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LAG Düsseldorf, Urteil vom 26.04.2010, 16 Sa 59/10
Schlagworte: | Kündigung: Fristlos | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Düsseldorf | |
Aktenzeichen: | 16 Sa 59/10 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 26.04.2010 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Wuppertal, Teilurteil vom 24.11.2009, 7 Ca 1658/0l9, nachgehend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.09.2011, 2 AZR 388/10 |
|
16 Sa 59/10 7 Ca 1658/09 Arbeitsgericht Wuppertal |
|
Verkündet am 26. April 2010 gez.: Esser Urkundsbeamter der Geschäftsstelle |
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
des Herrn N. H., N. str. 52, X.,
- Kläger und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt I. E.,
Am Q. busch 51, X.,
g e g e n
die H. Stadt- und Projektentwicklungsgesellschaft mbH, vertreten durch den Geschäftsführer Dipl.-Ök. I. S., I. str. 35, X.,
- Beklagte und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte H. - K. u.a.,
E. berg 19, X.,
hat die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 26.04.2010
durch den Richter am Arbeitsgericht Dr. Gotthardt als Vorsitzenden sowie die ehrenamtliche Richterin Peraglie und den ehrenamtlichen Richter Jatzkowski
für R e c h t erkannt:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 24.11.2009 – 7 Ca 1658/09 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.
3. Die Revision wird zugelassen.
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T A T B E S T A N D :
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung und über die Erstattung von Detektivkosten.
Der am 06.11.1958 geborene, verheiratete, einem Kind zum Unterhalt verpflichtet Kläger war seit dem 01.07.1997 bei der Beklagten als Kleininstandhalter zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt ca. 3.860 Euro beschäftigt. Der Geschäftsbetrieb der Beklagten, die ca. 100 Mitarbeiter beschäftigte, war auf die Verwaltung, den Neubau, die Sanierung und den Verkauf von Immobilien gerichtet. Im Gebiet der Stadt X. besaß und verwaltete die Beklagte ca. 6.300 Wohneinheiten.
Bei der Beklagten war ein fünfköpfiger Betriebsrat gebildet. Dieser bestand aus der Vorsitzenden Frau F., dem stellvertretenden Vorsitzenden Herrn M. und den weiteren Mitgliedern Frau H., Herrn T. und Herrn C.. Es waren mehrere Ersatzmitglieder gewählt. Erstes Ersatzmitglied war der Kläger. Dieser wurde zuletzt am 10.03.2009 zu einer Betriebsratssitzung herangezogen.
Zu den Aufgaben des Klägers gehörte es, während der Arbeitszeit die von ihm betreuten Immobilien im Stadtgebiet aufzusuchen und dort u.a. Abnahmen durchzuführen, Gespräche mit Handwerkern zu führen und sonstige Arbeiten zu erledigen. Mängelrügen der Hausverwaltungen bzw. der Mieter liefen in einer zentralen Mängelannahme bei der Beklagten auf. Die dort tätige Mitarbeiterin, Frau L., wies diese dann über einen Computer dem zuständigen Außendiensttechniker zu. Diese Arbeitsaufträge sah der Kläger auf seinem Monitor und arbeitete sie ab. Fahrten zu Immobilien führte der Kläger mit seinem privaten PKW durch. Hierfür stand ihm gegenüber der Beklagten für die dienstlich zurückgelegten Strecken ein Anspruch auf Kostenerstattung in Höhe von 0,30 Euro je gefahrenen Kilometer zu. Diese Fahrtstrecken hatte der Kläger durch Führung eines Fahrtenbuches gegenüber der Beklagten zu dokumentieren und nachzuweisen.
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Bei der Beklagten war eine Kernarbeitszeit von 9.00 bis 15.00 Uhr angeordnet. Ab 6.00 Uhr konnten Arbeitszeiten erfasst werden. Die Erfassung der Arbeitszeit erfolgte mittels einer Stempelkarte bei Arbeitsbeginn und Arbeitsende. Bei dienstlichen Außenterminen erfolgte beim Verlassen des Dienstgebäudes eine Buchung als Dienstgang, der durch eine entsprechende Buchung bei Rückkehr beendet wurde.
Am 26.01.2009 entschied der Geschäftsführer der Beklagten, eine Detektei mit der Überwachung des Klägers zu beauftragen, um die dienstlich zurückgelegten Strecken zu dokumentieren und die Daten anschließend mit den Eintragungen im Fahrtenbuch abzugleichen. Die Beauftragung der Detektei B. GmbH in H. erfolgte über den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 03.02.2009. Die Observationen wurden am 18.02.2009, 20.02.2009, 25.02.2009 und 26.02.2009 sowie in der Zeit vom 15.03.2009 bis zum 20.03.2009 durchgeführt. Hierfür stellte die Detektei der Beklagten insgesamt 26.032,38 Euro in Rechnung. Das Fahrtenbuch für den Monat März 2009 legte der Kläger am 03.04.2009 seinem Vorgesetzten vor. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten verglich am 06.04.2009 die Eintragungen mit den Feststellungen der Detektei.
Die Observationen ergaben, dass der Kläger während seiner Arbeitszeit auch privaten Dingen nachging, wobei Umfang und Einzelheiten zwischen den Parteien teilweise streitig sind. Unstreitig waren u.a. folgende Begebenheiten: Der Kläger kaufte am 16.03.2009 im Baumarkt Material und besuchte seine Wohnung, in der Handwerker tätig waren, um nach dem Rechten zu sehen. Am 19.03.2009 führte er in der Zeit von 10.20 Uhr bis 10.40 Uhr einen Privattermin bei der Deutschen Bank durch. Am gleichen Tag begab er sich zu der Firma X.-Küchen, um die Maße seiner gekauften Küche entgegenzunehmen. Im Anschluss begab er sich in seine Wohnung, um die Maße den dort tätigen Handwerkern mitzuteilen.
Aus den Abgleichungen im Fahrtenbuch ergab sich u.a., dass der Kläger am 18.02.2009 die Untere M. Straße sowie die H. straße in sein Fahrtenbuch als
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dienstlichen Termin eingetragen hatte, obwohl er dort nicht war. Am 26.02.2009 trug er die H. straße und die H. straße ein, obwohl diese Straßen nicht angefahren worden waren. Am 16.03.2009 wurde die I. straße eingetragen, obwohl sie vom Kläger nicht angefahren wurde; am 17.03.2009 die Untere M. Straße und am 19.03.2009 die T. straße.
Über das Ergebnis der Observation und des Abgleichs mit dem Fahrtenbuch unterrichtete der Prozessbevollmächtigte der Beklagten den Geschäftsführer der Beklagten am 07.04.2009. Die Beklagte hörte den Betriebsrat mit Schreiben vom 07.04.2009 zu einer Tatkündigung gegenüber dem Kläger an. Über diese beriet der Betriebsrat unter vollzähliger Teilnahme seiner ordentlichen Mitglieder am 14.04.2009. Er beschloss, die Zustimmung zur fristlosen Kündigung des Klägers nicht zu erteilen. Er war insoweit der Ansicht, dass dem Kläger als nachgerücktes Ersatzmitglied der Sonderkündigungsschutz nach §103 BetrVG zustehe.
Mit Schreiben vom 14.04.2009 räumte der Kläger auf die Anhörung seitens der Beklagten zu einer Verdachtskündigung ein, während der Arbeitszeit private Dinge erledigt zu haben. Er bedauerte dies zutiefst, weil ein solches Verhalten nicht zu entschuldigen sei, verwies aber auf seine angespannte persönliche Situation. Zum Fahrtenbuch gab er an, dies nach bestem Wissen und Gewissen geführt zu haben.
Für den 15.04.2009 – als auch für den 20.04.2009 – war Herrn M., der kein freigestelltes Betriebsratsmitglied war, aufgrund eines schriftlichen Antrags vom 14.04.2009 noch an diesem Tage schriftlich durch die Personalabteilung der Beklagten Urlaub bewilligt worden. Herr M., der in X. wohnte, war am 15.04.2009 nicht verreist. Um 16.00 Uhr nahm Herr M. auf Bitten von Frau F. an einem Beratungstermin des Betriebsrats in der Kanzlei I. teil. Zu konkreter Betriebsratstätigkeit wurde der Kläger am 15.04.2009 nicht herangezogen.
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Die Beklagte kündigte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis am 15.04.2010 fristlos. Das Kündigungsschreiben stellte sie dem Kläger an diesem Tag gegen 10.00 Uhr per Boten zu.
Die Beklagte sprach dem Kläger zudem am 21.04.2009 und am 22.04.2009 fristlose Verdachtskündigungen aus, gegen die der Kläger sich in dem Verfahren Arbeitsgericht Wuppertal 6 Ca 1701/09 wendet. Zu dem Az. 4 BV 25/09 ist bei dem Arbeitsgericht Wuppertal ein vorsorglich eingeleitetes Zustimmungser-setzungsverfahren anhängig. Beide Verfahren wurden im Hinblick auf das hiesige Verfahren wegen Vorgreiflichkeit ausgesetzt.
Der Kläger hat behauptet, er habe seinen Dienst regelmäßig morgens um 6.00 Uhr begonnen und in der Regel je nach Arbeitsanfall bis 15.00 Uhr gearbeitet, wobei er die auf seinem Monitor auflaufenden Aufträge abgearbeitet und zudem durchgängig Wohnungsabnahmen durchgeführt habe. Die Stempeluhr schließe den Arbeitstag um 16.15 Uhr. Sei er nicht in der Lage gewesen, zu diesem Zeitpunkt zurückzukehren, habe er seinen Vorgesetzten verständigt. Am nächsten Tag sei dann ein Korrekturbeleg geschrieben worden. Soweit er vereinzelt private Angelegenheiten erledigt habe, sei dies auch bei anderen Außendienstmitarbeitern üblich und der Beklagten bekannt gewesen. Eine Möglichkeit, bei Dienstgängen Zeiten für private Erledigungen separat zu erfassen, habe nicht bestanden. Aufgrund der Trennung von seiner Ehefrau im Oktober 2008 habe er sich in einer persönlichen Krise mit Krankheitswert befunden. Zudem habe er sein Haus verkaufen müssen. Die von ihm privat während der Dienstzeit erledigten Dinge hätten sich im Rahmen der Üblichkeit gehalten. Die privaten Termine hätten ihre alleinige Ursache darin gehabt, dass er sich um seine neu zu beziehende Wohnung und um seinen Hausverkauf habe kümmern müssen. Andererseits hat er vorgetragen, dass sein Verhalten über das Normalmaß hinausgegangen sei, er aber seine private Situation habe bereinigen und klären müssen. Zudem stünde ihm eine Mittagspause von 30 Minuten zu.
Einen Spesenbetrug habe er nicht begangen. Er habe in das Fahrtenbuch die tatsächlich gefahrenen Kilometer von seinem Tacho nach Abgleich des Tacho-
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standes bei Abfahrt und Rückkehr abgelesen und eingetragen. Das Fahrtenbuch habe er nach bestem Wissen und Gewissen geführt. Es sei vorgekommen, dass er das Fahrtenbuch in der Zentrale vergessen und Eintragungen erst mit zeitlichem Nachlauf eingetragen habe. Er könne deshalb Unstimmigkeiten in den Eintragungen im Einzelfall nicht ausschließen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, angesichts seiner bislang unbeanstandeten Tätigkeit seit dem Jahre 1997 und in Ansehung seiner persönlichen Krise komme eine fristlose Kündigung nicht in Betracht. Zudem habe er den tatsächlichen Arbeitsanfall bewältigt. Der Betriebsrat sei vor der hier streitgegenständlichen Kündigung nur zu einer Verdachtskündigung angehört worden.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, ihm stehe aufgrund des Urlaubs von Herrn M. am 15.04.2009 der Sonderkündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG zu. Hierzu hat er behauptet, erstmals gegen Mittag (11.30 Uhr und 13.00) sei dieser am 15.04.2010 von der Betriebsratsvorsitzenden angerufen und gefragt worden, ob er trotz seines Urlaubs einen Termin in der Kanzlei I. am Nachmittag wahrnehmen könne. An der Betriebsratssitzung um 13.30 Uhr habe Herr M. nicht teilgenommen. Da der Kläger als betroffener Arbeitnehmer ausgeschlossen gewesen sei, habe das 2. Ersatzmitglied, Herr F. teilgenommen, was sich auch aus der Anwesenheitsliste der Sitzung vom 15.04.2009 ergebe. Um 10.00 Uhr, dem Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung, habe ihm damit der Sonderkündigungsschutz zugestanden.
Der Kläger hat mit der am 20.04.2009 bei Gericht eingegangenen Klage beantragt,
festzustellen, dass sein Anstellungsverhältnis durch die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 15.04.2009 nicht aufgelöst wird, sondern fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Widerklagend hat sie beantragt,
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den Kläger zu verurteilen, an sie Detekteikosten in Höhe von 26.032,38 € zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.05.2009.
Die weiteren, mit dem Schriftsatz vom 30.04.2009 angekündigten, auf Auskunft gerichteten Anträge hat die Beklagte in erster Instanz nicht gestellt.
Der Kläger hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe erheblich größere Fahrleistungen abgerechnet als die übrigen Kleininstandhalter, was nicht mit der örtlichen Lage der betreuten Objekte zu erklären sei. Dies sei der Anlass gewesen, um die Detektei zu beauftragen. Sie hat die Ansicht vertreten, aus den Feststellungen der Detektei und den Einlassungen des Klägers ergebe sich, dass er vorsätzlich einen Arbeitszeit- und Spesenbetrug begangen habe. Bei ihr sei es nicht üblich, dass Mitarbeiter private Dinge während der Arbeitszeit erledigten. Es könne lediglich in Einzelfällen - dann aber auf Anweisung des Vorgesetzten - dazu gekommen sein, dass dienstlich genutzte Privatfahrzeuge während der Arbeitszeit repariert worden seien. Das Fahrtenbuch werde zudem im Wagen aufbewahrt. Letztlich räume der Kläger den Spesenbetrug ein, weil er zugestehe, in das Fahrtenbuch die tatsächlich gefahrenen Kilometer eingetragen zu haben und zugleich – jedenfalls teilweise – private Verrichtungen während der Arbeitszeit zugestehe. Der Kläger habe sich nicht in einer persönlichen Krise befunden. Vielmehr habe er seine Ehefrau aufgrund einer neuen Beziehung verlassen, in der er nach Aussage der Arbeitskollegen glücklich gewesen sei.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Sonderkündigungsschutz des § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG stehe dem Kläger für den 15.04.2010 nicht zu. Zwar habe Herr M. einen Urlaubstag genommen. Er habe aber gleichwohl an diesem Tag Betriebsratstätigkeit wahrgenommen, so dass kein Fall einer Verhinderung gegeben sei. Bereits am Nachmittag des 14.04.2009 habe er an einem Ge-
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spräch der Geschäftsführung mit der Betriebsratsvorsitzenden betreffend die Tat- und Verdachtskündigung des Klägers teilgenommen. Am 15.04.2009 habe der Betriebsrat unter Einbeziehung von Herrn M. eine interne Willensbildung durchgeführt, wonach er sich rechtlich beraten lassen wolle. An der Beschlussfassung des Betriebsrats im Rahmen einer außerordentlichen Sitzung gegen Mittag in den Räumlichkeiten der Beklagten habe Herr M. mitgewirkt. Soweit Herr M. die Fußballspiele in der Champions-League am 14. und 15.04.2009 als H. für den Urlaub angegeben habe, sei dies nicht nachvollziehbar, weil diese Spiele abends stattgefunden hätten. Der Urlaubstag sei beantragt worden, um dem Kläger Sonderkündigungsschutz zu verschaffen. Am 14.04.2009 sei zwischen Frau F. und Herrn M. verabredet worden, dass er am 15.04.2009 während des gesamten Tages für Betriebsratstätigkeiten zur Verfügung stehe.
Nach einer gegen die Betriebsratsmitglieder gerichteten Auskunftsklage hat die Beklagte vorgetragen, Herr M. habe angegeben, den Urlaub für den 14.04.2009 bereits einige Zeit vorher mündlich angemeldet zu haben. Herr M. habe angegeben, am 15.04.2009 um 11.30 Uhr und um 13.00 Uhr mit Frau F. in Betriebsratsangelegenheiten telefoniert zu haben. An der Betriebsratssitzung habe er jedoch nicht teilgenommen. Angesichts dieses Sachverhalts sei nicht ersichtlich, warum Herr M. nicht bereits vor 11.30 Uhr in Betriebsratsangelegenheiten habe tätig werden können, wobei nahe liege, dass bereits zuvor Gespräche stattgefunden hätten.
Zudem setzte der Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG voraus, dass ein nachrückendes Ersatzmitglied konkret zur Betriebsratstätigkeit herangezogen worden sei und das verhinderte Betriebsratsmitglied gegenüber der Betriebsratsvorsitzenden seine Verhinderung anzeige.
Das Arbeitsgericht Wuppertal hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen M. und der Zeugin F.. Mit Teilurteil vom 24.11.2009 hat es über den Kündigungsschutzantrag entschieden. Diesem hat es bis auf den von dem Kläger aufrecht erhaltenen allgemeinen Feststellungsantrag, den es abgewiesen hat, entsprochen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen angeführt, dass der Kläger den Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG genieße und die
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Kündigung aus diesem Grunde mangels Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 Abs. 1 BetrVG rechtsunwirksam sei. Am 15.04.2009 um 10.00 Uhr sei er als Ersatzmitglied nachgerückt gewesen und habe den zitierten Kündigungsschutz genossen. Nach der Beweisaufnahme stehe fest, dass Herr M. für den 15.04.2010 Urlaub beantragt habe, ohne dass zuvor abgesprochen war, dass man ihn an diesem Tage für Betriebsratstätigkeiten anrufen könne. Dass Herr M. am 15.04.2010 später Betriebsratsaufgaben wahrgenommen habe, ändere nichts daran, dass der Kündigungsschutz für den Kläger aufgrund der Verhinderung von Herrn M. um 10.00 Uhr gegeben gewesen sei.
Mit der Berufung rügt die Beklagte, das Arbeitsgericht habe dem Kläger zu Unrecht den Sonderkündigungsschutz des § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG zuerkannt. Herr M. habe den Urlaub alleine deshalb genommen, um dem Kläger Sonderkündigungsschutz zu verschaffen. Nach den am Abend stattfinden Champions-Leaguespielen habe er auch ausschlafen können, wenn er erst mit Beginn der Kernarbeitszeit um 9.00 Uhr im Betrieb erschienen wäre. Jedenfalls habe Herr M., wie die Beweisaufnahme ergeben habe, am 15.04.2009 für Betriebsratstätigkeiten zur Verfügung gestanden. Urlaub begründe insoweit wie Arbeitsunfähigkeit lediglich eine Vermutung für eine Verhinderung an der Betriebsratsarbeit. Nehme das Betriebsratsmitglied an einem Tag Betriebsratsaufgaben wahr, so sei die Vermutung für den ganzen Tag widerlegt. Eine Trennung nach Teilen der Tage sei nicht möglich. Ein Betriebsrat können sich nicht aussuchen, an welchen Betriebsratstätigkeiten er teilnimmt und an welchen nicht. Zudem komme es in der betrieblichen Praxis auch sonst vor, dass ein Betriebsrat nicht erreicht werden könne, ohne dass sofort von einer Verhinderung auszugehen sei. Zudem setze der Sonderkündigungsschutz die Heranziehung zu Betriebsratstätigkeit voraus. Letztlich würde die vom Arbeitsgericht vertretene Rechtsauffassung zu Rechtsunsicherheit führen. Maßgeblich müsse für den Sonderkündigungsschutz zudem die Abgabe der Kündigung und nicht deren Zugang sein. Die Kündigungserklärung sei dem Boten aber am 15.04.2009 um 8.00 Uhr, mithin vor Beginn der Kernarbeitszeit übergeben worden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger noch nicht nachgerückt gewesen. Zudem sei der Kläger an diesem Tag bereits von der Arbeitsleistung freigestellt gewesen.
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Die Beklagte beantragt,
das Teilurteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 24.11.2009
– 7 Ca 1658/09 – teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe ihm mit zutreffenden Gründen Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG zuerkannt. Auf die Dauer einer Verhinderung komme es grundsätzlich nicht an. Herr M. habe den Urlaubstag genommen, um nach dem Champions-Leaguespiel ausschlafen zu können und um persönliche Dinge zu erledigen. Für ein kollusives Verhalten von Herrn M. zu seinen Gunsten gebe es keine Anhaltspunkte.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen in beiden Instanzen Bezug genommen.
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
Die zulässige, weil form- und fristgerecht eingelegte und ordnungsgemäß begründete, Berufung der Beklagten ist unbegründet.
A. Die Berufung ist unbegründet.
I. Das Teilurteil des Arbeitsgerichts Wuppertal war, soweit es Gegenstand der Berufung ist, nicht bereits deshalb aufzuheben und die Sache an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen, weil das Arbeitsgericht etwa in unzulässiger Weise durch Teilurteil (§ 301 Abs. 1 ArbGG) entschieden hätte. Eine etwaige Zurückverweisung ist in diesen Fällen von Amts wegen zu prüfen (§ 538 Abs. 2
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Satz 3 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG). Es bleibt offen, ob die Ermessenserwägung des Arbeitsgerichts zutrifft, dass der Anspruch auf Detektivkosten dem Grunde nach von der Wirksamkeit der weiteren von der Beklagten ausgesprochenen Kündigungen abhängt. Im Grundsatz scheidet im arbeitsgerichtlichen Verfahren eine Zurückverweisung wegen eines Verfahrensmangels aus (§ 68 ArbGG), so dass eine Zurückverweisung nur in Betracht kommt, wenn ein etwaiger Verfahrensmangel in der zweiten Instanz nicht behoben werden kann (Germelmann et al. ArbGG 7. Aufl. 2009 § 68 Rn. 23 ff.). In der Sache war die Entscheidung nur über die Kündigungsschutzklage aber gerechtfertigt. Es handelt sich gegenüber der Widerklage um einen abgrenzbaren Streitgegenstand. Diese war zur Überzeugung der Berufungskammer jedenfalls deshalb nicht entscheidungsreif, weil es insoweit noch weiterer Sachaufklärung und ggfs. einer Beweiserhebung bedurft hätte. Die Kündigungsschutzklage hingegen war ohne weitere Sachaufklärung entscheidungsreif. In Anbetracht des besonderen Beschleunigungsgrundsatzes in Bestandsschutzstreitigkeiten (§§ 61a Abs. 1 ArbGG, 64 Abs. 8 ArbGG) war die Entscheidung über die Kündigung durch Teilurteil sachgerecht. Die weiteren von der Beklagten widerklagend angekündigten Auskunftsansprüche sind bislang weder in erster, noch in zweiter Instanz gestellt worden, mithin nicht zur Entscheidung angefallen.
II. Die Berufung ist in der Sache unbegründet, weil das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben hat. Die fristlose Kündigung vom 15.04.2009 ist rechtsunwirksam, weil dem Kläger der Sonderkündigungsschutz des § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG zustand und es an der erforderlichen Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG fehlt.
Wird einem ordentlichen Betriebsratsmitglied Urlaub bewilligt, so tritt an diesem Tage grundsätzlich ein Fall der zeitweisen Verhinderung gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ein. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn das Betriebsratsmitglied dies vorher mitteilt. Ohne eine solche Mitteilung rückt das erste Ersatzmitglied mit Beginn des Arbeitstages nach, ohne dass es einer weiteren Handlung bedarf. Mit diesem Zeitpunkt erlangt das Ersatzmitglied den Sonderkündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG. Dieser besteht jedenfalls
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so lange fort, bis das in Urlaub befindliche Betriebsratsmitglied erklärt, es nehme nunmehr Betriebsratsaufgaben wahr. Herr M. hatte für den 15.04.2009 Urlaub. Es steht zur Überzeugung der Kammer nach der von der ersten Instanz durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass Herr M. zuvor gegenüber dem Betriebsrat nicht erklärt hatte, dass er am 15.04.2009 für Betriebsratstätigkeiten zur Verfügung steht. Der Sonderkündigungsschutz für den Kläger begann damit am 15.04.2009 um 06.00 Uhr. Er bestand jedenfalls bis um 10.55 Uhr, so dass die Frage, ob es für § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG auf die Abgabe oder den Zugang der Kündigung ankommt, offen bleiben kann. Zur Überzeugung der Kammer ist es für den Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG nicht erforderlich, dass das Ersatzmitglied zu konkreter Betriebsratstätigkeit herangezogen wird. Auf die zeitliche Dauer der Verhinderung kommt es nicht an. Ein kollusives Zusammenwirken des Betriebsrats, um dem Kläger Sonderkündigungsschutz zu verschaffen, ist nach der von der ersten Instanz durchgeführten Beweisaufnahme zu verneinen.
1. Wird einem ordentlichen Betriebsratsmitglied Urlaub bewilligt, so tritt an diesem Tage grundsätzlich ein Fall der zeitweisen Verhinderung gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ein. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Betriebsratsmitglied dies vorher mitteilt. Ohne eine solche Mitteilung rückt das erste Ersatzmitglied mit Beginn des Arbeitstages nach, ohne dass es einer weiteren Handlung bedarf. Mit diesem Zeitpunkt erlangt er den Sonderkündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG. Dieser besteht jedenfalls so lange fort, bis das in Urlaub befindliche Betriebsratsmitglied erklärt, es nehme nunmehr Betriebsratsaufgaben wahr.
a) Mit der überwiegenden Meinung im Schrifttum (vgl. GK-BetrVG/Oetker
BetrVG 9. Aufl. 2010 § 25 Rn. 17; Fitting et al., 25. Aufl. 2010 § 25 Rn. 17) geht die Kammer im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon aus, dass die Gewährung von Erholungsurlaub einen Fall der zeitweiligen Verhinderung des Betriebsratsmitglieds gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG erfüllt. Bei freigestellten Betriebsratsmitgliedern wird im Falle der Gewährung von Erholungsurlaub die Befreiung von der Pflicht zur Arbeitsleistung durch die
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Befreiung von der Pflicht ersetzt, sich innerhalb der betriebsüblichen Zeiten den Aufgaben eines Betriebsrats zu widmen. Die Gewährung von Erholungsurlaub bewirkt für freigestellte Betriebsratsmitglieder, dass sie von ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Amtstätigkeit suspendiert werden und somit zeitweilig verhindert i.S.v. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG sind (BAG vom 20.08.2002 – 9 AZR 261/01, NZA 2003, 1046, Rn. 42; vgl. auch BAG vom 24.06.1969 – 1 ABR 6/69, AP Nr. 8 zu § 39 BetrVG). Es ist kein Grund ersichtlich, warum nicht freigestellte Betriebsratsmitglieder mit der Gewährung von Erholungsurlaub nicht ebenfalls von ihren betriebsverfassungsrechtlichen Tätigkeit suspendiert werden sollten.
b) Eine Verhinderung liegt zur Überzeugung der Kammer erst dann nicht mehr vor, wenn das Betriebsratsmitglied, dem Erholungsurlaub bewilligt ist, dem Betriebsratsvorsitzenden vor dem Tag des Erholungsurlaubs positiv angezeigt hat, dass er gleichwohl seine Amtstätigkeit ausüben will.
Es kann dahinstehen, ob dem Betriebsratsmitglied überhaupt ein Wahlrecht zusteht, trotz Urlaubs Betriebsratstätigkeit auszuüben. Dies wird teilweise verneint, weil nur so rechtssicher feststehe, ob ein Fall der Verhinderung vorliege oder nicht. Es ergäben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, bis zu welchem Zeitpunkt das Betriebsratsmitglied mitteilen müsse, dass es von seinem Wahlrecht Gebrauch mache, was insbesondere im Hinblick auf die Einhaltung von Ladungsfristen zu Betriebsratssitzungen wichtig sei (so ArbG Emden vom 13.12.1978 – 1 Ca 420/78, ARSt. 1979, 132; LAG Rheinland-Pfalz vom 09.04.2001 – 7 Sa 54/01, juris). Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 24.06.1969 (a.a.O.) ausgeführt, dass im Falle einer Beurlaubung für einen Lehrgang, ohne dass die Teilnahme von dem Betrieb veranlasst war oder den Aufgaben des Betriebsrats dienen sollte, das Betriebsratsmitglied berechtigt, aber nicht verpflichtet sei, an einer Betriebsratssitzung teilzunehmen. Hierfür sprechen durchaus praktische Gründe, weil es plötzlich wichtige und dringende Betriebsratssitzungen geben kann, welche der Betriebsrat auch trotz eines Erholungsurlaubs z.B. seines Vorsitzenden, nicht ohne diesen entscheiden will (für eine Berechtigung zur Betriebsratstätigkeit trotz Urlaubs
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DKK/C. BetrVG 11. Aufl. 2007 § 25 Rn. 17; Fitting et al. a.a.O. § 25 Rn. 21; ErfK/Koch 10. Aufl. 2010 § 25 BetrVG Rn. 4; GK-BetrVG/Oetker a.a.O. § 25 Rn.20; Uhmann NZA 2000, 576, 579; für Teilnahme an Betriebsversammlung trotz Urlaubs BAG vom 05.05.1987 – 1 AZR 665/85, NZA 1987, 712, Rn. 18). Trotz der Regelung in § 8 BUrlG lässt sich dies damit begründen, dass es sich bei dem Betriebsratsamt um ein Ehrenamt handelt (§ 37 Abs. 1 BetrVG).
Bejaht man die Möglichkeit, auch während des Urlaubs Betriebsratstätigkeiten auszuüben, so muss aus Gründen der Rechtssicherheit das verhinderte Ersatzmitglied dem Betriebsratsvorsitzenden jedoch positiv anzeigen, dass er trotz Urlaubs Betriebsratsaufgaben wahrnehmen will. Solange er dies nicht tut, muss er als verhindert i.S.v. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gelten (LAG Berlin vom 01.03.2005 – 7 TaBV 2220/04, NZA-RR 2006, 32 Rn. 21 f.; GK-BetrVG a.a.O., § 25 Rn. 24). Die Kammer geht dabei davon aus, dass das Betriebsratsmitglied im Falle des Erholungsurlaubs bis zu diesem Zeitpunkt zunächst objektiv an der Ausübung des Betriebsratsamtes verhindert ist und es sich insoweit nicht um eine nur tatsächliche Vermutung der Verhinderung (GK-BetrVG/Oetker a.a.O. Rn. 20) oder eine Frage der Unzumutbarkeit (Brill, BlStSozArbR 1983, 177, 179 DKK/C. a.a.O. § 25 Rn. 17; Fitting et al. a.a.O. § 25 Rn. 21; HWK/Reichold 3. Aufl. 2008 § 25 BetrVG Rn. 4) handelt. Dies folgt daraus, dass mit der Gewährung von Urlaub – wie ausgeführt – nicht nur die Arbeitspflicht, sondern auch die Pflicht zur Betriebsratstätigkeit suspendiert wird. Dies unterscheidet den Erholungsurlaub von der Elternzeit aber auch von der Arbeitsunfähigkeit in Folge von Krankheit. Zur Elternzeit ist das Bundesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass diese ohne besondere Anhaltspunkte nicht dazu führt, dass ein Betriebsrat an der Ausübung seines Betriebsratsamtes zeitweilig gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG verhindert ist (BAG vom 25.05.2005 – 7 ABR 45/04, NZA 2005, 1002, Rn. 17). Es hat dies damit begründet, dass alleine die Verhinderung zur Erbringung der Arbeitsleistung nicht bedeutet, dass eine Verhinderung bezogen auf die Betriebsratstätigkeit vorliegt, sowie darauf hingewiesen, dass während Elternzeit sogar Teilzeittätigkeit möglich sei (§ 15 Abs. 4 BEEG). Soweit das Bundesarbeitsgericht zur krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ausgeführt hat, dass diese nicht stets zu einer zeitweiligen Verhinderung nach § 25
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Abs. 1 Satz 2 BetrVG führe, geht es davon aus, dass mit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit allenfalls eine Vermutung der Amtsunfähigkeit verbunden ist (BAG vom 15.11.1984 – 2 AZR 341/83, NZA 1985, 367, Rn. 19; BAG vom 05.09.1986 – 7 AZR 175/85, DB 1987, 1641, Rn. 26). Dies lässt sich damit begründen, dass eine Erkrankung je nach ihrer Art durchaus dazu führen kann, dass die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr erbracht werden kann, wohl aber die Betriebsratstätigkeit. Die Gewährung von Erholungsurlaub ist anders gelagert, weil dieser nicht bloß die Arbeitspflicht berührt, sondern auch von der Pflicht zur Betriebsratstätigkeit suspendiert. Soll diese Suspendierung von der Betriebsratstätigkeit behoben werden, so muss – schon aus Gründen der Rechtssicherheit – das Betriebsratsmitglied, dem Erholungsurlaub gewährt wird, dies dem Betriebsratsvorsitzenden positiv anzeigen. Solange er dies nicht tut, muss er als verhindert i.S.v. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gelten.
2. Der Sonderkündigungsschutz für den Kläger begann damit am 15.04.2009 um 06.00 Uhr. Er bestand jedenfalls bis um 10.55 Uhr, so dass die Frage, ob es für § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG auf die Abgabe oder den Zugang der Kündigung ankommt, offen bleiben kann.
a) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der ersten Instanz steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass Herrn M. am 14.04.2009 für den 15.04.2009 Erholungsurlaub bewilligt worden ist und er nicht zuvor positiv gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden angezeigt hat, dass er trotz seines Erholungsurlaubs für Betriebsratstätigkeit zur Verfügung steht. Im Hinblick auf die Gewährung des Erholungsurlaubs als solchem ist zunächst darauf hinzuweisen, dass dieser ausweislich des zur Akte gelangten Urlaubsantrags schriftlich bewilligt worden ist. In der Beweisaufnahme hat Herr M. bekundet, dass es keine allgemeine Vereinbarung gegeben habe, dass man ihn telefonisch erreichen könne. Er hat zudem weiter ausgeführt, dass es auch am 14.04.2009 keine Gespräche mit weiteren Betriebsratsmitgliedern gegeben habe, dass man ihn ggfs. am 15.04.2009 anrufen könne. Auch Frau F. hat bekundet, dass es am 14.04.2009 in der Betriebsratssitzung keine Gespräche gab, dass Herr M. am 15.04.2009 in Angelegenheiten des Klägers angerufen werden könne. Ohne
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Rechtsfehler ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass diese Aussagen glaubhaft sind. Hierfür spricht insbesondere, dass – worauf das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen hat –Herr M. für Frau F. am 15.04.2009 nur über die Vermittlung von Herrn F., der die Geheimnummer von Herrn M. kennt, erreichbar war. Auch der Umstand, dass Herr F. zweites Ersatzmitglied des Betriebsrats ist, ändert nichts daran, dass der Umstand, dass Herr M. nur über diesen Umweg zu erreichen war, für die Glaubhaftigkeit der Aussagen spricht. Zudem hat Frau F. bekundet, dass sie, hätte sie Herrn M. nicht erreicht, das Ganze eben alleine entschieden hätte.
b) Der Sonderkündigungsschutz bestand jedenfalls bis um 10.55 Uhr, so dass die Frage, ob es für § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG auf die Abgabe oder den Zugang der Kündigung ankommt, offen bleiben kann. Auf die Dauer der Verhinderung kommt es nicht an.
aa) Im Hinblick darauf, dass mit der Gewährung von Erholungsurlaub auch die Pflicht als Betriebsrat tätig zu werden, suspendiert wird, bestand die zeitweilige Verhinderung vom Beginn des Arbeitstages am 15.04.2009 an bis zur gegenteiligen positiven Meldung gegenüber der Betriebsratsvorsitzenden, die frühestens um 10.55 Uhr vorgelegen haben kann.
Die zeitweilige Verhinderung des Herrn M. begann am 15.04.2009 um 06.00 Uhr . Es ist nicht auf den Beginn der Kernarbeitszeit um 09.00 Uhr abzustellen. Um 06.00 Uhr rückte der Kläger als erstes Ersatzmitglied in den Betriebsrat nach. Ab diesem Zeitpunkt stand ihm der Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG zu. Der Fall der Stellvertretung tritt mit Beginn der Verhinderung eines ordentlichen Betriebsratsmitglieds ein. Von einer förmlichen Benachrichtigung des Ersatzmitglieds oder ähnlichen Voraussetzungen ist das Nachrücken nicht abhängig. Der besondere Kündigungsschutz setzt damit mit Beginn des Arbeitstages ein, an dem ein ordentliches Betriebsratsmitglied wegen Urlaub verhindert ist (vgl. BAG vom 17.01.1979 – 5 AZR 891/77, DB 1979, 1136, Rn. 16; BAG vom 06.09.1979 – 2 AZR 548/77, BB 1980, 317, Rn. 32). Dem Betriebsrat selbst war zudem, wie sich aus der Aussage von Frau F.
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ergibt, der Urlaub von Herrn M. am 15.04.2010 bekannt. Das Einsetzen des Sonderkündigungsschutzes mit Beginn des Arbeitstages rechtfertigt sich aus dem Zweck von § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG. Diese Vorschrift will im Interesse einer möglichst wirksamen Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Rechte stets für einen vollzähligen Betriebsrat sorgen, selbst kurzfristige Unterbrechungen vermeiden und den Betriebsrat entsprechend schützen (BAG vom 05.09.1986 a.a.O., Rn. 22). Der Arbeitsbeginn kann nicht erst mit der Kernarbeitszeit angenommen werden. Arbeitsbeginn ist bei einem flexiblen Arbeitszeitsystem der Zeitpunkt, zu dem vom Arbeitgeber erstmals Arbeit zugelassen und gezählt wird. Dies war vorliegend um 06.00 Uhr der Fall. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in erster Instanz fand der erste Kontakt des Betriebsrats mit Herrn M. frühestens um 10.55 Uhr statt. Hiervon ist das Arbeitsgericht ohne Rechtsfehler ausgegangen. Eine abweichende Würdigung der Tatsachenfeststellung war nicht angezeigt. Vorher kann aus Gründen der Rechtssicherheit im Falle des Erholungsurlaubs nicht davon ausgegangen werden, dass keine Verhinderung mehr vorlag. Auf die Dauer der Verhinderung kommt es nicht an, weil auch kurzfristige Verhinderungen vermieden werden sollen (BAG vom 17.01.1979 a.a.O., Rn. 15; BAG vom 15.06.1986 a.a.O., Rn. 22; Brill a.a.O., S. 178; ErfK/Koch a.a.O. § 25 BetrVG Rn. 4; Uhmann a.a.O., S. 578 „stundenweise Verhinderung“).
bb) Eine etwaige einseitige Freistellung des Klägers durch den Arbeitgeber betraf nur das Arbeitsverhältnis, ließ das Betriebsratsamt unberührt und führte damit nicht zu einer Verhinderung des Klägers als Ersatzmitglied, die seinem Nachrücken entgegenstehen könnte (aA LAG Hamm vom 25.11.2005 – 10 Sa 922/05, juris Rn. 89; Richardi/Thüsing BetrVG 12. Aufl. 2010 § 25 Rn. 8). Betroffen ist nur die Verpflichtung zur Arbeitsleistung und nicht wie bei dem Erholungsurlaub auch das betriebsverfassungsrechtliche Amt. Eine Berechtigung zur Freistellung von den betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben kommt dem Arbeitgeber nicht zu. Zudem lässt die Freistellung das Arbeitsverhältnis als solches - anders als eine Kündigung - unberührt. Im Gegensatz zur Gewährung von Erholungsurlaub oder Krankheit erfolgt die Freistellung zudem einseitig durch den Arbeitgeber. Dies rechtfertigt eine von diesen Verhinderungstatbe-
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ständen abweichende Beurteilung. Aber selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass es erforderlich sei, dass der Kläger sein Interesse an fortgesetzter Betriebsratstätigkeit angezeigt hätte (so LAG Hamm vom 25.11.2005 – 10 Sa 922/05 a.a.O. Rn. 90), spricht viel dafür, dass dies am Ergebnis nichts ändert. Noch in seiner Zustimmungsverweigerung vom 14.04.2009 geht der Betriebsrat davon aus, dass der Kläger als Ersatzmitglied zur Verfügung steht und verweigerte deshalb die Zustimmung. Im Ergebnis kommt es hierauf nicht an. Auf die Streitfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein zeitweilig verhindertes Ersatzmitglied mit den Wirkungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG in den Betriebsrat nachrückt (vgl. hierzu LAG Frankfurt vom 30.03.2006 – 9/4 TaBV 209/05; GK-BetrVG/Oetker a.a.O. § 25 Rn. 34 mwN), kam es mithin ebenfalls nicht an.
cc) Da der Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG am 15.04.2009 von 06.00 Uhr an bis jedenfalls 10.55 Uhr bestand, kam es nicht darauf an, ob auf den Zeitpunkt der Abgabe der Kündigungserklärung um 08.00 Uhr oder auf deren Zugang um 10.00 Uhr abzustellen war (vgl. zu dieser Streitfrage KR/Etzel 9. Aufl. 2009 § 103 BetrVG Rn. 62 mwN).
3. Zur Überzeugung der Kammer ist es für den Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG nicht erforderlich, dass das Ersatzmitglied zu konkreter Betriebsratstätigkeit herangezogen wird. Der Schutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG hängt nicht davon ab, ob die Ersatzmitglieder bereits tatsächlich Geschäfte eines Betriebsratsmitgliedes wahrgenommen haben, weil er an die Dauer der Mitgliedschaft im Betriebsrat anknüpft und auch die Arbeitsfähigkeit eines vollzähligen Betriebsrates sicherstellen soll (BAG vom 06.09.1979 a.a.O. Rn. 32). Es trifft zwar zu, dass das Bundesarbeitsgericht dies für den nachwirkenden Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG anders sieht (BAG vom 12.02.2004 – 2 AZR 163/03, AP Nr. 1 zu § 15 KSchG 1969 Ersatzmitglied, Rn. 14). Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es aber sachgerecht, die Vorschriften der Sätze 1 und 2 von § 15 Abs. 1 KSchG unterschiedlich auszulegen. Hierfür sprechen sachliche Gründe. Da der nachwirkende Kündigungsschutz die unabhängige, pflichtgemäße Ausübung des Amtes eines Betriebsrates ge-
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währleisten soll, bedarf es keiner "Abkühlungsphase", wenn das Ersatzmitglied weder an Sitzungen des Betriebsrates teilgenommen noch andere Betriebsratstätigkeiten ausgeübt hat und deswegen vor einer möglichen Interessenkollision bewahrt worden ist (vgl. bereits BAG vom 06.09.1979 a.a.O. Rn. 32). § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG hingegen schützt das Betriebsratsamt als solches, unabhängig von der konkreten Amtstätigkeit.
4. Ein kollusives Zusammenwirken des Betriebsrats, um dem Kläger Sonderkündigungsschutz zu verschaffen, ist nach der von der ersten Instanz durchgeführten Beweisaufnahme zu verneinen. Hiergegen spricht deutlich, dass nach der Beweisaufnahme in erster Instanz feststeht, dass Herr M. seinen Urlaub bereits vorher angekündigt hat, er mithin nicht extra und nur aus Anlass der bevorstehenden Kündigung des Klägers Urlaub genommen hat. Durchgreifende Angriffe, die es rechtfertigen, von der Würdigung dieser Aussage als glaubhaft abzurücken oder die Glaubwürdigkeit des Zeugen in Frage zu stellen, sind mit der Berufung nicht vorgebracht. Hätte Herr M. den Kläger schützen wollen, hätte es zudem nahe gelegen, sich am 15.04.2009 ganz der Betriebsratstätigkeit zu enthalten, um nicht die vorliegend zu beurteilenden Unsicherheiten im Hinblick auf den Sonderkündigungsschutz herbeizuführen. Darauf, wie Herr M. ggfs. seine Freizeit in Ansehung der Champions-Leaguespiele am Abend gestalten wollte, kam es nicht an.
B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
C. Die Kammer hat die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ArbGG zugelassen. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen bei erholungsurlaubs-bedingter Abwesenheit eines Betriebsratsmitglieds für ein nachrückendes Er-
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satzmitglied Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG eintritt, ist höchstrichterlich bislang nicht abschließend geklärt. Die Entscheidung weicht zudem von der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 25.11.2005 (a.a.O.) ab.
RECHTSMITTELBELEHRUNG
Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten
R E V I S I O N
eingelegt werden.
Für den Kläger ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich beim
Bundesarbeitsgericht
Hugo-Preuß-Platz 1
99084 Erfurt
Fax: 0361 2636 2000
eingelegt werden.
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
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1. Rechtsanwälte
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder
3. Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
gez.: Dr. Gotthardt gez.: Peraglie gez.: Jatzkowski
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