gen zu sei­ner vol­len Haf­tung für al­le da­durch ver­ur­sach­ten Schäden.

dd) Der Kläger kann we­gen der vom Chef­arzt Dr. H schuld­haft ver­ur­sach­ten Ge­sund­heitsschädi­gung, als wel­che sich sei­ne psy­chi­sche Er­kran­kung dar­stellt, gemäß § 253 Abs. 2 BGB ei­ne bil­li­ge Entschädi­gung in Geld von der Be­klag­ten ver­lan­gen, die nach § 278 BGB für das Ver­schul­den ih­res als Erfüllungs­ge­hil­fen tätig ge­wor­de­nen Chef­arz­tes ein­zu­ste­hen hat.

d) Die­ser Scha­dens­er­satz­an­spruch ist nicht auf Grund der Aus­schluss­frist des § 23 Abs. 1 AVR ver­fal­len.


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Nach die­ser ver­fal­len Ansprüche aus dem Dienst­verhält­nis, wenn sie nicht in­ner­halb ei­ner Aus­schluss­frist von sechs Mo­na­ten nach Fällig­keit vom Mit­ar­bei­ter schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den, so­weit die AVR nichts an­de­res be­stim­men.

Es be­darf vor­lie­gend kei­ner Ent­schei­dung, in­wie­weit die­se ein­zel­ver­trag­lich ver­ein­bar­te Aus­schluss­frist auch Ansprüche der streit­ge­genständ­li­chen Art er­fasst. Auch wenn die Klau­sel wirk­sam ist und den gel­tend ge­mach­ten Schmer­zens­geld­an­spruch er­fasst, führt sie nicht zum Ver­fall des An­spru­ches. Der Kläger hat sei­nen Schmer­zens­geld­an­spruch in­ner­halb der Aus­schluss­frist gel­tend ge­macht.

Die Fällig­keit ei­nes Scha­dens­er­satz­an­spru­ches und da­mit der Be­ginn des Lau­fes der Aus­schluss­frist setzt vor­aus, dass ein Scha­den über­haupt ent­stan­den ist, da be­griff­lich erst mit der Ent­ste­hung ei­nes Scha­dens ein Scha­dens­er­satz­an­spruch ent­ste­hen kann. In der Re­gel wird der Scha­dens­er­satz­an­spruch auch mit sei­ner Ent­ste­hung fällig. Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts setzt die Fällig­keit ei­nes Scha­dens­er­satz­an­spru­ches je­doch darüber hin­aus vor­aus, dass der Scha­den für den Gläubi­ger fest­stell­bar ist und gel­tend ge­macht wer­den kann (Se­nat 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - NZA 2007, 1154 mwN).

Wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stellt hat, be­ruht die ab dem 13. No­vem­ber 2003 ein­ge­tre­te­ne krank­heits­be­ding­te Ar­beits­unfähig­keit des Klägers auf den als „Mob­bing“ ge­wer­te­ten Ar­beits­ver­trags­ver­let­zun­gen des Chef­arz­tes Dr. H. Die­se Krank­heit dau­er­te zu­min­dest bis zum 6. Mai 2004, da der Kläger ab dem 7. Mai 2004 bis zum 19. Mai 2004 ei­nen er­folg­lo­sen Wie­der­ein­glie­de­rungs­ver­such un­ter­nom­men hat. Der Kläger war erst ab Be­en­di­gung sei­ner Er­kran­kung in der La­ge, sei­nen ihm durch die­se ent­stan­de­nen Scha­den fest­zu­stel­len. Das gilt ins­be­son­de­re für den gel­tend ge­mach­ten Schmer­zens­geld­an­spruch, weil die­ser in sei­ner Höhe ganz we­sent­lich von der Dau­er der Krank­heit abhängt. Den frühes­tens mit Ab­lauf des 6. Mai 2004 fällig ge­wor­de­nen Schmer­zens­geld­an­spruch hat der Kläger mit sei­ner am 13. Ok­to­ber 2004 der Be­klag­ten zu­ge­stell­ten Kla­ge­schrift und so­mit in­ner­halb der sechs­mo­na­ti­gen Aus­schluss­frist des § 23 AVR schrift­lich gel­tend ge­macht.


e) Ei­ne Sach­ent­schei­dung nach § 563 Abs. 3 ZPO über die Höhe des dem Kläger zu­ste­hen­den Schmer­zens­geld­an­spru­ches ist dem Se­nat ver­wehrt, weil die Höhe der dem Kläger zu­ste­hen­den Gel­dentschädi­gung nach der Bil­lig­keit fest­zu­set­zen ist, § 253 Abs. 2 BGB und die Be­mes­sung von Schmer­zens­geld­ansprüchen grundsätz­lich Auf­ga­be des Tatrich­ters ist (BGH 12. Mai 1998 - VI ZR 182/97 - BGHZ 138, 388 = NJW 1998, 2741).
 


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Da­her hat sich das Lan­des­ar­beits­ge­richt mit al­len für die Be­mes­sung des Schmer­zens­gel­des maßge­ben­den Umständen aus­ein­an­der­zu­set­zen. Da­bei wird es auch zu berück­sich­ti­gen ha­ben, ob und in­wie­weit den Kläger auf Grund sei­nes ei­ge­nen Ver­hal­tens ein Mit­ver­schul­den an dem ein­ge­tre­te­nen Scha­den trifft, § 254 BGB.

5. Wei­ter hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu prüfen, ob dem Kläger die gel­tend ge­mach­ten Ansprüche des­halb un­mit­tel­bar ge­gen die Be­klag­te zu­ste­hen, weil die­se selbst die ihr als Ar­beit­ge­be­rin ob­lie­gen­den Schutz­pflich­ten ge­genüber dem Kläger ver­letzt hat.

III. Da dem Kläger ge­gen die Be­klag­te gemäß § 241 Abs. 2, § 253 Abs. 2, § 278, § 280 Abs. 1 BGB ein An­spruch auf ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung in Geld we­gen der durch den Chef­arzt Dr. H schuld­haft ver­ur­sach­ten psy­chi­schen Er­kran­kung zu­steht, braucht der Se­nat nicht zu prüfen, ob der Kläger un­mit­tel­bar ge­gen die Be­klag­te ei­nen An­spruch auf Scha­dens­er­satz hat. Ei­nen sol­chen hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht ge­prüft. Er könn­te sich dann er­ge­ben, wenn die Be­klag­te die ihr als Ar­beit­ge­be­rin ob­lie­gen­de ar­beits­ver­trag­li­che Ver­pflich­tung ver­letzt hätte, den Kläger vor Rechts­ver­let­zun­gen durch sei­nen Vor­ge­setz­ten, den Chef­arzt Dr. H, zu schützen (vgl. Se­nat 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - NZA 2007, 1154).


Hauck 

Böck 

Brein­lin­ger

An­dre­as Hen­ni­ger

zu­gleich für den we­gen Ab­lauf sei­ner Amts­zeit an der Un­ter­schrift ver­hin­der­ten eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Bährin­ger
Hauck

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