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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/036

Fäl­lig­keit der Ab­fin­dung kann ver­scho­ben wer­den

Auf­tei­lung ei­ner Ab­fin­dung zwecks Steu­er­er­spar­nis ist zu­läs­sig: Bun­des­fi­nanz­hof, Ur­teil vom 11.11.2009, IX R 1/09
Schreiben des Finanzamts Mitte/Tiergarten mit daraufliegenden Geldscheinen Ver­schie­ben der Fäl­lig­keit ei­ner Ab­fin­dung

22.02.2010. Wenn Ar­beit­neh­mer ei­ne Ab­fin­dung er­hal­ten, ist es für sie häu­fig steu­er­lich am güns­tigs­ten, wenn nicht die ge­sam­te Ab­fin­dung in ei­nem Ka­len­der­jahr bei der Fest­set­zung der Ein­kom­mens­steu­er zu Bu­che schlägt. Des­we­gen wol­len Ar­beit­neh­mer häu­fig ei­nen Teil der Ab­fin­dung erst spä­ter er­hal­ten.

Mit der Fra­ge, ob ei­ne der­ar­ti­ge Ver­ein­ba­rung steu­er­recht­lich zu­läs­sig ist und "funk­tio­niert" und ob es ei­ne Rol­le spielt, wenn die Ab­find­nung und ihr Aus­zah­lungs­zeit­punkt in ei­nem So­zi­al­plan ver­ein­bart sind, be­fasst sich ei­ne ak­tu­el­le Ent­schei­dung des Bun­des­fi­nanz­hofs (BFH): BFH, Ur­teil vom 11.11.2009, IX R 1/09.

Ab­fin­dung und Steu­ern

Wenn Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­ge­ber sich über die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­nig sind oder in ei­nem Kündi­gungs­schutz­pro­zess ei­nen Ver­gleich schließen, ver­ein­ba­ren sie fast im­mer auch die Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung. Während So­zi­al­ver­si­che­rungs­beiträge auf ei­ne Ab­fin­dung nicht ge­zahlt wer­den müssen, ist die Ab­fin­dung lohn­steu­er­pflich­tig, weil sie nach dem Ein­kom­mens­steu­er­ge­setz (EStG) ei­ne Ein­nah­me aus nicht­selbstständi­ger Ar­beit dar­stellt.

Der Zeit­punkt, an dem die Ab­fin­dung ge­zahlt wer­den muss („fällig wird“), ist nor­ma­ler­wei­se der Zeit­punkt, an dem das Ar­beits­verhält­nis en­det. Die­ser „übli­che“ Fällig­keits­zeit­punkt kann je­doch für den Ar­beit­neh­mer steu­er­lich ungüns­tig sein. Denn ei­ne Ab­fin­dung, die auf ein­mal ge­zahlt wird, kann das Jah­res­ein­kom­men, dass der Be­rech­nung der Steu­er zu­grun­de ge­legt wird, so erhöhen, dass der Steu­er­satz und die vom Ar­beit­neh­mer zu zah­len­den Steu­ern sehr hoch aus­fal­len. Die steu­er­li­che Pri­vi­le­gie­rung von Ab­fin­dungs­zah­lun­gen („Fünf­te­lungs­re­ge­lung“) gemäß § 34 EStG kom­pen­siert dies nicht aus­rei­chend.

Die­se steu­er­li­chen Nach­tei­le können ver­mie­den wer­den, wenn die Ab­fin­dungs­zah­lung auf meh­re­re Jah­re ver­teilt, al­so gestückelt, wird. Denn für die Höhe der zu zah­len­den Steu­ern wer­den nur die Zah­lun­gen berück­sich­tigt, die dem Ar­beit­neh­mer im Ka­len­der­jahr zu­ge­flos­sen sind (§ 11 Abs.1 S.1 EStG). Wenn der Zu­fluss al­so auf meh­re­re Ka­len­der­jah­re ver­teilt wird, wird ein ex­trem ho­hes Ein­kom­men in ei­nem Ka­len­der­jahr und dem­ent­spre­chend ho­he Steu­ern ver­mie­den.

Pro­ble­ma­tisch dar­an ist al­ler­dings, ob das (teil­wei­se) Hin­aus­schie­ben des Zah­lungs­zeit­punk­tes, um Steu­ern zu spa­ren, zulässig ist. Da­bei stellt sich zunächst die Fra­ge, ob ei­ne Ver­ein­ba­rung, mit der der Zah­lungs­zeit­punkt der Ab­fin­dung (teil­wei­se) hin­aus­ge­scho­ben wird, über­haupt et­was an dem steu­er­li­chen „Zu­fluss“ ändert. Denn im Steu­er­recht spricht man von Zu­fluss schon dann, wenn der Ar­beit­neh­mer über die Zah­lung verfügen kann. Als Verfügung könn­te man je­doch schon die frei­wil­li­ge Ver­ein­ba­rung über den (späte­ren) Zah­lungs­zeit­punkt an­se­hen, weil der Ar­beit­neh­mer da­durch schließlich den Aus­zah­lungs­zeit­punkt selbst in der Hand hat.

Ein zusätz­li­ches Pro­blem in die­sem Zu­sam­men­hang kann die Re­ge­lung des Ab­fin­dungs­an­spruchs in ei­nem So­zi­al­plan dar­stel­len. Denn dort ist in der Re­gel auch der Aus­zah­lungs­zeit­punkt für die Ab­fin­dung ge­re­gelt. Wenn Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­ge­ber den Zah­lungs­zeit­punkt in­di­vi­du­al­ver­trag­lich nach hin­ten schie­ben, wäre die­se Ver­ein­ba­rung nach dem so ge­nann­ten Güns­tig­keits­prin­zip un­wirk­sam, wenn man das Hin­aus­schie­ben des Zah­lungs­zeit­raums als für den Ar­beit­neh­mer ge­genüber der So­zi­al­plan­re­ge­lung nach­tei­li­ge Ver­ein­ba­rung an­se­hen würde. Sch­ließlich mag ei­ne späte­re Zah­lung für den Ar­beit­neh­mer zwar steu­er­recht­lich von Vor­teil sein, birgt aber auch Ri­si­ken für den Ar­beit­neh­mer, et­wa dann, wenn der Ar­beit­ge­ber in­sol­vent wird.

Mit die­sen Fra­gen be­fasst sich der Bun­des­fi­nanz­hof (BFH) in der vor­lie­gen­den Ent­schei­dung (Ur­teil vom 11.11.2009, IX R 1/09).

Der Fall des Bun­des­fi­nanz­hofs: Ar­beit­neh­me­rin ver­ein­bart späte­re Aus­zah­lung ei­nes Teils der Ab­fin­dung aus So­zi­al­plan

In dem Be­trieb der kla­gen­den Ar­beit­neh­me­rin gab es ei­nen So­zi­al­plan, nach dem die Beschäftig­ten, wenn sie „frei­wil­lig“ in ei­ne Beschäfti­gungs­ge­sell­schaft wech­sel­ten, An­spruch auf ei­ne Ab­fin­dung hat­ten, die mit der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis bei dem ehe­ma­li­gen Ar­beit­ge­ber fällig wer­den soll­te. Von die­ser Re­ge­lung mach­te die Ar­beit­neh­me­rin Ge­brauch. Da ihr Ar­beits­verhält­nis da­mit am 14.11.2000 en­de­te, wäre zu die­sem Zeit­punkt auch die Ab­fin­dung zu zah­len ge­we­sen.

Da die Aus­zah­lung der ge­sam­ten Ab­fin­dung im No­vem­ber 2000 für die Ar­beit­neh­me­rin steu­er­lich ungüns­tig war, ver­ein­bar­te sie schon zu­vor mit ih­rem Ar­beit­ge­ber, die Ab­fin­dung zu stückeln. Im Jahr 2000 soll­te da­nach nur ein Drit­tel der Ab­fin­dung ge­zahlt wer­den, der Rest erst im fol­gen­den Jahr.

In der Ein­kom­men­steu­er­erklärung für das Jahr 2000 gab die Ar­beit­neh­me­rin den „Zu­fluss“ von ei­nem Drit­tel der Ab­fin­dung an. Dies woll­te das Fi­nanz­amt je­doch nicht ak­zep­tie­ren. Es ging nämlich da­von aus, dass schon im Jahr 2000 die ge­sam­te Ab­fin­dung der Ar­beit­neh­me­rin zu­ge­flos­sen war. Dem­ent­spre­chend hoch setz­te das Fi­nanz­amt die von der Ar­beit­neh­me­rin zu zah­len­de Steu­er an.

Nach­dem sie zunächst oh­ne Er­folg hier­ge­gen Ein­spruch ein­ge­legt hat­te, klag­te die Ar­beit­neh­me­rin ge­gen die Steu­er­fest­set­zung vor dem Fi­nanz­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg und be­kam recht. Ge­gen die­ses Ur­teil leg­te das Fi­nanz­amt Re­vi­si­on zum BFH ein.

Bun­des­fi­nanz­hof: Hin­aus­schie­ben der Fällig­keit der Ab­fin­dung zulässig

Der BFH gab der Ar­beit­neh­me­rin eben­falls recht. Er teil­te die Auf­fas­sung des Fi­nanz­amts nicht, dass schon die ge­sam­te (und nicht nur ein Drit­tel) der Ab­fin­dung im Jahr 2000 zu­ge­flos­sen war. Denn die Ver­ein­ba­rung, den Zah­lungs­zeit­punkt teil­wei­se hin­aus­zu­schie­ben, stellt noch kei­nen „Zu­fluss“ im steu­er­recht­li­chen Sinn dar, der Ar­beit­neh­mer kann nämlich da­durch noch nicht vollständig über die Ab­fin­dung verfügen, so der BFH.

Da­bei war al­ler­dings we­sent­lich, dass Ar­beit­neh­me­rin und Ar­beit­ge­ber die Ver­ein­ba­rung, den Zah­lungs­zeit­punkt der Ab­fin­dung hin­aus­zu­schie­ben, schon vor der im So­zi­al­plan vor­ge­se­he­nen Fällig­keit der Ab­fin­dung ge­trof­fen hat­ten. Denn des­halb war die ge­sam­te Ab­fin­dung im Jahr 2000 nie­mals fällig ge­wor­den, dem­ent­spre­chend konn­te nach An­sicht des BFH auch nicht von ei­nem Zu­fluss der ge­sam­ten Ab­fin­dung ge­spro­chen wer­den.

Der BFH be­tont da­bei, dass ein Hin­aus­schie­ben der Fällig­keit auch dann zulässig ist, wenn die Ab­fin­dung und ihr Zah­lungs­zeit­punkt in ei­nem So­zi­al­plan ge­re­gelt ist. Ei­nen Ver­s­toß ge­gen das Güns­tig­keits­prin­zip ver­mag der BFH hier nicht zu er­ken­nen, weil er das ein­ver­nehm­li­che Hin­aus­schie­ben des Zah­lungs­zeit­punk­tes aus steu­er­li­chen Erwägun­gen als für den Ar­beit­neh­mer im Ver­gleich zum So­zi­al­plan güns­ti­ge­re Re­ge­lung an­sieht.

Sch­ließlich macht der BFH deut­lich, dass es nicht miss­bräuch­lich ist, wenn Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­ge­ber aus rein steu­er­recht­li­chen Gründen den Zah­lungs­zeit­punkt ei­ner Ab­fin­dung hin­auszögern bzw. auf ver­schie­de­ne Zeiträume auf­tei­len.

Fa­zit: Es lohnt sich al­so für Ar­beit­neh­mer, die ei­ne Ab­fin­dung er­hal­ten sol­len, den für sie steu­er­lich am güns­tigs­ten Aus­zah­lungs­zeit­raum ge­mein­sam mit ih­rem Ar­beit­ge­ber fest­zu­le­gen. Denn nach dem Ur­teil des BFH steht fest, dass dies selbst dann zulässig ist, wenn der Aus­zah­lungs­zeit­punkt be­reits in ei­nem So­zi­al­plan fest­ge­legt ist. Vor­sorg­lich soll­te dann je­doch dar­auf ge­ach­tet wer­den, die Ver­ein­ba­rung vor dem ei­gent­lich vor­ge­se­he­nen Aus­zah­lungs­zeit­punkt zu tref­fen, da sonst nicht aus­ge­schlos­sen ist, dass die nach der Fällig­keit ge­trof­fe­ne Ver­ein­ba­rung als „Verfügung“ des Ar­beit­neh­mers und die Ab­fin­dung da­mit als schon vollständig zu­ge­flos­sen an­ge­se­hen wird.

Bei der Ent­schei­dung, ob man den Zah­lungs­zeit­punkt der Ab­fin­dung nach hin­ten ver­schiebt, soll­te man al­ler­dings nicht nur die Steu­er­er­spar­nis im Blick ha­ben. Ei­ne späte­re Aus­zah­lung birgt nämlich auch das Ri­si­ko, dass man bei ei­ner späte­ren Zah­lungs­unfähig­keit des Ar­beit­ge­bers leer aus­geht. Be­steht die Ge­fahr, dass man zum an­vi­sier­ten Aus­zah­lungs­zeit­punkt Ar­beits­lo­sen­geld II (Hartz IV) be­zieht, droht zu­dem die An­rech­nung der Ab­fin­dung (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell 10/019: "Ab­fin­dung ist auf Ar­beits­lo­sen­geld II an­zu­rech­nen"). Die­se Ri­si­ken soll­ten sorg­sam mit den zu er­war­ten­den steu­er­li­chen Vor­tei­len ab­ge­wo­gen wer­den.

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Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

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