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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/019

Ab­fin­dung ist auf Ar­beits­lo­sen­geld II an­zu­rech­nen

Tat­säch­li­cher Zeit­punkt der Ab­fin­dungs­zah­lung ent­schei­dend: Bun­des­so­zi­al­ge­richt, Ur­teil vom 03.03.2009, B 4 AS 47/08 R
Münzen, Münzhaufen Kün­di­gungs­ab­fin­dung und Hartz IV

28.01.2010. Ist man als Ar­beit­neh­mer nach der Be­en­di­gung ei­nes Ar­beits­ver­hält­nis­ses und dar­auf an­ge­wie­sen, Grund­si­che­rung für er­werbs­fä­hi­ge Hil­fe­be­dürf­ti­ge nach dem Zwei­ten Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB II) zu be­zie­hen, d.h. Ar­beits­lo­sen­geld II (Alg II) bzw. sog. „Hartz IV“, muss man da­mit rech­nen, dass Ab­fin­dun­gen den Alg II-An­spruch min­dern, d.h. auf das Alg II an­ge­rech­net wer­den.

Auch wenn der An­spruch auf Zah­lung der Ab­fin­dung schon lan­ge vor der Zah­lung ent­stan­den war, kommt es für die Fra­ge der An­rech­nung al­lein auf den Zeit­punkt des Zu­flus­ses, d.h. der Ab­fin­dungs­zah­lung an. Dies hat das Bun­des­so­zi­al­ge­richt (BSG) in ei­ner vor kur­zem er­gan­ge­nen Ent­schei­dung be­stä­tigt: BSG, Ur­teil vom 03.03.2009, B 4 AS 47/08 R.

An­rech­nung ei­ner Ab­fin­dung

Bei der Be­en­di­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses zahlt der Ar­beit­ge­ber oft mehr oder we­ni­ger frei­wil­lig ei­ne Ab­fin­dung, um auf die­se Wei­se Strei­tig­kei­ten über die Rechts­wirk­sam­keit der Be­en­di­gung aus dem Weg zu ge­hen. Vor al­lem bei ei­ner vom Ar­beit­ge­ber aus­ge­spro­che­nen Kündi­gung ei­nes Ar­beit­verhält­nis­ses, das durch Vor­schrif­ten des Kündi­gungs­schut­zes ab­ge­si­chert ist und da­her nicht so oh­ne wei­te­res durch Ar­beit­ge­berkündi­gung auf­gelöst wer­den kann, droht ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge, die ver­mie­den oder kostengüns­tig be­en­det wer­den kann, wenn der Ar­beit­ge­ber zu Ab­fin­dungs­zah­lung be­reit ist.

Ei­ne Ab­fin­dung ist ei­ne ein­ma­li­ge Son­der­zah­lung für den Ver­lust des Ar­beit­plat­zes und kein Ar­beits­lohn. Sie un­ter­liegt da­her auch nicht den ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten über den So­zi­al­ab­ga­ben­ab­zug, ist al­ler­dings steu­er­pflich­tig.

Be­zieht der Ar­beit­neh­mer nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses Ar­beits­lo­sen­geld I, hat er meist kei­ne Nach­tei­le auf­grund der Ab­fin­dung. Das Drit­te Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB III) sieht zwar bei Ab­fin­dungs­zah­lun­gen das Ru­hen, d.h. ei­ne zeit­li­che Verzöge­rung des Be­ginns der Ar­beits­lo­sen­geld­zah­lung, vor, al­ler­dings nur für den spe­zi­el­len Fall, dass der Ar­beit­neh­mer ge­gen Zah­lung oder Erhöhung ei­ner Ab­fin­dung mit ei­ner Verkürzung sei­ner Kündi­gungs­fris­ten ein­ver­stan­den war, d.h. zu­las­ten der Ar­beits­ver­wal­tung ei­nen frühe­ren Be­ginn der Ar­beits­lo­sig­keit her­bei­geführt hat, § 143a SGB III. Und auch ei­ne Sperr­zeit, die zu­wei­len im Zu­sam­men­hang mit dem Be­zug ei­ner Ab­fin­dungs­zah­lung verhängt wird, ist kei­ne Sank­ti­on für den Er­halt ei­ner Ab­fin­dung, son­dern für die vom Ar­beit­neh­mer ggf. ver­si­che­rungs­wid­rig her­bei­geführ­te Be­en­di­gung sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses, al­so z.B. für den Ab­schluss ei­nes Auf­he­bungs­ver­tra­ges (§ 144 SGB III).

In ei­ner grund­le­gend an­de­ren Si­tua­ti­on be­fin­det sich der Ar­beits­lo­se aber dann, wenn er nach Er­halt ei­ner Ab­fin­dung Ar­beits­lo­sen­geld II (Alg II), d.h. Grund­si­che­rung für er­werbsfähi­ge Hil­fe­bedürf­ti­ge nach dem Zwei­ten Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB II) erhält (sog. „Hartz IV“). Das Alg II ist nämlich ei­ne vom Vermögen und vom Ein­kom­men des Empfängers abhängi­ge So­zi­al­leis­tung, so dass im All­ge­mei­nen je­des Ein­kom­men, d.h. al­le Ein­nah­men in Geld oder mit Gel­des­wert (§ 11 Abs. 1 SGB II), an­spruchs­min­dernd zu berück­sich­ti­gen sind.

Da­her kann sich der Er­halt ei­ner Ab­fin­dung je nach Zeit­punkt und Höhe der Ab­fin­dungs­zah­lung nach­tei­lig auf den An­spruch auf Alg II aus­wir­ken. Ist die Ab­fin­dung vor der Be­an­tra­gung von Alg II ge­zahlt wor­den, gehört sie zum „Vermögen“ des Hil­fe­bedürf­ti­gen und nicht zu sei­nem „Ein­kom­men“ im Sin­ne des SGB II, so dass höhe­re Frei­beträge gel­ten (§ 12 SGB II). Fließt die Ab­fin­dung zu ei­nem Zeit­punkt nach An­trag­stel­lung zu und ist sie da­her als Ein­kom­men zu be­wer­ten, ist sie nur dann an­rech­nungs­frei, wenn sie ei­ne zweck­be­stimm­te Ein­nah­me im Sin­ne von § 11 Abs. 3 Nr. 1 a) SGB II wäre.

Zu die­sen Fra­gen hat das Bun­des­so­zi­al­ge­richt (BSG) in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung Stel­lung ge­nom­men (Ur­teil vom 03.03.2009, B 4 AS 47/08 R).

Der Fall des Bun­des­so­zi­al­ge­richts: Kläger be­zieht be­reits Ar­beits­lo­sen­geld II, als er ver­spätet Ab­fin­dung erhält

Der Kläger hat­te auf­grund ei­ner Kündi­gung sei­nes Ar­beit­ge­bers En­de Ju­ni 2003 sei­nen Ar­beits­platz ver­lo­ren. Hier­ge­gen er­hob er Kündi­gungs­schutz­kla­ge, die knapp zwei Jah­re später, im April 2005, mit ei­nem Ver­gleich er­le­digt wur­de. Dem Ver­gleich zu­fol­ge soll­te der Ar­beit­neh­mer für den Ver­lust des Ar­beits­plat­zes ei­ne Ab­fin­dung in Höhe von 6.500,00 EUR brut­to er­hal­ten. Ab Mit­te Ju­li 2005 be­zog er Alg II.

Da der Ar­beit­ge­ber auf den im Ver­gleich ti­tu­lier­ten Ab­fin­dungs­an­spruch kei­ne Zah­lun­gen leis­te­te, war der Kläger da­zu ge­zwun­gen, Maßnah­men der Zwangs­voll­stre­ckung ein­zu­lei­ten. Auf die­sem We­ge er­hielt er im Ok­to­ber und No­vem­ber 2006 ins­ge­samt 3.750 EUR.

Der Träger der Grund­si­che­rung be­wer­te­te die er­folg­rei­che Bei­trei­bung der Ab­fin­dung als Ein­kom­men, das be­darfs­min­dernd zu berück­sich­ti­gen sei. Da­her wur­de die Alg II-Be­wil­li­gung für Ok­to­ber und No­vem­ber 2006 auf­ge­ho­ben und der Kläger zur Rück­zah­lung der für die­se Zeit be­zo­ge­nen Alg II-Leis­tun­gen ver­pflich­tet.

Die ge­gen die Rück­zah­lungs­pflicht ein­ge­leg­ten Rechts­mit­tel führ­ten le­dig­lich zu ei­ner Ver­rin­ge­rung der Rück­for­de­rung auf 1.064,82 EUR, hat­ten aber im übri­gen kei­nen Er­folg. So­wohl das So­zi­al­ge­richt München (Ur­teil vom 13.07.2007, S 48 AS 519/06) als auch das Baye­ri­sche Lan­des­so­zi­al­ge­richt (Ur­teil vom 19.03.2008, L 16 AS 270/07) wie­sen die Kla­ge ab.

Bun­des­so­zi­al­ge­richt: Ab­fin­dung auf Ar­beits­lo­sen­geld II an­zu­rech­nen

Das BSG bestätig­te die ge­gen den Kläger er­gan­ge­nen Ent­schei­dun­gen der Vor­in­stan­zen.

Die strei­ti­ge Ab­fin­dungs­zah­lung war nach An­sicht des BSG als Ein­kom­men im Sin­ne von § 11 SGB II zu be­wer­ten. Ent­schei­dend ist, so das BSG, wann der Alg II-Empfänger die Ab­fin­dung tatsächlich er­hal­ten hat (ef­fek­ti­ver Zu­fluss), d.h. vor oder nach der Be­an­tra­gung von Leis­tun­gen. Ent­ge­gen der Rechts­an­sicht des Klägers hielt es das BSG für un­er­heb­lich, wann die Ab­fin­dung ei­gent­lich hätte ge­zahlt wer­den müssen und war­um sie erst mit so großer Verzöge­rung zu­ge­flos­sen ist.

Ist die dem Kläger im Ok­to­ber und No­vem­ber 2006 zu­ge­flos­se­ne Ab­fin­dung als Ein­kom­men an­zu­se­hen, so ist sie auf das Alg II an­zu­rech­nen. Ei­ne An­rech­nung könn­te nur un­ter­blei­ben, wenn Ab­fin­dun­gen als zweck­ge­bun­de­ne Ein­nah­men im Sin­ne von § 11 Abs. 3 Nr. 1 a) SGB II an­zu­se­hen wären. Al­ler­dings reicht es für ei­ne Zweck­bin­dung im Sin­ne die­ser Re­ge­lung nicht aus, dass Ab­fin­dun­gen für den Ver­lust des Ar­beits­plat­zes und den da­mit ver­bun­de­nen so­zia­len Be­sitz­stand ge­zahlt wer­den. Zweck­ge­bun­den sind Ein­nah­men erst dann, wenn sie nur für ei­nen be­stimm­ten Zweck ver­wen­det wer­den sol­len. Bei Ab­fin-dungs­zah­lun­gen ist der Ar­beit­neh­mer aber frei in der Ent­schei­dung darüber, wofür er ei­ne an ihn ge­zahl­te Ab­fin­dung ver­wen­den möch­te.

Ar­beit­neh­mer und ih­re Be­ra­ter soll­ten bei Be­stands­strei­tig­kei­ten das lei­di­ge The­ma ei­nes mögli­chen künf­ti­gen Be­zugs von Alg II im Au­ge be­hal­ten, d.h. prüfen, wie wahr­schein­lich ei­ne künf­ti­ge An­ge­wie­sen­heit auf „Hartz IV“ ist. Denn höhe­ren Ab­fin­dun­gen droht ei­ne sub­stan­ti­el­le Ent­wer­tung in dem Fall, dass der Empfänger, mögli­cher­wei­se nach vor­he­ri­gem Be­zug von Ar­beits­lo­sen­geld I, da­zu ge­zwun­gen ist, Alg II in An­spruch zu neh­men. Und auch klei­ne­re Ab­fin­dun­gen sind - wie im vor­lie­gen­den Fall - von ei­ner An­rech­nung be­trof­fen, wenn der Ar­beit­ge­ber mit Ver­spätung und u.U. erst nach Zwangs­voll­stre­ckungs­maßnah­men zahlt.

Je nach den Umständen des Ein­zel­falls soll­ten Ar­beit­neh­mer da­her an­stel­le ei­ner Ab­fin­dung ei­ne be­fris­te­te Verlänge­rung des Ar­beits­verhält­nis­ses in Be­tracht zie­hen.

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Letzte Überarbeitung: 10. Juni 2017

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