HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/173

Ta­rif­li­cher Ren­ten­zwang bei der Ham­bur­ger Hoch­bahn un­wirk­sam

Kein En­de des Streits über Zwangs­pen­sio­nie­rung mit 65: Ar­beits­ge­richt Ham­burg, Ur­teil vom 26.07.2010, 22 Ca 33/10
Alter Mann mit Hund im Wald Zwangs­pen­sio­nie­run­gen: Nur mit gu­tem Grund!
06.09.2010. Ta­rif­li­che Re­ge­lun­gen, nach de­nen Ar­beits­ver­hält­nis­se au­to­ma­tisch mit Be­ginn des Ren­ten­al­ters en­den ("Zwangs­pen­sio­nie­run­gen") sind ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen des Al­ters. Sie sind nur dann nicht dis­krim­nie­rend, wenn es für sie gu­te Grün­de gibt. Was als Grund ge­nügt, ist al­ler­dings um­strit­ten.

Das Ar­beits­ge­richt Ham­burg hat kürz­lich in ei­nem von un­se­rer Kanz­lei er­strit­te­nen Ur­teil die Zwangs­be­ren­tung ei­nes Ar­beit­neh­mers der Ham­bur­ger Hoch­bahn für un­wirk­sam er­klärt, da es die zu­grun­de­lie­gen­de ta­rif­ver­trag­li­che Vor­schrift als dis­kri­mi­nie­rend be­wer­te­te: Ar­beits­ge­richt Ham­burg, Ur­teil vom 26.07.2010, 22 Ca 33/10.

Sind Al­ters­gren­zen im­mer ge­recht­fer­tigt?

Nach der Recht­spre­chung des eu­ropäischen Ge­richts­hofs (EuGH) ist das Ver­bot der al­ters­be­ding­ten Dis­kri­mi­nie­rung nicht nur in der Richt­li­nie 2000/78/EG zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf (Richt­li­nie 2000/78/EG) ent­hal­ten, son­dern zu­dem auch als all­ge­mei­ner Grund­satz des eu­ropäischen Ge­mein­schafts­rechts an­zu­se­hen. Mit dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) hat der deut­sche Ge­setz­ge­ber die Richt­li­nie 2000/78/EG in na­tio­na­les Recht um­ge­setzt. Wie die Richt­li­nie, so soll auch das AGG al­ters­be­ding­te Schlech­ter­stel­lun­gen im Er­werbs­le­ben ver­hin­dern, er­laubt aber un­ter be­stimm­ten Umständen Un­gleich­be­hand­lun­gen, falls sie sach­lich ge­recht­fer­tigt sind.

Un­ter wel­chen Umständen Schlech­ter­stel­lun­gen we­gen des Al­ters ge­recht­fer­tigt sind, ist po­li­tisch und recht­lich um­strit­ten. Ins­be­son­de­re die sog. „Zwangs­pen­sio­nie­rung“, d.h. der au­to­ma­ti­schen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit Er­rei­chen ei­nes be­stimm­ten Al­ters und/oder des Ren­ten­ein­tritts­al­ters, wird viel­fach als dis­kri­mi­nie­rend an­ge­se­hen. Denn im­mer­hin wer­den Se­nio­ren hier auf­grund ih­res Al­ters schlech­ter ge­stellt als jünge­re Ar­beit­neh­mer, in­dem sie auf­grund ta­rif­ver­trag­li­cher oder ar­beits­ver­trag­li­cher Re­ge­lun­gen ge­gen ih­ren Wil­len ih­ren Ar­beits­platz ver­lie­ren, während die jünge­ren blei­ben dürfen.

Nach den Vor­schrif­ten des AGG kann die ver­trag­lich im vor­aus fest­ge­leg­te oder ta­rif­ver­trag­lich ge­re­gel­te Be­en­di­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses al­lein auf­grund ei­ner be­stimm­ten Al­ters­gren­ze ei­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung im Sin­ne des § 7 Abs. 1 AGG dar­stel­len. Ei­ne Schlech­ter­stel­lung we­gen des Al­ters liegt dar­in al­le­mal. Frag­lich und um­strit­ten ist al­lein, ob die­se ge­recht­fer­tigt und da­mit im Er­geb­nis recht­lich zulässig ist.

Ei­ne mögli­che Ge­set­zes­grund­la­ge für ei­ne Recht­fer­ti­gung der Zwangs­pen­sio­nie­run­gen ist § 8 Abs. 1 AGG. Dies setzt un­ter an­de­rem vor­aus, dass ein nicht ganz so ho­hes Al­ter „we­gen der Art der aus­zuüben­den Tätig­keit oder der Be­din­gun­gen ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che und ent­schei­den­de be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stellt“.

Das kann bei Be­ru­fen der Fall sein, bei de­nen mit Blick auf ex­tre­me Si­cher­heits­ri­si­ken höchs­te An­for­de­run­gen an körper­li­che und geis­ti­ge Leis­tungsfähig­keit der Be­rufs­träger ge­stellt wer­den, wie z.B. bei Pi­lo­ten. Da­her hat das Hes­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) die Kla­ge ei­ni­ger Luft­hans­a­pi­lo­ten ab­ge­wie­sen, die ge­gen die ta­rif­lich fest­ge­leg­te Be­en­di­gung ih­rer Ar­beits­verhält­nis­se mit 60. Jah­ren ge­klagt hat­ten (Ur­teil vom 15.10.2007, 17 Sa 809/07 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell 07/79: Al­ters­gren­ze von 60 Jah­ren bei Luft­hans­a­pi­lo­ten ist rech­tens). Das Ver­fah­ren ist der­zeit beim Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) anhängig, das beim EuGH an­ge­fragt hat, ob Flug­si­cher­heits­gründe ta­rif­li­che Al­ters­gren­zen­re­ge­lung von 60 Jah­ren für Pi­lo­ten recht­fer­ti­gen können oder nicht (Be­schluss vom 17.06.2009, 7 AZR 112/08 (A) - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell 09/118: Ist die Zwangs­ver­ren­tung von Pi­lo­ten mit 60 Jah­ren doch eu­ro­pa­rechts­wid­rig?).

Ei­ne sol­che Recht­fer­ti­gung von Zwangs­pen­sio­nie­run­gen schei­det aber für die meis­ten Be­ru­fe aus. Da­her hat das BAG vor kur­zem ent­schie­den, dass das al­ters­be­ding­te Nach­las­sen der Leis­tungsfähig­keit von Ste­war­des­sen de­ren Zwangs­ver­ren­tung mit 60 Jah­ren nicht recht­fer­tigt, da es hier - an­ders als bei Pi­lo­ten - nicht zu ei­ner ernst­haf­ten Gefähr­dung von Le­ben und Ge­sund­heit der Pas­sa­gie­re, der Flug­be­sat­zung oder der Men­schen in den über­flo­ge­nen Ge­bie­ten kom­men kann (BAG, Ur­teil vom 23.06.2010, 7 AZR 1021/08).

Frag­lich ist dann im wei­te­ren, ob Zwangs­pen­sio­nie­run­gen gemäß § 10 Sätze 1 und 2 AGG ge­recht­fer­tigt wer­den können. Da­nach kann ei­ne Schlech­ter­stel­lung we­gen des Al­ters ge­recht­fer­tigt sein, wenn sie „ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen und durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt ist“; zu die­sen Zie­len kann es auch gehören, für ei­ne ar­beits­markt­po­li­tisch sinn­vol­le (Um-)Ver­tei­lung vor­han­de­ner Ar­beitsmöglich­kei­ten zwi­schen jünge­ren und älte­ren Ar­beit­neh­mern zu sor­gen. Al­ler­dings genügt hier ei­ne sol­che Ziel­set­zung als sol­che noch nicht, son­dern die ein­ge­setz­ten Mit­tel - hier al­so die Zwangs­ver­ren­tung durch star­re Al­ters­gren­zen - müssen „an­ge­mes­sen und er­for­der­lich“ sein.

In der Recht­spre­chung der deut­schen Ar­beits­ge­richts­bar­keit wur­den ta­rif­li­che und be­am­ten­ge­setz­li­che Al­ters­gren­zen un­ter Ver­weis auf die­se Vor­schrift bzw. die ihr wört­lich ent­spre­chen­den Vor­ga­ben der Richt­li­nie 2000/78/EG ge­recht­fer­tigt. Ins­be­son­de­re das BAG hat dies in ei­ner zu ta­rif­li­chen Al­ters­gren­zen er­gan­ge­nen Ent­schei­dung aus dem Jah­re 2008 an­ge­nom­men (BAG, Ur­teil vom 18.06.2008, 7 AZR 116/07 - wir be­rich­te­ten darüber in Ar­beits­recht ak­tu­ell 08/077: Ta­rif­li­che Auflösung von Ar­beits­verhält­nis­sen mit Er­rei­chen des Ren­ten­al­ters ist rech­tens).

Die­se Recht­spre­chung ist al­ler­dings fragwürdig, da sie an­ge­sichts der ak­tu­el­len Recht­spre­chung des EuGH wahr­schein­lich eu­ro­pa­rechts­wid­rig ist. So be­tont der EuGH neu­er­dings, dass die so­zi­al- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Zweck­set­zun­gen, die hin­ter ge­setz­li­chen Zwangs­ver­ren­tungs­vor­schrif­ten ste­hen, von den Ge­rich­ten der Mit­glied­staa­ten ge­nau er­mit­teln und dar­auf­hin über­prüft wer­den müssen, ob Mit­tel und Zweck in ei­nem an­ge­mes­se­nen Verhält­nis ste­hen. Außer­dem darf das im Grund­satz be­ste­hen­de Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung, so der EuGH, nicht aus­gehöhlt wer­den (Ur­teil vom 05.03.2009, C-388/07, Age Con­cern – wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell 09/038: Ist die Ent­las­sung in die Ren­te dis­kri­mi­nie­rend?).

Vor die­sem Hin­ter­grund sind seit An­fang 2009 deut­schen Ge­rich­te zu­neh­mend oft der An­sicht, dass un­ge­nau „be­gründe­te“ Al­ters­gren­zen ei­ne un­zulässi­ge Dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­len, da sie nicht die An­for­de­run­gen der Rechts­fer­ti­gungs­vor­schrift des § 10 AGG erfüllen. Zu die­sen Fra­gen hat sich nun­mehr auch das Ar­beits­ge­richt Ham­burg in ei­ner von un­se­rer Kanz­lei vor kur­zem er­strit­te­nen Ent­schei­dung geäußert (Ur­teil vom 26.07.2010, 22 Ca 33/10).

Der Fall: Hal­te­stel­lenwärter der Ham­bur­ger Hoch­bahn möch­te auch mit 65 Jah­ren noch ar­bei­ten

Der am 23.05.1945 ge­bo­re­ne Kläger ist seit 1981 bei der Ham­bur­ger Hoch­bahn AG als Hal­te­stel­lenwärter beschäftigt. Er bat im Som­mer 2009 dar­um, ihn über das 65. Le­bens­jahr hin­aus wei­ter zu beschäfti­gen. Die Hoch­bahn AG lehn­te dies un­ter Hin­weis auf den für das Ar­beits­verhält­nis gel­ten­den Man­tel­ta­rif­ver­trag (MTV) Hoch­bahn ab und teil­te ihm dass, dass sein Ar­beits­verhält­nis gemäß § 20 Abs. 5 MTV Hoch­bahn zum 31.05.2010 en­den wer­de. § 20 Abs. 5 MTV Hoch­bahn enthält in der seit An­fang Mai 2010 gel­ten­den und da­her für den Kläger maßgeb­li­chen Fas­sung fol­gen­de Re­ge­lung:

„Oh­ne dass es ei­ner Kündi­gung be­darf, en­det das Ar­beits­verhält­nis mit Ab­lauf des Mo­nats, in dem der Mit­ar­bei­ter die Re­gel­al­ters­gren­ze der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung er­reicht.“

Darüber hin­aus enthält § 20 Abs. 5 MTV Hoch­bahn seit An­fang Mai 2010 fol­gen­de Pro­to­koll­no­tiz:

„Mit die­ser Re­ge­lung ver­fol­gen die Ta­rif­par­tei­en, wie schon in der Ver­gan­gen­heit, primär ar­beits­markt­po­li­ti­sche Zie­le. Ne­ben der Förde­rung der Beschäfti­gungs­ver­tei­lung zwi­schen den Ge­ne­ra­tio­nen soll da­mit auch ein po­si­ti­ver Bei­trag zur Re­du­zie­rung der Ar­beits­lo­sig­keit ge­leis­tet wer­den.“

Der Ar­beit­neh­mer war der Mei­nung, dass die Be­en­di­gung sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses mit Er­rei­chen der Al­ters­gren­ze von 65 Jah­ren ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung sei und er­hob noch En­de 2009 und da­mit in­ner­halb der Kla­ge­frist des § 17 Teil­zeit- und Be­fris­tungs­ge­setz (Tz­B­fG) Be­fris­tungs­kon­troll­kla­ge vor dem Ar­beits­ge­richt. Ham­burg. Im Ver­lauf des Pro­zes­ses be­haup­te­te der Ar­beit­ge­ber, dass der Kläger ei­ne be­son­de­re ver­ant­wor­tungs­vol­le Po­si­ti­on ausübe und sei­ne wei­te­re Beschäfti­gung da­her auf­grund al­ters­be­dingt nach­las­sen­der Leis­tungsfähig­keit mit Ri­si­ken ver­bun­den sei.

Ar­beits­ge­richt Ham­burg: Abs­trak­te Zie­le wie Beschäfti­gungsförde­rung sind kein Sach­grund für die Al­ters­be­fris­tung

Das Ge­richt gab der Kla­ge statt und ver­ur­teil­te die Hoch­bahn AG da­zu, den Kläger vorläufig bis zur rechts­kräfti­gen Be­en­di­gung des Rechts­streits wei­ter zu beschäfti­gen. Aus­ge­hend von der un­strei­ti­gen An­nah­me, dass Zwangs­ver­ren­tun­gen ei­ne al­ters­be­ding­te Schlech­ter­stel­lung des be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers dar­stel­len, prüfte es ein­ge­hend die mögli­chen Recht­fer­ti­gungs­gründe des § 8 AGG und des § 10 AGG.

Ei­ne Recht­fer­ti­gung der strei­ti­gen Be­en­di­gungs­vor­schrift gemäß § 8 AGG schließt das Ge­richts zu­recht aus, da die da­zu von sei­ten des Ar­beit­ge­bers vor­ge­brach­ten Tat­sa­chen viel zu schwam­mig wa­ren. Al­lein die Be­haup­tung ei­ner „ver­ant­wor­tungs­vol­len Po­si­ti­on“ des Klägers reich­te dem Ge­richt nicht. Außer­dem bemängel­te das Ge­richt, dass der MTV Hoch­bahn un­ter­schieds­los al­le un­ter ihn fal­len­den Ar­beit­neh­mer „in die Ren­te“ schickt, d.h. kei­ne Un­ter­schei­dung nach der Art der Tätig­keit der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer vor­sieht - und ge­fah­renträch­ti­ge Tätig­kei­ten üben si­cher­lich nicht al­le Beschäftig­ten in glei­cher Wei­se aus. Fer­ner wären re­gelmäßige Ge­sund­heits­un­ter­su­chun­gen denk­bar, um Ri­si­ken aus­zu­sch­ließen, so das Ge­richt. Im Er­geb­nis konn­te die Kam­mer nicht ver­ste­hen, war­um ein un­ter den MTV Hoch­bahn fal­len­der Ar­beit­neh­mer „ei­nen Tag vor Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze noch voll ein­setz­bar sein, ei­nen Tag später je­doch - al­lein auf­grund sei­nes Ge­burts­ta­ges - ei­ne Ge­fahr für die öffent­li­che Si­cher­heit und Ord­nung so­wie Drit­te dar­stel­len soll.“

Wei­ter­hin mein­te das Ge­richt, dass die ta­rif­li­che Zwangs­pen­sio­nie­rung auch nicht gemäß § 10 Sätze 1 und 2 AGG ge­recht­fer­tigt ist. Zur Recht­fer­ti­gung be­zog sich die Kam­mer ausführ­lich auf das ein­gangs erwähn­te Ur­teil des EuGH vom 05.03.2009, C-388/07 (Age Con­cern) und stell­te wei­ter­hin klar, dass es dem Ur­teil des BAG vom 18.06.2008 (7 AZR 116/07) nicht fol­gen wol­le.

Vor die­sem Hin­ter­grund prüfte das Ge­richt sehr ge­nau, ob die hier strei­ti­ge ta­rif­li­che Be­en­di­gungs­vor­schrift durch ein le­gi­ti­mes Ziel der Ar­beits­markt­po­li­tik ge­recht­fer­tigt ist und ob die zwangs­wei­se Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen mit Er­rei­chen des Ren­ten­ein­tritts­al­ters als Mit­tel zur Ziel­er­rei­chung auch „an­ge­mes­sen und er­for­der­lich“ ist.

Zwar lässt das Ge­richt die Ziel­set­zung, die in § 20 Abs. 5 MTV Hoch­bahn und in der erläutern­den Pro­to­koll­no­tiz ge­nannt wer­den, gel­ten, d.h. es re­spek­tiert den Wil­len der Ta­rif­par­tei­en, ei­ne „Beschäfti­gungs­ver­tei­lung zwi­schen den Ge­ne­ra­tio­nen“ zu fördern und ei­nen po­si­ti­ven "Bei­trag zur Re­du­zie­rung der Ar­beits­lo­sig­keit“ zu leis­ten. Aber auch un­ter Zu­grun­de­le­gung die­ser Zie­le ist ei­ne all­ge­mei­ne Zwangs­ver­ren­tung al­ler un­ter den MTV Hoch­bahn we­der zwecktaug­lich noch er­for­der­lich.

Die man­geln­de Zwecktaug­lich­keit der Zwangs­pen­sio­nie­rung für das Ziel ei­ner Ver­rin­ge­rung der Ar­beits­lo­sig­keit fol­gert das Ge­richt dar­aus, dass der Ta­rif­ver­trag kei­ne Pflicht der Hoch­bahn AG zu Neu­ein­stel­lun­gen enthält. Wenn aber die durch Zwangs­ver­ren­tun­gen frei­ge­wor­de­nen Ar­beitsplätze nicht neu be­setzt wer­den müssen - wie kann dann die Zwangs­pen­sio­nie­rung die Ar­beits­lo­sig­keit ver­rin­gern? Und auch dem Ziel ei­ner Beschäfti­gungs­ver­tei­lung zwi­schen den Ge­ne­ra­tio­nen dient die Zwangs­ver­ren­tung als sol­che noch nicht, son­dern nur dann, wenn die Hoch­bahn AG bei der Be­set­zung frei­wer­den­de Ar­beitsplätze auf das (eher jun­ge) Al­ter der neu ein­zu­stel­len­den Er­satz­kräfte zu ach­ten hätte. Zu all­dem enthält der § 20 Abs. 5 MTV Hoch­bahn kei­ner­lei Vor­ga­ben.

Im übri­gen ist § 20 Abs. 5 MTV Hoch­bahn auch nicht er­for­der­lich, die selbst­ge­setz­ten Zie­le zu er­rei­chen, da die be­klag­te Hoch­bahn AG kei­ner­lei An­ga­ben da­zu ma­chen konn­te, ob nicht die meis­ten Ar­beit­neh­mer mit Er­rei­chen des Ren­ten­al­ters frei­wil­lig aus dem Ar­beits­verhält­nis aus­schei­den würden. Die hit­zi­ge Dis­kus­si­on über die An­he­bung des Ren­ten­al­ters von 65 auf 67 Jah­re zeigt, so das Ge­richt, dass die große Mehr­zahl der Ar­beit­neh­mer mögli­cher­wei­se froh sind, end­lich in Ren­te ge­hen zu dürfen. Ei­ne darüber hin­aus­ge­hen­de Zwangs­ver­ren­tung der­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer, die trotz be­ste­hen­der Ren­ten­ansprüche wei­ter ar­bei­ten möch­ten, hält das Ar­beits­ge­richt dann für nicht er­for­der­lich.

Im Er­geb­nis kri­ti­siert das Ge­richt an der strei­ti­gen Ta­rif­re­ge­lung, sie ermögli­che es der Hoch­bahn AG, sich von Ar­beit­neh­mern un­ter Um­ge­hung des Kündi­gungs­schut­zes zu tren­nen und recht­lich frei darüber zu ent­schei­den, ob al­ters­be­dingt frei­ge­wor­de­ne Stel­len neu be­setzt wer­den sol­len oder nicht. Die ta­rif­li­che Al­ters­gren­ze dient so ge­se­hen nicht den in ihr ge­nann­ten heh­ren Ar­beits­markt­zie­len, son­dern ermöglicht Ein­spa­run­gen von Per­so­nal.

Ob das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ham­burg im wei­te­ren In­stan­zen­zug Be­stand ha­ben wird, ist of­fen. Je­den­falls macht die sorgfältig be­gründe­te Ent­schei­dung deut­lich, dass die meis­ten ta­rif­li­chen Al­ters­gren­zen nach dem der­zei­ti­gen Stand der Recht­spre­chung recht­lich an­greif­bar sind, falls die da­von be­trof­fe­nen Be­rufs­grup­pen kei­ne so ris­kan­ten Tätig­kei­ten ausüben wie Ver­kehrspi­lo­ten. Denn die dann nur noch denk­ba­re Recht­fer­ti­gung gemäß § 10 Sätze 1 und 2 AGG setzt sehr kon­kre­te Ziel­set­zun­gen mit Blick auf ein­zel­ne Ar­beit­neh­mer­grup­pen vor­aus. Dies je­den­falls folgt aus dem Ur­teil des EuGH vom 05.03.2009, C-388/07 (Age Con­cern). Sol­che Ziel­vor­ga­ben las­sen sich aber den der­zei­ti­gen ta­rif­li­chen Al­ters­gren­zen nicht ent­neh­men.

Fa­zit: Von ta­rif­li­chen oder ein­zel­ver­trag­li­chen Zwangs­ver­ren­tun­gen be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mern ist der­zeit drin­gend zu ra­ten, in­ner­halb der dreiwöchi­gen Kla­ge­frist des § 17 Tz­B­fG ei­ne Be­fris­tungs­kon­troll­kla­ge zu er­he­ben, falls sie mit der Be­en­di­gung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses nicht ein­ver­stan­den sind. Die dreiwöchi­ge Kla­ge­frist be­ginnt mit dem ta­rif­ver­trag­lich vor­ge­se­hen En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses, meist mit Ab­lauf des Mo­nats, in dem der Ar­beit­neh­mer sei­nen 65. Ge­burtsag fei­ern kann. Ist die­se Frist ver­stri­chen, ist die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses endgültig als rechts­wirk­sam an­zu­se­hen. Und soll­te ei­ne Kla­ge wie im hier ent­schie­de­nen Streit­fall Er­folg ha­ben, ist der Ar­beit­neh­mer nicht ver­pflich­tet, "oh­ne En­de" zu ar­bei­ten, da er das Ar­beits­verhält­nis je­der­zeit or­dent­lich kündi­gen kann, um Al­ters­ren­te zu be­zie­hen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 24. März 2016

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de