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OVG für das Land Nord­rhein-West­fa­len, Ur­teil vom 07.03.2012, 3d A 317/11.O

   
Schlagworte: Streik: Lehrer, Streik: Beamte, Beamter: Streikrecht
   
Gericht: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen: 3d A 317/11.O
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 07.03.2012
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 15.12.2010, 31 K 3904/10.O
   


OBER­VER­WAL­TUN­GS­GERICHT

FÜR DAS LAND NORD­RHEIN-WEST­FA­LEN

IM NA­MEN DES VOL­KES


UR­TEIL

Verkündet am: 7. März 2012 Bi­len
als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le


3d A 317/11.O
31 K 3904/10.O Düssel­dorf


In dem Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren



&


we­gen ei­ner Dis­zi­pli­nar­verfügung (Geld­buße we­gen Teil­nah­me an ei­nem Warn­streik)
hat der Dis­zi­pli­nar­se­nat
auf die münd­li­che Ver­hand­lung

vom 7. März 2012


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durch
den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. S c h a c h e l,
den Rich­ter am Ober­ver­wal­tungs­ge­richt H o f f m a n n ,
die Rich­te­rin am Ober­ver­wal­tungs­ge­richt F l o c k e n h a u s ,
die Be­am­ten­bei­sit­ze­rin S a r i g e l i n o g l u, Kon­rek­to­rin,
den Be­am­ten­bei­sit­zer K a u f m a n n, Leh­rer,

auf die Be­ru­fung des be­klag­ten Lan­des ge­gen das Ur­teil des Ver­wal­tungs­ge­richts Düssel­dorf vom 15. De­zem­ber 2010

für Recht er­kannt:

Das an­ge­foch­te­ne Ur­teil wird geändert. Die Kla­ge wird ab­ge­wie­sen.

Die Kläge­rin trägt die Kos­ten des Ver­fah­rens bei-der In­stan­zen.

Das Ur­teil ist we­gen der Kos­ten vorläufig voll­streck­bar. Die Kläge­rin darf die Voll­stre­ckung durch Si­cher­heits­leis­tung in Höhe von 110 % des bei­zu­trei­ben­den Be­tra­ges ab­wen­den, wenn nicht das be­klag­te Land vor der Voll­stre­ckung Si­cher­heit in glei­cher Höhe leis­tet.


Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand:

Die am 7. Ju­ni 19 in C. ge­bo­re­ne Kläge­rin steht als Leh­re­rin (Be­sol­dungs­grup­pe A 12) im Dienst des be­klag­ten Lan­des und wen­det sich mit der vor­lie­gen­den Kla­ge ge­gen ei­ne Dis­zi­pli­nar­verfügung ih­res Dienst­herrn, mit der ihr we­gen der Teil­nah­me an drei Streiks ei­ne Geld­buße i.H.v. 1.500,00 Eu­ro auf­er­legt wur­de.
 


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Die Kläge­rin be­such­te ab dem Jahr 1975 das F. -N. -B. -Gym­na­si­um in C. und er­warb am 8. Ju­ni 1984 die all­ge­mei­ne Hoch­schul­rei­fe. Nach dem Ab­itur stu­dier­te sie von 1984 bis 1986 zunächst an der Uni­ver­sität C. Theo­lo­gie, La­tein und Pädago­gik, da­nach von 1986 bis 1990 So­zi­alpädago­gik an der Fach­hoch­schu­le L. und schloss die­ses Stu­di­um am 29. März 1990 als Di­plom-So­zi­alpädago­gin ab. In der Fol­ge­zeit leis­te­te sie ein An­er­ken­nungs­jahr beim Ju­gend­amt der Stadt U. ab. Nach ei­nem wei­te­ren Stu­di­um an den Uni­ver­sitäten L. und C. so­wie an der Sport­hoch­schu­le L. von 1991 bis 1996 be­stand sie am 18. No­vem­ber 1996 die Ers­te Staats­prüfung für die Lehrämter für die Se­kun­dar­stu­fen I und II mit den Prüfungsfächern Er­zie­hungs­wis­sen­schaft, Deutsch und Sport. Ab dem 1. Fe­bru­ar 1997 hat sie den Vor­be­rei­tungs­dienst mit Schwer­punkt im Gym­na­si­um ab­ge­leis­tet und be­stand am 13. Ja­nu­ar 1999 die Zwei­te Staats­prüfung für die Lehrämter für die Se­kun­dar­stu­fen I und II.

In der Fol­ge­zeit ist die Kläge­rin mehr­fach be­fris­tet als Leh­re­rin im An­ge­stell­ten­verhält­nis ein­ge­stellt wor­den und un­ter­rich­te­te an der Ge­samt­schu­le C. – C1. H. . Mit Wir­kung vom 20. Au­gust 2001 wur­de die Kläge­rin auf ei­ge­nen An­trag un­ter Be­ru­fung in das Be­am­ten­verhält­nis auf Pro­be zur Leh­re­rin zur An­stel­lung er­nannt. Am 10. Ok­to­ber 2002 wur­de sie un­ter Ver­lei­hung der Ei­gen­schaft ei­ner Be­am­tin auf Le­bens­zeit zur Leh­re­rin er­nannt. Vom 20. Au­gust 2001 bis zum 31. Ju­li 2005 wur­de sie an der Re­al­schu­le O. in T. B1. , vom 1. Au­gust 2005 bis zum 31. Ju­li 2006 an der P. -M. -Re­al­schu­le in L. -Q. und seit dem 1. Au­gust 2006 an der Re­al­schu­le Men­den in T. - B1. ein­ge­setzt.

Die Kläge­rin ist seit dem 7. Ju­ni 1996 ver­hei­ra­tet. Sie ist Mut­ter von zwei Töchtern (O1. W. , geb. am 12. März 1994, und B. E. , geb. am 21. Sep­tem­ber 1998).

Sie ist - mit Aus­nah­me der hier in Re­de ste­hen­den Vorwürfe - we­der straf- noch dis­zi­pli­nar­recht­lich vor­be­las­tet. Ih­re dienst­li­che Be­ur­tei­lung vom 24. Mai 2002 schloss sie mit dem Ge­samt­ur­teil „Frau E1. hat sich in der Pro­be­zeit bewährt“ ab. Anläss­lich ih­rer Be­wer­bung für den Aus­land­schul­dienst wur­de sie am 13. Fe­bru­ar 2003 be­ur­teilt. Ih­re Leis­tun­gen wur­den wie folgt be­wer­tet: „Frau E2.

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Leis­tun­gen ent­spre­chen den An­for­de­run­gen in be­son­de­rem Maße“. Aus An­lass ih­rer Be­wer­bung um die Stel­le ei­ner Kon­rek­to­rin wur­de sie am 13. Ju­ni 2008 be­ur­teilt. Das Ge­samt­ur­teil lau­te­te: „Die Leis­tun­gen über­tref­fen die An­for­de­run­gen“.

Die Kläge­rin ist Mit­glied in der Par­tei Die Lin­ke und hat bei der letz­ten Land­tags­wahl in Nord­rhein-West­fa­len für die­se im Wahl­kreis S. -T. -L. I (Lis­ten­platz 17) kan­di­diert. In den nord­rhein-westfäli­schen Land­tag ist die Kläge­rin nicht gewählt wor­den. Fer­ner ist sie Mit­glied in der Ge­werk­schaft Er­zie­hung und Wis­sen­schaft (GEW) und darüber hin­aus stell­ver­tre­ten­de Vor­sit­zen­de der Ge­werk­schaft Er­zie­hung und Wis­sen­schaft S. -T. -L. so­wie Mit­glied der Lan­des­ta­rif­kom­mis­si­on der GEW.

Am 28. Ja­nu­ar 2009, 5. Fe­bru­ar 2009 und 10. Fe­bru­ar 2009 fan­den in Nord­rhein-West­fa­len auf ent­spre­chen­den Auf­ruf der GEW Warn­streiks und Kund­ge­bun­gen an­ge­stell­ter Lehr­kräfte an öffent­li­chen Schu­len statt. Da­mit soll­te der For­de­rung nach ei­ner Ta­rif­erhöhung um acht Pro­zent Nach­druck ver­lie­hen wer­den. Die Ge­werk­schaft streb­te außer­dem ei­ne an­sch­ließen­de Über­nah­me des Ta­rif­ab­schlus­ses für die Be­am­ten im Schul­dienst des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len an. Die Streik­maßnah­men wa­ren auch Ge­gen­stand der Be­richt­er­stat­tung in den Me­di­en.

Die Kläge­rin nahm oh­ne Ge­neh­mi­gung ih­res Dienst­herrn an die­sen Warn­streiks teil. Die­ser Teil­nah­me an den Warn­streiks ging je­weils ein Gespräch der Kläge­rin mit der Kon­rek­to­rin am 23. Ja­nu­ar 2009 so­wie mit der Schul­lei­te­rin am 26. Ja­nu­ar 2009 vor­aus, in de­nen sie dar­auf hin­ge­wie­sen wur­de, dass ihr als Be­am­tin ein Streik­recht nicht zu­ste­he. Mit Schrei­ben vom 9. Fe­bru­ar 2009 wies die Schul­lei­te­rin die Kläge­rin noch­mals dar­auf hin, dass sie nach dem Be­am­ten­recht kein Recht auf Streik­teil­nah­me ha­be. Ihr Fern­blei­ben vom Un­ter­richt am 28. Ja­nu­ar 2009 und 5. Fe­bru­ar 2009 müsse als pflicht­wid­ri­ges Ver­hal­ten der vor­ge­setz­ten Dienst­behörde - der Be­zirks­re­gie­rung L. - ge­mel­det wer­den. Aus die­sen Gründen könne auch der Bit­te um ei­ne Un­ter­richts­frei­stel­lung für den 10. Fe­bru­ar 2009 nicht nach­ge­kom­men wer­den, da es sich er­neut um die Teil­nah­me an ei­ner Streik­ak­ti­on han­de­le.

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Durch die Streik­teil­nah­me der Kläge­rin wa­ren an den drei Ta­gen ins­ge­samt 12 Un­ter­richts­stun­den be­trof­fen, von de­nen acht St­un­den er­satz­los aus­fie­len. Am 28. Ja­nu­ar 2009 fie­len die ers­te und zwei­te Un­ter­richts­stun­de (Sport in der Klas­se 7c) so­wie die fünf­te und sechs­te Un­ter­richts­stun­de (Sport in der Klas­se 5d) er­satz­los aus. In der drit­ten Schul­stun­de nah­men die Schüle­rin­nen und Schüler der Klas­se 8c statt am Deutsch­un­ter­richt bei der Kläge­rin am Un­ter­richt an­de­rer Lern­grup­pen teil. In der vier­ten St­un­de er­hielt die­se Klas­se Ver­tre­tungs­un­ter­richt durch ei­ne Fach­lehr­kraft für Deutsch. Am 5. Fe­bru­ar 2009 wur­de die Kläge­rin im Deutsch­un­ter­richt der Klas­se 10c in der drit­ten St­un­de durch ei­ne Fach­lehr­kraft für Deutsch ver­tre­ten. In der vier­ten St­un­de nah­men die Schüle­rin­nen und Schüler die­ser Klas­se am Un­ter­richt an­de­rer Lern­grup­pen teil. Der Deutsch­un­ter­richt in der fünf­ten Schul­stun­de in der Klas­se 7c ent­fiel er­satz­los. Am 10. Fe­bru­ar 2009 fiel auf­grund der Streik­teil­nah­me der Kläge­rin der Deutsch­un­ter­richt in der Klas­se 10c in der fünf­ten und sechs­ten Schul­stun­de er­satz­los aus, das glei­che galt für den Förder­un­ter­richt in Deutsch für den Jahr­gang 5 in der sieb­ten Schul­stun­de.

Im An­schluss an die je­wei­li­ge Streik­teil­nah­me über­nahm die Kläge­rin Ver­tre­tungs­un­ter­richt, der nicht über Mehr­ar­beit ab­ge­gol­ten wur­de. Ins­ge­samt han­del­te es sich da­bei um 17 Schul­stun­den, und zwar um zwei Un­ter­richts­stun­den am 2. Fe­bru­ar 2009 so­wie je ei­ne St­un­de am 9., 18. und 25. Fe­bru­ar 2009, 4., 5., 9., 11., 23. und 25. März 2009, 24. April 2009, 6., 8., 15., 18. und 25. Mai 2009. Der Ver­tre­tungs­un­ter­richt fand nicht in den Klas­sen statt, in de­nen der Un­ter­richt in­fol­ge der Streik­teil­nah­me der Kläge­rin aus­ge­fal­len war.

Die Be­zirks­re­gie­rung L. lei­te­te we­gen der Streik­teil­nah­me der Kläge­rin am 10. Au­gust 2009 ein Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren ge­gen sie ein. Mit Schrei­ben vom glei­chen Tag wur­de die Kläge­rin hierüber un­ter­rich­tet. Zu­gleich wur­de ihr die Möglich­keit ein­geräumt, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Mit an­walt­li­chem Schrei­ben vom 28. Sep­tem­ber 2009 führ­te die Kläge­rin aus, dass sie mit der Teil­nah­me an den Ver­an­stal­tun­gen vom 28. Ja­nu­ar 2009, 5. Fe­bru­ar 2009 so­wie 10. Fe­bru­ar 2009 kei­nes­wegs die Nich­terfüllung dienst­li­cher Pflich­ten oder die Her­beiführung ei­ner Be­ein­träch­ti­gung des Schul­ab­laufs be­ab­sich­tigt ha­be. Es sei ihr al­lein dar­um ge­gan­gen, ih­re Mei­nung zu we­sent­li­chen bil­dungs­po­li­ti­schen Fra­gen zu äußern und

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auf nach ih­rer Auf­fas­sung drin­gend ver­bes­se­rungs­bedürf­ti­ge schu­li­sche Um-stände auf­merk­sam zu ma­chen. Dass es da­bei zu Un­ter­richts­aus­fall ge­kom­men sei, be­daue­re sie sehr. Dies sei je­doch - auch nicht mit­tel­bar - ih­re Ziel­set­zung ge­we­sen. Sie ha­be sich da­her sei­ner­zeit um­ge­hend bei der Schul­lei­tung dar­um bemüht, den Un­ter­richts­aus­fall nach­zu­ho­len. Für die be­trof­fe­nen Klas­sen sei es da­her nicht zu Nach­tei­len ge­kom­men. Sie be­daue­re die Ge­scheh­nis­se sehr, er­ken­ne die ihr ob­lie­gen­den Pflich­ten un­ein­ge­schränkt an und schließe ei­ne Wie­der­ho­lung aus.


Zu dem un­ter dem 27. Ja­nu­ar 2010 ver­fass­ten Er­geb­nis der dis­zi­pli­na­ri­schen Er­mitt­lun­gen er­hielt die Kläge­rin Ge­le­gen­heit zu ei­ner ab­sch­ließen­den Äußerung, von der sie kei­nen Ge­brauch mach­te. Hin­sicht­lich der Ein­zel­hei­ten des Er­mitt­lungs­er­geb­nis­ses - das sich auf die Teil­nah­me an den Streiks am 28. Ja­nu­ar 2009, 5. Fe­bru­ar 2009 und 10. Fe­bru­ar 2009 be­zieht - wird auf den Er­mitt­lungs­be­richt vom glei­chen Tag (Bei­ak­te Heft 1, Bl. 40 bis Bl. 45) Be­zug ge­nom­men.

Nach Be­tei­li­gung der Gleich­stel­lungs­be­auf­trag­ten er­ließ die Be­zirks­re­gie­rung L. un­ter dem 10. Mai 2010 - dem Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten der Kläge­rin am 17. Mai 2010 zu­ge­stellt - ei­ne Dis­zi­pli­nar­verfügung, mit der sie der Kläge­rin we­gen der vor­be­zeich­ne­ten Vorfälle ei­ne Geld­buße i.H.v. 1.500,00 Eu­ro auf­er­leg­te. Zur Be­gründung führ­te sie im We­sent­li­chen aus: Das fest­ge­stell­te Ver­hal­ten der Kläge­rin am 28. Ja­nu­ar 2009, 5. Fe­bru­ar 2009 und 10. Fe­bru­ar 2009 stel­le ein Dienst­ver­ge­hen dar. Ins­be­son­de­re sei es ent­ge­gen der Ein­las­sung der Kläge­rin hier­durch durch­aus zu ge­wis­sen Nach­tei­len der be­trof­fe­nen Klas­sen ge­kom­men, da die aus­ge­fal­le­nen Un­ter­richts­stun­den dort nicht nach­ge­holt wor­den sei­en. Die Kläge­rin ha­be vorsätz­lich ge­gen die ihr ob­lie­gen­de Pflicht ver­s­toßen, sich mit vol­ler Hin­ga­be ih­rem Be­ruf zu wid­men (§ 57 Satz 1 LBG NRW a.F.), mit ih­rem Ver­hal­ten in­ner­halb und außer­halb des Diens­tes der Ach­tung und dem Ver­trau­en ge­recht zu wer­den, das ihr Be­ruf er­for­de­re (§ 57 Satz 3 LBG NRW a.F.), die von ih­rem Vor­ge­setz­ten er­las­se­nen An­ord­nun­gen aus­zuführen (§ 58 Satz 2 LBG NRW a.F.), und ha­be ent­ge­gen dem Ver­bot ge­han­delt, dem Dienst oh­ne Ge­neh­mi­gung fern­zu­blei­ben (§ 79 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW a.F.). Die Kläge­rin ha­be vorsätz­lich ge­han­delt. Dass sie ent­spre­chend ih­rer Ein­las­sung auf nach ih­rer Auf­fas­sung drin­gend ver­bes­se­rungs­bedürf­ti­ge schu­li­sche Umstände ha­be auf-

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merk­sam ma­chen und da­mit womöglich auch öffent­li­che In­ter­es­sen ha­be ver­fol­gen wol­len, ma­che ihr Ver­hal­ten nicht rechtmäßig und be­sei­ti­ge ih­ren Vor­satz nicht. Un­er­heb­lich sei in­so­weit, ob die Störung des Schul­be­triebs ge­ra­de ihr Ziel oder nur un­ver­meid­ba­re Ne­ben­fol­ge ih­res Ver­hal­tens ge­we­sen sei. Auch die Be­reit­schaft der Kläge­rin, die versäum­te Un­ter­richts­leis­tung nach­zu­ho­len, ände­re am Vor­lie­gen ei­nes Dienst­ver­ge­hens nichts. Ei­ne Lehr­kraft ha­be den nach dem St­un­den­plan vor­ge­se­he­nen Un­ter­richt zu er­tei­len; dies schließe ei­genmäch­ti­ge Verände­run­gen der Dienst­zei­ten aus. Auf ei­nen un­ver­meid­ba­ren und da­her schuld­aus­sch­ließen­den Ver­bots­irr­tum könne sich die Kläge­rin nicht be­ru­fen, weil sie von der Schul­lei­tung im Vor­hin­ein auf die Un­zulässig­keit ih­res ge­plan­ten Ver­hal­tens aus­drück­lich hin­ge­wie­sen wor­den sei. Mit Blick auf die Schwe­re des Dienst­ver­ge­hens spre­che ei­ni­ges dafür, ge­gen die Kläge­rin ei­ne Dis­zi­pli­nar­maßnah­me mit länger­fris­ti­ger Wir­kung, al­so ei­ne Kürzung der Dienst­bezüge zu verhängen. Dass hier­von ab­ge­se­hen wer­de, ha­be sei­nen Grund al­lein dar­in, dass die Kläge­rin nach den Pflicht­ver­let­zun­gen im­mer­hin 17 Ver­tre­tungs­stun­den ge­leis­tet und da­bei auf Mehr­ar­beits­vergütung ver­zich­tet ha­be, um die aus­ge­fal­le­nen Un­ter­richts­stun­den zu­min­dest fi­nan­zi­ell aus­zu­glei­chen. Dem­ent­spre­chend sei auch ein Be­sol­dungsrück­for­de­rung nach § 9 BBesG un­ter­blie­ben. Gleich­wohl sei an­ge­sichts der Schwe­re des Dienst­ver­ge­hens zu­min­dest ei­ne Geld­buße im mitt­le­ren Be­reich an­ge­bracht, um der Kläge­rin deut­lich zu ma­chen, dass ein un­er­laub­tes Fern­blei­ben vom Dienst auch dann ein schwer­wie­gen­des Dienst­ver­ge­hen dar­stel­le, wenn die versäum­te Ar­beits­zeit später nach­ge­holt wer­de. Die mo­nat­li­chen Brut­to­bezüge be­tra­gen bei der Kläge­rin deut­lich mehr als 3.000,00 Eu­ro. Im Rah­men der ab­sch­ließen­den Anhörung ha­be die Kläge­rin kei­ne An­ga­ben über ih­re Ein­kom­mens- und Vermögens­verhält­nis­se ge­macht, so dass da­von aus­zu­ge­hen sei, dass in­so­weit kei­ne Be­son­der­hei­ten vor­lie­gen. Da­her er­schei­ne ei­ne Geld­buße in der hier aus­ge­spro­che­nen Höhe an­ge­mes­sen.

Ge­gen die­se Dis­zi­pli­nar­verfügung hat die Kläge­rin am 17. Ju­ni 2010 Kla­ge er­ho­ben. Zur Be­gründung hat sie im We­sent­li­chen aus­geführt: Die Dis­zi­pli­nar­maßnah­me sei rechts­wid­rig, weil ein Dienst­ver­ge­hen nicht nach­ge­wie­sen sei. Ins­be­son­de­re stel­le die Teil­nah­me an den Warn­streiks am 28. Ja­nu­ar 2009, 5. Fe­bru­ar 2009 und 10. Fe­bru­ar 2009 kei­nen Ver­s­toß ge­gen be­am­ten­recht­li­che Pflich­ten

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dar. Die Teil­nah­me sei durch die Ausübung des Grund­rechts auf ge­werk­schaft­li­che Betäti­gung in Form der Teil­nah­me an ei­nem ge­werk­schaft­li­chen Streik gemäß Art. 9 Abs. 3 GG ge­recht­fer­tigt. Die her­ge­brach­ten Grundsätze des Be­rufs­be­am­ten­tums (Art. 33 Abs. 5 GG) stünden ei­nem Streik­recht der Be­am­ten nicht ent­ge­gen, da das Be­am­ten­recht gemäß dem Ver­fas­sungs­auf­trag fort­zu­ent­wi­ckeln sei. Be­inhal­te der Be­griff „vol­le Hin­ga­be“ ei­ne ge­wis­se un­kri­ti­sche Un­terwürfig­keit, schließe der „vol­le persönli­che Ein­satz“ da­ge­gen auch ein En­ga­ge­ment des Be­am­ten ein, sich um kon­kre­te Ar­beits­be­din­gun­gen zu kümmern und ge­ge­be­nen­falls sich für de­ren Ver­bes­se­rung ak­tiv ein­zu­set­zen. Im Übri­gen stel­le Art. 33 Abs. 5 GG kei­ne Re­zep­ti­on vor­kon­sti­tu­tio­nel­len Rechts dar, son­dern schrei­be le­dig­lich die Be­ach­tung tra­di­tio­nel­ler Rech­te und Pflich­ten vor. Das Streik­recht er­ge­be sich ins­be­son­de­re aus Art. 11 der Eu­ropäischen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EM­RK) und aus meh­re­ren Ent­schei­dun­gen des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR). In der Ent­schei­dung vom 12. No­vem­ber 2008 ha­be der EGMR klar­ge­stellt, dass „Mit­glie­der der Staats­ver­wal­tung“ nicht vom An­wen­dungs­be­reich des Art. 11 EM­RK aus­ge­schlos­sen wer­den dürfen. In ei­ner Ent­schei­dung vom 21. April 2009 sei die 3. Sek­ti­on des EGMR so­gar noch wei­ter ge­gan­gen und ha­be fest­ge­stellt, dass auch das Streik­recht durch Art. 11 EM­RK geschützt wer­de und das ge­ne­rel­le Streik­ver­bot für Be­am­te hier­zu im Wi­der­spruch ste­he. Der EGMR knüpfe nicht an die in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land herr­schen­de Sta­tus­theo­rie an, son­dern stel­le auf die je­wei­li­ge Funk­ti­on des Be­am­ten ab. Maßgeb­lich sei da­nach, ob der je­wei­li­ge Be­am­te ho­heit­li­che Be­fug­nis­se im Sin­ne des Art. 33 Abs. 4 GG ausübe. In ei­nem sol­chen Fall könn­ten Ein­grif­fe in das Streik­recht rechtmäßig sein. Ei­nig­keit be­ste­he dar­in, dass die An­wen­dung von Ein­griffs­be­fug­nis­sen ge­genüber dem Bürger ho­heits­recht­li­cher Na­tur sei. Ent­spre­chen­de Auf­ga­ben sei­en in­des bei Leh­rern nicht er­sicht­lich. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ha­be je­den­falls ent­schie­den, dass die Tätig­keit als Lehr­kraft an ei­ner öffent­li­chen Schu­le nicht als Wahr­neh­mung ho­heits­recht­li­cher Be­fug­nis­se im Sin­ne des Art. 33 Abs. 4 GG ein­zu­stu­fen sei. Un­ter Berück­sich­ti­gung die­ser Erwägun­gen könne ei­nem aus Art. 33 Abs. 5 GG ab­ge­lei­te­ten Streik­ver­bot für Be­am­te je­den­falls kein höhe­res Ge­wicht zu­kom­men als dem sich aus Art. 9 Abs. 3 GG er­ge­ben­den Streik­recht, wenn von der Streik­maßnah­me aus­sch­ließlich Be­am­tin­nen und Be­am­te be­trof­fen sei­en, die - wie hier die
 


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Kläge­rin als Leh­re­rin - kei­ne Tätig­kei­ten ho­heits­recht­li­cher Na­tur ausüben. Bei ei­nem auf höhe­re Be­sol­dung ge­rich­te­ten Streik han­de­le es sich auch nicht um ei­nen un­zulässi­gen „po­li­ti­schen Streik“.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt,

die Dis­zi­pli­nar­verfügung des Be­klag­ten vom 10. Mai 2010 auf­zu­he­ben.

Das be­klag­te Land hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Zur Be­gründung sei­nes An­trags hat es gel­tend ge­macht: Die von der Kläge­rin ver­tre­te­ne Rechts­au­fas­sung wi­der­spre­che der ständi­gen Recht­spre­chung al­ler mit die­ser Fra­ge be­fass­ten deut­schen Ge­rich­te.

Das Ver­wal­tungs­ge­richt hat mit dem an­ge­foch­te­nen Ur­teil die Dis­zi­pli­nar­verfügung vom 10. Mai 2010 auf­ge­ho­ben und zur Be­gründung aus­geführt, dass die­se rechts­wid­rig sei und die Kläge­rin in ih­ren Rech­ten ver­let­ze. Zwar ha­be die Kläge­rin ein ein­heit­li­ches Dienst­ver­ge­hen da­durch be­gan­gen, dass sie an drei Ta­gen während der Dienst­zeit vorsätz­lich an Warn­streiks teil­ge­nom­men und den Dienst versäumt ha­be. Die Ko­ali­ti­ons­frei­heit der Be­am­ten bil­de we­der ei­nen Recht­fer­ti­gungs- noch ei­nen Ent­schul­di­gungs­grund für das Ver­hal­ten der Kläge­rin. Die Kläge­rin ha­be auch schuld­haft ge­han­delt. Der Be­klag­te ha­be aber auf das Dienst­ver­ge­hen der Kläge­rin nicht mit dem Er­lass ei­ner Dis­zi­pli­nar­verfügung re­agie­ren dürfen. Er sei durch die EM­RK und die zu ihr er­gan­ge­ne Recht­spre­chung des EGMR ge­hin­dert ge­we­sen. Im Ein­zel­nen hat das Ver­wal­tungs­ge­richt hier­zu aus­geführt:

„a) Der EGMR hat in jünge­rer Zeit mehr­fach aus­ge­spro­chen, dass Ver­trags­staa­ten kon­ven­ti­ons­wid­rig han­deln, wenn sie an die Teil­nah­me ei­nes Be­am­ten an ei­nem Streik ei­ne Sank­ti­on knüpfen. Denn nicht nur das abs­trak­te - in Deutsch­land nach dem oben Aus­geführ­ten wei­ter­hin gülti­ge und zu be­ach­ten­de - Streik­ver­bot greift in das Men­schen­recht des Be­am­ten aus Art. 11 EM­RK ein, son­dern auch die Sank­tio­nie­rung der Streik­teil­nah­me im Ein­zel­fall. Für die­sen Ein­griff fehl­te es in den vom EGMR ent­schie­de­nen Fällen an ei­ner Recht­fer­ti­gung, da er nicht - wie es Art. 11 Abs. 2 EM­RK for­dert - „in ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft not­wen­dig“ (néces­sai­re dans une so­ciété de­mo­cra­tique) war.

So die Ent­schei­dun­gen des EGMR vom 27. März 2007 - Nr. 6615/03 -, Ka­ra­cay; 15. Sep­tem­ber 2009 - Nr. 30946/04 -, L1. und T1. ; 13. Ju­li 2010 - Nr. 33322/07 -, D. , je­weils in französi­scher Spra­che auf der Home­page des EGMR veröffent­licht.
 


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Ei­ne un­ter dem Blick­win­kel des Art. 11 Abs. 2 EM­RK aus­rei­chen­de Recht­fer­ti­gung der Dis­zi­pli­nie­rung strei­ken­der Leh­rer ist auch im gel­ten­den Recht der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land nicht ge­ge­ben. Denn nicht an­ders als das abs­trakt-ge­ne­rel­le Streik­ver­bot (vgl. oben 2a) ist auch die kon­kret-in­di­vi­du­el­le Dis­zi­pli­nar­maßnah­me im Ein­zel­fall „in ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft not­wen­dig“ nur dann, wenn sie sich auf ge­setz­li­che Ein­schränkun­gen des Streik­rechts stützen kann, die so klar und eng wie möglich die Ka­te­go­ri­en der be­trof­fe­nen Be­am­ten fest­le­gen. Das ist im deut­schen Recht nicht der Fall. Der Ge­setz­ge­ber hat es auch nach den Ent­schei­dun­gen des EGMR bei dem all­ge­mei­nen ver­fas­sungs­recht­li­chen Ver­bot des Be­am­ten­streiks be­wen­den las­sen, oh­ne nach den Funk­tio­nen der Be­am­ten zu dif­fe­ren­zie­ren, ins­be­son­de­re ei­ne Be­gren­zung auf die Ausübung ho­heit­li­cher Be­fug­nis­se im en­ge­ren Sin­ne vor­zu­neh­men.

In die­sem Zu­sam­men­hang kann of­fen blei­ben, ob ei­ne aus­rei­chen­de Ein­schränkung be­reits in der Zu­gehörig­keit des Be­am­ten zu ei­ner der in Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EM­RK ge­nann­ten Grup­pen von Staats­be­diens­te­ten (Streit­kräfte, Po­li­zei, Staats­ver­wal­tung) lie­gen kann, oh­ne dass es ei­ner aus­drück­li­chen Re­ge­lung im na­tio­na­len Recht bedürf­te. Denn Leh­rer gehören nicht zu die­sen Grup­pen, ins­be­son­de­re nicht zur „Staats­ver­wal­tung“ im Verständ­nis der EM­RK.

Vgl. EGMR, Ent­schei­dung vom 8. De­zem­ber 1999 - Nr. 28541/95 -, Pel­le­grin, NVwZ 2000, 661, 663, mit Hin­weis auf ei­ne Mit­tei­lung der Eu­ropäischen Kom­mis­si­on vom 18. März 1988; da­zu mit Blick auf Leh­rer: Lörcher, AuR 2009, 229, 241.

Da­nach ver­stieß die hier an­ge­foch­te­ne Dis­zi­pli­nar­verfügung ge­gen die EM­RK. Denn die Warn­streiks, an de­nen die Kläge­rin teil­nahm, sind von dem durch den EGMR an­er­kann­ten Streik­recht er­fasst. Den Ent­schei­dun­gen des EGMR las­sen sich kei­ne Ein­schränkun­gen in die­ser Hin­sicht ent­neh­men. Es hat da­her bei dem all­ge­mei­nen, seit lan­gem durch das Bun­des­ar­beits­ge­richt an­er­kann­ten Grund­satz zu ver­blei­ben, dass zu den zulässi­gen Streiks auch Warn­streiks gehören.

Vgl. BAG, Ur­teil vom 17. De­zem­ber 1976 - 1 AZR 605/75 -, BA­GE 28, 295 = AP Nr. 51 zu Art. 9 GG Ar­beits­kampf; Ur­teil vom 21. Ju­ni 1988 - 1 AZR 651/86 -, BA­GE 58, 364 = AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Ar­beits­kampf.

Auch für ei­ne sons­ti­ge Un­zulässig­keit der Streiks ist un­ter dem Blick­win­kel der EM­RK nichts er­sicht­lich. Sie wa­ren ins­be­son­de­re nicht un­verhält­nismäßig.

Vgl. zum Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit im Ar­beits­kampf­recht grund­le­gend: BAG (GS), Be­schluss vom 21. April 1971 - GS 1/68 -, BA­GE 23, 292 = AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Ar­beits­kampf.

b) Die Ent­schei­dun­gen des EGMR sind zwar nicht un­mit­tel­bar ver­bind­lich, zu­mal sie nicht ge­gen die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land er­gan­gen sind. Es ent­spricht aber der Völker­rechts­freund­lich­keit des Grund­ge­set­zes, dass die Ge­rich­te im Rah­men ih­rer Bin­dung an Ge­setz und Recht auch die Gewähr­leis­tun­gen der EM­RK und die Ent­schei­dun­gen des EGMR zu berück­sich­ti­gen ha­ben. Dies hat in me­tho­disch ver­tret­ba­rer Ge­set­zes­aus­le­gung zu ge­sche­hen. Liegt der Kon­ven­ti­ons­ver­s­toß in dem Er­lass ei­nes be­stimm­ten Ver­wal­tungs­akts, so hat die zuständi­ge Behörde die Möglich­keit, die­sen schon nicht zu er­las­sen oder - falls dies be­reits ge­sche­hen ist - wie­der auf­zu­he­ben. Ei­ne kon­ven­ti­ons­wid­ri­ge Ver­wal­tungs­pra­xis kann geändert wer-den; die Pflicht da­zu können Ge­rich­te fest­stel­len.

Vgl. BVerfG, Be­schluss vom 14. Ok­to­ber 2004 - 2 BvR 1481/04 -, BVerfGE 111, 307, 323ff. - Görgülü.

Der Auf­fas­sung des EGMR, dass ei­ne dis­zi­pli­na­re Re­ak­ti­on auf ei­nen Be­am­ten­streik die EM­RK ver­letzt, hätte der Be­klag­te Rech­nung tra­gen können und müssen. Zwar war er nach § 17 Abs. 1 LDG NRW ge­hal­ten, ein Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren ein­zu­lei­ten; denn die Kläge­rin hat­te ein Dienst­ver­ge­hen be­gan­gen. Ei­ner Dis­zi­pli­nar­maßnah­me stan­den auch die §§ 14 und 15 LDG NRW nicht ent­ge­gen (§ 17 Abs. 2 LDG NRW). Das Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren hätte aber nicht zum Er­lass der Dis­zi­pli­nar­verfügung führen dürfen, son­dern nach § 33 Abs. 1 Nr. 4 LDG NRW ein-ge­stellt wer­den müssen. Über die­se Vor­schrift hätte nach ih­rem Wort­laut der Auf­fas­sung des

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EGMR zwang­los Rech­nung ge­tra­gen wer­den können: Ei­ne Dis­zi­pli­nar­maßnah­me war „aus sons­ti­gen Gründen“, nämlich we­gen Ver­s­toßes ge­gen die EM­RK, un­zulässig.


4. Die Dis­zi­pli­nar­kam­mer teilt nicht die in der münd­li­chen Ver­hand­lung geäußer­te Befürch­tung des Be­klag­ten, die Un­zulässig­keit der dis­zi­pli­na­ri­schen Ahn­dung von Verstößen ge­gen das Streik­ver­bot wer­de da­zu führen, dass Be­am­te, ins­be­son­de­re Leh­rer, künf­tig in er­heb­li­chem Um­fang an Streik­maßnah­men teil­neh­men und da­durch die Funk­ti­onsfähig­keit des öffent­li­chen Diens­tes gefähr­den. Zum ei­nen be­deu­tet die Ver­pflich­tung zur Berück­sich­ti­gung der Recht­spre­chung des EGMR im Rah­men des § 33 Abs. 1 Nr. 4 LDG NRW nicht, dass ei­ne Streik­teil­nah­me fol­gen­los bleibt. Denn ab­ge­se­hen von der mögli­chen be­am­ten­recht­li­chen Rechts­fol­ge des Ver­lus­tes von Dienst­bezügen (vgl. § 62 Abs. 2 LBG NRW, § 9 BBesG), über die in die­sem Ver­fah­ren nicht zu be­fin­den war, muss ein Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet wer­den, das - et­wa bei Un­verhält­nismäßig­keit des Streiks - nicht zwangsläufig mit der Ein­stel­lung en­det. Zum an-de­ren sind Be­am­te in be­son­de­rer Wei­se ver­pflich­tet, Ver­fas­sung und Ge­set­ze zu be­fol­gen (vgl. § 46 Abs. 1 LBG NRW), un­abhängig da­von, ob die Nicht­be­fol­gung sank­ti­ons­be­wehrt ist. Da­her muss da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass sie das ver­fas­sungs­recht­li­che Streik­ver­bot auch dann be­ach­ten, wenn ein Ver­s­toß kei­ne Dis­zi­pli­nar­maßnah­me nach sich zieht. Wel­che recht­li­chen Kon­se­quen­zen sich ergäben, wenn die­se An­nah­me durch die künf­ti­ge Ent­wick­lung wi­der­legt wer­den soll­te, be­darf hier kei­ner Ent­schei­dung. Of­fen blei­ben konn­te auch, wie zu ent­schei­den ge­we­sen wäre, wenn die Kläge­rin nicht Leh­re­rin, son­dern An­gehöri­ge ei­ner der in Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EM­RK ge­nann­ten Grup­pen von Be­am­ten ge­we­sen wäre (vgl. oben 3a).“


Das be­klag­te Land hat ge­gen die­ses Ur­teil, das am 5. Ja­nu­ar 2011 dort zu­ge­stellt wur­de, am 2. Fe­bru­ar 2011 die vom Ver­wal­tungs­ge­richt zu­ge­las­se­ne Be­ru­fung ein­ge­legt und trägt zur Be­gründung vor: Das an­ge­foch­te­ne Ur­teil sei un­rich­tig. Es ver­ken­ne die ein­fach­ge­setz­li­che Rechts­la­ge, kol­li­die­re mit dem Ver­fas­sungs­recht des Bun­des und sei in sei­ner völker­recht­li­chen Be­wer­tung feh­ler­haft. Zu­tref­fend ge­he die Kam­mer zunächst da­von aus, dass die Kläge­rin durch die Teil­nah­me an den Streiks ein ein­heit­li­ches Dienst­ver­ge­hen be­gan­gen ha­be. Rechts­feh­ler­haft sei al­ler­dings die Schluss­fol­ge­rung, auf die­ses Dienst­ver­ge­hen ha­be der Dienst­herr nicht mit ei­ner Dis­zi­pli­nar­verfügung re­agie­ren dürfen, weil ei­ne völker­rechts­freund­li­che Aus­le­gung es ge­bie­te, das Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren ein­zu­stel­len. Un­strei­tig ha­be die Kläge­rin durch ihr Fern­blei­ben an den drei Ta­gen ge­gen ih­re Dienst­leis­tungs­pflicht ver­s­toßen. Das Recht der Kläge­rin, ih­re Mei­nung kund­zu­tun, ent­bin­de sie nicht von der Pflicht als Be­am­tin, während der Dienst­zeit ih­re dienst­li­chen Ob­lie­gen­hei­ten zu erfüllen. Sie sei nicht be­fugt ge­we­sen, durch die Teil­nah­me an Warn­streiks ih­re Dienst­leis­tungs­pflicht zu ver­let­zen. Streik sei ein funk­ti­ons­ty­pi­sches Mit­tel des Ar­beits­kamp­fes, das auf den Ab­schluss von Ta­rif­verträgen ge­rich­tet sei. Die Ar­beits­be­din­gun­gen der Be­am­ten würden aber nicht durch Ta­rif­ver­trag, son­dern durch Ge­setz ge­re­gelt. Die Un­zulässig­keit ei­ner Dis­zi­pli­nar­maßnah­me trotz voll­ende­ter Dienst­pflicht­ver­let­zung nach § 33 Abs. 1 Nr. 4 LDG NRW be­tref­fe aus­sch­ließlich Fälle feh­ler­haf­ter Ein­lei­tung oder Durchfüh-
 


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rung des Dis­zi­pli­nar­ver­fah­rens, et­wa bei Han­deln der un­zuständi­gen Behörde, beim Un­ter­las­sen er­for­der­li­cher Be­tei­li­gun­gen oder Anhörun­gen oder wenn ein Be­am­ter nicht dem sach­li­chen Gel­tungs­be­reich der Norm un­ter­fal­le. Ein sol­cher Fall lie­ge hier nicht vor. Ein Dienst­ver­ge­hen, das von vorn­her­ein und ty­pi­scher-wei­se nicht durch ei­ne Dis­zi­pli­nar­maßnah­me ge­ahn­det wer­den dürfe, sei frei­lich nicht denk­bar. Das Ver­wal­tungs­ge­richt ver­ken­ne die recht­li­chen Kon­se­quen­zen der Ver­fas­sungs­la­ge. Das Streik­ver­bot für Be­am­te gel­te selbst als her­ge­brach­ter Grund­satz des Be­rufs­be­am­ten­tums. Das Be­am­ten­recht sei von Ver­fas­sungs we­gen sta­tus­be­zo­gen. Ei­ne Dif­fe­ren­zie­rung nach der Art des über­tra­ge­nen Am­tes se­he die Ver­fas­sung nicht vor. Die Rechts­an­sicht des Ver­wal­tungs­ge­richts mit Blick auf (sei­ne In­ter­pre­ta­ti­on des) Art. 11 Abs. 2 EM­RK, wo­nach die Ein­schränkung des Streik­rechts nur be­stimm­te Be­am­ten­ka­te­go­ri­en er­fas­sen dürfe, nicht aber Be­am­te im All­ge­mei­nen, ste­he im Wi­der­spruch zum Ver­fas­sungs­recht der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. Die Einfügung des Fort­ent­wick­lungs­auf­trags in Art. 33 Abs. 5 GG durch die Grund­ge­setz­no­vel­le vom 28. Au­gust 2006 ha­be an den gel­ten­den Grundsätzen des Be­rufs­be­am­ten­tums nichts geändert, son­dern sie zum Maßstab der Fort­ent­wick­lung des öffent­li­chen Dienst­rechts ge­macht. Die Zwei­fel der Kam­mer, ob das deut­sche Be­am­ten­recht ge­mes­sen an den Ent­schei­dun­gen des EGMR eu­ro­pa­kon­form sei, sei­en un­be­gründet. Die zi­tier­ten Ent­schei­dun­gen hätten nicht die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, son­dern die Türkei be­trof­fen. Auch sei­en die Ent­schei­dun­gen des EM­RK nicht auf Deutsch­land über­trag­bar. Ers­tens han­de­le es sich bei den türki­schen Beschäftig­ten des öffent­li­chen Diens­tes nicht um Per­so­nen, de­ren recht­li­cher Sta­tus dem des deut­schen Be­am­ten ent­spricht. Zwei­tens ste­he in Deutsch­land nicht in Zwei­fel, dass sich ne­ben Ar­beit­neh­mern auch Be­am­te zu Ko­ali­tio­nen zu­sam­men­sch­ließen können. Drit­tens sei­en im öffent­li­chen Dienst der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land zwei Ar­ten von Beschäftig­ten zu un­ter­schei­den. Zum ei­nen die Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­be­din­gun­gen der Re­ge­lungs­be­fug­nis der Ta­rif­par­tei­en un­ter­lie­gen, und zum an­de­ren die Be­am­ten, die der Re­ge­lungs­ge­walt des Ge­setz­ge­bers un­ter­lie­gen. Die Beschäftig­ten im öffent­li­chen Dienst würden da­mit un­ge­ach­tet der Fra­ge, ob sie ho­heit­li­che Be­fug­nis­se wahr­neh­men oder nicht, rein sta­tus­be­ding­te Be­son­der­hei­ten auf­wei­sen. Dass im Be­reich des Schul­we­sens so­wohl An­ge-stell­te als auch Be­am­te als Leh­rer ein­ge­setzt wer­den, ände­re nichts dar­an, dass

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der Staat selbst das öffent­li­che Schul­we­sen gewähr­leis­te. Es sei ei­ne le­gi­ti­me Ent­schei­dung des Lan­des Leh­rer mit ih­rem Ein­verständ­nis zu ver­be­am­ten und da­durch die Be­rech­ti­gung ho­heit­li­chen Han­delns mit dem Sta­tus des Le­bens­zeit­be­am­ten zu ver­bin­den. Die vom Ver­wal­tungs­ge­richt ge­for­der­te Klar­heit und Be­stimmt­heit der Ab­grenz­bar­keit des in Art. 11 Abs. 2 EM­RK be­zeich­ne­ten Per­so­nen­krei­ses er­ge­be sich aus dem Be­am­ten­sta­tus. Ein darüber hin­aus­ge­hen­des Er­for­der­nis, den Per­so­nen­kreis so eng wie möglich zu hal­ten, sei Art. 11 EM­RK nicht zu ent­neh­men. Der Ver­trags­staat selbst ha­be hier ei­ne Ent­schei­dungs­präro­ga­ti­ve. Zu be­den­ken sei, dass Leh­re­rin­nen und Leh­rer nicht ver­pflich­tet sei­en, sich ver­be­am­ten zu las­sen. Der Er­werb des Be­am­ten­sta­tus er­fol­ge auf ei­ge­nen An­trag, ihm ge­he stets ei­ne in­di­vi­du­el­le Ent­schei­dung des Beschäftig­ten vor­aus. Die vom Ver­wal­tungs­ge­richt ge­prüfte Fra­ge, ob die der Kläge­rin vor­ge­wor­fe­ne Teil­nah­me an Warn­streiks verhält­nismäßig war, sei für das Ver­fah­ren oh­ne Be­lang. Ins­be­son­de­re sei un­er­heb­lich, ob nach der Recht­spre­chung des BAG Ar­beit­neh­mern Warn­streiks er­laubt sind. Ent­schei­dend sei, dass der Kläge­rin als Be­am­tin die Teil­nah­me an jeg­li­chem Streik un­ter­sagt ge­we­sen sei. Dies al­lein be­rech­ti­ge zur dis­zi­pli­na­ri­schen Ahn­dung. Die Einschätzung des Ver­wal­tungs­ge­richts, die Un­zulässig­keit ei­ner dis­zi­pli­na­ri­schen Ahn­dung von Verstößen ge­gen das Streik­ver­bot wer­de nicht da­zu führen, dass Be­am­te (Leh­rer) künf­tig in er­heb­li­chem Um­fang an Streik­maßnah­men teil­neh­men, sei zum ei­nen nicht ent­schei­dungs­er­heb­lich, zum an­de­ren in der Sa­che aber auch un­zu­tref­fend. Das Ge­gen­teil ergäbe sich ins­be­son­de­re aus Äußerun­gen ei­ner Ver­tre­te­rin der GEW in der Rhei­ni­schen Post vom 15. De­zem­ber 2010. Die vom Ver­wal­tungs­ge­richt verfügte Sank­ti­ons­lo­sig­keit der Rechts­ver­let­zung wer­de mit­hin be­reits ge­zielt in die ge­werk­schaft­li­che Ar­beits­kampf­stra­te­gie ein­be­zo­gen.

Das be­klag­te Land be­an­tragt,

das an­ge­foch­te­ne Ur­teil zu ändern und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

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Sie ver­tei­digt das an­ge­foch­te­ne Ur­teil und führt im We­sent­li­chen aus: Wenn man un­ter­stel­le, die vom be­klag­ten Land verhäng­te Dis­zi­pli­nar­maßnah­me würde ge­richt­lich bestätigt, hätte dies zur Fol­ge, dass der EGMR später fest­stel­len würde, dass die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ge­gen die EM­RK ver­s­toßen hätte und ihr - der Kläge­rin - evtl. wie im Fall D. . /. Türkei (Ur­teil v. 13. Ju­li 2010 – 33322/07) ei­ne Entschädi­gung für den ent­stan­de­nen im­ma­te­ri­el­len Scha­den - wie
im Fall D1. i.H.v. 1.800 Eu­ro - zu­ge­spro­chen wer­de. Hin­zu­wei­sen sei in die­sem Zu­sam­men­hang noch auf Art. 6 Abs. 2 des Ver­tra­ges über die Eu­ropäische Uni­on vom 13. De­zem­ber 2007, in dem be­stimmt sei, dass die Uni­on der EM­RK bei­tre­te. Wenn die­ser Bei­tritt voll­zo­gen ist, wer­de zu berück­sich­ti­gen sein, dass Uni­ons­recht grundsätz­lich Vor­rang vor na­tio­na­lem Recht ha­be und ein aus dem Grund­ge­setz ab­zu­lei­ten­des Streik­ver­bot nur ins Feld geführt wer­den könn­te, wenn der un­an­tast­ba­re Kern­ge­halt der Ver­fas­sungs­iden­tität in Fra­ge ge­stellt wäre. Auch wenn die EM­RK zum ge­genwärti­gen Zeit­punkt auf der Ebe­ne ein­fa­chen Ge­set­zes­rechts (al­ler­dings er­heb­lich auf­ge­wer­tet durch das Ge­bot völker­rechts­freund­li­cher Aus­le­gung) an­ge­sie­delt sei, wäre es be­denk­lich, wenn die Recht­spre­chung sich jetzt in ei­ne Po­si­ti­on begäbe, die sich nach Über­nah­me der EM­RK als Uni­ons­recht als nur schwer kor­ri­gier­ba­rer Irr­weg dar­stel­len würde. Der EGMR ha­be in sei­ner Ent­schei­dung vom 12. No­vem­ber 2008 – 34503/97 – aus­drück­lich zwi­schen Be­am­ten („ci­vil ser­vants“) und Ar­beit­neh­mern („contrac­tu­al em­ployeers“) un­ter­schie­den. Während die türki­sche Re­gie­rung - wie im vor­lie­gen­den Fall das be­klag­te Land - auf den Sta­tus der Beschäftig­ten ab­ge­stellt ha­be, ha­be der EGMR auf die wahr­ge­nom­me­ne Funk­ti­on ab­ge­stellt. Auch dann wenn nicht ho­heit­lich täti­ge Beschäftig­te for­mal den­sel­ben Sta­tus ha­ben wie Po­li­zis­ten oder be­son­de­re Per­so­nen der Staats­ver­wal­tung, könne ih­nen das Streik­recht nicht vor­ent­hal­ten wer­den. Die Ent­schei­dung des EGMR in dem Ver­fah­ren L1. und T1. . /. Türkei be­tref­fe be­am­te­te Lehr­kräfte, de­ren Teil­nah­me an ei­nem na­tio­na­len Ak­ti­ons­tag mit ei­ner dis­zi­pli­na­ri­schen Ver­war­nung be­legt wor­den sei. Ein si­gni­fi­kan­ter Un­ter­schied zur vor­lie­gend zu be­ur­tei­len­den Teil­nah­me an Warn­streiks sei nicht er­kenn­bar. Der EGMR stel­le ent­schei­dend auf die Funk­ti­on des Be­am­ten und nicht auf des­sen Sta­tus ab. Be­am­te­te Lehr­kräfte würden in Nord­rhein-West­fa­len kaum ho­heit­li­che Tätig­kei­ten ausüben. Die Zeug­nis­se würden nicht durch die Leh­rer, son­dern durch den Schul­lei­ter un­ter­schrie­ben. Zu-
 


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ständig für Ver­set­zungs­ent­schei­dun­gen sei die Klas­sen- und Jahr­gangs­stu­fen­kon­fe­renz. Ein­zel­be­wer­tun­gen, wie Klas­sen­ar­bei­ten und Vor­zen­su­ren, sei­en le­dig­lich un­selbständi­ge Ver­fah­rens­hand­lun­gen, die die ei­gent­li­che Ent­schei­dung nur vor­be­rei­ten. Auch die Ent­schei­dung über die Schul­auf­nah­me lie­ge nicht in den Händen der Lehr­kräfte, son­dern bei der Schul­lei­tung. Die EM­RK sei als Aus­le­gungs­hil­fe für die Be­stim­mun­gen des Grund­ge­set­zes her­an­zu­zie­hen. Die Be­son­der­heit lie­ge dar­in, dass die EM­RK in­ter­pre­ta­tiv auf die Grund­rech­te ein­wir­ke, mit­hin die Ände­rung bis­he­ri­ger Aus­le­gun­gen ein­zel­ner Ar­ti­kel be­wir­ken könne. Die Gren­ze ei­ner völker­rechts­freund­li­chen Aus­le­gung sei sehr weit ge­zo­gen. Ein Streik­ver­bot sei für Be­am­te ein­fach­ge­setz­lich nicht ge­re­gelt. Ver­fas­sungs­recht­lich sei das Streik­ver­bot kein her­ge­brach­ter Grund­satz des Be­rufs­be­am­ten­tums. Es han­de­le sich hier­bei al­lein um ein Pro­dukt der Exe­ku­ti­ve, über das der Reichs­tag nie ab­ge­stimmt ha­be. Im Übri­gen sei es nicht zwin­gend, dass die Vor­aus­set­zun­gen für ei­nen rechtmäßigen Streik, die jahr­zehn­te­lang durch Richter­recht ent­wi­ckelt und fort­ent­wi­ckelt wor­den sei­en, im Verhält­nis „eins zu eins“ auf den Be­am­ten­be­reich über­tra­gen wer­den. Viel­mehr bedürfe es auch in die­sem Fall ei­ner Ent­wick­lung in Li­te­ra­tur und Recht­spre­chung, die mögli­cher­wei­se zu ei­ge­nen Re­geln für den Be­am­ten­streik führen oder zu­min­dest Ab­wei­chun­gen und Be­son­der­hei­ten, die dem Sta­tus der Be­am­ten und sei­nen ge­setz­li­chen und recht­li­chen Ge­ge­ben­hei­ten Rech­nung tra­gen, zu­las­sen. Durch den Ein­fluss eu­ropäischen Uni­ons­rechts sei das Be­am­ten­recht be­reits er­heb­lich trans­for­miert wor­den. So wer­de bei Ar­beit­neh­mer­schutz­rech­ten nicht mehr zwi­schen „nor­ma­len“ Ar­beit­neh­mern und Be­am­ten dif­fe­ren­ziert. Spätes­tens seit der Ent­schei­dung des EuGH vom 2. Ok­to­ber 1997 - Rs C-1/95 - sei klar­ge­stellt, dass Be­am­te Ar­beit­neh­mer im Sin­ne des EU-Rechts sei­en. Die dar­aus re­sul­tie­ren­den vielfälti­gen Neue­run­gen, ge­gen die sich Tei­le der Ver­wal­tungs­ge­richts­bar­keit lan­ge Zeit er­heb­lich ge­sträubt hätten, sei­en in das Be­am­ten­recht in­te­griert wor­den, oh­ne die­ses grundsätz­lich in Fra­ge zu stel­len. Ent­spre­chen­des dürf­te für die hier zur Ent­schei­dung ste­hen­de Fra­ge gel­ten.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Sach­ver­halts im Übri­gen wird auf den In­halt der Ge­richts­ak­te so­wie die in dem Sit­zungs­pro­to­koll im ein­zel­nen be­zeich­ne­ten Bei­ak­ten, wie sie dem Se­nat vor­ge­le­gen ha­ben, Be­zug ge­nom­men.


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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässi­ge Be­ru­fung des be­klag­ten Lan­des ist be­gründet.

Die Dis­zi­pli­nar­kam­mer hat zu Un­recht die Dis­zi­pli­nar­verfügung der Be­zirks­re­gie­rung L. vom 10. Mai 2010 auf­ge­ho­ben. Die an­ge­foch­te­ne Dis­zi­pli­nar­verfügung ist rechtmäßig und ver­letzt die Kläge­rin nicht in ih­ren Rech­ten (§ 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 Vw­GO).

A. Der er­ken­nen­de Se­nat trifft hin­sicht­lich der im Be­ru­fungs­ver­fah­ren er­for­der­li­chen Tat­sa­chen­fest­stel­lun­gen die glei­chen Fest­stel­lun­gen wie be­reits die Dis­zi­pli­nar­kam­mer und ver­weist in­so­weit zunächst auf die auf S. 2 bis 3 des Ur­teils­ab­drucks dar­ge­stell­ten und im We­sent­li­chen auch oben im Tat­be­stand wie­der­ge­ge­be­nen Ent­schei­dungs­gründe des an­ge­foch­te­nen Ur­teils.

Die­ser Sach­ver­halt ist auch zwi­schen den Be­tei­lig­ten un­strei­tig. Da­nach hat die Kläge­rin am 28. Ja­nu­ar, 5. und 10. Fe­bru­ar 2009 oh­ne Ge­neh­mi­gung ih­res Dienst­herrn während ih­rer Un­ter­richts- und Dienst­zeit an von der GEW or­ga­ni­sier­ten Warn­streiks teil­ge­nom­men. Der Teil­nah­me an die­sen Warn­streiks ging je­weils ein Gespräch der Kläge­rin mit der Kon­rek­to­rin der Schu­le am 23. Ja­nu­ar 2009 so­wie mit der Schul­lei­te­rin am 26. Ja­nu­ar 2009 vor­aus. Mit Schrei­ben vom 9. Fe­bru­ar 2009 teil­te die Schul­lei­te­rin der Kläge­rin mit, dass ihr als Be­am­tin kein Streik­recht zu­ste­he und aus die­sen Gründen auch der Bit­te um ei­ne Un­ter­richts­frei­stel­lung für den 10. Fe­bru­ar 2009 nicht nach­ge­kom­men wer­den könne.

B. Die Kläge­rin hat durch die un­ge­neh­mig­te Teil­nah­me an den Warn­streiks während ih­rer Dienst­zeit ein ein­heit­li­ches in­ner­dienst­li­ches Dienst­ver­ge­hen be­gan­gen i.S.d. §§ 83 Abs. 1 Satz 1 u. 2 i.V.m. §§ 57 Satz 1 u. 3, 58 Satz 2, 79 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW in der bis zum 31. März 2009 gel­ten­den Fas­sung (LBG NRW a.F.). Die­ses Dienst­ver­ge­hen der Kläge­rin ist von der Be­zirks­re­gie­rung L. zu Recht mit der hier streit­ge­genständ­li­chen Dis­zi­pli­nar­verfügung vom 10. Mai 2010 mit ei­ner Geld­buße in Höhe von 1.500,00 Eu­ro ge­ahn­det wor­den.

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I. Maßgeb­lich ist im vor­lie­gen­den Fall die Rechts­la­ge zum Tat­zeit­punkt, weil sich aus dem In­kraft­tre­ten des Be­am­ten­sta­tus­ge­set­zes vom 17. Ju­ni 2009 - Be­am­tStG - (BGBl. S. 1010) am 1. April 2009 kein ma­te­ri­ell­recht­lich güns­ti­ge­res Recht er­gibt.

Vgl. BVerwG, Ur­tei­le vom 19. Au­gust 2010 - 2 C 5.10 -, NVwZ 2011, 303, vom 25. März 2010 - 2 C 83.08 -, BVerw­GE 136, 173, und vom 25. Au¬gust 2009 - 1 D 1.08 -, Buch­holz 232.0 § 77 BBG 2009 Nr. 1; OVG NRW, Ur­tei­le vom 7. Sep­tem­ber 2011 - 3d A 1489/09.O - und vom 16. Fe­bru­ar 2011 - 3d A 331/10.O -.

Nach § 83 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW a.F. (jetzt § 47 Be­am­tStG) be­geht ein Be­am­ter ein Dienst­ver­ge­hen, wenn er schuld­haft sei­ne Pflich­ten ver­letzt.

II. Die Kläge­rin hat durch ih­re un­ge­neh­mig­te Teil­nah­me an den Streiks gleich in vier­fa­cher Hin­sicht ge­gen die ihr ob­lie­gen­den Dienst­pflich­ten ver­s­toßen. Wel­che Pflich­ten der Be­am­te zu be­ach­ten hat, er­gibt sich aus dem kon­kre­ten Pflich­ten­tat­be­stand, der in den Be­am­ten­ge­set­zen, ei­ner all­ge­mei­nen Ver­wal­tungs­re­ge­lung oder in ei­ner Ein­zel­an­wei­sung ent­hal­ten sein kann.

1. Durch die un­ge­neh­mig­te Teil­nah­me an den Streiks hat die Kläge­rin ge­gen die ihr ob­lie­gen­de Dienst­pflicht ver­s­toßen, sich mit vol­ler Hin­ga­be ih­rem Be­ruf zu wid­men (§ 57 Satz 1 LBG NRW a.F., jetzt § 34 Satz 1 Be­am­tStG). Der Be­am­te hat dem Dienst­herrn sei­ne vol­le Ar­beits­kraft zur Verfügung zu stel­len. Da­bei hat der Be­am­te sei­ne körper­li­che und geis­ti­ge Leis­tungsfähig­keit voll ein­zu­brin­gen und die Dienst­auf­ga­ben en­ga­giert zu erfüllen.

Vgl. Nds. OVG, Ur­tei­le vom 7. De­zem­ber 2010 – 20 LD 3/09 -, DÖV 2011, 243, und vom 18. Mai 2010 - 20 LD 13/08 -, DVBl. 2010, 927.

Die­ser Pflicht ist die Kläge­rin nicht nach­ge­kom­men, in­dem sie an drei Ta­gen oh­ne Ge­neh­mi­gung dem Dienst fern­ge­blie­ben ist und ge­genüber den ihr an­ver­trau­ten Schülern kei­nen Schul­un­ter­richt er­teilt hat.

2. Zu­gleich hat die Kläge­rin durch die un­ge­neh­mig­te Streik­teil­nah­me ih­re Pflicht zu ach­tungs- und ver­trau­enswürdi­gen Ver­hal­ten (§ 57 Satz 3 LBG NRW a.F.,

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jetzt § 34 Satz 3 Be­am­tStG) ver­letzt. Zu den Dienst­pflich­ten ei­nes Leh­rers - der wie hier nicht durch sei­nen Dienst­herrn von sei­ner Un­ter­richts­ver­pflich­tung be­freit ist - gehören an­ge­sichts des um­fas­sen­den Bil­dungs­auf­trags der Schu­le (§ 2 SchulG NRW) der Un­ter­richt, die Er­zie­hung und Be­treu­ung der ihm an­ver­trau­ten Schüler un­ter Be­ach­tung der El­tern­rech­te. Der Leh­rer trägt die un­mit­tel­ba­re pädago­gi­sche Ver­ant­wor­tung für den Un­ter­richt und die Er­zie­hung der Schüler (§ 57 Abs. 1 SchulG NRW). Der Leh­rer soll die Schüler mit dem gel­ten­den Wer­te­sys­tem und den Mo­ral­vor­stel­lun­gen der Ge­sell­schaft be­kannt ma­chen und sie zu de­ren Ein­hal­tung an­hal­ten. Da­mit der Er­zie­hungs­auf­trag erfüllt wer­den kann, ist von ei­nem Leh­rer be­son­de­re Zu­verlässig­keit und Ver­trau­enswürdig­keit zu ver­lan­gen.

Vgl. OVG NRW, Ur­teil vom 16. Fe­bru­ar 2011 - 3d A 331/10.O -; Nds. OVG, Ur­tei­le vom 7. De­zem­ber 2010 - 20 LD 3/09 -, a. a. O., und vom 22. Ju­ni 2010 - 20 LD 3/08 -, ju­ris.

Die­sen An­for­de­run­gen ist die Kläge­rin nicht nach­ge­kom­men, in­dem sie oh­ne Ge­neh­mi­gung dem Un­ter­richt fern­blieb und sich auch nicht dar­um gekümmert hat, ob der Un­ter­richt von an­de­ren Leh­rern über­nom­men wer­den konn­te oder ob die Pflicht­stun­den zum Nach­teil der ihr an­ver­trau­ten Schüler aus­fal­len muss­ten. Ein der­ar­ti­ges Ver­hal­ten ist mit dem Er­zie­hungs­auf­trag ei­nes be­am­te­ten Leh­rers und dem be­am­ten­recht­li­chen Selbst­verständ­nis nicht ver­ein­bar. Die Kläge­rin hat durch ihr Ver­hal­ten nicht die be­son­de­re Zu­verlässig­keit und Ver­trau­enswürdig­keit of­fen­bart, die für die Erfüllung des Er­zie­hungs­auf­trags der ihr an­ver­trau­ten Schüle­rin­nen und Schüler un­be­dingt er­for­der­lich ist.

3. Fer­ner hat die Kläge­rin durch die un­ge­neh­mig­te Teil­nah­me an den Streiks ge­gen ih­re Dienst­pflicht ver­s­toßen, nicht oh­ne Ge­neh­mi­gung dem Dienst fern­zu­blei­ben (§ 79 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW a.F.). Ein Be­am­ter bleibt dem Dienst im Sin­ne die­ser Re­ge­lung fern, wenn er sei­ner in zeit­li­cher und ört­li­cher Hin­sicht kon­kre­ti­sier­ten Dienst­leis­tungs­pflicht nicht Rech­nung trägt und zu der vor­ge­ge­be­nen Zeit nicht am Ort sei­ner dienst­li­chen Tätig­keit er­scheint. Die­ser Vor­schrift liegt - eben­so wie § 9 Abs. 1 BBesG - die for­ma­le Pflicht zum Dienst­an­tritt am Dienst­ort zu­grun­de, d.h. die Pflicht, „we­nigs­tens zum Dienst zu er­schei­nen“.

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Vgl. BVerwG, Ur­teil vom 12. De­zem­ber 1979 - 1 D 108.78 -, BVerw­GE 63, 315.

Die Dienst­pflicht der Kläge­rin als Leh­re­rin er­gab sich zum Zeit­punkt ih­re Teil­nah­me an den Warn­streiks im Jahr 2009 in zeit­li­cher und ört­li­cher Hin­sicht aus den §§ 1 und 2 der VO zu § 93 Abs. 2 SchulG vom 18. März 2005 (GV. NRW. S. 218) in der Fas­sung vom 30. April 2008 (GV. NRW. S. 400) und wur­de kon­kre­ti­siert durch den von der Schul­lei­tung fest­ge­setz­ten Wo­chen­stun­den­plan. Die Kläge­rin, die oh­ne Ge­neh­mi­gung an den drei Warn­streiks teil­ge­nom­men hat und in­so­weit ih­rer kon­kre­ti­sier­ten Un­ter­richts­ver­pflich­tung an die­sen drei Ta­gen nicht nach­ge­kom­men ist, hat da­mit ge­gen ih­re Dienst­leis­tungs­pflicht ver­s­toßen. Das gilt auch dann, wenn - wie hier - zu­min­dest teil­wei­se für ei­ne an­der­wei­ti­ge Be­treu­ung der Schüler durch die Schul­lei­tung ge­sorgt wer­den konn­te, denn dies ändert nichts an der dem Leh­rer ob­lie­gen­den höchst­persönli­chen Ver­pflich­tung, den nach dem St­un­den­plan vor­ge­se­he­nen Un­ter­richt zu er­tei­len oder zu­min­dest an­zu­bie­ten. Ein Be­am­ter darf über sei­ne persönli­che Dienst­leis­tungs­pflicht we­der nach ei­ge­nem Gutdünken dis­po­nie­ren noch darf er als Leh­rer ei­genmäch­tig die durch den St­un­den­plan fest­ge­leg­ten Dienst­zei­ten ändern.

4. Die Kläge­rin hat fer­ner durch ih­re un­ge­neh­mig­te Streik­teil­nah­me ge­gen ih­re Ge­hor­sams­pflicht (§ 58 Satz 2 LBG a.F., jetzt § 35 Satz 2 Be­am­tStG) ver­s­toßen. So­wohl im Gespräch mit der Kon­rek­to­rin der Schu­le am 23. Ja­nu­ar 2009 und der Schul­lei­te­rin am 26. Ja­nu­ar 2009 ist sie dar­auf hin­ge­wie­sen wor­den, dass sie an den Warn­streiks nicht teil­neh­men darf. Gleich­wohl nahm die Kläge­rin an den Warn­streiks am 28. Ja­nu­ar 2009 und 5. Fe­bru­ar 2009 teil. Mit Schrei­ben vom 9. Fe­bru­ar 2009 teil­te die Schul­lei­te­rin der Kläge­rin noch­mals mit, dass sie für die Teil­nah­me an dem Warn­streik am 10. Fe­bru­ar 2009 nicht von ih­rer Un­ter­richts­ver­pflich­tung frei­ge­stellt wird. Ent­ge­gen die­ser An­ord­nung nahm die Kläge­rin gleich­wohl auch an die­sem Warn­streik teil und kam auch in­so­weit ih­rer Un­ter­richts­ver­pflich­tung und ih­rer Ge­hor­sams­pflicht nicht nach.

III. Die Kläge­rin hat vorsätz­lich ge­gen die vor­ste­hend dar­ge­stell­ten Dienst­pflich­ten ver­s­toßen. Zum ei­nen han­delt es sich bei die­sen Dienst­pflich­ten um be­am­ten­recht­li­che Kern­pflich­ten, die oh­ne Wei­te­res für ei­nen Be­am­ten und die Kläge-


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rin als Leh­re­rin ein­zu­se­hen wa­ren. Zum an­de­ren ist der Kläge­rin im Vor­feld der Streiks durch die Gespräche mit der Kon­rek­to­rin und der Schul­lei­te­rin so­wie das Schrei­ben vom 9. Fe­bru­ar 2009 hin­rei­chend deut­lich klar­ge­macht wor­den, dass sie für die Teil­nah­me an den Warn­streiks nicht vom Un­ter­richt frei­ge­stellt wird. Hierüber hat sich die Kläge­rin be­wusst und ge­wollt hin­weg­ge­setzt. Ih­re Be­haup­tung, es sei nicht - auch nicht mit­tel­bar - ih­re Ziel­set­zung ge­we­sen, dass es zu Un­ter­richts­aus­fall kom­me, ändert dar­an nichts. Die Kläge­rin hat sich hier nicht außer­halb der Un­ter­richts­zei­ten (z.B. nach Un­ter­richt­sen­de oder in den Fe­ri­en) an ent­spre­chen­den Ak­tio­nen der GEW oder an­de­rer Ver­ei­ni­gun­gen be­tei­ligt, son­dern während der Un­ter­richts­zeit, um den For­de­run­gen Nach­druck zu ver­lei­hen, so dass ihr be­wusst war, dass sich ihr (un­ge­neh­mig­tes) Ver­hal­ten auf den von ihr ab­zu­leis­ten­den Un­ter­richt aus­wirk­te. Sie muss­te da­mit rech­nen, dass nicht sämt­li­che Un­ter­richts­stun­den durch an­de­re Leh­rer auf­ge­fan­gen wer­den konn­ten, die ih­rer­seits ih­rer Dienst- und Un­ter­richts­pflicht nach­ka­men. Dies hat die Kläge­rin durch ih­re un­ge­neh­mig­te Streik­teil­nah­me an drei Ta­gen letzt­lich in Kauf ge­nom­men.

IV. Die Ar­beits­nie­der­le­gung der Kläge­rin we­gen der Teil­nah­me an den Warn­streiks am 28. Ja­nu­ar 2009, 5. Fe­bru­ar 2009 und 10. Fe­bru­ar 2009 war we­der ver­fas­sungs­recht­lich (1.) noch völker- und eu­ro­pa­recht­lich (2.) und auch nicht mit Blick auf § 103 LBG a.F. (3.) ge­recht­fer­tigt.

1. Die in Art. 9 Abs. 3 GG nor­mier­te Ko­ali­ti­ons­frei­heit be­gründet für Be­am­te in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land kein Streik­recht (a.). Die Ko­ali­ti­ons­frei­heit wird hin­sicht­lich der Be­am­ten in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land durch die in Art. 33 Abs. 5 GG ver­an­ker­ten be­am­ten­recht­li­chen Struk­tur­prin­zi­pi­en ein­ge­schränkt (b.).

a. Be­am­te sind - wie al­le an­de­ren Bürger auch - Grund­recht­sträger. Der persönli­che An­wen­dungs­be­reich des Art. 9 Abs. 3 GG ist nicht ein­ge­schränkt, so dass auch den Be­am­ten die in die­ser Ver­fas­sungs­norm ver­an­ker­te Ko­ali­ti­ons­frei­heit im Grund­satz zu­steht.

Vgl. BVerfG, Ent­schei­dung vom 30. No­vem­ber 1965 - 2 BvR 54/62 -, BVerfGE 19, 303; Kutz­ki, Be­am­te und Streik­recht - ei­ne ak­tu­el­le Be­stands-


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auf­nah­me, DÖD 2011, 169; Goo­ren, Das En­de des Be­am­ten­streik­ver­bots, ZBR 2011, 400 (401).

Art. 9 Abs. 3 GG schützt den Ein­zel­nen in sei­ner Frei­heit, ei­ne Ver­ei­ni­gung zur Wah­rung der Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen zu gründen, ihr bei­zu­tre­ten oder fern­zu­blei­ben oder sie zu ver­las­sen. Geschützt ist auch die Ko­ali­ti­on selbst in ih­rem Be­stand, ih­rer or­ga­ni­sa­to­ri­schen Aus­ge­stal­tung und ih­ren Betäti­gun­gen, so­fern die­se der Förde­rung der Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen die­nen.

Vgl. BVerfG, Be­schlüsse vom 3. April 2001 - 1 BvL 32/97 -, BVerfGE 103, 293, und vom 27. Ap-ril 1999 - 1 BvR 2203/93 u.a. -, BVerfGE 100, 27; Ur­teil vom 10. Ja­nu­ar 1995 - 1 BvF 1/90 u.a. -, BVerfGE 92, 26.

Be­am­te können sich in­so­weit wie ih­re Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen im pri­vat­recht­lich ge­re­gel­ten Ar­beit­neh­mer­be­reich ge­werk­schaft­lich or­ga­ni­sie­ren. Dies wird von Nie­man­dem in Fra­ge ge­stellt und Be­am­te or­ga­ni­sie­ren sich auch in Deutsch­land in ei­ner Viel­zahl von be­rufsständi­schen Ver­ei­ni­gun­gen (vgl. z.B. BDR, BDZ, BLBS, dbb, DPolG, DSTG, GdP, GdV, VDR, VBB etc.). Die Kläge­rin selbst hat sich im vor­lie­gen­den Fall der GEW an­ge­schlos­sen.

Der Schutz der Ko­ali­ti­ons­frei­heit ist nicht von vorn­her­ein auf ei­nen Kern­be­reich ko­ali­ti­onsmäßiger Betäti­gung be­schränkt, die für die Si­che­rung des Be­stands der Ko­ali­tio­nen un­erläss­lich sind. Er er­streckt sich viel­mehr auf al­le ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­schen Ver­hal­tens­wei­sen,

vgl. BVerfG, Be­schlüsse vom 11. Ju­li 2006 - 1 BvL 4/00 -, BVerfGE 116, 202, vom 24. April 1996 - 1 BvR 712/86 -, BVerfGE 94, 268, und vom 14. No­vem­ber 1995 - 1 BvR 601/92 -, BVerfGE 93, 352,

und be­inhal­tet nach höchst­rich­ter­li­cher Recht­spre­chung und nach all­ge­mei­ner An­sicht,

vgl. BVerfG, Be­schluss vom 2. März 1993 - 1 BvR 1213/85 -, BVerfGE 88, 103; Scholz, in Maunz/Dürig, Grund­ge­setz Kom­men­tar, Art. 9 Rd­nr. 309,

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auch das Recht zur Führung von Ar­beitskämp­fen (ins­be­son­de­re Streik­maßnah­men).

b. Aus den vor­ste­hen­den Grundsätzen folgt in­des noch nicht, dass sich auch Be­am­te - wie hier die Kläge­rin - auf ein Streik­recht be­ru­fen können. Die in Art. 9 Abs. 3 GG ga­ran­tier­te Ko­ali­ti­ons­frei­heit un­ter­liegt, ob­wohl sie oh­ne Ge­set­zes­vor-be­halt gewähr­leis­tet ist, ver­fas­sungs­im­ma­nen­ten Be­schränkun­gen zum Schutz von Rechtsgütern und Ge­mein­wohl­be­lan­gen, de­nen im glei­chen Maße ver­fas­sungs­recht­li­cher Rang gebührt.

Vgl. BVerfG, Be­schlüsse vom 6. Fe­bru­ar 2007 - 1 BvR 978/05 -, NZA 2007, 394, und vom 26. Ju­ni 1991 - 1 BvR 779/85 -, BVerfGE 84, 212.

Die kol­li­die­ren­den Ver­fas­sungs­rech­te sind in ih­rer Wech­sel­wir­kung zu er­fas­sen und im We­ge der prak­ti­schen Kon­kor­danz so zu be­gren­zen, dass sie für al­le Be­tei­lig­ten möglichst weit­ge­hend wirk­sam wer­den. Die Gren­zen zulässi­ger Be­ein­träch­ti­gun­gen sind über­schrit­ten, so­weit ein­schränken­de Aus­le­gun­gen und Re­ge­lun­gen nicht zum Schutz an­de­rer gleich­ran­gi­ger Rechtsgüter von der Sa­che her ge­bo­ten sind.

Vgl. BVerfG, Be­schlüsse vom 6. Fe­bru­ar 2007 - 1 BvR 978/05 -, a. a. O., vom 27. Ja­nu­ar 1998 - 1 BvL 15/87 -, BVerfGE 97, 169, und vom 26. Ju­ni 1991 - 1 BvR 779/85 -, a. a. O.

Vor die­sem Hin­ter­grund wird die Ko­ali­ti­ons­frei­heit der Be­am­ten in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land durch die eben­falls mit Ver­fas­sungs­rang - in Art. 33 Abs. 5 GG - ver­an­ker­ten be­am­ten­recht­li­chen Struk­tur­prin­zi­pi­en ge­prägt und ein­ge­schränkt. Nach Maßga­be des Art. 33 Abs. 5 GG ist das Recht des öffent­li­chen Diens­tes un­ter Berück­sich­ti­gung der her­ge­brach­ten Grundsätze des Be­rufs­be­am­ten­tums zu re­geln und fort­zu­ent­wi­ckeln. Art. 33 Abs. 5 GG ist un­mit­tel­bar gel­ten­des Recht und enthält ei­nen Re­ge­lungs­auf­trag an den Ge­setz­ge­ber so­wie ei­ne in­sti­tu­tio­nel­le Ga­ran­tie des Be­rufs­be­am­ten­tums. Un­ter den „her­ge­brach­ten Grundsätzen des Be­rufs­be­am­ten­tums“ i.S.d. Ver­fas­sungs­norm ist der Kern­be­stand von Struk­tur­prin­zi­pi­en zu ver­ste­hen, die all­ge­mein oder doch ganz über­wie­gend während ei­nes länge­ren tra­di­ti­ons­bil­den­den Zeit­raums, min­des­tens un-

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ter der Reichs­ver­fas­sung von Wei­mar, als ver­bind­lich an­er­kannt und ge­wahrt wor­den sind.

Vgl. BVerfG, Ur­teil vom 6. März 2007 - 2 BvR 556/04 -, BVerfGE 117, 330; Be­schlüsse vom 7. No­vem­ber 2002 - 2 BvR 1053/98 -, BVerfGE 106, 225, und vom 13. No­vem­ber 1990 - 2 BvF 3/88 -, BVerfGE 83, 89.

Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts,

vgl. BVerfG, Be­schlüsse vom 19. Sep­tem­ber 2007 - 2 BvF 3/02 -, BVerfGE 119, 247, vom 30. März 1977 - 2 BvR 1039/75 u.a. -, BVerfGE 44, 249, und vom 11. Ju­ni 1958 - 1 BvR 1/52 u.a. -, BVerfGE 8, 1,

und des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts,

vgl. BVerwG, Ur­tei­le vom 23. Fe­bru­ar 1994 - 1 D 65.91 -, BVerw­GE 103, 70, - 1 D 48.92 -, Dok­Ber B 1994, 231, vom 10. Mai 1984 - 2 C 18.82 -, BVerw­GE 69, 20, vom 3. De­zem­ber 1980 - 1 D 86.79 -, BVerw­GE 73, 97, vom 22. No­vem­ber 1979 - 1 D 84.78 -, BVerw­GE 63, 293, und vom 16. No­vem­ber 1978 - 1 D 82.77 -, BVerw­GE 63, 158; Be­schluss vom 19. Sep­tem­ber 1977 - 1 DB 12.77 -, BVerw­GE 53, 330,

so­wie ei­ner Viel­zahl von Ober­ge­rich­ten,

vgl. OVG NRW, Ur­teil vom 10. Sep­tem­ber 2007 - 1 A 3529/06 -, ju­ris; Ham­bur­gi­sches OVG, Be-schluss vom 22. Ok­to­ber 1988 - Bs I 195/88 -, DÖV 1989, 127; OVG Ber­lin, Ur­teil vom 18. Feb-ru­ar 1986 - D 16.85 -, Die Per­so­nal­ver­tre­tung 1986, 283,

ist die Un­zulässig­keit des Be­am­ten­streiks - auch in Form von „Warn­streiks“, der ge­ziel­ten Ver­lang­sa­mung der Ar­beits­leis­tung („go-slow“), Dienst nach Vor­schrift (work-to-ru­le“), der un­be­rech­tig­ten Krank­mel­dun­gen („sick-out“) etc. und un­ge­ach­tet ih­rer Dau­er - als her­ge­brach­ter Grund­satz des Be­rufs­be­am­ten­tums ver­fas­sungs­recht­lich be­stimmt.

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Das Streik­ver­bot für Be­am­te als her­ge­brach­ter Grund­satz des Be­rufs­be­am­ten­tums hat zum ei­nen his­to­ri­sche Wur­zeln (aa.), be­ruht zum an­de­ren auf grund­le­gend sys­tem­im­ma­nen­ten dienst­recht­li­chen Un­ter­schie­den zwi­schen pri­vat­recht­lich ge­re­gel­ten An­ge­stell­ten­verhält­nis­sen und dem öffent­lich-recht­lich ge­re­gel­ten Dienst­verhält­nis der Be­am­ten (bb.) und ist zu­dem in der Auf­recht­er­hal­tung der Funk­ti­onsfähig­keit des Staa­tes (cc.) be­gründet.

aa. Die her­ge­brach­ten Grundsätze des Be­rufs­be­am­ten­tums und mit­hin die In­sti­tu­ti­on des deut­schen Be­rufs­be­am­ten­tums wer­den durch Art. 33 Abs. 5 GG nicht um ih­rer selbst wil­len geschützt. Die Ver­fas­sungs­be­stim­mung kon­ser­viert nicht „das Gest­ri­ge“, son­dern über­nimmt nur die tra­dier­ten und funk­ti­ons­we­sent­li­chen Grund­struk­tu­ren des Be­rufs­be­am­ten­tums. Der Par­la­men­ta­ri­sche Rat ver­stand das Be­rufs­be­am­ten­tum in­so­weit als ein In­stru­ment zur Si­che­rung von Rechts­staat und Ge­setzmäßig­keit der Ver­wal­tung. Hierfür er­schien ihm ein auf Sach­wis­sen ge­gründe­ter, un­abhängi­ger Be­am­ten­ap­pa­rat, der die Funk­ti­onsfähig­keit des Staa­tes si­cher­stellt, un­erläss­lich. Die Ent­wick­lung des Be­rufs­be­am­ten­tums ist his­to­risch eng mit der­je­ni­gen des Rechts­staats ver­bun­den. War der Be­am­te ursprüng­lich als sog. „Fürs­ten­die­ner“ al­lein dem Re­gen­ten ver­pflich­tet,

vgl. Bra­ken­siek, Fürs­ten­die­ner, Staats­be­am­te, Bürger, 1999, S. 18, 49, 159, 440, im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich un­ter:
http://books.goog­le.de/books?id=xZArNL-o724C&print­sec=front­co­ver&hl=de& sour-ce=gbs_ge_sum­ma­ry_r&cad=0#v=snip­pet&q=Be­am­te&f=fal­se,

so veränder­ten sich un­ter dem Ein­fluss der Ide­en der Französi­schen Re­vo­lu­ti­on und der na­po­leo­ni­schen Fremd­herr­schaft im 18. und 19. Jahr­hun­dert die po­li­ti­schen Struk­tu­ren und der Be­am­te wan­del­te sich zum „Staats­die­ner“. Von die­sem Verständ­nis ging auch das „All­ge­mei­ne Land­recht für die Preußischen Staa­ten“ vom 5. Fe­bru­ar 1794 in den §§ 68 ff. un­ter „Zehn­ter Ti­tel. Von den Rech­ten und Pflich­ten der Die­ner des Staats“ in be­zug auf die „Ci­vil­be­am­ten“ aus.

Vgl. Text­ab­druck des ALR im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich un­ter: http://www.smi­xx.de/ra/Links_FR/PrALR/PrALR_II_10.pdf

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Bay­ern folg­te die­sen Ansätzen, in­dem es im Jahr 1805 als ers­ter deut­scher Staat die Rech­te der Be­am­ten durch ei­ne Dienst­prag­ma­tik si­cher­te und die Ein­griff-möglich­kei­ten der Kro­ne ein­schränk­te.

Vgl. Krauss, Herr­schafts­pra­xis in Bay­ern und Preus­sen im 19. Jahr­hun­dert, 1997, S. 189, im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich un­ter: http://books.goog­le.de/books?id=xnX80Q8NiSQ C&pg=PA189&lpg=PA189&dq=Bay­ern+Dienst-prag­ma­tik+1805+Be­am­te&sour­ce=bl&ots=-ggXY9QBdl&sig=O7_dkju0s_TNI9P7Au_O1K_O n6A&hl=de#.

In der baye­ri­schen Ver­fas­sung vom 26. Mai 1818 wur­den die­se Be­am­ten­rech­te un­ter § 6 „Ti­tel V. Von Be­son­dern Rech­ten und Vorzügen“ un­ter Be­zug­nah­me auf das Edict über die Verhält­nis­se der Staats­die­ner (Bei­la­ge IX. zur Ver­fas­sungs­ur­kun­de) er­neut be­kräftigt.

Vgl. im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich un­ter: http://www.ver­fas­sun­gen.de/de/by/bayern18-in-dex.htm.

Gemäß § 1 des Edicts über die Verhält­nis­se der Staats­die­ner wur­de der Be­am­te aus­drück­lich als „Staats“die­ner be­zeich­net, des­sen Stand durch das „An­stel­lungs-Re­script“ er­wor­ben wird. Ent­spre­chen­de Re­ge­lun­gen ent­hielt auch das Ge­setz be­tref­fend die Rechts­verhält­nis­se der Reichs­be­am­ten vom 31. März 1873,

Reichs­Ge­setz­bl. 1873, S. 61, auch im In­ter­net all­ge­mein­zugäng­lich un­ter: http://www.do­cu­men­t­ar­chiv.de/ksr/1873/reichs-be­am­te-recht­ver­ha­elt­nis­se_ges.html, ent­spre­chen­des galt für das Reichs­be­am­ten­ge­setz i.d.F. der Be­kannt­ma­chung vom 18. Mai 1907 (Reichs-Ge­setz­bl. 1907, S. 245) und der F.v. 21. Ju­li 1922 (Reichs-Ge­setz­bl. I 1922, S. 590),

- Reichs­be­am­ten­ge­setz, im fol­gen­den RBe­amtG -. Nach § 4 RBe­amtG er­hielt der Reichs­be­am­te ei­ne An­stel­lungs-Ur­kun­de und nach § 3 RBe­amtG war je­der Reichs­be­am­te auf die Erfüllung al­ler Ob­lie­gen­hei­ten des ihm über­tra­ge­nen Am­tes eid­lich zu ver­pflich­ten. Das Reichs­be­am­ten­ge­setz ent­hielt in den §§ 5 ff. Re-
 


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ge­lun­gen zu den Einkünf­ten, in den §§ 55 f. zur Pen­si­on, in den §§ 61 ff. zur zwangs­wei­sen Ver­set­zung in den Ru­he­stand und in den §§ 80 ff. zu Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren. In § 13 RBe­amtG wur­de aus­drück­lich aus­geführt, dass je­der Reichs­be­am­te für die Ge­setzmäßig­keit sei­ner amt­li­chen Hand­lun­gen ver­ant­wort­lich ist.

Be­reits im 19. und zu Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts war da­mit die Treue­pflicht des Be­am­ten und die Aus­ge­stal­tung ei­ner grundsätz­lich auf Le­bens­zeit aus­ge­rich­te­ten Tätig­keit, die durch ei­nen be­son­de­ren förm­li­chen Akt (i.d.R. ei­ner Er­nen­nung) über­tra­gen wird, ein Grund­prin­zip des Be­am­ten­rechts. Auch die Be­sol­dung des Be­am­ten sah man be­reits in die­ser Zeit nicht als Leis­tungs­ent­gelt, son­dern als Un­ter­halt an. Man be­sol­de­te den In­ha­ber ei­ner be­stimm­ten Rang­stu­fe, und das in der Höhe, die für ei­ne stan­des­gemäße Le­bensführung an­ge­mes­sen war. Im Volks­mund war die Re­de vom „si­che­ren Brot“.

Vgl. Hen­ning, Die deut­sche Be­am­ten­schaft im 19. Jahr­hun­dert, 1984, S. 24, im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich un­ter: http://books.goog­le.de/books?ei=r_w5T57TKYrlt QaW8eXYBg&hl=de&id=sQV­LAQAAIAAJ&dq=b eam­ten­recht+si­che­re+brot+19.+jahr­hun­dert&q=B rot+.

His­to­risch fin­det sich be­reits hier die Grund­la­ge des be­am­ten­recht­li­chen Ali­men­ta­ti­ons­prin­zips, wo­nach die Dienst- und Ver­sor­gungs­bezüge des Be­am­ten so zu be­mes­sen sind, dass sie ei­nen je nach Dienstrang, Be­deu­tung und Ver­ant­wor­tung des Am­tes und ent­spre­chen­den Ent­wick­lung der Verhält­nis­se an­ge­mes­se­nen Le­bens­un­ter­halt gewähren und als Vor­aus­set­zung dafür genügen, dass sich der Be­am­te ganz dem öffent­li­chen Dienst als Le­bens­be­ruf wid­men und in wirt­schaft­li­cher Un­abhängig­keit zur Erfüllung der dem Be­rufs­be­am­ten­tum von der Ver­fas­sung und den Ge­set­zen zu­ge­wie­se­nen Auf­ga­be im po­li­ti­schen Kräfte­spiel ei­ne sta­bi­le, ge­set­zes­treue Ver­wal­tung zu si­chern, bei­tra­gen kann.

Vgl. zum In­halt des Ali­men­ta­ti­ons­prin­zip: BVerfG, Be­schluss vom 30. März 1977 - 2 BvR 1039/75 -, a. a. O.

Die Auf­ga­be des Be­am­ten war (und ist es auch heu­te), Ver­fas­sung und Ge­set­ze im In­ter­es­se des Bürgers um­zu­set­zen. Die Ali­men­ta­ti­on und die An­stel­lung auf

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Le­bens­zeit bie­ten in­so­weit die hin­rei­chen­de persönli­che Un­abhängig­keit und ste­hen seit je­her in ei­nem syn­al­lag­ma­ti­schen Verhält­nis zur Treue­pflicht des Be­am­ten.

Der We­sens­in­halt die­ser be­am­ten­recht­li­chen Grundzüge ist zur Zeit der Wei­ma­rer Ver­fas­sung er­hal­ten und wei­ter kon­kre­ti­siert wor­den. Art. 129 Satz 3 der Ver­fas­sung des deut­schen Reichs vom 19. Ju­li 1919 - am 11. Au­gust 1919 aus­ge­fer­tigt und am 14. Au­gust 1919 in Kraft ge­tre­ten (im Fol­gen­den Wei­ma­rer Reichs­ver­fas­sung - WRV -) -,

vgl. im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich un­ter:
http://www.dhm.de/lemo/html/do­ku­men­te/ver­fas-sung/in­dex.html,

be­stimm­te, dass die wohl­er­wor­be­nen Rech­te der Be­am­ten un­ver­letz­lich sind. Art. 129 Satz 1 WRV re­gel­te, dass die An­stel­lung der Be­am­ten auf Le­bens­zeit er­folgt. Art. 130 Satz 1 WRV be­inhal­te­te die Re­ge­lung, dass Be­am­te Die­ner der Ge­samt­heit und nicht ei­ner Par­tei sind. In Art. 130 Satz 2 WRV war be­stimmt, dass den Be­am­ten die Frei­heit ih­rer po­li­ti­schen Ge­sin­nung und die Ver­ei­ni­gungs­frei­heit gewähr­leis­tet wird. Der Rat der Volks­be­auf­trag­ten - die Über­g­angs­re­gie­rung des Deut­schen Reichs vom 10. No­vem­ber 1918 bis zum 11. Fe­bru­ar 1919 - verkünde­te in sei­nem Auf­ruf an das deut­sche Volk vom 12. No­vem­ber 1918 mit Ge­set­zes­kraft un­ter Ziff. 2 fol­gen­des: „Das Ver­eins- und Ver­samm­lungs­recht un­ter­liegt kei­ner Be­schränkung, auch nicht für Be­am­te und Staats­ar­bei­ter“.

Vgl. Auf­ruf des Ra­tes der Volks­be­auf­trag­ten vom 12. No­vem­ber 1918, in: Reichs-Ge­setz­bl. 1918, 1303.

In der Ka­bi­netts­sit­zung der Reichs­re­gie­rung vom 11. April 1919 führ­te Reichs­mi­nis­ter Go­thein aus, dass „sei­nes Er­ach­tens die Ko­ali­ti­ons­frei­heit nicht not­wen­dig das Streik­recht in sich schließe. Die Be­am­ten sei­en le­bensläng­lich an­ge­stellt und könn­ten da­her kein Streik­recht ha­ben, eben­so­we­nig wie ih­nen ge­genüber ein Aus­sper­rungs­recht be­ste­he“. Reichs­mi­nis­ter Schif­fer stimm­te zu und führ­te aus, ei­ne von Preußen ab­wei­chen­de Stel­lung­nah­me des Reichs sei übri­gens gar nicht möglich.

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Vgl. Ak­ten der Reichs­kanz­lei. Wei­ma­rer Re­pu­blik zum The­ma Streik­recht der Be­am­ten, im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich un­ter: http://www.bun­des­ar­chiv.de/ak­ten­reichs­kanz­lei/1 919-1933/0000/sch/sch1p/kap1_2/kap2_43/ para3_1.html#d8e45.

Im Zu­ge des Ei­sen­bah­ner­streiks im Jahr 1922 ver­bot der Reichspräsi­dent mit ei­ner auf Art. 48 Abs. 2 WRV gestütz­ten Not­ver­ord­nung vom 1. Fe­bru­ar 1922,

vgl. Ver­ord­nung des Reichspräsi­den­ten, be­tref­fend Ver­bot der Ar­beits­nie­der­le­gung durch Be­am­te der Reichs­bahn vom 1. Fe­bru­ar 1922, in Reichs-Ge­setz­bl. 1922, 187; auch im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich ab­ruf­bar un­ter: http://www.do­cu­men­t­ar­chiv.de/da/fs-not­ver­ord-nun­gen_reich­spra­e­si­dent.html,

die Ar­beits­nie­der­le­gung. In § 1 Abs. 1 die­ser Ver­ord­nung ist aus­geführt:

„Den Be­am­ten der Reichs­bahn ist eben­so wie al­len übri­gen Be­am­ten nach dem gel­ten­den Be­am­ten­rech­te die Ein­stel­lung oder Ver­wei­ge­rung der ih­nen ob­lie­gen­den Ar­beit ver­bo­ten.“

Die­se Ver­ord­nung ist - nach ent­spre­chen­der Ver­ein­ba­rung zwi­schen der Reichs­re­gie­rung und den Ge­werk­schaf­ten, die zu­ge­si­chert ha­ben, sämt­li­che Streik­maßnah­men auf­zu­ge­ben - durch wei­te­re Ver­ord­nung vom 9. Fe­bru­ar 1922,

vgl. Ver­ord­nung des Reichspräsi­den­ten, be­tref­fend die Auf­he­bung der Ver­ord­nung vom 1. Fe­bru­ar 1922 über das Ver­bot der Ar­beits­nie­der­le­gung durch Be­am­te der Reichs­bahn, in: Reichs-Ge­setz­bl. 1922 I, S. 205; auch im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich ab­ruf­bar un­ter: http://www.do­cu­men­t­ar­chiv.de/da/fs-not­ver­ord-nun­gen_reich­spra­e­si­dent.html,

auf­ge­ho­ben wor­den. In der Fol­ge­zeit wur­den in Straf-, Dis­zi­pli­nar- und Scha­dens­er­satz­pro­zes­sen die Ge­rich­te al­ler Ge­richts­zwei­ge mit der Ar­beits­nie­der­le­gung durch Be­am­te be­fasst, und al­le Reichs­ober­ge­rich­te (eben­so wie das Preußische Ober­ver­wal­tungs­ge­richt) bestätig­ten ein Streik­ver­bot für Be­am­te. Dies wur­de auf die dem Be­am­ten ge­genüber dem Staa­te ob­lie­gen­de Ge­hor­sams-, Treue- und Dienst­pflicht gestützt. Ein Streik­recht der Be­am­ten könne nicht aner-
 


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kannt wer­den, „weil es un­ver­ein­bar ist mit der Stel­lung ei­nes Be­am­ten in ei­nem ge­ord­ne­ten Rechts­staa­te. Der Be­am­te steht zum Staa­te nicht in ei­nem nur pri­vat­recht­li­chen Ver­trags­verhält­nis­se, son­dern die An­stel­lung be­gründet ein öffent­lich-recht­li­ches Ge­walt­verhält­nis mit be­son­de­ren Pflich­ten der Treue, des Ge­hor­sams und der ge­wis­sen­haf­ten Erfüllung der über­tra­ge­nen Auf­ga­ben“.

Vgl. Reichs­ge­richt, Ur­tei­le vom 24. Fe­bru­ar 1927 - 574/26 IV. -, JW 1927, 1249, und vom 30. Ok­to­ber 1922 - III 402/22 -, RGSt 56, 419 (422); Ur-tei­le des Reichs­dis­zi­pli­nar­hofs, in: Schul­ze-Si­mons, Die Recht­spre­chung des Reichs­dis­zi­pli­nar­ho­fes, 1926, S. 21, 77, 405; Preuß. OVG, Ur-teil vom 17. Ja­nu­ar 1924 - D. U. 7/22 -, in: Ent­schei­dun­gen des Preuß. OVG Bd. 78, 448 (452); sie­he auch: Kitt­ner, Ar­beits­kampf: Ge­schich­te, Recht, Ge­gen­wart, 2005, S. 435 f. 442 ff., im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich un­ter: http://books.goog­le.de/bookshl=de&id=Jo­eyAAAAIAAJ&dq=Kitt­ner&q=445; Zum Streik der Ei­sen­bah­ner 1922, in: Ar­bei­ter­po­li­tik 2007, 14, im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich un­ter: http://www.la­bour­net.de/dis­kus­si­on/ge­schich­te/ei senbahn1922.pdf.

Die Treue­pflicht des Be­am­ten ist seit­her bis heu­te ein prägen­des Struk­tur­merk­mal des Be­rufs­be­am­ten­tums,

vgl. BVerfG, Be­schluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 -, BVerfGE 39, 334,

und ne­ben dem Ali­men­ta­ti­ons­prin­zip (da­zu noch un­ter bb.) die tra­gen­de ver­fas­sungs­recht­li­che Säule für ein Streik­ver­bot der Be­am­ten als her­ge­brach­ter Grund­satz des Be­rufs­be­am­ten­tums i.S.d. Art. 33 Abs. 5 GG. Mit dem Ein­tritt in das Be­am­ten­verhält­nis - das auf ei­ge­nen An­trag er­folgt; nie­mand wird zu dem Be­am­ten­verhält­nis ge­zwun­gen - wird der Be­am­te ver­pflich­tet, sich voll für den Dienst­herrn ein­zu­set­zen und die­sem sei­ne ge­sam­te Ar­beits­kraft zur Verfügung zu stel­len.

Vgl. BVerfG, Ent­schei­dung vom 11. April 1967 - 2 BvL 3/62 -, BVerfGE 21, 329.


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Als Kor­re­lat hat der Dienst­herr - aus dem zu­vor auf­ge­zeig­ten Ge­samt­zu­sam­men-hang der His­to­rie und der be­am­ten­recht­li­chen Grundsätze - dem Be­am­ten und sei­ner Fa­mi­lie in Form von Dienst­bezügen so­wie ei­ner Al­ters- und Hin­ter­blie­ben­ver­sor­gung nach Dienstrang, Be­deu­tung des Am­tes und ent­spre­chend der Ent­wick­lung der all­ge­mei­nen Verhält­nis­se an­ge­mes­se­nen Le­bens­un­ter­halt zu gewähren. Denn mit dem Ein­tritt in das Be­am­ten­verhält­nis ver­liert der Be­am­te grundsätz­lich die Frei­heit zu an­der­wei­ti­ger Er­werbstätig­keit, weil der Staat die gan­ze Ar­beits­kraft des Be­am­ten und da­mit sei­ne vol­le Hin­ga­be for­dert. Dienst­bezüge, Ru­he­ge­halt und Hin­ter­blie­ben­ver­sor­gung bil­den al­so die Vor­aus­set­zung dafür, dass sich der Be­am­te ganz dem öffent­li­chen Dienst als Le­bens­be­ruf wid­men und in recht­li­cher so­wie wirt­schaft­li­cher Un­abhängig­keit zur Erfüllung der dem Be­rufs­be­am­ten­tum vom Grund­ge­setz zu­ge­wie­se­nen Auf­ga­be, im po­li­ti­schen Kräfte­spiel ei­ne sta­bi­le, ge­set­zes­treue Ver­wal­tung zu si­chern, bei­tra­gen kann. Dies ist zu­gleich die vom Staat fest­zu­set­zen­de Ge­gen­leis­tung dafür, dass sich der Be­am­te ihm - mit sei­ner gan­zen Ar­beits­leis­tung - treu zur Verfügung stellt und sei­ne Dienst­pflich­ten nach Kräften erfüllt. Vor die­sem Hin­ter­grund ist der Be­am­te dem All­ge­mein­wohl und da­mit zur un­ei­gennützi­gen Amtsführung ver­pflich­tet und hat bei der Erfüllung der ihm an­ver­trau­ten Auf­ga­ben sei­ne ei­ge­nen In­ter­es­sen zurück­zu­stel­len. Der Ein­satz wirt­schaft­li­cher Kampf- und Druck­mit­tel zur Durch­set­zung ei­ge­ner In­ter­es­sen, ins­be­son­de­re auch kol­lek­ti­ve Kampf­maßnah­men i.S.d. Art. 9 Abs. 3 GG - wie das Streik­recht -, sind ihm vor dem Hin­ter­grund sei­ner his­to­risch und durch das öffent­lich-recht­li­che Dienst­verhält­nis ge­prägten Treue­pflicht ver­wehrt.

Vgl. BVerfG, Be­schlüsse vom 19. Sep­tem­ber 2007 - 2 BvF 3/02 -, a. a. O., und vom 11. Ju­ni 1958 - 1 BvR 1/52 -, a. a. O.; Müller, Grundzüge des Be­am­ten­dis­zi­pli­nar­rechts, 2010, Rd­nr. 58.

bb. In die­sem Zu­sam­men­hang steht ein Streik­recht der Be­am­ten auch im Wi­der­spruch zu dem Ali­men­ta­ti­ons­prin­zip und dem Le­bens­zeit­prin­zip als je­weils wei­te­re tra­gen­de Säulen des Be­rufs­be­am­ten­tums und als her­ge­brach­te Grundsätze des Be­rufs­be­am­ten­tums.

Vgl. zum Ali­men­ta­ti­ons­prin­zip im All­ge­mei­nen:

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BVerfG, Be­schlüsse vom 2. Ok­to­ber 2007 - 2 BvR 1715/03 -, ZBR 2007, 416, und vom 20. März 2007 – 2 BvL 11/04 -, BVerfGE 117, 372; sie­he auch Wich­mann/Lan­ger, Öffent­li­ches Dienst­recht, 6. Aufl., 2007, S. 710, 711; im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich un­ter: http://books.goog­le.de/books?id=2sL25Rl7d-MC&print­sec=front­co­ver&dq=Wich­mann/lan­ger& hl=de#v=one­page&q=Ali­men­ta­ti­ons­prin­zip&f=fals e.; zum Le­bens­zeit­prin­zip im All­ge­mei­nen:

BVerfG, Be­schluss vom 19. Sep­tem­ber 2007 - 2 BvF 3/02 -, a. a. O.; BVerwG, Be­schluss vom 27. Sep­tem­ber 2007 - 2 C 21.06 u.a. -, BVerw­GE 129, 272 m.w.N.

Der Streik ist ein Ar­beits­kampf­mit­tel von Ar­beit­neh­mern in ei­nem pri­vat­recht­li­chen Ar­beits­verhält­nis ge­genüber ih­rem Ar­beit­ge­ber. Der Streik ist in­so­weit nur rechtmäßig, wenn er von ei­ner Ge­werk­schaft or­ga­ni­siert ist, sich ge­gen die an­de­re Ta­rif­ver­trags­par­tei rich­tet, die Frie­dens­pflicht des gülti­gen Ta­rif­ver­trags er­lo­schen ist, al­le an­de­ren Ver­hand­lungsmöglich­kei­ten ein­sch­ließlich der Sch­lich­tung aus­geschöpft sind und der Ar­beits­kampf nur in not­wen­di­gem Maße und fair be­trie­ben wird.

Vgl. BAG, Ur­tei­le vom 21. Ju­ni 1988 - 1 AZR 651/86 -, BA­GE 58, 364, vom 5. März 1985 - 1 AZR 468/83 -, ju­ris, Be­schluss vom 21. April 1971 - GS 1/68 -, BA­GE 23, 292.

Mit ei­nem Streik soll auf den Ar­beit­ge­ber in „Au­genhöhe“ Druck aus­geübt wer-den. Denn oh­ne die Möglich­keit der Druck­ausübung durch Streiks oder sons­ti­ge Kol­lek­tiv­maßnah­men wären Ta­rif­ver­hand­lun­gen nichts an­de­res als „kol­lek­ti­ves Bet­teln“.

Vgl. BAG, Ur­teil vom 10. Ju­ni 1980 - 1 AZR 822/79 -, BA­GE 33, 140; Goo­ren, Das En­de des Be­am­ten­streik­ver­bots, ZBR 2011, 400.


Hier zei­gen sich aber die sys­tem­im­ma­nen­ten grund­le­gen­den Un­ter­schie­de zwi­schen ei­nem pri­vat­recht­lich ge­re­gel­ten Ar­beits­verhält­nis und dem öffent­lich-recht­lich ge­re­gel­ten Dienst­verhält­nis ei­nes Be­am­ten. Die Be­sol­dung des Be­am­ten ist kei­ne Ver­hand­lungs­po­si­ti­on, die zwi­schen Ta­rif­ver­trags­par­tei­en auf „Au­genhöhe“ ge­re­gelt wer­den könn­te. Die Re­ge­lung der Be­sol­dung und Ver­sor­gung

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un­ter­liegt dem Ge­set­zes­vor­be­halt (§ 2 Abs. 1 BBesG, § 3 Abs. 1 Be­amt­VG). D.h., der Ge­setz­ge­ber legt ein­sei­tig die Be­sol­dung und Ver­sor­gung der Be­am­ten­schaft fest. Im Hin­blick auf die Be­am­ten fehlt in­so­weit sys­tem­be­dingt von vorn­her­ein ei­ne ver­han­del­ba­re und ta­riffähi­ge Si­tua­ti­on. Ein Streik der Be­am­ten würde sich mit­hin ge­gen den Ge­setz­ge­ber selbst rich­ten, wo­bei zu berück­sich­ti­gen ist, das der Dienst­herr in ei­ner Viel­zahl von Fällen (vgl. z.B. die Kom­mu­nal-be­am­ten etc.) über­haupt nicht Be­sol­dungs­ge­setz­ge­ber ist. Die ein­sei­ti­ge Fest­set­zung der Be­sol­dung der Be­am­ten durch den Ge­setz­ge­ber ist ein Kern­struk­tur­prin­zip des Be­am­ten­we­sens, das his­to­risch verbürgt auf Un­ter­halt so­wie Ali­men­ta­ti­on ent­spre­chend dem Dienstrang und da­mit der Be­deu­tung und Ver­ant­wor­tung des Be­am­ten an­ge­legt ist. Zwi­schen dem Dienst­herrn und dem Be­am­ten be­steht ein Über- und Un­ter­ord­nungs­verhält­nis und ge­ra­de nicht - wie bei Ta­rif­par­tei­en - ein Gleich­ge­wicht der Kräfte. Ins­be­son­de­re stellt die Be­sol­dung als Ali­men­ta­ti­on nicht „Vergütung“, „Ent­gelt“ oder „Lohn“ für zu er­brin­gen­de oder er­brach­te Leis­tun­gen dar, wie es aber bei den pri­vat­recht­lich ge­re­gel­ten Ar­beits­verhält­nis­sen der An­ge­stell­ten und Ar­bei­ter der Fall ist. Dies zeigt sich auch im Krank­heits­fall. Während pri­vat­recht­lich beschäftig­te An­ge­stell­te oder Ar­bei­ter, wenn sie ar­beits­unfähig er­krankt sind, (un­ge­ach­tet von et­wai­gen ta­rif­recht­li­chen Son­der­be­stim­mun­gen) nach dem Ent­gelt­fort­zah­lungs­ge­setz le­dig­lich ei­nen An­spruch dar­auf ha­ben, dass der Ar­beit­ge­ber das Ent­gelt für die Dau­er der Ar­beits­unfähig­keit - ma­xi­mal 6 Wo­chen - wei­ter zahlt und ab der 7. Wo­che von der Kran­ken­kas­se ein der Höhe nach ge­rin­ge­res Kran­ken­geld be­zie­hen, ha­ben die Per­so­nen in öffent­lich-recht­li­chen Dienst­verhält­nis­sen, wie u.a. die Be­am­ten, im Krank­heits­fall oh­ne ent­spre­chen­de Fris­ten ei­nen fort­be­ste­hen­den An­spruch auf (un­gekürz­te) Be­sol­dung, da in die­sem Beschäfti­gungs­verhält­nis der Un­ter­halts-und Ali­men­ta­ti­ons­cha­rak­ter im Vor­der­grund steht. Ei­ne Ver­gleich­bar­keit die­ser Beschäfti­gungs­sys­te­me be­steht nicht. Ins­be­son­de­re fehlt es im öffent­lich-recht­li­chen Dienst­verhält­nis auf der Grund­la­ge der sys­tem­be­ding­ten Un­ter­schie­de zu pri­vat­recht­li­chen Ar­beits­verhält­nis­sen an ent­spre­chen­den ta­riffähi­gen Zie­len, die im Rah­men ei­nes Ar­beits­kamp­fes ei­ner Ver­hand­lung zugäng­lich wären.

Der Ar­beits­kampf passt auch im Übri­gen nicht in die ver­fas­sungs­recht­lich vor­ge­ge­be­ne Sys­te­ma­tik des öffent­lich-recht­li­chen Dienst­verhält­nis­ses. Denn un­ter

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Pa­ritäts­ge­sichts­punk­ten - die im Ta­rif­recht maßgeb­lich sind - wäre ei­ne Streik­maßnah­me von Be­am­ten ge­genüber den Dienst­herrn ein un­glei­cher Kampf. Wer sich zum Ar­beits­kampf ent­schließt, muss dem Grun­de nach auch das Ri­si­ko die­ses Kamp­fes tra­gen.

Vgl. BAG, Be­schluss vom 28. Ja­nu­ar 1955 - GS 1/54 -, BA­GE 1, 291.

Der Ar­beit­neh­mer trägt (un­abhängig von ei­nem et­wai­gen Streik­geld der Ge­werk­schaft) das Ri­si­ko des Lohn­aus­falls und ris­kiert ggfs. so­gar sei­nen Ar­beits­platz. Der Ar­beit­ge­ber ris­kiert ne­ben dem Pro­duk­ti­ons­aus­fall die Ge­fahr stei­gen­der Ver­lus­te und Schäden bis zum wirt­schaft­li­chen Zu­sam­men­bruch. Der strei­ken­de Be­am­te hat auf­grund des Le­bens­zeit­prin­zips ei­ne unkünd­ba­re Stel­lung und auf­grund des Ali­men­ta­ti­ons­prin­zips hätte er selbst während ei­nes Ar­beits­kamp­fes - wenn man die­sen als le­gi­tim an­se­hen würde - ge­genüber dem Dienst­herrn ei­nen An­spruch auf wei­te­re Ali­men­ta­ti­on. Der Be­am­te würde durch ei­ne Streik­maßnah­me mit­hin kei­ner­lei Ri­si­ko tra­gen. Der Dienst­herr - der im Übri­gen auch nicht im­mer Be­sol­dungs­ge­setz­ge­ber ist (z.B. bei Kom­mu­nal­be­am­ten etc.) - wäre de le­ge la­ta wehr­los dem Streik aus­ge­setzt. Dies würde dem im Ar­beits­recht ge­prägten Prin­zip der Ar­beits­kampf­pa­rität wi­der­spre­chen und das Ri­si­ko des Ar­beits­kamp­fes ein­sei­tig zu­guns­ten des Be­am­ten er­leich­tern.

Vgl. Isen­see, Be­am­ten­streik, Zur Zulässig­keit des Dienst­kamp­fes, 1971, S. 44 f.

Hier schließt sich letzt­lich auch der L. der Ar­gu­men­ta­ti­on, denn die (be­reits un­ter aa. ab­ge­han­del­te) Treue­pflicht des Be­am­ten dient in­so­weit auch dem Schutz des Dienst­herrn, der sei­nem Be­am­ten ei­ne amts­an­ge­mes­se­ne Be­sol­dung, ei­ne lauf­bah­n­ent­spre­chen­de Beschäfti­gung und ei­nen si­che­ren Ar­beits-platz zur Verfügung zu stel­len hat. Es han­delt sich da­mit zwi­schen dem Be­am­ten und sei­nem Dienst­herrn um ein öffent­lich-recht­lich verbürg­tes ge­gen­sei­ti­ges Ge­ben und Neh­men. Im Übri­gen be­darf auch der Be­am­te zum Schutz sei­ner Rech­te kei­ner „Ar­beits­kampf­be­fug­nis­se“ wie der pri­vat­recht­lich Beschäftig­te. Ist der Be­am­te mit Maßnah­men sei­nes Dienst­herrn nicht ein­ver­stan­den, steht ihm nach Maßga­be des § 54 Abs. 2 Be­am­tStG (zu­vor § 126 Abs. 3 BRRG) die Möglich­keit des Wi­der­spruchs und im An­schluss der Ver­wal­tungs­rechts­weg of­fen. Ist der Be-

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am­te der An­sicht, dass sein Net­to­ein­kom­men nicht mehr aus­reicht, um ihm und sei­ner Fa­mi­lie ei­ne amts­an­ge­mes­se­ne Be­sol­dung zu ermögli­chen, kann er - im Ge­gen­satz zu ei­nem An­ge­stell­ten oder Ar­bei­ter - ei­ne ver­fas­sungs­wid­rig zu nied­ri­ge Ali­men­ta­ti­on im We­ge ei­ner Fest­stel­lungs­kla­ge ge­gen sei­nen Dienst­herrn gel­tend ma­chen.

Vgl. BVerwG, Ur­tei­le vom 28. Mai 2009 - 2 C 23.07 -, Buch­holz 11 Art. 57 Nr. 1, vom 20. März 2008 - 2 C 49.07 -, BVerw­GE 131, 20; Be­schluss vom 26. Mai 2011 - 2 B 22.10 -, ju­ris.

Ein sol­cher Weg ist den pri­vat­recht­lich Beschäftig­ten ver­schlos­sen, so dass die­se - im Ge­gen­satz zu Be­am­ten - auf Ar­beits­kampf­maßnah­men an­ge­wie­sen sind, um ih­ren In­ter­es­sen ge­genüber dem je­wei­li­gen Ar­beit­ge­ber Nach­druck zu ver­lei­hen.

cc. Das aus der Treue­pflicht, dem Ali­men­ta­ti­ons- und Le­bens­zeit­prin­zip ab­leit-ba­re Streik­ver­bot der Be­am­ten dient zu­dem der Auf­recht­er­hal­tung der Funk­ti­onsfähig­keit des öffent­li­chen Diens­tes. Der Be­am­te hat die Ein­hal­tung und Ausführung der staat­li­chen Re­ge­lun­gen si­cher­zu­stel­len. Die Auf­ga­be der Be­am­ten be­steht ge­ra­de dar­in, die staat­li­che Ord­nung im Rah­men der Ein­griffs­ver­wal­tung, aber auch bei der Gewährung staat­li­cher Leis­tun­gen im Rah­men der Da­seins­vor­sor­ge, die in be­son­de­rer Wei­se den Bürge­rin­nen und Bürgern dient, funk­ti­onsfähig zu hal­ten. Vor die­sem Hin­ter­grund sieht das Grund­ge­setz in Art. 33 Abs. 5 den Be­am­ten­sta­tus als be­son­de­res öffent­lich-recht­li­ches Beschäfti­gungs­verhält­nis aus­drück­lich vor. Al­le wich­ti­gen Auf­ga­ben­be­rei­che des Staa­tes sol­len durch die Tätig­keit der Be­am­ten­schaft in ih­rer Struk­tur auf­recht­er­hal­ten und voll funk­ti­onsfähig blei­ben.

Vgl. BVerwG, Ur­tei­le vom 19. Sep­tem­ber 1984 - 1 D 38.84 -, BVerw­GE 76, 193, vom 3. De­zem­ber 1980 - 1 D 86.79 -, BVerw­GE 73, 97, und vom 22. No­vem­ber 1979 - 1 D 84.78 -, BVerw­GE 63, 293; OVG Ber­lin, Ur­teil vom 18. Fe­bru­ar 1986 - D 16.85 -, a. a. O.; Lind­ner, Dürfen Be­am­te doch strei­ken ?, DÖV 2011, 305 (306); Heesen, Streik-recht für Leh­rer ?, ZfPR 2000, 162.

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c. Das Streik­ver­bot, das - wie die vor­ste­hen­den Ausführun­gen zu aa. bis cc. zei­gen - zu den her­ge­brach­ten Grundsätzen des Be­rufs­be­am­ten­tums gehört, ist nicht nur - wie der Wort­laut in Art. 33 Abs. 5 GG na­he le­gen könn­te -,

vgl. hier­zu: Goo­ren, a. a. O., S. 403,

zu „berück­sich­ti­gen“, son­dern auch zu be­ach­ten. Die­se „Berück­sich­ti­gungs­pflicht“ hat nicht bloßen „Ap­pell­cha­rak­ter“ und ihr man­gelt es auch nicht an der in­so­weit er­for­der­li­chen Ver­bind­lich­keit. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat dies mit der For­mu­lie­rung zum Aus­druck ge­bracht, dass die zum Kern­be­stand der Struk­tur­prin­zi­pi­en gehören­den Grundsätze des Be­rufs­be­am­ten­tums nicht nur zu „berück­sich­ti­gen“, son­dern zu „be­ach­ten“ sind.

Vgl. BVerfG, Be­schlüsse vom 20. März 2007 - 2 BvL 11/04 -, a. a. O., vom 7. Ju­li 1982 - 2 BvL 14/78 -, BVerfGE 61, 43, vom 14. Ju­ni 1960 - 2 BvL 7/60 -, BVerfGE 11, 203, und vom 11. Ju­ni 1958 - 1 BvR 1/52 -, a. a. O.

Si­cher­lich wird nicht jed­we­de be­am­ten­recht­li­che Re­ge­lung, die be­reits seit länge­rer Zeit be­steht, von der in­sti­tu­tio­nel­len Ga­ran­tie des Be­rufs­be­am­ten­tums er­fasst. Be­zugs­punkt des Art. 33 Abs. 5 GG ist das ge­wach­se­ne Be­rufs­be­am­ten“tum“. Geschützt sind in­so­weit nur die­je­ni­gen Re­ge­lun­gen und Grundsätze, die das Bild des Be­am­ten­tums in sei­ner über­kom­me­nen Ge­stalt maßgeb­lich prägen, so dass ih­re Be­sei­ti­gung auch das We­sen des Be­rufs­be­am­ten­tums an­tas­ten würde.

Vgl. BVerfG, Ur­teil vom 27. Sep­tem­ber 2005 - 2 BvR 1387/02 -, BVerfGE 114, 258.

Zu die­sem Kern­be­stand von Struk­tur­prin­zi­pi­en des Be­am­ten­verhält­nis­ses gehörten - wie be­reits oben dar­ge­stellt - seit je­her die Treue­pflicht des Be­am­ten,

vgl. BVerfG, Be­schlüsse vom 19. Sep­tem­ber 2007 - 2 BvF 3/02 -, a. a. O., und vom 22. Mai 1973 - 2 BvL 13/73 -, a. a. O.,

und das Ali­men­ta­ti­ons­prin­zip,

vgl. BVerfG, Ur­teil vom 14. Fe­bru­ar 2012 - 2 BvL 4/10 -, ju­ris; Be­schlüsse vom 15. Ok­to­ber 1985 - 2 BvL 4/83 -, BVerfGE 71, 39, und vom 25. No-

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vem­ber 1980 - 2 BvL 7/76 u.a. -, BVerfGE 55, 207.

Das Grund­ge­setz selbst nimmt in Art. 33 Abs. 4 (Dienst- und „Treue“-verhält­nis) auf den Be­griff der Treue des Be­am­ten Be­zug. Der Grund für das Fest­hal­ten an die­sem her­ge­brach­ten Grund­satz liegt auf der Hand: Der mo­der­ne "Ver­wal­tungs­staat" mit sei­nen eben­so vielfälti­gen wie kom­pli­zier­ten Auf­ga­ben, von de­ren sach­ge­rech­ter, ef­fi­zi­en­ter, pünkt­li­cher Erfüllung das Funk­tio­nie­ren des ge­sell­schaft­lich-po­li­ti­schen Sys­tems und die Möglich­keit ei­nes men­schenwürdi­gen Le­bens der Grup­pen, Min­der­hei­ten und je­des Ein­zel­nen Tag für Tag abhängt, ist auf ei­nen in­tak­ten, loya­len, pflicht­treu­en, dem Staat und sei­ner ver­fas­sungsmäßigen Ord­nung in­ner­lich ver­bun­de­nen Be­am­tenkörper an­ge­wie­sen. Ist auf die Be­am­ten­schaft kein Ver­lass mehr, so sind die Ge­sell­schaft und ihr Staat in kri­ti­schen Si­tua­tio­nen "ver­lo­ren". Den Be­am­ten und den Staat ver­bin­det ein be­son­de­res Band. Vor die­sem Hin­ter­grund kann das - wie oben auf­ge­zeigt - his­to­risch und funk­tio­nell be­gründe­te Streik­ver­bot als her­ge­brach­ter Grund­satz des Be­rufs­be­am­ten­tums nicht hin­weg ge­dacht wer­den, oh­ne dass die Treue­pflicht des Be­am­ten in ih­rer Struk­tur und ih­rem We­sens­ge­halt weg­fie­le. Das her­ge­brach­te Be­rufs­be­am­ten­tum würde sich, wenn den Be­am­ten ein Streik­recht zustünde, im we­sent­li­chen nicht mehr grund­le­gend von ei­nem pri­vat­recht­lich ge­re­gel­ten Ar­beits­verhält­nis un­ter­schei­den. Das Be­am­ten­tum als sol­ches wäre dann überflüssig. Eben­so überflüssig wäre dann das Ali­men­ta­ti­ons­prin­zip als wei­te­rer Kern­be­stand der be­am­ten­recht­li­chen Struk­tur. War­um soll der Dienst­herr wei­ter­hin zur Ali­men­ta­ti­on (ins­be­son­de­re Be­sol­dung, Ver­sor­gung, Bei­hil­fe) ver­pflich­tet sein, wenn im Ge­gen­zug das Kor­re­lat, nämlich die Treue­pflicht des Be­am­ten durch ein Streik­recht per­fo­riert und in sei­nen Grundzügen auf­ge­ho­ben wäre ? Dies zeigt, dass das Streik­ver­bot für Be­am­te zum Kern­be­stand der her­ge­brach­ten Grundsätze des Be­rufs­be­am­ten­tums gehört und da­mit von dem ein­fa­chen Ge­setz­ge­ber, den Ge­rich­ten, der Ver­wal­tung und den Be­tei­lig­ten die­ses öffent­lich-recht­li­chen Dienst­verhält­nis­ses (Dienst­herr und Be­am­ter) zu be­ach­ten ist.

Vgl. in die­sem Sin­ne auch: BVerfG, Be­schluss vom 19. Sep­tem­ber 2007 - 2 BvF 3/02 -, a. a. O.
 


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Die mit dem 52. Ge­setz zur Ände­rung des Grund­ge­set­zes vom 28. Au­gust 2006 (BGBl. I S. 2034) der bis da­hin gel­ten­den Fas­sung des Art. 33 Abs. 5 GG an­gefügte so­ge­nann­te „Fort­ent­wick­lungs­klau­sel“ hat nichts dar­an geändert, dass bei der Re­ge­lung und Ge­stal­tung des öffent­li­chen Dienst­rechts wei­ter­hin die her­ge­brach­ten Grundsätze des Be­rufs­be­am­ten­tums zu berück­sich­ti­gen sind. Ände­run­gen, die mit den Grund­struk­tu­ren des von Art. 33 Abs. 5 GG geschütz­ten Leit­bil­des des deut­schen Be­rufs­be­am­ten­tums nicht in Ein­klang ge­bracht wer­den können, ver­s­toßen auch wei­ter­hin ge­gen die Vor­ga­ben des Grund­ge­set­zes.

Vgl. BVerfG, Be­schlüsse vom 28. Mai 2008 - 2 BvL 11/07 -, BVerfGE 121, 205, und vom 19. Sep­tem­ber 2007 - 2 BvF 3/02 -, a. a. O.; OVG Rh.-Pf., Be­schluss vom 4. De­zem­ber 2009 - 10 A 10507/09 -, Schütz Be­am­tR ES/C I Nr. 10.

Schon aus dem in­so­weit un­veränder­ten Wort­laut der Be­stim­mung er­gibt sich, dass bei der Aus­le­gung des Art. 33 Abs. 5 GG so­wie der Re­ge­lung und Ge­stal­tung des öffent­li­chen Dienst­rechts wei­ter­hin die her­ge­brach­ten Grundsätze des Be­rufs­be­am­ten­tums - al­so auch das Ali­men­ta­ti­ons­prin­zip, die Treu­pflicht und das Streik­ver­bot für Be­am­te - zu berück­sich­ti­gen sind. Nach dem ein­deu­ti­gen Wort­laut die­ser Be­stim­mung enthält die „Fort­ent­wick­lungs­klau­sel“ le­dig­lich ei­nen Auf­trag an den Ge­setz­ge­ber, das öffent­li­che Dienst­recht fort­zu­ent­wi­ckeln, nicht aber den hierfür gel­ten­den Maßstab, die her­ge­brach­ten Grundsätze des Be­rufs­be­am­ten­tums, ab­zuändern.

Vgl. Sei­fert, Recht auf Kol­lek­tiv­ver­hand­lun­gen und Streik­recht für Be­am­te, KritV 2009, 357 (374).

Die­ses Er­geb­nis an­hand des Wort­lauts wird durch die Ent­ste­hungs­ge­schich­te der "Fort­ent­wick­lungs­klau­sel" bestätigt (vgl. BT-Drucks 16/813, S. 8 und 10). Ei­ne Ver­schie­bung der ver­fas­sungs­recht­li­chen Gren­zen der ge­setz­ge­be­ri­schen Re­ge­lungs­be­fug­nis war da­mit von vorn­her­ein nicht be­ab­sich­tigt. Viel­mehr heißt es hier­zu (BT-Drucks 16/813, S. 10): "Die her­ge­brach­ten Grundsätze des Be­rufs­be­am­ten­tums sind auch wei­ter­hin zu berück­sich­ti­gen. Un­berührt bleibt die ver­fas­sungs­recht­li­che Ga­ran­tie des Be­rufs­be­am­ten­tums." In der ab­sch­ließen­den Aus­spra­che der 44. Sit­zung des Deut­sche Bun­des­tags vom 30. Ju­ni 2006 (Ple­nar-

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pro­to­koll 16/44, S. 4258) be­ton­te die Bun­des­kanz­le­rin aus­drück­lich: „... Des­halb möch­te ich an die­ser Stel­le noch ein­mal be­to­nen, dass es für uns sehr wich­tig ist, dass wei­ter­hin die im Grund­ge­setz ver­an­ker­ten so ge­nann­ten her­ge­brach­ten Grundsätze des Be­rufs­be­am­ten­tums gel­ten sol­len. ...".

d. Auch für ei­ne funk­ti­ons­be­zo­ge­ne Dif­fe­ren­zie­rung des Streik­ver­bots für Be­am­te er­gibt sich aus dem Grund­ge­setz kei­ne Grund­la­ge. Art. 33 Abs. 4 GG be­stimmt, dass die Ausübung ho­heits­recht­li­cher Be­fug­nis­se als ständi­ge Auf­ga­be in der Re­gel An­gehöri­gen des öffent­li­chen Diens­tes zu über­tra­gen ist, die in ei­nem öffent­lich-recht­li­chen Dienst- und Treue­verhält­nis ste­hen. Die­ser „Funk­ti­ons­vor­be­halt“ be­gründet kein Recht des Ein­zel­nen, son­dern enthält ei­ne ob­jek­tiv-recht­li­che Ver­fas­sungs­re­ge­lung.

Vgl. Ba­du­ra, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. IV, Art. 33 Rd­nr. 55.

Um die Ausübung ho­heits­recht­li­cher Be­fug­nis­se han­delt es sich je­den­falls, wenn Be­fug­nis­se zum Grund­rechts­ein­griff im en­ge­ren Sin­ne aus­geübt wer­den, die öffent­li­che Ge­walt al­so durch Be­fehl oder Zwang un­mit­tel­bar be­schränkend (Ein­griffs­ver­wal­tung) auf grund­recht­lich geschütz­te Frei­hei­ten ein­wirkt.

Vgl. BVerfG, Ur­teil vom 18. Ja­nu­ar 2012 - 2 BvR 133/10 -, ju­ris.

Wie weit der Be­griff der ho­heits­recht­li­chen Be­fug­nis­se über die­sen en­gen Bdeu­tungs­ge­halt hin­aus­reicht, ist durch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt bis­lang noch nicht geklärt,

vgl. zum Mei­nungs­stand in der Li­te­ra­tur: Ma­sing, in: Sachs, GG, Bd. II, 2. Aufl., 2006, Art. 33 Rd­nr. 64,

und be­darf hier im vor­lie­gen­den Fall auch kei­ner Aus­le­gung durch den Se­nat. Dass Leh­rer - wie die Kläge­rin - auch im An­ge­stell­ten­verhält­nis beschäftigt wer­den können und dies mit dem Funk­ti­ons­vor­be­halt in Art. 33 Abs. 4 GG ver­ein­bar ist, weil Leh­rer in der Re­gel nicht schwer­punktmäßig ho­heit­lich ge­prägte Auf­ga­ben wahr­neh­men, die der be­son­de­ren Ab­si­che­rung durch den Be­am­ten­sta­tus bedürfen, ist durch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt geklärt.
 


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Vgl. BVerfG, Be­schluss vom 19. Sep­tem­ber 2007 - 2 BvF 3/02 -, a. a. O.

Dass mit­hin An­ge­stell­te und Be­am­te zum Teil die­sel­ben Auf­ga­ben über­neh­men, recht­fer­tigt ver­fas­sungs­recht­lich je­doch kei­ne Dif­fe­ren­zie­rung da­nach, je­den­falls für die­je­ni­gen Be­am­ten, die nicht dem Be­reich der Ein­griffs­ver­wal­tung zu­zu­ord­nen sind, ein Streik­recht an­zu­neh­men. Das Be­am­ten­verhält­nis ist seit je­her sta­tus­be­zo­gen. Es wird be­gründet durch ei­ne Er­nen­nung (vgl. § 8 LBG NRW a.F., § 8 Be­am­tStG). Die Rech­te (§§ 85 f. LBG NRW a.F., §§ 43 ff. Be­am­tStG) und Pflich­ten (§§ 55 ff. LBG NRW a.F., §§ 33 ff. Be­am­tStG) der Be­am­ten sind ty­pi­sie­rend be­stimmt und zwar un­abhängig da­von, wel­che kon­kre­te Funk­ti­on der ein­zel­ne Be­am­te ge­ra­de ausübt. Der Be­am­ten­sta­tus kennt kei­ne Klas­si­fi­zie­rung und ist nicht auf­spalt- und teil­bar. Die be­son­de­re Treue­pflicht des Be­am­ten ge­genüber sei­nem Dienst­herrn ist un­abhängig von der Tätig­keit, die er ausübt, und ge­wis­ser­maßen Geschäfts­grund­la­ge für sei­ne auf ei­ge­nen An­trag er­folg­te Er­nen­nung zum Be­am­ten. Der Po­li­zei­be­am­te oder Be­am­te im Ord­nungs­amt hat die glei­chen be­am­ten­recht­li­chen Rech­te und Pflich­ten wie der be­am­te­te Leh­rer oder der Kom­mu­nal­be­am­te in dem Lie­gen­schafts­amt oder im Be­schaf­fungs­we­sen. Auch die recht­li­che Stel­lung des Be­am­ten ist im ein­zel­nen un­abhängig von der Tätig­keit, die er ausübt. Das Be­am­ten­recht i.S.d. Art. 33 Abs. 5 GG und der Bun­des- und Lan­des­ge­set­ze kennt kei­ne funk­ti­ons­be­zo­ge­nen Be­am­ten­ka­te­go­ri­en mit un­ter­schied­li­chen Rech­ten und Pflich­ten. Den Be­am­ten in der Leis­tungs­ver­wal­tung trifft die­sel­be Treue­pflicht ge­genüber dem Dienst­herrn wie den Be­am­ten in der Ein­griffs­ver­wal­tung. Um­ge­kehrt gel­ten auch das Ali­men­ta­ti­ons­prin­zip und das Le­bens­zeit­prin­zip zu­guns­ten des Be­am­ten un­abhängig da­von, in wel­chem Tätig­keits­be­reich er ein­ge­setzt ist. Ei­ne funk­ti­ons­be­zo­ge­ne Dif­fe­ren­zie­rung wäre ein Ali­ud und künst­li­ches Kon­strukt, das mit den her­ge­brach­ten Grundsätzen des Be­rufs­be­am­ten­tums nicht zu ver­ein­ba­ren ist. Die Be­am­ten­schaft sitzt ins­ge­samt „im sel­ben Boot“. Würde man dem Be­am­ten in der Ein­griffs­ver­wal­tung ein Streik­recht ab­spre­chen und dem Be­am­ten in der Leis­tungs­ver­wal­tung oder den be­am­te­ten Leh­rern ein Streik­recht zu­spre­chen, wären - ab­ge­se­hen von den so­zia­len Span­nun­gen - gleich­heits­wid­ri­ge Un­ter­schei­dun­gen zwi­schen dienst­recht­lich Gleich­ge­stell­ten ein­geführt.
 


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Vgl. Isen­see, a. a. O., S. 104 f.

Ein Ver­wi­schen der be­am­ten­recht­li­chen Struk­tur­prin­zi­pi­en durch Mi­schung mit Ele­men­ten aus pri­vat­recht­lich ge­re­gel­ter Beschäfti­gungs­verhält­nis­sen wi­der-spricht den durch Art. 33 Abs. 5 GG geschütz­ten her­ge­brach­ten Grundsätzen des Be­rufs­be­am­ten­tums. Im öffent­li­chen Dienst ist da­her klar zwi­schen dem Be­am­ten­verhält­nis ei­ner­seits und dem An­ge­stell­ten- bzw. Ar­bei­ter­verhält­nis an­de­rer­seits - mit sei­ner je­wei­li­gen recht­lich ge­re­gel­ten Aus­prägung (Rech­te- und Pflich­ten­verhält­nis ei­ner­seits durch Ge­setz, an­de­rer­seits durch Ver­trag oder Ta­rif­ver­trag ge­re­gelt) - zu un­ter­schei­den. Ei­ne Misch­form bei­der Sys­te­me sieht das deut­sche Recht nicht vor.

Vgl. auch mit zu­tref­fen­den Ar­gu­men­ten: VG Os­nabrück, Ur­teil vom 19. Au­gust 2011 - 9 A 1/11 -, ZBR 2011, 389.

Dem Dienst­herrn bleibt es da­mit un­be­nom­men im öffent­li­chen Dienst - wie hier im Schul­we­sen in Be­zug auf Leh­rer - An­ge­stell­te ein­zu­stel­len. Er ist dann den be­son­de­ren in­sti­tu­tio­nel­len Vor­ga­ben nicht un­ter­wor­fen, die das Grund­ge­setz mit der Ein­rich­tung des Be­rufs­be­am­ten­tums ver­bin­det. Ent­schei­det sich der Dienst­herr in­des für ei­ne Ver­be­am­tung des Be­diens­te­ten - hier ei­ner Leh­re­rin -, so ist das be­gründe­te Be­am­ten­verhält­nis auch den Bin­dun­gen des Art. 33 Abs. 5 GG un­ter­wor­fen. In be­zug auf das Schul­we­sen hat die Über­nah­me der Lehr­kräfte ins Be­am­ten­verhält­nis für den Dienst­herrn vie­le - ins­be­son­de­re auch fi­nan­zi­el­le - Vor­tei­le. Sie be­freit ihn von dem Zwang, Ar­beits- und Ent­gelt­be­din­gun­gen mit den Ta­rif­par­tei­en aus­zu­han­deln und ab­zu­stim­men. Die Aus­ge­stal­tung des Be­am­ten­verhält­nis­ses ist der ein­sei­ti­gen Re­ge­lungs­kom­pe­tenz des Be­am­ten­ge­setz­ge­bers un­ter­stellt. Dem­ent­spre­chend liegt es in sei­nem Ge­stal­tungs­spiel­raum, die wöchent­li­che Ar­beits­zeit oder die Fest­set­zung des Ru­he­stands­al­ters zu be­stim­men. Das Be­am­ten­verhält­nis er­laubt dem Dienst­herrn ei­nen fle­xi­blen Ein­satz der Beschäftig­ten. Der Hand­lungs­spiel­raum be­steht auch in Be­zug auf die ört­li­che Ver­wen­dung, weil das Be­am­ten­recht die Ver­set­zung ei­nes Be­am­ten auch ge­gen sei­nen Wil­len im dienst­li­chen In­ter­es­se ermöglicht. Der Be­am­te ist sei­nem Dienst­herrn zur Treue ver­pflich­tet und zum Ein­satz kol­lek­ti­ver Druck­mit­tel wie des Streiks nicht be­fugt. Er hat sei­nen Dienst­herrn loy­al zu un­terstützen und ist

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auch bei der Auf­nah­me von Ne­bentätig­kei­ten nicht frei. Sch­ließlich un­ter­steht der Be­am­te der Dis­zi­plinar­ge­walt des Dienst­herrn.

Vgl. BVerfG, Be­schluss vom 19. Sep­tem­ber 2007 - 2 BvF 3/02 -, a. a. O.

Die Dop­pel­rol­le des Staa­tes als ta­riffähi­ger Ar­beit­ge­ber ge­genüber den An­ge­stell­ten und Ar­bei­tern im öffent­li­chen Dienst auf der ei­nen Sei­te und als Dienst­herr ge­genüber den Be­am­ten auf der an­de­ren Sei­te ändert an der sta­tus­be­zo­ge­nen Sicht­wei­se mit Blick auf das Streik­ver­bot der Be­am­ten nichts. Dem steht ins­be­son­de­re auch nicht die Ent­schei­dung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts vom 7. Ju­ni 2000 - 1 D 4.99 -, BVerw­GE 111, 231, ent­ge­gen, in der ei­nem be­ur­laub­ten Fern­mel­de­be­am­ten während sei­ner Beschäfti­gung bei ei­ner Toch­ter­ge­sell­schaft der Te­le­kom AG ein Streik­recht zu­ge­spro­chen wur­de, weil er - wie sich aus den Ent­schei­dungs­gründen er­gibt - während sei­ner Be­ur­lau­bung nach Ta­rif, d.h. pri­vat­recht­lich, be­zahlt wor­den ist. Die Dienst­leis­tungs­pflicht und die Be­sol­dungs­ansprüche ruh­ten für die Zeit der Be­ur­lau­bung, so dass kein Grund er­sicht­lich war und ist, dem in ei­nem pri­vat­recht­li­chen Ar­beits­verhält­nis ste­hen­den be­ur­laub­ten Be­am­ten das Streik­recht ge­genüber dem pri­va­ten Ar­beit­ge­ber nach Art. 9 Abs. 3 GG ab­zu­spre­chen. Die­ser Fall ist aber nicht ver­gleich­bar mit dem ei­nes Be­am­ten, der - wie die Kläge­rin - nicht be­ur­laubt ist, son­dern in ei­nem ak­ti­ven Be­am­ten­verhält­nis der Treue- und Dienst­leis­tungs­pflicht ge­genüber sei­nem Dienst­herrn un­ter­liegt.

Der vor­lie­gen­de Fall bie­tet auch un­ter Berück­sich­ti­gung der Be­son­der­heit der Beschäfti­gung im Schul­we­sen kei­nen An­lass zu ei­ner an­de­ren Be­wer­tung. Ge­ra­de auch im Schul­be­reich ist das Streik­ver­bot für be­am­te­te Leh­rer not­wen­dig und sinn­voll. Bei dem Schul­we­sen han­delt es sich nicht le­dig­lich um ei­nen schlicht fis­ka­li­schen Be­reich, son­dern um ein öffent­lich-recht­li­ches Rech­te- und Pflich­ten­verhält­nis (vgl. § 42 Abs. 1 SchulG NRW). Das Schul­we­sen un­ter­liegt gemäß Art. 7 Abs. 1 GG der staat­li­chen Auf­sicht. Der Staat hat den Schul­frie­den si­cher­zu­stel­len,

vgl. BVerfG, Be­schlüsse vom 22. Fe­bru­ar 2006 - 2 BvR 1657/05 -, ju­ris, und vom 27. Ja­nu­ar 1976 - 1 BvR 2325/73 -, BVerfGE 41, 251; BVerwG,

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Be­schluss vom 16. De­zem­ber 2008 - 2 B 46.08 -, NJW 2009, 1289,

und ihm ob­liegt der staat­li­che Bil­dungs- und Er­zie­hungs­auf­trag (vgl. auch § 2 SchulG NRW).

Vgl. BVerfG, Be­schluss vom 16. April 2002 - 1 BvR 279/02 -, DVBl. 2002, 971; BVerwG, Ur­teil vom 30. No­vem­ber 2011 - 6 C 20.10 -, Städte-und Ge­mein­de­rat 2012, 29; OVG NRW, Be­schluss vom 29. Ju­li 2010 - 19 A 590/08 -, ju­ris.

Leh­rer - wie die Kläge­rin - erfüllen die­sen Bil­dungs- und Er­zie­hungs­auf­trag des Staa­tes. Sie ha­ben da­bei die un­mit­tel­ba­re pädago­gi­sche Ver­ant­wor­tung für den Un­ter­richt und die Er­zie­hung der Schüler.

Vgl. BVerfG, Ur­teil vom 24. Sep­tem­ber 2003 - 2 BvR 1436/02 -, BVerfGE 108, 282.

Ein Streik durch be­am­te­te Leh­rer im Bil­dungs­be­reich rich­tet sich fak­tisch nicht ge­gen den Dienst­herrn, son­dern be­nach­tei­ligt die Men­schen, die sich im Bil­dungs­pro­zess be­fin­den, al­so die Schüle­rin­nen und Schüler, die oh­ne je­den Ein­fluss sind auf sol­che Be­rei­che, die Ge­gen­stand von Ar­beits­kampf­maßnah­men sind, al­so Be­zah­lung, Ar­beits­zeit etc.

Vgl. Heesen, a. a. O., S. 162.

Der Schul- und Un­ter­richts­teil­nah­me­pflicht der Schüle­rin­nen und Schüler (vgl. §§ 34 ff., 43 Abs. 1 Satz 1 SchulG NRW) - die auch mit Zwangs­mit­teln durch­ge­setzt wer­den kann (vgl. § 41 Abs. 3 und 5 SchulG NRW) - ent­spricht die Un­ter­richts-und Dienst­leis­tungs­pflicht der be­am­te­ten Leh­rer. Der Staat wäre schlicht­weg nicht in der La­ge, sei­nen Er­zie­hungs- und Bil­dungs­auf­trag zu erfüllen und auch im Hin­blick auf die min­derjähri­gen Schüle­rin­nen und Schüler (Stich­wort „Si­che­re Schu­le“) sei­ner Be­treu­ungs­pflicht nach­zu­kom­men, wenn er zur Erfüllung die­ser Pflich­ten nicht we­nigs­tens auf die zur be­son­de­ren Treue ver­pflich­te­ten be­am­te­ten Leh­rer zurück­grei­fen könn­te. Im Übri­gen ist zu berück­sich­ti­gen, dass durch das Streik­ver­bot die Ko­ali­ti­ons­frei­heit (Art. 9 Abs. 3 GG), Ver­samm­lungs­frei­heit (Art. 8 Abs. 1 GG) und Mei­nungs­frei­heit (Art. 5 Abs. 1 GG) der be­am­te­ten Leh­rer an-

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sons­ten un­an­ge­tas­tet bleibt. Auch wenn Leh­rer durch die wöchent­li­chen Un­ter­richts­pflicht­stun­den,

bei der an ei­ner Re­al­schu­le ein­ge­setz­ten Kläge­rin sind dies 28 St­un­den, vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 3 der VO zu § 93 Abs. 2 SchulG v. 18. März 2005 (GV. NRW. S. 218), zu­letzt geändert durch VO v. 10. Ju­li 2011 (SGV. NRW. 223),

so­wie die Un­ter­richts­vor­be­rei­tung, die Un­ter­richts­nach­be­ar­bei­tung, El­tern­sprech­ta­ge, Klas­sen­fahr­ten etc. stark dienst­lich be­an­sprucht sind, bleibt in den Fe­ri­en und sons­ti­gen un­ter­richts­frei­en Zei­ten aus­rei­chend Möglich­keit, sich für die Be­lan­ge des Schul­we­sens und der ei­ge­nen Be­sol­dung ein­zu­set­zen.

2. Ein Streik­recht für Be­am­te in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land lässt sich auch nicht aus dem Völker- oder Eu­ro­pa­recht her­lei­ten.

a. Ein Streik­recht für deut­sche Be­am­te er­gibt sich ins­be­son­de­re nicht aus der Kon­ven­ti­on zum Schut­ze der Men­schen­rech­te und Grund­frei­hei­ten (Eu­ropäische Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on - EM­RK) und der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR).

aa. Die EM­RK und ih­re Zu­satz­pro­to­kol­le sind völker­recht­li­che Verträge. Die Kon­ven­ti­on überlässt es den Ver­trags­par­tei­en, in wel­cher Wei­se sie ih­rer Pflicht zur Be­ach­tung der Ver­trags­vor­schrif­ten genügen. In der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ist die Kon­ven­ti­on kei­ne all­ge­mei­ne Re­gel des Völker­rechts (Art. 25 GG).

Vgl. BVerfG, Ur­teil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 u.a. -, BGBl. I 2011, 1003 = NJW 2011, 1931; Mey­er-La­de­wig, EM­RK Hand­kom­men­tar, 3. Aufl., 2011, Ein­lei­tung Rd­nr. 33.

Der Bun­des­ge­setz­ge­ber hat der EM­RK aber je­weils mit förm­li­chem Ge­setz gemäß Art. 59 Abs. 2 GG zu­ge­stimmt (vgl. Ge­setz über die Kon­ven­ti­on zum Schut­ze der Men­schen­rech­te und Grund­frei­hei­ten vom 7. Au­gust 1952 , BGBl. II S. 685; die Kon­ven­ti­on ist gemäß der Be­kannt­ma­chung vom 15. De­zem­ber 1953, BGBl. 1954 II S. 14, am 3. Sep­tem­ber 1953 für die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land in Kraft ge­tre­ten; in­zwi­schen in der Fas­sung der Be­kannt­ma­chung vom 22. Ok­to-

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ber 2010, BGBl. II S. 1198). Da­mit hat der Ge­setz­ge­ber die EM­RK in deut­sches Recht trans­for­miert und ei­nen ent­spre­chen­den Rechts­an­wen­dungs­be­fehl er­teilt. In­ner­halb der deut­schen Rechts­ord­nung ste­hen die EM­RK und ih­re Zu­satz­pro­to­kol­le - so­weit sie für die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land in Kraft ge­tre­ten sind - im Ran­ge ei­nes Bun­des­ge­set­zes.

Vgl. BVerfG, Ur­teil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 u.a. -, a. a. O.; Be­schlüsse vom 14. Ok­to­ber 2004 - 2 BvR 1481/04 -, BVerfGE 111, 307, und vom 29. Mai 1990 - 2 BvR 254/88 u.a. -, BVerfGE 82, 106.

Die­se Rang­zu­wei­sung be­deu­tet, dass deut­sche Ge­rich­te die Kon­ven­ti­on wie an­de­res Ge­set­zes­recht des Bun­des im Rah­men me­tho­disch ver­tret­ba­rer Aus­le­gung zu be­ach­ten und an­zu­wen­den ha­ben. Die Gewähr­leis­tun­gen der EM­RK sind aber kein un­mit­tel­ba­rer ver­fas­sungs­recht­li­cher Prüfungs­maßstab, sie be­ein­flus­sen je­doch die Aus­le­gung der Grund­rech­te und rechts­staat­li­chen Grundsätze des Grund­ge­set­zes und bie­ten in­so­weit ei­ne Ori­en­tie­rungs­hil­fe. Die Gren­zen die­ser Aus­le­gung er­ge­ben sich je­doch aus dem Grund­ge­setz.

Vgl. BVerfG, Be­schluss vom 14. Ok­to­ber 2004 - 2 BvR 1481/04 -, a. a. O.

Die Auf­ga­be des EGMR ist es si­cher­zu­stel­len, dass die Ver­trags­par­tei­en der EM­RK die durch die Ra­ti­fi­zie­rung über­nom­me­nen Ver­pflich­tun­gen ein­hal­ten. Der EGMR kann Kon­ven­ti­ons­ver­let­zun­gen fest­stel­len und den Un­ter­zeich­ner­staat nach Art. 41 EM­RK zum Er­satz im­ma­te­ri­el­len Scha­dens ver­ur­tei­len,

vgl. EGMR, Ur­teil vom 16. Ju­li 2009 - 8453/04 -, NVwZ 2010, 1015; BVerwG, Be­schluss vom 26. Ok­to­ber 2011 - 2 B 69.10 -, ju­ris; Mey­er-La­de­wig, EM­RK, a. a. O. Art. 41 Rd­nr. 1 ff.,

hat je­doch nicht die Voll­stre­ckungs­be­fug­nis das der Kon­ven­ti­on ent­ge­gen­ste­hen­de in­ner­staat­li­che Recht selbst auf­zu­he­ben. Die Ent­schei­dun­gen des EGMR be­sit­zen ins­be­son­de­re kei­ne Ge­set­zes­qua­lität, viel­mehr spricht Art. 46 Abs. 1 EM­RK nur ei­ne Bin­dung der be­tei­lig­ten Ver­fah­ren­spar­tei­en („in­ter par­tes“) an das endgülti­ge Ur­teil in Be­zug auf ei­nen be­stimm­ten Streit­ge­gen­stand aus („res iu­di­ca­ta“).

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Vgl. BVerfG, Ur­teil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 u.a. -, a. a. O.

bb. We­der aus der EM­RK noch aus der Recht­spre­chung des EGMR lässt sich ein Streik­recht für deut­sche Be­am­te ab­lei­ten (1). Aber selbst wenn man aus dem Kon­ven­ti­ons­recht ein Streik­recht auch für Be­am­te - oder zu­min­dest für die­je­ni­gen Be­am­ten, die nicht ho­heit­lich ge­prägte Auf­ga­ben wahr­neh­men - ab­lei­ten würde, steht dem je­den­falls in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land das durch Art. 33 Abs. 5 GG - als her­ge­brach­ter Grund­satz des Be­rufs­be­am­ten­tums - verbürg­te Streik­ver­bot für Be­am­te ent­ge­gen. Die Re­ge­lun­gen der EM­RK ste­hen in der deut­schen Rechts­ord­nung im Ran­ge ei­nes Bun­des­ge­set­zes un­ter­halb des Grund­ge­set­zes und können so­mit das ver­fas­sungs­un­mit­tel­ba­re Streik­ver­bot für Be­am­te nicht in Fra­ge stel­len (2).

(1) Aus­ge­hend vom Wort­laut ist we­der im ursprüng­li­chen Text der EM­RK noch in den Zu­satz­pro­to­kol­len ein Streik­recht als Grund- oder Men­schen­recht aus­drück­lich ge­nannt.

Vgl. auch Lind­ner, a. a. O. S. 306; B. / Schu­bert, in: Kar­pen­stein, EM­RK, 2012, Art. 11 Rd­nr. 53; Fütte­rer, Das Ko­ali­ti­ons- und Streik-recht im EU-Recht nach dem Wan­del der Recht­spre­chung des EGMR zur Ko­ali­ti­ons­frei­heit gemäß Art. 11 EM­RK (De­mir und Bay­ka­ra und an-de­re), Eu­ZA 2011, 505 (511).

In Art. 11 Abs. 1 EM­RK ist be­stimmt, dass je­de Per­son das Recht hat, sich frei und fried­lich mit an­de­ren zu ver­sam­meln und sich frei mit an­de­ren zu­sam­men­zu­sch­ließen; da­zu gehört auch das Recht, zum Schutz sei­ner In­ter­es­sen Ge­werk­schaf­ten zu gründen und Ge­werk­schaf­ten bei­zu­tre­ten. Ein Streik­recht - ins­be­son­de­re für Be­am­te - fin­det sich in dem Text aus­drück­lich nicht.

Al­ler­dings ist der Rech­te- und Wer­te­ka­ta­log der EM­RK nicht iso­liert an dem Wort­laut der Kon­ven­ti­on zu mes­sen, son­dern im Zu­sam­men­hang mit der Recht­spre­chung des zur In­ter­pre­ta­ti­on der EM­RK be­ru­fe­nen EGMR zu se­hen. Der EGMR hat im Hin­blick auf die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land als Ver­fah­ren­spar­tei in kei­ner Ent­schei­dung die Fest­stel­lung ge­trof­fen, dass das Streik­ver­bot der

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deut­schen Be­am­ten ge­gen Be­stim­mun­gen der Kon­ven­ti­on - na­ment­lich Art. 11 EM­RK - ver­s­toße. Auch den ein­schlägi­gen Ent­schei­dun­gen des EGMR kann nach Auf­fas­sung des er­ken­nen­den Se­nats,

an­ders das VG Kas­sel, Ur­teil vom 27. Ju­li 2011 - 28 K 1208/10.KS.D -, AuR 2011, 375,

nicht ent­nom­men wer­den, dass das Streik­ver­bot für Be­am­te in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land kon­ven­ti­ons­wid­rig sei. So hat der EGMR in dem Ver­fah­ren Schmidt und Dahl­ström . /. Schwe­den,

vgl. EGMR, Ur­teil vom 6. Fe­bru­ar 1976 – 5589/72, EGMR 1, 172; im In­ter­net auch all­ge­mein zugäng­lich ab­ruf­bar un­ter: http://www.eu­grz.in­fo/pdf/EGMR22.pdf,

zur Rd­nr. 36 der Ent­schei­dungs­gründe aus­geführt: „Das Streik­recht, das in Art. 11 nicht aus­drück­lich ver­an­kert ist, kann durch das in­ner­staat­li­che Recht ei­ner Re­ge­lung un­ter­wor­fen wer­den, die so ge­stal­tet ist, dass sie sei­ne Ausübung in be­stimm­ten Fällen ein­schränkt“. Ei­ne Kehrt­wen­de in sei­ner Recht­spre­chung hat der EGMR in dem Ver­fah­ren Wil­son und Na­tio­nal Uni­on of Jour­na­lists . /. Ver­ei­nig­tes König­reich,

vgl. EGMR, Ur­teil vom 2. Ok­to­ber 2002 – 30668/96, 30671/96, 30678/96, Rd­nr. 46, im In­ter­net all­ge­mein­zugäng­lich un­ter: http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/view.asp?item= 2&por­tal=hbkm&ac­tion=html&high­light=30668/96 &ses­sio­nid=86181956&skin=hu­doc-en,

voll­zo­gen, in­dem er die Be­schränkun­gen ei­nes Streiks an den Recht­fer­ti­gungs­gründen des Art. 11 Abs. 2 EM­RK ge­mes­sen hat und ausführ­te, dass zu ei­nem Sys­tem frei­wil­li­ger Kol­lek­tiv­ver­hand­lun­gen auch das Recht gehört, Ar­beits­kampf­maßnah­men zu er­grei­fen. Das Ver­wal­tungs­ge­richt Düssel­dorf hat in der hier an­ge­foch­te­nen Ent­schei­dung eben­so wie das Ver­wal­tungs­ge­richt Kas­sel,

vgl. VG Kas­sel, Ur­teil vom 27. Ju­li 2011 - 28 K 1208/10.KS.D -, a. a. O.,

und Tei­le der Li­te­ra­tur,

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vgl. Löber, An­mer­kung zu dem hier in Re­de ste­hen­den Ur­teil des VG Düssel­dorf vom 15. De­zem­ber 2010 - 31 K 3904/10.O -, AuR 2011, 76; Nie­do­b­itek, De­na­tio­na­li­sie­rung des Streik­rechts – auch für Be­am­te ? - Ten­den­zen im eu­ropäischen und im in­ter­na­tio­na­len Recht -, ZBR 2010, 361 (367); Lörcher, Das Men­schen­recht auf Kol­lek­tiv­ver­hand­lung und Streik - auch für Be­am­te, AuR 2009, 229 f.,

aus der Recht­spre­chung des EGMR in dem Ver­fah­ren De­mir und Bay­ka­ra . /. Türkei,

vgl. EGMR, Ur­teil vom 12. No­vem­ber 2008 – 34503/97, NZA 2010, 1425, AuR 2009, 269, im französi­schen Ori­gi­nal­text im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich un­ter:
http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/view.asp ?item=1&por­tal=hbkm&ac­tion=html& high-light=34503/97&ses­sio­nid=86181956&
skin=hu­doc-en,

ei­ne völker­recht­li­che Gewähr­leis­tung des Streik­rechts auch für Be­am­te ab­ge­lei­tet. Dem ver­mag sich der Se­nat nicht an­zu­sch­ließen. Im Kern ging es in die­sem Ver­fah­ren dar­um, dass es nach An­sicht des EGMR der Aus­le­gung des Art. 11 EM­RK wi­der­spre­che, wenn An­gehöri­ge des öffent­li­chen Diens­tes kei­ne Ge­werk­schaf­ten bil­den und kei­ne Ta­rif­ver­hand­lun­gen mit ih­rem Ar­beit­ge­ber führen dü¬fen. Die Ein­schränkun­gen in Art. 11 Abs. 2 EM­RK sei­en eng aus­zu­le­gen. Ge­mein­de­be­diens­te­te sei­en da­nach grundsätz­lich kei­ne „An­gehöri­gen der Staats­ver­wal­tung“ i.S.d. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EM­RK. Der EGMR hat un­ter Rd­nr. 158 der Ent­schei­dungs­gründe aus­drück­lich klar­ge­stellt,

„Quant aux ar­gu­ments des re­quérants tirés de l'in­suf­fi­sance des dis­po­si­ti­ons de la no-vel­le légis­la­ti­on du point de vue des droits syn­di­caux des fonc­tion­n­ai­res, la Cour rap­pel­le que l'ob­jet de la présen­te re­quête ne s'étend pas au fait que la nou­vel­le légis­la­ti­on tur­que n'im­po­se pas à l'ad­mi­nis­tra­ti­on l'ob­li­ga­ti­on de con­clu­re des con­ven­ti­ons collec­tives avec les syn­di­cats de fonc­tion­n­ai­res, ni au fait que ces der­niers n'ont pas le droit de grève en cas de non-abou­tis­se­ment des négo­cia­ti­ons collec­tives. “,

dass Fra­gen des Ver­bots des Streik­rechts im öffent­li­chen Dienst - da­mit auch ei­nes Be­am­ten­streik­rechts - nicht Ge­gen­stand die­ses Ver­fah­rens sind.

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Vgl. EGMR, Ur­teil vom 12. No­vem­ber 2008 - 34503/97, ausführ­lich in: AuR 2009, 269 (273) und im französi­schen Ori­gi­nal­text, a. a. O.

Deut­li­cher kann ein Ge­richt die Gren­zen des Ver­fah­rens­ge­gen­stan­des kaum for­mu­lie­ren. Ein völker­recht­lich ver­an­ker­tes Streik­recht für Be­am­te oder be­stimm­te Ka­te­go­ri­en von Be­am­ten lässt sich aus die­ser Ent­schei­dung nicht ab­lei­ten. Aus die­ser Ent­schei­dung er­gibt sich nur, dass Art. 11 EM­RK auch im Be­reich des öffent­li­chen Diens­tes Gel­tung ent­fal­tet und dass dem EGMR ei­ne Dif­fe­ren­zie­rung da­nach vor­schwebt, ob Beschäfti­ge im öffent­li­chen Dienst Staats­ge­walt im ei­gent­li­chen Sin­ne („...droit pour les fonc­tion­n­ai­res des ad­mi­nis­tra­ti­ons lo­ca­les non déten­teurs de pou­voirs éta­ti­ques de me­ner des négo­cia­ti­ons collec­tives pour la déter­mi­na­ti­on de leur rémunéra­ti­on et de leurs con­di­ti­ons de tra­vail a été re­con­nu dans la ma­jo­rité des Etats contrac­tants ...“, vgl. Rd­nr. 151 im französi­schen Ori­gi­nal­text, a. a. O.). ausüben. Die Un­ter­zeich­ner­staa­ten sol­len da­bei frei blei­ben, ihr Rechts­sys­tem so zu or­ga­ni­sie­ren, dass sie re­präsen­ta­ti­ven Ge­werk­schaf­ten mögli­cher­wei­se ei­ne be­son­de­re Rechts­stel­lung gewähren. An­gehöri­ge des öffent­li­chen Diens­tes müssen von ganz be­son­de­ren Aus­nah­men ab­ge­se­hen, wie an­de­re Ar­beit­neh­mer die­se Rech­te ha­ben, un­be­scha­det der rechtmäßigen Ein­schränkun­gen, die den An­gehöri­gen der Staats­ver­wal­tung i.S. von Art. 11 Abs. 2 EM­RK auf­er­legt wer­den können („... en prin­ci­pe, de­venu l'un des éléments es-sen­ti­els du « droit de fon­der avec d'au­tres des syn­di­cats et de s'af­fi­lier à des syn­di­cats pour la défen­se de ses intérêts » énoncé à l'ar­ti­cle 11 de la Con­ven­ti­on, étant en­t­en­du que les Etats de­meu­rent li­b­res d'or­ga­niser leur système de ma-nière à re­con­naître, le cas échéant, un sta­tut spéci­al aux syn­di­cats re­présen­ta-tifs. Com­me les au­tres tra­vail­leurs, les fonc­tion­n­ai­res, mis à part des cas très par-ti­cu­liers, doiv­ent en bénéfi­cier, sans préju­di­ce tou­te­fois des ef­fets des « res-tric­tions légi­ti­mes » pou­vant de­voir être im­posées aux « mem­bres de l'ad­mi­nis-tra­ti­on de l'Etat » au sens de l'ar­ti­cle 11 ...“, vgl. Rd­nr. 154 im französi­schen Ori¬gi­nal­text, a. a. O). Hier­aus zieht der EGMR in der Ent­schei­dung De­mir und Bay-ka­ra . /. Türkei die Schluss­fol­ge­rung, dass die türki­schen Ge­mein­de­be­diens­te­ten den Ein­schränkun­gen des Art. 11 Abs. 2 EM­RK nicht un­terlägen (...dont ce­pen­dant les re­quérants en l'espèce ne font pas par­tie ...“, vgl. Rd­nr. 154 im französi­schen Ori­gi­nal­text, a. a. O) . Ab­ge­se­hen da­von, dass die­se Ent­schei­dung

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sich nicht mit dem Streik­recht im öffent­li­chen Dienst aus­ein­an­der­setzt und nur in­ter par­tes (s.o.) im Verhält­nis zur Türkei Bin­dung ent­fal­tet, sind die Rechts­verhält­nis­se in der Türkei - die al­lein Ge­gen­stand der Ent­schei­dung wa­ren - of­fen-kun­dig auch nicht oh­ne Wei­te­res auf die Rechts­verhält­nis­se in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land über­trag­bar, denn Be­diens­te­te in den Kom­mu­nal­ver­wal­tun­gen üben in Deutsch­land durch­aus Staats­ge­walt aus (vgl. in der Ein­griffs­ver­wal­tung: z.B. Be­diens­te­te im Ord­nungs­amt, Bau­ord­nungs­amt, Ge­wer­be­auf­sicht - durch Er­lass von ord­nungs­recht­li­chen Be­schei­den und An­ord­nun­gen -, im Be­reich der Ge­mein­de­kas­se - durch den Er­lass von Ab­ga­ben­be­schei­den und Voll­stre­ckungs­maßnah­men - etc., aber auch im Be­reich der Leis­tungs­ver­wal­tung z.B. So­zi­alämter - Gewährung von So­zi­al­hil­fe durch Be­scheid -, Wirt­schaftsförde­rung - Sub­ven­ti­ons­gewährung durch Be­scheid -, BAföG-Leis­tun­gen durch Be­scheid, El­tern­geld­gewährung durch Be­scheid etc.). Es kann nicht ernst­haft in Ab­re­de ge­stellt wer­den, dass es sich hier­bei um ho­heit­li­che Maßnah­men des Staa­tes und da­mit der Staats­ver­wal­tung han­delt.

Ei­ne an­de­re Be­ur­tei­lung er­gibt sich auch nicht aus der Ent­schei­dung des EGMR in dem Ver­fah­ren En­er­ji Ya­pi-Yol Sen . /. Türkei.

Vgl. EGMR, Ur­teil vom 21. April 2009 – 68959/01, AuR 2009, 274, NZA 2010, 1423; im französi­schen Ori­gi­nal­text im In­ter­net all­ge­mein­zugäng­lich un­ter:
http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/view.asp?
item=2&por­tal=hbkm&ac­tion=html&high­light=689 59/01&ses­sio­nid=86181956&skin=hu­do­cen.

In die­ser Ent­schei­dung hat der EGMR ent­schie­den, dass ein von Ge­werk­schaf­ten or­ga­ni­sier­ter Streik von dem Schutz­be­reich des Art. 11 Abs. 1 EM­RK er­fasst sei. Dem Ver­fah­ren lag der Sach­ver­halt zu­grun­de, dass die türki­sche Re­gie­rung „al­len“ Beschäftig­ten des öffent­li­chen Diens­tes per Rund­er­lass un­ter­sagt hat­te, an ei­nem Tag an lan­des­wei­ten Streiks im Rah­men von ge­werk­schaft­li­chen Ak­tio­nen mit Ver­samm­lun­gen und De­mons­tra­tio­nen teil­zu­neh­men. Der EGMR sah hier­in ei­nen Ein­griff in den Schutz­be­reich des Art. 11 Abs. 1 EM­RK. Das Streik­recht sei aber nicht ab­so­lut. Es könne von Vor­aus­set­zun­gen abhängig ge­macht und be­schränkt wer­den. So könne es mit der Ge­werk­schafts­frei­heit ver­ein­bar

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sein, Streiks von Beschäftig­ten des öffent­li­chen Diens­tes zu ver­bie­ten, die im Na­men des Staa­tes Ho­heits­ge­walt ausüben. Ein Streik­ver­bot könne al­so be­stimm­te Grup­pen von Beschäftig­ten des öffent­li­chen Diens­tes be­tref­fen, dürfe aber nicht ins­ge­samt für den öffent­li­chen Dienst - wie hier - aus­ge­spro­chen wer-den. Vor­schrif­ten über das Streik­ver­bot müss­ten so ein­deu­tig und be­grenzt wie möglich die Grup­pe der be­trof­fe­nen Beschäftig­ten des öffent­li­chen Diens­tes be­stim­men. Die türki­sche Re­gie­rung ha­be nicht nach­ge­wie­sen, dass die um­strit­te­ne Be­schränkung in ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft not­wen­dig ge­we­sen sei.

So­weit das Ver­wal­tungs­ge­richt Düssel­dorf in der an­ge­foch­te­nen Ent­schei­dung,

eben­so wie das VG Kas­sel, Ur­teil vom 27. Ju­li 2011 - 28 K 1208/10.KS.D -, a. a. O., und Tei­le der Li­te­ra­tur: Lörcher, Be­am­ten­streik­recht zum ers­ten Mal grundsätz­lich an­er­kannt, Der Per­so­nal­rat 2011, 452; Nie­do­b­itek, a. a. O. S. 367; Lörcher, a. a. O., AuR 2009, 229 f.; sie­he auch: Polak­ie­wicz/Kess­ler, Das Streik­ver­bot für deut­sche Be­am­tIn­nen auf dem Prüfstand der Eu­ropäischen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on, von der Kläge­rin zur Ge­richts­ak­te ge­reicht,

hier­aus „völker- bzw. eu­ro­pa­recht­lich“ ein ge­ne­rel­les Streik­recht für Be­am­te - oder zu­min­dest für die­je­ni­gen, die kei­ne ho­heits­recht­li­che Funk­tio­nen ausüben - ab­lei­tet, ver­mag der Se­nat dem nicht zu fol­gen. Zur Über­zeu­gung des Se­nats han­delt es sich hier­bei um Fehl­in­ter­pre­ta­tio­nen des Ur­teils, die zum ei­nen aus un­ter­schied­li­chen Über­set­zun­gen der Ori­gi­nal­fas­sung der Ent­schei­dung herrühren und die zum an­de­ren nicht berück­sich­ti­gen, dass der EGMR in die­sem Fall ei­ne Be­weis­las­tent­schei­dung ge­trof­fen hat. Gemäß Art. 34 Abs. 1 der Ver­fah­rens­ord­nung des EGMR (vgl. Be­kannt­ma­chung der Neu­fas­sung der Ver­fah­rens­ord­nung des EGMR vom 27. Ju­li 2006, BGBl. II, S. 693, vom 22. Ok­to­ber 2010, BGBl. II, S. 1198, und vom 1. April 2011, im In­ter­net un­ter: http://www.bmj.de/ Shared­Docs/Down­loads/EN/Ver­fah­rens­ord­nung_des_Ge­richts­hofs.pdf;jses­sio­nid =0279BC91967AD494E 198BDA4EA11493C.1_cid155?_blob=pu­bli­ca­ti­on­File) sind die Amts­spra­chen des Ge­richts­hofs Eng­lisch und Französisch. Die hier vor­lie­gen­den deut­schen Über­set­zun­gen der Ent­schei­dung des EGMR vom 21. April 2009 - AuR 2009, 274 und NZA 2010, 1423 - sind nicht von dem Ge­richts­hof au-

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to­ri­siert und können kei­nen An­spruch auf vollständi­ge Au­then­ti­zität er­he­ben. Der Be­griff „fonc­tion­n­ai­res“ in der französi­schen Ori­gi­nal­fas­sung des Ur­teils ist in der deut­schen Fas­sung von Busch­mann/Lörcher mit „Be­am­te/r/n“ über­setzt wor­den [AuR 2009, 274 (275)], während Mey­er-La­de­wig/Pet­zold in ih­rer deut­schen Fas­sung den Be­griff mit „An­gehöri­ge/n des öffent­li­chen Diens­tes“ über­setzt ha­ben [NZA 2010, 1423 (1423, 1424, 1425)]. Die­sen Be­griff­lich­kei­ten kommt ge­ra­de in der Rechts­spra­che ei­ne be­son­de­re Be­deu­tung zu. In herkömmli­chen Deutsch-Französisch Wörterbüchern und On­line-Über­set­zungspor­ta­len wird der Be­griff „fonc­tion­n­ai­re“ zwar häufig mit „Be­am­ter“ über­setzt,

vgl. http://de.pons.eu/dict/se­arch/re­sults/?q= fonc­tion­n­ai­re&l=de­fr&in=&lf=de&kbd=fr ; http://dic­tion­n­ai­re.re­ver­so.net/fran­cais-al­le-mand/fonc­tion­n­ai­re/forced,

al­ler­dings han­delt es sich hier­bei nicht um rechts­tech­ni­sche Über­set­zun­gen. Bei die­sen um­gangs­sprach­li­chen Über­set­zun­gen wird nicht zwi­schen Staats­be­diens­te­ten (Be­am­te, An­ge­stell­te und Ar­bei­ter) und Be­am­ten im öffent­lich-recht­li­chen Dienst­verhält­nis im Rechts­sin­ne un­ter­schie­den. In ein­schlägi­gen Rechtswörterbüchern,

vgl. Doucet, Wörter­buch der Rechts- und Wirt­schafts­spra­che 1. Französisch – Deutsch, Band 1, 6. Aufl. 2007, Be­griff: fonc­tion­n­ai­re (S. 362), sie­he auch: Pa­ep­ke, Im Über­set­zen le­ben, 1986, S. 262, zu fonc­tion pu­bli­que – fonc­tion­n­ai­re, im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich un­ter: http://books.goog­le.de/books?id=RF7OgGghOPs C&pg=PA262&dq=fonc­tion+%C3%B6ffentlicher+ Dienst&hl=de#v=one­page&q=fonc­tion&f=fal­se,

wird der Be­griff „fonc­tion­n­ai­re“ mit zwei Be­deu­tun­gen über­setzt, nämlich zum ei­nen im en­ge­ren Sin­ne mit Be­am­ter – be­am­ten­recht­lich aber „agent ti­tu­lai­re“ (vgl. Doucet S. 362, 34) – und zum an­de­ren im wei­te­ren Sin­ne mit Amts­träger, In­ha­ber ei­nes öffent­li­chen Am­tes, An­gehöri­ger des öffent­li­chen Diens­tes. Dies ent­spricht im Übri­gen auch der ei­ge­nen dif­fe­ren­zier­ten Dik­ti­on des EGMR. Im Ver­fah­ren Pel­le­grin . /. Frank­reich,

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vgl. EGMR, Ur­teil vom 8. De­zem­ber 1999 – 28541/95, Rd­nr. 62, NVwZ 2000, 661 (663); im französi­schen Ori­gi­nal­text im In­ter­net all­ge­mein-zugäng­lich un­ter: http://cmiskp.echr.coe. int/tkp197/view.asp?item=1&por­tal=hbkm&ac­tion =html& high­light=28541/95&ses­sio­nid=86181956 &skin=hu­doc-en,

hat­te der EGMR zwi­schen den ver­schie­de­nen Be­diens­te­ten im öffent­li­chen Dienst zu un­ter­schei­den, nämlich den An­ge­stell­ten des öffent­li­chen Diens­tes und den Be­am­ten („Dans la présen­te af­fai­re, les par­ties ont tiré ar­gu­ment de la dis­tinc­tion qui exis­te en Fran­ce, com­me dans d’au­tres Etats contrac­tants, ent­re les deux catégo­ries d’agents au ser­vice de l’Etat, ä savoir les agents contrac­tu­els et les agents ti­tu­lai­res“, vgl. französi­scher Ori­gi­nal­text, a. a. O.). Die Be­am­ten wur­den hier mit „agents ti­tu­lai­res“ be­zeich­net, so dass der EGMR in dem Ver­fah­ren En­er­ji Ya­pi-Yol Sen . /. Türkei zur Über­zeu­gung des Se­nats den Be­griff - wie in der Über­set­zung von Mey­er-La­de­wig/ Pet­zold, a. a. O. - im Sin­ne der „An­gehöri­gen des öffent­li­chen Diens­tes“ ver­wen­det hat.

Vgl. zu­tref­fend auch: Lind­ner, a. a. O., S. 307 (Fn. 22).

Hier­von aus­ge­hend stellt das Streik­ver­bot für Be­am­te in Deutsch­land kein Streik­ver­bot für den ge­sam­ten öffent­li­chen Dienst dar. Nur im letz­ten Fall würde der EGMR auf der Ba­sis die­ses Ur­teils ei­nen Ver­s­toß ge­gen Art. 11 Abs. 1 EM­RK se­hen. In der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land sind im öffent­li­chen Dienst ne­ben den Be­am­ten auch An­ge­stell­te und Ar­bei­ter beschäftigt. Die An­ge­stell­ten und Ar­bei­ter - de­ren Ar­beits­verhält­nis im Ge­gen­satz zu dem der Be­am­ten pri­vat­recht­lich ge­re­gelt ist - ha­ben auf der Grund­la­ge der nach Art. 9 Abs. 3 GG gewähr­leis­te­ten Ta­rif­au­to­no­mie ein Streik­recht, so dass nicht der ge­sam­te öffent­li­che Dienst ei­nem Streik­ver­bot un­ter­liegt. Im Hin­blick auf die un­ter­schied­lich aus­ge­stal­te­ten Beschäfti­gungs­verhält­nis­se - pri­vat­recht­lich auf der ei­nen Sei­te und öffent­lich-recht­lich auf der an­de­ren Sei­te -, ist das Streik­ver­bot für Be­am­te in Deutsch­land hin­rei­chend be­stimmt und be­grenzt. Ein Streik­recht für Be­am­te oder zu­min­dest die­je­ni­gen Be­am­ten, die Ho­heits­ge­walt ausüben, er­gibt sich mit­hin aus der Ent­schei­dung des EGMR in dem Ver­fah­ren En­er­ji Ya­pi-Yol Sen . /. Türkei nicht. Ab­ge­se­hen da­von hat der EGMR in die­sem Ver­fah­ren ei­ne Be­weis­las­tent­schei­dung

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ge­trof­fen und nicht ge­sagt, dass das Streik­recht im öffent­li­chen Dienst nicht be­schränkt wer­den könne. Im Ge­gen­teil, un­ter Rd­nr. 32 der Ent­schei­dungs­gründe hat der EGMR aus­geführt, dass das Streik­recht nicht ab­so­lut sei. Es könne von Vor­aus­set­zun­gen abhängig ge­macht und be­schränkt wer­den. Am En­de der Ent­schei­dungs­gründe un­ter Rd­nr. 32 hat er aus­geführt, dass die türki­sche Re­gie­rung „nicht nach­ge­wie­sen“ ha­be, dass die um­strit­te­ne Be­schränkung in ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft not­wen­dig war („La Cour relève que le Gou­ver­ne­ment n’a pas démontré la néces­sité dans une so­ciété démo­cra­tique de la re­stric­tion in­cri­minée“, vgl. im französi­schen Ori­gi­nal, a. a. O.). Auch dies ist nicht auf die Rechts­la­ge in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land über­trag­bar, denn im deut­schen Recht ist - wie be­reits oben dar­ge­legt - das Streik­ver­bot für Be­am­te ein her­ge­brach­ter Grund­satz des Be­rufs­be­am­ten­tums, der un­ter dem Ge­sichts­punkt der Treue­pflicht und der Er­hal­tung der Funk­ti­onsfähig­keit staat­li­chen Han­delns zu den ver­fas­sungs­recht­li­chen Kern­struk­tur­prin­zi­pi­en gehört. Dass der Staat zu­min­dest mit ei­nem Teil sei­ner Beschäftig­ten im öffent­li­chen Dienst in je­der Le­bens-und Not­si­tua­ti­on hand­lungsfähig bleibt, ist ge­ra­de zur Auf­recht­er­hal­tung und Si­che­rung der de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land not­wen­dig, his­to­risch verbürgt und ver­fas­sungs­recht­lich ver­an­kert. Im Übri­gen er­gibt sich auch mit Blick auf das Pro­zess­ver­hal­ten der Türkei in dem Ver­fah­ren En­er­ji Ya­pi-Yol Sen . /. Türkei kei­ner­lei Aus­sa­ge­wert für das deut­sche Be­am­ten­recht. Un­zuläng­lich­kei­ten der Pro­zessführung ei­nes am Ver­fah­ren be­tei­lig­ten Kon­ven­ti­ons­staa­tes, der - wie hier die Türkei - die Not­wen­dig­keit ei­nes (im Übri­gen ge­ne­rel­len) Streik­ver­bots im öffent­li­chen Dienst nach Auf­fas­sung des EGMR nicht hin­rei­chend dar­ge­legt hat, kommt kein Aus­sa­ge­wert im Hin­blick auf die Rechts­la­ge in den an­de­ren Kon­ven­ti­ons­staa­ten - hier ins­be­son­de­re der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land - zu. Der EGMR hat in die­ser Ent­schei­dung aus­drück­lich aus­geführt, dass das Streik­recht von Vor­aus­set­zun­gen abhängig ge­macht und ein­ge­schränkt wer­den kann, wenn es denn not­wen­dig ist. Dass ein Streik­ver­bot für ei­nen Teil des öffent­li­chen Diens­tes - nämlich die Be­am­ten - in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land not­wen­dig ist, ist be­reits oben aus­geführt wor­den.

Ein Streik­recht für deut­sche Be­am­te lässt sich ins­be­son­de­re auch nicht aus der Ent­schei­dung des EGMR in dem Ver­fah­ren L1. und T1. . /. Türkei,

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vgl. EGMR, Ur­teil vom 15. Sep­tem­ber 2009 - 30946/04, im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich un­ter: http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/view.asp?item= 1&por­tal=hbkm&ac­tion=html&high­light=30946/04 %20%7C%2030946/04&ses­sio­nid=86840536&sk in=hu­doc-en,

ab­lei­ten. Ab­ge­se­hen da­von, dass die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land nicht Ver­fah­ren­spar­tei war, lässt sich der Ent­schei­dung be­reits nicht ent­neh­men, dass es sich bei den Be­schwer­deführern die­ses Ver­fah­rens um Be­am­te - ver­gleich­bar dem deut­schen Recht - ge­han­delt hat bzw. dass das Be­ste­hen ei­nes ent­spre­chen­den öffent­lich-recht­li­chen Dienst­verhält­nis­ses von ent­schei­dungs­er­heb­li­cher Be­deu­tung war und dass die Rechts­la­ge in der Türkei mit der deut­schen Rechts­la­ge in­so­weit über­haupt ver­gleich­bar ist. Die Be­schwer­deführer wa­ren Leh­rer und Mit­glie­der im Ge­werk­schafts­bund der Beschäftig­ten des öffent­li­chen Diens­tes (Kesk). Am 11. De­zem­ber 2003 nah­men sie ei­nem Auf­ruf der Kesk fol­gend an ei­nem na­tio­na­len Ak­ti­ons­tag teil, um ge­gen den Ge­setz­ent­wurf über die Or­ga­ni­sa­ti­on des öffent­li­chen Diens­tes zu pro­tes­tie­ren, der im türki­schen Par­la­ment de­bat­tiert wur­de. Auf der Grund­la­ge des Art. 125 (A) des Ge­set­zes Nr. 657 er­hiel­ten sie am 15. Ja­nu­ar 2004 zum Zwe­cke der Ver­tei­di­gung der na­tio­na­len und öffent­li­chen Si­cher­heit, der Auf­recht­er­hal­tung der Ord­nung und Verhütung von Straf­ta­ten ei­ne „War­nung“ als Dis­zi­pli­nar­maßnah­me. Der EGMR sah kei­ne not­wen­di­ge Recht­fer­ti­gung in die­ser Maßnah­me und stell­te u.a. ei­ne Ver­let­zung des Art. 11 EM­RK fest, sah aber kei­ne Ver­an­las­sung für ei­ne Entschädi­gung. Die­ser Ent­schei­dung kann nicht ent­nom­men wer­den, dass der EGMR von ei­nem Streik­recht für deut­sche Be­am­te aus­geht oder dass er aus Art. 11 EM­RK ein sol­ches Streik­recht für deut­sche Be­am­te ab­lei­tet. Dass in dem Ver­fah­ren L1. und T1. . /. Türkei ge­gen die Be­schwer­deführer ei­ne „War­nung“ nach dem türki­schen „Be­am­ten“-ge­setz aus­ge­spro­chen wur­de, be­sagt nicht, dass es sich bei den Be­schwer­deführern um Be­am­te - ver­gleich­bar dem deut­schen Be­am­ten­recht - ge­han­delt hat. Denn gemäß Art. 128 und 129 der türki­schen Ver­fas­sung (im In­ter­net all­ge­mein ab­ruf­bar un­ter: http://www.ver­fas­sun­gen.eu/tr/ in­dex.htm) und dem türki­schen Ge­setz Nr. 657 v. 14. Ju­li 1965 (RG Mr- 12056 v. 23. Ju­li 1965; vgl. auch Gut­ach­ten Dr. D2. S1. für das Ar­beits­ge­richt L. v. 18. De­zem­ber
2003 – Az: 14 (1) Ca 7860/01, im In­ter­net all­ge­mein ab­ruf­bar un­ter: www.tu­er­kei-

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recht.de/down­loads/ gut­ach­ten-arbg-koeln.pdf) un­ter­lie­gen in der Türkei - im Ge­gen­satz zu dem deut­schen Recht - ne­ben Be­am­ten („me­mur“) auch die übri­gen An­ge­stell­ten („sözles­me­li per­so­nel“) und Ar­bei­ter („isci“) im öffent­li­chen Dienst dem Dis­zi­pli­nar­recht. Der Ent­schei­dung lässt sich mit­hin nicht ent­neh­men, dass die bei­den Leh­rer Be­am­te - ver­gleich­bar dem deut­schen Recht - wa­ren oder dass der EGMR hier be­wusst ei­ne Ent­schei­dung im Hin­blick auf Be­am­te ge­trof­fen hat. Die Ent­schei­dung be­inhal­tet - zu­mal sie sich auch auf die Türkei be­zieht - ins­be­son­de­re kei­nen Te­nor da­hin­ge­hend, dass sich be­am­te­te Leh­rer in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land auf ein nach Art. 11 EM­RK völker­recht­lich ver­an­ker­tes Streik­recht be­ru­fen können. In die­sem Zu­sam­men­hang ist zu berück­sich­ti­gen, dass auch in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ein ge­ne­rel­les Streik­ver­bot für Leh­rer nicht be­steht, da die­je­ni­gen Leh­rer, die sich in ei­nem An­ge­stell­ten­verhält­nis be­fin­den, ein Streik­recht ha­ben. Darüber hin­aus zeigt der der Ent­schei­dung zu­grun­de lie­gen­de Sach­ver­halt, dass die türki­sche Rechts­la­ge nicht mit der Rechts­la­ge in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ver­gleich­bar ist, denn in dem Ver­fah­ren L1. und T1. . /. Türkei ging es um ei­nen sog. „po­li­ti­schen“ Streik, da sich die Strei­ken­den ge­gen ei­nen Ge­setz­ent­wurf ge­wandt ha­ben und sich da­mit nicht für ein ta­riffähi­ges Ziel ein­ge­setzt ha­ben. Der­ar­ti­ge „po­li­ti­sche“ Streiks sind in Deutsch­land,

vgl. hier­zu im Ein­zel­nen: BAG, Ur­tei­le vom 27. Ju­ni 1989 - 1 AZR 404/88 -, BA­GE 62, 171, und vom 5. März 1985 - 1 AZR 468/83 -, BA­GE 48, 160; Be­schluss vom 23. Ok­to­ber 1984 - 1 AZR 126/81 -, DB 1985, 1239; ArbG Os­nabrück, Ur­teil vom 4. Ju­ni 1996 - 4 Ga 10/96 -, NZA-RR 1996, 341; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. II, Art. 9 Rd­nr. 375; Schwei­ger/Brandl, Der Kampf um Ar­beit, 2010, S. 60,

selbst für An­ge­stell­te und Ar­bei­ter nicht von der Ko­ali­ti­ons­frei­heit nach Art. 9 Abs. 3 GG er­fasst, da sol­che Streik­maßnah­men nicht ta­riffähi­gen Zie­len und da­mit nicht der Förde­rung der Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen die­nen. Hier­bei han­delt es sich um ein ver­fas­sungs­recht­lich ver­an­ker­tes Kern­struk­tur­prin­zip in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und um ei­ne his­to­risch und rechts­po­li­tisch ge­wach­se­ne Be­son­der­heit im deut­schen Rechts­sys­tem. Die in­so­weit die Türkei be­tref­fen­de Ent­schei­dung zeigt da­mit we­der in tatsäch­li­cher noch in recht­li­cher Hin-

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sicht ei­ne Ver­gleich­bar­keit zum deut­schen Rechts­sys­tem - ins­be­son­de­re Be­am­ten­recht - auf, noch las­sen sich - man­gels ei­ner ent­spre­chen­den Ver­gleich­bar­keit der Fall­kon­stel­la­tio­nen - hier­aus völker­recht­li­che Rück­schlüsse dar­aus zie­hen, dass auch den deut­schen Be­am­ten mit Blick auf Art. 11 EM­RK i.V.m. Art. 9 Abs. 3 GG ein Streik­recht zu­ste­hen müsse.

Et­was an­de­res er­gibt sich auch nicht aus der von der Kläge­rin zi­tier­ten Ent­schei­dung des EGMR in dem Ver­fah­ren D. . /. Türkei.

Vgl. EGMR, Ur­teil vom 13. Ju­li 2010 - 333222/07, im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich un­ter: http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/view.asp?item= 1&por­tal=hbkm&ac­tion=html&high­light=33322/07 %20%7C%2033322/07&ses­sio­nid=86846802&sk in=hu­doc-en,

Zum ei­nen ist auch hier die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land nicht Ver­fah­ren­spar­tei ge­we­sen. Zum an­de­ren kann der in die­ser Ent­schei­dung ver­wen­de­te Be­griff „agents pu­blics“ (vgl. Nr. 13 der französi­schen Ori­gi­nal­fas­sung, a. a. O.) eben­falls so­wohl Be­am­ter als auch An­ge­stell­ter des öffent­li­chen Diens­tes be­deu­ten,

vgl. Doucet, a. a. O., S. 34 zum Be­griff „agent pu­blic“,

und das türki­sche Ge­setz Nr. 657 be­trifft - wie be­reits oben aus­geführt - al­le An-gehöri­gen des öffent­li­chen Diens­tes (Be­am­te, An­ge­stell­te und Ar­bei­ter), so dass auch die­ser Ent­schei­dung nicht zu ent­neh­men ist, dass es sich bei dem Be­schwer­deführer um ei­nen Be­am­ten - ver­gleich­bar dem deut­schen Recht - ge­han­delt hat oder dass ein Be­am­ten­sta­tus des Be­schwer­deführers in die­sem Ver­fah­ren über­haupt von Re­le­vanz war. Der Sach­ver­halt zeigt auch im Übri­gen so­wohl in recht­li­cher als auch in tatsäch­li­cher Hin­sicht kei­ne Ver­gleich­bar­keit zur deut­schen Rechts­la­ge auf. Es ging in dem Ver­fah­ren D. . /. Türkei um die Teil­nah­me an ei­nem na­tio­na­len Ak­ti­ons­tag am 1. Mai 2007, um den Tag der Ar­beit zu fei­ern. In der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ist der 1. Mai be­kannt­lich ein ge­setz­li­cher Fei­er­tag, so dass ei­ne Teil­nah­me an ent­spre­chen­den Ak­tio­nen auch für Be­am­te - so­weit sie nicht zu Fei­er­tags­dienst ein­ge­teilt sind - un­pro­ble­ma­tisch wäre. In­wie­weit sich hier­aus ei­ne Ver­gleich­bar­keit der Sach- und Rechts­la­ge und

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ins­be­son­de­re ein Streik­recht für be­am­te­te Leh­rer - wie die Kläge­rin - ab­lei­ten soll, ist nicht er­sicht­lich. Aber selbst wenn man den in dem Ver­fah­ren D. . /. Türkei ent­schie­de­nen Sach­ver­halt auf ei­nen nor­ma­len Ar­beits­tag in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land über­tra­gen würde, lässt sich hier­aus ein Streik­recht für deut­sche Be­am­te nicht ab­lei­ten. Der EGMR hat in an­de­rem Zu­sam­men­hang in der letz­ten Zeit be­reits häufi­ger in sei­nen Ent­schei­dun­gen dar­auf ab­ge­stellt, dass sich die Staa­ten in Eu­ro­pa his­to­risch sehr un­ter­schied­lich ent­wi­ckelt ha­ben, dass die­sen Be­son­der­hei­ten auch bei der Aus­le­gung der EM­RK Rech­nung zu tra­gen ist und dass die Ent­schei­dung darüber, ob ei­ne his­to­risch verbürg­te Tra­di­ti­on auf­recht er­hal­ten wer­den soll, grundsätz­lich in den Er­mes­sens­spiel­raum („mar­gin of app­re­cia­ti­on“) des ver­ant­wort­li­chen Staa­tes fal­le,

vgl. EGMR, Ur­tei­le vom 18. März 2011 – 30814/06, NVwZ 2011, 737, im eng­li­schen Ori­gi­nal­text im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich ab­ruf­bar un­ter: http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/view.asp?item=2&por­tal=hbkm&ac­tion=html&high­light=308 14/06&ses­sio­nid=86181956&skin=hu­doc-en (Rd­nr. 68); und vom 21. Sep­tem­ber 2010 - 66686/09, NVwZ 2011, 31; sie­he auch Bat­tis, Streik­recht für Be­am­te ?, ZBR 2011, 397 (400),

so dass auch vor die­sem Hin­ter­grund und mit Blick auf die his­to­ri­sche Ent­wick­lung des Be­rufs­be­am­ten­tums und der ver­fas­sungs­recht­li­chen Ver­an­ke­rung der her­ge­brach­ten Grundsätze des Be­rufs­be­am­ten­tums in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land nichts dafür er­sicht­lich ist, dass die Rechts­la­ge in der Türkei - die al­lein zur Ent­schei­dung stand - mit der in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ver­gleich­bar ist. Bei dem deut­schen Be­rufs­be­am­ten­tum han­delt es sich um dog­ma­tisch aus­dif­fe­ren­zier­te na­tio­na­le Re­ge­lun­gen im Hin­blick auf das öffent­lich-recht­li­che Dienst­verhält­nis, die his­to­risch ge­wach­sen und ver­fas­sungs­recht­lich verbürgt sind. Un­ter Berück­sich­ti­gung die­ser Be­son­der­hei­ten lässt sich je­den­falls der Ent­schei­dung D. . /. Türkei nicht ent­neh­men, dass das in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land in Art. 33 Abs. 5 GG als her­ge­brach­ter Grund­satz des Be­rufs­be­am­ten­tum ent­hal­te­ne Streik­ver­bot für Be­am­te ge­gen Art. 11 EM­RK verstößt.
 


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cc. Aber selbst wenn man da­von aus­gin­ge, dass die EM­RK ein Streik­recht auch für deut­sche Be­am­te oder zu­min­dest für die­je­ni­gen, die nicht ho­heits­recht­li­che Funk­tio­nen wahr­neh­men, verbürgen würde,

so VG Kas­sel, Ur­teil vom 27. Ju­li 2011 - 28 K 1208/10.KS.D -, a. a. O.; Nie­do­b­itek, a. a. O., S. 368; Lörcher, Der Per­so­nal­rat 2011, 452 f.,

wird hier­durch das in Art. 33 Abs. 5 GG ver­fas­sungs­recht­lich ver­an­ker­te Streik­ver­bot für deut­sche Be­am­te nicht in Fra­ge ge­stellt. Die EM­RK und ih­re Zu­satz­pro­to­kol­le sind - wie be­reits oben dar­ge­stellt - völker­recht­li­che Verträge, de­nen der Bun­des­ge­setz­ge­ber je­weils mit förm­li­chen Ge­setz gemäß Art. 59 Abs. 2 GG zu­ge­stimmt hat und die in der deut­schen Rechts­ord­nung im Ran­ge ei­nes Bun­des­ge­set­zes ste­hen. Die Rang­zu­wei­sung führt da­zu, dass deut­sche Ge­rich­te die Kon­ven­ti­on wie an­de­res Ge­set­zes­recht des Bun­des im Rah­men me­tho­disch ver­tret­ba­rer Aus­le­gung zu be­ach­ten und an­zu­wen­den ha­ben. Die Rang­zu­ord­nung be­deu­tet aber auch, dass die EM­RK im deut­schen Rechts­an­wen­dungs­be­reich an dem Grund­ge­setz zu mes­sen ist. Das Grund­ge­setz er­strebt die Einfügung Deutsch­lands in die Rechts­ge­mein­schaft fried­li­cher und frei­heit­li­cher Staa­ten, so dass die EM­RK und die Recht­spre­chung des EGMR als Ori­en­tie­rungs- und Aus­le­gungs­hil­fe bei der An­wen­dung von Grund­rech­ten her­an­zu­zie­hen sind. Dies ist letzt­lich Aus­druck der Völker­rechts­freund­lich­keit des Grund­ge­set­zes. Die Her­an­zie­hung der EM­RK als Ori­en­tie­rungs- und Aus­le­gungs­hil­fe ver­langt al­ler­dings kei­ne sche­ma­ti­sche Par­al­le­li­sie­rung. Die Recht­spre­chung des EGMR und die EM­RK sind auf der Ebe­ne des ein­fa­chen Rechts möglichst scho­nend in das vor­han­de­ne, dog­ma­tisch aus­dif­fe­ren­zier­te na­tio­na­le Rechts­sys­tem ein­zu­pas­sen, wes­halb sich ei­ne un­re­flek­tier­te Ad­ap­ti­on völker­recht­li­cher Be­grif­fe ver­bie­tet. Die Gren­zen der völker­recht­li­chen Aus­le­gung er­ge­ben sich aus dem Grund­ge­setz. Das „letz­te Wort“ ha­ben für den deut­schen Rechts­an­wen­dungs­be­reich mit­hin das Grund­ge­setz und die dar­in ver­an­ker­ten aus­dif­fe­ren­zier­ten ver­fas­sungs­recht­li­chen Gewähr­leis­tun­gen. Dies ist Aus­druck der Sou­veränität Deutsch­lands. Die Möglich­kei­ten ei­ner kon­ven­ti­ons­freund­li­chen Aus­le­gung von Grund­rech­ten en­det mit­hin dort, wo die­se nach den an­er­kann­ten Me­tho­den der Ge­set­zes­aus­le­gung und Ver­fas­sungs­in­ter­pre­ta­ti­on nicht mehr ver­tret­bar er­scheint, ins­be­son­de­re dann, wenn hier­durch die ver­fas­sungs­recht­li­che Kern­struk­tur in Fra­ge ge­stellt würde.

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Vgl. BVerfG, Be­schlüsse vom 14. Ok­to­ber 2004 - 2 BvR 1481/04 -, a. a. O., und vom 19. Sep­tem­ber 2007 - 2 BvF 3/02 -, a. a. O.

Will man den In­halt und die Reich­wei­te der im Grund­ge­setz ga­ran­tier­ten Grund­rech­te über den Kern­be­stand an Struk­tur­prin­zi­pi­en hin­aus mo­di­fi­zie­ren, ist es Sa­che des Ver­fas­sungs­ge­setz­ge­bers das Grund­ge­setz ent­spre­chend ab­zuändern. Die Fach­ge­rich­te hin­ge­gen sind un­ter Berück­sich­ti­gung des Hier­ar­chie­verhält­nis­ses zwi­schen Ver­fas­sungs­recht und ein­fa­chem Recht an die Vor­ga­ben des Grund­ge­set­zes und die Aus­le­gung des Grund­ge­set­zes durch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ge­bun­den.

Hier­von aus­ge­hend verstößt - wie be­reits oben dar­ge­stellt - ein Streik­recht für Be­am­te in Deutsch­land ge­gen die her­ge­brach­ten Grundsätze des Be­rufs­be­am­ten­tums nach Art. 33 Abs. 5 GG. Die Treue­pflicht der Be­am­ten­schaft - ein da­mit nicht zu ver­ein­ba­ren­des Streik­recht - und das die­ser Treue­pflicht (als Sy­nal­lag­ma) kor­re­spon­die­ren­de Ali­men­ta­ti­ons­prin­zip gehören zu dem Kern­be­stand an ver­fas­sungs­recht­li­chen Struk­tur­prin­zi­pi­en, die die Funk­tio­na­lität des deut­schen Staa­tes si­cher­stel­len sol­len und die ei­ner an­de­ren in­halt­li­chen Aus­ge­stal­tung durch bloße Aus­le­gung ent­zo­gen sind. Dies gilt für das Streik­ver­bot der Be­am­ten­schaft als Ge­samt­heit, so dass we­gen der sta­tus­be­zo­ge­nen Aus­prägung des Be­am­ten­rechts - wie be­reits oben dar­ge­stellt - auch ei­ne funk­ti­ons­be­zo­ge­ne Dif­fe­ren­zie­rung nach den gel­ten­den ver­fas­sungs­recht­li­chen Maßstäben nicht möglich ist. Auch wenn z.B. Leh­rer - wie die Kläge­rin - nicht schwer­punktmäßig ho­heit­lich ge­prägte Auf­ga­ben wahr­neh­men, kommt den be­am­te­ten Leh­rern ein Streik­recht ver­fas­sungs­recht­lich nicht zu. Die Treue­pflicht der Be­am­ten­schaft, die in ei­ner Viel­zahl von be­am­ten­recht­li­chen Be­stim­mun­gen ih­re kon­kre­te Aus­prägung er­fah­ren hat (vgl. §§ 34 ff. LBG NRW a.F.; §§ 33 ff. Be­am­tStG etc.) dif­fe­ren­ziert nicht nach dem je­wei­li­gen Tätig­keits­be­reich des Be­am­ten. Die recht­li­che Stel­lung der Be­am­ten ist gleich, und zwar un­abhängig da­von, ob sie in ih­rem kon­kre­ten Tätig­keits­be­reich ho­heit­li­che Auf­ga­ben wahr­neh­men oder nicht. Auf die Fra­ge, ob der je­wei­li­ge Be­am­te in sei­ner kon­kre­ten Funk­ti­on ho­heit­lich in Rech­te an­de­rer ein­greift, kommt es mit­hin nicht an. Auch die Fort­ent­wick­lungs­klau­sel in Art. 33 Abs. 5 GG ändert hier­an nichts. Denn Ände­run­gen, die - wie

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hier - mit dem Kern­be­stand der Grund­struk­tu­ren des von Art. 33 Abs. 5 GG geschütz­ten Be­rufs­be­am­ten­tums nicht in Ein­klang ge­bracht wer­den können, ver­s­toßen auch wei­ter­hin ge­gen die Vor­ga­ben des Grund­ge­set­zes.

Vgl. auch VG Os­nabrück, Ur­teil vom 19. Au­gust 2011 - 9 A 1/11 -, a. a. O.; Kutz­ki, a. a. O., S. 169 f.; Sei­fert, a. a. O., S. 373 f.

b. Auch aus an­de­ren völker- und eu­ro­pa­recht­li­chen Übe­r­ein­kom­men und Re­ge­lun­gen lässt sich ein Streik­recht für deut­sche Be­am­te nicht ab­lei­ten.

aa. Ins­be­son­de­re den ILO-Übe­r­ein­kom­men der In­ter­na­tio­na­len Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on Nr. 87 (Übe­r­ein­kom­men über die Ver­ei­ni­gungs­frei­heit und den Schutz des Ver­ei­ni­gungs­rechts, 1948),

vgl. im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich un­ter:
http://www.ilo.org/ilo­lex/ger­man/docs/gc087.htm,

und Nr. 98 (Übe­r­ein­kom­men über die An­wen­dung der Grundsätze des Ver­ei­ni­gungs­rechts und des Rechts zu Kol­lek­tiv­ver­hand­lun­gen, 1949),

vgl. im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich un­ter:
http://www.ilo.org/ilo­lex/ger­man/docs/gc098.htm,

kom­men im Ver­gleich zur EM­RK im deut­schen Recht kei­ne über den Rang ei­nes ein­fa­chen Bun­des­ge­set­zes hin­aus­ge­hen­de Wir­kung zu (Art. 59 Abs. 2 GG) und sind da­her eben­falls an Art. 33 Abs. 5 GG zu mes­sen. Ab­ge­se­hen da­von sind die­se Ab­kom­men auf Be­am­te nicht an­wend­bar.

Vgl. Art. 6 ILO-Übe­r­ein­kom­men Nr. 98; Stel­lung­nah­me der Bun­des­re­gie­rung zu dem ILO-Über-ein­kom­men Nr. 151, BT-Drucks. 10/2123, S. 8.

Das ILO-Übe­r­ein­kom­men Nr. 151 (Übe­r­ein­kom­men über den Schutz des Ver­ei­ni­gungs­rechts und über Ver­fah­ren zur Fest­set­zung der Beschäfti­gungs­be­din­gun­gen im öffent­li­chen Dienst, 1978),

vgl. im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich un­ter:
http://www.ilo.org/ilo­lex/ger­man/docs/gc151.htm,

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ist von der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land nicht ra­ti­fi­ziert wor­den, weil nicht aus­zu­sch­ließen war, dass die In­ter­pre­ta­ti­on der Art. 7 und 8 die­ses Übe­r­ein­kom­mens durch die zuständi­gen Gre­mi­en der In­ter­na­tio­na­len Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on in ei­ner Wei­se er­fol­gen könne, dass die­se Be­stim­mun­gen mit der in­ner­staat­li­chen Rechts­la­ge nicht ver­ein­bar sind.

Vgl. Stel­lung­nah­me der Bun­des­re­gie­rung zu dem ILO-Übe­r­ein­kom­men Nr. 151, BT-Drucks. 10/2123, S. 8; Kutz­ki, a. a. O., S. 170; Sei­fert, a. a. O., S. 366.

bb. Auch aus un­mit­tel­bar gel­ten­den EU-Recht er­gibt sich kein Streik­recht der deut­schen Be­am­ten. Die EU-Verträge räum­en der Eu­ropäischen Uni­on nicht die Kom­pe­tenz ein, das Streik­recht zu re­geln. Art. 153 Abs. 5 AEUV, wo­nach die Re­ge­lun­gen in Art. 153 Abs. 1 bis 4 AEUV nicht für das Ar­beits­ent­gelt, das Ko­ali­ti­ons­recht, das Streik­recht so­wie das Aus­sper­rungs­recht gilt, schließt ei­ne der­ar­ti­ge Kom­pe­tenz aus­drück­lich aus. Auch aus Art. 6 Abs. 1 EUV i.V.m. der Grund­rech­te­char­ta (EU-GRChar­ta), die nun­mehr den Rang des EU-Primärrechts hat, er­gibt sich kein Streik­recht für Be­am­te. Zwar be­inhal­tet Art. 12 Abs. 1 EU-GRChar­ta das Ver­ei­ni­gungs­recht und Art. 28 EU-GRChar­ta das Recht auf Kol­lek­tiv­ver­hand­lun­gen und Kol­lek­tiv­maßnah­men, das auch das Streik­recht er­fasst. Nach Maßga­be des Art. 51 Abs. 1 EU-GRChar­ta bin­det die Eu­ropäische Grund­rech­te­char­ta in ers­ter Li­nie aber nur die Or­ga­ne der Eu­ropäischen Uni­on. Für die Mit­glied­staa­ten sind die Verbürgun­gen der Grund­rech­te­char­ta „aus­sch­ließlich bei der Durchführung des Rechts der Uni­on“ zu be­ach­ten. Gemäß Art. 6 EUV wer­den durch die Be­stim­mun­gen der Char­ta die in den Verträgen fest­ge­leg­ten Zuständig­kei­ten in kei­ner Wei­se er­wei­tert. Die Re­ge­lung des in­ner­staat­li­chen Be­am­ten­rechts stellt kei­ne Durchführung des EU-Rechts dar. Es ver­bleibt hier­bei bei der ori­ginären Kom­pe­tenz der Mit­glied­staa­ten (Art. 4 Abs. 1 EUV). Da die Eu­ropäische Uni­on mit Blick auf den in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EUV ge­re­gel­ten Grund­satz der be­grenz­ten Ein­zel­ermäch­ti­gung kei­ne Re­ge­lungs­kom­pe­tenz für das Ar­beits­kampf­recht hat, kann ei­ne sol­che auch nicht über Art. 28 EU-GRChar­ta be­gründet wer­den.

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Vgl. VG Os­nabrück, Ur­teil vom 19. Au­gust 2011 - 9 A 1/11 -, a. a. O; Lind­ner, a. a. O., S. 309; Kutz­ki, a. a. O., S. 170.

3.) Die Ar­beits­nie­der­le­gung der Kläge­rin we­gen der Teil­nah­me an den Warn­streiks am 28. Ja­nu­ar 2009, 5. Fe­bru­ar 2009 und 10. Fe­bru­ar 2009 war auch nicht durch § 103 LBG a.F. ge­recht­fer­tigt. Nach § 103 Abs. 1 Satz 1 LBG a.F. ha­ben die Be­am­ten das Recht, sich in Ge­werk­schaf­ten oder Be­rufs­verbänden zu­sam­men­zu­sch­ließen, und nach Ab­satz 2 die­ser Re­ge­lung darf kein Be­am­ter we­gen der Betäti­gung für sei­ne Ge­werk­schaft oder sei­nen Be­rufs­ver­band dienst­lich ge­maßre­gelt oder be­nach­tei­ligt wer­den. Die­se ein­fach­ge­setz­li­che Re­ge­lung steht je­doch un­ter dem Vor­be­halt, dass die ge­werk­schaft­li­chen Betäti­gun­gen mit den ver­fas­sungs­recht­lich ge­re­gel­ten und höher­ran­gi­gen her­ge­brach­ten Grundsätzen des Be­rufs­be­am­ten­tums (Art. 33 Abs. 5 GG) im Ein­klang ste­hen, was je­doch im Fal­le ei­nes Streiks - wie oben dar­ge­stellt - nicht der Fall ist.

Vgl. hier­zu auch: Hil­de­brandt/Demm­ler/Bach­mann, Be­am­ten­ge­setz für das Land NRW,

§ 103 Rd­nr. 1. § 103 LBG a.F. gewährt da­mit kein Ar­beits­kampf­recht für Be­am­te.

V. Da­durch, dass die Kläge­rin am 28. Ja­nu­ar, 5. Fe­bru­ar und 10. Fe­bru­ar 2009 an den Warn­streiks teil­nahm und un­ent­schul­digt ih­rer Un­ter­richts­pflicht nicht nach­kam, hat sie die un­ter II. 1 bis 4 dar­ge­stell­ten Dienst­pflich­ten schuld­haft ver­letzt. Ins­be­son­de­re kann sie sich nicht auf ei­nen das Ver­schul­den aus­sch­ließen­den Ver­bots­irr­tum (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 1 StGB) be­ru­fen. Durch die Gespräche mit der Kon­rek­to­rin ih­rer Schu­le vom 23. Ja­nu­ar 2009, mit der Schul­lei­te­rin am 26. Ja­nu­ar 2009 und auf­grund des Schrei­bens der Schul­lei­te­rin vom 9. Fe­bru­ar 2009 ist die Kläge­rin aus­drück­lich auf die Un­zulässig­keit ih­rer ge­plan­ten und un­ge­neh­mig­ten Streik­teil­nah­me hin­ge­wie­sen wor­den. Ih­re ab­wei­chen­de Hal­tung konn­te die Kläge­rin auch nicht auf ei­ne ge­genläufi­ge Recht­spre­chung stützen. Die we­sent­li­chen, hier in­ter­es­sie­ren­den Ent­schei­dun­gen des EGMR sind erst nach dem re­le­van­ten Zeit­raum er­gan­gen und ge­ben noch da­zu - wie aus­geführt wur­de - für ein Streik­recht der Be­am­ten in Deutsch­land nichts her. Sons­ti­ge An-

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halts­punk­te für ei­ne Schuld­unfähig­keit oder ei­ne ver­min­der­te Schuldfähig­keit be­ste­hen nicht und sind sei­tens der Kläge­rin auch nicht vor­ge­tra­gen wor­den.

VI. Das be­klag­te Land hat ge­gen die Kläge­rin zu Recht mit der streit­be­fan­ge­nen Dis­zi­pli­nar­verfügung vom 10. Mai 2010 ei­ne Geld­buße i.H.v. 1.500,00 Eu­ro verhängt.

1. Die vom be­klag­ten Land verhäng­te Dis­zi­pli­nar­maßnah­me ist im Hin­blick auf die Schwe­re des von der Kläge­rin be­gan­ge­nen ein­heit­li­chen in­ner­dienst­li­chen Dienst­ver­ge­hens an­ge­mes­sen.

Nach Maßga­be des § 59 Abs. 3 Satz 1 LDG NRW prüft das Ge­richt bei der Kla­ge ge­gen ei­ne Dis­zi­pli­nar­verfügung ne­ben der Rechtmäßig­keit auch die Zweckmäßig­keit der an­ge­foch­te­nen Ent­schei­dung. Aus der ver­gleich­ba­ren Vor­schrift des § 60 Abs. 3 BDG lei­tet das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt,

vgl. BVerwG, Ur­teil vom 15. De­zem­ber 2005 - 2 A 4.04 -, Schütz/Mai­wald, Be­am­ten­recht in Bund und Ländern, ES/B II 1.1 Nr. 13 = Buch­holz 235.1 § 24 BDG Nr. 1,

ab, dass das Ge­richt nicht auf die Prüfung der Fra­ge be­schränkt ist, ob das der Kläge­rin mit der Dis­zi­pli­nar­verfügung zum Vor­wurf ge­mach­te Ver­hal­ten (Le­bens­sach­ver­halt) tatsächlich vor­liegt und als Dienst­ver­ge­hen zu würdi­gen ist. Das Ge­richt hat viel­mehr un­ter Be­ach­tung des Ver­schlech­te­rungs­ver­bots auch darüber zu ent­schei­den, wel­ches die an­ge­mes­se­ne Dis­zi­pli­nar­maßnah­me ist. An­ders als sonst bei ei­ner An­fech­tungs­kla­ge ist das Ge­richt da­nach nicht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 Vw­GO dar­auf be­schränkt, ei­ne rechts­wid­ri­ge Verfügung auf­zu­he­ben; es trifft in An­wen­dung der in § 13 Abs. 1 LDG NRW nie­der­ge­leg­ten Grundsätze in­ner­halb der durch die Verfügung vor­ge­ge­be­nen Ober­gren­ze viel­mehr ei­ne ei­ge­ne Er­mes­sens­ent­schei­dung. Der Hin­weis des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts auf den wort­glei­chen § 13 BDG be­sagt, dass auch bei ei­ner Kla­ge ge­gen ei­ne Dis­zi­pli­nar­verfügung über die Dis­zi­pli­nar­maßnah­me un­ter Berück­sich­ti­gung der Schwe­re des Dienst­ver­ge­hens, des Persönlich­keits­bil­des des Be­am­ten so­wie der Be­ein­träch­ti­gung des Ver­trau­ens des Dienst­herrn oder der All­ge­mein­heit nach pflicht­gemäßem Er­mes­sen zu ent­schei­den ist.

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Vgl. OVG NRW, Be­schluss vom 19. Sep­tem­ber 2007 - 21d A 2259/07.O -.

Wel­che Dis­zi­pli­nar­maßnah­me im Ein­zel­fall er­for­der­lich ist, rich­tet sich gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 bis 3 LDG NRW nach der Schwe­re des Dienst­ver­ge­hens un­ter an­ge­mes­se­ner Berück­sich­ti­gung der Persönlich­keit des Be­am­ten und des Um­fangs der durch das Dienst­ver­ge­hen her­bei­geführ­ten Ver­trau­ens­be­ein­träch­ti­gung.

Ei­ne ob­jek­ti­ve und aus­ge­wo­ge­ne Zu­mes­sungs­ent­schei­dung setzt vor­aus, dass die sich aus § 13 Abs. 2 Satz 1 bis 3 LDG NRW er­ge­ben­den Be­mes­sungs­kri­te­ri­en mit den ih­nen im Ein­zel­fall zu­kom­men­den Ge­wicht er­mit­telt (vgl. § 21 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW) und in die Ent­schei­dung ein­ge­stellt wer­den. Die­ses Er­for­der­nis be­ruht letzt­lich auf dem im Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren gel­ten­den Schuld­prin­zip und dem Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit. Da­nach muss die ge­gen den Be­am­ten aus­ge­spro­che­ne Dis­zi­pli­nar­maßnah­me un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler be­las­ten­den und ent­las­ten­den Umstände des Ein­zel­falls in ei­nem ge­rech­ten Verhält­nis zur Schwe­re des Dienst­ver­ge­hens und zum Ver­schul­den des Be­am­ten ste­hen.

Vgl. BVerfG, Be­schluss vom 8. De­zem­ber 2004 - 2 BvR 52/02 -, NJW 2005, 1344, 1346.

Bei der Aus­le­gung des Be­griffs "Schwe­re des Dienst­ver­ge­hens" ist maßge­bend auf das Ei­gen­ge­wicht der Ver­feh­lung ab­zu­stel­len. Hierfür können be­stim­mend sein ob­jek­ti­ve Hand­lungs­merk­ma­le (ins­be­son­de­re Ei­gen­art und Be­deu­tung der Dienst­pflicht­ver­let­zung, z.B. Kern- oder Ne­ben­pflicht­ver­let­zung, so­wie be­son­de­re Umstände der Tat­be­ge­hung, z.B. Häufig­keit und Dau­er ei­nes wie­der­hol­ten Fehl­ver­hal­tens), sub­jek­ti­ve Hand­lungs­merk­ma­le (ins­be­son­de­re Form und Ge­wicht der Schuld des Be­am­ten, Be­weg­gründe für sein Ver­hal­ten) so­wie un­mit­tel­ba­re Fol­gen des Dienst­ver­ge­hens für den dienst­li­chen Be­reich und für Drit­te (z.B. ma­te­ri­el­ler Scha­den).

Wenn es in § 13 Abs. 2 Satz 2 LDG NRW heißt, das Persönlich­keits­bild des Be­am­ten sei an­ge­mes­sen zu berück­sich­ti­gen, so be­deu­tet dies, dass es für die Be­stim­mung der Dis­zi­pli­nar­maßnah­me auch auf die persönli­chen Verhält­nis­se und

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das sons­ti­ge dienst­li­che Ver­hal­ten des Be­am­ten vor, bei und nach dem Dienst­ver­ge­hen an­kommt, ins­be­son­de­re so­weit es mit sei­nem bis­her ge­zeig­ten Persönlich­keits­bild übe­rein­stimmt oder da­von ab­weicht.

In An­wen­dung die­ser Grundsätze pflich­tet der er­ken­nen­de Se­nat dem be­klag­ten Land dar­in bei, dass sich die Kläge­rin mit dem hier vor­lie­gend zu be­ur­tei­len­den Ver­hal­ten ei­nes schwe­ren ein­heit­li­chen in­ner­dienst­li­chen Dienst­ver­ge­hens im Kern­be­reich ih­res Pflich­ten­krei­ses schul­dig ge­macht hat. Der Kläge­rin ob­lag es, auch am 28. Ja­nu­ar, 5. Fe­bru­ar und 10. Fe­bru­ar 2009 ih­rer Un­ter­richts- und Dienst­ver­pflich­tung nach­zu­kom­men und ge­genüber den ihr an­ver­trau­ten Schülern den staat­li­chen Bil­dungs- und Er­zie­hungs­auf­trag (§ 2 SchulG NRW) zu erfüllen. Trotz meh­re­rer Hin­wei­se ih­rer Vor­ge­setz­ten, dass die Teil­nah­me an den Warn­streiks ei­nen Ver­s­toß ge­gen ih­re be­am­ten­recht­li­chen Dienst- und Treue­pflich­ten dar­stellt, ist sie dem Dienst fern­ge­blie­ben. Ne­ben der Qua­lität die­ses Ver­s­toßes ge­gen ih­re Dienst­pflich­ten fällt bei der Be­mes­sung der Dis­zi­pli­nar­maßnah­me auch ins Ge­wicht, dass es sich um ei­ne wie­der­hol­te Ver­feh­lung han­delt. Die Kläge­rin ist im vor­lie­gen­den Fall nicht le­dig­lich ei­ne Schul­stun­de dem Dienst fern­ge­blie­ben. Sie ist viel­mehr an drei kom­plet­ten Schul­ta­gen dem Dienst oh­ne Ge­neh­mi­gung des Dienst­herrn fern­ge­blie­ben. Durch die Streik­teil­nah­me der Kläge­rin wa­ren an den drei Ta­gen ins­ge­samt 12 Un­ter­richts­stun­den be­trof­fen, von de­nen acht St­un­den er­satz­los aus­fie­len. Al­lein an ih­rem ers­ten Streik­tag, dem 28. Ja­nu­ar 2009 fie­len die ers­te und zwei­te Un­ter­richt­stun­de (Sport in der Klas­se 7c) so­wie die fünf­te und sechs­te Un­ter­richts­stun­de (Sport in der Klas­se 5d) er­satz­los aus. Die­ses Ver­hal­ten zeigt ein be­son­ders ho­hes Maß an Pflicht­ver­ges­sen­heit und Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit auf. Die Kläge­rin hat sich nicht dar­um gekümmert, ob die Be­treu­ung der ihr an­ver­trau­ten Schüle­rin­nen und Schüler eben­so wie der durch ihr Ver­hal­ten ver­ur­sach­te Un­ter­richts­aus­fall von an­de­ren Leh­rern, die dem Streik­auf­ruf der GEW nicht ge­folgt wa­ren, über­nom­men wer­den konn­te. Hier­durch ist das Ver­trau­en des Dienst­herrn, aber auch der All­ge­mein­heit - wie der El­tern und Schüler - in ih­re Zu­verlässig­keit und in ihr Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein als be­am­te­te Leh­re­rin in er­heb­li­chem Maße be­ein­träch­tigt wor­den. Die Kläge­rin hat ih­re ei­ge­nen u.a. wirt­schaft­li­chen In­ter­es­sen - ins­be­son­de­re auch den Ar­beits­kampf für ei­ne höhe­re Be­sol­dung - über ih­re Dienst­pflich­ten ge-

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stellt und dies auf dem Rücken der Schüle­rin­nen und Schüler aus­ge­tra­gen, die ih­rer­seits ih­rer Schul­pflicht (§§ 34 ff. SchulG NRW) nach­ge­kom­men wa­ren. Da­bei fällt be­son­ders die Hartnäckig­keit der Kläge­rin ins Ge­wicht, die sich auch an­ge­sichts des von ihr ver­ur­sach­ten Un­ter­richts­aus­falls am ers­ten Streik­tag so­wie der im Vor­feld geführ­ten Gespräche mit ih­rer Kon­rek­to­rin so­wie ih­rer Schul­lei­te­rin nicht da­von hat ab­hal­ten las­sen, sich über ih­re Dienst­pflich­ten hin­weg­zu­set­zen und rechts­wid­rig an den Streik­maßnah­men an drei Ta­gen teil­zu­neh­men.

Für die Kläge­rin spricht, dass sie bis­lang we­der straf­recht­lich noch dis­zi­pli­nar­recht­lich vor­be­las­tet ist. Für die Kläge­rin spricht auch, dass sie sich in der Fol­ge­zeit dar­um bemüht hat, Ver­tre­tungs­un­ter­richt zu über­neh­men. Ins­ge­samt hat sie 17 Schul­stun­den Ver­tre­tungs­un­ter­richt ge­leis­tet, die nicht über Mehr­ar­beit vergütet wur­den. Al­ler­dings wur­den von ihr nicht die­je­ni­gen Un­ter­richts­stun­den in den Klas­sen nach­ge­holt, die am 28. Ja­nu­ar 2009, 5. Fe­bru­ar 2009 und 10. Fe­bru­ar 2009 we­gen ih­rer Streik­teil­nah­me aus­ge­fal­len wa­ren bzw. fach­fremd er­teilt wor­den sind. Wei­te­re in den Umständen des Fal­les oder in der Persönlich­keit der Kläge­rin lie­gen­de durch­grei­fen­de Mil­de­rungs­gründe sind we­der er­sicht­lich noch vor­ge­tra­gen.

Un­ter Abwägung al­ler für und ge­gen die Kläge­rin spre­chen­den Ge­sichts­punk­te ist die Verhängung ei­ner Dis­zi­pli­nar­maßnah­me un­ab­weis­bar, um die be­gan­ge­ne Dienst­pflicht­ver­let­zung zu ahn­den und die Kläge­rin künf­tig zur Ein­hal­tung ih­rer Dienst­pflich­ten im In­ter­es­se ei­nes ord­nungs­gemäßen Schul­be­triebs an­zu­hal­ten. Ih­re Be­teue­rung, sich künf­tig rechtmäßig zu ver­hal­ten, reicht nicht. Die verhäng­te Dis­zi­pli­nar­maßnah­me ist auch er­for­der­lich, um an­de­re Leh­rer künf­tig von der rechts­wid­ri­gen Teil­nah­me an Streik­maßnah­men ab­zu­hal­ten. Mit Blick auf die Schwe­re des Dienst­ver­ge­hens ei­ner­seits und un­ter Berück­sich­ti­gung des Bemühens der Kläge­rin, we­nigs­tens ih­ren Dienst „nach­zu­leis­ten“ er­weist sich die verhäng­te Geld­buße i.H.v. 1.500,00 Eu­ro als an­ge­mes­se­ne Dis­zi­pli­nar­maßnah­me. Die Geld­buße als ein­ma­li­ge Pflich­te­ner­mah­nung genügt auch nach Auf­fas­sung des Se­nats im vor­lie­gen­den Fall, um die Kläge­rin künf­tig zur Ein­hal­tung ih­rer Dienst­pflich­ten zu be­we­gen. Auch die Höhe der verhäng­ten Geld­buße er­weist sich als an­ge­mes­sen. Nach Maßga­be des 7 Abs. 1 LDG NRW kann ei­ne Geld­buße bis zur Höhe der mo­nat­li­chen Dienst­bezüge auf­er­legt wer­den. Hin­ter die-

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sem Höchst­be­trag der Geld­buße ist der Dienst­herr deut­lich zurück­ge­blie­ben. Die Geld­buße um­fasst in et­wa die Hälf­te der mo­nat­li­chen Brut­to-Dienst­bezüge der Kläge­rin. Ein nied­ri­ge­rer Be­trag kam mit Blick auf den be­son­ders hartnäcki­gen Ge­hor­sams­ver­s­toß und die Schwe­re des Dienst­ver­ge­hens, ins­be­son­de­re un­ter Berück­sich­ti­gung der Tat­sa­che, dass die Kläge­rin ih­re Dienst- und Un­ter­richts­pflicht an ins­ge­samt drei Ta­gen ver­wei­gert hat, nicht in Be­tracht. Be­son­de­re - zu berück­sich­ti­gen­de - fi­nan­zi­el­le Be­las­tun­gen sind sei­tens der Kläge­rin nicht gel­tend ge­macht wor­den. Der Be­trag i.H.v. 1.500,00 Eu­ro (je Tag der Streik­teil­nah­me von 500,00 Eu­ro) ist ge­genüber der Kläge­rin als Pflich­ten­mah­nung er­for­der­lich und auch an­ge­mes­sen. Die in der Dis­zi­pli­nar­maßnah­me lie­gen­de Härte für die Be­am­tin ist nicht un­verhält­nismäßig. Sie be­ruht auf dem ihr zu­re­chen­ba­ren vor­an­ge­gan­ge­nen Fehl­ver­hal­ten, wo­bei es für sie vor­her­seh­bar war, was sie da­mit aufs Spiel setz­te.

C. Das Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren ist ent­ge­gen der An­sicht des Ver­wal­tungs­ge­richts Düssel­dorf nicht nach § 33 LDG NRW ein­zu­stel­len.

I. Ent­ge­gen der An­sicht des Ver­wal­tungs­ge­richts hätte das vor­lie­gen­de Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren nicht nach § 33 Abs. 1 Nr. 4 LDG NRW von dem Dienst­herrn der Kläge­rin ein­ge­stellt wer­den müssen. Nach Maßga­be die­ser Re­ge­lung wird das Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren ein­ge­stellt, wenn das Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren oder ei­ne Dis­zi­pli­nar­maßnah­me aus sons­ti­gen Gründen un­zulässig ist. Die­se Tat­be­stands­vor­aus­set­zun­gen lie­gen im vor­lie­gen­den Fall je­doch nicht vor. Der Auf­fang­tat­be­stand nach § 33 Abs. 1 Nr. 4 LDG NRW be­trifft Ver­fah­rens­feh­ler und kommt zum Tra­gen, wenn ein Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren nicht wirk­sam ein­ge­lei­tet wur­de, z.B. ei­ne un­zuständi­ge Behörde ge­han­delt hat oder nicht er­kenn­bar ist, auf wel­chen Sach­ver­halt das Dienst­ver­ge­hen gestützt wird, und ei­ne späte­re Hei­lung der Ver­fah­rens­feh­ler nicht er­folgt ist bzw. aus Rechts­gründen nicht ein­tre­ten konn­te. Auch dann, wenn trotz Ver­brauchs der Dis­zi­pli­nar­be­fug­nis ein Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet wird oder wenn die Vor­aus­set­zun­gen des persönli­chen (§ 1 LDG NRW) oder sach­li­chen (§ 2 LDG NRW) Gel­tungs­be­reichs feh­len oder weg­ge­fal­len sind, kommt ei­ne Ein­stel­lung nach § 33 Abs. 1 Nr. 4 LDG in Be­tracht.

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Vgl. zum wort­glei­chen § 32 Abs. 1 Nr. 4 BDG: Witt­kow­ski, in: Ur­ban/Witt­kow­ski, BDG, 2011, § 32 Rd­nr. 7; Gan­sen, Dis­zi­pli­nar­recht in Bund und Ländern, Bd. 1, § 32 Rd­nr. 10; Hum­mel, in: Hum­mel/ Köhler/May­er, BDG, § 32 Rd­nr. 9 u. 10.

Ein sol­cher Sach­ver­halt liegt hier nicht vor. Das Ver­wal­tungs­ge­richt hat im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren selbst er­kannt, dass hier die zuständi­ge Behörde ein Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren ge­gen die Kläge­rin nach § 17 LDG NRW ein­zu­lei­ten hat­te, da die Kläge­rin - ei­ne Be­am­tin - ein Dienst­ver­ge­hen be­gan­gen hat­te, und dass der Dis­zi­pli­nar­maßnah­me auch nicht die Re­ge­lun­gen in den §§ 14, 15 LDG NRW i.V.m. § 17 Abs. 2 LDG NRW ent­ge­gen ge­stan­den ha­ben. Die An­nah­me des Ver­wal­tungs­ge­richts, im vor­lie­gen­den Fall sei ei­ne Dis­zi­pli­nar­maßnah­me „aus sons­ti­gen Gründen“ un­zulässig, nämlich „we­gen Ver­s­toßes ge­gen die EM­RK“, teilt der er­ken­nen­de Se­nat aus meh­re­ren Gründen nicht. Zum ei­nen stellt das ver­fas­sungs­recht­lich ver­an­ker­te Streik­ver­bot für Be­am­te in der Bun­des­re­plik Deutsch­land - wie be­reits oben dar­ge­legt - kei­nen Ver­s­toß ge­gen Art. 11 EM­RK dar. Zum an­de­ren ver­kennt das Ver­wal­tungs­ge­richt die Rang­ord­nung der EM­RK im deut­schen Rechts­sys­tem als ein­fa­ches Bun­des­ge­setz, das letzt­lich an dem Grund­ge­setz als höher­ran­gi­ger Norm zu mes­sen ist. Selbst wenn man aus der EM­RK und der Recht­spre­chung des EGMR ein ge­ne­rel­les Streik­recht für deut­sche Be­am­te - oder zu­min­dest für die­je­ni­gen, die kei­ne ho­heits­recht­li­che Funk­tio­nen ausüben - ab­lei­ten woll­te, hin­dert dies in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land den je­wei­li­gen Dienst­herrn recht­lich nicht, ge­gen Be­am­te - die ih­rer Dienst- und Ge­hor­sams­pflicht we­gen ei­nes Streiks nicht nach­kom­men - ein Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren ein­zu­lei­ten und ei­ne Dis­zi­pli­nar­maßnah­me zu verhängen oder gar zum Zwe­cke der Ent­fer­nung aus dem Be­am­ten­verhält­nis ge­gen den Be­am­ten ei­ne Dis­zi­pli­nar­k­la­ge zu er­he­ben. Der Se­nat hat be­reits oben aus­geführt, dass die Re­ge­lun­gen der EM­RK und die Recht­spre­chung des EGMR möglichst scho­nend in das vor­han­de­ne dog­ma­tisch aus­dif­fe­ren­zier­te na­tio­na­le Rechts­sys­tem an­zu­pas­sen sind, wo­bei sich die Gren­zen der völker­rechts­freund­li­chen Aus­le­gung aus dem Grund­ge­setz selbst er­ge­ben. Das Völker­recht ver­mag die Rechts­wirk­sam­keit der im Grund­ge­setz ver­an­ker­ten und geschütz­ten Kern­struk­tur­prin­zi­pi­en nicht aus­zu­he­beln.

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Vgl. BVerfG, Ur­teil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 -, a. a. O; Be­schluss vom 19. Sep­tem­ber 2007 - 2 BvF 3/02 -, a. a. O.

Das Streik­ver­bot für Be­am­te, und zwar un­abhängig da­von, wel­che Funk­ti­on sie ausüben, ist - wie oben dar­ge­stellt - ein her­ge­brach­ter Grund­satz des Be­rufs­be­am­ten­tums und gehört zu dem Kern­ge­halt des Grund­ge­set­zes, der zu­gleich die Gren­ze - auch die Aus­le­gungs­gren­ze - für völker­recht­li­che Re­ge­lun­gen dar­stellt. Vor die­sem Hin­ter­grund sind auch die Gründe der an­ge­foch­te­nen Ent­schei­dung wi­dersprüchlich und in der Sa­che in­kon­se­quent, weil das Ver­wal­tungs­ge­richt ei­ner­seits selbst da­von aus­geht, dass ein Streik­recht der Kläge­rin als Be­am­tin ver­fas­sungs­recht­lich aus­ge­schlos­sen ist, sich dar­an auch mit Blick „auf das eu­ropäische Recht“ nichts ände­re und die Kläge­rin mit ih­rer Streik­teil­nah­me schuld­haft ein Dienst­ver­ge­hen be­gan­gen ha­be, aber dass die­ses Dienst­ver­ge­hen - an­ge­sichts ei­nes Ver­s­toßes ge­gen die EM­RK - nicht ge­ahn­det wer­den dürfe und des­halb nach § 33 Abs. 1 Nr. 4 LDG NRW ein­zu­stel­len ge­we­sen sei. Die­ses Ar­gu­men­ta­ti­on be­inhal­tet ei­nen Zir­kel­schluss und würde das Dis­zi­pli­nar­recht - das eben­falls als her­ge­brach­ter Grund­satz des Be­rufs­be­am­ten­tums ver­fas­sungs­recht­lich ver­an­kert ist -,

vgl. BVerfG, Be­schlüsse vom 22. No­vem­ber 2001 - 2 BvR 2138/00 -, NVwZ 2002, 467, und vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 -, BVerfGE 39, 334; BVerwG, Ur­teil vom 23. Fe­bru­ar 1994 - 1 D 65.91 -, a. a. O.,

sinn­los ma­chen, denn es hätte letzt­lich zur Kon­se­quenz, dass sich ein Be­am­ter be­wusst und schuld­haft dienst­pflicht­wid­rig verhält, sein Ver­hal­ten je­doch dienst­recht­lich fol­gen­los blie­be. Dies ist mit dem Sinn und Zweck des Dis­zi­pli­nar­rechts nicht zu ver­ein­ba­ren. Das Dis­zi­pli­nar­recht erfüllt als Mit­tel der Per­so­nalführung des Dienst­herrn in ers­ter Li­nie ei­ne Ord­nungs­funk­ti­on. Mit ihm re­agiert der Dienst­vor­ge­setz­te auf die durch ei­ne Dienst­pflicht­ver­let­zung ver­ur­sach­te Störung des be­am­ten­recht­li­chen Dienst- und Treue­verhält­nis­ses, die ge­eig­net ist, die Funk­ti­ons- und Leis­tungsfähig­keit der öffent­li­chen Ver­wal­tung und das An­se­hen der Be­am­ten­schaft zu be­ein­träch­ti­gen. Das Dis­zi­pli­nar­recht dient da­mit der Wah­rung des Ver­trau­ens des Dienst­herrn und der All­ge­mein­heit in die pflicht­gemäße Auf­ga­ben­erfüllung durch die Be­am­ten und da­mit letzt­lich dem all­ge­mei­nen In­te-

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res­se an der Si­che­rung der In­te­grität des Be­rufs­be­am­ten­tums. Die Geld­buße (§ 7 Abs. 1 LDG NRW) - die hier als Dis­zi­pli­nar­maßnah­me von dem be­klag­ten Land ge­genüber der Kläge­rin verhängt wur­de - dient der Pflich­ten­mah­nung, in­dem sie die Be­am­tin selbst (spe­zi­al­präven­tiv), aber auch die übri­ge Be­am­ten­schaft (ge­ne­ral­präven­tiv) zu dienst­pflicht­gemäßem, ach­tungs- und ver­trau­ens­ge­rech­tem Ver­hal­ten auf­for­dert.

Vgl. zum Zweck des Dis­zi­pli­nar­ver­fah­rens auch: BVerwG, Ur­tei­le vom 13. Ja­nu­ar 2011 - 2 WD 20.09 -, ju­ris, vom 14. Ok­to­ber 2009 - 2 WD 16.08 -, Buch­holz 449 § 17 SG Nr. 43, und vom 23. Ja­nu­ar 1973 - 1 D 25.72 -, BVerw­GE 46, 64; Müller, Grundzüge des Be­am­ten­dis­zi­pli­nar­rechts, 2010, Rd­nr. 13 ff.

Die­se Funk­ti­on des Dis­zi­pli­nar­rechts wäre nicht mehr mit Sinn erfüllt, wenn die durch die Streik­teil­nah­me er­folg­te Pflicht­ver­let­zung des Be­am­ten - hier der Kläge­rin - dis­zi­pli­nar­recht­lich fol­gen­los blie­be. Ent­ge­gen der An­sicht des Ver­wal­tungs­ge­richts ändert dar­an auch die Re­ge­lung des § 9 Satz 1 BBesG nichts, wo­nach ein Be­am­ter, der oh­ne Ge­neh­mi­gung schuld­haft dem Dienst fern­bleibt, für die Zeit des Fern­blei­bens sei­ne Bezüge ver­liert. Zum ei­nen wäre der An­wen­dungs­be­reich des § 9 Satz 1 BBesG nicht eröff­net, wenn dem Be­am­ten ein Streik­recht zustünde und ihm da­mit für die Streik­teil­nah­me ei­ne Ge­neh­mi­gung zum Fern­blei­ben vom Dienst sei­tens des Dienst­herrn zu er­tei­len wäre. Zum an­de­ren ver­kennt das Ver­wal­tungs­ge­richt, dass die Re­ge­lung des § 9 BBesG kei­ne dis­zi­pli­na­ri­sche Maßnah­me dar­stellt und ins­be­son­de­re nicht be­zweckt, den ge­ord­ne­ten äußeren Dienst­ab­lauf zu si­chern.

Vgl. Schin­kel/Sei­fert, in: Fürst, GKÖD, Be­sol­dungs­recht des Bun­des und der Länder, Bd. III, § 9 BBesG Rd­nr. 2.

Die mit dem Dis­zi­pli­nar­recht ver­folg­te spe­zi­al- und ge­ne­ral­präven­ti­ve Ziel­set­zung zur Si­cher­stel­lung und Funk­ti­ons­er­hal­tung des öffent­li­chen Dienst­be­triebs be­inhal­tet § 9 BBesG nicht. Es han­delt sich hier­bei aus­sch­ließlich um ei­ne be­sol­dungs­recht­li­che Rechts­fol­ge. Es geht um ei­ne Leis­tungsstörung. Der Be­am­te, der un­be­rech­tigt und schuld­haft sei­ne Ar­beits­zeit verkürzt, soll nicht bes­ser ge­stellt wer­den als der Be­am­te, der ent­spre­chend fest­ge­setz­te Teil­zeit­ar­beit leis­tet.

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Vgl. BVerwG, Ur­teil vom 25. Sep­tem­ber 2003 - 2 C 49.02 -, NVwZ-RR 2004. 273; Sch­weg­mann/ Sum­mer, Bun­des­be­sol­dungs­ge­setz, Teil II/1, § 9 BBesG Rd­nr. 3c.

Auch die Be­haup­tung des Ver­wal­tungs­ge­richts, es sei da­von aus­zu­ge­hen, dass die Be­am­ten „das ver­fas­sungs­recht­li­che Streik­ver­bot auch dann be­ach­ten, wenn ein Ver­s­toß kei­ne Dis­zi­pli­nar­maßnah­me nach sich zieht“, weil die Be­am­ten in be­son­de­rer Wei­se ver­pflich­tet sei­en, Ver­fas­sung und Ge­set­ze zu be­fol­gen“, ist durch Bei­spie­le nicht be­legt und durch zahl­rei­che Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren wi­der­legt. Wenn dies so wäre, dürf­te es über­haupt kei­ne Dienst­ver­ge­hen ge­ben und das Dis­zi­pli­nar­recht wäre überflüssig, da sich nach Auf­fas­sung des Ver­wal­tungs­ge­richts al­le Be­am­ten an die Ge­set­ze hal­ten würden. Bei le­bens­na­her Be­trach­tung hätte die Nichts­ank­tio­nie­rung ei­nes Dienst­ver­ge­hens - wie hier die un­ge­neh­mig­te Streik­teil­nah­me durch Be­am­te - zur Fol­ge, dass der Dienst­herr die loya­le Pflich­ten­erfüllung durch sei­ne Be­am­ten nicht mehr si­cher­stel­len könn­te. Es liegt auf der Hand, dass ei­ne Viel­zahl von Be­am­ten - wie hier die Leh­rer­schaft - künf­tig an zahl­rei­chen Streik­auf­ru­fen der Be­rufs­verbände teil­neh­men würden, wenn sie in dem Wis­sen han­deln, dass sie zwar ein Dienst­ver­ge­hen be­ge­hen, aber kei­ne Dis­zi­pli­nar­maßnah­men zu befürch­ten ha­ben. Die un­ge­neh­mig­te Teil­nah­me von über 1800 be­am­te­ten Leh­rern an Warn­streiks in Schles­wig-Hol­stein im Jahr 2010,

vgl. „Mehr als 1800 Leh­rer we­gen Streik ab­ge­straft“, in: Spie­gel On­line v. 6. No­vem­ber 2011, im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich un­ter: http://www.spie­gel.de/schul­spie­gel/0,1518,79619 0,00.html; „We­gen Streik: Dis­zi­pli­nar­ver­wei­se für mehr als 1800 Leh­rer, in Stutt­gar­ter Nach­rich­ten v. 6. No­vem­ber 2011, im In­ter­net all­ge­mein zugäng­lich un­ter: http://www.stutt­gar­ter-nach­rich-ten.de/in­halt.schles­wig-hol­stein-we­gen-streik:-dis­zi­pli­nar­ver­wei­se-fu­er-mehr-als-1800-leh-rer.387e1b22-7a64-43a5-a847-69662a30c1a1.html,

zeigt, dass in die­sem Sek­tor ei­ne ge­wis­se Streik­be­reit­schaft vor­han­den ist und dass dem Dienst­herrn dis­zi­pli­nar­recht­li­che Maßnah­men zur Verfügung ste­hen müssen, um auf sei­ne Be­am­ten ein­wir­ken zu können und um so­mit ei­nen ord-

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nungs­gemäßen Schul­be­trieb und die Funk­ti­onsfähig­keit des öffent­li­chen Diens­tes si­cher­zu­stel­len. So­fern man der­ar­ti­ge Dienst­ver­ge­hen - wie vom Ver­wal­tungs­ge­richt an­ge­nom­men - nicht ahn­den könn­te, würde hier­durch die ver­fas­sungs­recht­lich ver­an­ker­te Treue­pflicht des Be­am­ten aus­ge­he­belt und die Funk­ti­onsfähig­keit des öffent­li­chen Diens­tes in be­son­de­rer Wei­se gefähr­det. Ins­be­son­de­re auch mit Blick auf die Leh­rer wäre zu befürch­ten, dass durch ei­ne Streik­teil­nah­me auch der be­am­te­ten Leh­rer der Schul­be­trieb so­wie der staat­li­che Er­zie­hungs- und Bil­dungs­auf­trag mas­siv be­ein­träch­tigt würde. Der Staat wäre nicht mehr in der La­ge das Recht der Schüle­rin­nen und Schüler auf Bil­dung so­wie auch de­ren Be­treu­ung un­ein­ge­schränkt zu gewähr­leis­ten.

Vgl. in der Sa­che zu­tref­fend: VG Os­nabrück, Ur-teil vom 19. Au­gust 2011 - 9 A 1/11 -, a. a. O.

II. Das Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren hätte auch nicht nach § 33 Abs. 1 Nr. 2 LDG NRW ein­ge­stellt wer­den müssen. Da­nach wird das Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren ein­ge­stellt, wenn ein Dienst­ver­ge­hen zwar er­wie­sen ist, ei­ne Dis­zi­pli­nar­maßnah­me je­doch nicht an­ge­zeigt er­scheint. Die­ser Re­ge­lung trägt dem im Dis­zi­pli­nar­recht ne­ben an­de­ren Grundsätzen auch an­wend­ba­ren Op­por­tu­nitätsprin­zip Rech­nung und ermöglicht ei­ne Abwägung zwi­schen ei­ner ge­ringfügi­gen Ver­feh­lung und ei­nem sonst ein­wand­frei­en Ver­hal­ten des Be­am­ten. Die Re­ge­lung ba­siert un­mit­tel­bar auf § 13 Abs. 1 LDG NRW, wo­nach die Ent­schei­dung über ei­ne Dis­zi­pli­nar­maßnah­me un­ter Be­ach­tung der dort ge­nann­ten Kri­te­ri­en nach pflicht­gemäßem Er­mes­sen er­geht, und ist mit ihr in­so­weit tat­be­stand­lich iden­tisch. Ob ei­ne Dis­zi­pli­nar­maßnah­me „an­ge­zeigt er­scheint“ ist des­halb aus­sch­ließlich nach den Kri­te­ri­en des § 13 Abs. 1 LDG NRW zu be­wer­ten.

Vgl. zum wort­glei­chen § 32 Abs. 1 Nr. 2 BDG: Witt­kow­ski, in: Ur­ban/Witt­kow­ski, a. a. O, BDG § 32 Rd­nr. 5; Hum­merl/Köhler/May­er, a. a. O., BDG, § 32 Rd­nr. 6; Gan­sen, a. a. O., BDG, § 32 Rd­nr. 8.

Im vor­lie­gen­den Fall hat die Kläge­rin - wie oben dar­ge­stellt - durch die Teil­nah­me an Warn­streiks an drei Ta­gen, ob­wohl sie zu­vor durch die Kon­rek­to­rin und die Schul­lei­te­rin zur Wahr­neh­mung ih­rer Dienst­pflich­ten an­ge­hal­ten wor­den ist, ein schwer­wie­gen­des als Ein­heit zu wer­ten­des in­ner­dienst­li­ches Dienst­ver­ge­hen be-

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gan­gen, das die Verhängung ei­ner Dis­zi­pli­nar­maßnah­me aus spe­zi­al- und ge­ne­ral­präven­ti­ven Zwe­cken er­for­dert. Mit Blick auf die Schwe­re des Dienst­ver­ge­hens kommt ei­ne Ein­stel­lung nach § 33 Abs. 1 Nr. 2 LDG NRW von vorn­her­ein nicht in Be­tracht.

D. Die Ne­ben­ent­schei­dun­gen be­ru­hen auf den §§ 74 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 LDG NRW, §§ 154 Abs. 1, 167 Abs. 1 Vw­GO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Ein Grund, die Re­vi­si­on zu­zu­las­sen, be­steht nicht, §§ 67, 3 Abs. 1 LDG NRW, § 132 Abs. 2 Vw­GO. Ins­be­son­de­re ist die Re­vi­si­on nicht we­gen grundsätz­li­cher Be­deu­tung der Rechts­sa­che (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 Vw­GO) zu­zu­las­sen. Es ent­spricht ständi­ger höchst­rich­ter­li­cher Recht­spre­chung,

vgl. BVerfG, Be­schlüsse vom 19. Sep­tem­ber 2007 - 2 BvF 3/02 -, a. a. O., vom 30. März 1977 - 2 BvR 1039/75 u.a. -, a. a. O., und vom 11. Ju­ni 1958 - 1 BvR 1/52 u.a. -,a. a. O.; BVerwG, Ur­tei­le vom 23. Fe­bru­ar 1994 - 1 D 65.91 -, a. a. O., - 1 D 48.92 -, a. a. O., vom 10. Mai 1984 - 2 C 18.82 -, a. a. O., vom 3. De­zem­ber 1980 - 1 D 86.79 -, a. a. O., vom 22. No­vem­ber 1979 - 1 D 84.78 -, a. a. O., und vom 16. No­vem­ber 1978 - 1 D 82.77 -,a. a. O.; Be­schluss vom 19. Sep­tem­ber 1977 - 1 DB 12.77 -, a. a. O.,

dass in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land vor dem Hin­ter­grund des Art. 33 Abs. 5 GG Be­am­ten ein Streik­recht nicht zu­steht. Ein neu­er­li­cher Klärungs­be­darf er­gibt sich auch nicht mit Blick auf die EM­RK und die Recht­spre­chung des EGMR, da die EM­RK - selbst wenn man aus de­ren Art. 11 ent­ge­gen der oben dar­ge­stell­ten Auf­fas­sung des Se­nats ein Streik­recht ab­lei­ten woll­te - in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land nach höchst­rich­ter­li­cher Recht­spre­chung,

Vgl. BVerfG, Ur­teil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 u.a. -, a. a. O.; Be­schlüsse vom 14. Ok­to­ber 2004 - 2 BvR 1481/04 -, a. a. O., und vom 29. Mai 1990 - 2 BvR 254/88 u.a. -, a. a. O.,

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nur den Rang ei­nes ein­fa­chen Bun­des­ge­set­zes hat und da­mit an den Vor­ga­ben des Grund­ge­set­zes - hier Art. 33 Abs. 5 GG - zu mes­sen ist.

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Die Nicht­zu­las­sung der Re­vi­si­on kann durch Be­schwer­de an­ge­foch­ten wer­den.

Die Be­schwer­de ist bei Ober­ver­wal­tungs­ge­richt für das Land Nord­rhein-West­fa­len, Ae­gi­dii­kirch­platz 5, 48143 Müns­ter, in­ner­halb ei­nes Mo­nats nach Zu­stel­lung die­ses Ur­teils schrift­lich ein­zu­le­gen. Die Be­schwer­de muss das an­ge­foch­te­ne Ur­teil be­zeich­nen.


Die Be­schwer­de ist in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach Zu­stel­lung die­ses Ur­teils zu be­gründen. Die Be­gründung ist bei dem oben ge­nann­ten Ge­richt schrift­lich ein­zu­rei­chen.


Statt in Schrift­form können die Ein­le­gung und die Be­gründung der Be­schwer­de auch in elek­tro­ni­scher Form nach Maßga­be der Ver­ord­nung über den elek­tro­ni­schen Rechts­ver­kehr bei den Ver­wal­tungs­ge­rich­ten und den Fi­nanz­ge­rich­ten im Lan­de Nord­rhein-West­fa­len - ERV­VO VG/FG – vom 1. De­zem­ber 2010 (GV. NRW. S. 648) er­fol­gen.

Im Be­schwer­de­ver­fah­ren müssen sich die Be­tei­lig­ten durch Pro­zess­be­vollmäch­tig­te ver­tre­ten las­sen; dies gilt auch für die Ein­le­gung der Be­schwer­de und für die Be­gründung. Die Be­tei­lig­ten können sich durch ei­nen Rechts­an­walt oder ei­nen Rechts­leh­rer an ei­ner staat­li­chen oder staat­lich an­er­kann­ten Hoch­schu­le ei­nes Mit­glied­staa­tes der Eu­ropäischen Uni­on, ei­nes an­de­ren Ver­trags­staa­tes des Ab­kom­mens über den eu­ropäischen Wirt­schafts­raum oder der Schweiz, der die Befähi­gung zum Rich­ter­amt be­sitzt, als Be­vollmäch­tig­ten ver­tre­ten las­sen. Auf die zusätz­li­chen Ver­tre­tungsmöglich­kei­ten für Behörden und ju­ris­ti­sche Per­so­nen des öffent­li­chen Rechts ein­sch­ließlich der von ih­nen zur Erfüllung ih­rer öffent­li­chen Auf­ga­ben ge­bil­de­ten Zu­sam­men­schlüsse wird hin­ge­wie­sen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 der Ver­wal­tungs­ge­richts­ord­nung - Vw­GO - und § 5 Nr. 6 des Einführungs­ge­set­zes zum Rechts­dienst­leis­tungs­ge­setz - RD­GEG -).

Vor dem Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt sind auch die in § 67 Ab­satz 2 Nr. 5 Vw­GO be­zeich­ne­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen ein­sch­ließlich der von ih­nen ge­bil­de­ten ju­ris­ti­schen Per­so­nen gemäß § 67 Ab­satz 2 Satz 2 Nr. 7 Vw­GO als Be­vollmäch­tig­te zu­ge­las­sen, je­doch nur in An­ge­le­gen­hei­ten, die Rechts­verhält­nis­se im Sin­ne des § 52

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Nr. 4 Vw­GO be­tref­fen; die hier ge­nann­ten Be­vollmäch­tig­ten müssen durch Per­so­nen mit der Befähi­gung zum Rich­ter­amt han­deln.


Rich­te­rin am OVG Flo­cken-haus ist dienst­unfähig krank und kann da­her ih­re Un­ter­schrift nicht beifügen.
Dr. Scha­chel 

Hoff­mann 

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