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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/203

Kei­ne Kün­di­gung bei Rück­fall ei­nes Al­ko­ho­li­kers

Kün­di­gung: Erst wer völ­lig aus dem Rah­men fällt, darf we­gen Al­ko­hol­sucht ent­las­sen wer­den: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 17.08.2009, 10 Sa 506/09
Bluttransfusion Ein Al­ko­ho­li­ker braucht ei­ne zwei­te Chan­ce
04.11.2009. Wenn ein Ar­beit­neh­mer in vor­werf­ba­rer Wei­se ar­beits­ver­trag­li­che Pflich­ten ver­letzt, er­hält er un­ter Um­stän­den ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kün­di­gung. Ob sein Ver­hal­ten ei­ne or­dent­li­che Kün­di­gung, even­tu­ell nach vor­he­ri­ger er­folg­lo­ser Ab­mah­nung oder so­gar ei­ne au­ßer­or­dent­li­che Kün­di­gung recht­fer­tigt, hängt von der Schwe­re des Ver­sto­ßes ab.

Wenn der Ar­beit­neh­mer das be­an­stan­de­te Ver­hal­ten je­doch gar nicht be­ein­flus­sen kann, kann ihm kein Vor­wurf ge­macht wer­den. Al­ler­dings kommt dann mög­li­cher­wei­se ei­ne per­so­nen­be­ding­te Kün­di­gung in Be­tracht.

Zu­meist wer­den per­so­nen­be­ding­te Kün­di­gun­gen we­gen Krank­heit des Ar­beit­neh­mers aus­ge­spro­chen. Da­zu zählt auch die Al­ko­hol­ab­hän­gig­keit.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg hat­te die Fra­ge zu klä­ren, ob ein ein­ma­li­ger Rück­fall ei­nes al­ko­hol­ab­hän­gi­gen, aber the­ra­pie­wil­li­gen Ar­beit­neh­mers aus­reicht, um ei­ne per­so­nen­be­ding­te Kün­di­gung zu recht­fer­ti­gen: LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 17.08.2009, 10 Sa 506/09.

Kei­ne Kündi­gung ei­nes Al­ko­ho­li­kers bei The­ra­pie­wil­lig­keit

Be­ruft sich ein Ar­beit­neh­mer dar­auf, al­ko­hol­krank zu sein, be­ginnt für den Ar­beit­ge­ber, der den Ar­beit­neh­mer nicht wei­ter bei sich beschäfti­gen möch­te, ein lang­wie­ri­ger Pro­zess:

Hat der Ar­beit­ge­ber schon ei­ne Ab­mah­nung aus­ge­spro­chen und später ver­hal­tens­be­dingt gekündigt, geht bei­des ins Lee­re, wenn der Ar­beit­neh­mer durch ärzt­li­ches At­test nach­weist, an Al­ko­ho­lis­mus er­krankt zu sein und dem­ent­spre­chend sein Ver­hal­ten gar nicht steu­ern zu können. Häufig wird dann ver­ab­re­det, dass dem Al­ko­ho­li­ker noch ei­ne „Bewährungs­zeit“ gewährt wird, in der er ei­ne The­ra­pie ma­chen und ab­sti­nent blei­ben muss.

Dies ist ein prak­ti­ka­bles Vor­ge­hen, das auch ju­ris­tisch bei ei­ner per­so­nen­be­ding­ten Kündi­gung sinn­voll ist. Denn ei­ne per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung ist nur ge­recht­fer­tigt, wenn hin­sicht­lich des Um­stan­des, der zur Kündi­gung An­lass gab, ei­ne „ne­ga­ti­ve Pro­gno­se“ vor­liegt, al­so et­wa im Fal­le ei­ner Krank­heit mit wei­te­ren Ausfällen des Ar­beit­neh­mers zu rech­nen ist.

Die ernst­haf­te Bemühung um ei­ne The­ra­pie steht des­we­gen ei­ner ne­ga­ti­ven Pro­gno­se ei­nes al­ko­hol­kran­ken Ar­beit­neh­mers ent­ge­gen, während The­ra­pie­un­wil­lig­keit oder -unfähig­keit ei­ne ne­ga­ti­ve Pro­gno­se be­gründet. Die „Bewährungs­zeit“ ist zum Er­stel­len ei­ner (ne­ga­ti­ven oder po­si­ti­ven) Pro­gno­se des­halb das rich­ti­ge Mit­tel.

Frag­lich ist, ob schon der ein­ma­li­ge Rück­fall ei­nes Al­ko­hol­abhängi­gen ei­ne ne­ga­ti­ve Pro­gno­se be­gründet. Mit die­ser Fra­ge be­fasst sich die vor­lie­gen­de Ent­schei­dung des LAG Ber­lin-Bran­den­burg (Ur­teil vom 17.08.2009, 10 Sa 506/09).

Ein­ma­li­ger Rück­fall ei­nes Al­ko­ho­li­kers als Kündi­gungs­grund?

Der al­ko­hol­abhängi­ge Ar­beit­neh­mer war als In­dus­trie­elek­tro­ni­ker bei dem be­klag­ten Un­ter­neh­men beschäftigt. Er muss­te un­ter an­de­rem mit ho­hen elek­tri­schen Span­nun­gen ar­bei­ten. Der Ar­beit­neh­mer er­schien mehr­fach al­ko­ho­li­siert bei der Ar­beit. Des­we­gen kündig­te der Ar­beit­ge­ber ihm or­dent­lich zum 30.09.2008.

An­sch­ließend wur­de mit dem Ar­beit­neh­mer, un­ter Hin­zu­zie­hung ei­ner Be­triebsärz­tin, ver­ein­bart, dass der Ar­beit­neh­mer an ei­ner Selbst­hil­fe­grup­pe für Al­ko­hol­kran­ke teil­neh­men soll­te und sei­ne Le­ber­wer­te re­gelmäßig kon­trol­lie­ren ließ. Wenn es bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist, al­so den 30.09.2008, kei­ner­lei Be­an­stan­dun­gen ge­be, würde der Ar­beit­ge­ber die Kündi­gung zurück­neh­men.

Tatsächlich hielt sich der Ar­beit­neh­mer be­an­stan­dungs­los an die Ver­ein­ba­rung, so dass der Ar­beit­ge­ber die Kündi­gung zurück­nahm. Schon am Fol­ge­tag er­schien er je­doch wie­der al­ko­ho­li­siert bei der Ar­beit. Darüber, wie stark er al­ko­ho­li­siert war, strit­ten die Par­tei­en. Der Ar­beit­neh­mer ge­stand al­ler­dings ein, aus Freu­de über die be­stan­de­ne "Bewährungs­zeit" am Vor­abend drei oder vier Bier ge­trun­ken zu ha­ben. Sei­ne Le­ber­wer­te wa­ren den­noch nied­rig.

Der Ar­beit­ge­ber kündig­te dem Ar­beit­neh­mer nun er­neut, dies­mal frist­los, hilfs­wei­se or­dent­lich aus per­so­nen­be­ding­ten Gründen we­gen der Al­ko­hol­sucht so­wie ver­hal­tens­be­dingt we­gen Ver­s­toßes ge­gen die Be­triebs­ord­nung, nach der Al­ko­hol im Dienst aus­drück­lich ver­bo­ten war. Ge­gen die­se Kündi­gung ging der Ar­beit­neh­mer ge­richt­lich vor.

Das von ihm an­ge­ru­fe­ne Ar­beits­ge­richt Ber­lin gab dem Ar­beit­neh­mer recht, da es der Mei­nung war, ei­ne ne­ga­ti­ve Pro­gno­se lie­ge im Hin­blick auf die Al­ko­hol­sucht des Ar­beit­neh­mers nicht vor (Ur­teil vom 23.01.2009, 5 Ca 16653/08). Der Ar­beit­neh­mer, so das Ar­beits­ge­richt, hat­te sein Al­ko­hol­pro­blem länge­re Zeit im Griff und war ja noch am An­fang sei­ner The­ra­pie. Ge­gen die­se Ent­schei­dung ging der Ar­beit­ge­ber in Be­ru­fung.

Chan­ce des Ar­beit­neh­mers ei­ne aus­rei­chen­de Dis­tanz zu der Sucht zu schaf­fen

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt teil­te die An­sicht des Ar­beits­ge­richts und gab eben­falls dem Ar­beit­neh­mer recht.

Ei­ne ne­ga­ti­ve Pro­gno­se kann man nicht oh­ne wei­te­res dar­aus ab­lei­ten, dass ein Al­ko­hol­abhängi­ger ei­nen ein­ma­li­gen Rück­fall er­lei­det, nach­dem er zunächst er­folg­reich ei­ne The­ra­pie be­gon­nen hat, so das LAG. Si­cher­lich stellt es ei­nen Ver­trau­ens­bruch dar, dass der Ar­beit­neh­mer un­mit­tel­bar nach Be­ste­hen sei­ner "Bewährungs­zeit" wie­der Al­ko­hol ge­trun­ken hat­te, meint das LAG zwar. Al­ler­dings rei­chen nach An­sicht des LAG drei Mo­na­te in der Re­gel bei wei­tem nicht aus, um bei Such­ter­kran­kun­gen wie Al­ko­ho­lis­mus ei­ne aus­rei­chen­de Dis­tanz zu der Sucht zu ge­win­nen.

Die ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung hielt das LAG eben­falls für un­wirk­sam. Der Ar­beit­ge­ber hat­te nämlich versäumt, hier­zu den Be­triebs­rat an­zuhören, stell­te das Ge­richt fest.

Fa­zit: Kündi­gun­gen we­gen ei­ner Al­ko­hol­abhängig­keit sind oft un­wirk­sam, denn ein Al­ko­hol­kran­ker ver­dient Hil­fe und Un­terstützung vom Ar­beit­ge­ber, wenn er sei­ne Sucht er­kannt hat und ver­sucht, sie durch ei­ne The­ra­pie in den Griff zu be­kom­men. Ein­zel­ne Rückfälle muss der Ar­beit­ge­ber da­her hin­neh­men. An­ders ist es aber, wenn die The­ra­pi­en ganz ab­ge­bro­chen wird oder The­ra­pie­un­wil­lig­keit oder -unfähig­keit be­steht.

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Letzte Überarbeitung: 1. November 2016

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