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BAG, Ur­teil vom 18.06.2008, 7 AZR 116/07

   
Schlagworte: Diskriminierung: Alter, Befristung, Europarecht, Tarifvertrag
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 7 AZR 116/07
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 18.06.2008
   
Leitsätze:

1. Eine in einem Tarifvertrag enthaltene Befristung des Arbeitsverhältnisses auf den Zeitpunkt des Erreichens des Regelrentenalters ist sachlich gerechtfertigt iSd. § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG, wenn der Arbeitnehmer nach dem Vertragsinhalt und der Vertragsdauer eine Altersversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung erwerben kann oder bei Vertragsschluss bereits die für den Bezug einer Altersrente erforderliche rentenrechtliche Wartezeit erfüllt hat.

2. Eine solche Regelung genügt den sich bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist für die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ergebenden Vorgaben des Gemeinschaftsrechts.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht München, Urteil vom 08.02.2006, 6 Ca 1134/05, Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 29.08.2006, 8 Sa 362/06
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

7 AZR 116/07

8 Sa 362/06

Lan­des­ar­beits­ge­richt München

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am 18. Ju­ni 2008

UR­TEIL

Schie­ge, Ur­kunds­be­am­ter der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Sieb­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 18. Ju­ni 2008 durch die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Gräfl als Vor­sit­zen­de, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Koch und Schmitz-Scho­le­mann so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Be­cher und Prof. Dr. Dei­nert für Recht er­kannt:


 

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Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts München vom 29. Au­gust 2006 - 8 Sa 362/06 - wird als un­zulässig ver­wor­fen, so­weit sie von der Be­klag­ten die Zah­lung von 7.099,80 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz aus je­weils 1.419,96 Eu­ro seit dem 1. Mai 2006, 1. Ju­li 2006, 1. Au­gust 2006 und 1. Sep­tem­ber 2006 ver­langt.

Im Übri­gen wird die Re­vi­si­on zurück­ge­wie­sen.

Die Kläge­rin hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten im We­sent­li­chen über die Wirk­sam­keit ei­ner ta­rif­ver­trag­li­chen Al­ters­gren­ze.

Die im Jahr 1940 ge­bo­re­ne Kläge­rin war seit dem 25. Sep­tem­ber 1975 bei der Be­klag­ten als In­nen­rei­ni­ge­rin mit ei­nem Brut­to­mo­nats­ent­gelt von zu­letzt 1.419,96 Eu­ro beschäftigt. Der im No­vem­ber 1975 un­ter­zeich­ne­te Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en, in dem das Ge­burts­da­tum der Kläge­rin mit „23.03.1940“ an­ge­ge­ben ist, lau­tet aus­zugs­wei­se wie folgt:

„2.

Als Ar­beits­ent­gelt wird der je­weils gülti­ge Ta­rif­lohn im Gebäuderei­ni­ger-Hand­werk Südbay­ern für ... In­nen­rei­ni­ger ... ver­ein­bart.

...

9.

Im übri­gen gel­ten die ge­setz­li­chen Be­stim­mun­gen und die des Rah­men- und Lohn­ta­rif­ver­tra­ges für das Gebäuderei­ni­ger-Hand­werk Südbay­ern.“


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In § 19 des seit dem 1. April 2004 all­ge­mein­ver­bind­li­chen Rah­men­ta­rif­ver­trags für die ge­werb­li­chen Beschäftig­ten in der Gebäuderei­ni­gung vom 4. Ok­to­ber 2003 (RTV 2003) ist be­stimmt:

„8. So­fern ein­zel­ver­trag­lich nichts an­de­res ver­ein­bart ist, en­det das Ar­beits­verhält­nis mit Ab­lauf des Ka­len­der­mo­nats, in dem der/die Beschäftig­te An­spruch auf ei­ne Ren­te we­gen Al­ters hat, aus­ge­nom­men ei­ner Ren­te, die der/die Beschäftig­te vor dem für ihn/sie maßge­ben­den Ren­ten­al­ter in An­spruch neh­men kann, spätes­tens mit Ab­lauf des Mo­nats, in dem der/die Beschäftig­te das 65. Le­bens­jahr voll­endet hat.“

Ver­gleich­ba­re Be­stim­mun­gen über die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses auf Grund ei­ner Al­ters­gren­ze wa­ren in den Rah­men­ta­rif­verträgen des Gebäuderei­ni­ger-Hand­werks seit dem Jahr 1995 ent­hal­ten.

Die Be­klag­te teil­te der Kläge­rin mit Schrei­ben vom 5. Ja­nu­ar 2005 mit, dass das Ar­beits­verhält­nis we­gen des Er­rei­chens der Al­ters­gren­ze am 31. März 2005 en­de. Nach­dem die Be­klag­te von der zuständi­gen Lan­des­ver­si­che­rungs­an­stalt die Mit­tei­lung er­hal­ten hat­te, dass die Kläge­rin erst ab dem 1. Ju­li 2005 ei­ne Al­ters­ren­te be­an­spru­chen könne, kor­ri­gier­te sie den Be­en­di­gungs­zeit­punkt mit Schrei­ben vom 19. Ja­nu­ar 2005 auf den 30. Ju­ni 2005. Seit dem 1. Ju­li 2005 be­zieht die Kläge­rin ei­ne Al­ters­ren­te in Höhe von 599,47 Eu­ro.

Mit der am 25. Ja­nu­ar 2005 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge, mit der sich die Kläge­rin zunächst ge­gen die „Kündi­gun­gen“ vom 5. Ja­nu­ar bzw. 19. Ja­nu­ar 2005 ge­wandt hat, hat die Kläge­rin gel­tend ge­macht, das Ar­beits­verhält­nis sei nicht durch die in § 19 Nr. 8 RTV 2003 ent­hal­te­ne Al­ters­gren­ze be­en­det wor­den. Sie hat ge­meint, Nr. 9 des Ar­beits­ver­trags vom No­vem­ber 1975 ent­hal­te ei­ne sta­ti­sche Be­zug­nah­me auf den im Jahr 1975 gel­ten­den Rah­men­ta­rif­ver­trag des Gebäuderei­ni­ger­hand­werks, in dem ei­ne Al­ters­gren­ze nicht vor­ge­se­hen ge­we­sen sei. Die­se ver­trag­li­che Ver­ein­ba­rung „hin­de­re“ die An­wen­dung des all­ge­mein­ver­bind­li­chen RTV 2003. Da­ne­ben ha­be sie dar­auf ver­trau­en können, dass ihr ei­ne weit länge­re Zeit zur Verfügung ste­he, um ei­ne an­ge­mes­se­ne Ren­te zu er­ar­bei­ten. Auf Grund ih­rer nur ge­rin­gen Al­ters­ren­te sei


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sie wirt­schaft­lich nicht ab­ge­si­chert. Darüber hin­aus ent­hal­te die Ta­rif­norm ei­ne nach Ge­mein­schafts­recht un­zulässi­ge Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters.

Die Kläge­rin hat - so­weit in der Re­vi­si­ons­in­stanz noch von In­ter­es­se - be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis auf Grund ta­rif­ver­trag­li­cher Be­fris­tung oder ta­rif­ver­trag­li­cher Al­ters­gren­ze we­der mit Ab­lauf des 31. März 2005 noch mit Ab­lauf des 30. Ju­ni 2005 ge­en­det hat,

2. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen der Kläge­rin und der Be­klag­ten auch nicht durch an­de­re Kündi­gun­gen oder an­de­re Be­en­di­gungs­tat­bestände auf­gelöst wor­den ist, son­dern zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen über den 30. Ju­ni 2005 hin­aus fort­be­steht,

3. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin wei­te­re 12.779,64 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz aus je­weils 1.419,96 Eu­ro seit dem 1. Au­gust, 1. Sep­tem­ber, 1. Ok­to­ber, 1. No­vem­ber, 1. De­zem­ber 2005, 1. Ja­nu­ar, 1. Fe­bru­ar, 1. März und 1. April 2006 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt.

Das Ar­beits­ge­richt hat dem zu 1. ge­stell­ten Kla­ge­an­trag teil­wei­se ent­spro­chen und fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis nicht zum 31. März 2005 ge­en­det hat. Im Übri­gen hat es die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung zurück­ge­wie­sen, nach­dem die Kläge­rin in der Be­ru­fungs­be­gründung an­stel­le des Be­fris­tungs­kon­troll­an­trags ih­ren ursprüng­li­chen, auf Un­wirk­sam­keit der „Kündi­gun­gen“ vom 5. bzw. 19. Ja­nu­ar 2005 ge­rich­te­ten Kla­ge­an­trag wie­der­holt, die­sen aber im wei­te­ren Be­ru­fungs­ver­fah­ren durch den Be­fris­tungs­kon­troll­an­trag er­setzt hat. Mit der Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ih­ren auf Fest­stel­lung der Un­wirk­sam­keit der Be­fris­tung zum 30. Ju­ni 2005 ge­rich­te­ten An­trag und den Zah­lungs­an­trag wei­ter. Den Zah­lungs­an­trag hat die Kläge­rin in der Re­vi­si­on um Ver­zugs­lohn für wei­te­re fünf Mo­na­te nebst Zin­sen er­wei­tert. Die Be­klag­te be­an­tragt die Zurück­wei­sung der Re­vi­si­on.


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Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist un­zulässig, so­weit die Kläge­rin in der Re­vi­si­ons­in­stanz den Zah­lungs­an­trag er­wei­tert hat. Im Übri­gen ist die Re­vi­si­on un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge, so­weit sie in der Re­vi­si­on noch anhängig ist, zu Recht ab­ge­wie­sen. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en hat nach § 19 Nr. 8 des all­ge­mein­ver­bind­li­chen RTV 2003 mit Ab­lauf des 30. Ju­ni 2005 ge­en­det. Aus die­sem Grund ist der zu­letzt in der Be­ru­fungs­in­stanz ge­stell­te Zah­lungs­an­trag, mit dem die Kläge­rin An­nah­me­ver­zugs­lohn­ansprüche bis zum 31. März 2006 gel­tend macht, un­be­gründet.

A. Die Re­vi­si­on ist we­gen Feh­lens ei­ner Re­vi­si­ons­be­gründung un­zulässig, so­weit die Kläge­rin ih­ren Zah­lungs­an­trag in der Re­vi­si­ons­in­stanz er­wei­tert hat. In der letz­ten münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Kläge­rin mit dem Zah­lungs­an­trag Vergütung aus An­nah­me­ver­zug für den Zeit­raum von Ju­li 2005 bis März 2006 iHv. 12.779,64 Eu­ro gel­tend ge­macht. In der Re­vi­si­ons­be­gründung hat sie den Zah­lungs­an­trag be­gründungs­los um ei­nen Be­trag von 7.099,80 Eu­ro nebst Zin­sen er­wei­tert. Dafür fehlt es an der nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO er­for­der­li­chen An­ga­be der Re­vi­si­ons­gründe. Darüber hin­aus wäre ei­ne Er­wei­te­rung des Zah­lungs­an­trags auf wei­te­re Zeit­ab­schnit­te in der Re­vi­si­ons­in­stanz oh­ne­hin un­zulässig ge­we­sen, da nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur das­je­ni­ge Par­tei­vor­brin­gen der Be­ur­tei­lung des Re­vi­si­ons­ge­richts un­ter­liegt, das aus dem Tat­be­stand des Be­ru­fungs­ur­teils oder dem Sit­zungs­pro­to­koll er­sicht­lich ist.

B. Die Re­vi­si­on ist, so­weit sie zulässig ist, un­be­gründet. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en hat nach § 19 Nr. 8 des auf das Ar­beits­verhält­nis an­wend­ba­ren all­ge­mein­ver­bind­li­chen RTV 2003 mit Ab­lauf des 30. Ju­ni 2005 ge­en­det. Die frist­wah­ren­de Wir­kung der Be­fris­tungs­kon­troll­kla­ge ist nicht durch die un­zu­tref­fen­de For­mu­lie­rung der Be­ru­fungs­anträge in der Be­ru­fungs­be­gründung be­sei­tigt wor­den. Die Par­tei­en ha­ben kei­ne ge­genüber § 19 Nr. 8


 

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RTV 2003 güns­ti­ge­re oder ab­wei­chen­de Ver­ein­ba­rung über die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses bei Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze ge­trof­fen. Die Ta­rif­norm, de­ren Vor­aus­set­zun­gen im Streit­fall erfüllt sind, ist sach­lich ge­recht­fer­tigt iSd. § 14 Abs. 1 Satz 1 Tz­B­fG und genügt auch den ge­mein­schafts­recht­li­chen An­for­de­run­gen.

I. Die auf die Voll­endung des 65. Le­bens­jah­res der Kläge­rin be­zo­ge­ne Be­fris­tung des Ar­beits­verhält­nis­ses zum 30. Ju­ni 2005 ist nicht des­halb gem. § 17 Satz 2 Tz­B­fG, § 7 KSchG als von An­fang an rechts­wirk­sam an­zu­se­hen, weil die Kläge­rin in der Be­ru­fungs­be­gründung ih­ren erst­in­stanz­lich ge­stell­ten und vom Ar­beits­ge­richt ab­ge­wie­se­nen Be­fris­tungs­kon­troll­an­trag nicht aus­drück­lich wie­der­holt, son­dern statt des­sen ih­ren ursprüng­li­chen auf Un­wirk­sam­keit der „Kündi­gun­gen“ vom 5. und 19. Ja­nu­ar 2005 ge­rich­te­ten An­trag an­gekündigt hat. Die Kläge­rin hat sich in ei­ner § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO genügen­den Wei­se in der Be­ru­fungs­be­gründung mit der vom Ar­beits­ge­richt für die Ab­wei­sung ih­res auf den 30. Ju­ni 2005 be­zo­ge­nen Be­fris­tungs­kon­troll­an­trags ge­ge­be­nen Be­gründung aus­ein­an­der­ge­setzt. Aus ih­ren Ausführun­gen er­gibt sich, dass die Kläge­rin auch in der Be­ru­fung die Be­fris­tung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses durch die in § 19 Nr. 8 RTV 2003 ent­hal­te­ne Al­ters­gren­ze ei­ner ge­richt­li­chen Über­prüfung un­ter­zie­hen woll­te.

1. Gem. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO muss aus der Be­ru­fungs­be­gründung er­sicht­lich sein, in­wie­weit das Ur­teil an­ge­foch­ten wird und wel­che Abände­run­gen be­an­tragt wer­den. Da­zu be­darf es nicht un­be­dingt be­stimmt ge­fass­ter Anträge, wenn nur die in­ner­halb der Frist ein­ge­gan­ge­nen oder zulässi­ger­wei­se in Be­zug ge­nom­me­nen Schriftsätze ein be­stimm­tes Be­geh­ren ein­deu­tig auf­zei­gen. Die­ses Be­geh­ren kann sich auch aus der Rechts­mit­tel­be­gründung er­ge­ben. Auch Pro­zess­hand­lun­gen sind aus­le­gungsfähig und -bedürf­tig. In­so­weit fin­den die Aus­le­gungs­re­geln des ma­te­ri­el­len Rechts grundsätz­lich ent­spre­chen­de An­wen­dung. Ent­schei­dend ist al­so der ob­jek­ti­ve, dem Empfänger vernünf­ti­ger­wei­se er­kenn­ba­re Sinn. Im Zwei­fel ist ge­wollt, was nach den Maßstäben der Rechts­ord­nung vernünf­tig ist und der recht ver­stan­de­nen


 

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In­ter­es­sen­la­ge ent­spricht (BAG 21. Ju­li 2005 - 6 AZR 592/04 - Rn. 20 mwN, BA­GE 115, 225 = AP Be­trVG 1972 § 113 Nr. 50 = EzA In­sO § 125 Nr. 2).

2. Zwar hat die Kläge­rin in der Be­ru­fungs­be­gründung vom 24. Mai 2006 nicht ih­re zu­letzt vor dem Ar­beits­ge­richt ge­stell­ten Anträge wie­der­holt, son­dern - of­fen­bar auf Grund ei­nes Ver­se­hens - an­statt des Be­fris­tungs­kon­troll­an­trags den zunächst vor dem Ar­beits­ge­richt ge­stell­ten An­trag nach § 4 KSchG an­gekündigt. Ei­ne Kla­geände­rung, die die frist­wah­ren­de Wir­kung der vor dem Ar­beits­ge­richt er­ho­be­nen Be­fris­tungs­kon­troll­kla­ge be­sei­ti­gen könn­te, liegt hier­in je­doch nicht. Da sich die Be­ru­fungs­be­gründung mit der für die Ab­wei­sung der Be­fris­tungs­kon­troll­kla­ge vom Ar­beits­ge­richt ge­ge­be­nen Be­gründung aus­rei­chend aus­ein­an­der ge­setzt hat, war der Ge­gen­stand des von der Kläge­rin mit der Be­ru­fung ver­folg­ten An­griffs trotz der un­sorgfälti­gen An­trags­for­mu­lie­rung ih­res Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten mit hin­rei­chen­der Deut­lich­keit er­kenn­bar.

II. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist im Er­geb­nis zu­tref­fend da­von aus ge­gan­gen, dass § 19 Nr. 8 RTV 2003 gem. § 5 Abs. 4 TVG auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en an­zu­wen­den ist. Die Par­tei­en ha­ben ein­zel­ver­trag­lich kei­ne für die Kläge­rin güns­ti­ge­re Ver­ein­ba­rung über die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­trof­fen, die der An­wen­dung der in § 19 Nr. 8 RTV 2003 be­stimm­ten Al­ters­gren­ze ent­ge­gen­steht. Die Par­tei­en ha­ben in dem im No­vem­ber 1975 ge­schlos­se­nen Ar­beits­ver­trag kei­ne Re­ge­lung über die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­trof­fen. Auch die Be­zug­nah­me auf die Be­stim­mun­gen „des Rah­men- und Lohn­ta­rif­ver­trags für das Gebäuderei­ni­ger-Hand­werk Südbay­ern“ in Nr. 9 des Ar­beits­ver­trags enthält kei­ne „an­de­re“ in­di­vi­du­al­recht­li­che Ver­ein­ba­rung iSd. § 19 Nr. 8 RTV 2003.

1. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat es zu Un­recht da­hin­ste­hen­las­sen, ob die in Nr. 9 des Ar­beits­ver­trags ge­trof­fe­ne Ver­wei­sungs­klau­sel als ei­ne sta­ti­sche Be­zug­nah­me auf den zum Zeit­punkt des Ar­beits­ver­trags­schlus­ses gel­ten­den all­ge­mein­ver­bind­li­chen Rah­men­ta­rif­ver­trag für die Ar­bei­ter des Gebäude­rei­ni­ger-Hand­werks im Bun­des­ge­biet (oh­ne Ham­burg) vom 19. Sep­tem­ber 1972 (RTV 1972) oder ei­ne dy­na­mi­sche Be­zug­nah­me­klau­sel auf den RTV in


 

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sei­ner je­weils gel­ten­den Fas­sung an­zu­se­hen ist. Der RTV 1972 ent­hielt kei­ne Re­ge­lung über die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses auf Grund ei­ner Al­ters­gren­ze. Wären sei­ne Be­stim­mun­gen durch Nr. 9 des Ar­beits­ver­trags sta­tisch in Be­zug ge­nom­men, könn­te dies als an­de­re, für die Kläge­rin güns­ti­ge­re ein­zel­ver­trag­li­che Ver­ein­ba­rung an­zu­se­hen sein, die zur Nicht­an­wend­bar­keit des § 19 Nr. 8 RTV 2003 führen würde.

2. Es kann zu Guns­ten der Kläge­rin un­ter­stellt wer­den, dass die Ver­ein­ba­rung in Nr. 9 des Ar­beits­ver­trags nicht le­dig­lich ei­nen de­kla­to­ri­schen Hin­weis auf den im Zeit­punkt des Ver­trags­ab­schlus­ses gel­ten­den all­ge­mein­ver­bind­li­chen Rah­men­ta­rif­ver­trag für die Ar­bei­ter des Gebäuderei­ni­ger-Hand­werks im Bun­des­ge­biet vom 19. Sep­tem­ber 1972 enthält, so dass es be­reits an ei­ner rechts­geschäft­li­chen Ver­ein­ba­rung ei­nes auf das Ar­beits­verhält­nis an­wend­ba­ren Ta­rif­werks fehl­te. Ver­wei­sun­gen im Ar­beits­ver­trag auf oh­ne­hin an­wend­ba­re ta­rif­li­che Vor­schrif­ten sind im Zwei­fel de­kla­ra­to­risch ge­meint (BAG 12. März 2008 - 10 AZR 256/07 -, Rn. 24 mwN). So­fern die Re­ge­lung in Nr. 9 des Ar­beits­ver­trags vom No­vem­ber 1975 da­nach ei­nen ei­genständi­gen in­di­vi­du­al­ver­trag­li­chen Gel­tungs­grund ent­hal­ten soll­te, wäre sie als dy­na­mi­sche Be­zug­nah­me auf die je­weils für das Gebäuderei­ni­ger-Hand­werk ein­schlägi­gen Rah­men­ta­rif­verträge an­zu­se­hen. Dies er­gibt die Aus­le­gung des Ar­beits­ver­trags, bei dem es sich um ei­nen vor­for­mu­lier­ten ty­pi­schen Ver­trag han­delt, der vom Re­vi­si­ons­ge­richt selbst aus­ge­legt wer­den kann.

a) Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ist ei­ne Be­zug­nah­me auf ei­nen Ta­rif­ver­trag oder ein Ta­rif­werk im Re­gel­fall als dy­na­mi­sche Be­zug­nah­me zu ver­ste­hen, auch wenn die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en nicht aus­drück­lich ver­ein­ba­ren, es soll­ten die „je­weils gel­ten­den“ Ta­rif­verträge An­wen­dung fin­den. Ei­ne dy­na­mi­sche Ver­wei­sung auf die je­weils gel­ten­den Ta­rif­verträge ent­spricht in der Re­gel den In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­par­tei­en, die auf die­se Wei­se ei­ner An­pas­sung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses an die fort­schrei­ten­de Ent­wick­lung ent­ho­ben sind (BAG 20. März 1991 - 4 AZR 455/90 - BA­GE 67, 330 = AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 20 = EzA TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 7, zu B II 1 b der Gründe). Sta­ti­sche Ver­wei­sun­gen, die ei­nen zu ei­nem be-


 

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stimm­ten Zeit­punkt vor­ge­fun­de­nen Re­ge­lungs­be­stand auf Dau­er fest­schrei­ben, sind die Aus­nah­me und müssen aus die­sem Grun­de deut­lich zum Aus­druck ge­bracht wer­den. Ver­blei­ben Zwei­fel an dem Ver­trags­wil­len der Par­tei­en, ist ei­ne Be­zug­nah­me­klau­sel als dy­na­mi­sche Ver­wei­sung zu ver­ste­hen (BAG 14. April 2004 - 4 AZR 322/03 -, zu II 2 c der Gründe mwN).

b) Da­nach ha­ben die Par­tei­en für die nicht im Ar­beits­ver­trag ge­re­gel­ten Be­stim­mun­gen auf die je­weils gülti­gen ta­rif­li­chen Vor­schrif­ten im Rah­men­ta­rif­ver­trag für die Ar­bei­ter im Gebäuderei­ni­ger-Hand­werk Be­zug ge­nom­men. Nr. 9 des Ar­beits­ver­trags ver­weist auf die „Be­stim­mun­gen des Rah­men- und Lohn­ta­rif­ver­trags für das Gebäuderei­ni­ger-Hand­werk Südbay­ern“. Da ein „Rah­men­ta­rif­ver­trag“ für das Gebäuderei­ni­ger­hand­werk in Südbay­ern zum Zeit­punkt des Ver­trags­schlus­ses nicht exis­tier­te, ist da­von aus­zu­ge­hen, dass die Par­tei­en den für ihr Ar­beits­verhält­nis gel­ten­den (Bun­des-)RTV zum Ge­gen­stand ih­rer Be­zug­nah­me ge­macht ha­ben. We­gen der feh­len­den da­tumsmäßigen Be­zeich­nung der in Be­zug ge­nom­me­nen Ta­rif­verträge spricht die Klau­sel in Nr. 9 des Ar­beits­ver­trags für ei­ne dy­na­mi­sche Be­zug­nah­me auf den RTV in sei­ner je­wei­li­gen Fas­sung. Auch die Kläge­rin hat in den Tat­sa­chen­in­stan­zen nicht be­haup­tet, dass nicht die je­weils gülti­gen Ta­rif­be­stim­mun­gen des Rah­men- bzw. Lohn­ta­rif­ver­trags, son­dern nur die zum Zeit­punkt des Ver­trags­schlus­ses im Jahr 1975 be­ste­hen­den Re­ge­lun­gen von der Be­klag­ten an­ge­wen­det wor­den sind.

III. Die in § 19 Nr. 8 RTV 2003 ent­hal­te­ne Be­fris­tung des Ar­beits­verhält­nis­ses auf die zum Zeit­punkt der All­ge­mein­ver­bind­lich­keit gel­ten­de Re­gel­al­ters­gren­ze, die mit Voll­endung des 65. Le­bens­jah­res er­reicht wur­de (§ 35 Nr. 1 SGB VI idF der Be­kannt­ma­chung vom 19. Fe­bru­ar 2002 [BGBl. I S. 754]), ist bei Be­ste­hen ei­nes An­spruchs des Ar­beit­neh­mers auf ei­ne Al­ters­ren­te aus der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung sach­lich ge­recht­fer­tigt iSd. § 14 Abs. 1 Satz 1 Tz­B­fG.

1. Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Se­nats un­ter­lie­gen ta­rif­li­che Re­ge­lun­gen über die Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen auf Grund von Be­fris­tun­gen der ar­beits­ge­richt­li­chen Be­fris­tungs­kon­trol­le. Da­zu gehören auch


 

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ta­rif­li­che Al­ters­gren­zen (vgl. et­wa BAG 27. No­vem­ber 2002 - 7 AZR 655/01 - AP BGB § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 22 = EzA BGB 2002 § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 2, zu B II 1 a der Gründe). Die Wirk­sam­keit der Be­fris­tung ist im Streit­fall nach § 14 Abs. 1 Tz­B­fG als dem im Zeit­punkt des Be­ginns der All­ge­mein­ver­bind­lich­keit des RTV 2003 gel­ten­den Recht zu be­ur­tei­len. Die Be­fris­tungs­kon­trol­le erübrigt sich nicht des­halb, weil die Al­ters­gren­ze in ei­nem Ta­rif­ver­trag ge­re­gelt ist. Auch ta­rif­li­che Al­ters­gren­zen­re­ge­lun­gen bedürfen ei­nes sie recht­fer­ti­gen­den Sach­grunds iSd. § 14 Abs. 1 Tz­B­fG, da von die­ser Vor­schrift nicht zu­un­guns­ten des Ar­beit­neh­mers ab­ge­wi­chen wer­den darf (§ 22 Abs. 1 Tz­B­fG).

2. Für die in § 19 Nr. 8 RTV 2003 ent­hal­te­ne Al­ters­gren­ze be­steht der nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Tz­B­fG er­for­der­li­che sach­li­che Grund.

a) Es ent­spricht der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, dass ei­ne auf das 65. Le­bens­jahr ab­stel­len­de Al­ters­gren­zen­re­ge­lung in Kol­lek­tiv­nor­men und in­di­vi­du­al­ver­trag­li­chen Ab­ma­chun­gen sach­lich ge­recht­fer­tigt sein kann (19. No­vem­ber 2003 - 7 AZR 296/03 - BA­GE 109, 6 = AP Tz­B­fG § 17 Nr. 3 = EzA BGB 2002 § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 4, zu II 2 d aa der Gründe; 20. No­vem­ber 1987 - 2 AZR 284/86 - BA­GE 57, 30 = AP BGB § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 2 = EzA BGB § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 1, zu B IV 3 der Gründe; 21. April 1977 - 2 AZR 125/76 - BA­GE 29, 133 = AP BAT § 60 Nr. 1 = EzA BAT § 60 Nr. 1). Da­bei ha­ben die Se­na­te die In­ter­es­sen der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en an der Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­ner­seits und sei­ner Be­en­di­gung an­de­rer­seits ge­gen­ein­an­der ab­ge­wo­gen. Sie ha­ben berück­sich­tigt, dass der Ar­beit­neh­mer mit sei­nem Wunsch auf dau­er­haf­te Fort­set­zung sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses über das 65. Le­bens­jahr hin­aus le­gi­ti­me wirt­schaft­li­che und ide­el­le An­lie­gen ver­folgt. Das Ar­beits­verhält­nis si­chert sei­ne wirt­schaft­li­che Exis­tenz­grund­la­ge und bie­tet ihm die Möglich­keit be­ruf­li­cher Selbst­ver­wirk­li­chung. Al­ler­dings han­delt es sich um ein Fort­set­zungs­ver­lan­gen ei­nes mit Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze wirt­schaft­lich ab­ge­si­cher­ten Ar­beit­neh­mers, der be­reits ein lan­ges Be­rufs­le­ben hin­ter sich hat, und des­sen In­ter­es­se an der Fortführung sei­ner be­ruf­li­chen Tätig­keit al­ler Vor­aus­sicht nach nur noch für ei­ne be­grenz­te Zeit be­steht. Hin­zu kommt, dass der Ar­beit­neh­mer auch ty­pi­scher-


 

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wei­se von der An­wen­dung der Al­ters­gren­zen­re­ge­lun­gen durch sei­nen Ar­beit­ge­ber Vor­tei­le hat­te, weil da­durch auch sei­ne Ein­stel­lungs- und Auf­stiegs­chan­cen ver­bes­sert wor­den sind. Dem­ge­genüber steht das Bedürf­nis des Ar­beit­ge­bers nach ei­ner sach­ge­rech­ten und be­re­chen­ba­ren Per­so­nal- und Nach­wuchs­pla­nung. Dem In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers, bei­zei­ten ge­eig­ne­ten Nach­wuchs ein­zu­stel­len oder be­reits beschäftig­te Ar­beit­neh­mer fördern zu können, ha­ben die Se­na­te je­den­falls dann Vor­rang vor dem Be­stands­schutz­in­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers gewährt, wenn der Ar­beit­neh­mer durch den Be­zug ei­ner ge­setz­li­chen Al­ters­ren­te we­gen Voll­endung des 65. Le­bens­jah­res wirt­schaft­lich ab­ge­si­chert ist (BAG 27. Ju­li 2005 - 7 AZR 443/04 - Rn. 26, BA­GE 115, 265 = AP BGB § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 27 = EzA BGB 2002 § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 6; 19. No­vem­ber 2003 - 7 AZR 296/03 - aaO, zu II 2 d aa der Gründe; 6. Au­gust 2003 - 7 AZR 9/03 - AP BGB § 133 Nr. 51 = EzA BGB 2002 § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 3, zu II der Gründe; 14. Au­gust 2002 - 7 AZR 469/01 - BA­GE 102, 174 = AP BGB § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 20 = EzA BGB § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 13, zu II 1 d der Gründe; 11. Ju­ni 1997 - 7 AZR 186/96 - BA­GE 86, 105 = AP SGB VI § 41 Nr. 7 = EzA BGB § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 6, zu II 3 c der Gründe; 20. No­vem­ber 1987 - 2 AZR 284/86 - aaO, zu B IV 3 der Gründe).

b) Das Er­for­der­nis der wirt­schaft­li­chen Ab­si­che­rung folgt aus der sich aus Art. 12 Abs. 1 GG er­ge­ben­den Schutz­pflicht, die den Staat bei der pri­vat­au­to­no­men Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen trifft (da­zu BVerfG 27. Ja­nu­ar 1998 - 1 BvL 15/87 - BVerfGE 97, 169 ff. = AP KSchG 1969 § 23 Nr. 17 = EzA KSchG § 23 Nr. 17, zu B I 1 der Gründe; 24. April 1991 - 1 BvR 1341/90 - BVerfGE 84, 133 = AP GG Art. 12 Nr. 70 = EzA Ei­ni­gungs­ver­trag Art. 13 Nr. 1, zu C III 1 der Gründe). En­det das Ar­beits­verhält­nis durch die ver­ein­bar­te Al­ters­gren­ze, ver­liert der Ar­beit­neh­mer den An­spruch auf die Ar­beits­vergütung, die ihm bis­her zum Be­strei­ten sei­nes Le­bens­un­ter­halts zur Verfügung ge­stan­den hat. Die­ses Er­geb­nis ist ver­fas­sungs­recht­lich nur zu recht­fer­ti­gen, wenn an die Stel­le der Ar­beits­vergütung der dau­er­haf­te Be­zug von Leis­tun­gen aus ei­ner Al­ters­ver­sor­gung tritt. Die An­bin­dung an ei­ne ren­ten­recht­li­che Ver­sor­gung bei Aus­schei­den durch ei­ne Al­ters­gren­ze ist da­mit Be­stand­teil des Sach­grunds.


 

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Die Wirk­sam­keit der Be­fris­tung ist al­ler­dings nicht von der kon­kre­ten wirt­schaft­li­chen Ab­si­che­rung des Ar­beit­neh­mers bei Er­rei­chen der Al­ters­gren­ze abhängig. Ein sol­cher Prüfungs­maßstab wäre sys­tem­wid­rig, weil im Be­fris­tungs­recht nur maßgeb­lich ist, ob der Ar­beit­ge­ber bei Ver­trags­schluss ei­nen von der Rechts­ord­nung an­zu­er­ken­nen­den Grund für ei­nen nicht auf Dau­er an­ge­leg­ten Ar­beits­ver­trag hat­te oder nicht. Mit die­sem Grund­ge­dan­ken ist es un­ver­ein­bar, die Wirk­sam­keit der bei Ver­trags­schluss ver­ein­bar­ten Be­fris­tung nach der kon­kre­ten wirt­schaft­li­chen Si­tua­ti­on des Ar­beit­neh­mers bei Er­rei­chen der Al­ters­gren­ze zu be­ur­tei­len. Auch das ver­fas­sungs­recht­li­che Un­ter­maßver­bot er­for­dert für die Wirk­sam­keit der Al­ters­gren­ze kei­ne am in­di­vi­du­el­len Le­bens­stan­dard des Ar­beit­neh­mers und sei­nen sub­jek­ti­ven Bedürf­nis­sen ori­en­tier­te Al­ters­ver­sor­gung. Der sich aus Art. 12 Abs. 1 GG er­ge­ben­den Schutz­pflicht ist be­reits dann genügt, wenn der be­fris­tet beschäftig­te Ar­beit­neh­mer nach dem Ver­trags­in­halt und der Ver­trags­dau­er ei­ne Al­ters­ver­sor­gung in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung er­wer­ben kann oder bei Ver­trags­schluss be­reits die für den Be­zug ei­ner Al­ters­ren­te er­for­der­li­che ren­ten­recht­li­che War­te­zeit erfüllt hat. Mit den Vor­schrif­ten über die ge­setz­li­che Ren­ten­ver­si­che­rung und ih­re Aus­ge­stal­tung hat der Ge­setz­ge­ber ein ge­eig­ne­tes Al­ters­ver­sor­gungs­sys­tem für Ar­beit­neh­mer ge­schaf­fen, das nach ih­rem Aus­schei­den aus dem Er­werbs­le­ben ih­ren Le­bens­un­ter­halt si­cher­stellt. Durch die von bei­den Ar­beits­ver­trags­par­tei­en ent­rich­te­ten Beiträge er­wer­ben die Ar­beit­neh­mer ei­ne Al­ters­ren­te, die ih­re wirt­schaft­li­che Exis­tenz­grund­la­ge nach Weg­fall des Ar­beits­ein­kom­mens bil­den soll. Die Höhe der sich im Ein­zel­fall aus der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung er­ge­ben­den Ansprüche ist für die Wirk­sam­keit ei­ner auf die Re­gel­al­ters­gren­ze be­zo­ge­nen Be­fris­tung grundsätz­lich oh­ne Be­deu­tung. Da die sich aus der Bei­trags­zah­lung er­ge­ben­de Ver­sor­gung vor­her­seh­bar ist und auch der Zeit­punkt des Ein­tritts in den Ru­he­stand fest­steht, ist der Ar­beit­neh­mer ge­hal­ten, sei­ne Le­bens­pla­nung auf die zu er­war­ten­den Ver­sor­gungs­bezüge ein­zu­stel­len (BAG 27. Ju­li 2005 - 7 AZR 443/04 - Rn. 28 - 30, BA­GE 115, 265 = AP BGB § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 27 = EzA BGB 2002 § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 6).


 

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Die sich aus dem Un­ter­maßver­bot des Art. 12 Abs. 1 GG er­ge­ben­den An­for­de­run­gen wer­den durch ei­ne auf das Re­gel­ren­ten­al­ter be­zo­ge­ne Al­ters­gren­ze auch dann nicht un­ter­schrit­ten, wenn der Ar­beit­neh­mer sei­nen Le­bens­un­ter­halt aus der ge­setz­li­chen Al­ters­ren­te al­lein nicht be­strei­ten kann. Hierfür spricht die Re­ge­lung in § 8 Abs. 3 AltTZG in der bis zum 30. April 2007 gel­ten­den Fas­sung, wo­nach die Be­fris­tung des Al­ters­teil­zeit­ar­beits­verhält­nis­ses auf den Zeit­punkt zulässig ist, in dem der Ar­beit­neh­mer An­spruch auf ei­ne Ren­te nach Al­ters­teil­zeit­ar­beit hat. Die sach­li­che Recht­fer­ti­gung ei­ner Al­ters­teil­zeit­ver­ein­ba­rung hängt nicht von der Höhe der nach dem En­de des Al­ters­teil­zeit­ar­beits­verhält­nis­ses zu er­war­ten­den Ren­te ab.

IV. Die Vor­ga­ben des Ge­mein­schafts­rechts ge­bie­ten kei­ne an­de­re Be­ur­tei­lung. Zwar kann ei­ne auf die Voll­endung des Re­gel­ren­ten­al­ters be­zo­ge­ne ta­rif­li­che Al­ters­gren­zen­re­ge­lung dann kei­nen Be­stand ha­ben, wenn sie den be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer dis­kri­mi­niert oder ihn dem all­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­bot zu­wi­der be­nach­tei­ligt (zu ver­trag­li­chen Al­ters­gren­zen: BAG 19. No­vem­ber 2003 - 7 AZR 296/03 - BA­GE 109, 6 = AP Tz­B­fG § 17 Nr. 3 = EzA BGB 2002 § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 4, zu II 2 d bb der Gründe). Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on wird die Kläge­rin durch die in § 19 Nr. 8 RTV 2003 ent­hal­te­ne Al­ters­gren­ze nicht we­gen ih­res Le­bens­al­ters un­ge­recht­fer­tigt be­nach­tei­ligt. Es kann da­hin­ste­hen, ob die vor Ab­lauf der Um­set­zungs­frist für die Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Be­schäfti­gung und Be­ruf - RL 2000/78/EG - (ABl. EG Nr. L 303 S. 16 B) am 2. De­zem­ber 2006 für all­ge­mein­ver­bind­lich erklärte Re­ge­lung in § 19 Nr. 8 RTV 2003 über­haupt dem An­wen­dungs­be­reich des Ge­mein­schafts­rechts un­terfällt und sich ih­re Wirk­sam­keit nach dem von dem Eu­ropäischen Ge­richts­hof in sei­ner Ent­schei­dung in der Rechts­sa­che Man­gold (EuGH 22. No­vem­ber 2005 - C-144/04 [Man­gold] - Eu­GHE I 2005, 9981 = AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 1 = EzA Tz­B­fG § 14 Nr. 21) her­an­ge­zo­ge­nen primärrecht­li­chen Grund­satz der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf oder nach den für die Vor­wir­kung von Richt­li­ni­en gel­ten­den Grundsätzen be­ur­teilt. Die ta­rif­li­che Al­ters­gren­zen­re­ge­lung genügt so­wohl dem primärrecht­li­chen Prüfungs­maßstab als auch den


 

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Vor­ga­ben der RL 2000/78/EG. Die in § 19 Nr. 8 RTV 2003 ent­hal­te­ne Al­ters­gren­ze führt zwar zu ei­ner Un­gleich­be­hand­lung auf Grund des Al­ters. Die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung zwi­schen Ar­beit­neh­mern, die ein be­stimm­tes Le­bens­al­ter er­reicht ha­ben und an­de­ren Ar­beit­neh­mern ist aber durch le­gi­ti­me Zie­le iSd. Art. 6 Abs. 1 der RL 2000/78/EG ge­recht­fer­tigt. Die Al­ters­gren­ze in § 19 Nr. 8 RTV 2003 dient zu­min­dest auch all­ge­mei­nen beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Zie­len. Die Nach­tei­le, die die von der Be­en­di­gung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer durch die Al­ters­gren­ze er­fah­ren, sind ge­genüber der da­durch be­wirk­ten Förde­rung der Beschäfti­gungs­po­li­tik und der Ent­las­tung des Ar­beits­markts als an­ge­mes­sen und er­for­der­lich iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG an­zu­se­hen.

1. Nach der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs stel­len Al­ters­gren­zen, die wie § 19 Nr. 8 RTV 2003 auf ein be­stimm­tes Le­bens­al­ter bei der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ab­stel­len, ei­ne auf dem Merk­mal des Al­ters be­ru­hen­de Un­gleich­be­hand­lung der hier­von be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer dar. Zur Be­gründung hat der Ge­richts­hof dar­auf hin­ge­wie­sen, dass das Er­rei­chen des in ei­ner der­ar­ti­gen Re­ge­lung für den Ein­tritt in den Ru­he­stand fest­ge­setz­ten Al­ters au­to­ma­tisch zur Auflösung des Ar­beits­ver­trags führt, wes­halb die Ar­beit­neh­mer, die die­ses Al­ter er­reicht ha­ben, un­mit­tel­bar ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung er­fah­ren als al­le an­de­ren Er­werbstäti­gen. Ei­ne sol­che Re­ge­lung führe da­her zu ei­ner un­mit­tel­bar auf dem Al­ter be­ru­hen­den Un­gleich­be­hand­lung bei den Ent­las­sungs­be­din­gun­gen im Sin­ne von Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a, Art. 3 Abs. 1 Buchst. c RL 2000/78/EG (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - Rn. 51, EzA Richt­li­nie 2000/78 EG-Ver­trag 1999 Nr. 3).

2. Die durch § 19 Nr. 8 RTV 2008 be­wirk­te Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Le­bens­al­ters ist durch beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­sche Gründe iSd. Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 1 RL 2000/78/EG ge­recht­fer­tigt.

a) Nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG stel­len Un­gleich­be­hand­lun­gen we­gen des Al­ters kei­ne nach Art. 2 RL 2000/78/EG ver­bo­te­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar, so­fern sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen sind und im Rah­men des na­tio­na­len


 

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Rechts durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt sind und die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sind. Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 2 RL 2000/78/EG führt meh­re­re Bei­spie­le für die Recht­fer­ti­gung von Un­gleich­be­hand­lun­gen an, die die in Un­terabs. 1 ge­nann­ten Merk­ma­le auf­wei­sen und dem­zu­fol­ge mit den Er­for­der­nis­sen des Ge­mein­schafts­rechts ver­ein­bar sind. Die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses auf Grund ei­ner auf das Er­rei­chen des Re­gel­ren­ten­al­ters ab­stel­len­den Al­ters­gren­ze zählt nicht zu den in Un-terabs. 2 ge­nann­ten Bei­spie­len. Als ein nach Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 1 RL 2000/78/EG ob­jek­ti­ves und an­ge­mes­se­nes le­gi­ti­mes Ziel, das die Mit­glieds­staa­ten bei der Um­set­zung der Richt­li­nie auf Grund des ih­nen zu­ste­hen­den Re­ge­lungs­er­mes­sens ver­fol­gen können und des­sen Rechtmäßig­keit nicht ernst­haft in Zwei­fel ge­zo­gen wer­den kann, hat der Eu­ropäische Ge­richts­hof je­doch Zie­le aus den Be­rei­chen Beschäfti­gungs­po­li­tik und Ar­beits­markt an­er­kannt, wenn hier­durch ua. die Ar­beits­lo­sig­keit ein­gedämmt wer­den soll (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - Rn. 62, 66, EzA Richt­li­nie 2000/78 EG-Ver­trag 1999 Nr. 3). So sind beschäfti­gungsfördern­de Re­ge­lun­gen zu Guns­ten von Per­so­nen zulässig, die ei­ne Beschäfti­gung auf dem Ar­beits­markt su­chen (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - Rn. 60, aaO). Zur Be­gründung hat der Eu­ropäische Ge­richts­hof dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die Beschäfti­gungs­po­li­tik so­wie die Ar­beits­markt­la­ge zu den Zie­len gehören, die in Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 1 RL 2000/78/EG aus­drück­lich ge­nannt wer­den, und nach Art. 2 Abs. 1 ers­ter Ge­dan­ken­strich EU und Art. 2 EG die Förde­rung ei­nes ho­hen Beschäfti­gungs­ni­veaus zu den Zie­len zählt, die so­wohl von der Eu­ropäischen Uni­on als auch von der Ge­mein­schaft ver­folgt wer­den (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - Rn. 64, aaO). Die beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Zie­le können sich da­bei ent­we­der auf den ge­sam­ten Ar­beits­markt oder auf die Beschäfti­gungs­si­tua­ti­on in be­stimm­ten Bran­chen er­stre­cken (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - Rn. 69 f., aaO; für nicht ein­deu­tig hält die­se Aus­sa­ge al­ler­dings Bay­reu­ther DB 2007, 2425).

Für die Be­ur­tei­lung der Recht­fer­ti­gung ei­ner durch § 19 Nr. 8 RTV 2003 be­wirk­ten Un­gleich­be­hand­lung ist es oh­ne Be­deu­tung, ob Prüfungs­maßstab


 

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der Grund­satz der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf oder die Gleich­be­hand­lungs­richt­li­nie RL 2000/78/EG ist. Der Eu­ropäische Ge­richts­hof hat in sei­ner Ent­schei­dung in der Rechts­sa­che Man­gold zur Recht­fer­ti­gung ei­ner nach dem Grund­satz der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf zu be­ur­tei­len­den Un­gleich­be­hand­lung die in Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG ge­nann­ten Gründe her­an­ge­zo­gen (EuGH 22. No­vem­ber 2005 - C-144/04 [Man­gold] - Rn. 58 ff., Eu­GHE I 2005, 9981 = AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 1 = EzA Tz­B­fG § 14 Nr. 21). Dies kann nur da­hin­ge­hend ver­stan­den wer­den, dass bei ei­ner nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG ge­recht­fer­tig­ten Un­gleich­be­hand­lung kein Ver­s­toß ge­gen das Primärrecht vor­liegt.

b) Die durch § 19 Nr. 8 RTV 2003 be­wirk­te Un­gleich­be­hand­lung auf Grund des Al­ters ist durch le­gi­ti­me Zie­le aus dem Be­reich der na­tio­na­len Beschäfti­gungs- und Ar­beits­markt­po­li­tik iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG ge­recht­fer­tigt. Die Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen durch ei­ne Al­ters­gren­ze eröff­net jünge­ren Ar­beit­neh­mern ei­ne Beschäfti­gungs­chan­ce und dient der Ent­las­tung des Ar­beits­markts. Die von ei­ner auf ein Ren­ten­al­ter be­zo­ge­nen Al­ters­gren­ze aus­ge­hen­den beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Wir­kun­gen sind Be­stand­teil der So­zi­al­po­li­tik der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. Die Be­en­di­gung der Ar­beits­verhält­nis­se durch die in § 19 Nr. 8 RTV 2003 ent­hal­te­ne Al­ters­gren­ze ist auch als an­ge­mes­sen und er­for­der­lich iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG an­zu­se­hen, um die mit ihr ver­folg­ten beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Zie­le zu er­rei­chen.

aa) Die in § 19 Nr. 8 RTV 2003 ent­hal­te­ne Al­ters­gren­ze dient nicht nur der Nach­wuchs- und Per­so­nal­pla­nung der Un­ter­neh­men so­wie ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Al­ters­struk­tur, son­dern auch all­ge­mei­nen beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Zie­len.

Die auf ei­ner Al­ters­gren­ze be­ru­hen­de Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses bei Er­rei­chen ei­nes zum Be­zug ei­ner Al­ters­ren­te be­rech­ti­gen­den Le­bens­al­ters führt außer­halb von Zei­ten ei­ner Voll­beschäfti­gung zu ei­ner ge­rech­ten Ver­tei­lung der nur be­grenzt zur Verfügung ste­hen­den Ar­beitsplätze. Durch den Ver­lust der be­reits langjährig aus­geübten Beschäfti­gung bei Er-


 

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rei­chen des Ren­ten­al­ters er­hal­ten re­gelmäßig an­de­re Ar­beit­neh­mer ei­ne Beschäfti­gungs­chan­ce, die ent­we­der über kürze­re Beschäfti­gungs­zei­ten verfügen, von Ar­beits­lo­sig­keit be­droht oder ar­beit­su­chend sind. Die­se Ar­beit­neh­mer ha­ben da­durch die Möglich­keit zum Auf­bau ei­ner ei­ge­nen Al­ters­ver­sor­gung und si­chern durch ih­re Beiträge zur ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung zu­gleich die Fi­nan­zie­rung der Al­ters­ver­sor­gung der von der Al­ters­gren­ze be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer, so­weit die­se ei­ne Al­ters­ren­te aus der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung be­zie­hen. Das kon­ti­nu­ier­li­che Aus­schei­den von Ar­beit­neh­mern aus dem Ar­beits­verhält­nis auf Grund ei­ner Re­gel­al­ters­gren­ze eröff­net den neu auf den Ar­beits­markt ein­tre­ten­den Ge­ne­ra­tio­nen über­haupt erst ei­ne Chan­ce auf den Er­werb be­rufs­prak­ti­scher Kennt­nis­se im zeit­na­hen An­schluss an ih­re Aus­bil­dung, de­ren Wert bei Zei­ten länge­rer Beschäfti­gungs­lo­sig­keit an­sons­ten ent­wer­tet würde. Da­ne­ben führt ei­ne auf das Re­gel­ren­ten­al­ter ab­stel­len­de Al­ters­gren­ze zu ei­ner Ent­las­tung des na­tio­na­len Ar­beits­markts (zwei­felnd Körner NZA 2008, 497, 503). Die mit dem Er­rei­chen des Re­gel­ren­ten­al­ters aus dem Un­ter­neh­men aus­schei­den­den Ar­beit­neh­mer su­chen auf dem Ar­beits­markt we­gen ih­rer so­zia­len Si­che­rung durch ei­ne Al­ters­ren­te re­gelmäßig kei­ne An­schluss­beschäfti­gung (BVerfG 30. März 1999 - 1 BvR 1814/94 - EzA SGB VI § 41 Nr. 8, zu II 2 a der Gründe). Da­her ha­ben an­de­re Ar­beit­neh­mer die Möglich­keit, die durch das al­ters­be­ding­te Aus­schei­den frei wer­den­den Ar­beitsplätze zu er­hal­ten. Selbst wenn es zu kei­ner Neu­ein­stel­lung ei­nes bis­her ar­beit­su­chen­den Ar­beit­neh­mers kommt, son­dern der Ar­beits­platz durch ei­nen be­reits im Un­ter­neh­men beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer be­setzt wird, erfährt der Ar­beits­markt in­so­weit ei­ne Ent­las­tung, als die Ar­beits­lo­sig­keit die­ses Ar­beit­neh­mers durch das al­ters­be­ding­te Aus­schei­den ver­mie­den wird.

bb) Der Berück­sich­ti­gung der beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Ziel­set­zung von § 19 Nr. 8 RTV 2003 als ei­nem ob­jek­ti­ven und an­ge­mes­se­nen le­gi­ti­men Ziel iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG steht nicht ent­ge­gen, dass die Ziel­set­zung we­der in § 14 Abs. 1 Tz­B­fG noch in § 19 Nr. 8 RTV 2003 aus­drück­lich ge­nannt ist.


 

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(1) Nach Auf­fas­sung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs folgt aus Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG nicht, dass ei­ne na­tio­na­le Re­ge­lung, die das an­ge­streb­te Ziel nicht ge­nau an­gibt, au­to­ma­tisch von ei­ner Recht­fer­ti­gung nach die­ser Be­stim­mung aus­ge­schlos­sen ist. Der Ge­richts­hof hält es für aus­rei­chend, wenn an­de­re aus dem all­ge­mei­nen Kon­text der be­tref­fen­den Maßnah­me ab­ge­lei­te­te An­halts­punk­te die Fest­stel­lung des hin­ter die­ser Maßnah­me ste­hen­den Ziels ermögli­chen, da­mit des­sen Rechtmäßig­keit so­wie die An­ge­mes­sen­heit und Er­for­der­lich­keit der zu sei­ner Er­rei­chung ein­ge­setz­ten Mit­tel ge­richt­lich über­prüft wer­den können (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - Rn. 56 f., EzA Richt­li­nie 2000/78 EG-Ver­trag 1999 Nr. 3).

(2) Die Be­fris­tung von Ar­beits­verhält­nis­sen auf den Zeit­punkt des mögli­chen Be­zugs ei­ner Al­ters­ren­te ent­spricht we­gen der da­mit ver­bun­de­nen beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Wir­kun­gen den so­zi­al­po­li­ti­schen Vor­stel­lun­gen des deut­schen Ge­setz­ge­bers. Dies folgt aus der Ge­setz­ge­bungs­ge­schich­te und dem Re­ge­lungs­in­halt des am 1. Au­gust 1994 in Kraft ge­tre­te­nen Ge­set­zes zur Ände­rung des SGB VI - SGB VI ÄndG - vom 26. Ju­li 1994 (BGBl. I S. 1797) so­wie des Al­ters­teil­zeit­ge­set­zes. Durch die in die­sen Ge­set­zen ent­hal­te­nen be­fris­tungs­recht­li­chen Re­ge­lun­gen hat der deut­sche Ge­setz­ge­ber nicht nur die mit Al­ters­gren­zen re­gelmäßig ver­bun­de­ne beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­sche Ziel­set­zung iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG ge­bil­ligt, son­dern auch den zur Ziel­er­rei­chung be­schrit­te­nen Durchführungs­weg.

(a) Nach § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI idF des am 1. Ja­nu­ar 1992 in Kraft ge­tre­te­nen RRG vom 18. De­zem­ber 1989 (BGBl. I S. 2261) war ei­ne Ver­ein­ba­rung, wo­nach ein Ar­beits­verhält­nis zu ei­nem Zeit­punkt en­den soll, in dem der Ar­beit­neh­mer An­spruch auf ei­ne Ren­te we­gen Al­ters hat, nur wirk­sam, wenn die Ver­ein­ba­rung in­ner­halb der letz­ten drei Jah­re vor die­sem Zeit­punkt ge­schlos­sen oder von dem Ar­beit­neh­mer bestätigt wor­den ist. Ge­ne­rel­le auf das 65. Le­bens­jahr be­zo­ge­ne ta­rif­li­che Al­ters­gren­zen, mit de­ren Er­rei­chen das Ar­beits­verhält­nis au­to­ma­tisch en­den soll­te, wa­ren nach der Se­nats­recht­spre­chung we­gen ei­nes Ver­s­toßes ge­gen § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI nich­tig.

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Sie konn­ten die Ar­beits­verhält­nis­se der­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer, die nach In­kraft­tre­ten des RRG am 1. Ja­nu­ar 1992 die maßgeb­li­che Al­ters­gren­ze er­reich­ten, nicht wirk­sam be­en­den (BAG 1. De­zem­ber 1993 - 7 AZR 428/93 - BA­GE 75, 166 = AP SGB VI § 41 Nr. 4 = EzA SGB VI § 41 Nr. 2, Leit­satz 1). Durch das SGB VI ÄndG hat der Ge­setz­ge­ber die bis zum In­kraft­tre­ten des SGB VI am 1. Ja­nu­ar 1992 gel­ten­de Rechts­la­ge weit­ge­hend wie­der her­ge­stellt. Da­nach gal­ten Ver­ein­ba­run­gen, die die Be­en­di­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses zu dem Zeit­punkt vor­sa­hen, in dem der Ar­beit­neh­mer vor­ge­zo­ge­nes Al­ters­ru­he­geld be­an­spru­chen konn­te, als auf die Voll­endung des 65. Le­bens­jah­res ab­ge­schlos­sen. Nach der in Art. 2 SGB VI ÄndG ge­trof­fe­nen Über­g­angs­re­ge­lung en­de­te das Ar­beits­verhält­nis ei­nes Ar­beit­neh­mers, das we­gen des Ver­s­toßes ei­ner Al­ters­gren­ze ge­gen § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 über das 65. Le­bens­jahr hin­aus fort­ge­setzt wor­den war, bei feh­len­der an­der­wei­ti­ger Ver­ein­ba­rung am 30. No­vem­ber 1994. Nach der Ge­set­zes­be­gründung war die Neu­re­ge­lung ua. des­halb er­for­der­lich, weil durch ei­ne Wei­ter­ar­beit der Ar­beit­neh­mer über das 65. Le­bens­jahr hin­aus Ar­beitsplätze für Nach­wuchs­kräfte blo­ckiert wur­den (BT-Drucks. 12/8040 S. 4) und der Ar­beits­markt durch die in der Re­gel mögli­chen Neu­ein­stel­lun­gen ent­las­tet wer­den konn­te (BT-Drucks. 12/8040 S. 5). Da­bei ging der Ge­setz­ge­ber im An­schluss an die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zu der bis zum In­kraft­tre­ten des § 41 Abs. 4 Satz 4 SGB VI idF des RRG 92 gel­ten­den Rechts­la­ge von der Wirk­sam­keit ta­rif­ver­trag­li­cher Al­ters­gren­zen aus, die auf das 65. Le­bens­jahr oder den Be­zug des vol­len Al­ters­ru­he­gelds ab­stell­ten (BT-Drucks. 12/8040 S. 4 f.).

(b) Mit dem zum 1. Au­gust 1996 in Kraft ge­tre­te­nen Al­ters­teil­zeit­ge­setz hat der Ge­setz­ge­ber ei­nen Rah­men ge­schaf­fen, um älte­ren Ar­beit­neh­mern ab der Voll­endung des 55. Le­bens­jah­res ei­nen glei­ten­den Über­gang vom Er­werbs­le­ben in den Ru­he­stand zu ermögli­chen und zu­gleich durch ei­nen fi­nan­zi­el­len An­reiz die Be­set­zung der durch die Al­ters­teil­zeit­ver­ein­ba­rung frei­wer­den­den Ar­beitsplätze durch die Ein­stel­lung ei­nes bis­her ar­beits­lo­sen Ar­beit­neh­mers oder die Über­nah­me ei­nes Aus­zu­bil­den­den nach Be­en­di­gung der Aus­bil­dung zu fördern (BT-Drucks. 13/4336 S. 14 f.). Der Ge­setz­ge­ber hat da­zu aus­drück­lich un­ter den Vor­aus­set­zun­gen des § 8 Abs. 3 ATG die Be­fris­tung von Al-


 

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ters­teil­zeit­ar­beits­verhält­nis­sen für zulässig erklärt und auf die­se Wei­se den von ihm mit dem Al­ters­teil­zeit­ge­setz ver­folg­ten beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Zweck ar­beits­recht­lich ab­ge­si­chert.

c) Die Nach­tei­le, die von der Be­en­di­gung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer durch die in § 19 Nr. 8 RTV 2003 ent­hal­te­ne Al­ters­gren­ze er­fah­ren, sind im Hin­blick auf die da­durch be­ding­te Förde­rung der Beschäfti­gungs­chan­cen der begüns­tig­ten Ar­beit­neh­mer so­wie die Ent­las­tung des Ar­beits­markts an­ge­mes­sen und er­for­der­lich iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG.

aa) Nach der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs ist die An­nah­me der Stel­len ei­nes Mit­glied­staats, dass die im spa­ni­schen Recht als Zwangs­ver­set­zung ei­nes Ar­beit­neh­mers in den Ru­he­stand be­zeich­ne­te Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses bei Er­rei­chen der fest­ge­leg­ten Al­ters­gren­ze an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sein kann, um das im Rah­men der na­tio­na­len Beschäfti­gungs­po­li­tik an­geführ­te le­gi­ti­me Ziel der Förde­rung von Voll­beschäfti­gung durch Begüns­ti­gung des Zu­gangs zum Ar­beits­markt zu er­rei­chen, nicht un­vernünf­tig (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - Rn. 72, EzA Richt­li­nie 2000/78 EG-Ver­trag 1999 Nr. 3). Ei­nen kon­kre­ten Nach­weis der beschäfti­gungsfördern­den Wir­kung von Al­ters­gren­zen ver­langt der Eu­ropäische Ge­richts­hof nicht. Nach sei­ner An­sicht kann die ge­nann­te Maßnah­me auch nicht als übermäßige Be­ein­träch­ti­gung der be­rech­tig­ten Er­war­tun­gen des zwangs­wei­se in den Ru­he­stand ver­setz­ten Ar­beit­neh­mers an­ge­se­hen wer­den, wenn die ein­schlägi­ge na­tio­na­le Re­ge­lung nicht nur auf ein be­stimm­tes Al­ter ab­stellt, son­dern auch den Um­stand berück­sich­tigt, dass dem Be­trof­fe­nen am En­de sei­ner be­ruf­li­chen Lauf­bahn ein fi­nan­zi­el­ler Aus­gleich in Ge­stalt ei­ner Al­ters­ren­te zu­gu­te kommt, de­ren Höhe nicht als un­an­ge­mes­sen be­trach­tet wer­den kann (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - Rn. 73, aaO). Nach Auf­fas­sung des Ge­richts­hofs ist es Sa­che der zuständi­gen Stel­len der Mit­glied­staa­ten, ei­nen ge­rech­ten Aus­gleich zwi­schen den ver­schie­de­nen wi­der­strei­ten­den In­ter­es­sen zu fin­den. Die in die­sem Zu­sam­men­hang vor­ge­se­he­nen na­tio­na­len Maßnah­men dürfen al­ler­dings nicht


 

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über das hin­aus­ge­hen, was an­ge­mes­sen und er­for­der­lich ist, um das von dem be­tref­fen­den Mit­glied­staat ver­folg­te Ziel zu er­rei­chen (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - Rn. 71, aaO).

bb) Die von den na­tio­na­len Ge­rich­ten da­nach an­zu­stel­len­de Verhält­nismäßig­keitsprüfung rich­tet sich we­gen des den Mit­glied­staa­ten nach dem 25. Erwägungs­grund der RL 2000/78/EG zu­ste­hen­den Er­mes­sens­spiel­raums nicht nach den Grundsätzen ei­ner stren­gen Verhält­nismäßig­keitsprüfung, son­dern stellt der Sa­che nach ei­ne rich­ter­li­che Plau­si­bi­litätskon­trol­le (Bay­reu­ther DB 2007, 2425, 2426; Reich­hold ZESAR 2008, 49, 52) bzw. ei­ne an­genäher­te Willkürprüfung (Tem­ming NZA 2007, 1193, 1198) der die Un­gleich­be­hand­lung be­wir­ken­den Norm ge­genüber dem le­gi­ti­men Ziel dar.

Die ge­richt­li­che Kon­trol­le er­for­dert kei­ne an der in­di­vi­du­el­len Si­tua­ti­on des be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers ori­en­tier­te, son­dern ei­ne ge­ne­ra­li­sie­ren­de Prüfung des § 19 Nr. 8 RTV 2003 als der Norm, die die Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters enthält. Da­nach ist auch nach Ge­mein­schafts­recht die Höhe der dem Ar­beit­neh­mer bei Aus­schei­den aus dem Ar­beits­verhält­nis zu­ste­hen­den Al­ters­ver­sor­gung oh­ne Be­deu­tung. Maßgeb­lich ist nur, dass die von der Al­ters­gren­ze be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer bei Aus­schei­den aus dem Ar­beits­verhält­nis ei­ne bei­trags­be­zo­ge­ne Al­ters­ren­te be­an­spru­chen können, de­ren Höhe sich nach den in den Mit­glied­staa­ten gel­ten­den Vor­schrif­ten rich­tet. Der Eu­ropäische Ge­richts­hof hat in der Rechts­sa­che Pa­la­ci­os bei der An­ge­mes­sen­heits­prüfung der die Un­gleich­be­hand­lung be­wir­ken­den na­tio­na­len Re­ge­lung die in­di­vi­du­el­le Höhe der Al­ters­ver­sor­gung des Klägers nicht tra­gend berück­sich­tigt. Viel­mehr hat der Ge­richts­hof im Te­nor der Ent­schei­dung aus­drück­lich auf den Be­zug ei­ner „bei­trags­be­zo­ge­nen Al­ters­ren­te“ ab­ge­stellt (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C­411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - EzA Richt­li­nie 2000/78 EG-Ver­trag 1999 Nr. 3).

Über­dies dürf­te ei­ne Be­ur­tei­lung der sach­li­chen Recht­fer­ti­gung der Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­ver­trags an­hand nach Ver­trags­schluss lie­gen­der Tat­sa­chen nicht im Ein­klang mit den auch im Ge­mein­schafts­recht gel­ten­den Prüfungs­maßstäben ste­hen. Die in die Be­fris­tungs­richt­li­nie 1999/70/EG in­kor­po­rier­te EGB-UN­ICE-CEEP-Rah­men­ver­ein­ba­rung geht wie der na­tio­na­le


 

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Ge­setz­ge­ber von der Prämis­se aus, dass un­be­fris­te­te Ar­beits­verträge die übli­che Form des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses sind. Die Richt­li­nie und die Rah­men­ver­ein­ba­rung ver­lan­gen von den Mit­glied­staa­ten zur Ver­hin­de­rung des Miss­brauchs durch auf­ein­an­der­fol­gen­de be­fris­te­te Ar­beits­verträge die Er­grei­fung ei­ner der drei in § 5 Nr. 1 Buchst. a) bis c) der Rah­men­ver­ein­ba­rung ge­nann­ten Maßnah­men. Hier­zu zählt nach § 5 Nr. 1 Buchst. a) der Rah­men­ver­ein­ba­rung das Er­for­der­nis sach­li­cher Gründe. Die Prüfung der sach­li­chen Recht­fer­ti­gung der Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­ver­trags stellt da­her im Ge­mein­schafts­recht wie nach na­tio­na­lem Recht ei­ne Ver­trags­kon­trol­le dar, für die al­lein die bei Ver­trags­schluss vor­lie­gen­den Umstände maßgeb­lich sind. Nachträglich ein­tre­ten­de Er­eig­nis­se können ei­nen beim Ab­schluss des be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trags be­ste­hen­den Sach­grund nicht in Fra­ge stel­len. Dies schließt es aus, die Höhe der bei Ver­trags­en­de er­ziel­ten Al­ters­ver­sor­gung bei der Prüfung der sach­li­chen Recht­fer­ti­gung ei­ner Al­ters­gren­ze zu berück­sich­ti­gen, da die­se bei Ver­trags­schluss nicht be­kannt ist. Dem­ent­spre­chend stellt der Se­nat auch nach na­tio­na­lem Recht bei der wirt­schaft­li­chen Ab­si­che­rung nur dar­auf ab, ob der Ar­beit­neh­mer nach dem Ver­trags­in­halt und der Ver­trags­dau­er ei­ne Al­ters­ver­sor­gung in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung er­wer­ben kann (27. Ju­li 2005 - 7 AZR 443/04 - Rn. 30, BA­GE 115, 265 = AP BGB § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 27 = EzA BGB 2002 § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 6).

cc) Da­nach genügt die in § 19 Nr. 8 RTV 2003 ent­hal­te­ne Al­ters­gren­ze den ge­mein­schafts­recht­li­chen Vor­ga­ben an die Er­for­der­lich­keit und An­ge­mes­sen­heit iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG, die an ei­ne auf dem Merk­mal des Al­ters be­ru­hen­de Un­gleich­be­hand­lung bei den Ent­las­sungs­be­din­gun­gen zu stel­len sind.

(1) § 19 Nr. 8 RTV 2003 enthält kein Ver­bot ei­ner be­stimm­ten be­ruf­li­chen Tätig­keit nach Er­rei­chen ei­nes ge­wis­sen Al­ters, son­dern be­en­det nur das in der Ver­gan­gen­heit be­gründe­te Ar­beits­verhält­nis. Die Re­ge­lung ist auch zur Er­rei­chung der mit ihr ver­folg­ten so­zi­al­po­li­ti­schen Zwe­cke er­for­der­lich. Mit der Be­en­di­gung der von der Al­ters­gren­ze er­fass­ten Ar­beits­verhält­nis­se wird die Aus­sicht an­de­rer Ar­beit­neh­mer gefördert, ei­nen frei wer­den­den Ar­beits­platz zu


 

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er­hal­ten. Die Eig­nung des gewähl­ten Mit­tels wird auch nicht da­durch in Fra­ge ge­stellt, dass die An­zahl der von der im RTV 2003 ent­hal­te­nen Al­ters­gren­ze be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer mögli­cher­wei­se nicht groß ist, weil die über­wie­gen­de An­zahl der Beschäftig­ten be­reits vor Voll­endung des 65. Le­bens­jah­res aus dem Ar­beits­verhält­nis aus­schei­det (aA Ber­tels­mann AiB 2007, 689, 694). Je­den­falls ge­genüber den Ar­beit­neh­mern, de­ren Ar­beits­verhält­nis­se auf Grund der auf das Re­gel­ren­ten­al­ter be­zo­ge­nen Al­ters­gren­ze be­en­det wer­den, ist die Re­ge­lung zur Er­rei­chung der vom Ge­setz­ge­ber gewünsch­ten beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Ziel­set­zung not­wen­dig. Da­ne­ben liegt die An­nah­me na­he, dass die Be­en­di­gung der Ar­beits­verhält­nis­se ei­ner er­heb­li­chen An­zahl von Ar­beit­neh­mern be­reits vor Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze auf das ab­seh­ba­re Beschäfti­gungs­en­de bei Er­rei­chen des Re­gel­ren­ten­al­ters zurück­zuführen ist. Ein an­de­res, gleich wirk­sa­mes, aber für die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer we­ni­ger ein­schnei­den­des Mit­tel zur Er­rei­chung des beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Ziels ist da­her nicht er­kenn­bar (zu Art. 2 SGB VI ÄndG: BVerfG 30. März 1999 - 1 BvR 1814/94 - EzA SGB VI § 41 Nr. 8, zu II 2 b aa der Gründe).

(2) Die Nach­tei­le der Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­verhält­nis durch ei­ne auf das Re­gel­ren­ten­al­ter be­zo­ge­nen Al­ters­gren­ze be­en­det wird, ste­hen nicht außer Verhält­nis zu dem mit dem Ein­griff ver­folg­ten beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Ziel.

Auf Sei­ten der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer ist zu berück­sich­ti­gen, dass auch lang an­dau­ern­de Ar­beits­verhält­nis­se be­en­det wer­den und nach Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze viel­fach die Be­gründung ei­nes neu­en Ar­beits­verhält­nis­ses zu ver­gleich­ba­ren Be­din­gun­gen nicht möglich sein wird. Da­her wird die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses auf Grund ei­ner Al­ters­gren­ze viel­fach, wenn auch nicht zwangsläufig zur Be­en­di­gung der bis­he­ri­gen be­ruf­li­chen Tätig­keit führen. Dies wird in wirt­schaft­li­cher Hin­sicht durch den Be­zug ei­ner Al­ters­ren­te zu­min­dest teil­wei­se aus­ge­gli­chen. Der Wirk­sam­keit ei­ner auf die Re­gel­al­ters­ren­te be­zo­ge­nen Al­ters­gren­ze steht auch das all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer nicht ent­ge­gen (aA Ber­tels­mann


 

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AiB 2007, 689, 693; Körner NZA 2008, 497, 502; Tem­ming NZA 2007, 1193, 1196). Die­se ver­lie­ren zwar zunächst die Möglich­keit, bei ih­rem bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­ber ei­ner Beschäfti­gung nach­zu­ge­hen. Dafür er­hal­ten an­de­re Ar­beit­neh­mer Zu­gang zu ei­ner Beschäfti­gung auf dem Ar­beits­markt, der ih­nen oh­ne das Aus­schei­den der von der Al­ters­gren­ze be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer ver­sagt wäre. Die hier­durch begüns­tig­ten Ar­beit­neh­mer er­hal­ten in­fol­ge des al­ters­be­ding­ten Aus­schei­dens der be­reits langjährig beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer ih­rer­seits die Möglich­keit zur Ver­wirk­li­chung ih­res Persönlich­keits­rechts und zum Be­strei­ten ih­res Le­bens­un­ter­halts durch die Ver­wer­tung ih­rer Ar­beits­kraft. Über­dies können sie ei­ne Al­ters­ver­sor­gung auf­bau­en und tra­gen da­mit zur Si­che­rung der Al­ters­ren­te der be­reits im Ru­he­stand be­find­li­chen Ar­beit­neh­mer bei (eben­falls zu Art. 2 SGB VI ÄndG: BVerfG 30. März 1999 - 1 BvR 1814/94 - EzA SGB VI § 41 Nr. 8, zu II 2 b bb der Gründe).

V. Ei­ne Vor­la­ge an den Eu­ropäischen Ge­richts­hof zur Klärung der Fra­ge, ob das Ge­mein­schafts­recht ei­ner Re­ge­lung wie der­je­ni­gen in § 19 Nr. 8 RTV 2003 ent­ge­gen­steht, ist nicht ge­bo­ten.

1. Nach Art. 234 Abs. 3 EG ha­ben die letzt­in­stanz­li­chen Ge­rich­te der Mit­glied­staa­ten die Pflicht, den Eu­ropäischen Ge­richts­hof an­zu­ru­fen, wenn ei­ne ent­schei­dungs­er­heb­li­che Norm des Ge­mein­schafts­rechts aus­le­gungs­bedürf­tig ist. Die Vor­la­ge­pflicht entfällt, wenn die glei­che Rechts­fra­ge be­reits Ge­gen­stand ei­ner Aus­le­gung durch den Ge­richts­hof war (EuGH 6. Ok­to­ber 1982 - Rs. 283/81 - Eu­GHE 1982, 3415). Ei­ne Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs in ei­nem Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­ren hat un­mit­tel­ba­re Bin­dungs­wir­kung zwar nur für das Aus­gangs­ver­fah­ren, in wel­chem sie durch Vor­la­ge­be­schluss des da­mit be­fass­ten na­tio­na­len Ge­richts er­gan­gen ist. Wenn das letzt­in­stanz­li­che Ge­richt bei sei­ner Ent­schei­dung je­doch ei­ne vom Eu­ropäischen Ge­richts­hof be­reits geklärte In­ter­pre­ta­ti­on zu­grun­de legt, ist dem Ge­bot der ein­heit­li­chen An­wen­dung von Ge­mein­schafts­recht auch oh­ne er­neu­te Vor­la­ge Rech­nung ge­tra­gen. Die Ent­schei­dung darüber, ob ei­ne Vor­schrift des Ge­mein­schafts­rechts aus­le­gungs­bedürf­tig ist, trifft al­lein das in­ner­staat­li­che Ge­richt. Die­ses ist auch be­fugt, ei­ne vom Eu­ropäischen Ge­richts­hof be­reits ent­schie­de­ne Rechts-


 

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fra­ge als geklärt und da­mit nicht mehr als vor­la­ge­bedürf­tig an­zu­se­hen (BAG 26. April 2006 - 7 AZR 500/04 - Rn. 32, BA­GE 118, 76 = AP Tz­B­fG § 14 Nr. 23 = EzA Tz­B­fG § 14 Nr. 28).

2. Da­nach be­darf es kei­ner Durchführung ei­nes Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­rens gem. Art. 234 EG über die im Streit­fall ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Fra­gen des Ge­mein­schafts­rechts. Die­se sind ent­we­der durch die Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs geklärt oder lie­gen auf der Hand.

Der Eu­ropäische Ge­richts­hof hat in sei­ner Ent­schei­dung in der Rechts­sa­che Pa­la­ci­os mit der ge­bo­te­nen Ein­deu­tig­keit die ge­mein­schafts­recht­li­chen Vor­ga­ben für die Prüfung der Recht­fer­ti­gung ei­ner auf dem Merk­mal des Al­ters be­ru­hen­den Un­gleich­be­hand­lung her­aus­ge­stellt. Dies be­trifft nicht nur die le­gi­ti­men Zie­le des na­tio­na­len Ge­setz­ge­bers, son­dern auch den Maßstab für die Prüfung der An­ge­mes­sen­heit und Er­for­der­lich­keit iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG. Hin­sicht­lich der Berück­sich­ti­gung der in­di­vi­du­el­len Al­ters­ver­sor­gung der Kläge­rin geht der Se­nat aus den oben dar­ge­stell­ten Gründen (un­ter IV 2 c bb) da­von aus, dass das ge­fun­de­ne Er­geb­nis kei­nem vernünf­ti­gen Zwei­fel un­ter­lie­gen kann. Zu der Fra­ge nach dem Prüfungs­maßstab für die im Jahr 2004 für all­ge­mein­ver­bind­lich erklärte Re­ge­lung in § 19 Nr. 8 RTV 2003 be­darf es im Streit­fall kei­nes Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­rens, weil der Se­nat zu Guns­ten der Kläge­rin die durch die­se Re­ge­lung be­wirk­te Un­gleich­be­hand­lung so­wohl am Maßstab des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf wie auch der RL 2000/78/EG be­ur­teilt hat.

VI. Da­nach hat das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nach § 19 Nr. 8 RTV 2003 am 30. Ju­ni 2005 ge­en­det. Zwar ist das ge­naue Ge­burts­da­tum der Kläge­rin vom Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht fest­ge­stellt wor­den. Zwi­schen den Par­tei­en ist je­doch un­strei­tig, dass die Kläge­rin spätes­tens im Ju­ni 2005 ihr 65. Le­bens­jahr voll­endet hat und ab dem 1. Ju­li 2005 ei­ne Re­gel­al­ters­ren­te be­an­spru­chen kann.

C. Die von der Kläge­rin in den Tat­sa­chen­in­stan­zen gel­tend ge­mach­ten Ansprüche aus An­nah­me­ver­zug be­ste­hen nicht, da das Ar­beits­verhält­nis durch


 

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die in § 19 Nr. 8 RTV 2003 ent­hal­te­ne Al­ters­gren­ze mit Ab­lauf des 30. Ju­ni 2005 ge­en­det hat.

D. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Gräfl Koch Schmitz-Scho­le­mann

Be­cher Dei­nert

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