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ARBEITSRECHT AKTUELL // 15/321

Auf­sichts­rats­wahl und Leih­ar­beit

Auf­sichts­rats­wahl als un­mit­tel­ba­re Wahl oder De­le­gier­ten­wahl? Leih­ar­beit­neh­mer zäh­len mit: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 04.11.2015, 7 ABR 42/13
Zwei Gruppen von je drei Arbeitnehmern mit Helm, Bekleidung der beiden Gruppen unterschiedlich

16.11.2015. Ge­mäß §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 6 Abs. 1 Mit­be­stim­mungs­ge­setz (Mit­bestG) kön­nen Ar­beit­neh­mer in be­stimm­ten Ka­pi­tal­ge­sell­schaf­ten mit mehr als 2.000 Ar­beit­neh­mern Auf­sichts­rats­ver­tre­ter wäh­len. Der Auf­sichts­rat setzt sich dann pa­ri­tä­tisch aus Ver­tre­tern des Un­ter­neh­mens (An­teils­eig­ner) und Ver­tre­tern der Ar­beit­neh­mer zu­sam­men (§ 7 Mit­bestG).

Die Wahl der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­ter wird ge­mäß § 9 Mit­bestG je nach Un­ter­neh­mens­grö­ße bzw. Ar­beit­neh­mer­an­zahl als un­mit­tel­ba­re Wahl (bis 8.000 Ar­beit­neh­mer) oder mit­tel­ba­re Wahl bzw. De­le­gier­ten­wahl (mehr als 8.000 Ar­beit­neh­mer) durch­ge­führt.

Frag­lich ist, ob Leih­ar­beit­neh­mer bei der Be­rech­nung der Ar­beit­neh­mer­zahl im Sin­ne von § 9 Mit­bestG mit­zäh­len. Ja, so das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung: BAG, Be­schluss vom 04.11.2015, 7 ABR 42/13 (Pres­se­mit­tei­lung).

Sind Leih­ar­beit­neh­mer "Ar­beit­neh­mer" im Sin­ne von § 9 Abs.1 Mit­be­stim­mungs­ge­setz?

§ 9 Abs.1 und Abs.2 Mit­bestG schreibt vor, dass die Auf­sichts­rats­mit­glie­der der Ar­beit­neh­mer ei­nes Un­ter­neh­mens

  • mit in der Re­gel mehr als 8.000 Ar­beit­neh­mern mit­tel­bar (durch De­le­gier­te) gewählt wer­den (falls die Ar­beit­neh­mer nicht doch ei­ne un­mit­tel­ba­re Wahl be­sch­ließen), und
  • mit in der Re­gel nicht mehr als 8.000 Ar­beit­neh­mern un­mit­tel­bar gewählt wer­den (falls die Ar­beit­neh­mer nicht doch ei­ne mit­tel­ba­re Wahl be­sch­ließen).

Bei der un­mit­tel­ba­ren Wahl wer­den die Auf­sichts­rats­mit­glie­der di­rekt von al­len Wahl­be­rech­tig­ten gewählt. Bei der mit­tel­ba­ren Wahl müssen die Wahl­vorstände da­ge­gen zunächst die Wahl der De­le­gier­ten or­ga­ni­sie­ren. Im nächs­ten Schritt wählen dann die De­le­gier­ten in der De­le­gier­ten­ver­samm­lung die Auf­sichts­rats­mit­glie­der der Ar­beit­neh­mer.

Ob Leih­ar­beit­neh­mer zu den Ar­beit­neh­mern im Sin­ne von § 9 Mit­bestG gehören und da­mit bei der Er­mitt­lung der Re­gel­wahl­art berück­sich­tigt wer­den müssen, ist nicht ein­deu­tig ge­re­gelt.

Wört­lich ge­nom­men könn­te § 9 Mit­bestG ge­gen die Berück­sich­ti­gung der Leih­ar­beit­neh­mer spre­chen, denn § 9 Abs.1 und Abs.2 Mit­bestG spricht von den Auf­sichts­rats­mit­glie­dern der Ar­beit­neh­mer "ei­nes Un­ter­neh­mens". Leih­ar­beit­neh­mer wer­den aber nach § 14 Abs.1 Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ge­setz (AÜG) dem Be­trieb des Ver­lei­hers zu­ge­ord­net, d.h. sie blei­ben "auch während der Zeit ih­rer Ar­beits­leis­tung bei ei­nem Ent­lei­her An­gehöri­ge des ent­sen­den­den Be­triebs des Ver­lei­hers".

An­de­rer­seits stellt § 10 Abs.2 Satz 2 Mit­bestG in Ver­bin­dung mit § 7 Satz 2 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) klar, dass auch Leih­ar­beit­neh­mer wählen dürfen, d.h. das ak­ti­ve Wahl­recht ha­ben, wenn sie länger als drei Mo­na­te in dem Be­trieb ein­ge­setzt wur­den. Al­ler­dings können sie nicht zum Be­triebs­rat gewählt wer­den, denn das schließt § 14 Abs.2 Satz 1 AÜG aus­drück­lich aus.

Das BAG hat in den letz­ten Jah­ren mehr­fach Leih­ar­beit­neh­mer bei der An­wen­dung ar­beits­recht­li­cher Schwel­len­wer­te mit­gezählt (wir be­rich­te­ten: Ar­beits­recht ak­tu­ell 11/204 In­ter­es­sen­aus­gleich und So­zi­al­plan: Leih­ar­beit­neh­mer zählen mit; Ar­beits­recht ak­tu­ell: 13/214 So­zi­al­aus­wahl bei der Kündi­gung von Leih­ar­beit­neh­mern). An die­ser Li­nie hält das BAG auch in sei­nem ak­tu­el­len Be­schluss fest: BAG, Be­schluss vom 04.11.2015, 7 ABR 42/13.

Der Streit­fall: In ei­nem mit­be­stimm­ten Un­ter­neh­men sind 7.875 Stamm­ar­beit­neh­mer, 22 Lei­ten­de und 444 Leih­ar­beit­neh­mer beschäftigt

Im Streit­fall ging es um ei­ne Auf­sichts­rats­wahl, die 2011 in ei­nem dem Mit­bestG un­ter­fal­len­den Un­ter­neh­men statt­fin­den soll­te. Um fest­zu­stel­len, ob die Wahl als un­mit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Wahl durch­zuführen wäre, hat­te der Haupt­wahl­vor­stand die Zahl der im Un­ter­neh­men täti­gen Stamm­kräfte und Leih­ar­beit­neh­mer zu­sam­men­ge­rech­net. Da­nach wa­ren im Un­ter­neh­men 7.875 Stamm­ar­beit­neh­mer, 22 lei­ten­de An­ge­stell­te und 444 auf Stamm­ar­beitsplätzen ein­ge­setz­te wahl­be­rech­tig­te Leih­ar­beit­neh­mer beschäftigt, ins­ge­samt 8.341 Ar­beit­neh­mer.

Da­her erklärte der Wahl­vor­stand per Aus­hang, dass die Wahl gemäß § 9 Abs.1 Mit­bestG als mit­tel­ba­re Wahl statt­fin­den soll­te, falls sich die Ar­beit­neh­mer nicht doch für ei­ne un­mit­tel­ba­re Wahl ent­schei­den soll­ten.

14 Stamm­ar­beit­neh­mer woll­ten den Wahl­vor­stand dar­auf­hin ge­richt­lich da­zu ver­pflich­ten, die Wahl als un­mit­tel­ba­re Wahl durch­zuführen. Das Ar­beits­ge­richt Of­fen­bach wies den An­trag zurück (Be­schluss vom 22.08.2012, 10 BV 6/11). Auch die Be­schwer­de zum Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) hat­te kei­nen Er­folg (Hes­si­sches LAG, Be­schluss vom 11.04.2012, 9 TaBV 308/12).

BAG: Leih­ar­beit­neh­mer zählen beim Schwel­len­wert des § 9 Abs.1 Mit­bestG mit

Das BAG schloss sich den Vor­in­stan­zen an und gab dem Wahl­vor­stand recht. Dem­nach zählen wahl­be­rech­tig­te Leih­ar­beit­neh­mer auf Stamm­ar­beitsplätzen bei dem Schwel­len­wert von in der Re­gel mehr als 8.000 Ar­beit­neh­mern im Sin­ne von § 9 Abs.1 und Abs.2 Mit­bestG mit.

In der bis­lang al­lein veröffent­lich­ten BAG-Pres­se­mel­dung be­zieht sich das Ge­richt auf sei­ne neue­re Recht­spre­chung, "nach der die Berück­sich­ti­gung von Leih­ar­beit­neh­mern als Ar­beit­neh­mer des Ent­lei­her­be­triebs ins­be­son­de­re von ei­ner norm­zweck­ori­en­tier­ten Aus­le­gung des je­wei­li­gen ge­setz­li­chen Schwel­len­wer­tes abhängt".

Da­hin­ter steckt wohl die Über­le­gung, dass die De­le­gier­ten­wahl in großen Un­ter­neh­men für mehr Trans­pa­renz sor­gen soll. Vie­le Auf­sichts­rats­kan­di­da­ten der Ar­beit­neh­mer­bank ar­bei­ten nämlich in den Kon­zern­zen­tra­len und sind den Ar­beit­neh­mern in klei­ne­ren Be­trie­ben vor Ort oft un­be­kannt. Ei­ne De­le­gier­ten­wahl ist da sinn­voll, weil die Ar­beit­neh­mer ih­nen ver­trau­te Kan­di­da­ten als De­le­gier­te wählen können.

Un­term Strich soll die De­le­gier­ten­wahl bei Un­ter­neh­men mit mehr als 8.000 Ar­beit­neh­mern si­cher­stel­len, dass die Ar­beit­neh­mer ih­re Kan­di­da­ten auch ken­nen. Die­se Zweck­set­zung gilt aber für Stamm­ar­beit­neh­mer ge­nau­so wie für wahl­be­rech­tig­te Leih­ar­beit­neh­mer.

Fa­zit: An­ge­sichts der nach wie vor großen Be­deu­tung der Leih­ar­beit ist die Ent­schei­dung des BAG rich­tig. Außer­dem fügt sie sich in die neue­re BAG-Recht­spre­chung gut ein. Bei Wah­len zum Auf­sichts­rat müssen wahl­be­rech­tig­te Leih­ar­beit­neh­mer künf­tig mit­gezählt wer­den. An­dern­falls ist die Auf­sichts­rats­wahl an­fecht­bar.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 13. November 2020

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