HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 07/15

Ar­beits­ge­richt Os­na­brück: AGG gilt bei Kün­di­gun­gen.

Kün­di­gun­gen bei Kar­mann: Ar­beits­ge­richt Os­na­brück hält Al­ters­grup­pen bei der So­zi­al­aus­wahl für un­zu­läs­sig: Ar­beits­ge­richt Os­na­brück, Ur­teil vom 05.02.2007 - 3 Ca 724/06
Zwei Gruppen von je drei Arbeitnehmern mit Helm, Bekleidung der beiden Gruppen unterschiedlich Geht das - ei­ne So­zi­al­aus­wahl in­ner­halb ei­ner Al­ters­grup­pe, z.B. der 36- bis 45jährigen?

30.05.2007. Ob die Bil­dung von Al­ters­grup­pen bei der So­zi­al­aus­wahl ei­ne ver­bo­te­ne Dis­kri­mi­nie­rung der äl­te­ren Ar­beit­neh­mer we­gen ih­res Al­ters ist oder nicht, ist der­zeit hef­tig um­strit­ten.

Denn So­zi­al­aus­wahl be­deu­tet, dass nur die­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer be­triebs­be­dingt ge­kün­digt wer­den kön­nen, die so­zi­al am we­nigs­ten schutz­be­dürf­tig sind. Da­bei sind die Äl­te­ren im Ver­gleich zu den jün­ge­ren schutz­be­dürf­ti­ger.

Die Al­ters­grup­pen­bil­dung ent­wer­tet die So­zi­al­aus­wahl dann aber wie­der, denn sie funk­tio­niert so: Man bil­det Al­ters­grup­pen (z.B. die 40 bis 49jährigen) und be­vor­zugt die Äl­te­ren dann nur in­ner­halb "ih­rer" Al­ters­grup­pe.

Wenn man die­se Art der So­zi­al­aus­wahl am Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung misst und da­mit am All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG), hat man aber ein Pro­blem: § 2 Abs.4 AGG schreibt vor, dass für Kün­di­gun­gen „aus­schließ­lich die Be­stim­mun­gen zum all­ge­mei­nen und be­son­de­ren Kün­di­gungs­schutz“ gel­ten sol­len.

Trotz­dem hat das Ar­beits­ge­richt Os­na­brück in ei­nem ak­tu­el­len Ur­teil ent­schie­den, dass das AGG ein Maß­stab für Fra­gen der So­zi­al­aus­wahl sein kann und da­mit letzt­lich doch bei Kün­di­gun­gen be­ach­tet wer­den muss: Ar­beits­ge­richt Os­na­brück, Ur­teil vom 05.02.2007, 3 Ca 724/06.

Bil­dung von Al­ters­grup­pen bei der So­zi­al­aus­wahl - zulässig oder ver­bo­te­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung?

Wie erwähnt stellt in § 2 Abs.4 AGG klar dass für Kündi­gun­gen „aus­sch­ließlich die Be­stim­mun­gen zum all­ge­mei­nen und be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz“ gel­ten.

Ei­ne sol­che Re­ge­lung wäre kein Pro­blem, wäre der deut­sche Ge­setz­ge­ber in der Aus­ge­stal­tung sei­ner Rechts­re­geln zum Schutz ge­gen Dis­kri­mi­nie­run­gen im Ar­beits­le­ben frei. Das ist er aber nicht, da er ei­ne Rei­he von An­ti­dis­kri­mi­nie­rungs-Richt­li­ni­en der Eu­ropäischen Uni­on zu be­ach­ten bzw. um­zu­set­zen hat.

Die­se schrei­ben vor, dass Ar­beit­neh­mer auch bei der Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen vor Dis­kri­mi­nie­run­gen geschützt wer­den müssen.

Nach all­ge­mei­ner An­sicht ist § 2 Abs.4 AGG da­her von sei­nem Wort­laut, d.h. auf den ers­ten Blick eu­ro­pa­rechts­wid­rig. Strei­tig ist al­ler­dings, ob man § 2 Abs.4 AGG bei der An­wen­dung des Ge­set­zes außer Acht las­sen soll­te (mit der Fol­ge ei­ner all­ge­mei­nen Gel­tung des AGG auch auf Kündi­gun­gen) oder ob man § 2 Abs.4 AGG trotz sei­ner Eu­ro­pa­rechts­wid­rig­keit be­ach­ten muss (mit der Fol­ge, dass dann die außer­halb des AGG lie­gen­den Ge­set­zes­vor­schrif­ten zum Kündi­gungs­schutz den An­for­de­run­gen der An­ti­dis­kri­mi­nie­rungs-Richt­li­ni­en im We­ge des Aus­le­gung an­ge­passt wer­den müss­ten).

Die zu­erst ge­nann­te Mei­nung treibt die Um­set­zung des eu­ropäischen An­ti­dis­kri­mi­nie­rungs­rechts en­er­gisch vor­an, während die zwei­te An­sicht Voll­zugs­de­fi­zi­te bei der Um­set­zung der An­ti­dis­kri­mi­nie­rungs-Richt­li­ni­en eher in Kauf nimmt

Zu die­ser Streit­fra­ge hat nun erst­mals ein Ar­beits­ge­richt Stel­lung be­zo­gen, nämlich das Ar­beits­ge­richt Os­nabrück mit Ur­teil vom 05.02.2007 (Ak­ten­zei­chen: 3 Ca 724/06).

Der Streit­fall: Be­triebs­be­ding­te Kündi­gun­gen beim Au­to­bau­er Kar­mann

In dem vom Ar­beits­ge­richt Os­nabrück ent­schie­de­nen Fall (und in vie­len gleich ge­la­ger­ten Par­al­lelfällen, bei de­nen der­sel­be Ar­beit­ge­ber ver­klagt war) ging es um ei­ne so­zi­al­plan­pflich­ti­ge Be­triebsände­rung in ei­nem au­to­mo­bil­pro­du­zie­ren­den Be­trieb

Kon­kret soll­ten 619 Ar­beit­neh­mer aus be­triebs­be­ding­ten Gründen ent­las­sen wer­den. Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat ver­ein­bar­ten im Sep­tem­ber 2006, d.h. nach In­kraft­tre­ten des AGG (18.08.2006), ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich und So­zi­al­plan, in dem die Bil­dung von sog. Al­ters­grup­pen bei der So­zi­al­aus­wahl vor­ge­se­hen war.

Da­nach soll­te die So­zi­al­aus­wahl, um über­pro­por­tio­nal häufi­ge Kündi­gun­gen jünge­rer Ar­beit­neh­mer mit ei­ner dar­aus fol­gen­den Erhöhung des Durch­schnitts­al­ters der Be­leg­schaft zu ver­hin­dern, im­mer nur in­ner­halb der je­wei­li­gen Al­ters­grup­pe der 36- bis 45jähri­gen, der 46- bis 55jähri­gen usw. durch­geführt wer­den.

In An­wen­dung die­ses Prin­zips wur­den die zu kündi­gen­den Ar­beit­neh­mer aus­gewählt und darüber hin­aus so­gar in ei­ner dem In­ter­es­sen­aus­gleich bei­gefügten Na­mens­lis­te gemäß § 1 Abs.5 KSchG na­ment­lich auf­gezählt.

Ei­ni­ge der von Kündi­gun­gen be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer er­ho­ben Kündi­gungs­schutz­kla­ge und be­rie­fen sich da­bei auf die ih­rer Mei­nung nach feh­ler­haf­te So­zi­al­aus­wahl. Im vor­lie­gen­den Fall war der kla­gen­de Ar­beit­neh­mer be­reits seit 1984 beschäftigt.

Ar­beits­ge­richt: Al­ters­grup­pen bei der So­zi­al­aus­wahl dis­kri­mi­nie­ren älte­re Ar­beit­neh­mer

Das Ar­beits­ge­richt Os­nabrück gab dem Ar­beit­neh­mer Recht, d.h. es erklärte die Kündi­gung für un­wirk­sam.

Da­bei ging es da­von aus, dass die Be­triebs­par­tei­en ei­nen § 1 Abs.5 KSchG for­mell ent­spre­chen­den In­ter­es­sen­aus­gleich mit Na­mens­lis­te ver­ein­bart hätten, was an sich zur Fol­ge hat, dass die So­zi­al­aus­wahl nur noch auf „gro­be“ Feh­ler­haf­tig­keit über­prüft wer­den kann.

Die­se zu­guns­ten des Ar­beit­ge­bers ge­hen­de Ab­schwächung der ge­richt­li­chen Über­prüfung der So­zi­al­aus­wahl setzt aber vor­aus, dass der In­ter­es­sen­aus­gleich rechts­wirk­sam ist. Den In­ter­es­sen­aus­gleich und die ihm ent­spre­chen­de, auf ei­ner Al­ters­grup­pen­bil­dung be­ru­hen­de So­zi­al­aus­wahl hielt das Ge­richt aber für rechts­wid­rig, da sie den An­for­de­run­gen des AGG nicht ge­recht würden.

Da­bei wird § 2 Abs.4 AGG un­ter Be­ru­fung auf die Man­gold-Ent­schei­dung des EuGH (Ur­teil vom 22.11.2005, C–144/04) für un­an­wend­bar erklärt und zur Be­gründung dar­auf ver­wie­sen, dass § 2 Abs.4 AGG nicht ir­gend­ei­ne na­tio­na­le Rechts­vor­schrift, son­dern ei­ne der Um­set­zung der An­ti­dis­kri­mi­nie­rungs-Richt­li­ni­en die­nen­de Ge­set­zes­norm sei.

Wei­ter­hin stellt das Ar­beits­ge­richt Os­nabrück fest, dass das in § 7 AGG ent­hal­te­ne Ver­bot ei­ner Be­nach­tei­li­gung we­gen des Al­ters zwar Aus­nah­men zulässt, dass die­se aber die Ver­fol­gung ei­nes „le­gi­ti­men Zie­les“ vor­aus­set­zen (§ 10 Satz 1 AGG).

Da der Ar­beit­ge­ber im vor­lie­gen­den Fall nur vor­ge­tra­gen hat­te, dass ei­ne oh­ne Al­ters­grup­pen­bil­dung vor­ge­nom­me­ne So­zi­al­aus­wahl zu ei­ner Erhöhung des durch­schnitt­li­chen Al­ters der Be­leg­schaft um ei­ni­ge Jah­re führen würde, hielt ihm das Ar­beits­ge­richt ei­ne recht­lich miss­bil­lig­ten, vor­ur­teils­ge­la­de­ne Hal­tung ge­genüber Älte­ren vor, die das AGG ge­ra­de bekämp­fen wol­le.

Fa­zit: Wenn bei der So­zi­al­aus­wahl ei­ne Al­ters­grup­pen­bil­dung un­ter Be­ru­fung auf § 1 Abs.3 Satz 2 KSchG („Si­che­rung ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Per­so­nal­struk­tur“) vor­ge­nom­men wer­den soll, müssen künf­tig noch deut­li­cher als bis­her die für die Ab­wehr ei­ner dro­hen­den „Übe­r­al­te­rung“ spre­chen­den Sach­gründe dar­ge­legt wer­den.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 30. Dezember 2013

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de