HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/143

Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Kün­di­gung we­gen Al­ko­hol­sucht

LAG Köln: Mehr­fa­che er­folg­lo­se The­ra­pie­ver­su­che kön­nen ei­ne Kün­di­gung we­gen Al­ko­ho­lis­mus recht­fer­ti­gen: Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln, Ur­teil vom 17.05.2010, 5 Sa 1072/09
Hausverbot, Kündigung, Entlassung Al­ko­ho­lis­mus als Dau­er-Aus­re­de für Ver­trags­ver­stö­ße?

26.07.2010. Al­ko­ho­lis­mus er­greift den gan­zen Men­schen, sein ge­sam­tes so­zia­les Le­ben und nicht zu­letzt na­tür­lich sei­ne Ge­sund­heit.

Der dro­hen­de Ver­lust des Ar­beits­plat­zes ist nur ei­ne sei­ner vie­len trau­ri­gen Fol­gen. Nicht sel­ten kann aber ge­ra­de die­ser die Si­tua­ti­on we­sent­lich ver­schlim­mern und den Al­ko­hol­kran­ken wei­ter in die Sucht trei­ben. An­de­rer­seits kann sei­ne Wei­ter­be­schäf­ti­gung ein Ri­si­ko sein, da Un­fall­ge­fah­ren und un­plan­ba­re Fehl­zei­ten dro­hen.

Ar­beit­ge­ber sind hier zu­nächst - schon aus so­zia­len Grün­den - ver­pflich­tet, ih­rem Ar­beit­neh­mer zu hel­fen, von sei­ner Sucht los­zu­kom­men. Doch nach ei­ner ge­wis­sen An­zahl ver­geb­li­cher Be­mü­hun­gen muss die so­zia­le Ver­ant­wor­tung ge­gen­über der ge­sam­ten Be­leg­schaft schwe­rer wie­gen als das Wohl des Ein­zel­nen. Im Raum steht dann die Be­en­di­gung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses.

Die Recht­spre­chung ver­sucht hier, durch ho­he An­for­de­run­gen ei­nen für al­le trag­fä­hi­gen Mit­tel­weg zu fin­den: Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln, Ur­teil vom 17.05.2010, 5 Sa 1072/09.

Kündi­gung we­gen Al­ko­ho­lis­mus - ver­hal­tens­be­dingt oder per­so­nen­be­dingt?

Al­ko­ho­lis­mus liegt vor, wenn der Be­trof­fe­ne sein Trink­ver­hal­ten nicht mehr wil­lent­lich steu­ern kann. Dies­bezügli­che Kündi­gun­gen fol­gen den Re­geln des all­ge­mei­nen Kündi­gungs­schut­zes. Ins­be­son­de­re müssen sie wie je­de Kündi­gung im Gel­tungs­be­reich des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes so­zi­al ge­recht­fer­tigt sein. Da das Ge­setz nir­gends ei­nen „Kündi­gungs­grund Al­ko­hol“ vor­sieht, heißt das zunächst, dass sie nur aus ei­nem der in § 1 Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) ge­nann­ten Gründe er­fol­gen dürfen. In Be­tracht kom­men die ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung und die per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat sich schon früh dar­auf fest­ge­legt, dass bei ei­ner nicht the­ra­pier­ba­ren Al­ko­ho­lerkran­kung ei­ne krank­heits­be­ding­te Kündi­gung als per­so­nen­be­ding­te or­dent­li­che Kündi­gung an­ge­mes­sen sein kann.

Zum Ei­nen ist Al­ko­ho­lis­mus selbst­verständ­lich ei­ne Krank­heit. Zum An­de­ren er­for­dert ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung stets ei­nen schuld­haf­ten Ver­s­toß ge­gen Pflich­ten aus dem Ar­beits­ver­trag durch ein steu­er­ba­res Ver­hal­ten. Die Al­ko­hol­sucht hat der Ar­beit­neh­mer aber in der Re­gel nicht ver­schul­det, je­den­falls gibt es kei­nen Er­fah­rungs­satz, nach dem ein Ge­richt dies an­neh­men dürf­te. Er kann sein Trink­ver­hal­ten auch nicht steu­ern, dies ist ge­ra­de das We­sen ei­ner Sucht.

Ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung kommt nur sel­ten in Fra­ge. Et­wa dann, wenn ein Nicht-Al­ko­ho­li­ker wie­der­holt ge­gen ein gel­ten­des Al­ko­hol­ver­bot verstößt, be­trun­ken zur Ar­beit er­scheint und des­halb sei­ne Pflich­ten nicht erfüllen kann, an­de­re gefähr­det etc. Ei­nem Al­ko­ho­li­ker kann auch bei sol­chen kon­kre­ten „al­ko­hol­be­ding­ten Ausfällen“ nur per­so­nen­be­dingt gekündigt wer­den, da sie ihm als Fol­ge sei­ner Krank­heit nicht im Sin­ne ei­nes schuld­haf­ten Ver­s­toßes vor­ge­wor­fen wer­den können.

Die Such­ter­kran­kung al­lein genügt als Kündi­gungs­grund nicht. Es muss zusätz­lich zu ei­ner „er­heb­li­chen Be­ein­träch­ti­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen“ kom­men. Dies ist in al­ler Re­gel der Fall, wenn der Ar­beit­neh­mer al­ko­ho­li­siert zur Ar­beit er­scheint und des­halb sei­ne Ar­beit nicht er­le­di­gen kann oder in­fol­ge sei­ner Sucht häufig ar­beits­unfähig krank ist.

Zu­dem ist ei­ne „ne­ga­ti­ve Pro­gno­se“ not­wen­dig, nach der auch in Zu­kunft von sol­chen Störun­gen aus­zu­ge­hen ist. Die An­for­de­run­gen sind da­bei nicht ganz so streng wie bei ei­ner sons­ti­gen krank­heits­be­ding­ten Kündi­gung.

In al­ler Re­gel muss dem Ar­beit­neh­mer aber zunächst die Möglich­keit ge­ge­ben wer­den, sich ei­ner The­ra­pie zu un­ter­zie­hen. Nur, wenn er nicht da­zu be­reit ist, et­wa be­strei­tet, the­ra­pie­bedürf­tig zu sein oder nach ei­ner The­ra­pie rückfällig wird, kann von ei­ner ne­ga­ti­ven Pro­gno­se aus­ge­gan­gen wer­den. Ein ein­ma­li­ger Rück­fall während der The­ra­pie, ins­be­son­de­re am An­fang, reicht meist nicht aus. Der Ar­beit­neh­mer muss nämlich die Chan­ce ha­ben, sie auch zu En­de zu führen.

Zu­letzt ist wie bei je­der Kündi­gung ei­ne um­fas­sen­de In­ter­es­sen­abwägung vor­zu­neh­men, die aber, wenn die The­ra­pie­be­reit­schaft oder die The­ra­pier­bar­keit feh­len, kaum noch zur Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung führen können
.
Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln hat­te im Mai ei­nen Fall zu ent­schei­den, in dem trotz vielfälti­ger An­stren­gun­gen al­ler Be­tei­lig­ten der Al­ko­ho­lis­mus ei­nes Mit­ar­bei­ters letzt­lich zu ei­ner Kündi­gung führ­te (Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln, Ur­teil vom 17.05.2010, 5 Sa 1072/09).

Der Fall: Kündi­gung nach langjähri­gem, mehr­fach er­folg­los the­ra­pier­ten Al­ko­ho­lis­mus

Der Kläger war seit 1985 als Ma­schi­nen­be­die­ner in ei­ner Mo­to­ren­fa­brik beschäftigt. Dort galt ein Al­ko­hol­ver­bot. Seit 2003 war er bei Dienst­an­tritt mehr­mals stark al­ko­ho­li­siert. In ei­nem Gespräch im Jahr 2004 räum­te er ein Al­ko­hol­pro­blem ein und sag­te zu, es kurz­fris­tig in den Griff zu be­kom­men.

In der Fol­ge un­ter­zog er sich ei­nem vierwöchi­gen Ent­zug und be­gab sich auf An­re­gung des be­klag­ten Ar­beit­ge­bers auch in ner­venärzt­li­che Be­hand­lung. Im Au­gust 2007 tauch­ten die Pro­ble­me wie­der auf, ei­ni­ge Ma­le er­schien der Ar­beit­neh­mer al­ko­ho­li­siert und wur­de we­gen der des­halb be­ste­hen­den Un­fall­ge­fahr nach Hau­se ge­schickt. Nun be­gab er sich in ei­ne acht­mo­na­ti­ge sta­ti­onäre Be­hand­lung. Auch nach de­ren En­de wur­de er rückfällig.

Der Ar­beit­ge­ber hat­te ihn seit 2003 be­reits mehr­mals we­gen Ver­s­toßes ge­gen das be­trieb­li­che Al­ko­hol­ver­bot ab­ge­mahnt. Als der Kläger im Ok­to­ber 2008 wie­der we­gen ei­ner Al­ko­hol­fah­ne nach Hau­se ge­schickt wer­den muss­te und da­nach länge­re Zeit ar­beits­unfähig krank war, kündig­te der Ar­beit­ge­ber ihm im No­vem­ber aus ver­hal­tens- und per­so­nen­be­ding­ten Gründen zunächst or­dent­lich, d.h. un­ter Ein­hal­tung der Kündi­gungs­frist. Hier­ge­gen klag­te der Ar­beit­neh­mer.

Nach­dem er während des Pro­zes­ses, im Fe­bru­ar 2009, er­neut al­ko­ho­li­siert zur Ar­beit er­schien, kündig­te der Ar­beit­ge­ber ihm frist­los aus­drück­lich aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen. Er warf dem Ar­beit­neh­mer „be­harr­li­che Pflicht­ver­let­zun­gen“ vor. Auch ge­gen die­se Kündi­gung wehr­te sich der Kläger.

Vor dem Ar­beits­ge­richt hat­te er zunächst Er­folg. In der Be­ru­fungs­in­stanz hat­te das LAG Köln zu ent­schei­den.

LAG Köln: or­dent­li­che, per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung in die­sem Fall ge­recht­fer­tigt

Das LAG Köln gab der Be­ru­fung des Ar­beit­ge­bers statt.

Das Ar­beits­verhält­nis wur­de durch die or­dent­li­che Kündi­gung und nicht durch die außer­or­dent­li­che Kündi­gung be­en­det. Ent­spre­chend den vom BAG auf­ge­stell­ten Grundsätzen konn­te dem al­ko­hol­kran­ken Kläger nämlich nicht vor­ge­wor­fen wer­den, er ha­be sei­ne al­ko­hol­be­ding­ten Ausfälle ver­schul­det. Aus dem glei­chen Grund war die or­dent­li­che Kündi­gung nicht als ver­hal­tens­be­ding­te, son­dern als per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung ge­recht­fer­tigt.

An der ne­ga­ti­ven Pro­gno­se be­stan­den aus Sicht des Ge­richts kei­ne Zwei­fel. Die Al­ko­hol­pro­ble­ma­tik ha­be be­reits seit Jah­ren be­stan­den und auch meh­re­re The­ra­pi­en konn­ten dem Ar­beit­neh­mer nicht hel­fen. Da er nun auch noch nach ei­ner sta­ti­onären Be­hand­lung rückfällig wur­de, war da­von aus­zu­ge­hen, dass auch in Zu­kunft Störun­gen des Ar­beits­verhält­nis­ses zu er­war­ten sind.

Al­le Ver­su­che, sich von der Al­ko­hol­sucht zu lösen, müss­ten - so das LAG - als ge­schei­tert be­trach­tet wer­den. Da­bei kam es nicht dar­auf an, ob der kla­gen­de Ar­beit­neh­mer bei ver­schie­de­nen ihm vor­ge­hal­te­nen Vorfällen tatsächlich im Be­trieb Al­ko­hol kon­su­miert hat. Ent­schei­dend war, dass die Al­ko­ho­lerkran­kung fort­be­steht und trotz mehr­fa­cher The­ra­pie­ver­su­che kei­ne An­zei­chen für ei­ne Hei­lung be­ste­hen.

Vor die­sem Hin­ter­grund ging auch die ab­sch­ließen­de In­ter­es­sen­abwägung zu sei­nen Las­ten aus.

Fa­zit: Der vor­lie­gen­de Fall zeigt, dass auch ein auf­rich­tig um Un­terstützung bemühter Ar­beit­ge­ber kei­ne Wun­der voll­brin­gen kann. Die nach rund fünf Jah­ren aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung war ein be­dau­er­li­cher, aber letzt­lich nach­voll­zieh­ba­rer Schluss­strich un­ter ei­ne Viel­zahl er­folg­lo­ser The­ra­pie­ver­su­che.

Die tra­gi­sche Kern­aus­sa­ge die­ser Ent­schei­dung ist aber we­ni­ger ju­ris­ti­scher als tatsäch­li­cher Na­tur: Der Ar­beit­neh­mer hat nun ein schrift­li­ches, rechts­kräfti­ges Ur­teil vor­lie­gen, dass ihm "kei­ner­lei An­halts­punk­te oder Hoff­nungs­zei­chen" für ei­ne Chan­ce "sich von sei­ner Al­ko­hol­abhängig­keit zu be­frei­en" at­tes­tiert ...

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 1. November 2016

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 4.0 von 5 Sternen (18 Bewertungen)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de