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Strafbares Vorenthalten von Sozialabgaben bei Mindestlöhnen
19.10.2010. Vor einigen Wochen machte ein scheinbar aufsehenerregendes Urteil die Runde durch die Presse: Wer keine Mindestlöhne zahlt, macht sich angeblich strafbar.
In der Aufregung über diese Entscheidung wurde übersehen, dass der Angeklagte lediglich deshalb verurteilt wurde, weil keine Sozialabgaben auf Basis des tariflichen Mindestlohns für Reinigungskräfte an die Einzugsstelle abgeführt hatte. Mehr Lohn wurde an die Arbeitnehmerinnen deshalb nicht gezahlt.
Gleichwohl ist das Urteil interessant, denn es zeigt, dass die Verletzung von Arbeitgeberpflichten auch strafrechtliche Folgen haben kann: Landgericht Magdeburg, Urteil vom 29.06.2010, 21 Ns 17/09.
- Ist es strafbar, keine tariflichen Mindestlöhne zu zahlen?
- Der Fall: Arbeitgeber zahlt Reinigungskräften keinen Mindestlohn, um Gehalt, Sozialabgaben und Steuern zu sparen
- Landgericht Magdeburg: Es ist strafbar, keine Sozialabgaben auf Basis des tariflichen Mindestlohns abzuführen
Ist es strafbar, keine tariflichen Mindestlöhne zu zahlen?
Tarifverträge binden Gewerkschaftsmitglieder und Mitglieder eines Arbeitgeberverbandes bzw. den tarifvertragsschließenden Arbeitgeber selbst. Im Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) und im Tarifvertragsgesetz (TVG) sind jedoch Möglichkeiten vorgesehen, den Geltungsbereich von Tarifverträgen gesetzlich zu erweitern. Praktisch bedeutsam ist insbesondere die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen gemäß § 5 TVG, die nach Abschluss eines förmlichen Verfahrens vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Bundesanzeiger veröffentlicht wird.
Allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge binden dann innerhalb ihres örtlichen, sachlichen und persönlichen Geltungsbereichs auch Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die bisher nicht tarifgebunden waren. Arbeits- und sozialrechtlich sind Arbeitgeber dann verpflichtet, die tariflichen Mindestlöhne und die diesen Löhnen entsprechenden Sozialabgaben zu zahlen, auch wenn sie von alldem gar nichts wissen. Das Arbeits- und Sozialrecht und dementsprechend auch die Krankenkassen als die Einzugsstellen für die Sozialbeiträge sowie schließlich die Arbeits- und die Sozialgerichtsbarkeit setzen hier einfach voraus, dass Arbeitgeber die einschlägigen tariflichen Gegebenheiten kennen bzw. kennen müssen.
Wer die geltenden, auch von ihm zu zahlenden Tariflöhne eines anwendbaren allgemeinverbindlichen Tarifvertrags nicht kennt, setzt sich einem erheblichen finanziellen und rechtlichen (Prozess-)Risiko aus.
Vom Arbeitgeber nicht einbehaltene Sozialbeiträge können dem Arbeitnehmer nur bei den nächsten drei laufenden Lohnabrechnungen abgezogen werden (falls damit der Nettolohn nicht unter die Pfändungsfreigrenze sinkt), so dass der Arbeitgeber als alleiniger Kostenschuldner für die Sozialbeiträge die von ihm versehentlich nicht einbehaltenen Arbeitnehmeranteile am Sozialbeitrag „den Kopf hinhalten“ muss: Er darf dann den die rückständigen Sozialbeiträge insgesamt selbst bezahlen, d.h. auch den bei rechtzeitiger und korrekter Abrechnung auf den Arbeitnehmer entfallenden Anteil.
Darüber hinaus drohen Lohnnachzahlungen, die Arbeitnehmer vor den Arbeitsgerichten einklagen können. Sollte der allgemeinverbindliche Tarif, den der Arbeitgeber missachtet hat, Ausschlussfristen enthalten, wird sich der Arbeitgeber in aller Regel darauf nicht berufen können, da er auf den Tarifvertrag im Arbeitsvertrag nicht hingewiesen und damit seine Pflichten zur Erteilung eines korrekten schriftlichen Arbeitsnachweises entsprechend dem Nachweisgesetz (NachwG) verletzt hat.
Neben diesen arbeits- und sozialrechtlichen Belastungen drohen aber auch ordnungswidrigkeiten- und sogar strafrechtliche Folgen. Denn Arbeitgeber handeln ordnungswidrig, wenn sie den vom AEntG erfassten Branchen, zu denen beispielsweise die Gebäudereinigung und das Baugewerbe zählen, vorsätzlich oder fahrlässig den aufgrund des AEntG festgelegten Mindestlohn nicht zahlen. Hier drohen Geldbußen zwischen 500,00 und 500.000,00 EUR (§ 23 Abs. 1 Satz 1 AEntG).
Schwerwiegender ist jedoch die Regelung des § 266a Abs.1 Strafgesetzbuch (StGB). Danach haftet mit Freiheitsstrafe von höchstens fünf Jahren oder mit Geldstrafe, wer vorsätzlich der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung vorenthält. Bei der Berechnung der maßgeblichen Beiträge folgt das Strafrecht nach fast einhelliger Auffassung dem Arbeits- bzw. Sozialrecht. Berechnungsgrundlage ist damit der bei richtiger Rechtsanwendung zu zahlende bzw. der geschuldete, nicht aber der tatsächlich gezahlte Lohn. Arbeitgeber machen sich also strafbar, wenn sie vorsätzlich geringere Arbeitnehmer-Sozialabgaben abführen, als sie entsprechend einem tariflichen oder auf dem AEntG beruhenden Mindestlohn müssten.
Strafverfahren aus diesem Bereich werden fast immer gemäß § 153a Strafprozessordnung (StPO) gegen eine Geldauflage eingestellt. Deshalb gibt es hierzu bislang kaum veröffentlichte Gerichtsentscheidungen und das öffentliche Interesse an diesem Thema war dementsprechend bisher gering. Daher erregte Anfang Juli 2010 ein Urteil des Landgerichts (LG) Magdeburg Aufsehen. In einer - leider wenig aussagekräftigen - Pressemitteilung gab das Gericht damals bekannt, einen Arbeitgeber strafrechtlich verurteilt zu haben, weil er trotz zwingenden Mindestlohns nicht die entsprechenden Sozialabgaben abführte. Nun sind die Urteilsgründe im Volltext verfügbar (Landgericht Magdeburg, Urteil vom 29.06.2010, 21 Ns 17/09).
Der Fall: Arbeitgeber zahlt Reinigungskräften keinen Mindestlohn, um Gehalt, Sozialabgaben und Steuern zu sparen
Der Angeklagte beschäftigte zwischen 2004 und 2006 Frauen aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion als Reinigungskräfte für Toiletten und Waschräume. Dabei hatte der gebürtige Ukrainer gezielt ausschließlich russisch sprechende Immigrantinnen angeworben, die er durch Inserate, aber auch durch Nachfragen bei Bekannten kontaktiert hatte.
Die Arbeitnehmerinnen, die der Angeklagte auf Minijobbasis eingestellt hatte, mussten pro Monat 14 Tage und 12 Stunden täglich arbeiten. Sie verdienten zwischen 60 und 170 EUR pro Monat bei freier Kost und Logis. Gerichtlich wurden Stundenlöhne zwischen 1,00 und 1,79 EUR ermittelt. Nach dem damals einschlägigen, allgemeinverbindlichen Tarifvertrag wären mindestens 7,58 EUR zu zahlen gewesen. Der Unternehmer zahlte Sozialabgaben nach Maßgabe der tatsächlichen Stundenlöhne. Das war aber ungefähr 69.000,00 EUR zu wenig.
Sowohl das Amtsgericht Magdeburg (Urteil vom 09.10.2008, 12 Ds 556 Js 14590/05 [291/08]) als auch das LG Magdeburg (Urteil vom 26.03.2009, 24 Ns 556 Js 14590/05) waren der Auffassung, der Arbeitgeber habe sich nicht strafbar gemacht. Die Gerichte meinten, es seien strafrechtlich für die maßgebliche Höhe der Sozialabgaben nur die tatsächlich ausgezahlten Löhne zu Grunde zu legen.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin hob das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg den Freispruch aber auf (Urteil vom 08.07.2009, 2 SS 90/09) und verwies die Sache zwecks erneuter Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des LG Magdeburg zurück. Ausdrücklich übernahm es dabei die sozialrechtliche Rechtsprechung, nach der bei Tariflohnunterschreitungen die Höhe der Beitragsschuld vom geschuldeten Tariflohn und nicht von den gezahlten oder dem unwirksam vereinbarten untertariflichen Lohn abhängt.
Landgericht Magdeburg: Es ist strafbar, keine Sozialabgaben auf Basis des tariflichen Mindestlohns abzuführen
Das LG Magdeburg verurteilte den Arbeitgeber wegen vorsätzlichen Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung (§ 266a Abs.1 StGB) sowie wegen unrichtiger Angaben gegenüber der Einzugsstelle (§ 266a Abs.2 Nr.1 StGB) in einer Vielzahl von Fällen zu einer Gesamtstrafe in Höhe von 100 Tagessätzen à 10,00 Euro. Strafmildernd berücksichtigte das Gericht, dass der Angeklagte nicht vorbestraft und seine Firma zwischenzeitlich insolvent ist. Auch die überlange Verfahrensdauer wirkte sich zu seinen Gunsten aus.
Nach den Feststellungen des Gerichtes war dem Angeklagten bekannt, dass für gewerblich Beschäftigte im Gebäudereinigerhandwerk arbeitsvertragliche Bestimmungen durch bundesweit einheitliche, allgemeinverbindliche Rahmen- und Lohntarifverträge festgelegt sind und die von ihm beschäftigten Frauen hiervon hätten profitieren müssen.
Auch die Meldepflichten zur Sozialversicherung hatte der Angeklagte nach Ansicht des LG gekannt. Hierzu heißt es in dem Urteil (Rn.122):
„Für jeden verständigen Arbeitgeber, der bestimmte Dienstleistungen, wie Reinigungsleistungen anbietet, gehört es zur üblichen Geschäftsbesorgung, sich Kenntnis über die Arbeitsbedingungen im Allgemeinen und Vergütungsbedingungen im Besonderen zu verschaffen. Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Angeklagte ganz bewusst die gültigen Tarifregelungen umgangen hat, um sein eigenes Einkommen zu erhöhen. Dabei hat er solche Arbeitnehmer/-innen angeworben, von denen er genau wusste, dass diese die von ihm eingegangene Praxis der Umgehung des Mindestlohnes mitmachen würden, weil die Arbeitnehmer überhaupt froh waren, in ein Beschäftigungsverhältnis, wenn auch nur geringfügig, zu gelangen. Zudem war dem Angeklagten bewusst, dass sich die von ihm Beschäftigten arbeitsrechtlich nicht wehren würden.“
Fazit: Arbeitgeber, die sich nicht über verbindliche Mindestlöhne informieren oder sogar gezielt weniger zahlen, um Lohnausgaben und Sozialabgaben zu sparen, machen sich strafbar. Die Strafbarkeit beruht allein darauf, dass keine dem anzuwendenden Mindestlohn entsprechenden Arbeitnehmeranteile am Sozialbeitrag abgeführt werden.
Darüber hinaus können sich Arbeitgeber in derartigen auch wegen Lohndumpings strafbar machen. Denn auch Wucher zulasten von Arbeitnehmern, die wie im vorliegenden Fall in extremer Weise ausgebeutet werden, ist strafbar (§ 291 StGB). Die Feststellung eines strafbaren Lohnwuchers ist allerdings schwieriger als die hier vom LG Magdeburg getroffene Feststellung des Vorenthaltens von Sozialabgaben. Denn für den Wuchertatbestand kommt es auf Vergleichslöhne an, und auch Sachleistungen wie die hier vom Arbeitgeber gewährte Kost und Logis sind zu berücksichtigen. Außerdem muss der wucherisch Handelnde „die Zwangslage, die Unerfahrenheit, den Mangel an Urteilsvermögen oder die erhebliche Willensschwäche eines anderen“ ausbeuten.
Arbeitnehmer sollten jedenfalls bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit anwaltlicher Hilfe ihre rechtlichen Möglichkeiten prüfen lassen. Hier ist in der Regel Eile geboten, da schwarze Schafe wie der hier verurteilte Arbeitgeber bestenfalls einigen wenigen geprellten Arbeitnehmern einen finanziellen Ausgleich zahlen können. Rollt erst einmal eine Klagewelle, greifen die klagenden Arbeitnehmer in der Regel ins Leere, auch wenn sie vor Gericht obsiegen.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Landgericht Magdeburg, Urteil vom 29.06.2010, 21 Ns 17/09
- Handbuch Arbeitsrecht: Ausschlussfrist
- Handbuch Arbeitsrecht: Lohnrückstand - Arbeitgeberpflichten
- Handbuch Arbeitsrecht: Mindestlohn
- Handbuch Arbeitsrecht: Tarifvertrag
- Arbeitsrecht aktuell: 11/144 Dumpinglöhne: Wie weist man das allgemeine Lohnniveau nach?
Hinweis: In der Zwischenzeit, d. h. nach Erstellung dieses Artikels, hat das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg ebenfalls in dem hier besprochenen Fall entschieden. Die Entscheidungsgründe im Volltext finden Sie hier:
Letzte Überarbeitung: 28. März 2018
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