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BFH, Ur­teil vom 11.11.2009, IX R 1/09

   
Schlagworte: Abfindung, Einkommensteuer
   
Gericht: Bundesfinanzhof
Aktenzeichen: IX R 1/09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 11.11.2009
   
Leitsätze: Arbeitgeber und Arbeitnehmer können den Zeitpunkt des Zuflusses einer Abfindung oder eines Teilbetrags einer solchen beim Arbeitnehmer in der Weise steuerwirksam gestalten, dass sie deren ursprünglich vorgesehene Fälligkeit vor ihrem Eintritt auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.
Vorinstanzen: Finanzgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 20.11.2008, 3 K 101/05
   

BUN­DESFI­NANZ­HOF

Gründe

I.

Die Kläger und Re­vi­si­ons­be­klag­ten (Kläger) wer­den im Streit­jahr 2000 zu­sam­men zur Ein­kom­men­steu­er ver­an­lagt. Die Kläge­rin er­hielt von ih­rem frühe­ren Ar­beit­ge­ber (A GmbH) anläss­lich der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­ne Ab­fin­dung in Höhe von 75.000 DM. Hier­zu enthält die maßgeb­li­che Be­triebs­ver­ein­ba­rung (So­zi­al­plan) vom 26. Sep­tem­ber 2000 fol­gen­de Re­ge­lung: "Die Ab­fin­dung wird bei recht­li­cher Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit A... fällig und ist be­reits vor Fällig­keit ver­erb­lich. Er­hebt al­ler­dings ein Ar­beit­neh­mer ge­gen ei­ne ihm erklärte Kündi­gung Kündi­gungs­schutz­kla­ge, tritt Fällig­keit erst nach Ab­schluss des Kla­ge­ver­fah­rens, in­fol­ge­des­sen das Ar­beits­verhält­nis en­det, ein." Die Be­triebs­ver­ein­ba­rung en­de­te nach Ab­schluss der in ei­nem sog. In­ter­es­sen­aus­gleich auf­geführ­ten per­so­nel­len Maßnah­men. Auf der Grund­la­ge des In­ter­es­sen­aus­gleichs schlos­sen die Kläge­rin, die A GmbH und die A+B GmbH ei­nen drei­sei­ti­gen Ver­trag über die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses der Kläge­rin bei der A GmbH und die Be­gründung ei­nes be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­ses bei der Auf­fang­ge­sell­schaft A+B GmbH. Da­nach en­de­te das Ar­beits­verhält­nis mit Ab­lauf des 14. No­vem­ber 2000; mit Wir­kung zum 15. No­vem­ber 2000 trat die Kläge­rin in das bis zum 30. No­vem­ber 2002 be­fris­te­te neue Ar­beits­verhält­nis ein. Ei­ne et­wai­ge Ab­fin­dung nach dem In­ter­es­sen­aus­gleich und dem So­zi­al­plan soll­te di­rekt von der A GmbH an den je­wei­li­gen Mit­ar­bei­ter ab­ge­rech­net und aus­be­zahlt wer­den. Der Ver­trag wur­de mit Un­ter­zeich­nung durch al­le drei Ver­trags­par­tei­en wirk­sam. Er wur­de von der A GmbH am 17. Ok­to­ber 2000, von der Kläge­rin am 31. Ok­to­ber 2000 und von der A+B GmbH am 15. No­vem­ber 2000 un­ter­schrie­ben. Mit Schrei­ben vom

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26. Ok­to­ber 2000 bestätig­te die A GmbH der Kläge­rin ih­ren Ab­fin­dungs­an­spruch nach dem So­zi­al­plan in Höhe von 75.000 DM im Ein­zel­nen wie folgt: "Wie eben­falls be­spro­chen und von Ih­nen gewünscht, wird der steu­er­pflich­ti­ge Teil der Ab­fin­dungs­zah­lung in Höhe von 51.000 DM im Ja­nu­ar zur Aus­zah­lung ge­bracht. Die Aus­zah­lung des steu­er­frei­en An­teils der Ab­fin­dung in Höhe von 24.000 DM er­folgt bei Aus­tritt mit der No­vem­be­r­ab­rech­nung." Die Ab­fin­dung wur­de ent­spre­chend aus­ge­zahlt.

In der Ein­kom­men­steu­er­erklärung für das Jahr 2000 erklärte die Kläge­rin den steu­er­pflich­ti­gen Teil der Ab­fin­dung in Höhe von 51.000 DM nicht. Die Ein­kom­men­steu­er­erklärung für das Jahr 2001 enthält den zwei­ten Ab­fin­dungs­teil­be­trag von 51.000 DM als Ver­sor­gungs­bezüge für meh­re­re Jah­re.

Nach­dem der Be­klag­te und Re­vi­si­onskläger (das Fi­nanz­amt --FA--) die Kläge­rin zunächst an­trags­gemäß für das Jahr 2000 ver­an­lagt hat­te, teil­te er im De­zem­ber 2002 mit, dass der Kläge­rin die ge­sam­te Ab­fin­dung be­reits im Jahr 2000 zu­ge­flos­sen sei. Im Ein­kom­men­steu­er­be­scheid für 2001 ließ das FA den Teil­be­trag von 51.000 DM außer An­satz. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Ab­ga­ben­ord­nung (AO) er­ließ es ei­nen Ein­kom­men­steu­erände­rungs­be­scheid für das Jahr 2000 und er­fass­te von der Ab­fin­dung ei­nen Be­trag von 5.004 DM als lau­fen­den Ar­beits­lohn (Weih­nachts­geld) so­wie den steu­er­pflich­ti­gen Rest­be­trag in Höhe von 45.996 DM als ermäßigt nach § 34 Abs. 1 des Ein­kom­men­steu­er­ge­set­zes (EStG) zu be­steu­ern­de Ab­fin­dung. Im Be­scheid für das Jahr 2000 wur­den Nach­zah­lungs­zin­sen von 217 € fest­ge­setzt.

Der Ein­spruch ge­gen den geänder­ten Ein­kom­men­steu­er­be­scheid für das Jahr 2000 und den Ein­kom­men­steu­er­be­scheid für das Jahr 2001 blieb oh­ne Er­folg. Das Fi­nanz­ge­richt (FG) hat der Kla­ge

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statt­ge­ge­ben (Ent­schei­dun­gen der Fi­nanz­ge­rich­te 2009, 394). Das FA ha­be den steu­er­pflich­ti­gen Ab­fin­dungs­teil in Höhe von 51.000 DM zu Un­recht be­reits im Jahr 2000 er­fasst.

Hier­ge­gen rich­tet sich die Re­vi­si­on des FA, mit der die­ses die Ver­let­zung ma­te­ri­el­len Rechts rügt. Mit dem So­zi­al­plan sei die Fällig­keit der Ab­fin­dungs­zah­lung zwin­gend auf den Zeit­punkt des Aus­schei­dens fest­ge­legt wor­den. Da­nach ha­be be­reits im Jahr 2000 die wirt­schaft­li­che Verfügungs­macht der Kläge­rin über die ge­sam­te Ab­fin­dung be­stan­den, von der sie durch Ab­schluss des drei­sei­ti­gen Ver­tra­ges Ge­brauch ge­macht ha­be. Hier­mit sei die be­reits be­ste­hen­de Fällig­keit hin­aus­ge­scho­ben wor­den, was ei­ne wirt­schaft­li­che Verfügung der Kläge­rin über die For­de­rung dar­stel­le, die zum Zu­fluss führe.

Das FA be­an­tragt,

das Ur­teil des FG auf­zu­he­ben und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Kläger be­an­tra­gen,

die Re­vi­si­on zurück­zu­wei­sen.  

Die St­un­dung des zwei­ten Teils der Ab­fin­dungs­zah­lung bis zum Ja­nu­ar des Jah­res 2001 ha­be den Zu­fluss hin­aus­ge­scho­ben, nicht aber selbst be­wirkt. 

II.  

Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet und da­her zurück­zu­wei­sen (§ 126 Abs. 2 der Fi­nanz­ge­richts­ord­nung --FGO--). Zu­tref­fend hat das FG ent­schie­den, dass die Ab­fin­dung der Kläge­rin in Höhe des Teil­be­trags von 51.000 DM erst im Ja­nu­ar 2001 mit der Aus­zah­lung zu­ge­flos­sen ist.

1. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Ein­nah­men in­ner­halb des

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Ka­len­der­jah­res be­zo­gen, in dem sie dem Steu­er­pflich­ti­gen zu­ge­flos­sen sind. Nicht lau­fend ge­zahl­ter Ar­beits­lohn ist in dem Ka­len­der­jahr be­zo­gen, in dem er dem Ar­beit­neh­mer zu­ge­flos­sen ist. Der Zu­fluss ist zu be­ja­hen, so­bald der Steu­er­pflich­ti­ge über den Ar­beits­lohn wirt­schaft­lich verfügen kann. Die Fällig­keit ei­nes An­spruchs al­lein --vor sei­ner Erfüllung-- führt noch nicht zu ei­nem ge­genwärti­gen Zu­fluss. Ent­schei­dend ist al­lein der un­ein­ge­schränk­te, vol­le wirt­schaft­li­che Über­gang des ge­schul­de­ten Gu­tes oder das Er­lan­gen der wirt­schaft­li­chen Dis­po­si­ti­ons­be­fug­nis darüber. Hierfür genügt es auch vor der Rea­li­sa­ti­on des Leis­tungs­er­folgs, dass der Gläubi­ger oh­ne wei­te­res Zu­tun des Schuld­ners die Möglich­keit hat, den Leis­tungs­er­folg her­bei­zuführen (all­ge­mei­ne Mei­nung, vgl. Of­fer­haus, Steu­er und Wirt­schaft --StuW-- 2006, 317, 318, 320, m.w.N.).

Grundsätz­lich können Gläubi­ger und Schuld­ner ei­ner Geld­for­de­rung im Rah­men der zi­vil­recht­li­chen Ge­stal­tung des Erfüllungs­zeit­punkts auch die steu­er­recht­li­che Zu­ord­nung der Erfüllung zu ei­nem Ver­an­la­gungs­zeit­raum ge­stal­ten (vgl. BFH-Ur­teil vom 24. Sep­tem­ber 1985 IX R 2/80, BFHE 145, 507, BSt­Bl II 1986, 284; Of­fer­haus, a.a.O., 321). Ist es den Be­tei­lig­ten et­wa möglich, von vorn­her­ein die Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung für die Auflösung ei­nes Dienst­verhält­nis­ses auf ei­nen an­de­ren Zeit­punkt als den der Auflösung des Dienst­verhält­nis­ses zu ter­mi­nie­ren, der für sie steu­er­lich güns­ti­ger scheint, so kann es ih­nen auch nicht ver­wehrt sein, die vor­he­ri­ge Ver­ein­ba­rung --je­den­falls vor der ursprüng­lich ver­ein­bar­ten Fällig­keit-- im Ein­ver­neh­men und bei­der­sei­ti­gem In­ter­es­se wie­der zu ändern (Of­fer­haus, a.a.O., 321). Rechts­miss­brauch (§ 42 AO) kommt in der­ar­ti­gen Fällen re­gelmäßig nicht in Be­tracht.

2. Nach die­sen Grundsätzen ist der zwei­te Ab­fin­dungs­teil­be­trag von 51.000 DM der Kläge­rin nicht be­reits im Jahr 2000, son­dern

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erst im Ja­nu­ar 2001 zu­ge­flos­sen.

Das FG ist in re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den­der Wei­se da­von aus­ge­gan­gen, dass durch das Hin­aus­schie­ben der Fällig­keit des zwei­ten Ab­fin­dungs­teil­be­trags die Kläge­rin nicht über die­sen selbst wirt­schaft­lich verfügt hat.

Oh­ne Ver­s­toß ge­gen an­er­kann­te Aus­le­gungs­grundsätze hat das FG an­ge­nom­men, dass der Ab­fin­dungs­an­spruch der Kläge­rin in Höhe von 51.000 DM beim Aus­schei­den der Kläge­rin aus ih­rem ursprüng­li­chen Ar­beits­ver­trag zum Ab­lauf des 14. No­vem­ber 2000 be­reits mit ei­ner Fällig­keits­be­stim­mung auf den Ja­nu­ar 2001 ent­stan­den ist. Ins­be­son­de­re ist es nicht zu be­an­stan­den, wenn das FG die Un­ter­schrift der Kläge­rin auf dem drei­sei­ti­gen Ver­trag vom 31. Ok­to­ber 2000 so­wie die vor­an­ge­gan­ge­ne Un­ter­schrift der al­ten Ar­beit­ge­be­rin am 17. Ok­to­ber 2000 hin­sicht­lich der Fällig­keits­be­stim­mung für maßgeb­lich er­ach­tet hat. Denn nach der ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­rung soll­te die Ab­fin­dung von der A GmbH an ih­re Mit­ar­bei­te­rin ab­ge­rech­net und aus­be­zahlt wer­den. Da­mit wur­de der Ab­fin­dungs­teil­be­trag im Jahr 2000 nicht fällig. Ent­spre­chend konn­te auch die Fällig­keits­ver­ein­ba­rung vor Ent­ste­hung der For­de­rung nicht als Dis­po­si­ti­on über die For­de­rung als sol­che aus­zu­le­gen sein.

Der fi­nanz­ge­richt­li­chen Würdi­gung der Ver­trags­ge­stal­tung steht auch nicht ei­ne et­wai­ge Vor­ran­gig­keit der Fällig­keits­re­ge­lung im So­zi­al­plan ent­ge­gen. Zwar gel­ten Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen nach § 77 Abs. 4 Satz 1 des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes un­mit­tel­bar und zwin­gend. Je­doch gilt nach all­ge­mei­ner Mei­nung zwi­schen Be­triebs­ver­ein­ba­rung und ein­zel­ver­trag­li­cher Re­ge­lung grundsätz­lich das Güns­tig­keits­prin­zip (vgl. Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 27. Ja­nu­ar 2004 1 AZR 148/03, BA­GE 109, 244; Berg in Däubler/Kitt­ner/Kle­be, Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz,

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11. Aufl., § 77 Rz 19, m.w.N.). Die­se Güns­tig­keit der ein­zel­ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Fällig­keit er­gibt sich im Streit­fall aus der von der Kläge­rin als Ar­beit­neh­mer in­ten­dier­ten güns­ti­gen steu­er­recht­li­chen Aus­wir­kung.

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