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Lohnfortzahlung bei Alkoholismus
19.03.2015. Alkoholismus ist eine Krankheit, so dass eine dadurch bedingte Arbeitsunfähigkeit den Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verpflichtet.
Allerdings meinte das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einigen älteren Entscheidungen, dass ein Rückfall des Arbeitnehmers nach einer zunächst "erfolgreich" durchgeführten Entziehungstherapie vom Arbeitnehmer "verschuldet" sein könnte, was einen Lohnfortzahlungsanspruch ausschließt.
In einer Entscheidung vom gestrigen Tage ist das BAG ein wenig zugunsten des Arbeitnehmers von dieser älteren Rechtsprechung abgerückt: BAG, Urteil vom 18.03.2015, 10 AZR 99/14 (Pressemeldung des Gerichts).
- Ist die Frage nach dem Verschulden eines alkoholkranken Arbeitnehmers an seiner Alkoholkrankheit sinnvoll?
- Der Streitfall: Pflicht zur Lohnfortzahlung nach Sturztrunk mit 4,9 Promille und anschließendem Krankenhausaufenthalt
- BAG: Wird ein alkoholabhängiger Arbeitnehmer nach einer Therapie rückfällig, trifft ihn daran im Regelfall kein Verschulden im Sinne von § 3 EFZG
Ist die Frage nach dem Verschulden eines alkoholkranken Arbeitnehmers an seiner Alkoholkrankheit sinnvoll?
Dass Alkoholismus eine Krankheit im Sinne von § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) ist und dass daher ein durch Alkoholmissbrauch verursachter (erstmaliger) Klinikaufenthalt mit Entwöhnungstherapie einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach sich zieht, wird von niemandem bestritten.
Denn weil der Alkoholismus als Krankheit ja gerade die Steuerungsfähigkeit des Erkrankten beim Alkoholkonsum ausschließt, kann ihm der übermäßige Konsum nicht vorgeworfen werden, d.h. ihn trifft an seinem suchtbedingt gesundheitswidrigen Verhalten kein "Verschulden" im Sinne von § 3 Abs.1 Satz 1 EFZG. Diese Vorschrift lautet:
"Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne daß ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen."
Da es keine Rechtspflicht seiner eigenen Gesundheit gegenüber gibt, ist mit "Verschulden" hier etwas anderes gemeint als sonst im Zivilrecht. "Verschulden" im Sinne von § 3 Abs.1 Satz 1 EFZG bezeichnet keine vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung einer Rechtspflicht, sondern (mit den Worten des BAG) einen "groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten". Und einen solchen Verstoß begeht der Alkoholiker nicht, wenn er suchtbedingt übermäßig viel Alkohol konsumiert. Denn infolge der Sucht ist ein "im eigenen Interesse" sinnvolles - abstinentes - Verhalten nicht zu erwarten.
Trotzdem ist es auch bei alkoholismusbedingter Arbeitsunfähigkeit nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG nicht in allen Fällen ausgemacht, dass den alkoholkranken Arbeitnehmer kein Verschulden gemäß § 3 Abs.1 Satz 1 EFZG trifft. Denn auch wenn einzelne Alkoholexzesse suchtbedingt und daher unverschuldet sind, kann dem alkoholkranken Arbeitnehmer möglicherweise die Entstehung der Alkoholkrankheit selbst vorgeworfen, d.h. als "verschuldet" im Sinne von § 3 Abs.1 Satz 1 EFZG angekreidet werden.
Ein solcher Verschuldensvorwurf liegt insbesondere nach einer zunächst erfolgreich durchgeführten Entziehungstherapie nahe. Denn wenn ein (ehemals oder ununterbrochen?) alkoholkranker Arbeitnehmer einige Monate "trocken" war, hat sich ja daran gezeigt, dass er in Bezug auf seinen Alkoholkonsum (wieder) steuerungsfähig war. Wenn er jetzt erneut zur Flasche greift, hat er diesen Rückfall möglicherweise "verschuldet".
An dieser Stelle fragt sich allerdings, ob es überhaupt sinnvoll ist, solchen Fragen vor Gericht nachzugehen. Denn je genauer man die Lebensgeschichte eines Suchtkranken betrachtet und je länger zurückliegende Stadien man dabei berücksichtigt, desto eher wird man fremdbestimmte Entstehungsfaktoren finden.
Der Streitfall: Pflicht zur Lohnfortzahlung nach Sturztrunk mit 4,9 Promille und anschließendem Krankenhausaufenthalt
Klägerin des Kölner Streitfalls war eine gesetzliche Krankenkasse, die einem ihrer Mitglieder, dem alkoholabhängigen Herrn L., während der Zeit vom 29.11.2011 bis zum 30.12.2011 Krankengeld in Höhe von 1.303,36 EUR gewährt hatte. Diese Lohnersatzleistung verlangte sie von dem ehemaligen Arbeitgeber des Herrn L. zurück, wobei sie sich auf § 115 Abs.1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) berief. Nach dieser Vorschrift gehen Lohnansprüche eines Arbeitnehmers auf den Sozialleistungsträger über, wenn dieser für den eigentlich zahlungspflichtigen, aber säumigen Arbeitgeber einspringt, d.h. Sozialleistungen erbringt, weil der eigentlich zahlungspflichtige Arbeitgeber nicht zahlt.
Ihren Anspruch nach § 115 Abs.1 SGB X begründete die Krankenkasse damit, dass der Arbeitgeber eigentlich für die viereinhalb Wochen vom 29.11. bis zum 30.11.2011 Lohnfortzahlung hätte leisten müssen, weil Herr L. infolge eines Sturztrunkes mit 4,9 Promille stationär behandelt werden musste, daher arbeitsunfähig krank war und folglich einen Lohnfortzahlungsanspruch gemäß § 3 EFZG hatte.
Diese dem Herrn L. gegenüber bestehende Zahlungspflicht bestritt der Arbeitgeber, weil er Herrn L. aufgrund seines Sturztrunkes vom 23.11.2011 am 28.11.2011 fristlos gekündigt und demzufolge ab dem 29.11.2011 die Zahlungen eingestellt hatte. Zwar hatten sich der Arbeitgeber und Herr L. später in einem Kündigungsschutzprozess auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.12.2011 geeinigt, doch änderte das aus Sicht des Arbeitgebers nichts daran, dass er zur Entgeltfortzahlung für den streitigen Zeitraum vom 29.11. bis zum 30.12.2011 nicht verpflichtet war.
Denn, so der Arbeitgeber: Herr L. hatte bereits zwei stationäre Entzugstherapien hinter sich, doch kam es immer wieder zu Rückfällen, zuletzt zu dem katastrophalen Absturz vom 23.11.2011. Vor diesem Hintergrund ging der Arbeitgeber davon aus, dass Herrn L. ein Verschulden an dem Rückfall im Sinne von § 3 EFZG traf, denn zu den Entstehungsgründen für seine (erneute) Alkoholkrankheit hatte sich Herr L. trotz schriftlicher Befragung durch den Arbeitgeber nicht geäußert.
Die Krankenkasse verklagte den Arbeitgeber vor dem Arbeitsgericht Köln auf Erstattung des von ihr geleisteten Krankengeldes und berief sich dabei auf § 3 EFZG und § 115 Abs.1 SGB X. Damit hatte sie beim Arbeitsgericht (Urteil vom 29.05.2013, 9 Ca 9134/12) und auch in der Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) Köln Erfolg (LAG Köln, Urteil vom 16.01.2014, 13 Sa 516/13).
In seiner Begründung rückt das LAG Köln ausdrücklich von einigen älteren, in den 80er und 90er Jahren ergangenen Urteilen des BAG ab, da diese Entscheidungen, so das LAG, nahelegen, die Frage nach den Ursachen eines Rückfalls in den Alkoholismus im Regelfall durch ein medizinisches Sachverständigengutachten klären zu lassen. Das aber möchte das LAG nicht mehr mitmachen:
"Das nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bei langjähriger Alkoholabhängigkeit zur Klärung des Verschuldens iSv § 3 Abs.1 S.1 EFZG regelmäßig einzuholende, aufwändige medizinische Sachverständigengutachten wird in den meisten Fällen zu dem Ergebnis kommen, dass ein Verschulden des Arbeitnehmers nicht feststellbar ist. Damit verliert der beweispflichtige Arbeitgeber den Prozess und hat zudem die nicht geringen Kosten des Gutachtens zu tragen."
Demgegenüber ist nach Ansicht des LAG Köln
"im Fall der Arbeitsunfähigkeit aufgrund langjähriger Alkoholabhängigkeit - wie hier - regelmäßig davon auszugehen, dass dem Arbeitnehmer kein Verschulden im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts vorzuwerfen ist."
Da das LAG Köln die Revision zum BAG zugelassen hat und der Arbeitgeber von diesem Rechtsmittel Gebrauch gemacht hat, lag der Ball beim BAG.
BAG: Wird ein alkoholabhängiger Arbeitnehmer nach einer Therapie rückfällig, trifft ihn daran im Regelfall kein Verschulden im Sinne von § 3 EFZG
Auch vor dem BAG zog der Arbeitgeber den Kürzeren. In der derzeit allein vorliegenden BAG-Pressemeldung heißt es zur Begründung.
Wird ein Arbeitnehmer infolge seiner Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig krank, kann "nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse", so das BAG, nicht von einem Verschulden im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts ausgegangen werden. Die Entstehung der Alkoholsucht ist vielmehr multikausal, wobei sich die unterschiedlichen Ursachen wechselseitig bedingen.
Dies gilt nach Ansicht des BAG "im Grundsatz auch bei einem Rückfall nach einer durchgeführten Therapie". Allerdings formuliert das BAG hier sogleich eine wichtige Einschränkung: Im Hinblick auf eine Abstinenzrate von 40 bis 50 Prozent je nach Studie und Art der Behandlung kann nach einer durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme ein Verschulden des Arbeitnehmers an einem Rückfall "nicht generell ausgeschlossen werden", so die Erfurter Richter.
Praktisch heißt das für den Prozess über die Pflicht zur Entgeltfortzahlung, dass der Arbeitgeber bei einem Rückfall das fehlende Verschulden bestreiten kann (aber natürlich nicht bestreiten muss). Erhebt der Arbeitgeber diese Einwendung, muss das Arbeitsgericht ein medizinisches Sachverständigengutachten zu der Frage einholen, ob der Arbeitnehmer seinen Rückfall im Sinne von § 3 Abs1. Satz 1 EFZG verschuldet hat. Lässt sich ein Verschulden des Arbeitnehmers nicht eindeutig feststellen, weil der Rückfall durch ein Ursachenbündel verursacht wurde, geht dies zulasten des Arbeitgebers, so das BAG.
Da im Streitfall ein sozialmedizinisches Gutachten ein Verschulden des Herrn L. an dem Rückfall vom 23.11.2011 unter Hinweis auf die langjährige Alkoholabhängigkeit und den daraus folgenden "Suchtdruck" ausgeschlossen hatte, brauchte das BAG den Fall nicht an das LAG zurückzuverweisen.
Fazit: Das BAG hat mit diesem Urteil seine bisherige Rechtsprechung zugunsten von alkoholkranken Arbeitnehmern geändert. Praktisch wichtig ist vor allem die Klarstellung, dass es vom Prozessverhalten des Arbeitgebers abhängt, ob das Arbeitsgericht ein Gutachten zu der Frage einholen muss, ob der Arbeitnehmer seinen Rückfall "verschuldet" hat oder nicht.
Bestreitet der Arbeitgeber das fehlende Verschulden des Arbeitnehmers an dem Rückfall nicht (was ihm aus Kostengründen zu raten ist), dann greift die vom BAG aufgestellte Regelvermutung ein, dass auch ein Rückfall nach einer Entwöhnungstherapie nicht "verschuldet" ist und daher einen Anspruch auf Lohnfortzahlung auslöst.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.03.2015, 10 AZR 99/14 (Pressemeldung des Gerichts)
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.03.2015, 10 AZR 99/14
- Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 16.01.2014, 13 Sa 516/13
- Handbuch Arbeitsrecht: Krankheit
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Kündigung wegen Krankheit
- Arbeitsrecht aktuell: 20/080 Entgeltfortzahlung bei neuer Erstbescheinigung
- Arbeitsrecht aktuell: 17/123 Beweislast bei Krankheit von mehr als sechs Wochen
- Arbeitsrecht aktuell: 16/327 Fristlose Kündigung wegen Drogenkonsums
- Arbeitsrecht aktuell: 16/263 Arbeitsunfähigkeit bei Folgebescheinigung über andere Krankheit
- Arbeitsrecht aktuell: 14/380 Unfall unter Alkoholeinfluss berechtigt nicht immer zur Kündigung
- Arbeitsrecht aktuell: 14/137 Kündigung wegen Alkohols am Arbeitsplatz
- Arbeitsrecht aktuell: 11/208 Kündigung wegen Alkohols am Steuer
- Arbeitsrecht aktuell: 10/143 Voraussetzungen einer Kündigung wegen Alkoholsucht
- Arbeitsrecht aktuell: 09/203 Keine Kündigung bei Rückfall eines Alkoholikers
- Arbeitsrecht aktuell: 06/14 Arbeitsgericht Hamburg: Drogenkontrollen zulässig
Hinweis: In der Zwischenzeit, d.h. nach Erstellung dieses Artikels, hat das BAG seine Entscheidungsgründe veröffentlicht. Das vollständig begründete Urteil des BAG finden Sie hier:
Letzte Überarbeitung: 6. Oktober 2020
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