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Mit­be­stim­mung und be­trieb­li­ches Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment

Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen zum be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment kön­nen BEM-Vor­aus­set­zung "Ar­beits­un­fä­hig­keit" nicht än­dern: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 13.03.2012, 1 ABR 78/10
BEM Gipsbein Wann we­gen Ar­beits­un­fä­hig­keit ein BEM an­steht, ist ge­setz­lich de­fi­niert

11.06.2012. Wenn Ar­beit­neh­mer in­ner­halb ei­nes Jah­res län­ger als sechs Wo­chen un­un­ter­bro­chen oder wie­der­holt ar­beits­un­fä­hig er­krankt sind, muss der Ar­beit­ge­ber un­ter Be­tei­li­gung des be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers und des Be­triebs- oder Per­so­nal­rats klä­ren, wie die Ar­beits­un­fä­hig­keit mög­lichst über­wun­den wer­den und mit wel­chen Leis­tun­gen oder Hil­fen er­neu­ter Ar­beits­un­fä­hig­keit vor­ge­beugt und der Ar­beits­platz er­hal­ten wer­den kann.

Die­se Pflicht zum "be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment (BEM)" ist in § 84 Abs.2 Satz 1 Neun­tes Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB IX) fest­ge­legt.

Die kon­kre­ten Ein­zel­hei­ten des BEM sind ge­setz­lich nicht re­gelt. Da­her gibt es in vie­len Be­trie­ben Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen zu der Fra­ge, in wel­chen ein­zel­nen Schrit­ten das be­trieb­li­che Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment durch­zu­füh­ren ist. Dass der Be­triebs­rat hier ak­tiv wer­den soll­te, er­gibt sich aus § 84 Abs.2 Satz 7 SGB IX, denn da­nach hat er dar­über zu wa­chen, "dass der Ar­beit­ge­ber die ihm nach die­ser Vor­schrift ob­lie­gen­den Ver­pflich­tun­gen er­füllt". Au­ßer­dem be­trifft die Durch­füh­rung des BEM auch das Ver­hal­ten der da­von be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer im Be­trieb und den Ge­sund­heits­schutz, so dass der Be­triebs­rat ge­mäß § 87 Abs.1 Nr.1 und Nr.7 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) ein Mit­be­stim­mungs­recht hat.

Frag­lich ist al­ler­dings, ob Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen zum be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment auch die Fra­ge re­geln kön­nen, un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen ein BEM durch­zu­füh­ren ist, d.h. wel­che Ar­beit­neh­mer hier ein­zu­be­zie­hen sind und wel­che nicht. Hier hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung der Mit­be­stim­mung ei­ne Gren­ze ge­zo­gen: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 13.03.2012, 1 ABR 78/10.

Wie weit geht die Mit­be­stim­mung bei Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen zum be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment?

Wie erwähnt sind die Ein­zel­hei­ten des Ver­fah­rens, das bei der Durchführung ei­nes be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments durch­zuführen ist, in § 84 Abs.2 SGB IX nicht ge­re­gelt. Da der Be­triebs­rat aber nach die­ser Vor­schrift im Ein­zel­fall zu be­tei­li­gen ist und außer­dem auch bei den meis­ten Fra­gen des BEM ein Mit­be­stim­mungs­recht gemäß § 87 Abs.1 Nr.1 und Nr.7 Be­trVG hat, liegt es na­he, dass Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat um­fas­sen­de Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen "rund um das The­ma BEM" tref­fen.

Al­ler­dings be­steht das Recht des Be­triebs­rats zur Mit­be­stim­mung in so­zia­len An­ge­le­gen­hei­ten auf der Grund­la­ge von § 87 Abs.1 Be­trVG nur "so­weit ei­ne ge­setz­li­che oder ta­rif­li­che Re­ge­lung nicht be­steht" (§ 87 Abs.1 Ein­gangs­satz Be­trVG ). Im­mer dann, wenn ein Ge­setz be­reits ei­ne ab­sch­ließen­de Re­ge­lung enthält, kann der Be­triebs­rat vom Ar­beit­ge­ber da­her kei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung ver­lan­gen.

Da­her können Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen zum be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment mögli­cher­wei­se nicht die Fra­ge re­geln, wann ein BEM über­haupt durch­zuführen ist, denn § 84 Abs.2 Satz 1 SGB IX ist in dem Punkt klar, dass ein BEM im­mer dann (und nur dann?) durch­zuführen ist, wenn ein Ar­beit­neh­mer in­ner­halb ei­nes Jah­res länger als sechs Wo­chen "am Stück" oder wie­der­holt ar­beits­unfähig ist.

Ver­steht man "Ar­beits­unfähig­keit" im Sin­ne die­ser Re­ge­lung so, wie sie auch im Ent­gelt­fort­zah­lungs­ge­setz (EFZG) ge­meint ist, läge hier ei­ne ab­sch­ließen­de ge­setz­li­che Re­ge­lung vor. Ob die An­wen­dungs­vor­aus­set­zun­gen ei­nes BEM (sprich: die länge­re Ar­beits­unfähig­keit) aber in § 84 Abs.2 Satz 1 SGB IX ab­sch­ließend ge­re­gelt ist oder nicht, steht wie­der­um nicht ein­deu­tig im Ge­setz.

BAG: Der in § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ent­hal­te­ne Be­griff der Ar­beits­unfähig­keit ist zwin­gend ge­setz­lich vor­ge­ge­ben

Im Streit­fall konn­ten sich Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat nicht auf ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung zum be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment ei­ni­gen und rie­fen da­her die Ei­ni­gungs­stel­le an. Auch hier kam es zu kei­ner gütli­chen Ei­ni­gung, da der Be­triebs­rat ver­lang­te, dass die Be­triebs­ver­ein­ba­rung Re­ge­lun­gen zu der Fra­ge ent­hal­ten soll­te, wann über­haupt von "Ar­beits­unfähig­keit" ge­spro­chen wer­den kann. Das lehn­te der Ar­beit­ge­ber ab, wes­halb die Ei­ni­gungs­stel­le ei­nen förm­li­chen Spruch fäll­te. Der Spruch ent­hielt Re­ge­lun­gen, die übli­cher­wei­se in ei­ner BEM-Be­triebs­ver­ein­ba­rung ent­hal­ten sind, al­ler­dings kei­ne De­fi­ni­ti­on von "Ar­beits­unfähig­keit".

Der Be­triebs­rat zog da­her vor Ge­richt und woll­te die Un­wirk­sam­keit des Ei­ni­gungs­stel­len­spruchs fest­stel­len las­sen. Sei­ner Mei­nung nach hat­te die Ei­ni­gungs­stel­le ihr Er­mes­sen feh­ler­haft aus­geübt, weil sie es versäumt ha­be, den Be­griff der Ar­beits­unfähig­keit zu kon­kre­ti­sie­ren. Mit die­sem An­trag hat­te der Be­triebs­rat we­der vor dem Ar­beits­ge­richt Ber­lin (Be­schluss vom 15.04.2010, 42 BV 17459/09) noch vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg Er­folg (Be­schluss vom 23.09.2010, 25 TaBV 1155/10).

Vor dem BAG kam dann die über­ra­schen­de Kehrt­wen­de. Das BAG erklärte den Spruch für un­wirk­sam - al­ler­dings aus for­mal­ju­ris­ti­schen Gründen, da er den Be­triebs­par­tei­en nicht mit ei­ner Ori­gi­nal­un­ter­schrift des Ei­ni­gungs­stel­len­vor­sit­zen­den zu­ge­lei­tet wur­de und da­her ge­gen § 76 Abs. 3 Satz 4 Be­trVG ver­stieß.

Ab­ge­se­hen von der For­mun­wirk­sam­keit wäre der Spruch aber aus Sicht des BAG in Ord­nung ge­we­sen. Das BAG stellt aus­drück­lich klar, dass BEM-Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen kei­ne Kon­kre­ti­sie­run­gen des Be­griffs der "Ar­beits­unfähig­keit" ent­hal­ten können, denn die­ser Be­griff und da­mit der "Start­punkt" ei­nes je­den BEM sind ge­setz­lich ab­sch­ließend ge­re­gelt, so das BAG.

Fa­zit: Der Be­triebs­rat kann nicht ver­lan­gen, dass der Ar­beit­ge­ber in ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung zum be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment die Fra­ge re­gelt, was un­ter "Ar­beits­unfähig­keit" zu ver­ste­hen ist und wann da­her über­haupt ein BEM durch­zuführen ist. Hier können die Be­triebs­par­tei­en nichts re­geln, weil § 84 Abs.2 Satz 1 SGB IX ei­ne ab­sch­ließen­de ge­setz­li­che Re­ge­lung enthält. BEM-Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen soll­ten sich da­her auf an­de­re Punk­te be­schränken, z.B. auf die Fra­ge, in wel­chen Ein­zel­schrit­ten das BEM durch­geführt wer­den muss, in­ner­halb wel­cher Fris­ten sich die Be­tei­lig­ten äußern soll­ten usw.

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Letzte Überarbeitung: 29. Juni 2019

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