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BAG, Be­schluss vom 27.01.2010, 4 AZR 549/08 (A)

   
Schlagworte: Tarifeinheit
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 4 AZR 549/08 (A)
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 27.01.2010
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Mannheim, Urteil vom 31.07.2007, 12 Ca 120/07
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 22.01.2008, 14 Sa 87/07
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

4 AZR 549/08 (A)

14 Sa 87/07

Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg

Verkündet am 27. Ja­nu­ar 2010

BESCHLUSS

Frei­tag, Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläger, Be­ru­fungs­be­klag­ter und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Vier­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 27. Ja­nu­ar 2010 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Be­p­ler, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Creutz­feldt und Dr. Tre­ber so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Schmalz und Weßel­kock be­schlos­sen:


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Der Vier­te Se­nat möch­te von sei­ner bis­he­ri­gen Recht­spre­chung ab­wei­chen und die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass die Rechts­nor­men ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges, die den In­halt, den Ab­schluss und die Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen ord­nen, nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG in den je­wei­li­gen Ar­beits­verhält­nis­sen ei­nes Be­trie­bes un­mit­tel­bar gel­ten und die­se durch das Ta­rif­ver­trags­ge­setz vor­ge­se­he­ne Gel­tung nicht da­durch ver­drängt wird, dass für den Be­trieb kraft Ta­rif­bin­dung des Ar­beit­ge­bers nach § 3 Abs. 1 TVG mehr als ein Ta­rif­ver­trag gilt, für Ar­beits­verhält­nis­se der­sel­ben Art im Fal­le ei­ner Ta­rif­bin­dung ei­nes oder meh­re­rer Ar­beit­neh­mer al­ler­dings je­weils nur ein Ta­rif­ver­trag („Ta­rifp­lu­ra­lität“).

Da­mit weicht der Vier­te Se­nat von der Recht­spre­chung des Zehn­ten Se­nats (25. Ju­li 2001 - 10 AZR 599/00 - BA­GE 98, 263; 18. Ok­to­ber 2006 - 10 AZR 576/05 - BA­GE 120, 1) ab.

Der Vier­te Se­nat fragt nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG an, ob der Zehn­te Se­nat an sei­ner Rechts­auf­fas­sung festhält.

Gründe

A. Die Par­tei­en strei­ten über ei­nen ta­rif­li­chen An­spruch des Klägers ge­gen die Be­klag­te auf Zah­lung ei­nes Auf­schlags zur Ur­laubs­vergütung.

Der Kläger, Mit­glied des Mar­bur­ger Bun­des, war vom 1. Au­gust 2000 bis zum 31. De­zem­ber 2007 als Arzt in der Wei­ter­bil­dung bei der Be­klag­ten beschäftigt. Die Be­klag­te ist Mit­glied im Kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber­ver­band (KAV). Dem Ar­beits­verhält­nis liegt der am 12. März 2004 ge­schlos­se­ne Ar­beits­ver­trag zu­grun­de, in des­sen § 2 es heißt:

„Das Ar­beits­verhält­nis be­stimmt sich nach dem Bun­des-An­ge­stell­ten­ta­rif­ver­trag (BAT) vom 23. Fe­bru­ar 1961 und den ihn ergänzen­den, ändern­den oder er­set­zen­den Ta­rif­verträgen in der für den Be­reich der Ver­ei­ni­gung der kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber­verbände (VKA) je­weils gel­ten­den Fas­sung. Außer­dem fin­den die für die Ar­beit­ge­be­rin je­weils gel­ten­den sons­ti­gen Ta­rif­verträge und be­zirk­li­chen Re­ge­lun­gen An­wen­dung. ...“


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Der Mar­bur­ger Bund hat­te 1994 mit der Deut­schen An­ge­stell­ten­ge­werk­schaft (DAG) ei­ne Ver­ein­ba­rung über ei­ne ta­rif­li­che Zu­sam­men­ar­beit ge­schlos­sen, in der die­se auch zum Ab­schluss von Ta­rif­verträgen be­vollmäch­tigt wur­de. Auf die­ser Grund­la­ge er­folg­ten auch Ta­rif­ab­schlüsse durch die Rechts­nach­fol­ge­rin der DAG, die Ge­werk­schaft ver.di. Im Ver­lauf der Ta­rif­ver­trags­ver­hand­lun­gen über den Ab­schluss ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges für den öffent­li­chen Dienst (TVöD) im Jah­re 2005 wi­der­rief der Mar­bur­ger Bund ge­genüber der Ge­werk­schaft ver.di die zum Ab­schluss von Ta­rif­verträgen er­teil­te Voll­macht und for­der­te zu­gleich die Ver­ei­ni­gung der Kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber­verbände (VKA) zu Ta­rif­ver­trags­ver­hand­lun­gen über ei­nen Ta­rif­ver­trag für Ärz­te auf. Der Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst in der für den Be­reich der Ver­ei­ni­gung der Kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber­verbände gel­ten­den Fas­sung (TVöD/VKA) wur­de ua. von der Ge­werk­schaft ver.di und der VKA nach Zu­gang des Wi­der­rufs der Voll­macht am 13. Sep­tem­ber 2005 un­ter­zeich­net und trat am 1. Ok­to­ber 2005 in Kraft. Der Mar­bur­ger Bund kündig­te den BAT zum 31. De­zem­ber 2005.

Die Be­klag­te lei­te­te den Kläger zum 1. Ok­to­ber 2005 gemäß dem Ta­rif­ver­trag zur Über­lei­tung der Beschäftig­ten der kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber in den TVöD und zur Re­ge­lung des Über­g­angs­rechts (TVÜ-VKA) in das Ta­rif­recht des TVöD über. Der Kläger wi­der­sprach be­reits mit Schrei­ben vom 26. Sep­tem­ber 2005 der ihm mit­ge­teil­ten Über­lei­tung. Im Zeit­raum vom 15. bis zum 31. Ok­to­ber 2005 hat­te der Kläger Er­ho­lungs­ur­laub in An­spruch ge­nom­men. Die Be­klag­te zahl­te ihm für die­se Zeit kei­nen Ur­laub­s­auf­schlag nach § 47 Abs. 2 BAT. Bis zum Mo­nat Sep­tem­ber 2005 hat­te sie auf Grund­la­ge des Jah­res 2004 dem Kläger ei­nen Auf­schlag von 57,16 Eu­ro je Ur­laubs­tag ge­zahlt. Mit Schrei­ben vom 5. Mai 2006 teil­te die Be­klag­te dem Kläger mit, dass ein An­spruch nicht be­ste­he, weil sein Ar­beits­verhält­nis un­ter den Be­din­gun­gen des TVöD noch kei­ne drei vol­le Mo­na­te be­stan­den ha­be. Mit Schrei­ben vom 6. Fe­bru­ar 2007 macht der Mar­bur­ger Bund für den Kläger die Zu­la­ge iHv. ins­ge­samt 628,76 Eu­ro brut­to er­folg­los gel­tend.

Mit sei­ner Kla­ge ver­folgt der Kläger sein Zah­lungs­be­geh­ren wei­ter.

Des­sen Be­rech­ti­gung er­ge­be sich auf­grund sei­ner Mit­glied­schaft im Mar­bur­ger


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Bund kraft un­mit­tel­ba­rer bei­der­sei­ti­ger Ta­rif­bin­dung an den BAT nach des­sen § 47 Abs. 2. Selbst wenn man ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers von ei­ner rechtmäßigen Über­lei­tung in den TVöD aus­ge­hen würde, sei sein An­spruch nach § 21 TVöD in Höhe von 552,40 Eu­ro, wie es die Be­klag­te hilfs­wei­se be­rech­net ha­be, be­gründet.

Der Kläger hat zu­letzt be­an­tragt,

die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an den Kläger 628,76 Eu­ro brut­to zuzüglich Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz der Eu­ropäischen Zen­tral­bank seit dem 13. April 2007 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Nach dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit sei al­lein von der An­wend­bar­keit des spe­zi­el­le­ren TVöD aus­zu­ge­hen. Die Vor­aus­set­zun­gen der Nach­fol­ge­re­ge­lung des § 21 TVöD sei­en nicht erfüllt. Das Ar­beits­verhält­nis des Klägers ha­be im Ok­to­ber 2005 noch kei­nen vol­len Ka­len­der­mo­nat be­stan­den. Ar­beits­verhält­nis­se iSd. § 21 TVöD sei­en nur sol­che un­ter der Gel­tung des be­tref­fen­den Ta­rif­ver­tra­ges. Beschäfti­gungs­zeiträume vor dem 1. Ok­to­ber 2005 blie­ben da­her un­berück­sich­tigt.

Die Vor­in­stan­zen ha­ben der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on be­gehrt die Be­klag­te die Kla­ge­ab­wei­sung. Der Kläger be­an­tragt, die Re­vi­si­on zurück­zu­wei­sen. Der Kläger hat nach ge­richt­li­chem Hin­weis des Se­nats vor­ge­tra­gen, er ha­be ne­ben dem Schrei­ben des Mar­bur­ger Bun­des vom 6. Fe­bru­ar 2007 be­reits mit ei­ner E-Mail vom 1. Ja­nu­ar 2006 und mit ei­ner wei­te­ren E-Mail vom 31. Ja­nu­ar 2006 sei­ne Ansprüche schrift­lich gel­tend ge­macht.

B. Der Se­nat möch­te die zulässi­ge Re­vi­si­on als un­be­gründet zurück­wei­sen. An ei­ner ab­sch­ließen­den Ent­schei­dung ist der Se­nat je­doch ge­hin­dert, weil er in ei­ner ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Rechts­fra­ge von der Rechts­auf­fas­sung ei­nes an­de­ren, des Zehn­ten Se­nats des Bun­des­ar­beits­ge­richts ab­weicht.


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I. Die Vor­in­stan­zen ha­ben dem Kläger den Auf­schlag zum Ur­laubs­ent­gelt­nach § 47 Abs. 2 BAT nach Auf­fas­sung des Se­nats zu Recht zu­ge­spro­chen. Der Kläger kann kraft bei­der­sei­ti­ger Ta­rif­ge­bun­den­heit an den BAT gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG für den in An­spruch ge­nom­men Er­ho­lungs­ur­laub ei­nen Ur­laub­s­auf­schlag nach § 47 Abs. 2 BAT in der ge­for­der­ten Höhe ver­lan­gen. Ei­ne Ver­drängung des zwi­schen den Par­tei­en un­mit­tel­bar und zwin­gend gel­ten­den BAT durch den TVöD als ei­nem spe­zi­el­le­ren Ta­rif­ver­trag nach dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit kommt nicht in Be­tracht. Da­von ist das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­tref­fend aus­ge­gan­gen.

1. Nach § 47 Abs. 2 BAT kann der Kläger für den im Mo­nat Ok­to­ber 2005 in An­spruch ge­nom­men Er­ho­lungs­ur­laub ei­nen Ur­laub­s­auf­schlag kraft un­mit­tel-

ba­rer Ta­rif­bin­dung ver­lan­gen.

Für das Ar­beits­verhält­nis galt der BAT un­mit­tel­bar und zwin­gend nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG, da der Kläger im Streit­zeit­raum Mit­glied des Mar-bur­ger Bun­des und die Be­klag­te Mit­glied im KAV ist. Der am 17. Au­gust 2006 zwi­schen dem Mar­bur­ger Bund und der VKA ge­schlos­se­ne Ta­rif­ver­trag für Ärz­tin­nen und Ärz­te an kom­mu­na­len Kran­kenhäusern im Be­reich der Ver­ei­ni­gung der kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber­verbände (TV-Ärz­te/VKA) galt gemäß § 40 Abs. 1 TV-Ärz­te/VKA erst ab dem 1. Au­gust 2006.

Für die elf in An­spruch ge­nom­men Ur­laubs­ta­ge er­gibt dies nach § 47 Abs. 2 Un­ter­ab­schnitt 1 BAT den ein­ge­klag­ten Be­trag. Nach den durch das Lan­des­ar­beits­ge­richt gemäß § 69 Abs. 3 ArbGG in Be­zug ge­nom­me­nen Fest­stel­lun­gen des Ar­beits­ge­richts hat die Be­klag­te dem Kläger im Ka­len­der­jahr 2005 bis ein­sch­ließlich des Mo­nats Sep­tem­ber ei­nen Ur­laub­s­auf­schlag nach § 47 Abs. 2 Un­ter­ab­schnitt 1 BAT auf Grund­la­ge des Ka­len­der­jah­res 2004 (da­zu et­wa BAG 13. Fe­bru­ar 1996 - 9 AZR 798/93 - AP BAT § 47 Nr. 19) in Höhe von 57,16 Eu­ro brut­to je Ur­laubs­tag ge­zahlt.

2. Der Kläger hat durch die E-Mail vom 31. Ja­nu­ar 2006 die ta­rif­ver­trag­li­che Aus­schluss­frist nach § 70 Satz 1 BAT ge­wahrt. Die­se genügte dem Schrift­for­mer­for­der­nis iSd. § 70 BAT.


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a) Das zwi­schen den Par­tei­en un­strei­ti­ge Vor­brin­gen des Klägers zur Gel­tend­ma­chung sei­nes An­spru­ches konn­te vom Se­nat berück­sich­tigt wer­den.

aa) Zwar un­ter­liegt nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO der Be­ur­tei­lung des Re­vi­si­ons­ge­richts nur das­je­ni­ge Par­tei­vor­brin­gen, das aus dem Tat­be­stand des Be­ru­fungs­ur­teils oder aus dem Sit­zungs­pro­to­koll er­sicht­lich ist. Da­zu gehört auch das Par­tei­vor­brin­gen in Schriftsätzen und An­la­gen, auf die im Be­ru­fungs­ur­teil Be­zug ge­nom­men wird. Neu­es tatsächli­ches Vor­brin­gen ist in der Re­vi­si­ons­in­stanz grundsätz­lich aus­ge­schlos­sen. Es kann aber aus­nahms­wei­se berück­sich­tigt wer­den, wenn das Re­vi­si­ons­ge­richt erst­mals gemäß § 139 Abs. 2 ZPO auf ei­ne bis­her nicht be­ach­te­te, ent­schei­dungs­er­heb­li­che Rechts­la­ge hin­ge­wie­sen hat. Die Par­tei­en können dann an der Rechts­la­ge aus­ge­rich­te­te Tat­sa­chen vor­tra­gen, die auch ei­ne Sach­ent­schei­dung recht­fer­ti­gen können (BAG 9. Ok­to­ber 1973 - 1 ABR 6/73 - zu III 2 der Gründe, BA­GE 25, 325; GK-ArbGG/Mi­kosch Stand No­vem­ber 2009 § 73 Rn. 81; eben­so Müller-Glöge in Ger­mel­mann ua. ArbGG 7. Aufl. § 74 Rn. 121, für den Fall ei­nes un­strei­ti­gen Vor­brin­gens).

bb) Da­nach konn­te der Kläger ergänzend zur recht­zei­ti­gen Gel­tend ma­chung vor­tra­gen. Die Vor­in­stan­zen ha­ben we­der den Um­stand berück­sich­tigt, dass der Kläger zur Wah­rung der Aus­schluss­frist nichts vor­ge­tra­gen hat­te, noch ihm ei­nen da­hin­ge­hen­den recht­li­chen Hin­weis er­teilt und der Kla­ge gleich­wohl statt­ge­ge­ben. In­so­weit war - wie durch den Se­nat ge­sche­hen - den Par­tei­en nach § 139 Abs. 2 ZPO Ge­le­gen­heit zu ge­ben, ergänzend vor­zu­tra­gen. Die Be­klag­te hat in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Se­nat den Emp­fang der bei­den E-Mails des Klägers bestätigt.

b) Der Kläger hat sei­nen An­spruch auf Ur­laub­s­auf­schlag durch sei­ne E- Mail vom 31. Ja­nu­ar 2006 und da­mit nach Fällig­keit des An­spruchs (da­zu BAG 24. Ok­to­ber 1990 - 6 AZR 37/89 - zu B V 2 der Gründe, BA­GE 66, 154) gel­tend ge­macht.

aa) Zur Gel­tend­ma­chung im Sin­ne ta­rif­li­cher Aus­schluss­fris­ten gehört, die an­de­re Sei­te zur Erfüllung des An­spruchs auf­zu­for­dern. Dies braucht zwar nicht


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wört­lich, muss je­doch hin­rei­chend klar ge­sche­hen. Der An­spruchs­in­ha­ber muss un­miss­verständ­lich zum Aus­druck brin­gen, dass er In­ha­ber ei­ner be­stimm­ten For­de­rung ist und auf de­ren Erfüllung be­ste­hen wird (BAG 5. April 1995 - 5 AZR 961/93 - zu 2 b der Gründe, AP TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 130 = EzA TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 111). Die Gel­tend­ma­chung nach § 70 Satz 1 BAT setzt vor­aus, dass der An­spruch sei­nem Grun­de nach hin­rei­chend deut­lich be­zeich­net und des­sen Höhe, dh. der Zeit­raum, für den er ver­folgt wird, mit der für den Schuld­ner not­wen­di­gen Klar­heit er­sicht­lich ge­macht wird. Der Sinn und Zweck der Re­ge­lung be­steht dar­in, dem Schuld­ner den be­haup­te­ten An­spruch so zu kenn­zeich­nen, dass er sich über In­halt und Um­fang klar wer­den kann und dem Gläubi­ger die Er­he­bung ei­ner for­mel­len Kla­ge zunächst er­spart wird. Des­halb müssen für den Ar­beit­ge­ber die Art des An­spruchs so­wie die Tat­sa­chen, auf die der An­spruch gestützt wird, er­kenn­bar sein. Ei­ne recht­li­che Be­gründung ist nicht er­for­der­lich (BAG 17. Mai 2001 - 8 AZR 366/00 - zu II 3 b der Gründe mwN, AP BAT-O § 70 Nr. 2 = EzA TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 136).

bb) Es be­darf vor­lie­gend kei­ner ab­sch­ließen­den Ent­schei­dung, ob der Kläger be­reits mit sei­ner E-Mail vom 1. Ja­nu­ar 2006 ei­nen An­spruch auf Ur­laub­s­auf­schlag ent­spre­chend den ge­nann­ten An­for­de­run­gen gel­tend ge­macht hat. Je­den­falls mit der E-Mail vom 31. Ja­nu­ar 2006 hat er ge­genüber der Be­klag­ten mit hin­rei­chen­der Deut­lich­keit zu er­ken­nen ge­ge­ben, dass er nicht nur ei­ne bloße Über­prüfung der Ur­laubs­ab­rech­nung er­bit­tet, son­dern auch die Zah­lung der noch aus­ste­hen­den Ur­laubs­vergütung von ihr er­war­tet.

(1) Mit ei­ner E-Mail vom 1. Ja­nu­ar 2006 wand­te sich der Kläger an die zuständi­ge Mit­ar­bei­te­rin der Be­klag­ten. Dar­in heißt es ua.:

„Zu mei­ner ak­tu­el­len Ab­rech­nung blei­ben ... auf je­den Fall noch zwei Fra­gen zur Sei­te 7, die den Mo­nat Ok­to­ber 2005 be­trifft:

1. Wann ist mit der Aus­zah­lung der ent­spre­chen­den Ur­laubs­vergütung für die 11 Ur­laubs­ta­ge im Zeit­raum vom 15.-31.10. zu rech­nen? (kann ich hier dann gleich auf die 3 Ur­laubs­ta­ge vom 01.11. bis 06.11. hin­wei­sen?)


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...

Mit freund­li­chen Grüßen

H G

********************************************** Dr. med H G

Ober­arzt der Kli­nik für Anästhe­sio­lo­gie und ope­ra­ti­ve In­ten­siv­me­di­zin

Uni­ver­sitätskli­ni­kum M

... “

Die Be­klag­te teil­te dem Kläger am 4. Ja­nu­ar 2006 gleich­falls durch E-Mail mit, dass sei­ne Fra­gen zum Ur­laub­s­auf­schlag an den Lei­ter des Ent­gelt-be­reichs wei­ter­ge­lei­tet würden. Der Kläger frag­te am 31. Ja­nu­ar 2006 un­ter Ver­wen­dung der Ant­wort­funk­ti­on des E-Mail-Pro­gramms bei der Be­klag­ten nach:

„... möch­te ich kurz ... nach­fra­gen,

a) wann ich mit ei­ner Rück­mel­dung bezüglich der im Vor­mo­nat nicht über­wie­se­nen Ur­laubs­vergütung (kein Ur­laubs­geld) für die 11 Ur­laubs­ta­ge im Zeit­raum 15.31.10.2005 ... und der Über­wei­sung des ent­spre­chen­den Be­tra­ges rech­nen kann?

...

Mit freund­li­chen Grüßen

H G

********************************** Dr. med. H G

...“


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(2) Das ist für ei­ne Gel­tend­ma­chung zur Wah­rung der ta­rif­li­chen Aus­schluss­fris­ten aus­rei­chend. Grund und Höhe des An­spruchs sind da­bei mit der Be­nen­nung des maßge­ben­den Zeit­raums und der ge­for­der­ten Ur­laubs­vergütung hin­rei­chend deut­lich be­zeich­net. Die feh­len­de Ver­wen­dung des ta­rif­li­chen Be­griffs „Ur­laub­s­auf­schlag“ ist unschädlich. Der Be­klag­ten wur­de die­je­ni­ge Kennt­nis ver­mit­telt, die er­for­der­lich ist, um sich mit der Be­rech­ti­gung ei­nes be­stimm­ten An­spruchs aus­ein­an­der­set­zen zu können. Da der Kläger sich auf sei­ne im Vor­mo­nat De­zem­ber 2005 nicht aus­ge­zahl­te Ur­laubs­vergütung für den Ur­laub im Mo­nat Ok­to­ber 2005 be­zieht, ist er­kenn­bar, dass sich sein Ver­lan­gen auf den im Mo­nat De­zem­ber fällig ge­wor­de­nen Teil der Ur­laubs­vergütung, den nicht zur Aus­zah­lung ge­lang­ten Ur­laub­s­auf­schlag nach § 47 Abs. 2 BAT be­zieht. In die­sem Sin­ne hat die Be­klag­te be­reits die ähn­lich lau­ten­de E-Mail des Klägers vom 1. Ja­nu­ar 2006 ver­stan­den. Das zeigt ih­re Ant­wort vom 4. Ja­nu­ar 2006, in der sie selbst den Ur­laub­s­auf­schlag nennt.

b) Die ta­rif­li­che Aus­schluss­frist hat der Kläger nicht des­halb versäumt, weil er sei­nen ent­stan­de­nen An­spruch (da­zu BAG 22. Ja­nu­ar 2009 - 6 AZR 5/08 - Rn. 13 ff., AP BAT § 70 Nr. 39) le­dig­lich durch ei­ne E-Mail gel­tend ge­macht hat. Zur Wah­rung der Aus­schluss­frist und des Schrift­lich­keits­ge­bots nach § 70 Satz 1 BAT be­darf es nicht der Schrift­form nach § 126 Abs. 1 BGB. Es genügt die Ein­hal­tung der Text­form des § 126b BGB. De­ren An­for­de­run­gen wird die E-Mail vom 31. Ja­nu­ar 2006 ge­recht.

aa) Die E-Mail vom 31. Ja­nu­ar 2006 erfüllt nicht die Vor­aus­set­zun­gen, die § 126 Abs. 1 BGB an die Form ei­ner Ur­kun­de stellt, wenn durch Ge­setz schrift­li­che Form vor­ge­schrie­ben ist. Es be­darf dann der ei­genhändi­gen Un­ter­zeich­nung der Ur­kun­de durch Na­mens­un­ter­schrift von Sei­ten des Aus­stel­lers. Dar­an fehlt es hier.

bb) Der Form­wirk­sam­keit der E-Mail nach § 70 Satz 1 BAT steht die­ser Um­stand al­ler­dings nicht ent­ge­gen. Für sie genügt die Ein­hal­tung der Text­form des § 126b BGB (eben­so LAG Düssel­dorf 25. Ju­li 2007 - 12 Sa 944/07 -; Hes­si­sches LAG 6. Au­gust 2009 - 14 Sa 563/09 - zu 1 der Gründe; ArbG Kre­feld 31. Ok­to­ber 2005 - 5 Ca 2199/05 - m. abl. Anm. Peetz/Ro­se DB 2006,


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2346; Gott­hardt/Beck NZA 2002, 876, 883; Röger NJW 2004, 1764, 1767; wohl auch ErfK/Preis § 218 BGB Rn. 62; aA Sch­mitt SAE 2001, 306, 306 f.; wie hier für die Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rung nach § 99 Abs. 3 Satz 1 Be­trVG: BAG 10. März 2009 - 1 ABR 93/07 - Rn. 29 ff., AP Be­trVG 1972 § 99 Nr. 127 = EzA Be­trVG 2001 § 99 Nr. 12).

(1) Die §§ 126 ff. BGB gel­ten un­mit­tel­bar nur für Rechts­geschäfte. Die Gel­tend­ma­chung ei­nes An­spruchs zur Wah­rung ei­ner ta­rif­li­chen Aus­schluss­frist ist kein Rechts­geschäft, son­dern rechts­geschäftsähn­li­che Hand­lung. Auf ei­ne sol­che sind die §§ 126 ff. BGB al­len­falls ana­log an­wend­bar. Das setzt je­weils die glei­che In­ter­es­sen­la­ge wie bei Rechts­geschäften vor­aus. Die­se ist bei der schrift­li­chen Gel­tend­ma­chung nach § 70 Satz 1 BAT nur im Hin­blick auf § 126b BGB ge­ge­ben.

(a) Die Gel­tend­ma­chung im Sin­ne ei­ner ta­rif­li­chen Aus­schluss­frist ist kei­ne Wil­lens­erklärung, son­dern rechts­geschäftsähn­li­che Hand­lung (BAG 11. Ok­to­ber 2000 - 5 AZR 313/99 - zu II 2 b bb der Gründe, BA­GE 96, 28; 20. Fe­bru­ar 2001 - 9 AZR 46/00 - zu II 2 a der Gründe, AP TVG § 1 Ta­rif­verträge: Gaststätten Nr. 11 = EzA TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 139; 6. Sep­tem­ber 2001 - 8 AZR 59/01 - zu 5 b aa der Gründe, Ez­BAT §§ 22, 23 BAT M Nr. 91; 17. Sep­tem­ber 2003 - 4 AZR 540/02 - zu III 1 der Gründe, BA­GE 107, 304).

(b) Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ist das in § 126 BGB vor­ge­se­he­ne For­mer­for­der­nis trotz des of­fe­nen Wort­lauts der Vor­schrift auf Rechts­geschäfte be­schränkt. Auf rechts­geschäftsähn­li­che Erklärun­gen ist die Be­stim­mung nicht un­mit­tel­bar an­zu­wen­den (BAG 10. März 2009 - 1 ABR 93/07 - Rn. 32, AP Be­trVG 1972 § 99 Nr. 127 = EzA Be­trVG 2001 § 99 Nr. 12; 9. De­zem­ber 2008 - 1 ABR 79/07 - Rn. 27, AP Be­trVG 1972 § 99 Ein­grup­pie­rung Nr. 36 = EzA Be­trVG 2001 § 99 Nr. 11; 17. Sep­tem­ber 2003

- 4 AZR 540/02 - zu III 3 der Gründe, BA­GE 107, 304; 11. Ju­ni 2002 - 1 ABR 43/01 - zu B IV 1 b aa der Gründe mwN, BA­GE 101, 298; 11. Ok­to­ber 2000

- 5 AZR 313/99 - zu II 2 b aa der Gründe mwN, BA­GE 96, 28; So­er­gel/He­f­er­mehl BGB Bd. 2 13. Aufl. § 126 Rn. 2; Gra­gert/We­he NZA 2001, 311, 312; Köhler AcP 182 (1982) 126, 151; Anschütz/Koh­te JR 2001, 263, 264;


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aA Gott­hardt/Beck NZA 2002, 876, 883; Röger NJW 2004, 1764, 1765; die je­doch al­le ei­ne Aus­le­gung der die Schrift­form an­ord­nen­den Re­ge­lung für zulässig er­ach­ten). Dar­an hat die Ergänzung des § 126 BGB um § 126a und § 126b BGB durch das Ge­setz zur An­pas­sung der Form­vor­schrif­ten des Pri­vat­rechts und an­de­rer Vor­schrif­ten an den mo­der­nen Rechts­geschäfts­ver­kehr vom 13. Ju­li 2001 (BGBl. I S. 1542) nichts geändert (aA Röger NJW 2004, 1764, 1765). Auch die neu ein­gefügten §§ 126a, 126b BGB sind viel­mehr we­gen des fort­be­ste­hen­den Sach­zu­sam­men­hangs mit den Be­stim­mun­gen über Wil­lens­erklärun­gen und Rechts­geschäfte un­mit­tel­bar nur auf Wil­lens­erklärun­gen an­wend­bar. Für rechts­geschäftsähn­li­che Erklärun­gen gel­ten sie al­len­falls ent­spre­chend (BAG 10. März 2009 - 1 ABR 93/07 - Rn. 33, AP Be­trVG 1972 § 99 Nr. 127 = EzA Be­trVG 2001 § 99 Nr. 12; 9. De­zem­ber 2008 - 1 ABR 79/07 - Rn. 27 ff., AP Be­trVG 1972 § 99 Ein­grup­pie­rung Nr. 36 = EzA Be­trVG 2001 § 99 Nr. 11; aA BGH 14. März 2006 - VI ZR 335/04 - zu II 1 a aa der Gründe, NJW 2006, 2482, al­ler­dings zur Gel­tend­ma­chung nach § 12 Abs. 3 VVG: Vor­schrif­ten über das Wirk­sam­wer­den von Wil­lens­erklärun­gen gel­ten ent­spre­chend).

(c) Ei­ne ent­spre­chen­de An­wen­dung (zu den Vor­aus­set­zun­gen et­wa BAG 9. De­zem­ber 2008 - 1 ABR 79/07 - Rn. 36, AP Be­trVG 1972 § 99 Ein­grup­pie­rung Nr. 36 = EzA Be­trVG 2001 § 99 Nr. 11) von § 126 BGB auf die Gel­tend­ma­chung ei­nes An­spru­ches zur Wah­rung der ta­rif­li­chen Aus­schluss­frist des § 70 BAT ist nicht ge­bo­ten. Norm­zweck und In­ter­es­sen­la­ge ver­lan­gen nicht nach ei­ner ei­genhändi­gen Un­ter­zeich­nung der schrift­li­chen Erklärung durch Na­mens­un­ter­schrift des Beschäftig­ten. Aus­schluss­fris­ten die­nen dem Rechts­frie­den und der Rechts­si­cher­heit im Ver­trags­verhält­nis. Der Schuld­ner soll bin­nen ei­ner an­ge­mes­se­nen Frist dar­auf hin­ge­wie­sen wer­den müssen, ob und wel­che Ansprüche ge­gen ihn noch gel­tend ge­macht wer­den (BAG 11. Ok­to­ber 2000 - 5 AZR 313/99 - zu II 2 c der Gründe, BA­GE 96, 28). Sinn und Zweck ei­ner Aus­schluss­frist er­for­dern es des­halb nicht, dass bei An­ord­nung ei­ner schrift­li­chen Gel­tend­ma­chung das Schrei­ben die ei­genhändi­ge Na­mens­un­ter­schrift trägt. Ent­schei­dend ist viel­mehr, dass dem Gel­tend­ma­chungs­schrei­ben die Er­he­bung be­stimm­ter, als noch of­fen be­zeich­ne­ter Ansprüche aus dem


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Ar­beits­verhält­nis durch Le­sen ei­ner text­li­chen Nach­richt ent­nom­men wer­den kann.

Die­sem In­for­ma­ti­ons- und Klar­stel­lungs­zweck genügt ei­ne dem Ar­beit­ge­ber zu­ge­gan­ge­ne schrift­li­che Erklärung auch oh­ne ei­genhändi­ge Na­mens­un­ter­schrift des Beschäftig­ten. Die Gewähr­leis­tung der Iden­titäts- und die Vollständig­keits­funk­ti­on ist zwar auch für ei­ne Gel­tend­ma­chung nach § 70 Satz 1 BAT un­ver­zicht­bar. Sie ver­langt aber nicht not­wen­dig nach ei­ner Ori­gi­nal­un­ter­schrift. Per­son und Iden­tität des Erklären­den ste­hen schon dann fest, wenn des­sen Na­me an­ge­ge­ben wird. Der Ar­beit­ge­ber kann dann er­ken­nen, von wem die Erklärung ab­ge­ge­ben wur­de. Vollständig­keit und in­halt­li­cher Ab­schluss der Erklärung las­sen sich durch die An­brin­gung ei­ner Grußfor­mel, die ma­schi­nen­schrift­li­che Na­mens­wie­der­ga­be oder Ähn­li­ches un­miss­verständ­lich kennt­lich ma­chen (zu § 99 Abs. 3 Be­trVG BAG 9. De­zem­ber 2008 - 1 ABR 79/07 - Rn. 40, AP Be­trVG 1972 § 99 Ein­grup­pie­rung Nr. 36 = EzA Be­trVG 2001 § 99 Nr. 11). Da­mit wird die Iden­tität des­sen, der et­was ver­langt, aus­ge­wie­sen und durch die Ab­schluss­erklärung noch hin­rei­chend le­gi­ti­miert (nicht ein­deu­tig BAG 17. Sep­tem­ber 2003 - 4 AZR 540/02 - zu III 4 der Gründe, BA­GE 107, 304: Le­gi­ti­ma­ti­on durch Un­ter­schrift, wenn auch nicht durch die Ori­gi­nal­un­ter­schrift). Das oh­ne ei­ne Ori­gi­nal­un­ter­schrift mögli­cher­wei­se ge­ringfügig höhe­re Fälschungs­ri­si­ko ei­ner Gel­tend­ma­chung durch ei­ne E-Mail, wel­ches zu­min­dest den un­be­rech­tig­ten Zu­griff auf die Zu­gangs­be­rech­ti­gung zur Nut­zung des E-Mail-Kon­tos er­for­dern würde, kann an­ge­sichts der recht­li­chen Unschädlich­keit ei­ner fal­schen Mit­tei­lung (s. auch BAG 9. De­zem­ber 2008 - 1 ABR 79/07 - Rn. 41, AP Be­trVG 1972 § 99 Ein­grup­pie­rung Nr. 36 = EzA Be­trVG 2001 § 99 Nr. 11) und der ge­rin­gen Wahr­schein­lich­keit ei­ner (böswil­li­gen) Wahr­neh­mung frem­der Rech­te (Gott­hardt/Beck NZA 2002, 876, 883) ver­nachlässigt wer­den.

(d) Nach der ob­jek­ti­ven Sach- und In­ter­es­sen­la­ge bei der Gel­tend­ma­chung nach § 70 Satz 1 BAT ist die ent­spre­chen­de An­wen­dung von § 126b BGB ge­bo­ten und aus­rei­chend. Nach die­ser Be­stim­mung muss, wenn Text­form vor­ge­schrie­ben ist, die Erklärung in ei­ner Ur­kun­de oder auf an­de­re zur dau­er­haf­ten Wie­der­ga­be in Schrift­zei­chen ge­eig­ne­te Wei­se ab­ge­ge­ben, die Per­son


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des Erklären­den ge­nannt und der Ab­schluss der Erklärung durch Nach­bil­dung der Na­mens­un­ter­schrift oder an­ders er­kenn­bar ge­macht wer­den. Auf die­se Wei­se stellt § 126b BGB auch oh­ne das Er­for­der­nis ei­genhändi­ger Un­ter­zeich­nung si­cher, dass die Iden­titäts- und Vollständig­keits­funk­tio­nen ei­ner schrift­li­chen Erklärung ne­ben der oh­ne­hin ge­ge­be­nen Do­ku­men­ta­ti­ons­funk­ti­on ge­wahrt sind (BAG 9. De­zem­ber 2008 - 1 ABR 79/07 - Rn. 45, AP Be­trVG 1972 § 99 Ein­grup­pie­rung Nr. 36 = EzA Be­trVG 2001 § 99 Nr. 11).

(2) Die E-Mail vom 31. Ja­nu­ar 2006 genügt den Er­for­der­nis­sen des § 126b BGB. Sie ist zwar kei­ne „Ur­kun­de“. Die in ihr ent­hal­te­ne Erklärung ist aber auf ei­ne an­de­re zur dau­er­haf­ten Wie­der­ga­be in Schrift­zei­chen ge­eig­ne­te Wei­se ab­ge­ge­ben wor­den. Der In­halt ei­ner elek­tro­ni­schen Da­tei mit Schrift­zei­chen kann vom Empfänger ent­we­der ge­spei­chert und da­mit bei Be­darf je­der­zeit auf­ge­ru­fen oder zu­min­dest aus­ge­druckt und auf die­se Wei­se dau­er­haft wie­der­ge­ge­ben wer­den. Die E-Mail des Klägers enthält sei­nen Na­men und sei­ne An­schrift. Der Ab­schluss der Erklärung ist durch ei­ne Grußfor­mel und die Wie­der­ho­lung des Na­mens ein­deu­tig kennt­lich ge­macht.

3. Der für die Mit­glie­der des Mar­bur­ger Bun­des bis zum 31. De­zem­ber 2005 nach wie vor gel­ten­de BAT wird nicht nach dem so­ge­nann­ten Grund­satz der Ta­rif­ein­heit durch den am 1. Ok­to­ber 2005 in Kraft ge­tre­te­nen TVöD und die da­mit bei der Be­klag­ten ein­ge­tre­te­ne Ta­rifp­lu­ra­lität als spe­zi­el­le­rer Ta­rif­ver­trag ver­drängt.

a) Im streit­ge­genständ­li­chen Zeit­raum be­stand bei der Be­klag­ten ei­ne Ta­rifp­lu­ra­lität.

aa) Ta­rifp­lu­ra­lität liegt vor, wenn der Be­trieb des Ar­beit­ge­bers vom Gel­tungs­be­reich zwei­er von ver­schie­de­nen Ge­werk­schaf­ten ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge für Ar­beits­verhält­nis­ses der­sel­ben Art er­fasst wird, an die der Ar­beit­ge­ber ge­bun­den ist, während für den je­wei­li­gen Ar­beit­neh­mer je nach Ta­rif­ge­bun­den­heit nur ei­ner der bei­den Ta­rif­verträge An­wen­dung fin­det (et­wa BAG 24. Ja­nu­ar 1990 - 4 AZR 561/89 - AP TVG § 1 Ta­rif­verträge: Bau Nr. 126 = EzA TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 6; 5. Sep­tem­ber 1990 - 4 AZR 59/90 - AP TVG § 4


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Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 19 = EzA TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 5; 20. März 1991 - 4 AZR 455/90 - zu B II 2 a der Gründe, BA­GE 67, 330; s. auch BAG 14. Ju­ni 1989 - 4 AZR 200/89 - AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 16 = EzA TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 4).

In ei­nem sol­chen Fall ist nach der ge­nann­ten Recht­spre­chung die Ta­rif­ge­bun­den­heit des Ar­beit­ge­bers und die „po­ten­ti­el­le Möglich­keit“ aus­rei­chend, dass ein der ver­trags­sch­ließen­den Ge­werk­schaft an­gehören­der Ar­beit­neh­mer im Be­trieb beschäftigt ist (BAG 14. Ju­ni 1989 - 4 AZR 200/89 - AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 16 = EzA TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 4; 24. Ja­nu­ar 1990 - 4 AZR 561/89 - AP TVG § 1 Ta­rif­verträge: Bau Nr. 126 = EzA TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 6; s. auch BAG 24. Sep­tem­ber 1975 - 4 AZR 471/74 - AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 11; 29. No­vem­ber 1978 - 4 AZR 304/77 - AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 12 = EzA TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 2).

bb) Da­nach be­stand bei der Be­klag­ten für den streit­ge­genständ­li­chen Zeit­raum ei­ne Ta­rifp­lu­ra­lität. Die Be­klag­te war auf­grund ih­rer Mit­glied­schaft im KAV nach § 3 Abs. 1 TVG so­wohl un­mit­tel­bar an den zwi­schen der VKA und der Ge­werk­schaft ver.di ge­schlos­se­nen TVöD/VKA ge­bun­den als auch an den zwi­schen der VKA und dem Mar­bur­ger Bund ge­schlos­se­nen, im Streit­zeit­raum zwi­schen Ok­to­ber und De­zem­ber 2005 im Verhält­nis zwi­schen den Pro­zess­par­tei­en noch voll­wirk­sa­men BAT. Dass der persönli­che Gel­tungs­be­reich des TV-Ärz­te/VKA nicht al­le Ar­beit­neh­mer bei der Be­klag­ten er­fasst, ist für das Vor­lie­gen ei­ner Ta­rifp­lu­ra­lität un­er­heb­lich (vgl. et­wa BAG 26. Ja­nu­ar 1994 - 10 AZR 611/92 - zu II 4 d der Gründe, BA­GE 75, 298). Ob bei der Be­klag­ten ein beschäftig­ter Ar­beit­neh­mer auf­grund ei­ner Mit­glied­schaft in den Ge­werk­schaf­ten, die den TVöD/VKA ge­schlos­sen ha­ben, un­mit­tel­bar ta­rif­ge­bun­den ist, ist nach der dar­ge­stell­ten Recht­spre­chung (un­ter aa) un­er­heb­lich.

b) Nach der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des Se­nats soll in Fällen der Ta­rifp­lu­ra­lität nach dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit in ei­nem Be­trieb nur ein Ta­rif­ver­trag An­wen­dung fin­den. Des­halb sei ei­ne Ta­rifp­lu­ra­lität im Fal­le ei­ner un­mit­tel­ba­ren Ta­rif­ge­bun­den­heit des Ar­beit­ge­bers an ver­schie­de­ne Ta­rif­verträge - sei es auf­grund All­ge­mein­ver­bind­lich­keit oder kraft Or­ga­ni­sa­ti­ons­zu­ge-


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hörig­keit - in al­ler Re­gel da­hin auf­zulösen, dass nach dem Grund­satz der Spe­zia­lität der dem Be­trieb räum­lich, be­trieb­lich, fach­lich und persönlich am nächs­ten ste­hen­de und des­halb den Ei­gen­ar­ten und Er­for­der­nis­sen des Be­triebs und der dar­in täti­gen Ar­beit­neh­mer am bes­ten Rech­nung tra­gen­de Ta­rif­ver­trag den an­de­ren Ta­rif­ver­trag ver­drängt (ausf. BAG 20. März 1991 - 4 AZR 455/90 - zu B II 2 a der Gründe, BA­GE 67, 330, 337; wei­ter­hin BAG 14. Ju­ni 1989 - 4 AZR 200/89 - AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 16 = EzA TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 4; 5. Sep­tem­ber 1990 - 4 AZR 59/90 - AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 19 = EzA TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 5). Der Grund­satz der Ta­rif­ein­heit be­sa­ge, „dass in je­dem Be­trieb grundsätz­lich für al­le in die­sem Be­trieb be­gründe­ten Ar­beits­verhält­nis­se nur ein Ta­rif­ver­trag an­zu­wen­den ist“ (so erst­mals BAG 29. März 1957 - 1 AZR 208/55 - BA­GE 4, 37, 40, al­ler­dings im Hin­blick auf die Auflösung ei­ner Ta­rif­kon­kur­renz; nach­fol­gend BAG 19. De­zem­ber 1958 - 1 AZR 55/58 - AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 6; den Grund­satz der Ta­rif­ein­heit im Hin­blick auf die Si­tua­ti­on ei­ner Ta­rif­kon­kur­renz erwähnt auch BAG 22. Fe­bru­ar 1957 - 1 AZR 536/55 - BA­GE 3, 351; s. wei­ter­hin BAG 29. No­vem­ber 1978 - 4 AZR 304/77 - AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 12 = EzA TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 2).

Der Vier­te Se­nat (s. da­zu BAG 14. Ju­ni 1989 - 4 AZR 200/89 - AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 16 = EzA TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 4; 5. Sep­tem­ber 1990 - 4 AZR 59/90 - AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 19 = EzA TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 5; 20. März 1991 - 4 AZR 455/90 - zu B II 2 a der Gründe, BA­GE 67, 330) hat den Grund­satz der Ta­rif­ein­heit im We­sent­li­chen - wenn auch mit Nu­an­cen in den ein­zel­nen Ent­schei­dun­gen - da­mit be­gründet, dass die­ses letzt­lich auf dem Ord­nungs­ge­dan­ken be­ru­hen­de Prin­zip zwar im Ta­rif­ver­trags­ge­setz kei­nen Nie­der­schlag ge­fun­den ha­be; der Grund­satz fol­ge aber aus den über­ge­ord­ne­ten Prin­zi­pi­en der Rechts­si­cher­heit und Rechts­klar­heit. Das Ta­rif­ver­trags­ge­setz ent­hal­te kei­ne Re­ge­lun­gen für die­sen Fall, wes­halb ei­ne Re­ge­lungslücke be­ste­he. Bei dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit han­de­le es sich um ein all­ge­mein an­er­kann­tes Recht­s­prin­zip. Die Ge­werk­schaft des spe­zi­el­le­ren Ta­rif­ver­tra­ges könne we­gen der größeren Sachnähe das stärke­re Recht für sich in An­spruch neh­men. Die An­wen­dung meh­re­rer Ta­rif­verträge


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ne­ben­ein­an­der führe zu recht­li­chen und tatsächli­chen Un­zu­träglich­kei­ten, die durch den Grund­satz der Ta­rif­ein­heit ver­mie­den würden. Der be­triebs­ein­heit­li­che Vor­rang des spe­zi­el­le­ren Ta­rif­ver­tra­ges ermögli­che „ei­ne recht­lich kla­re und tatsächlich prak­ti­ka­ble Lösung“. Zu­dem wer­de die pro­ble­ma­ti­sche, rein tatsächlich auch nicht im­mer durch­zuführen­de Ab­gren­zung zwi­schen In­halts-und Be­triebs­nor­men ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges (§ 3 Abs. 1 und 2 TVG) ver­mie­den.

Die Fol­gen der Ver­drängung ei­nes all­ge­mei­ne­ren Ta­rif­ver­tra­ges zu Las­ten der hier­an ge­bun­de­nen Ar­beit­neh­mer sei im In­ter­es­se der Rechts­si­cher­heit und Rechts­klar­heit hin­zu­neh­men. Die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer könn­ten durch den Bei­tritt zu der an­de­ren Ge­werk­schaft ta­rif­li­chen Schutz er­lan­gen. Die Si­tua­ti­on un­ter­schei­de sich nicht von der nach § 87 Abs. 1 Ein­lei­tungs­satz Be­trVG, der bei ei­nem ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber die Mit­be­stim­mungs­rech­te des Be­triebs­ra­tes aus­sch­ließe und in­so­weit auch die nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­neh­mer er­fas­se. Das Grund­recht der Ko­ali­ti­ons­frei­heit schütze nur den Kern­be­reich des Ta­rif­ver­trags­sys­tems. Die Ver­drängung ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges berühre die­sen nicht. Sch­ließlich könne die be­trof­fe­ne Ko­ali­ti­on ei­nen noch spe­zi­el­le­ren Ta­rif­ver­trag ab­sch­ließen, für ihn wer­ben und sich ent­spre­chend betäti­gen.

c) Die­se Recht­spre­chung ist in der Li­te­ra­tur über­wie­gend auf Ab­leh­nung ges­toßen (aus der Kom­men­tar­li­te­ra­tur ErfK/Die­te­rich 10. Aufl. Art. 9 GG Rn. 85; ErfK/Fran­zen § 4 TVG Rn. 71; DFL/Kreb­ber 2. Aufl. § 4 TVG Rn. 55 ff.; Löwisch/Rieb­le TVG 2. Aufl. § 4 Rn. 132 ff.; Wie­de­mann/Wank TVG 7. Aufl. § 4 Rn. 271 ff.; Wen­de­ling-Schröder in Kem­pen/Za­chert TVG 4. Aufl. § 4 Rn. 156 ff.; Däubler/Zwan­zi­ger TVG 2. Aufl. § 4 Rn. 940 ff.; wei­ter­hin Wie­de-mann Anm. zu BAG 24. Sep­tem­ber 1975 - 4 AZR 471/74 - AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 11; ders. Anm. zu BAG 29. No­vem­ber 1979 - 4 AZR 304/77 - AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 12; Kon­zen RdA 1978, 146 ff.; Müller NZA 1989, 449, 451 ff.; Reu­ter JuS 1992, 105 ff.; Kraft RdA 1992, 161 ff.; Vogg Anm. zu BAG 20. März 1991 - 4 AZR 455/90 - EzA TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 7; Ho­hen­statt DB 1992, 1678 ff.; Ha­nau/Ka­nia Anm. zu BAG 20. März 1991 - 4 AZR 455/90 - AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 20; Reu­ter JuS 1992, 105 ff.;


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Sal­je SAE 1993, 79 ff.; Lo­ritz ZTR 1993, 91, 98; Mer­ten BB 1993, 572 ff.; Wie­de­mann/Ar­nold ZTR 1994, 399, 402 ff.; Fenn FS Kis­sel 1994 S. 213 ff.; Reichold SAE 1995, 21 ff.; Wank Anm. zu BAG 26. Ja­nu­ar 1994 - 10 AZR 611/92 - EzA TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 9; Koh­te SAE 1996, 14 ff.; Däubler NZA 1996, 225, 230; B. Gaul NZA 1998, 9, 15; Ha­nau RdA 1998, 65, 69 f.; Ja­cobs Ta­rif­ein­heit und Ta­rif­kon­kur­renz 1999 S. 334 ff.; ders. in Ja-cobs/Krau­se/Oet­ker Ta­rif­ver­trags­recht § 7 Rn. 228 ff.; ders. NZA 2008, 325 ff.; ders. FS Buch­ner 2009 S. 343, 343 f.; Waas Ta­rif­kon­kur­renz und Ta­rifp­lu­ra­lität 1999 S. 123 ff., 133 ff.; Wen­de­ling-Schröder Anm. zu LAG Nie­der­sach­sen 12. No­vem­ber 1999 - 3 Sa 780/99 - LA­GE TVG § 4 Ta­rifp­lu­ra­lität Nr. 3; Fran­zen RdA 2001, 1, 7 f.; Band Ta­rif­kon­kur­renz, Ta­rifp­lu­ra­lität und der Grund­satz der Ta­rif­ein­heit 2003 S. 84 ff., 119 ff.; Bay­reu­ther Ta­rif­au­to­no­mie als kol­lek­tiv aus­geübte Pri­vat­au­to­no­mie 2005 S. 370 ff.; ders. BB 2005, 2633, 2639 f.; s. auch ders. NZA 2006, 642, 644 f.; Lin­de­mann/Si­mon BB 2006, 1852, 1855 ff.; Har­wart Ta­rif­kol­li­si­on S. 318 ff.; Reichold RdA 2007, 321, 324 f.; ders. in Leh­mann Ta­rif­verträge der Zu­kunft 2008 S. 146 ff.; Lau­ten­schläger Der Grund­satz der Ta­rif­ein­heit bei Ta­rifp­lu­ra­lität nach dem Em­ploy­ment Re­la­ti­ons Act 1999 Aufl. 2009 S. 32 ff.; Za­chert Anm. zu BAG 22. Ok­to­ber 2008 - 4 AZR 784/07 - AP TVG § 1 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 66; Fran­zen ZfA 2009, 297, 305 ff.; Nie­be­ling/Gründel NZA 2009, 1003 ff.; Dei­nert NZA 2009, 1176 ff.; kri­tisch auch Schaub BB 1995, 2003, 2005; Fried­rich FS Schaub 1998 S. 183, 203; Ri­char­di FS Buch­ner 2009 S. 731, 736; je­den­falls bei so­ge­nann­ter ge-willkürter Ta­rifp­lu­ra­lität kri­tisch Bay­reu­ther in Leh­mann Ta­rif­verträge der Zu­kunft 2008 S. 130, 140 f.; ders. NZA 2007, 187 ff.; Schu­bert FS Wen­de­ling-Schröder 2009 S. 59, 76 f.; Schlie­mann Beil. zu NZA 24/2000 S. 24, 32; ders. FS Hro-ma­d­ka 2008 S. 359, 369 ff.; für Ta­rif­verträge zwi­schen Ge­werk­schaf­ten, die nicht sämt­lich dem DGB an­gehören abl. auch HWK/Hens­s­ler § 4 TVG Rn. 48 f.; den Grund­satz der Ta­rif­ein­heit bei Ta­rifp­lu­ra­lität da­ge­gen befürwor­tend Säcker/Oet­ker ZfA 1993, 1 ff.; Hein­ze/Ri­cken ZfA 2001, 159 ff.; Buch­ner BB 2003, 2121, 2122 ff.; kri­tisch noch ders. RdA 1997, 259, 267; Hromad­ka GD Hein­ze 2005 S. 383 ff.; wei­ter­hin Mey­er DB 2006, 1271 ff.; Wal­lisch FS Löwisch 2007 S. 429 ff., Feud­ner RdA 2008, 104 ff.; Kem­pen FS Hromad­ka 2008


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S. 177, 182 ff.; an­ders noch ders. NZA 2003, 415, 417; Gie­sen NZA 2009, 11 ff.; Koch Zu­satz­ver­sor­gungs­kas­se des Bau­ge­wer­bes 2009 Rn. 203 ff.; Scholz FS Buch­ner 2009 S. 827, 828 ff.).

d) Der Se­nat be­ab­sich­tigt, sei­ne bis­he­ri­ge Recht­spre­chung zur Auflösung ei­ner Ta­rifp­lu­ra­lität nach dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit zu Guns­ten des spe­zi­el­le­ren Ta­rif­ver­tra­ges im Fal­le ei­ner un­mit­tel­ba­ren Ta­rif­ge­bun­den­heit des Ar­beit­ge­bers nach § 3 Abs. 1 TVG auf­zu­ge­ben.

Die Rechts­nor­men ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges, die den In­halt, den Ab­schluss und die Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen ord­nen (§ 1 Abs. 1 TVG), gel­ten nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG in den je­wei­li­gen Ar­beits­verhält­nis­sen ei­nes Be­trie­bes un­mit­tel­bar und zwin­gend. Die­se durch das Ta­rif­ver­trags­ge­setz vor­ge­se­he­ne, auf das ein­zel­ne Ar­beits­verhält­nis be­zo­ge­ne Bin­dung wird nicht da­durch ver­drängt, dass für den Be­trieb kraft Ta­rif­ge­bun­den­heit des Ar­beit­ge­bers nach § 3 Abs. 1 TVG mehr als ein Ta­rif­ver­trag für Ar­beits­verhält­nis­se der­sel­ben Art gilt, für die je­wei­li­gen Ar­beits­verhält­nis­se im Fal­le ei­ner Ta­rif­ge­bun­den­heit ei­nes oder meh­re­rer Ar­beit­neh­mer al­ler­dings je­weils nur ein Ta­rif­ver­trag. Ei­ne sol­che auf­grund un­mit­tel­ba­rer Ta­rif­ge­bun­den­heit nach § 3 Abs. 1 TVG ein­ge­tre­te­ne Ta­rifp­lu­ra­lität kann für die ge­nann­ten Rechts­nor­men nicht nach dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit da­hin­ge­hend auf­gelöst wer­den, dass nur ein Ta­rif­ver­trag für den Be­trieb gilt. Ein sol­cher Rechts­grund­satz be­steht nicht. Ei­ne Ver­drängung der gel­ten­den ta­rif­li­chen Nor­men ist we­der auf­grund prak­ti­scher Schwie­rig­kei­ten noch we­gen ei­ner sonst er­for­der­li­chen Ab­gren­zung von In­halts- und Be­triebs­nor­men ge­bo­ten. Die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Rechts­fort­bil­dung, die zur Ver­drängung ta­rif­li­cher Nor­men führt, sind vor­lie­gend nicht ge­ge­ben. Die Ver­drängung ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges ist auch mit dem Grund­recht der Ko­ali­ti­ons­frei­heit nach Art. 9 Abs. 3 GG nicht zu ver­ein­ba­ren. Ob es sich bei dem TVöD um ei­nen ge­genüber dem BAT spe­zi­el­le­ren Ta­rif­ver­trag han­delt, wie es die Be­klag­te meint, kann des­halb da­hin­ste­hen.

aa) Das Ta­rif­ver­trags­ge­setz ord­net in § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG die un­mit­tel­ba­re und zwin­gen­de Wir­kung der Nor­men ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges im Ar­beits­verhält­nis bei­der­seits Ta­rif­ge­bun­de­ner an. So­fern der Ta­rif­ver­trag von


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ta­riffähi­gen Ko­ali­tio­nen im Rah­men ih­rer Ta­rif­zuständig­keit ge­schlos­sen wur­de, ent­fal­ten die Rechts­nor­men, die den In­halt, den Ab­schluss oder die Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen ord­nen (§ 1 Abs. 1 TVG), un­mit­tel­ba­re und zwin­gen­de Wir­kung zwi­schen den bei­der­seits Ta­rif­ge­bun­de­nen, die un­ter den Gel­tungs­be­reich des Ta­rif­ver­tra­ges fal­len. Die Bin­dung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses an ei­nen Ta­rif­ver­trag nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG be­ruht da­bei auf pri­vat­au­to­no­men Ent­schei­dun­gen. Der In­halt und die ge­setz­lich an­ge­ord­ne­te Wir­kungs­wei­se des Ta­rif­ver­tra­ges er­lan­gen Le­gi­ti­ma­ti­on durch die freie Ent­schei­dung der Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­ge­ber, Mit­glied ei­ner Ko­ali­ti­on zu wer­den (BAG 31. Ju­li 2002 - 7 AZR 140/01 - zu B I 1 der Gründe mwN, BA­GE 102, 65). Der Ab­schluss von Ta­rif­verträgen und die da­mit be­wirk­te Norm­set­zung ist kol­lek­tiv aus­geübte Pri­vat­au­to­no­mie (BAG 18. Ju­li 2006 - 1 ABR 36/05 - Rn. 55, BA­GE 119, 103; 27. No­vem­ber 2002 - 7 AZR 414/01 - zu B I 3 a der Gründe mwN, AP BGB § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 21 = EzA BGB 2002 § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 1; 30. Au­gust 2000 - 4 AZR 563/99 - zu I 2 c der Gründe, BA­GE 95, 277; wei­ter­hin BAG 26. Au­gust 2009 - 4 AZR 294/08 - Rn. 30). Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en und ih­re Mit­glie­der ha­ben da­durch ihr Grund­recht aus Art. 9 Abs. 3 GG wahr­ge­nom­men und Re­ge­lun­gen zu be­stimm­ten Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen ge­schaf­fen. Wer Mit­glied in der ta­rif­ver­trags­sch­ließen­den Ge­werk­schaft ist, will ins­be­son­de­re an den von die­ser in Ta­rif­verträgen ver­ein­bar­ten Min­dest­be­din­gun­gen teil­ha­ben.

Der Um­stand, dass Ar­beit­ge­ber nach § 3 Abs.1 TVG an ver­schie­de­ne Ta­rif­verträge ge­bun­den sein können, hin­dert die un­mit­tel­ba­re und zwin­gen­de Wir­kung nach § 4 Abs. 1 TVG nicht. Da­mit ist es nach dem ein­deu­ti­gen Wort­laut des Ta­rif­ver­trags­ge­set­zes möglich, dass für ver­schie­de­ne Ar­beit­neh­mer im Be­trieb un­ter­schied­li­che Ta­rif­verträge gel­ten (Bay­reu­ther Ta­rif­au­to­no­mie als kol­lek­tiv aus­geübte Pri­vat­au­to­no­mie 2005 S. 379). Ta­rifp­lu­ra­lität ist im Sys­tem des Ta­rif­ver­trags­ge­set­zes an­ge­legt (s. nur Fenn FS Kis­sel 1994 S. 213, 229; Ja­cobs Ta­rif­ein­heit und Ta­rif­kon­kur­renz 1999 S. 375 f.; Kon­zen RdA 1978, 146, 150; Kraft RdA 1992, 161, 166).


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bb) Ei­ne Rechts­grund­la­ge, die ge­setz­lich an­ge­ord­ne­te Rechts­fol­ge ei­ner Ta­rif­ge­bun­den­heit der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en aus­zu­sch­ließen, ob­wohl de­ren ge­setz­li­che Vor­aus­set­zun­gen vor­lie­gen, be­steht nicht.

(1) Der Grund­satz der Ta­rif­ein­heit, für den we­der ei­ne aus­drück­li­che noch ei­ne ge­wohn­heits­recht­lich an­er­kann­te Rechts­grund­la­ge be­steht (an­ders nur Hein­ze/Ri­cken ZfA 2001, 159, 174 ff.), kann nicht auf über­ge­ord­ne­te Prin­zi­pi­en der Rechts­si­cher­heit und Rechts­klar­heit gestützt wer­den (so schon Ha-nau/Ka­nia Anm. AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 20; s. auch Kraft RdA 1992, 162, 166; Kon­zen RdA 1978, 146, 150 ff.; Reu­ter JuS 1992, 105 ff.). Recht­s­prin­zi­pi­en sind lei­ten­de Ge­dan­ken ei­ner mögli­chen oder be­ste­hen­den recht­li­chen Re­ge­lung, je­doch nicht die po­si­ti­ve Re­ge­lung selbst. Ih­nen fehlt die der An­wen­dung auf den Ein­zel­fall fähi­ge Norm mit be­stimm­tem Tat­be­stand und be­stimm­ter Rechts­fol­ge (Bydlin­ski Ju­ris­ti­sche Me­tho­den­leh­re 1982 S. 132; Es­ser Grund­satz und Norm in der rich­ter­li­chen Rechts­fort­bil­dung des Pri­vat­rechts Neu­auf­la­ge 1970 S. 20, 259 ff.; eben­so Ja­cobs Ta­rif­ein­heit und Ta­rif­kon­kur­renz 1999 S. 390 ff.; Ha­nau/Ka­nia Anm. AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 20; Kraft RdA 1991, 161, 166; al­le mwN). Sie können des­halb ei­ne recht­li­che Re­ge­lung nicht un­mit­tel­bar außer Kraft set­zen.

(2) Darüber hin­aus han­delt der dem all­ge­mei­nen Rechts­staats­prin­zip zu­zu­ord­nen­de Grund­satz der Rechts­si­cher­heit von der Klar­heit und Be­stimmt­heit der Nor­men und das Prin­zip der Rechts­klar­heit da­von, dass den Norm un­ter­wor­fe­nen die auf sie und ihr Ver­hal­ten an­zu­wen­den­den Re­geln so klar, be­stimmt und ein­deu­tig vor Au­gen geführt wer­den, dass sie dis­po­nie­ren können (BVerfG 12. Ja­nu­ar 1967 - 1 BvR 169/63 - zu C III 1 a der Gründe, BVerfGE 21, 73; wei­ter­hin BVerfG 19. Fe­bru­ar 1962 - 2 BvR 650/60 - zu II s a der Gründe, BVerfGE 13, 14; 14. Fe­bru­ar 1978 - 2 BvR 406/77 - zu B I 2 a der Gründe, BVerfGE 47, 239). Es geht bei bei­den Prin­zi­pi­en nicht um die prak­ti­schen Aus­wir­kun­gen der An­wen­dung von Nor­men, wie sie die Befürwor­ter des Grund­sat­zes der Ta­rif­ein­heit vor Au­gen ha­ben.

(3) Hin­zu kommt, dass Rechts­klar­heit und Rechts­si­cher­heit durch die Auflösung ei­ner Ta­rifp­lu­ra­lität häufig nicht er­reicht wer­den können. Bis zur


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rechts­kräfti­gen Klärung, wel­cher „spe­zi­el­le­re“ Ta­rif­ver­trag im Be­trieb gilt (zu den un­ter­schied­li­chen Maßstäben anläss­lich der Ta­rif­aus­ein­an­der­set­zung bei der Deut­schen Bahn AG im Jah­re 2007 s. nur die Nw. bei Fran­zen ZfA 2009, 297, 306, Fn. 53), be­ste­hen Un­si­cher­hei­ten über den In­halt des Ar­beits­verhält­nis­ses (Fenn FS Kis­sel 1994 S. 213, 230 f.; Reu­ter JuS 1992, 150, 106 f.; Wen­de­ling-Schröder in Kem­pen/Za­chert TVG 4. Aufl. § 4 Rn. 164; eben­so Ja­cobs Ta­rif­ein­heit und Ta­rif­kon­kur­renz 1999 S. 390 f.; Fran­zen ZfA 2009, 297, 306).

cc) Die Ver­drängung be­ste­hen­der Ta­rif­verträge im Fal­le ei­ner Ta­rifp­lu­ra­lität, an die die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG un­mit­tel­bar ge­bun­den sind, kann nicht im We­ge rich­ter­li­cher Rechts­fort­bil­dung durch ei­nen Grund­satz der Ta­rif­ein­heit be­gründet wer­den. Es be­steht nicht die hierfür not­wen­di­ge plan­wid­ri­ge Lücke im Ge­setz. Die durch den Grund­satz der Rechts- und Ge­set­zes­bin­dung nach Art. 20 Abs. 3 GG ge­zo­ge­nen Gren­zen (da­zu BVerfG 19. Ok­to­ber 1983 - 2 BvR 485/80 und 486/80 - zu II 1 der Gründe, BVerfGE 65, 182) ste­hen ei­ner sol­chen Rechts­fort­bil­dung ent­ge­gen.

(1) Ei­ne plan­wid­ri­ge Ge­set­zeslücke liegt nicht schon dann vor, wenn ein Sach­ver­halt nicht ge­re­gelt ist. Viel­mehr ist er­for­der­lich, dass für den mit dem Ge­setz ver­folg­ten Zweck - dem „ge­setz­ge­be­ri­schen Plan“ - ei­ne Re­ge­lung er­for­der­lich wäre, die­se aber nicht ge­trof­fen wur­de (s. nur Fenn FS Kis­sel 1994 S. 213, 229). Ein even­tu­el­les rechts­po­li­ti­sches Versäum­nis des Ge­setz­ge­bers be­gründet kei­ne der Rechts­fort­bil­dung zugäng­li­che Re­ge­lungslücke. Maßge­bend ist da­bei, ob das Ge­setz nach sei­ner ei­ge­nen Re­ge­lungs­ab­sicht tatsäch­lich un­vollständig ist oder ob die in ihm ge­trof­fe­ne Ent­schei­dung nur rechts­po­li­tisch kri­ti­siert wer­den kann (s. nur La­renz/Ca­na­ris Me­tho­den­leh­re der Rechts­wis­sen­schaft S. 192 ff., 195).

(2) Nach die­sen Maßstäben weist das Ta­rif­ver­trags­ge­setz kei­ne plan­wid­ri­ge Re­ge­lungslücke hin­sicht­lich der An­wend­bar­keit meh­re­rer in ei­nem Be­trieb nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG gel­ten­den Ta­rif­verträge auf, so­weit die ein­zel­nen Ar­beits­verhält­nis­se je­weils nur ei­nem Ta­rif­ver­trag un­ter­lie­gen.


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(a) Ei­ne Lücke im Ta­rif­ver­trags­ge­setz lässt sich nicht an­hand der Ent­ste­hungs­ge­schich­te des Ta­rif­ver­trags­ge­set­zes be­gründen (statt vie­ler Fran­zen ZfA 2009, 297, 305; Ri­char­di FS Buch­ner 2009 S. 731, 736; Ha­nau/Ka­nia Anm. zu BAG 20. März 1991 - 4 AZR 455/90 - AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 20; so­wie ausf. Ja­cobs Ta­rif­ein­heit und Ta­rif­kon­kur­renz 1999 S. 64 ff.). Die An­nah­me, der Ge­setz­ge­ber ha­be ei­ne Ta­rifp­lu­ra­lität we­gen der Ent­wick­lung der Ge­werk­schaf­ten zu Ein­heits­ge­werk­schaf­ten als nicht re­ge­lungs­bedürf­tig an­ge­se­hen und ei­ne ab­wei­chen­de Ent­wick­lung nicht ge­se­hen (so Säcker/Oet­ker ZfA 1993, 1, 7 ff.; eben­so Hromad­ka NZA 2008, 384, 386), wes­halb man nicht da­von aus­ge­hen könne, er ha­be ei­ne Ta­rifp­lu­ra­lität durch § 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG „ab­ge­seg­net“ (Säcker/Oet­ker ZfA 1993, 1, 8), lässt sich auf die Ent­ste­hungs­ge­schich­te des Ta­rif­ver­trags­ge­set­zes nicht stützen.

Der „Stutt­gar­ter Ent­wurf“ des Ar­beits­rechts­aus­schus­ses des Länder­ra­tes vom Ju­li 1948 kann ent­ge­gen der frühe­ren Se­nats­recht­spre­chung (BAG 20. März 1991 - 4 AZR 455/90 - zu B II 2 a der Gründe, BA­GE 67, 330) hier­zu nicht her­an­ge­zo­gen wer­den. So­weit die­ser in § 8 ei­ne Kol­li­si­ons­re­gel für den Fall vor­ge­schla­gen hat­te, dass „ein Ar­beits­verhält­nis in den Gel­tungs­be­reich meh­re­rer Ta­rif­verträge fällt“ (Ma­te­ria­li­en zur Ent­ste­hung des TVG ab­ge­druckt in ZfA 1973, 129 ff.), be­han­delt er ei­ne Ta­rif­kon­kur­renz. Die im Ver­lauf der Ge­setz­ge­bung ge­trof­fe­ne Erwägung, ei­ne nähe­re Aus­ge­stal­tung der Kon­kur­renz­pro­ble­ma­tik der Wis­sen­schaft und der Recht­spre­chung zu über­las­sen, be­zieht sich auf die­se Ta­rif­kon­kur­renz und ge­ra­de nicht auf die der Recht­spre­chung und Wis­sen­schaft schon da­mals be­kann­te (da­zu ausf. et­wa Ja­cobs Ta­rif­ein­heit und Ta­rif­kon­kur­renz 1999 S. 376 f.; Wen­de­ling-Schröder in Kem­pen/Za­chert TVG 4. Aufl. § 4 Rn. 159) Fra­ge der Ta­rifp­lu­ra­lität (Bay­reu­ther Ta­rif­au­to­no­mie als kol­lek­tiv aus­geübte Pri­vat­au­to­no­mie 2005 S. 378 f.; Fran­zen ZfA 2009, 296, 305; Ja­cobs aaO S. 374 ff. mwN in Fn. 250; Ha­nau/Ka­nia Anm. AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 20).

Der his­to­ri­sche Ge­setz­ge­ber ist auch nicht da­von aus­ge­gan­gen, dass ei­ne Ta­rifp­lu­ra­lität im Be­trieb oh­ne­hin nicht ein­tre­ten wer­de, weil sie durch das „Ord­nungs­prin­zip der Ge­werk­schaf­ten“ aus­ge­schlos­sen sei (so Säcker/Oet­ker ZfA 1993, 1, 7 ff., 9). Dem steht schon ent­ge­gen, dass die DAG be­reits im


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Jah­re 1945 ge­gründet wor­den war, der Deut­sche Ge­werk­schafts­bund aber erst am 13. Ok­to­ber 1949, mit­hin mehr als ein hal­bes Jahr nach In­kraft­tre­ten des TVG. Da­mit war das an­geführ­te Ord­nungs­prin­zip der Ge­werk­schaf­ten be­reits auf die Möglich­keit von Ta­rifp­lu­ra­lität an­ge­legt (s. et­wa Schlie­mann FS Hro-ma­d­ka 2008 S. 359, 371).

(b) Auch die ge­setz­li­che Sys­te­ma­tik spricht ge­gen die An­nah­me ei­ner Ge­set­zeslücke. Das folgt auch aus § 3 Abs. 2 TVG, selbst wenn man der Re­ge­lung ei­nen „(sehr ver­hal­te­nen) Hin­weis auf ei­ne Ta­rif­ein­heit im Be­trieb“ (so Bay­reu­ther Ta­rif­au­to­no­mie als kol­lek­tiv aus­geübte Pri­vat­au­to­no­mie 2005 S. 379) ent­neh­men woll­te. § 3 Abs. 2 TVG spricht ge­ra­de dafür, dass der Ge­setz­ge­ber da­von aus­ge­gan­gen ist, In­di­vi­dual­nor­men aus un­ter­schied­li­chen Ta­rif­verträgen fänden in ei­nem Be­trieb ne­ben­ein­an­der An­wen­dung. Denn nur dann ist es er­for­der­lich, für die Be­triebs­nor­men, bei de­nen es ei­ne fort­be­ste­hen­de Ta­rifp­lu­ra­lität nicht ge­ben kann, ei­ne not­wen­dig be­triebs­ein­heit­li­che Re­ge­lung vor­zu­se­hen (s. nur Fran­zen ZfA 2009, 297, 305). Glei­ches gilt für die Gel­tung be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­cher Nor­men nach § 3 Abs. 2 TVG (Bay­reu­ther Ta­rif­au­to­no­mie als kol­lek­tiv aus­geübte Pri­vat­au­to­no­mie 2005 S. 379; s. auch Kraft FS Zöll­ner 1998 S. 831, 836).

(c) Sch­ließlich hat der Ge­setz­ge­ber an die­ser Un­ter­schei­dung zwi­schen In­di­vi­dual­nor­men iSd. § 1, § 3 Abs. 1 TVG und Be­triebs- und be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Nor­men nach § 3 Abs. 2 TVG bei den zwi­schen­zeit­lich er­folg­ten Ände­run­gen des Ta­rif­ver­trags­ge­set­zes (idF der Be­kannt­ma­chung vom 25. Au­gust 1969 [BGBl. I S. 1323], zu­letzt geändert Ar­ti­kel 223 der Ver­ord­nung vom 31. Ok­to­ber 2006 [BGBl. I S. 2407]) fest­ge­hal­ten, wes­halb auch nicht von ei­ner se­kundären oder nachträgli­chen Ge­set­zeslücke aus­ge­gan­gen wer­den kann (s. nur Fran­zen ZfA 2009, 279, 306; aA Hromad­ka NZA 2008, 384, 385 f., 389; Säcker/Oet­ker ZfA 1993, 1, 8 f.).

(d) Der Ge­setz­ge­ber geht zu­dem, wie § 613a Abs. 1 BGB zeigt, da­von aus, dass zwei ver­schie­de­ne Ta­rif­verträge im Be­trieb An­wen­dung fin­den können. Die Ablösung der nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB trans­for­mier­ten Re­ge­lun­gen in das Ar­beits­verhält­nis (da­zu BAG 22. April 2009 - 4 AZR 100/08 - Rn. 61 ff.,


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EzA BGB 2002 § 613a Nr. 110) er­for­dert die kon­gru­en­te Ta­rif­ge­bun­den­heit bei­der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en. Da­nach kann es durch ei­nen Be­triebsüber­gang zu ver­schie­de­nen im Be­trieb an­wend­ba­ren Ta­rif­verträgen kom­men. Ein Ord­nungs­prin­zip der be­trieb­li­chen Ta­rif­ein­heit steht dem nicht ent­ge­gen (BAG 21. Fe­bru­ar 2001 - 4 AZR 18/00 - zu B I 2 b ee [5] der Gründe, BA­GE 97, 107). Die Exis­tenz par­al­lel an­wend­ba­rer ta­rif­ver­trag­li­cher Re­ge­lungs­wer­ke in ei­nem Be­trieb wird da­durch an­er­kannt (s. da­zu auch Koh­te SAE 1996, 14, 17: Ko­exis­tenz als „ge­setz­li­ches Leit­bild“; ähn­lich Ka­nia DB 1996, 1921, 1923).

dd) Die Auflösung ei­ner Ta­rifp­lu­ra­lität durch den Grund­satz der Ta­rif­ein­heit ist nicht im We­ge ei­ner ge­set­zesüber­stei­gen­den Rechts­fort­bil­dung möglich. De­ren Vor­aus­set­zun­gen lie­gen nicht vor.

(1) An­ge­sichts des be­schleu­nig­ten Wan­dels der ge­sell­schaft­li­chen Verhält­nis­se und der be­grenz­ten Re­ak­ti­onsmöglich­kei­ten des Ge­setz­ge­bers gehört die An­pas­sung des gel­ten­den Rechts an veränder­te Umstände zu den Auf­ga­ben der Drit­ten Ge­walt (BVerfG 12. No­vem­ber 1997 - 1 BvR 479/92, 307/94 - zu B I 2 a der Gründe, BVerfGE 96, 375), die nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 ZPO dem Bun­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­wie­sen ist. Die Be­fug­nis zur Rechts­fort­bil­dung be­steht je­doch nicht schran­ken­los, son­dern wird durch Art. 20 Abs. 2 und 3 GG be­grenzt. Mit den Grundsätzen der Ge­wal­ten­tei­lung und Ge­set­zes­bin­dung wäre es nicht ver­ein­bar, wenn sich die Ge­rich­te aus der Rol­le des Nor­m­an­wen­ders in die ei­ner norm­set­zen­den In­stanz be­gäben, al­so ob­jek­tiv be­trach­tet sich der Bin­dung an Ge­setz und Recht entzögen (BVerfG 3. No­vem­ber 1992 - 1 BvR 1243/88 - zu B II 2 b der Gründe, BVerfGE 87, 273, 279 ff.). Die ge­set­zesüber­stei­gen­de Rechts­fort­bil­dung setzt des­halb vor­aus, dass das Ge­setz lücken­haft ist, wo­bei sich die Un­vollständig­keit der recht­li­chen Re­ge­lung nicht wie bei der Ana­lo­gie am Plan des Ge­set­zes selbst, son­dern an den Er­for­der­nis­sen der Ge­samt­rechts­ord­nung misst (BVerfG 14. Fe­bru­ar 1973 - 1 BvR 112/65 - zu C IV 1 der Gründe mwN, BVerfGE 34, 269). Die­se kann sich aus der Ver­fas­sung, ins­be­son­de­re den Grund­rech­ten (BVerfG 12. No­vem­ber 1997 - 1 BvR 479/92, 307/94 - zu B I 2 a der Gründe, aaO) oder ei­nem un­ab­weis­ba­ren Bedürf­nis des Rechts­ver­kehrs er­ge­ben (et­wa


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BGH 14. De­zem­ber 2006 - IX ZR 92/05 - zu II 2 c bb [1] der Gründe, BGHZ 170, 187). Es muss ein­sich­tig ge­macht wer­den können, dass das ge­schrie­be­ne Ge­setz sei­ne Funk­ti­on, ein Rechts­pro­blem zu lösen, nicht mehr erfüllt (BVerfG 14. Fe­bru­ar 1973 - 1 BvR 112/65 - zu C IV 1 der Gründe mwN, aaO). Fra­gen der Zweckmäßig­keit, ins­be­son­de­re der Prak­ti­ka­bi­lität, können ei­ne ge­set­zes-über­stei­gen­de Rechts­fort­bil­dung grundsätz­lich nicht be­gründen (BAG 12. No­vem­ber 1992 - 8 AZR 157/92 - zu I 2 der Gründe, BA­GE 71, 355).

(2) Nach die­sen Grundsätzen lie­gen die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne ge­set­zesüber­stei­gen­de Rechts­fort­bil­dung nicht vor.

(a) Die für den Grund­satz der Ta­rif­ein­heit an­geführ­ten „unüber­wind­li­chen prak­ti­schen Pro­ble­me“ (Zu­sam­men­stel­lung der ver­schie­de­nen ver­wen­de­ten Be­griff­lich­kei­ten et­wa bei Ja­cobs Ta­rif­ein­heit und Ta­rif­kon­kur­renz 1999 S. 393 f. mwN in Fn. 364 ff.) bei der An­wen­dung ver­schie­de­ner Ta­rif­verträge im Be­trieb können die Ver­drängung gel­ten­der Ta­rif­nor­men nicht be­gründen. Sie be­ste­hen teil­wei­se nicht oder sind - durch die Recht­spre­chung - zu lösen.

(aa) Da­bei ist schon frag­lich, ob die An­wen­dung von ver­schie­de­nen Ta­rif­verträgen in ei­nem Be­trieb auch un­ter Berück­sich­ti­gung des tech­ni­schen Fort­schritts wie et­wa der elek­tro­ni­schen Da­ten­ver­ar­bei­tung bei der An­wend­bar­keit der un­ter­schied­li­chen Rechts­nor­men zu größeren Pro­ble­men bei der be­trieb­li­chen Durchführung der Be­stim­mun­gen führt (s. nur Bay­reu­ther NZA 2007, 187, 188 ff.; Mey­er DB 2006, 1271, 1272; Hromad­ka GD Hein­ze S. 283, 287; Reichold RdA 2007, 321, 325; an­ders Buch­ner BB 2003, 2121, 2122). Sol­che wer­den auch vor­lie­gend von der Be­klag­ten we­der an­geführt noch sind sie sonst er­sicht­lich.

(bb) Selbst wenn man bei Auf­recht­er­hal­tung ei­ner Ta­rifp­lu­ra­lität ge­ne­rell von An­wen­dungs- und Durchführungs­pro­ble­men für den Ar­beit­ge­ber aus­ge­hen woll­te, können die­se kei­ne Grund­la­ge für ei­ne ge­set­zesüber­stei­gen­de Rechts­fort­bil­dung sein. Schwie­rig­kei­ten bei der An­wen­dung ei­ner Norm recht­fer­ti­gen nicht de­ren De­ro­ga­ti­on (BAG 10. März 1987 - 8 AZR 146/84 - zu I 7 a der Gründe, BA­GE 54, 232, 240; 26. Ja­nu­ar 1993 - 1 AZR 303/92 - zu II 2 b ee der


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Gründe, AP Be­trVG 1972 § 99 Nr. 102 = EzA Be­trVG 1972 § 99 Nr. 109). Auch rei­chen Zweckmäßig­keits­gründe oder das Ko­or­di­nie­rungs­in­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers al­lein nicht aus (Kraft RdA 1992, 161, 166; Ha­nau/Ka­nia Anm. zu BAG 20. März 1991 - 4 AZR 455/90 - AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 20; Reichold RdA 2007, 321, 324 f.; Wie­de­mann/Wank TVG § 4 Rn. 277). Ei­ne zweck­mäßige­re Hand­ha­bung ver­mag auch kein un­ab­weis­ba­res Ver­kehrs­bedürf­nis zu be­gründen.

(cc) Eben­so kann die an­geführ­te „tatsächlich auch nicht durch­zuführen­de Ab­gren­zung zwi­schen In­halts- und Be­triebs­nor­men ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges(BAG 20. März 1991 - 4 AZR 455/90 - zu B II 2 a der Gründe, BA­GE 67, 330) nicht zur Ver­drängung ta­rif­li­cher Re­ge­lun­gen her­an­ge­zo­gen wer­den.

Die Tren­nung der bei­den Norm­be­rei­che ist in § 3 TVG ge­setz­lich vor­ge­se­hen. Es ist Auf­ga­be der Recht­spre­chung, die­se dif­fe­ren­zie­ren­de ge­setz­li­che Vor­schrift an­zu­wen­den (Wen­de­ling-Schröder in Kem­pen/Za­chert TVG § 4 Rn. 160; Mer­ten BB 1993, 572, 574). Die­se wird in der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts auch wahr­ge­nom­men (vgl. et­wa 27. April 1988 - 7 AZR 593/87 - zu I 3 b der Gründe, BA­GE 58, 183; 26. April 1990 - 1 ABR 84/87 - zu B V der Gründe, BA­GE 64, 368). Ein Ta­rif­ver­trag kann stets In­halts­nor­men, be­trieb­li­che Nor­men und be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Nor­men ent­hal­ten. Auf­grund der un­ter­schied­li­chen Bin­dungs­wir­kung nach § 3 Abs. 1 TVG und § 3 Abs. 2 TVG (da­zu BAG 26. April 1990 - 1 ABR 84/87 - zu B V 2 a der Gründe; aaO) ist für je­de Ta­rif­norm ge­trennt zu prüfen, um wel­che Art von Norm es sich han­delt (BAG 21. Ja­nu­ar 1987 - 4 AZR 486/86 - AP GG Art. 9 Nr. 46). Das gilt schon für Be­trie­be, in de­nen der Ar­beit­ge­ber nur an ei­nen Ta­rif­ver­trag ge­bun­den ist. Auch dann muss auf­grund der un­ter­schied­li­chen Ge­bun­den­heit nach § 3 Abs. 1 und § 3 Abs. 2 TVG fest­ge­stellt wer­den, wel­che Art von ta­rif­li­cher Re­ge­lung vor­liegt. Das Er­for­der­nis würde in glei­cher Wei­se im Fal­le ei­nes nach dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit ver­dräng­ten Ta­rif­ver­tra­ges be­ste­hen, weil für die an ihn ge­bun­de­nen Ar­beit­neh­mer fest­ge­stellt wer­den müss­te, wel­che Be­triebs- und be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Nor­men des an­de­ren Ta­rif­ver-


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tra­ges im Verhält­nis zu ih­nen nor­ma­tiv gel­ten und wel­che Nor­men die­ses Ta­rif­ver­tra­ges, weil es sich um In­halts­nor­men han­delt, nicht oh­ne wei­te­res.

(b) Die un­zulässi­ge Fra­ge nach der Ge­werk­schafts­zu­gehörig­keit bei der Ein­stel­lung (da­zu BAG 2. Ju­ni 1987 - 1 AZR 651/85 - BA­GE 54, 353; 28. März 2000 - 1 ABR 16/99 - BA­GE 94, 169) führt im Fal­le ei­ner Ta­rifp­lu­ra­lität nicht zu „tatsächli­chen Un­zu­träglich­kei­ten“.

Die Ge­werk­schafts­mit­glied­schaft ist stets von Be­deu­tung, wenn der Ar­beit­neh­mer ta­rif­li­che Leis­tungs­pflich­ten des Ar­beit­ge­bers kraft un­mit­tel­ba­rer Ta­rif­gel­tung be­an­sprucht (s. nur Wank Anm. zu EzA TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 9). Auch im Fal­le der Auflösung der Ta­rifp­lu­ra­lität durch Ver­drängung ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges wäre zu er­mit­teln, wer an den spe­zi­el­le­ren Ta­rif­ver­trag ge­bun­den ist (Wie­de­mann/Ar­nold ZTR 1994, 443, 445). Selbst wenn man trotz des Schut­zes durch § 612a BGB (da­zu Ha­nau/Ka­nia Anm. zu AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 20) ei­ne Of­fen­ba­rungs­pflicht im lau­fen­den Ar­beits­verhält­nis nicht an­er­kennt, bleibt es dem Ar­beit­ge­ber un­be­nom­men, zunächst nur die­je­ni­gen Leis­tun­gen zu er­brin­gen, die den Nicht- oder An­der­s­or­ga­ni­sier­ten zu­ste­hen (Wie­de­mann/Wank TVG § 4 Rn. 277; Wen­de­ling-Schröder in Kem-pen/Za­chert TVG § 4 Rn. 162; Dan­ne SAE 1998, 111, 115; Bay­reu­ther BB 2005, 2633, 2640 m. Fn. 68). Im Streit­fal­le ist der Ar­beit­neh­mer nach den all­ge­mei­nen Grundsätzen ge­hal­ten, sei­ne Ta­rif­ge­bun­den­heit dar­zu­le­gen und ggf. zu be­wei­sen, wenn er ta­rif­ver­trag­li­che Rech­te gel­tend macht (s. nur jüngst Ne­be­ling/Gründel NZA 2009, 1003, 1004). Nichts an­de­res gilt im Übri­gen im Recht der schwer­be­hin­der­ten Men­schen. So­weit dort ein­schlägi­ge Rech­te oder Ansprüche gel­tend ge­macht wer­den, sind auch in die­sem Rechts­be­reich kei­ne Un­zu­träglich­kei­ten an­ge­mahnt wor­den (Ja­cobs Ta­rif­ein­heit und Ta­rif­kon­kur­renz 1999 S. 407).

(c) Der Grund­satz der Ta­rif­ein­heit in Fällen ei­ner Ta­rifp­lu­ra­lität kann als ge­set­zesüber­stei­gen­de Rechts­fort­bil­dung nicht des­halb ge­recht­fer­tigt wer­den, weil sonst durch dro­hen­de „ständi­ge kaum sinn­voll hand­hab­ba­re Ta­rif­aus­ein­an­der­set­zun­gen und ständi­ge Streiks mit ver­hee­ren­den Aus­wir­kun­gen“ (Hromad­ka NZA 2008, 383, 387) ei­ne Funk­ti­ons­unfähig­keit des Ta­rif­ver­trags-


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sys­tems ein­tre­te. Al­lein ein als möglich an­ge­se­he­ner „Über­bie­tungs­wett­be­werb“ der Ge­werk­schaf­ten oder Funk­ti­ons­ver­lust der Frie­dens­pflicht bei nicht ab­ge­stimm­ten Ta­rif­ver­hand­lun­gen (Hromad­ka GD Hein­ze 2005, S. 384, 388; ähn­lich Mey­er DB 2006, 1271, 1272 f.; ders. NZA 2006, 1387, 1390; Ot­to FS Kon­zen 2006 S. 663 ff.; s. auch Sach­verständi­gen­rat zur Be­gut­ach­tung der ge­samt­wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung Jah­res­gut­ach­ten 2007/2008 [2007] S. 36 ff.) oder ei­ne befürch­te­te Ver­viel­fa­chung von Ar­beitskämp­fen (Gie­sen NZA 2009, 11, 15 f., 17; s. auch Feud­ner RdA 2008, 104, 105) sind kei­ne hin­rei­chen­den Ge­sichts­punk­te, die die Ver­drängung ei­nes gel­ten­den Ta­rif­ver­tra­ges im We­ge der ge­set­zesüber­stei­gen­den Rechts­fort­bil­dung le­gi­ti­mie­ren könn­ten.

(aa) Un­abhängig von der Fra­ge, ob tatsächlich An­halts­punk­te für ei­nen Funk­ti­ons­ver­lust des Ta­rif­ver­trags­sys­tems aus den vor­ge­brach­ten Be­sorg­nis­sen ge­fol­gert wer­den können, han­delt es sich hier­bei um Rechts­fra­gen des Ar­beits­kampf­rechts, nicht aber um sol­che des Ta­rif­rechts zur Auflösung ei­ner mögli­chen Ta­rifp­lu­ra­lität.

Der Ar­beits­kampf gehört zu den ver­fas­sungs­recht­lich geschütz­ten Mit­teln, weil von ihm die Ver­fol­gung ei­nes we­sent­li­chen Ko­ali­ti­ons­zwecks, der Ab­schluss von Ta­rif­verträgen, abhängt. Ar­beits­kampf­maßnah­men wer­den je­den­falls in­so­weit vom Grund­recht der Ko­ali­ti­ons­frei­heit geschützt, als sie all­ge­mein er­for­der­lich sind, um ei­ne funk­tio­nie­ren­de Ta­rif­au­to­no­mie si­cher­zu­stel­len (BVerfG 26. Ju­ni 1991 - 1 BvR 779/85 - zu C I 1 a der Gründe mwN, BVerfGE 84, 212; BAG 22. Sep­tem­ber 2009 - 1 AZR 972/08 - Rn. 33, EzA GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 143). Schon auf­grund die­ser Funk­ti­ons­be­zo­gen­heit des Ar­beits­kampf­rechts folgt nicht das Ta­rif­recht dem Ar­beits­kampf­recht, son­dern viel­mehr das Ar­beits­kampf­recht dem Ta­rif­recht (eben­so Dei­nert NZA 2009, 1176, 1182, mwN in Fn. 101; Fran­zen ZfA 2009, 297, 311; wohl auch Bay­reu­ther NZA 2008, 12, 15 ff.). Et­wai­ge Rechts­fra­gen des Ar­beits­kampf­rechts in­fol­ge ei­ner be­ste­hen­den Ta­rifp­lu­ra­lität sind in die­sem Rechts­be­reich zu lösen (s. im hie­si­gen Zu­sam­men­hang et­wa die Beiträge von Bay­reu­ther NZA 2008, 12 ff.; Gie­sen NZA 2009, 11, 14 ff.; Hir­di­na NZA 2009; 997 ff.; Ja­cobs FS


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Buch­ner 2009 S. 342 ff.; Mey­er FS Adom­eit 2008 S. 459 ff.; von St­ein­au-St­einrück/Glanz NZA 2009, 113 ff.). Sie sind nicht ge­eig­net, die Auflösung ei­ner Ta­rifp­lu­ra­lität durch Ver­drängung der Re­ge­lun­gen ei­nes voll­wirk­sa­men Ta­rif­ver­tra­ges nach dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit zu recht­fer­ti­gen.

Des­halb muss der Se­nat vor­lie­gend auch nicht darüber be­fin­den, ob die Ver­drängung ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges nach dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit über­haupt ge­eig­net wäre, die an­geführ­ten Sze­na­ri­en zu ver­hin­dern oder ob er nicht viel­mehr zunächst ein­mal Ta­rifp­lu­ra­lität, al­so den Ab­schluss meh­re­rer Ta­rif­verträge über den­sel­ben Re­ge­lungs­ge­gen­stand, ge­ra­de vor­aus­setzt (so BAG 14. De­zem­ber 2004 - 1 ABR 51/03 - Rn. 63, BA­GE 113, 82; s. auch BAG 20. März 1991 - 4 AZR 455/90 - zu B II 2 b der Gründe, BA­GE 67, 330, wo­nach es der Ko­ali­ti­on un­be­nom­men ist, sich um den Ab­schluss ei­nes spe­zi­el­le­ren, den kon­kur­rie­ren­den Ta­rif­ver­trag ver­drängen­den Ta­rif­ver­tra­ges zu bemühen). Es kann wei­ter­hin da­hin­ste­hen, ob ei­ner kon­kur­rie­ren­den Ko­ali­ti­on im Hin­blick auf das nach Art. 9 Abs. 3 GG gewähr­leis­te­te Grund­recht der kol­lek­ti­ven Ko­ali­ti­ons­frei­heit die Be­fug­nis zur im Zwei­fel kampf­wei­sen Durch­set­zung ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges tatsächlich ab­ge­spro­chen wer­den kann (ab­leh­nend Bay­reu­ther NZA 2006, 642, 646 f.; Dei­nert NZA 2009, 1176, 1180 f., 1182; Fran­zen ZfA 2009, 297, 311, mwN in Fn. 78; Ja­cobs NZA 2008, 325, 329; deut­lich Reichold RdA 2007, 321, 327: „wag­hal­si­ge, dog­ma­tisch mehr­fach un­schlüssi­ge Konst-ruk­ti­on“; s. auch die Fall­ge­stal­tung in BAG 26. Ok­to­ber 1971 - 1 AZR 113/68 - zu A II 3 b der Gründe, BA­GE 23, 484).

(bb) Es ist der­zeit auch nicht er­sicht­lich, dass das gel­ten­de Ta­rif­ver­trags­sys­tem sei­ne Funk­ti­on im Fal­le von Ta­rifp­lu­ra­litäten, zu de­nen es tatsächlich schon ge­kom­men ist und die auch tatsächlich prak­ti­ziert wer­den, nicht mehr wahr­neh­men kann, so dass ei­ne Rechts­fort­bil­dung nach den ge­nann­ten Grund­sätzen vor­lie­gend auch des­halb aus­schei­det.

ee) Un­ge­ach­tet der feh­len­den Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Rechts­fort­bil­dung, die zur Ver­drängung ei­nes nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG un­mit­tel­bar und zwin­gend gel­ten­den Ta­rif­ver­tra­ges nach dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit führen


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könn­te, wäre ei­ne sol­che mit dem Grund­recht der Ko­ali­ti­ons­frei­heit nach Art. 9 Abs. 3 GG auch nicht zu ver­ein­ba­ren.

(1) Die in den Ent­schei­dun­gen des Se­nats zur Be­gründung des Grund­sat­zes der Ta­rif­ein­heit ver­tre­te­ne Auf­fas­sung ei­ner Be­schränkung des Grund­rechts­schut­zes der Ko­ali­ti­on durch Art. 9 Abs. 3 GG auf ei­nen „Kern­be­reich des Ta­rif­ver­trags­sys­tems“ (oben un­ter 2 mwN) kann nicht mehr her­an­ge­zo­gen wer­den. Der Schutz­be­reich von Art. 9 Abs. 3 GG ist nicht von vorn­her­ein auf ei­nen Kern­be­reich sol­cher ko­ali­ti­ons­gemäßer Betäti­gun­gen be­schränkt, die für die Er­rei­chung des Ko­ali­ti­ons­zwecks un­erläss­lich sind. Er er­streckt sich viel­mehr auf al­le ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­schen Ver­hal­tens­wei­sen (grdl. BVerfG 14. No­vem­ber 1995 - 1 BvR 601/92 - zu B I 3 b der Gründe, BVerfGE 93, 352; wei­ter­hin BVerfG 24. Fe­bru­ar 1999 - 1 BvR 123/93 - zu B II 2 b aa der Gründe, BVerfGE 100, 214; 6. Fe­bru­ar 2007 - 1 BvR 978/05 - zu II 2 a der Gründe, NZA 2007, 394; BAG 22. Sep­tem­ber 2009 - 1 AZR 972/08 - Rn. 33, EzA GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 143; 20. Ja­nu­ar 2009 - 1 AZR 515/08 - Rn. 39, AP GG Art. 9 Nr. 137 = EzA GG Art. 9 Nr. 96; 18. März 2009 - 4 AZR 64/08 - Rn. 117, AP TVG § 3 Nr. 41 = EzA GG Art. 9 Nr. 98; 28. Fe­bru­ar 2006 - 1 AZR 460/04 - Rn. 40, BA­GE 117, 137). So­weit die Ver­fol­gung des Ko­ali­ti­ons­zwecks von dem Ein­satz be­stimm­ter Mit­tel abhängt, wer­den auch die­se vom Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG um­fasst (BVerfG 26. Ju­ni 1991 - 1 BvR 779/85 - zu C I 1 a der Gründe, BVerfGE 84, 212). Die Ko­ali­tio­nen müssen ih­ren ver­fas­sungs­recht­lich an­er­kann­ten Zweck, die Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen ih­rer Mit­glie­der zu wah­ren und zu fördern, ins­be­son­de­re durch den Ab­schluss von Ta­rif­ver­trägen erfüllen können (s. nur BVerfG 4. Ju­li 1995 - 1 BvF 2/86 ua. - zu C I 1 a der Gründe, BVerfGE 92, 365; eben­so BVerfG 10. Ja­nu­ar 1995 - 1 BvF 1/90 ua. - zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 92, 26).

(2) Die Ver­drängung ei­nes von ei­ner Ge­werk­schaft ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­tra­ges nach dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit stellt so­wohl ei­nen nicht ge­recht­fer­tig­ten Ein­griff in die kol­lek­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit der ta­rif­sch­ließen­den Ge­werk­schaft als auch in die in­di­vi­du­el­le Ko­ali­ti­ons­frei­heit des an die­sen ge­bun­de­nen Ge­werk­schafts­mit­glieds dar.


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(a) Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts und des Bun­des­ar­beits­ge­richts schützt das Dop­pel­grund­recht des Art. 9 Abs. 3 GG zum ei­nen den Ein­zel­nen in sei­ner Frei­heit, ei­ne Ver­ei­ni­gung zur Wah­rung der Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen zu gründen, ihr bei­zu­tre­ten oder sie zu ver­las­sen. Geschützt ist zum an­de­ren auch die Ko­ali­ti­on selbst in ih­rem Be­stand, ih­rer or­ga­ni­sa­to­ri­schen Aus­ge­stal­tung und ih­ren Betäti­gun­gen, so­fern die­se der Förde­rung der Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen die­nen (s. nur BVerfG 6. Fe­bru­ar 2007 - 1 BvR 978/05 - zu II 2 a der Gründe mwN, NZA 2007, 394; BAG 19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 396/06 - Rn. 11 mwN, BA­GE 123, 134). Der Schutz er­streckt sich auf al­le ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­schen Ver­hal­tens­wei­sen und um­fasst ins­be­son­de­re die Ta­rif­au­to­no­mie, die im Zen­trum der den Ko­ali­tio­nen ein­geräum­ten Möglich­kei­ten zur Ver­fol­gung ih­rer Zwe­cke steht (BVerfG 4. Ju­li 1995 - 1 BvF 2/86 ua. - zu C I 1 a der Gründe, BVerfGE 92, 365; 29. De­zem­ber 2004 - 1 BvR 2283/03 ua. - zu C II 3 a der Gründe, AP AEntG § 3 Nr. 2; 10. Sep­tem­ber 2004 - 1 BvR 1191/03 - zu B II 1 der Gründe mwN, AP GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 167 = EzA GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 136; BAG 22. Sep­tem­ber 2009 - 1 AZR 972/08 - Rn. 33, EzA GG Art.9 Ar­beits­kampf Nr. 143). Beim Ab­schluss von Ta­rif­verträgen sol­len die Ge­werk­schaf­ten frei sein (BVerfG 26. Ju­ni 1991 - 1 BvR 779/85 - zu C I 1 a der Gründe mwN, BVerfGE 84, 212). Sie können da­her selbst be­stim­men, mit wem, für wel­chen Ar­beit­neh­mer­kreis und für wel­che Un­ter­neh­men oder wel­chen Be­trieb sie im Rah­men ih­rer Ta­rif­zuständig­keit ei­nen Ta­rif­ver­trag ab­sch­ließen möch­ten. Sie sind nicht auf ei­nen Kern­be­reich un­erläss­li­cher ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­scher Maßnah­men und da­mit mögli­cher­wei­se auf den Ab­schluss spe­zi­el­le­rer Ta­rif­verträge be­schränkt.

In die­se Grund­rechts­po­si­ti­on der Ge­werk­schaf­ten greift die Auflösung ei­ner Ta­rifp­lu­ra­lität nach dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit ein, da sie die un­mit­tel­ba­re und zwin­gen­de Wir­kung des we­ni­ger spe­zi­el­len Ta­rif­ver­tra­ges außer Kraft setzt. Die Ver­drängung ei­nes nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG gel­ten­den Ta­rif­ver­tra­ges zur Auflösung ei­ner Ta­rifp­lu­ra­lität nach dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit stellt ei­nen Ein­griff in das Grund­recht der Ko­ali­ti­ons­frei­heit dar (so auch BVerfG 24. April 1996 - 1 BvR 712/86 - zu C I 2 der Gründe, BVerfGE 94, 268, im Fal­le des § 57a HRG, der die Nrn. 1 und 2 SR 2y BAT außer Kraft


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setz­te; wei­ter­hin BVerfG 3. April 2001 - 1 BvL 32/97 - zu B 2 der Gründe, BVerfGE 103, 293, zur Re­ge­lung in § 10 BUrlG aF; so­wie BVerfG 10. Ja­nu­ar 1995 - 1 BvF 1/90 ua. - zu B II 1 c aa der Gründe, BVerfGE 92, 26, zu § 21 Abs. 4 Satz 3 FlRG; BAG 20. April 1999 - 1 ABR 72/98 - zu II 2 b bb der Gründe, BA­GE 91, 210). Durch die Ver­drängung ei­nes gel­ten­den Ta­rif­ver­tra­ges nach dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit wird in das durch das Ta­rif­ver­trags­ge­setz be­reits aus­ge­stal­te­te Grund­recht der Ko­ali­ti­ons­frei­heit (zur Aus­ge­stal­tung von Art. 9 Abs. 3 GG durch das TVG s. nur BVerfG 18. No­vem­ber 1954 - 1 BvR 629/52 - zu C 2 b aa der Gründe, BVerfGE 4, 96, 106; an­ders Hromad­ka NZA 2008, 384, 387; Buch­ner BB 2003, 2121, 2128; die bei­de le­dig­lich ei­ne Aus­ge­stal­tung der Ko­ali­ti­ons­frei­heit an­neh­men), von dem die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en durch den Ab­schluss ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges be­reits Ge­brauch ge­macht ha­ben, der­ge­stalt ein­ge­grif­fen, dass die kon­kre­te Rechts­po­si­ti­on - die Gel­tung des Ta­rif­ver­tra­ges - nur auf­grund der Ko­ali­ti­ons­rechts­ausübung durch ei­ne an­de­re kon­kur­rie­ren­de Or­ga­ni­sa­ti­on wie­der ent­zo­gen wird (En­gels RdA 2008, 331, 334 f. mwN in Fn. 75; Bur­kicz­ak Grund­ge­setz und De­re­gu­lie­rung des Ta­rif­ver-trags­rechts 2006 S. 171, 253 ff.; Fran­zen ZfA 2009, 297, 304, 309; Ja­cobs Ta­rif­ein­heit und Ta­rif­kon­kur­renz 1999 S. 439).

Da­mit wird ein von den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en er­strit­te­nes Ver­hand­lungs­er­geb­nis zu Las­ten der Ge­werk­schaft ab­geändert und ihr Er­folg nachträglich bei ei­nem Fir­men­ta­rif­ver­trag ganz oder bei ei­nem Flächen­ta­rif­ver­trag zu­min­dest teil­wei­se ent­wer­tet. Der Ab­schluss von Ta­rif­verträgen für al­le bei ei­ner Ge­werk­schaft or­ga­ni­sier­ten Ar­beit­neh­mer ist aber zen­tra­ler Be­stand­teil ih­rer Ko­ali­ti­ons­frei­heit (BVerfG 10. Ja­nu­ar 1995 - 1 BvF 1/90 ua. - zu B II 1 c bb der Gründe, BVerfGE 92, 26). Die Ent­wer­tung die­ser ih­rer Ko­ali­ti­ons­rechts-ausübung kann ih­re Ver­hand­lungs­po­si­ti­on für die Zu­kunft eben­so schwächen wie ih­re At­trak­ti­vität, Mit­glie­der zu wer­ben oder zu er­hal­ten. Durch sol­che Fol­gen wird die Ta­rif­au­to­no­mie be­ein­träch­tigt (BVerfG 3. April 2001 - 1 BvL 32/97 - zu B 2 der Gründe, BVerfGE 103, 293). Durch die Ver­drängung der­je­ni­gen ta­rif­li­chen Re­ge­lun­gen, die ge­genüber ei­nem be­reits für den Ar­beit­ge­ber gel­ten­den Ta­rif­ver­trag nicht spe­zi­el­ler sind, kann der Zu­gang zu ei­nem be­stimm­ten Be­trieb, Un­ter­neh­men, uU zu ei­nem gan­zen Wirt­schafts­zweig


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ver­sperrt wer­den (Wie­de­mann/Wank TVG § 4 Rn. 277), wo­durch auch die Ko­ali­ti­ons­be­stands­ga­ran­tie be­trof­fen wer­den kann. Denn die Er­hal­tung und der Aus­bau des Mit­glie­der­be­stan­des sind als be­stands­si­chern­de Maßnah­men vom Grund­recht der Ko­ali­ti­ons­frei­heit er­fasst (BVerfG 14. No­vem­ber 1995 - 1 BvR 601/92 - zu B I 1 der Gründe, BVerfGE 93, 352).

(b) Die Auflösung ei­ner Ta­rifp­lu­ra­lität greift zu­dem in die in­di­vi­du­el­le po­si­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit der Mit­glie­der der­je­ni­gen Ge­werk­schaft ein, die den ver­dräng­ten Ta­rif­ver­trag ge­schlos­sen hat (Ja­cobs Ta­rif­ein­heit und Ta­rif­kon­kur­renz 1999 S. 442 mwN in Fn. 646; so schon Kon­zen RdA 1978, 145, 148: „Verkürzung des Ta­rif­schut­zes“). Die in­di­vi­du­el­le Ko­ali­ti­ons­frei­heit um­fasst nicht nur das Recht, sich zu Ko­ali­tio­nen zu­sam­men­zu­sch­ließen und sich für sie zu betäti­gen, son­dern - als Haupt­zweck der Mit­glied­schaft - den Schutz der von der aus­gewähl­ten Ko­ali­ti­on ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge in An­spruch neh­men zu können.

(3) Al­len­falls zum Schutz von glei­cher­maßen ver­fas­sungs­recht­lich gewähr­leis­te­ten Rechtsgütern und Ge­mein­wohl­be­lan­gen kann die von Art. 9 Abs. 3 ga­ran­tier­te Ko­ali­ti­ons­frei­heit, ob­wohl oh­ne Ge­set­zes­vor­be­halt verbürgt, ein­ge­schränkt wer­den (BVerfG 6. Fe­bru­ar 2007 - 1 BvR 978/05 - zu II 2 a der Gründe mwN, NZA 2007, 394; 26. Ju­ni 1991 - 1 BvR 779/85 - zu C I 3 a der Gründe mwN, BVerfGE 84, 212). Al­ler­dings dürfen dem Betäti­gungs­recht der Ko­ali­ti­on nur sol­che Schran­ken ge­zo­gen wer­den, die im kon­kre­ten Fall zum Schutz der be­trof­fe­nen Rechtsgüter von der Sa­che her ge­bo­ten sind (BVerfG 6. Fe­bru­ar 2007 - 1 BvR 978/05 - aaO; 14. No­vem­ber 1995 - 1 BvR 601/92 - zu B I 3 b der Gründe mwN, BVerfGE 93, 352). Die da­zu er­for­der­li­che Aus­ge­stal­tung der Ko­ali­ti­ons­frei­heit durch die Rechts­ord­nung ob­liegt in ers­ter Li­nie dem Ge­setz­ge­ber (BVerfG 24. Mai 1977 - 2 BvL 11/74 - zu B II 1 b bb der Gründe mwN, BVerfGE 44, 322; BAG 20. Ja­nu­ar 2009 - 1 AZR 515/08 - Rn. 40, AP GG Art. 9 Nr. 137 = EzA GG Art. 9 Nr. 96). Dort, wo die ge­setz­li­chen Vor­ga­ben - wie et­wa auf dem Ge­biet des Ar­beits­kampf­rechts - un­zu­rei­chend sind oder feh­len, ha­ben an­stel­le des Ge­setz­ge­bers die Ge­rich­te für ei­ne sach-


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ge­rech­te Aus­ge­stal­tung der Betäti­gungs­frei­heit zu sor­gen (BVerfG 26. Ju­ni 1991 - 1 BvR 779/85 - zu C I 2 a der Gründe, BVerfGE 84, 212).

Da­bei ist je­doch dar­auf zu ach­ten, dass Ein­schränkun­gen der ver­fas­sungs­recht­lich ga­ran­tier­ten Betäti­gungs­frei­heit der Ko­ali­tio­nen nur dann mit Art. 9 Abs. 3 GG ver­ein­bar sind, wenn sie ent­we­der dem Schutz des je­wei­li­gen Ko­ali­ti­ons­part­ners und da­mit ge­ra­de der Er­hal­tung der Funk­ti­onsfähig­keit der Ta­rif­au­to­no­mie oder dem Schutz der Grund­rech­te Drit­ter die­nen oder sie durch die Rück­sicht auf an­de­re Rech­te mit Ver­fas­sungs­rang ge­recht­fer­tigt sind (BVerfG 26. Ju­ni 1991 - 1 BvR 779/85 - zu C I 3 a der Gründe, aaO; 24. April 1996 - 1 BvR 712/86 - zu C II 1 der Gründe, BVerfGE 94, 368).

(4) Der durch ei­ne Ver­drängung ta­rif­li­cher Re­ge­lun­gen er­folg­te Ein­griff in die in­di­vi­du­el­le und die kol­lek­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit ist nach den vor­ge­nann­ten Maßstäben nicht ge­recht­fer­tigt.

(a) Die Not­wen­dig­keit der Auflösung ei­ner Ta­rifp­lu­ra­lität kann nicht da­mit be­gründet wer­den, es han­de­le sich bei dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit um ei­nen „rich­tungs­wei­sen­den Maßstab recht­li­cher Nor­mie­rung“, der vor Art. 9 Abs. 3 GG be­ste­hen könne (Hromad­ka GD Hein­ze 2005, 383, 393; an­ders be­reits Ha­nau/Ka­nia Anm. zu BAG 20. März 1991 - 4 AZR 455/90 - AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 20). Wei­ter­hin kann auch nicht ei­ne „ver­fas­sungs­recht­lich an­er­kann­te Ord­nungs­funk­ti­on des Ta­rif­we­sens“ als mögli­che Grund­la­ge her­an­ge­zo­gen wer­den (so aber Ha­nau RdA 2008, 98, 99). We­der dem Ta­rif­ver­trags-ge­setz noch dem Grund­recht der Ko­ali­ti­ons­frei­heit nach Art. 9 Abs. 3 GG kann ei­ne recht­lich ver­bind­li­che Vor­ga­be der be­triebs­ein­heit­li­chen Gel­tung von den­je­ni­gen Ta­rif­nor­men, die den In­halt, den Ab­schluss und die Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen ord­nen, ent­nom­men wer­den. Die mit dem Ko­ali­ti­ons­grund­recht ver­bun­de­ne Ziel­vor­stel­lung der „sinn­vol­len Ord­nung des Ar­beits­le­bens“ be­inhal­tet kei­ne recht­lich vor­ge­ge­be­ne Ord­nung, wo­nach ta­rif­li­che Nor­men be­triebs­ein­heit­lich gel­ten müss­ten, die vor­lie­gend ei­ne Ein­schränkung der grund­recht­li­chen Frei­hei­ten recht­fer­ti­gen könn­te. Die Ord­nungs­funk­ti­on von Ta­rif­verträgen ist ent­spre­chend der von Ver­fas­sung we­gen vor­ge­ge­be­nen


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mit­glied­schaft­li­chen Struk­tur der Ko­ali­tio­nen nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG auf die un­mit­tel­bar Ta­rif­ge­bun­de­nen be­schränkt.

(aa) Die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschütz­te Ta­rif­au­to­no­mie ver­folgt den im öffent­li­chen In­ter­es­se lie­gen­den Zweck, dem von der staat­li­chen Rechts­set­zung aus­ge­spar­ten Raum des Ar­beits­le­bens im ein­zel­nen durch Ta­rif­verträge au­to­nom zu re­geln (BVerfG 24. Mai 1977 - 2 BvL 11/74 - zu B II 1 b bb der Gründe, BVerfGE 44, 322; grdl. BVerfG 18. No­vem­ber 1954 - 1 BvR 629/52 - zu C 2 b bb der Gründe, BVerfGE 4, 96; wei­ter­hin et­wa BVerfG 6. Mai 1964 - 1 BvR 79/62 - zu B I 2 der Gründe, BVerfGE 18, 18; 1. März 1979 - 1 BvR 532/77 ua. - zu C IV 1, 2 b cc der Gründe, BVerfGE 50, 290; 20. Ok­to­ber 1981 - 1 BvR 404/78 - zu B I der Gründe, BVerfGE 58, 233; 2. März 1993 - 1 BvR 1213/85 - zu C II 1 der Gründe, BVerfGE 88, 103; 4. Ju­li 1995 - 1 BvF 2/86 - zu C I 2 c der Gründe, BVerfGE 92, 365). Bei die­ser Zweck­ver­fol­gung durch den Ab­schluss von Ta­rif­verträgen sol­len die Ver­ei­ni­gun­gen nach dem Wil­len des Grund­ge­set­zes frei sein (BVerfG 26. Ju­ni 1991 - 1 BvR 779/85 - zu C I 1 a der Gründe mwN, BVerfGE 84, 212).

Mit dem Ta­rif­ver­trags­ge­setz hat der Ge­setz­ge­ber die Vor­aus­set­zun­gen für ein ge­setz­lich ge­si­cher­tes ta­rif­ver­trag­li­ches Re­ge­lungs­ver­fah­ren in Aus­ge­stal­tung der ver­fas­sungs­recht­lich ab­ge­si­cher­ten Ta­rif­au­to­no­mie ge­schaf­fen (so schon BVerfG 18. No­vem­ber 1954 - 1 BvR 629/52 - zu C 2 b aa der Gründe, BVerfGE 4, 96). Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en re­geln auf des­sen Grund­la­ge (pri­vat)au­to­nom, mit wel­chen ta­rif­po­li­ti­schen For­de­run­gen (da­zu BAG 24. April 2007 - 1 AZR 252/06 - Rn. 99, BA­GE 122, 134) sie für ih­re Mit­glie­der ta­rif­ver­trag­li­che Re­ge­lun­gen mit wel­chem Ta­rif­ver­trags­part­ner set­zen wol­len und letzt­lich ver­ein­ba­ren.

Da­bei re­gelt das Ta­rif­ver­trags­ge­setz das Zu­stan­de­kom­men und die wir­kung von Ta­rif­verträgen. Es enthält da­bei - ge­ra­de an­ders als § 3 Abs. 2 und 3 TVG für be­trieb­li­che und be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Rechts­nor­men ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges - kei­ne ge­setz­li­chen Vor­ga­ben, die auf ei­ne be­stimm­te in­halt­li­che Ord­nung des Ta­rif­ver­trags­sys­tems iSe. ta­rif­ein­heit­li­chen Re­ge­lung der In­halts-, Ab­schluss- und Be­en­di­gungs­nor­men im je­wei­li­gen Be­trieb aus­ge­rich­tet sind


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oder ei­ne sol­che gar recht­lich vor­schrei­ben. Es kann des­halb of­fen­blei­ben, ob der ein­fa­che Ge­setz­ge­ber ei­ne Re­ge­lung über­haupt schaf­fen könn­te, die in ei­ner der­art weit rei­chen­den Wei­se in die ver­fas­sungs­recht­lich geschütz­te Ko­ali­ti­ons­frei­heit ein­greift.

Die Ord­nungs­funk­ti­on ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges ist durch die nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG auf die Mit­glie­der be­schränk­te Rechts­set­zungs­macht der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en be­grenzt. In­so­weit wird der Ta­rif­ver­trag im Hin­blick auf die von ihm ge­setz­ten Rechts­nor­men - wie je­der Ver­trag - sei­ner Ord­nungs­funk­ti­on ge­recht (Ja­cobs Ta­rif­ein­heit und Ta­rif­kon­kur­renz 1999 S. 374, 393 f.; Ko­op Das Ta­rif­ver­trags­sys­tem zwi­schen Ko­ali­ti­ons­mo­no­po­lis­mus und Ko­ali­ti­ons­plu­ra­lis­mus 2009 S. 277 ff., 281). Ei­ne über die Ord­nung der Ver­trags­be­zie­hun­gen sei­ner Mit­glie­der hin­aus­ge­hen­de Ord­nungs­funk­ti­on des Ta­rif­ver­tra­ges, na­ment­lich in Rich­tung auf ei­ne „sinn­vol­le Ord­nung des Ar­beits­le­bens“ der­ge­stalt, die Ar­beits­verhält­nis­se im Be­trieb ein­heit­lich zu re­geln, ist durch das Ta­rif­ver­trags­ge­setz recht­lich nicht vor­ge­ge­ben (Bay­reu­ther Ta­rif­au­to­no­mie als kol­lek­tiv aus­geübte Pri­vat­au­to­no­mie 2005 S. 153; Däubler in ders. [Hrsg.] TVG 2. Aufl. Rn. 81; Die­te­rich AuR 2001, 390, 391; Ja­cobs aaO; Kem­pen in ders./Za­chert [Hrsg.] TVG 4. Aufl., Einl. Rn. 99; Kon­zen RdA 1978, 146, 153; Ko­op Das Ta­rif­ver­trags­sys­tem zwi­schen Ko­ali­ti­ons­mo­no­po­lis­mus und Ko­ali­ti­ons­plu­ra­lis­mus 2009 S. 283; Schlie­mann FS Hromad­ka 2008 S. 359, 371, 377 f.: „kor­re­spon­diert kein recht­lich fun­dier­ter Grund­satz“; ähn­lich Ri­char­di FS Buch­ner 2009 S. 731, 740).

(bb) Der Grund­satz der be­trieb­li­chen Ta­rif­ein­heit ist auch kein ver­fas­sungs­recht­li­ches Ele­ment der grund­ge­setz­lich geschütz­ten Ta­rif­au­to­no­mie, wel­ches die Ver­drängung von Rechts­nor­men ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges, die den In­halt, den Ab­schluss und die Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen ord­nen, be­gründen könn­te.

Der An­nah­me ei­ner von Ver­fas­sungs we­gen vor­ge­se­he­nen not­wen­di­gen ta­rif­ein­heit­li­chen Re­ge­lung für den je­wei­li­gen Be­trieb steht ent­ge­gen, dass die Ko­ali­ti­ons­frei­heit in ers­ter Li­nie als Frei­heits­grund­recht struk­tu­riert (s. nur BVerfG 4. Ju­li 1995 - 1 BvF 2/86 - zu C I 1 a der Gründe, BVerfGE 92, 365)


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und auf ei­nen Wett­be­werb zwi­schen ver­schie­de­nen Ko­ali­tio­nen an­ge­legt ist. Art. 9 Abs. 3 GG überlässt es den ta­riffähi­gen Ko­ali­tio­nen, in Ausübung ih­rer kol­lek­ti­ven Pri­vat­au­to­no­mie im Rah­men der Ver­fah­rens­re­ge­lun­gen des Ta­rif­ver-trags­rechts au­to­nom durch Ta­rif­verträge die Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen ih­rer Mit­glie­der zu re­geln. Die­ses Zurück­tre­ten des Staa­tes zu­guns­ten der Ta­rif­par­tei­en ge­winnt sei­nen Sinn eben­so sehr aus dem Ge­sichts­punkt, dass die un­mit­tel­bar Be­trof­fe­nen bes­ser wis­sen und bes­ser aus­han­deln können, was ih­ren bei­der­sei­ti­gen In­ter­es­sen und dem ge­mein­sa­men In­ter­es­se ent­spricht, als der de­mo­kra­ti­sche Ge­setz­ge­ber, wie aus dem Zu­sam­men­hang mit dem für die Ge­stal­tung nicht öffent­lich-recht­li­cher Be­zie­hun­gen cha­rak­te­ris­ti­schen Prin­zip der Pri­vat­au­to­no­mie, im Grun­de al­so der Ent­schei­dung des Grund­ge­set­zes zu­guns­ten des frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­schen Rechts­staats (BVerfG 27. Fe­bru­ar 1973 - 2 BvL 27/69 - zu B II 4 a der Gründe, BVerfGE 34, 307). Da­bei hat der Ge­setz­ge­ber den Ko­ali­tio­nen im Ta­rif­ver­trags-ge­setz das Mit­tel des Ta­rif­ver­tra­ges an die Hand ge­ge­ben, da­mit sie die von Art. 9 Abs. 3 GG in­ten­dier­te au­to­no­me Ord­nung des Ar­beits­le­bens ver­wirk­li­chen können (BVerfG 24. Mai 1977 - 2 BvL 11/74 - zu B II 1 b aa der Gründe, BVerfGE 44, 322).

Dies er­folgt auch im Wett­be­werb mit an­de­ren Ko­ali­tio­nen (BVerfG 6. Mai 1964 - 1 BvR 79/62 - zu B III 2 c der Gründe, BVerfGE 18, 18; 15. Ju­li 1980 - 1 BvR 24/74 ua. - zu B II 2 c der Gründe, BVerfGE 55, 7). Zu dem durch Art. 9 Abs. 3 GG gewähr­leis­te­ten Ko­ali­ti­ons­plu­ra­lis­mus gehört, dass die Ko­ali­ti­onen in Kon­kur­renz tre­ten (BAG 31. Mai 2005 - 1 AZR 141/04 - Rn. 31, BA­GE 115, 58). Die­ser Wett­be­werb wird auch im Rah­men der durch das Ta­rif­ver-trags­ge­setz aus­ge­stal­te­ten kol­lek­ti­ven Pri­vat­au­to­no­mie aus­ge­tra­gen. Ta­rif­plu­ra­lität ist des­halb Fol­ge des ver­fas­sungs­recht­lich vor­ge­se­he­nen und ge­schütz­ten Ko­ali­ti­ons­plu­ra­lis­mus (s. da­zu nur Fran­zen ZfA 2009, 297, 307 f.; so­wie Kon­zen RdA 1978, 146, 154; Kraft RdA 1992, 159, 168).

Der in frühen Ent­schei­dun­gen des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ver wen­de­te Be­griff der „sinn­vol­len Ord­nung des Ar­beits­le­bens“ steht die­sem Verständ­nis nicht ent­ge­gen. Die sinn­vol­le Ord­nung des Ar­beits­le­bens ist „ei­ner der Zwe­cke des Ta­rif­ver­trags­sys­tems“ (BVerfG 18. No­vem­ber 1954 - 1 BvR


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629/52 - zu C 2 b bb, BVerfGE 4, 96), nicht aber ei­ne ver­fas­sungs­recht­lich ver­bind­li­che Vor­ga­be, die den Grund­satz der be­trieb­li­chen Ta­rif­ein­heit recht­fer­ti­gen könn­te. Die in Art. 9 Abs. 3 GG ver­fas­sungs­recht­lich ver­an­ker­te Ta­rif­au­to­no­mie ver­folgt den im öffent­li­chen In­ter­es­se lie­gen­den Zweck, dem von der staat­li­chen Rechts­set­zung aus­ge­spar­ten Raum des Ar­beits­le­bens im Ein­zel­nen durch Ta­rif­verträge „au­to­nom“ zu re­geln (oben un­ter [aa] mwN). Nur in­so­weit dient die Ko­ali­ti­ons­frei­heit der sinn­vol­len Ord­nung des Ar­beits­le­bens (BVerfG 1. März 1979 - 1 BvR 532/77 ua. - zu C IV 1 der Gründe, BVerfGE 50, 290; zu die­ser Recht­spre­chung des BVerfG s. auch Ri­char­di FS Buch­ner 2008 S. 731, 739 f.). Auf wel­chem We­ge die Ko­ali­tio­nen die ver­fas­sungs­recht­li­che Er­war­tung der sinn­vol­len Ord­nung des Ar­beits­le­bens ver­wirk­li­chen, ist im Rah­men der recht­li­chen Aus­ge­stal­tung des Ta­rif­ver­trags­we­sens ih­nen über­las­sen und for­dert von Ver­fas­sungs we­gen kei­ne be­triebs­ein­heit­li­chen Ta­rif­re­ge­lun­gen.

(b) So­weit wei­ter­hin an­ge­nom­men wird, die „Kar­tell­funk­ti­on“ des Ta­rif­ver­tra­ges und das Ziel ei­ner „re­gelmäßigen Ord­nung“ der Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen er­for­der­ten funk­tio­nell, dass am En­de des Ko­ali­ti­ons­wett­be­werbs ei­ne ta­rif­ein­heit­li­che Re­ge­lung für das kon­kre­te be­trieb­li­che Ar­beits­feld be­ste­he (Kem­pen FS Hromad­ka 2008 S. 177, 185 ff.; s. auch ders. FS 50 Jah­re BAG 2005 S. 729 f., 733; eben­so Scholz FS Buch­ner 2009 S. 827, 828 ff.), ist dies in dem Art. 9 Abs. 3 GG kon­kre­ti­sie­ren­den Ta­rif­ver­trags­ge­setz für die hier aus­sch­ließlich in­fra­ge ste­hen­den Rechts­nor­men ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges nicht ge­re­gelt. Die Kar­tell­funk­ti­on, die in der Ver­ein­heit­li­chung von Ar­beits­be­din­gun­gen liegt, die den In­halt, den Ab­schluss und die Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen ord­nen, be­ruht nicht als sol­che auf ei­ner nor­ma­ti­ven Fest­le­gung des gel­ten­den Ta­rif­ver­trags­rechts (Däubler in ders. [Hrsg.] TVG Rn. 83, so auch Kem­pen in ders./Za­chert [Hrsg.] TVG Einl. I Rn. 103; eben­so Bay­reu­ther Ta­rif­au­to­no­mie als kol­lek­tiv aus­geübte Pri­vat­au­to­no­mie 2005 S. 145). Ein sol­ches funk­tio­nel­les Er­for­der­nis kann aus den be­reits ge­nann­ten Gründen (un­ter [a] [bb]) dem Ko­ali­ti­ons­grund­recht des Art. 9 Abs. 3 GG nicht ent­nom­men wer­den. Ei­ne mögli­che Kar­tell­wir­kung er­gibt sich le­dig­lich über § 4 Abs. 1 TVG auf der Ebe­ne der an den ein­zel­nen Ta­rif­ver­trag Ge­bun­de­nen und


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auch hier nur hin­sicht­lich der Gel­tung von Min­dest­ar­beits­be­din­gun­gen (§ 4 Abs. 3 TVG).

(c) Die an­geführ­ten Zweckmäßig­keits- oder Prak­ti­ka­bi­litätserwägun­gen stel­len kei­ne mit der Ko­ali­ti­ons­frei­heit kol­li­die­ren­den Rechtsgüter des Ar­beit­ge­bers von glei­cher­maßen ver­fas­sungs­recht­li­chem Rang (zu die­sem Er­for­der­nis BVerfG 6. Fe­bru­ar 2007 - 1 BvR 978/05 - zu II 2 a der Gründe, NZA 2007, 394) dar, die nach den ge­nann­ten Maßstäben ei­nen Ein­griff in die in­di­vi­du­el­le und die kol­lek­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit recht­fer­ti­gen können (s. nur Reichold RdA 2007, 321, 324 f.; En­gels RdA 2008, 331, 335; Ja­cobs NZA 2008, 325, 329). Ein Ord­nungs­ziel der be­triebs­ein­heit­li­chen Ta­rif­gel­tung wäre al­lein auf den ein­zel­nen Be­trieb be­zo­gen und be­triebs­wirt­schaft­lich aus­ge­rich­tet (Ja­cobs Ta­rif­ein­heit und Ta­rif­kon­kur­renz 1999 S. 439). Eben­so we­nig können et­wai­ge „Ef­fi­zi­enz­ge­win­ne ta­rif­ver­trag­lich in­stal­lier­ter all­ge­mei­ner Ar­beits­be­din­gun­gen“ (Säcker/Oet­ker ZfA 1993, 1, 12) die Ein­schränkung des Ko­ali­ti­ons­grund­rechts be­gründen; al­lein ord­nungs­po­li­ti­sche Vor­stel­lun­gen, die nicht den ver­fas­sungs­recht­li­chen An­for­de­run­gen ent­spre­chen (oben un­ter [3]), können ei­ne sol­che nicht recht­fer­ti­gen (in die­se Rich­tung aber Buch­ner BB 2003, 2121, 2127; eben­so Hromad­ka NZA 2008, 384, 392: „Ta­rif­ein­heit ... ist ge­eig­net, ei­ne sinn­vol­le Ord­nung im Be­trieb her­zu­stel­len“).

(d) Es sind auch der­zeit kei­ne An­zei­chen dafür er­kenn­bar, dass ein sol­cher Ein­griff in die Ko­ali­ti­ons­frei­heit der Ge­werk­schaf­ten und ih­rer Mit­glie­der zur Wah­rung der Funk­ti­onsfähig­keit der Ta­rif­au­to­no­mie (zu die­sem Kri­te­ri­um als mögli­che Recht­fer­ti­gung ei­nes Ein­griffs BVerfG 4. Ju­li 1995 - 1 BvF 2/86 ua. - zu C I 2 c der Gründe, BVerfGE 92, 365) er­for­der­lich wäre. So­weit an­geführt wird, im Fal­le ei­ner Ta­rifp­lu­ra­lität könne das Ta­rif­ver­trags­sys­tem sei­ne Auf­ga­be nicht mehr wahr­neh­men (Hromad­ka GD Hein­ze S. 383, 394, un­ter Hin­weis auf die Ge­fahr „ständi­ger Ta­rif­ver­hand­lun­gen und Streiks“, da­zu oben un­ter dd [2] [a] [cc]; Buch­ner BB 2003, 2121, 2128; Feud­ner BB 2007, 2459, 2462; Scholz FS Buch­ner 2009 S. 827, 828 f.; s. auch Säcker/Oet­ker ZfA 1993, 1, 11: Ge-mein­wohl­in­ter­es­se an ei­nem funk­tio­nie­ren­den Ta­rif­sys­tem zur sinn­vol­len Ord­nung des Ar­beits­le­bens), oh­ne die Funk­ti­ons­unfähig­keit der Ta­rif­au­to­no­mie


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näher zu be­gründen, wird über­se­hen, dass Ta­rif­ein­heit kei­ne Funk­ti­ons­be­din­gung der Ta­rif­au­to­no­mie ist (ErfK/Die­te­rich 10. Aufl. Art. 9 GG Rn. 68a; Reichold RdA 2007, 321, 324; s. auch Ri­char­di FS Buch­ner 2009 S. 731, 740). Ei­ne Be­dro­hung des Be­stan­des der Ta­rif­verträge der Mehr­heits­ge­werk­schaf­ten, die Scholz anläss­lich des Ta­rif­kon­flikts bei der Deut­schen Bahn aus­ma­chen und dar­aus ei­nen „ver­fas­sungs­un­mit­tel­ba­ren Kon­flikt“ auf der Ebe­ne der Ko­ali­ti­ons­rechts­ga­ran­tie fol­gern will (FS Buch­ner 2009 S. 827, 829), ist recht­statsächlich nicht er­kenn­bar. Auch sind kei­ne schwer über­wind­ba­ren Schwie­rig­kei­ten für die Ge­stal­tung des Ta­rif­rechts in Rich­tung auf Ta­rif­klar­heit und Rechts­si­cher­heit er­kenn­bar oder ab­seh­bar (da­zu BVerfG 18. No­vem­ber 1954 - 1 BvR 629/52 - zu C 2 b bb der Gründe, BVerfGE 4, 96), die die Ver­drängung ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges nach dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit be­gründen könn­ten.

(e) Für ei­ne Be­ein­träch­ti­gung grund­recht­lich geschütz­ter Ge­mein­wohl­be­lan­ge (da­zu BVerfG 4. Ju­li 1995 - 1 BvF 2/86 ua. - zu C II 2 a der Gründe, BVerfGE 92, 365) durch ei­ne Plu­ra­lität ta­rif­li­cher Re­ge­lun­gen im Be­trieb gibt es der­zeit kei­ner­lei tatsächli­che An­halts­punk­te.

(5) Sch­ließlich ist die in den Ent­schei­dun­gen zum Grund­satz der Ta­rif­ein­heit her­an­ge­zo­ge­ne Par­al­le­le zu § 87 Abs. 1 Ein­lei­tungs­satz Be­trVG nicht ge­eig­net, den Ein­griff in die Ko­ali­ti­ons­frei­heit der­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer (mit) zu be­gründen, die der Ge­werk­schaft an­gehören, die den ver­dräng­ten Ta­rif­ver­trag ge­schlos­sen hat. § 87 Abs. 1 Ein­lei­tungs­satz Be­trVG be­zweckt den Schutz der Ta­rif­au­to­no­mie und setzt da­bei das Rang­verhält­nis zwi­schen Ta­rif­ver­trag und Be­triebs­ver­ein­ba­rung vor­aus. Dem­ge­genüber hin­dert der Grund­satz der Ta­rif­ein­heit die Ko­ali­ti­ons­betäti­gung im Be­trieb, in­dem er zu­min­dest ei­nen Ta­rif­ver­trag ver­drängt und be­trifft zu­dem rang­glei­che Re­ge­lun­gen. Die Vor­schrift kann nicht da­zu her­an­ge­zo­gen wer­den, Ta­rif­ge­bun­de­ne von den sie schützen­den Ta­rif­nor­men aus­zu­sch­ließen (s. nur Kraft RdA 1993, 161, 168; Ha­nau RdA 1998, 65, 69; s. auch Mer­ten BB 1993, 572, 575). Bei den ta­rif­li­chen Re­ge­lun­gen iSd. § 87 Abs. 1 Ein­lei­tungs­satz Be­trVG han­delt es sich zu­dem häufig um Be­triebs- oder Be­triebs­ver­fas­sungs­nor­men im Sin­ne von § 3 Abs. 2 TVG. Bei die­sen ist ein Ne­ben­ein­an­der ver­schie­de­ner ta­rif­ver­trag­li­cher Nor­men, die


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den­sel­ben Re­ge­lungs­ge­gen­stand be­tref­fen, aus­ge­schlos­sen. Ar­beit­neh­mern, die an den bei der hier not­wen­di­gen Kol­li­si­ons­auflösung ver­dräng­ten Ta­rif­ver­trag ge­bun­den sind, bleibt auf­grund der Ta­rif­ge­bun­den­heit des Ar­beit­ge­bers zu­min­dest der Schutz des ver­drängen­den Ta­rif­ver­tra­ges, auch wenn sie nicht Mit­glied der hier­an be­tei­lig­ten Ge­werk­schaft sind.

d) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­klag­ten ist die nach al­le­dem auch wei­ter­hin zu Grun­de zu le­gen­de Gel­tung des BAT kraft bei­der­sei­ti­ger Ta­rif­ge­bun­den­heit nicht auf­grund der in­di­vi­du­al­ver­trag­li­chen Be­zug­nah­me­klau­sel im Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en aus­ge­schlos­sen. Selbst wenn die­se sich - wie die Re­vi­si­on meint - nach In­kraft­tre­ten des TVöD auf die­sen er­stre­cken soll­te, bestünde bei dem Kläger kei­ne Ta­rif­kon­kur­renz, die zur Ver­drängung des BAT führen würde. Die in­di­vi­du­al­ver­trag­li­che In­be­zug­nah­me ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges führt nicht zu des­sen ta­rif­recht­li­cher Gel­tung mit der Fol­ge, dass sei­ne Be­stim­mun­gen in­fol­ge ei­ner Ta­rif­kon­kur­renz nach dem Spe­zia­litätsprin­zip ver­drängt wer­den könn­ten. Es han­delt sich viel­mehr um ei­ne ein­zel­ver­trag­li­che Re­ge­lung von Ar­beits­be­din­gun­gen. Des­halb kann es auch nicht zu ei­ner Kon­kur­renz kom­men, weil nicht zwei Ta­rif­verträge gleich­zei­tig für das Ar­beits­verhält­nis des Klägers Gel­tung be­an­spru­chen (BAG 29. Au­gust 2007 - 4 AZR 767/06 - Rn. 20, BA­GE 124, 34, un­ter Auf­ga­be von BAG 23. März 2005 - 4 AZR 203/04 - BA­GE 114, 186). Ist der Ar­beit­neh­mer an ei­nen Ta­rif­ver­trag ge­bun­den, gilt im Verhält­nis zu den ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen, auch wenn sie ta­rif­ver­trag­li­che Be­stim­mun­gen zum Ge­gen­stand des Ar­beits­ver­tra­ges ma­chen, das ta­rif­recht­li­che Güns­tig­keits­prin­zip gemäß § 4 Abs. 3 TVG (s. auch BAG 22. Ok­to­ber 2008 - 4 AZR 784/07 - Rn. 34, AP TVG § 1 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 66 = EzA TVG § 3 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 39), im an­de­ren Fall bleibt es bei der un­mit­tel­ba­ren und zwin­gen­den Wir­kung kraft bei­der­sei­ti­ger Ta­rif­ge­bun­den­heit.

So­weit die Be­klag­te in der münd­li­chen Ver­hand­lung un­ter Hin­weis auf die Ent­schei­dung des Se­nats vom 23. März 2005 (- 4 AZR 203/04 - BA­GE 114, 186) gel­tend ge­macht hat, das Güns­tig­keits­prin­zip nach § 4 Abs. 3 TVG sei vor­lie­gend nicht an­wend­bar und sie ha­be bei Ver­wen­dung der Be­zug­nah­me-


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klau­sel auf die­se Recht­spre­chung ver­traut, ist dies in mehr­fa­cher Hin­sicht oh­ne Be­deu­tung. Es ist be­reits nicht er­sicht­lich, in­wie­weit die Be­klag­te bei Ab­schluss des Ar­beits­ver­tra­ges am 12. März 2004 auf die­se erst später er­gan­ge­ne Ent­schei­dung ver­traut ha­ben will. Der Se­nat hat in der ge­nann­ten Ent­schei­dung ei­ne Ver­drängung des Güns­tig­keits­prin­zips zu­dem nur für den Fall an­ge­nom­men, dass bei­de kon­kur­rie­ren­den Ta­rif­verträge - Ver­bands­ta­rif­ver­trag zum ei­nen und Fir­men­ta­rif­ver­trag zum an­de­ren - auch ver­trag­lich in Be­zug ge­nom­men wa­ren und von der­sel­ben Ge­werk­schaft ge­schlos­sen wur­den (23. März 2005 - 4 AZR 203/04 - zu I 1 b cc [2] der Gründe, aaO). Bei­de Vor­aus­set­zun­gen sind vor­lie­gend nicht ge­ge­ben. Ab­ge­se­hen da­von reicht ei­ne ein­zel­ne höchst­ge­richt­li­che Ent­schei­dung nicht aus, die Gewährung von Ver­trau­ens­schutz zu be­gründen (BAG 29. Au­gust 2007 - 4 AZR 765/06 - Rn. 32, SAE 2008, 365).

II. Die Re­vi­si­on ist nicht aus an­de­ren Gründen zurück­zu­wei­sen.

1. Ei­ne Zurück­wei­sung der Re­vi­si­on käme in Be­tracht, wenn der An­spruch auf ei­nen Ur­laub­s­auf­schlag nach § 47 Abs. 2 BAT be­reits des­halb be­gründet wäre, weil die­se Ta­rif­re­ge­lung auf­grund der ar­beits­ver­trag­li­chen Be­zug­nah­me-klau­sel an­zu­wen­den ist. Hierüber hat der Se­nat je­doch nicht zu ent­schei­den. Auf die­sen Le­bens­sach­ver­halt, der ei­nen an­de­ren Streit­ge­gen­stand dar­stellt, hat der Kläger sein Be­geh­ren nicht gestützt.

a) Der Streit­ge­gen­stand wird be­stimmt durch den Kla­ge­an­trag, in dem sich die von dem Kläger in An­spruch ge­nom­me­ne Rechts­fol­ge kon­kre­ti­siert, und durch den zu­gehöri­gen Le­bens­sach­ver­halt, aus dem der Kläger die be­gehr­te Rechts­fol­ge her­lei­tet. Der Le­bens­sach­ver­halt um­fasst das gan­ze dem Kla­ge­an­trag zu­grun­de lie­gen­de tatsächli­che Ge­sche­hen, das bei natürli­cher, vom Stand­punkt der Par­tei­en aus­ge­hen­der Be­trach­tungs­wei­se zu dem durch den Vor­trag des Klägers zur Ent­schei­dung ge­stell­ten Tat­sa­chen­kom­plex gehört oder gehört hätte (BAG 11. Mai 2005 - 4 AZR 315/04 - Rn. 44 f., BA­GE 114, 332; wei­ter­hin BAG 15. März 2006 - 4 AZR 73/05 - Rn. 18, AP ZPO § 551 Nr. 63 = EzA ZPO 2002 § 551 Nr. 2; 9. April 2008 - 4 AZR 104/07 - Rn. 64, AP TVG § 1 Nr. 43 = EzA ZPO 2002 § 259 Nr. 1). Die ver­ein­bar­te ar­beits­ver­trag-


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li­che dy­na­mi­sche Be­zug­nah­me auf den BAT und die ihn ergänzen­den, ändern­den oder er­set­zen­den Ta­rif­verträge ei­ner­seits und die nor­ma­ti­ve Gel­tung des BAT kraft un­mit­tel­ba­rer Ta­rif­ge­bun­den­heit an­de­rer­seits sind un­ter­schied­li­che Le­bens­sach­ver­hal­te und da­mit ver­schie­de­ne Streit­ge­genstände (BAG 11. Mai 2005 - 4 AZR 315/04 - aaO).

b) Der Kläger hat sein Be­geh­ren nicht auf die ar­beits­ver­trag­li­che Be­zug­nah­me­klau­sel gestützt. So­wohl sein erst- als auch sein zweit­in­stanz­li­ches Vor­brin­gen stützt sich aus­sch­ließlich auf die bei­der­sei­ti­ge Ta­rif­bin­dung. Der Kläger macht auch nicht hilfs­wei­se gel­tend, sein An­spruch recht­fer­ti­ge sich je­den­falls auch in An­wen­dung der ar­beits­ver­trag­li­chen Be­zug­nah­me­klau­sel. Der Kläger macht sich le­dig­lich hilfs­wei­se die Rechts­po­si­ti­on der Be­klag­ten zu ei­gen, auf sein Ar­beits­verhält­nis fände der TVöD An­wen­dung - wo­bei of­fen bleibt, auf wel­cher Grund­la­ge dies der Fall sein soll -, nicht aber, sein An­spruch recht­fer­ti­ge sich auch in An­wen­dung der aus­sch­ließlich von der Be­klag­ten her­an­ge­zo­ge­nen ar­beits­ver­trag­li­chen Be­zug­nah­me­klau­sel. So­weit der Kläger gel­tend ge­macht hat, auch bei An­wen­dung des TVöD-VKA sei der An­trag be­gründet, führt er die ar­beits­ver­trag­li­che Be­zug­nah­me­klau­sel nicht an.

2. Die Re­vi­si­on kann auch nicht des­halb zurück­ge­wie­sen wer­den, weil dem Kläger der Ur­laub­s­auf­schlag in der ge­for­der­ten Höhe so­wohl nach den Be­stim­mun­gen des BAT als auch nach de­nen des TVöD zu­ste­hen würde, wes­halb es da­hin­ste­hen könn­te, ob der BAT gilt oder - wie es die Be­klag­te meint - nach dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit der TVöD an­zu­wen­den ist, wor­auf sich der Kläger auch hilfs­wei­se be­zieht. Des­halb kann es da­hin­ste­hen, ob der TVöD für das zwi­schen den Par­tei­en be­stan­de­ne Ar­beits­verhält­nis über­haupt maßge­bend war und ob der Kläger sei­ne Kla­ge auch hier­auf stützen konn­te (so­eben un­ter 1).

a) Nach § 21 Abs. 1 Satz 2 TVöD wer­den für die Be­rech­nung der Ent­gelt­fort­zah­lung die nicht in Mo­nats­beträgen fest­ge­leg­ten Ent­gelt­be­stand­tei­le als Durch­schnitt auf Ba­sis der dem maßge­ben­den Er­eig­nis - hier dem in An­spruch ge­nom­me­nen Er­ho­lungs­ur­laub - vor­her­ge­hen­den letz­ten drei vol­len Ka­len­der­mo­na­te (Be­rech­nungs­zeit­raum) zu­grun­de ge­legt.


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b) Selbst wenn man mit dem Kläger da­von aus­geht, dass ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­klag­ten § 28 TVÜ-VKA ei­ner Be­rech­nung nach dem Re­fe-renz­prin­zip für die Zeit vor dem 1. Ok­to­ber 2005 nicht ent­ge­gen­steht, ist sein An­spruch nicht in der ge­for­der­ten Höhe be­gründet. Nach der Be­rech­nung der Be­klag­ten, die der Kläger auch als zu­tref­fend be­wer­tet hat, ergäbe sich in An­wen­dung des § 21 Abs. 1 Satz 2 TVöD nach den vom Kläger in den Mo­na­ten Ju­li 2005 bis Sep­tem­ber 2005 ge­leis­te­ten Be­reit­schafts­diens­ten le­dig­lich ein Ur­laub­s­auf­schlag iHv. 552,20 Eu­ro brut­to. Für die Be­rech­nung des Ent­gelt­fort-zah­lungs­be­tra­ges nach § 21 Abs. 1 Satz 2 TVöD können nicht die vom Kläger vor­ge­tra­ge­nen Be­reit­schafts­dienst­zei­ten für die Mo­na­te Ju­li 2005 bis Sep­tem­ber 2005 her­an­ge­zo­gen wer­den. Die­se Ent­gel­tab­rech­nun­gen für die frag­li­chen Mo­na­te ent­hal­ten nach § 36 Abs. 1 Un­ter­ab­schnitt 2 BAT nicht die in den je­wei­li­gen Ab­rech­nungs­mo­na­ten ge­leis­te­ten Be­reit­schafts­diens­te, son­dern die­je­ni­gen des je­wei­li­gen Vor­vor­mo­nats, um­fas­sen al­so den Zeit­raum Mai 2005 bis ein­sch­ließlich Ju­li 2005.

3. Aus den vor­ste­hen­den Gründen ist der An­spruch auch dann nicht in der ge­for­der­ten Höhe ge­recht­fer­tigt, wenn man § 11 BUrlG her­an­zie­hen würde.

III. Der Se­nat ist an ei­ner ab­sch­ließen­den Ent­schei­dung ge­hin­dert, weil er in ei­ner ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Rechts­fra­ge von der Rechts­auf­fas­sung ei­nes an­de­ren Se­nats des Bun­des­ar­beits­ge­richts ab­weicht.

1. Der Zehn­te Se­nat hat in sei­ner Ent­schei­dung vom 25. Ju­li 2001 un­ter Hin­weis auf die Recht­spre­chung des Vier­ten Se­nats (BAG 26. Ja­nu­ar 1994 - 10 AZR 611/92 - BA­GE 75, 298; 24. Ja­nu­ar 1990 - 4 AZR 561/89 - AP TVG § 1 Ta­rif­verträge: Bau Nr. 126 = EzA TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 6) die Rechts­auf­fas­sung ver­tre­ten, dass „in die­sem Fall der Ta­rif­kon­kur­renz bzw. -plu­ra­lität ... nach dem Grund­satz der Spe­zia­lität al­lein der Ta­rif­ver­trag zur An­wen­dung [kommt], der dem Be­trieb räum­lich, be­trieb­lich, fach­lich und persönlich am nächs­ten steht und des­halb den Er­for­der­nis­sen und Ei­gen­ar­ten des Be­trie­bes und der dar­in täti­gen Ar­beit­neh­mer am bes­ten ge­recht wird“ (- 10 AZR 599/00 - zu II 3 vor a der Gründe, BA­GE 98, 263; s. auch BAG 15. No­vem­ber 2006 - 10 AZR 665/05 - Rn. 20, BA­GE 120, 182). Zwar be­traf


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„die­ser Fall“ ei­ne Ta­rifp­lu­ra­lität, die auf­grund der Gel­tung ei­nes all­ge­mein­ver­bind­li­chen Ta­rif­ver­tra­ges nach § 5 Abs. 4 TVG und ei­nes Ver­bands­ta­rif­ver­tra­ges nach § 3 Abs. 1 TVG ent­stan­den ist. Der Zehn­te Se­nat be­zieht sich je­doch auf die all­ge­mei­nen Grundsätze des Vier­ten Se­nats zur Ta­rif­ein­heit. Der Zehn­te Se­nat geht in der ge­nann­ten Ent­schei­dung da­von aus, die „All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung des VTV be­wir­ke gemäß § 5 Abs. 4 TVG die Norm­ge­bun­den­heit des Klägers in glei­cher Wei­se wie ei­ne Ver­bands­mit­glied­schaft gemäß § 3 Abs. 1 TVG“ (25. Ju­li 2005 - 10 AZR 599/00 - zu II 3 e der Gründe, aaO). Des­halb kann nicht da­von aus­ge­gan­gen wer­den, der Zehn­te Se­nat dif­fe­ren­zie­re bei der hier maßge­ben­den Rechts­fra­ge zwi­schen ei­ner durch All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung be­gründe­ten Ta­rif­gel­tung, zu der der er­ken­nen­de Se­nat sich nicht verhält, und ei­ner Ta­rif­gel­tung kraft Ko­ali­ti­ons­mit­glied­schaft gemäß § 3 Abs. 1 TVG. Die­se Rechts­auf­fas­sung hat der Zehn­te Se­nat in sei­ner Ent­schei­dung vom 18. Ok­to­ber 2006 für all­ge­mein­ver­bind­li­che Ta­rif­verträge außer­halb der ge­setz­li­chen Bin­dung nach § 1 Abs. 3 AEntG un­ter Be­zug­nah­me auf die ei­ge­ne und die Recht­spre­chung des Vier­ten Se­nats (BAG 25. Ju­li 2001 - 10 AZR 599/00 - aaO; 26. Ja­nu­ar 1994 - 10 AZR 611/92 - aaO; 24. Ja­nu­ar 1990 - 4 AZR 561/89 - aaO, mwN) bestätigt (- 10 AZR 576/05 - Rn. 31, 37, BA­GE 120, 1).

Ob sich aus den Ausführun­gen in der Ent­schei­dung vom 4. De­zem­ber 2002, wo­nach der Se­nat „je­den­falls für die Gel­tungs­be­reichs­strei­tig­kei­ten der So­zi­al­kas­sen des Bau­ge­wer­bes“ an dem „Prin­zip der Ta­rif­ein­heit fest­hal­ten will“ (- 10 AZR 113/02 - zu II 1 d aa der Gründe, AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 28 = EzA TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 17) ein an­de­res er­gibt, kann da­her da­hin­ste­hen. Glei­ches gilt für die Ent­schei­dung des Zehn­ten Se­nats vom 26. Ja­nu­ar 1994 (- 10 AZR 611/92 - zu II 4 d der Gründe, BA­GE 75, 298).

2. Ei­ne An­fra­ge an den Ers­ten Se­nat ist nicht er­for­der­lich.

a) Die Ent­schei­dung des Ers­ten Se­nats vom 29. März 1957 be­han­delt ei­nen Fall der Ta­rif­kon­kur­renz. Der Se­nat führt zwar aus, der Grund­satz der Ta­rif­ein­heit be­sa­ge auch, dass in je­dem Be­trieb grundsätz­lich für al­le in die­sem Be­trieb be­gründe­ten Ar­beits­verhält­nis­se nur ein Ta­rif­ver­trag an­zu­wen­den ist


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(- 1 AZR 208/55 - BA­GE 4, 37, 38). Die­se Ausführun­gen wa­ren al­ler­dings nicht ent­schei­dungs­er­heb­lich im Hin­blick auf die Auflösung ei­ner even­tu­el­len Ta­rifp­lu­ra­lität. Die erörter­te Möglich­keit, dass der all­ge­mein­ver­bind­li­che RTV Bau „auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en über­haupt kei­ne An­wen­dung fin­det“, setz­te nach den Ent­schei­dungs­gründen vor­aus, dass die Par­tei­en des Rechts­streits nicht nur an die­sen, son­dern auch ei­nen an­de­ren Ta­rif­ver­trag „persönlich ta­rif­ge­bun­den sind“. Das be­schreibt den Fall der Ta­rif­kon­kur­renz und nicht den­je­ni­gen der Ta­rifp­lu­ra­lität. In ei­ner wei­te­ren Ent­schei­dung war ei­ne Ta­rifp­lu­ra­lität nicht auf­zulösen (19. De­zem­ber 1958 - 1 AZR 55/58 - AP TVG § 4 Ta­rif­kon­kur­renz Nr. 6), so dass es an der er­for­der­li­chen Ent­schei­dungs-er­heb­lich­keit der Rechts­fra­ge fehlt. Das gilt auch für die Ent­schei­dun­gen des Ers­ten Se­nats vom 22. März 1994 (- 1 ABR 47/93 - zu B III 1 a der Gründe, EzA TVG § 4 Gel­tungs­be­reich Nr. 10) und vom 28. März 2006 (- 1 ABR 58/04 - zu B III 3 b bb [1] [a] der Gründe, BA­GE 117, 308).

b) Hin­sicht­lich der Ent­schei­dung vom 29. März 1957 (- 1 AZR 208/55 - BA­GE 4, 37, 38) ist der Vier­te Se­nat zu­dem auf­grund ei­ner Ände­rung in der Geschäfts­ver­tei­lung mitt­ler­wei­le an­stel­le des da­mals zuständi­gen Ers­ten Se­nats für die vor­lie­gen­de Rechts­fra­ge al­lein zuständig. Nach I Nr. 1 des da­mals maßge­ben­den Geschäfts­ver­tei­lungs­plans wa­ren dem Ers­ten Se­nat die bürger­li­chen Rechts­strei­tig­kei­ten nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG zu­ge­wie­sen, bei de­nen es sich um das Rechts­ge­biet des „All­ge­mei­nen Ta­rif­rechts“ han­delt. Für das Ta­rif­ver­trags­recht ist nach Nr. 4.1 des Geschäfts­ver­tei­lungs­plans für das Jahr 2008 der Vier­te Se­nat aus­sch­ließlich zuständig. Ei­ne An­fra­ge beim Ers­ten Se­nat, ob er an sei­ner Rechts­auf­fas­sung festhält, wäre auch des­halb ent­behr­lich, § 45 Abs. 3 Satz 2 ArbGG (vgl. da­zu auch BAG 20. Au­gust 2002 - 9 AZR 750/00 - zu I 4 c cc der Gründe, BA­GE 102, 260; 7. No­vem­ber 2000 - 1 ABR 55/99 - zu B IV 2 der Gründe, BA­GE 96, 200).

3. Der Ein­lei­tung ei­nes Vor­la­ge­ver­fah­rens an den Großen Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts nach § 45 Abs. 4 ArbGG be­darf es nicht.


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a) § 45 Abs. 4 ArbGG setzt vor­aus, dass ei­ne Fra­ge von grundsätz­li­cher Be­deu­tung vor­liegt und die Fort­bil­dung des Rechts oder die Si­che­rung ei­ner ein­heit­li­chen Recht­spre­chung die Vor­la­ge er­for­der­lich ma­chen.

b) Ei­ne grundsätz­li­che Be­deu­tung kann nicht schon dann an­ge­nom­men wer­den, dass sich die hier zu ent­schei­den­de Rechts­fra­ge auf ei­ne Viel­zahl von Fällen aus­wirkt. Zwar hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt bis­her für den hin­sicht­lich der Zu­las­sung der Re­vi­si­on maßgeb­li­chen Be­griff der grundsätz­li­chen Be­deu­tung in § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG an­ge­nom­men, die­se könne sich auch aus der An­zahl der von ei­ner Rechts­fra­ge be­trof­fe­nen Rechts­verhält­nis­se er­ge­ben (vgl. et­wa BAG 26. Sep­tem­ber 2000 - 3 AZN 181/00 - zu II 2 der Gründe mwN, BA­GE 95, 372). Die Recht­spre­chung kann aber nicht auf die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Vor­la­ge nach § 45 Abs. 4 ArbGG über­tra­gen wer­den. Während § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Fra­ge re­gelt, wann ei­ne ein­heit­li­che Ent­schei­dung durch das Re­vi­si­ons­ge­richt her­bei­zuführen ist, dient die Vor­la­ge an den Großen Se­nat da­zu, in den be­son­de­ren Fällen, in de­nen ei­ne Ent­schei­dung durch die ein­zel­nen Se­na­te der Be­deu­tung der Rechts­fra­ge nicht ge­recht wird, ei­ne Klärung her­bei­zuführen (BAG 28. Ju­li 2009 - 3 AZR 250/07 - Rn. 24; s. auch Prütting in Ger­mel­mann/Mat­thes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 7. Aufl. § 45 Rn. 29 mwN auch zur Ge­gen­auf­fas­sung). Die vor­lie­gen­de Rechts­fra­ge berührt - ne­ben der Zuständig­keit des Zehn­ten Se­nats, an den die Di­ver­genz­an­fra­ge gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG ge­stellt wird - die Zuständig­keit des an­fra­gen­den und für das Ta­rif­recht zuständi­gen Fach­se­nats, dem als Spruchkörper ei­nes obers­ten Bun­des­ge­richts in ers­ter Li­nie die Auf­ga­be der Si­che­rung der Rechts­ein­heit und der Rechts­fort­bil­dung über­tra­gen ist. Es han­delt sich nicht um ei­ne Rechts­fra­ge, die sich für die Recht­spre­chung an­de­rer Se­na­te des Bun­des­ar­beits­ge­richts in glei­cher Wei­se stellt oder stel­len wird (zu die­sem Kri­te­ri­um GK-ArbGG/Dörner Stand April 2009 § 45 Rn. 54 mwN; Schwab/Weth/Liebs­cher ArbGG 2. Aufl. § 45 Rn. 34; zu § 132 Abs. 4 GVG Münch­KommZ­PO/Zim­mer­mann Bd. 3 § 132 GVG Rn. 23; vgl. auch Prüt-ting/Gehr­lein/Arenhövel ZPO § 132 GVG Rn. 12). Stellt die Rechts­fra­ge nach dem Fort­be­stand oder der Auf­ga­be des Grund­sat­zes der Ta­rif­ein­heit den recht­li­chen Schwer­punkt ei­nes Rechts­streits dar, ist hierfür stets der Vier­te


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Se­nat zuständig (Geschäfts­ver­tei­lungs­plan des Bun­des­ar­beits­ge­richts für das Geschäfts­jahr 2010 A. 1; eben­so für die Vor­jah­re). Des­halb ist ei­ne Vor­la­ge an den Großen Se­nat nicht ge­for­dert.

c) Ob § 45 Abs. 4 ArbGG we­gen Ver­s­toßes ge­gen den ge­setz­li­chen Rich­ter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ver­fas­sungs­wid­rig ist (da­zu ausführ­lich GK-ArbGG/Dörner Stand April 2009 § 45 Rn. 36 ff. mwN), kann vor­lie­gend da­hin­ste­hen.

Be­p­ler Creutz­feldt Tre­ber

Schmalz Weßel­kock

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