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ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/082

Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt mahnt ge­setz­li­che Re­ge­lung des Be­am­ten­streik­rechts an

Ge­ne­rel­les Streik­ver­bot des deut­schen Be­am­ten­rechts wi­der­spricht Art.11 der Eu­ro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EM­RK): Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt, Ur­teil vom 27.02.2014, 2 C 1.13
Feuerwehrmann Polizist Arzt Wer von ih­nen soll strei­ken dür­fen, wer nicht?

11.03.2014. Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) in Leip­zig hat En­de Fe­bru­ar 2014 ei­nen vor­läu­fi­gen Schluss­strich un­ter ei­nen jah­re­lan­gen ju­ris­ti­schen Streit über die Fol­gen ei­ner Streik­be­tei­li­gung von Be­am­ten ge­zo­gen.

Ob­wohl das ge­ne­rel­le Streik­ver­bot des deut­schen Be­am­ten­rechts mit Art.11 der Eu­ro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EM­RK) un­ver­ein­bar ist, gilt es bis zu ei­ner ge­setz­li­chen Re­form des Be­am­ten­streik­rechts vor­läu­fig wei­ter, so das BVerwG.

Da­her ha­ben die Leip­zi­ger Rich­ter ei­ne Dis­zi­pli­nar­stra­fe, die ei­ne Be­am­tin we­gen ei­ner Streik­ak­ti­on kas­sier­te, zwar im Prin­zip ab­ge­seg­net, den Ge­setz­ge­ber aber zu ei­ner Re­form des Be­am­ten­streik­rechts auf­ge­for­dert: BVerwG, Ur­teil vom 27.02.2014, 2 C 1.13 (Pres­se­mel­dung).

Art.33 Abs.5 Grund­ge­setz con­tra Art.11 Abs.2 Eu­ropäische Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on?

Deut­sche Be­am­te dürfen nach herr­schen­der Mei­nung in der Recht­spre­chung und ju­ris­ti­schen Li­te­ra­tur nicht strei­ken, denn ih­re Ar­beits­be­din­gun­gen und Bezüge wer­den nicht per Ta­rif­ver­trag ge­re­gelt, son­dern per Ge­setz.

Da­her können sich Be­am­te zwar in ge­werk­schaft­li­chen In­ter­es­sen­verbänden or­ga­ni­sie­ren und da­mit von ih­rem Grund­recht aus Art.9 Abs.3 Satz 1 Grund­ge­setz (GG) Ge­brauch ma­chen. Ein Streik­recht gewährt die­ses Ko­ali­ti­ons­grund­recht Be­am­ten aber nicht.

Vor die­sem Hin­ter­grund gehört das Streik­ver­bot für Be­am­te zu den "her­ge­brach­ten Grundsätzen des Be­rufs­be­am­ten­tums" im Sin­ne von Art. 33 Abs.5 GG. Das Streik­ver­bot gilt nach herr­schen­der Mei­nung für al­le Be­am­ten und nicht et­wa nur für die­je­ni­gen, die in si­cher­heits­re­le­van­ten Be­rei­chen und/oder in der ei­gent­lich ho­heit­li­chen Staats­ver­wal­tung tätig sind. Ein Fi­nanz­be­am­ter oder ein ver­be­am­te­ter Leh­rer muss das Ver­bot da­her eben­so be­fol­gen wie ein Po­li­zei­be­am­ter.

Die­se in Deutsch­land be­ste­hen­de Rechts­la­ge passt aber nicht so gut mit Art.11 EM­RK zu­sam­men. Die­se Vor­schrift lau­tet:

"Ver­samm­lungs- und Ver­ei­ni­gungs­frei­heit

(1) Je­de Per­son hat das Recht, sich frei und fried­lich mit an­de­ren zu ver­sam­meln und sich frei mit an­de­ren zu­sam­men­zu­sch­ließen; da­zu gehört auch das Recht, zum Schutz sei­ner In­ter­es­sen Ge­werk­schaf­ten zu gründen und Ge­werk­schaf­ten bei­zu­tre­ten.

(2) Die Ausübung die­ser Rech­te darf nur Ein­schränkun­gen un­ter­wor­fen wer­den, die ge­setz­lich vor­ge­se­hen und in ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft not­wen­dig sind für die na­tio­na­le oder öffent­li­che Si­cher­heit, zur Auf­recht­er­hal­tung der Ord­nung oder zur Verhütung von Straf­ta­ten, zum Schutz der Ge­sund­heit oder der Mo­ral oder zum Schutz der Rech­te und Frei­hei­ten an­de­rer. Die­ser Ar­ti­kel steht rechtmäßigen Ein­schränkun­gen der Ausübung die­ser Rech­te für An­gehöri­ge der Streit­kräfte, der Po­li­zei oder der Staats­ver­wal­tung nicht ent­ge­gen."

Da Deutsch­land die EGMR ra­ti­fi­ziert hat, gel­ten de­ren Vor­schrif­ten als Be­stand­teil des Bun­des­rechts, d.h. sie sind Teil des ein­fa­chen auf Bun­des­ebe­ne gel­ten­den Ge­set­zes­rechts. "Ein­fa­ches" Ge­set­zes­recht heißt, dass die EGMR nicht Teil der Ver­fas­sung ist, son­dern im Rang der Ge­set­zes­vor­schrif­ten un­ter­halb der Ver­fas­sung, d.h. des Grund­ge­set­zes steht.

Da das Streik­recht in Art.11 EGMR nicht aus­drück­lich erwähnt wird, kommt es hier auf die Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR) an. Er hat in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ei­ni­ge Ur­tei­le zu die­sem The­ma gefällt.

Was sagt der Eu­ropäische Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te zum Streik­recht von Staats­be­diens­te­ten?

Die Ver­ei­ni­gungs­frei­heit als Men­schen­recht um­fasst nach der Recht­spre­chung des EGMR auch das Recht zu Ta­rif­ver­hand­lun­gen (EGMR, Ur­teil vom 12.11.2008, 34503/97 - De­mir u. Bay­ka­ra ./. Türkei, Rn.153, 154), und außer­dem das Streik­recht, das al­ler­dings nicht "ab­so­lut" geschützt ist, son­dern An­gehöri­gen des öffent­li­chen Diens­tes ver­bo­ten wer­den kann, wenn sie im Na­men des Staa­tes Ho­heits­ge­walt ausüben (EGMR, Ur­teil vom 21.04.2009, 68959/01 - En­er­ji Ya­pi-Yol Sen ./. Türkei, Rn.32).

Außer­dem hat der EGMR ge­for­dert, dass Vor­schrif­ten über das Streik­recht bzw. über sei­ne Be­schränkung für An­gehöri­ge des öffent­li­chen Diens­tes so ein­deu­tig und so eng be­grenzt wie möglich die da­von be­trof­fe­nen Beschäftig­ten­grup­pen be­stim­men müssen (EGMR, Ur­teil vom 21.04.2009, 68959/01 - En­er­ji Ya­pi-Yol Sen ./. Türkei, Rn.32).

Auf­grund die­ser bei­den Ur­tei­le ist ziem­lich klar, dass der EGMR das Streik­recht als ein Recht an­sieht, das im Aus­gangs­punkt al­len Staats­be­diens­te­ten zu­steht, d.h. Ar­beit­neh­mern und Be­am­ten, und dass Ein­schränkun­gen des Streik­rechts nur zulässig sind, wenn sie mit Art.11 Abs.2 EM­RK zu ver­ein­ba­ren sind.

We­ni­ger klar ist, ob das in Deutsch­land für al­le Be­am­ten gel­ten­de Streik­ver­bot dem Schran­ken­vor­be­halt des Art.11 Abs.2 Satz 2 EM­RK ent­spricht oder nicht.

Hier könn­te man ar­gu­men­tie­ren, dass Be­am­te im­mer, eben weil sie Be­am­te sind und kei­ne An­ge­stell­ten, zur "Staats­ver­wal­tung" im Sin­ne von Art.11 Abs.2 Satz 2 zu zählen sind. So ge­se­hen ist das für al­le Be­am­ten in Deutsch­land gel­ten­de Streik­ver­bot mit Art.11 EM­RK und der Recht­spre­chung des EGMR zu ver­ein­ba­ren. In die­sem Sin­ne hat das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt (OVG) Nord­rhein-West­fa­len (NRW) im März 2012 ent­schie­den (OVG NRW, Ur­teil vom 07.03.2012, 3d A 317/11.O), und ähn­lich auch das Ver­wal­tungs­ge­richt Os­nabrück (Ur­teil vom 19.08.2011, 9 A 1/11 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/168 Streik­ver­bot für Be­am­te müssen auch Leh­rer be­ach­ten).

Die Ge­gen­mei­nung lau­tet: Die Un­ter­schei­dung zwi­schen Ar­beit­neh­mern und Be­am­ten ist für Art.11 EM­RK und für die Recht­spre­chung des EGMR un­er­heb­lich. Strei­ken dürfen im Aus­gangs­punkt al­le Beschäftig­ten des öffent­li­chen Diens­tes, und Aus­nah­men lässt der EGMR nur zu, wenn die vom Streik­recht aus­ge­schlos­se­nen Beschäftig­ten­grup­pen (An­ge­stell­te oder Be­am­te) im Na­men des Staa­tes Ho­heits­ge­walt ausüben.

Und das tun zum Bei­spiel ver­be­am­te­te Leh­rer nicht oder nur in sehr ge­rin­gem Um­fang, z.B. beim Er­tei­len von Ab­schluss­no­ten. Ver­be­am­te­te Leh­rer dürfen da­her strei­ken (so das Ver­wal­tungs­ge­richt Kas­sel, Ur­teil vom 27.07.2011, 28 K 1208/10.KS.D) oder zu­min­dest nicht für ei­ne Streik­teil­nah­me mit ei­ner Dis­zi­pli­nar­maßnah­me be­straft wer­den (so das Ver­wal­tungs­ge­richt Düssel­dorf, Ur­teil vom 15.12.2010, 31 K 3904/10.O).

Der Streit­fall: Ver­be­am­te­te Leh­re­rin aus Nord­rhein-West­fa­len be­tei­ligt sich an Warn­streiks der GEW

An­fang 2009 be­tei­lig­te sich ei­ne ver­be­am­te­te Leh­re­rin, die in der Ge­werk­schaft Er­zie­hung und Wis­sen­schaf­ten (GEW) ak­tiv war, an drei ver­schie­de­nen Ta­gen an ei­nem Warn­streik der GEW und kas­sier­te dafür ei­ne Dis­zi­pli­nar­stra­fe in Form ei­ner Geld­buße von 1.500,00 EUR.

Das woll­te sie nicht auf sich sit­zen las­sen und zog vor das Ver­wal­tungs­ge­richt Düssel­dorf. Dort hat­te sie Er­folg: Das Ge­richt mein­te, dass die Leh­re­rin als Be­am­tin zwar an das Streik­ver­bot ge­bun­den sei, dass aber ei­ne Dis­zi­pli­nar­stra­fe we­gen der in Art.11 EM­RK auch für Be­am­te ga­ran­tier­ten Streik­frei­heit nicht rech­tens sei (Ur­teil vom 15.12.2010, 31 K 3904/10.O - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell 11/110: Streik be­am­te­ter Leh­rer recht­fer­tigt kei­ne Dis­zi­pli­nar­stra­fe).

Gut ein Jahr später kam dann die kal­te Du­sche vor dem OVG NRW. Das OVG in­ter­pre­tier­te die Recht­spre­chung des EGMR lang und breit und kam zu dem Schluss, dass das für al­le Be­am­ten gel­ten­de Streik­ver­bot we­der ge­gen Art.11 EM­RK verstößt noch ge­gen die bis­he­ri­gen Ur­tei­le des EGMR (OVG NRW, Ur­teil vom 07.03.2012, 3d A 317/11.O - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/104 Streik­recht für Be­am­te?). Ob­wohl sich das OVG sei­ten­lang mit kom­pli­zier­ten Fra­gen der In­ter­pre­ta­ti­on von Art.11 EM­RK und der Recht­spre­chung des EGMR her­um­schlug und der Fall da­her of­fen­sicht­lich "grundsätz­li­che Be­deu­tung" hat­te, ließ das OVG die Re­vi­si­on zum BVerwG nicht zu.

Die­se Fehl­ent­schei­dung hat das BVerwG mit Be­schluss vom 02.01.2013 (2 B 46.12) kor­ri­giert und auf die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de der Leh­re­rin hin die Re­vi­si­on zu­ge­las­sen. En­de Fe­bru­ar 2014 hat das BVerwG nun­mehr sein Ur­teil in dem Re­vi­si­ons­ver­fah­ren gefällt.

BVerwG: Das all­ge­mei­ne Streik­ver­bot des deut­schen Be­am­ten­rechts wi­der­spricht Art.11 EM­RK, gilt aber trotz­dem vor­erst wei­ter

Das BVerwG seg­ne­te die um­strit­te­ne Dis­zi­pli­nar­stra­fe im Prin­zip ab, mein­te aber, dass ei­ne ge­rin­ge­re Geld­buße 300,00 EUR an­ge­mes­sen ge­we­sen wäre (ei­ne Her­ab­set­zung war nicht mehr möglich, da die Kläge­rin noch während des Ver­fah­rens aus dem Be­am­ten­verhält­nis aus­ge­schie­den war). So­weit der bis­her al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BVerwG zu ent­neh­men ist, be­gründet das Ge­richt sein Ur­teil mit fol­gen­den Über­le­gun­gen:

Das in Deutsch­land be­ste­hen­de Streik­ver­bot gilt für al­le Be­am­ten, d.h. auch für Be­am­te außer­halb des Be­reichs der Ho­heits­ver­wal­tung. Es gehört zu den "her­ge­brach­ten Grundsätzen des Be­rufs­be­am­ten­tums" im Sin­ne von Art. 33 Abs.5 GG. Da­mit ist das ge­ne­rel­le Be­am­ten­streik­ver­bot, so das BVerwG, Teil des deut­schen Ver­fas­sungs­rechts, d.h. es steht über den ein­fa­chen Ge­set­zen.

In Ab­wei­chung von die­ser deut­schen (Ver­fas­sungs-)Rechts­la­ge ent­nimmt der EGMR, so die Leip­zi­ger Rich­ter, Art.11 EM­RK ein Recht al­ler Staats­be­diens­te­ten auf Ta­rif­ver­hand­lun­gen und ein dar­an an­knüpfen­des Streik­recht. Das Recht auf Ta­rif­ver­hand­lun­gen und das Recht auf Streik können gemäß Art.11 Abs.2 Satz 2 EM­RK nur für An­gehöri­ge der Streit­kräfte, der Po­li­zei und der ho­heit­li­chen Staats­ver­wal­tung all­ge­mein aus­ge­schlos­sen wer­den.

Nach der Recht­spre­chung des EGMR, so wie sie das BVerwG ver­steht, gehören nur sol­che Staats­be­diens­te­te (An­ge­stell­te oder Be­am­te) der ho­heit­li­chen Staats­ver­wal­tung an, "die an der Ausübung ge­nu­in ho­heit­li­cher Be­fug­nis­se zu­min­dest be­tei­ligt" sind. Zu die­ser ho­heit­li­chen "Staats­ver­wal­tung" zählen die öffent­li­chen Schu­len in Deutsch­land und die dort un­ter­rich­ten­den Leh­rer nach An­sicht des BVerwG nicht.

Da­mit wi­der­spricht das deut­sche Be­am­ten­recht der­zeit dem Recht auf Ta­rif­ver­hand­lun­gen und dem Streik­recht der­je­ni­gen Be­am­ten, die außer­halb der ho­heit­li­chen Staats­ver­wal­tung tätig sind, so die Leip­zi­ger Rich­ter.

Die­sen Wi­der­spruch können al­ler­dings dem BVerwG zu­fol­ge nicht die Ge­rich­te auflösen, son­dern hier muss der Ge­setz­ge­ber tätig wer­den, der da­bei zwi­schen ver­schie­de­nen Möglich­kei­ten ei­ner Re­form wählen kann. Der Ge­setz­ge­ber könn­te zum Bei­spiel

"die Be­rei­che der ho­heit­li­chen Staats­ver­wal­tung, für die ein ge­ne­rel­les Streik­ver­bot gilt, be­stim­men und für die an­de­ren Be­rei­che der öffent­li­chen Ver­wal­tung die ein­sei­ti­ge Re­ge­lungs­be­fug­nis der Dienst­her­ren zu­guns­ten ei­ner er­wei­ter­ten Be­tei­li­gung der Be­rufs­verbände der Be­am­ten ein­schränken. Die Zu­er­ken­nung ei­nes Streik­rechts für die in die­sen Be­rei­chen täti­gen Be­am­ten würde ei­nen Be­darf an Ände­run­gen an­de­rer, den Be­am­ten güns­ti­ger Re­ge­lun­gen, et­wa im Be­sol­dungs­recht, nach sich zie­hen."

Sch­ließlich ist der BVerwG der Mei­nung, dass das ge­ne­rel­le Streik­ver­bot in Deutsch­land vorläufig wei­ter gilt, d.h. für die "Über­g­angs­zeit bis zu ei­ner bun­des­ge­setz­li­chen Re­ge­lung". Für die deut­schen Be­am­ten, de­nen da­mit bis auf wei­te­res ein vom EGMR an­er­kann­tes Recht ver­wei­gert wird, ist das zu­mut­bar, denn sie können auch oh­ne Streiks ver­lan­gen, dass ih­re Gehälter ent­spre­chend der Ta­rif­lohn­ent­wick­lung im öffent­li­chen Dienst an­ge­passt wer­den. Da­zu das BVerwG:

"Hierfür ist von Be­deu­tung, dass den Ta­rif­ab­schlüssen für die Ta­rif­beschäftig­ten des öffent­li­chen Diens­tes auf­grund des Ali­men­ta­ti­ons­grund­sat­zes nach Art.33 Abs.5 GG maßge­ben­de Be­deu­tung für die Be­am­ten­be­sol­dung zu­kommt. Die Be­sol­dungs­ge­setz­ge­ber im Bund und in den Ländern sind ver­fas­sungs­recht­lich ge­hin­dert, die Be­am­ten­be­sol­dung von der Ein­kom­mens­ent­wick­lung, die in den Ta­rif­ab­schlüssen zum Aus­druck kommt, ab­zu­kop­peln."

Die­ser Hin­weis ist ei­ne Steil­vor­la­ge für den Be­am­ten­bund, der im­mer wie­der Grund zu der Kla­ge hat, dass die Erhöhung der Be­am­ten­bezüge hin­ter den Ta­rif­loh­nerhöhun­gen im öffent­li­chen Dienst zurück­bleibt.

Jetzt sind das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt und der Eu­ropäische Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te ge­fragt

Ob­wohl das BVerwG den Bun­des­ge­setz­ge­ber für "be­ru­fen" hält, das deut­sche Be­am­ten­recht zu re­for­mie­ren, wird die große Ko­ali­ti­on die­ser Be­ru­fung si­cher­lich erst ein­mal nicht fol­gen, son­dern die wei­te­re Ent­wick­lung ab­war­ten. Mit ernst­ge­mein­ten Ge­setz­entwürfen ist da­her vor­erst nicht zu rech­nen.

Wahr­schein­li­cher ist, dass die Kläge­rin des Aus­gangs­ver­fah­rens mit Hil­fe der GEW Ver­fas­sungs­be­schwer­de ge­gen das Ur­teil des BVerwG ein­legt. Und soll­te auch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) am Streik­ver­bot fest­hal­ten, dürf­te die Kläge­rin bzw. die GEW Kla­ge beim EGMR ein­rei­chen.

Bis da­hin, d.h. bis zu ei­ner ex­pli­zit auf deut­sche Be­am­ten­streik­recht be­zo­ge­nen Ent­schei­dung des EGMR, wer­den CDU/CSU und SPD das Pro­blem aus­sit­zen. Die­se Untätig­keit lässt sich so­gar ju­ris­tisch recht­fer­ti­gen, denn so­lan­ge nicht der EGMR über ei­nen aus Deutsch­land stam­men­den Fall des Be­am­ten­streik­rechts ent­schie­den hat, sind al­le ju­ris­ti­schen Aus­sa­gen zu den an­geb­li­chen streik­recht­li­chen Vor­ga­ben des EGMR letzt­lich spe­ku­la­tiv.

Aus Sicht der GEW ist das Ur­teil des BVerwG da­her enttäuschend, denn das ge­ne­rel­le Streik­ver­bot für al­le Be­am­ten wird wohl noch ei­ni­ge Jah­re Be­stand ha­ben.

An­de­rer­seits kann man ver­ste­hen, war­um das BVerwG da­vor zurück­scheut, ein Streik­recht für Be­am­te aus dem Richter­hut zu zie­hen. Denn man kann nicht ein­fach hin­ge­hen und das der­zeit gel­ten­de Be­am­ten­recht um ein Streik­recht ergänzen.

Denn die vom Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) seit den 50er Jah­ren ent­wi­ckel­ten Rechts­re­geln, die für Fra­ge der Rechtmäßig­keit von Ar­beit­neh­mer­streiks gel­ten, pas­sen nicht auf strei­ken­de Be­am­te:

  • Der­zeit wird die Be­sol­dung von Be­am­ten ge­setz­lich ge­re­gelt, d.h. es gibt kei­ne für Be­am­ten gel­ten­den Ta­rif­verträge. Oh­ne ein ta­rif­lich re­gel­ba­res Ziel sind Streiks (von Ar­beit­neh­mern) aber rechts­wid­rig. Sol­len künf­tig Be­am­ten­verbände für Be­am­te Ta­rif­verträge ab­sch­ließen und sol­len Be­am­te dafür strei­ken können, braucht es ent­spre­chen­de ge­setz­li­che Re­ge­lun­gen.
  • Wer als Ar­beit­neh­mer streikt, kann für die Dau­er der Streik­teil­nah­me kei­nen Lohn be­an­spru­chen. Die­se Selbst­verständ­lich­keit gilt aber nicht für Be­am­te, denn sie wer­den ja nicht für ih­re Ar­beits­leis­tung "ent­lohnt", son­dern er­hal­ten ei­ne amts­an­ge­mes­se­ne Ali­men­ta­ti­on. Soll der An­spruch auf Ali­men­ta­ti­on für die Dau­er ei­ner Streik­teil­nah­me gekürzt wer­den, sind ge­setz­li­che Re­ge­lun­gen er­for­der­lich.
  • Ist der Me­cha­nis­mus von Ta­rif­ver­hand­lun­gen ein­mal in Gang ge­kom­men, ist er durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützt. Dann muss der Ar­beit­ge­ber aber auch in der Spur blei­ben, d.h. ein­sei­ti­ge ge­setz­li­che Re­ge­lun­gen sind dann nicht mehr oh­ne wei­te­res möglich.

Vor die­sem Hin­ter­grund ist nach­voll­zieh­bar, dass es nicht Auf­ga­be der Ge­rich­te, son­dern des Ge­setz­ge­bers ist, das Be­am­ten­recht in Deutsch­land so zu re­for­mie­ren, dass nicht ho­heit­lich täti­ge Be­am­te künf­tig strei­ken dürfen.

Wann kommt das Be­am­ten­streik­recht?

Vie­le Be­am­te und vor al­lem die wich­tigs­te In­ter­es­sen­ver­tre­tung der Be­am­ten, der DBB Be­am­ten­bund und Ta­rif­uni­on, leh­nen ein Streik­recht für Be­am­te aus­drück­lich ab. So hat der Bun­des­vor­sit­zen­de des DBB, Klaus Dau­derstädt, das BVerwG-Ur­teil vom 27.02.2014 aus­drück­lich be­grüßt. Der DBB, so Dau­derstädt,

"hat im­mer wie­der dar­auf hin­ge­wie­sen, dass Be­am­ten­streiks mit Ar­ti­kel 33 Ab­satz 5 des Grund­ge­set­zes un­ver­ein­bar sind und ein­deu­tig ge­gen die her­ge­brach­ten Grundsätze des Be­rufs­be­am­ten­tums ver­s­toßen."

In die­sem Sin­ne hat sich auch der Präsi­dent des Deut­schen Leh­rer­ver­ban­des, Jo­sef Kraus, geäußert. Der Leh­rer­ver­band lehnt ein Streik­recht ver­be­am­te­ter Leh­rer aus­drück­lich ab. Be­gründung:

"Wir ha­ben in Deutsch­land ei­ne Schul­pflicht, da­von ab­ge­lei­tet be­ste­hen Bil­dungs­rech­te der her­an­wach­sen­den Ge­ne­ra­ti­on. In dem Mo­ment, in dem Leh­rer strei­ken dürfen, kann die­ses Bil­dungs­recht nicht mehr ein­gelöst wer­den. Was das be­deu­tet, wis­sen wir aus Ländern, in de­nen Leh­rer­streiks im­mer wie­der vor­kom­men - dort wird oft wo­chen­lang der Bil­dungs­be­trieb und manch­mal auch der Prüfungs­be­trieb lahm­ge­legt, dies geht be­son­ders zu Las­ten der schwäche­ren Schüler."

Dem­ge­genüber setzt sich die GEW für ein Streik­recht ver­be­am­te­ter Leh­rer ein. Dem­ent­spre­chend kämp­fe­risch fiel die Re­ak­ti­on auf das BVerwG-Ur­teil aus. Die GEW be­dau­ert, "dass das BVerwG sei­ne Spielräume nicht aus­geschöpft" ha­be, meint GEW-Vor­stands­mit­glied An­dre­as Gehr­ke. Gehr­ke wei­ter:

"Wir hof­fen, dass jetzt das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt das un­zeit­gemäße und vor­de­mo­kra­ti­sche Ver­bot des Be­am­ten­streiks endgültig zu Gra­be trägt."

Fa­zit: Die Einführung ei­nes Be­am­ten­streik­rechts durch Rich­ter­spruch ist un­wahr­schein­lich. Und der Ge­setz­ge­ber wird ab­war­ten, bis der EGMR ein Ur­teil zum ge­ne­rel­len Streik­ver­bot für deut­sche Be­am­te gefällt hat. Denn ers­tens ist die Rechts­la­ge un­klar, zwei­tens müss­te man das Sys­tem der Be­am­ten­be­sol­dung bei An­er­ken­nung ei­nes Be­am­ten­streik­rechts grund­le­gend ändern und drit­tens ver­tre­ten auch die be­trof­fe­nen Verbände ge­gensätz­li­che Auf­fas­sun­gen zu die­sem The­ma. Bis das Be­am­ten­streik­recht kommt, wer­den da­her vor­aus­sicht­lich noch Jah­re ver­ge­hen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BVerwG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BVerwG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 29. Juni 2018

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