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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/086

Al­ters­grup­pen­bil­dung bei So­zi­al­aus­wahl eu­ro­pa­rechts­wid­rig?

EuGH soll über mög­li­che Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung ent­schei­den: Ar­beits­ge­richt Sieg­burg, Be­schluss vom 27.01.2010, 2 Ca 2144/09
Alter Mann mit Hund im Wald Dis­kri­mi­nie­rung bei der Bil­dung von Al­ters­grup­pen?
05.05.2010. Auf­grund der Ur­tei­le des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) zur Kün­di­gungs­wel­le beim Os­na­brü­cker Ka­ros­se­rie­her­stel­ler Kar­man schien es län­ge­re Zeit über so, als sei die Zu­läs­sig­keit der Bil­dung von Al­ters­grup­pen bei der So­zi­al­aus­wahl end­gül­tig - im Sin­ne der Zu­läs­sig­keit von Al­ters­grup­pen - ge­klärt (BAG, Ur­teil vom 06.11.2008, 2 AZR 701/07).

Nun hat sich das Ar­beits­ge­richt (ArbG) Sieg­burg auf­ge­rafft und dem Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hof (EuGH) die Fra­ge zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­ge­legt, ob na­tio­na­le Ar­beits­rechts­re­ge­lun­gen, die ei­ne Ab­schwä­chung des Se­nio­ri­täts­prin­zips zum Zwe­cke der Si­che­rung ei­ner „aus­ge­wo­ge­nen Al­ters­struk­tur“ der Be­leg­schaft er­lau­ben, ei­ne eu­ro­pa­rechts­wid­ri­ge Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­len oder nicht: ArbG Sieg­burg, Be­schluss vom 27.01.2010, 2 Ca 2144/09.

Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung und Al­ters­grup­pen­bil­dung bei der So­zi­al­aus­wahl

Will der Ar­beit­ge­ber aus be­trieb­li­chen Gründen ei­ne be­stimm­te An­zahl von Ar­beits­verhält­nis­sen kündi­gen, sind von die­sem Vor­ha­ben meist nicht nur die Ar­beit­neh­mer be­trof­fen, die zufälli­ger­wei­se ge­ra­de auf den ab­zu­bau­en­den Ar­beitsplätzen ar­bei­ten, son­dern auch sol­che, die der Ar­beit­ge­ber kraft sei­nes Wei­sungs­rechts auf die zu strei­chen­den Stel­len um­set­zen könn­te. Da­her gibt es bei be­triebs­be­ding­ten Kündi­gungs­wel­len meist mehr Kündi­gungs­kan­di­da­ten als zu strei­chen­de Stel­len.

Das Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) ver­pflich­tet den Ar­beit­ge­ber des­halb da­zu, bei der Aus­wahl der aus be­triebs­be­ding­ten Gründen zu kündi­gen­den Ar­beit­neh­mer so­zia­le Ge­sichts­punk­te zu berück­sich­ti­gen. Die bei der So­zi­al­aus­wahl zu berück­sich­ti­gen­den so­zia­len Ge­sichts­punk­te sind die Dau­er der Be­triebs­zu­gehörig­keit, das Le­bens­al­ter, ggf. be­ste­hen­de Un­ter­halts­pflich­ten und ei­ne ggf. vor­lie­gen­de Schwer­be­hin­de­rung (§ 1 Abs.3 Satz 1 KSchG).

Die Berück­sich­ti­gung die­ser vom Ge­setz vor­ge­ge­be­nen So­zi­al­da­ten hat zur Fol­ge, dass Ar­beit­neh­mer vor be­triebs­be­ding­ten Kündi­gun­gen um so bes­ser geschützt sind, je älter sie sind.

Das KSchG er­laubt es dem Ar­beit­ge­ber al­ler­dings, Ein­schränkun­gen bei der So­zi­al­aus­wahl vor­zu­neh­men. In die so­zia­le Aus­wahl sind nämlich die­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer nicht ein­zu­be­zie­hen, de­ren Wei­ter­beschäfti­gung we­gen ih­rer Kennt­nis­se, Fähig­kei­ten und Leis­tun­gen oder „zur Si­che­rung ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Per­so­nal­struk­tur des Be­trie­bes“ im be­rech­tig­ten be­trieb­li­chen In­ter­es­se liegt (§ 1 Abs.3 Satz 2 KSchG).

Un­ter Be­ru­fung auf die­se Aus­nah­me­vor­schrift tei­len Ar­beit­ge­ber die von der Kündi­gungs­wel­le be­droh­ten Ar­beit­neh­mer, die „Kündi­gungs­kan­di­da­ten“, oft in Al­ters­grup­pen auf, d.h. es wer­den z.B. Grup­pen der 26 bis 35 Jah­re al­ten Ar­beit­neh­mer, der 36 bis 45 Jah­re al­ten, der 46 bis 55 Jah­re al­ten und der über 56 Jah­re al­ten ge­bil­det. So­dann wird ei­ne So­zi­al­aus­wahl nur in­ner­halb der je­wei­li­gen Al­ters­grup­pe vor­ge­nom­men. Zweck die­ses Vor­ge­hens ist es zu ver­hin­dern, dass auf­grund der So­zi­al­aus­wahl das Durch­schnitts­al­ter der ver­blei­ben­den Be­leg­schaft höher ist als es vor­her war. Das Le­bens­al­ter wird da­her zwar be­ach­tet, aber nur in­ner­halb der je­wei­li­gen Al­ters­grup­pe.

Wer da­her z.B. 46 Jah­re alt, seit 25 Jah­ren beschäftigt und zwei Kin­dern zum Un­ter­halt ver­pflich­tet ist, kann in­fol­ge ei­ner spol­chen Al­ters­grup­pen­bil­dung sei­nen Job durch ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung ver­lie­ren, weil er in „sei­ner“ Al­ters­grup­pe der 46 bis 55 Jah­re al­ten Ar­beit­neh­mer eher we­ni­ge So­zi­al­punk­te vor­wei­sen kann. Da­ge­gen darf ein an sich ver­gleich­ba­rer 29jähri­ger kin­der­lo­ser Ar­beit­neh­mer sei­nen Job be­hal­ten, weil er erst gar nicht mit dem 46jähri­gen Fa­mi­li­en­va­ter ver­gli­chen wird. Denn er be­fin­det sich ja - zu sei­nem Glück - in der Al­ters­grup­pe der 26 bis 35 Jah­re al­ten Ar­beit­neh­mer.

Nach­dem die Bil­dung von Al­ters­grup­pen von der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) tra­di­tio­nell als zulässi­ge Aus­nah­me vom Prin­zip der So­zi­al­aus­wahl an­ge­se­hen und mit § 1 Abs.3 Satz 2 KSchG ge­recht­fer­tigt wur­de, wird die­se Recht­spre­chung bzw. die Al­ters­grup­pen­bil­dung seit ei­ni­gen Jah­ren recht­lich in Zwei­fel ge­zo­gen.

Grund­la­ge die­ser Zwei­fel sind das eu­ro­pa­recht­li­che Ver­bot der al­ters­be­ding­ten Dis­kri­mi­nie­rung im Er­werbs­le­ben, wie es in der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27.11.2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf fest­ge­schrie­ben ist, so­wie das zur Um­set­zung die­ser Richt­li­nie er­las­se­ne All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG).

Die­se Dis­kus­si­on wur­de be­reits vor ei­ni­gen Jah­ren auf der Grund­la­ge ei­ner größeren Ent­las­sungs­wel­le bei dem mitt­ler­wei­le in­sol­ven­ten Os­nabrücker Au­to­bau­er Kar­mann geführt (wir be­rich­te­ten zu­letzt in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 08/116 Kündi­gungs­schutz und Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung - Re­vi­si­ons­ent­schei­dung in Sa­chen Kar­mann).

Sie hat­te das Er­geb­nis, dass die vom Ar­beits­ge­richt Os­nabrück geübte Kri­tik an dem älte­re Ar­beit­neh­mer dis­kri­mi­nie­ren­den Cha­rak­ter von Al­ters­grup­pen (Ur­teil vom 05.02.2007, 3 Ca 724/06) so­wohl vom Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nie­der­sach­sen (Ur­teil, 13.07.2007, 16 Sa 274/07) als auch vom BAG zurück­ge­wie­sen wur­de. Nach An­sicht des BAG ist die weit­ge­hen­de Auf­ga­be des recht­li­chen Schut­zes älte­rer Ar­beit­neh­mer vor Kündi­gun­gen durch das Ziel der Si­che­rung ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Per­so­nal­struk­tur im Sin­ne von § 10 Satz 1 und 2 AGG ge­recht­fer­tigt (BAG, Ur­teil vom 06.11.2008, 2 AZR 701/07).

Nun­mehr hat das Ar­beits­ge­richt Sieg­burg die De­bat­te er­neut in Gang ge­setzt, in­dem es dem Eu­ropäischen Ge­richts­hof (EuGH) die Fra­ge zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­ge­legt hat, ob na­tio­na­le kündi­gungs­recht­li­che Re­ge­lun­gen wie die deut­sche Vor­schrift des § 1 Abs.3 Satz 2 KSchG und die dar­auf be­ru­hen­de Recht­spre­chung des BAG, die Al­ters­grup­pen­bil­dun­gen bei Kündi­gungs­wel­len zu­las­sen, mit dem eu­ro­pa­recht­li­chen Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung bzw. mit der Richt­li­nie 2000/78/EG zu ver­ein­ba­ren sind (Ar­beits­ge­richt Sieg­burg, Be­schluss vom 27.01.2010, 2 Ca 2144/09).

Der Fall des Ar­beits­ge­richts Sieg­burg: Be­triebs­be­ding­te Kündi­gun­gen: Ar­beit­ge­ber bil­det bei So­zi­al­aus­wahl Al­ters­grup­pen

Der Ar­beit­ge­ber, der ei­nen größeren Pro­duk­ti­ons­be­trieb un­terhält, sah sich zu ei­nem Ab­bau von 95 Ar­beitsplätzen im ge­werb­li­chen Be­reich ge­zwun­gen und sprach da­her ei­ne Rei­he von be­triebs­be­ding­ten Kündi­gun­gen aus. Be­trof­fen war u.a. ein ge­genüber zwei Kin­dern un­ter­halts­pflich­ti­ger Fa­mi­li­en­va­ter. Der Ar­beit­ge­ber traf sei­ne Aus­wah­l­ent­schei­dung auf der Grund­la­ge ei­nes Punk­te­sys­tems so­wie auf der Grund­la­ge ei­ner Al­ters­grup­pen­bil­dung, wo­bei zur Er­hal­tung ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Al­ters­struk­tur der Per­so­nal­ab­bau pro­por­tio­nal zur Größe der je­wei­li­gen Al­ters­grup­pe an der Ge­samt­be­leg­schaft durch­geführt wer­den soll­te.

Auf­grund der Al­ters­grup­pen­bil­dung fand sich der Ar­beit­neh­mer in der Al­ters­grup­pe der 36- bis 45jähri­gen wie­der. Mit sei­nen So­zi­al­da­ten er­ziel­te 78 Punk­te.

In sei­ner Al­ters­grup­pe wäre er aber erst ab ei­ner Punkt­zahl von 80 nicht zu kündi­gen ge­we­sen. Bei ei­nem Ver­zicht auf die Al­ters­grup­pen­bil­dung wäre er da­ge­gen der Grup­pe der nicht zu kündi­gen­den Mit­ar­bei­ter zu­zu­rech­nen ge­we­sen, da in die­sem Fal­le nur Ar­beit­neh­mer mit bis zu 77 Punk­ten hätten gekündigt wer­den können. Mit sei­nen 78 Punk­ten wäre er da­her auf der si­che­ren Sei­te ge­we­sen.

Der Ar­beit­neh­mer er­hob vor dem Ar­beits­ge­richt Sieg­burg Kündi­gungs­schutz­kla­ge.

Ar­beits­ge­richt Sieg­burg: Al­ters­grup­pen mögli­cher­wei­se al­ters­dis­kri­mi­nie­rend. Vor­la­ge an EuGH

Das Ar­beits­ge­richt setz­te das Ver­fah­ren aus und leg­te dem EuGH die fol­gen­de Fra­ge zur Vor­ab­ent­schei­dung vor:

„Ist Ar­ti­kel 6 der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 da­hin aus­zu­le­gen, dass er ei­ner na­tio­na­len Rechts­vor­schrift ent­ge­gen­steht, die es er­laubt, bei der Aus­wahl der aus be­trieb­li­chen Gründen zu kündi­gen­den Mit­ar­bei­ter zur Si­che­rung ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Al­ters­struk­tur Al­ters­grup­pen zu bil­den und die Aus­wahl un­ter den ver­gleich­ba­ren Mit­ar­bei­tern der­ge­stalt zu voll­zie­hen, dass das Verhält­nis der Zahl der aus der je­wei­li­gen Al­ters­grup­pe aus­zuwählen­den Mit­ar­bei­ter zur Zahl der ins­ge­samt zu kündi­gen­den ver­gleich­ba­ren Mit­ar­bei­ter dem Verhält­nis der Zahl der in der je­wei­li­gen Al­ters­grup­pe beschäftig­ten Mit­ar­bei­ter zur Zahl al­ler ver­gleich­ba­ren Mit­ar­bei­ter des Be­trie­bes ent­spricht?“

Mit die­ser Vor­la­ge­fra­ge, de­ren Sinn sich erst nach mehr­fa­chem Le­sen er­sch­ließt, hat das Ar­beits­ge­richt die hier im vor­lie­gen­den Fall ge­trof­fe­ne Al­ters­grup­pen­bil­dung im Blick. Sie ist nach der Recht­spre­chung des BAG zulässig, wie das BAG aus­drück­lich in der ein­gangs erwähn­ten Kar­mann-Ent­schei­dung deut­lich ge­macht hat.

Ge­gen die­se Recht­spre­chung wen­det sich das Ar­beits­ge­richt Sieg­burg un­ter Ver­weis auf das Ur­teil des EuGH vom 05.03.2009 (C-388/07 - Age Con­cern Eng­land), mit dem sich der Ge­richts­hof zu den - gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG mögli­chen - Ab­wei­chun­gen von dem Grund­satz der Gleich­be­hand­lung oh­ne Rück­sicht auf das Al­ter geäußert hat. Sol­che Ab­wei­chun­gen, d.h. Un­gleich­be­hand­lun­gen mit Rück­sicht auf das Al­ter, können gemäß Art.6 der Richt­li­nie durch Zie­le aus den Be­rei­chen Beschäfti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt und be­ruf­li­che Bil­dung ge­recht­fer­tigt sein. Der­ar­ti­ge Zie­le un­ter­schei­den sich nach An­sicht des EuGH von rein in­di­vi­du­el­len Zie­len durch ih­re Aus­rich­tung am Ge­mein­wohl.

Die al­ters­be­ding­te Un­gleich­be­hand­lung von Ar­beit­neh­mern, die mit der Al­ters­grup­pen­bil­dung bei der So­zi­al­aus­wahl ver­bun­den ist, muss auch nach der Recht­spre­chung des BAG durch „Zie­le“ im Sin­ne von Art.6 der Richt­li­nie 2000/78/EG ge­recht­fer­tigt sein. An­sons­ten ist sie un­zulässig. Hier set­zen die Zwei­fel des Ar­beits­ge­richts Sieg­burg ein: Ziel der Al­ters­grup­pen­bil­dung ist die Er­hal­tung ei­ner ge­ge­be­nen Al­ters­struk­tur, die­se aber ist kein dem Ge­mein­wohl die­nen­des Ziel, son­dern primär ein in­di­vi­du­el­les Ziel des Ar­beit­ge­bers. Die Bil­dung der Al­ters­grup­pen, so das Ar­beits­ge­richt, lie­ge „vor­dring­lich im In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers“.

Ob die­se Ent­schei­dung rich­tig ist, hängt zunächst von der Fra­ge ab, ob man in der Al­ters­grup­pen­bil­dung bei der So­zi­al­aus­wahl über­haupt ei­ne Schlech­ter­stel­lung we­gen des Al­ters sieht. Hier könn­te man - eher platt - be­haup­ten, dass nicht die Al­ters­grup­pen­bil­dung, son­dern viel­mehr die Berück­sich­ti­gung des Al­ters selbst ei­ne al­ters­be­ding­te Schlech­ter­stel­lung sei - nämlich der jünge­ren Ar­beit­neh­mer.

Ei­ne sol­che Be­trach­tungs­wei­se würde aber zu kurz grei­fen. Denn die Berück­sich­ti­gung des Al­ters bei der Kündi­gungs­ent­schei­dung ist nur bei oberfläch­li­cher Be­trach­tung ei­ne „Schlech­ter­stel­lung“ der dann eher zu kündi­gen­den jünge­ren Ar­beit­neh­mer. In Wahr­heit han­delt es sich bei die­ser „Bes­ser­stel­lung“ älte­rer Ar­beit­neh­mer um ei­ne po­si­ti­ve Maßnah­me im Sin­ne von § 5 AGG, da es älte­re Ar­beit­neh­mer auf dem Ar­beits­markt im All­ge­mei­nen schwe­rer ha­ben als jünge­re und da­her be­reits vor dem Ein­tritt der Ar­beits­lo­sig­keit geschützt wer­den müssen.

Vor die­sem Hin­ter­grund ist die Al­ters­grup­pen­bil­dung kein Aus­gleich ei­ner „recht­li­chen Bes­ser­stel­lung“ der älte­ren Ar­beit­neh­mer, son­dern ei­ne ih­rer­seits zu recht­fer­ti­gen­de Be­las­tung der Älte­ren, da der zu ih­ren Guns­ten recht­li­che ge­bo­te­ne (Dis­kri­mi­nie­rungs-)Schutz ge­genüber dro­hen­den Ent­las­sun­gen und dar­aus fol­gen­den Schlech­ter­stel­lun­gen auf dem Ar­beits­markt un­ter­bleibt.

Macht man die­se Vor­aus­set­zung mit, hängt die Ant­wort auf die vom Ar­beits­ge­richt Sieg­burg ge­stell­te Fra­ge wei­ter­hin da­von ab, wie man die hin­ter der Al­ters­grup­pen­bil­dung ste­hen­den Zie­le be­wer­tet. Im­mer­hin hat­te der Ar­beit­ge­ber im Kar­mann-Fall vor­ge­rech­net, oh­ne ei­ne Al­ters­grup­pen­bil­dung prak­tisch kei­ne Ar­beit­neh­mer mehr un­ter 35 Jah­ren zu beschäfti­gen, d.h. es wäre zu ei­nem dras­ti­schen Aus­blu­ten der jünge­ren Jahrgänge ge­kom­men. Wie der Ge­ne­ral­an­walt und der EuGH die­se Fra­ge be­ant­wor­ten wer­den, ist der­zeit nicht ab­zu­se­hen.

Ge­gen ei­ne Über­be­wer­tung des „Ver­grei­sungs­ar­gu­men­tes“ spricht je­den­falls, dass das Durch­schnitts­al­ter der Be­leg­schaft auch nach ei­ner oh­ne Al­ters­grup­pen­bil­dung voll­zo­ge­nen Kündi­gungs­wel­le nicht auf ei­nem dau­er­haft ho­hem Ni­veau ver­harrt, da sich der Be­trieb und sei­ne Be­leg­schaft wei­ter­ent­wi­ckeln. Und hier dürf­te die natürli­che Fluk­tua­ti­on au­to­ma­tisch zu ei­ner Ge­gen­be­we­gung bzw. „Verjüngung“ führen. Denn älte­re Mit­ar­bei­ter ge­hen in Ren­te und die von außen nachrücken­de Ar­beit­neh­mer sind zum großen Teil Be­rufs­anfänger.

Fa­zit: Teilt man die Be­den­ken des Ar­beits­ge­richts Sieg­burg im Er­geb­nis, d.h. hält man die Al­ters­grup­pen­bil­dung für un­zulässig, müss­te man darüber nach­den­ken, es den Ar­beit­ge­bern nach ei­ner großen Ent­las­sungs­wel­le mit ent­spre­chen­dem Al­te­rungs­ef­fekt zu ge­stat­ten, jünge­re Ar­beit­neh­mer be­vor­zugt ein­zu­stel­len.

Dann wäre die durch die So­zi­al­aus­wahl be­ding­te „Übe­r­al­te­rung“ ein Sach­grund für al­ters­be­ding­te Un­gleich­be­hand­lun­gen bei der Ein­stel­lung. Für ei­ne sol­che Lösung spricht, dass die al­ters­be­ding­te, aber sach­lich ge­recht­fer­tig­te Ab­leh­nung ei­nes älte­ren Be­wer­bers eher für den Be­trof­fe­nen zu ver­schmer­zen ist als der Ver­lust des Ar­beits­plat­zes in vor­gerück­tem Al­ter.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: Mitt­ler­wei­le steht fest, dass der EuGH über den hier be­spro­che­nen Vor­la­ge­be­schluss des Ar­beits­ge­richts Sieg­burg nicht ent­schei­den wird, weil die Par­tei­en des Ver­fah­rens sich zwi­schen­zeit­lich durch ei­nen Ver­gleich ge­ei­nigt ha­ben. Da­mit ist das Ver­fah­ren be­en­det und der EuGH und das Ar­beits­ge­richt Sieg­burg ha­ben die Ak­te ge­schlos­sen:

Letzte Überarbeitung: 24. August 2016

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