HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

OLG Naum­burg, Ur­teil vom 08.07.2009, 2 Ss 90/09

   
Schlagworte: Mindestlohn
   
Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Aktenzeichen: 2 Ss 90/09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 08.07.2009
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Amtsgericht Magdeburg, Urteil vom 09.10.2008, 12 Ds 291/08
Landgericht Magdeburg, Urteil vom 26.03.2009, 24 Ns 556 Js 14590/05
   

Ab­schrift

OBER­LAN­DES­GERICHT NAUM­BURG

IM NA­MEN DES VOL­KES

UR­TEIL

 

2 Ss 90/09 OLG Naum­burg
24 Ns 556 Js 14590/05 – 8/08 LG Mag­de­burg

 

In der Straf­sa­che

ge­gen ...

hat der 2. Straf­se­nat des Ober­lan­des­ge­richts Naum­burg in der Haupt­ver­hand­lung am 8. Ju­li 2009, an der teil­ge­nom­men ha­ben:

Vor­sit­zen­der Rich­ter am Ober­lan­des­ge­richt Braun
als Vor­sit­zen­der,
Rich­te­rin am Ober­lan­des­ge­richt Marx-Lei­ten­ber­ger und
Rich­te­rin am Land­ge­richt Bo­de
als bei­sit­zen­de Rich­te­rin­nen,
Staats­anwältin S.
als Ver­tre­te­rin der Ge­ne­ral­staats­an­walt­schaft,
Rechts­an­walt C. als Ver­tei­di­ger,

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Jus­tiz­an­ge­stell­te Weg­ner
als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

für R e c h t er­kannt:

Auf die Re­vi­si­on der Staats­an­walt­schaft wird das Ur­teil der 4. klei­nen Straf­kam­mer des Land­ge­richts Mag­de­burg vom 26. März 2009 mit den Fest­stel­lun­gen auf­ge­ho­ben.

Die Sa­che wird zu neu­er Ver­hand­lung und Ent­schei­dung, auch über die Kos­ten der Re­vi­si­on an ei­ne an­de­re klei­ne Straf­kam­mer des Land­ge­richts Mag­de­burg zurück­ver­wie­sen.

 

Gründe:

Die Staats­an­walt­schaft hat dem An­ge­klag­ten u. a. zur Last ge­legt, sich in der Zeit vom 15. Ja­nu­ar 2002 bis zum 27. Ja­nu­ar 2006 in 68 Fällen des Vor­ent­hal­tens und Ver­un­treu­ens von Ar­beits­ent­gelt (§ 266 a Abs. 1 oder 2 StGB) schul­dig ge­macht zu ha­ben. Hin­sicht­lich wei­te­rer Vorwürfe ist das Ver­fah­ren gemäß § 154 Abs. 2 St­PO vorläufig ein­ge­stellt wor­den. Das Amts­ge­richt hat den An­ge­klag­ten aus Rechts­gründen frei­ge­spro­chen. Die Be­ru­fung der Staats­an­walt­schaft hat­te kei­nen Er­folg. Das Land­ge­richt ist eben­falls zu ei­nem Frei­spruch aus Rechts­gründen ge­langt. Da­ge­gen hat die Staats­an­walt­schaft Re­vi­si­on ein­ge­legt. Sie rügt die Ver­let­zung sach­li­chen Rechts.
Die Re­vi­si­on ist zulässig (§§ 333, 341 Abs. 1, 344 f. St­PO) und be­gründet. Das an­ge­foch­te­ne Ur­teil be­ruht auf feh­ler­haf­ter An­wen­dung des Ge­set­zes (§§ 337, 353, 354 Abs. 2 St­PO).
Das Land­ge­richt hat aus­geführt, der An­ge­klag­te ha­be – of­fen­bar ab De­zem­ber 2001 – Sa­nitäran­la­gen u. a. an Au­to­bahn­raststätten ge­pach­tet und da­bei die Ver­pflich­tung über­nom­men, die­se Ein­rich­tun­gen ganztägig geöff­net zu hal­ten. Für den Be­trieb der An­la­gen ha­be er Rei­ni­gungs­kräfte beschäftigt, die bei ei­nem Ar­beits­ein­satz von vier­zehn Ta­ge mo­nat­lich und ei­ner tägli­chen Ar­beits­zeit von zwölf St­un­den Mo­natslöhne zwi­schen 60 und 300 Eu­ro er­hal­ten hätten. In den mit ih­nen ab­ge­schlos­se­nen schrift­li­chen Ar­beits­verträgen sei fest­ge­hal­ten wor­den, daß es sich um ei­ne ge­ringfügi­ge Beschäfti­gung han­de­le. Nach ei­nem - nicht näher be­zeich­ne­ten - für all­ge­mein ver­bind­lich erklärten Rah­men­ta­rif­ver­trag für das Rei­ni­gungs­ge-

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wer­be hätten sie je­doch nicht mit we­ni­ger als 7,68 Eu­ro je St­un­de ent­lohnt wer­den dürfen. In dem hier be­trof­fe­nen Zeit­raum ha­be der An­ge­klag­te – wohl mit Blick auf den Un­ter­schied zwi­schen dem ver­ein­bar­ten und ge­zahl­ten Lohn und dem Ta­rif­lohn – ins­ge­samt 73.940,61 Eu­ro Ar­beit­neh­mer­an­tei­le zur So­zi­al­ver­si­che­rung nicht an die AOK S. ab­geführt. Fer­ner sei er die­ser Kran­ken­kas­se für Au­gust 2004 bis Ja­nu­ar 2006 Ar­beit­ge­ber­an­tei­le von ins­ge­samt 36.909,26 Eu­ro schul­dig ge­blie­ben. Da­zu hat die Kam­mer die je­wei­li­gen Bei­tragssätze zur Kran­ken-, Pfle­ge-, Ren­ten- und Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rung, die An­zahl der in den ein­zel­nen Mo­na­ten beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer und die für die­se Mo­na­te je­weils of­fen ge­blie­be­nen Beiträge mit­ge­teilt.
Das genügt den An­for­de­run­gen nicht.
Schon gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 St­PO, aber auch aus sach­lich-recht­li­chen Erwägun­gen, müssen die Gründe ei­nes aus Rechts­gründen frei­spre­chen­den Ur­teils die für er­wie­sen er­ach­te­ten Tat­sa­chen an­ge­ben, die der recht­li­chen Be­ur­tei­lung zu­grun­de lie­gen (BGH NStZ-RR 2009, 70; BGHSt 52, 314 jew. m. w. Nachw.). Der Tatrich­ter muß da­her die Tat­sa­chen, die er für be­wie­sen hält, in ei­ner ge­schlos­se­nen, aus sich her­aus verständ­li­chen Dar­stel­lung klar, vollständig und wi­der­spruchs­frei mit­tei­len (BGH NStZ-RR 2005, 211). Ver­fehlt das Ur­teil die­se An­for­de­run­gen, so lei­det es un­ter ei­nem sach­lich-recht­li­chen Man­gel. Wenn ihm nicht hin­rei­chend zu ent­neh­men ist, wel­ches Ge­samt­ge­sche­hen der Tatrich­ter be­ur­teilt hat, kann das Re­vi­si­ons­ge­richt nicht über­prüfen, ob die recht­li­che Wer­tung des nach § 264 Abs. 1 St­PO maßgeb­li­chen Sach­ver­hal­tes kei­ne Straf­tat des An­ge­klag­ten er­gibt.
So­weit es um den Vor­wurf des Vor­ent­hal­tens und Ver­un­treu­ens von Ar­beits­ent­gelt (§ 266 a StGB) geht, muß der Tatrich­ter ne­ben den Bei­tragssätzen auch die Höhe des in den ein­zel­nen Mo­na­ten zu zah­len­den Ar­beits­ent­gel­tes mit­tei­len (BGH NStZ 1996, 543 m. w. Nachw.) Dar­an fehlt es hier. Of­fen bleibt auch, in wel­chem Um­fang der An­ge­klag­te Beiträge abführ­te. Eben­so­we­nig wur­de dar­ge­stellt, wel­che Erklärun­gen er im Zu­sam­men­hang mit den Bei­trags­zah­lun­gen ge­genüber der Kran­ken­kas­se ab­gab. Da­her fehlt auch die Grund­la­ge für die Be­ur­tei­lung der Fra­ge, ob er sich womöglich ei­nes Be­tru­ges schul­dig ge­macht hat.

Bei der er­neu­ten Ent­schei­dung wird zu be­ach­ten sein, daß der ob­jek­ti­ve Tat­be­stand des § 266 a Abs. 1 StGB be­reits dann erfüllt ist, wenn der Ar­beit­ge­ber die Ar­beit­neh­mer­beiträge zur So­zi­al­ver­si­che­rung bei Fällig­keit nicht an die zuständi­ge Ein­zugs­stel­le abführt, ob­wohl er zur Zah­lung in der La­ge war (BGHZ 134, 304; 144, 311; BGHSt 47, 318 jew. m. w. Nachw.). Die Bei­trags­pflicht ent­steht al­lein durch die ver­si­che­rungs­pflich­ti­ge Beschäfti­gung des Ar­beit­neh­mers ge­gen Ent­gelt (§§ 2 Abs. 2 Nr. 1 und 7, 22 Abs. 1 SGB IV). Der Ein­tritt der Fällig-

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keit der Beiträge zum 15. des Fol­ge­mo­nats setzt nach § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV nur vor­aus, daß der Ar­beit­neh­mer im Beschäfti­gungs­mo­nat die Tätig­keit aus­geübt hat, mit der er das Ar­beits­ent­gelt er­zielt. Ob der Ar­beit­ge­ber ihm den vol­len Lohn aus­zahl­te oder aus wel­chen Gründen dies ganz oder teil­wei­se un­ter­blie­ben ist, spielt hin­ge­gen kei­ne Rol­le (BS­GE 75, 61). Das für Einkünf­te aus nicht­selbständi­ger Ar­beit (§§ 2 Abs. 1 Nr. 4, 19 EStG) ein­kom­men­steu­er­recht­lich maßgeb­li­che Zu­flußprin­zip (§§ 2 Abs. 2 Nr. 2, 8 f. EStG) gilt für die Be­rech­nung und die Fällig­keit der So­zi­al­ver­si­che­rungs­beiträge und da­mit auch für den so­zi­al­recht-sak­zes­s­o­ri­schen § 266 a StGB hin­ge­gen nicht. Bei Ta­rif­lohn­un­ter­schrei­tun­gen ist die Höhe der Bei­trags­schuld gemäß §§ 14 Abs. 1, 23 Abs. 1 SGB IV nicht auf Grund des ge­zahl­ten oder des un­wirk­sam ver­ein­bar­ten un­ter­ta­rif­li­chen Loh­nes, son­dern nach dem ge­schul­de­ten Ta­rif­lohn zu be­rech­nen (BS­GE 93, 119; LSG Saar­land, Ur­teil vom 22. April 2005 – L 7 RJ 229/03 –).
Soll­te der An­ge­klag­te im Rah­men sei­ner Mel­de­pflicht (§ 28 a SGB IV) vorsätz­lich fal­sche An­ga­ben ge­macht ha­ben, die zu ei­nem ge­rin­ge­ren So­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag führen, so liegt dar­in ei­ne Tat­hand­lung im Sin­ne des § 263 Abs. 1 StGB (BGH NStZ 2003, 552; BGH wis­tra 2006, 425). Seit der am 1. Au­gust 2004 in Kraft ge­tre­te­nen Ände­rung des § 266 a StGB um­faßt die Vor­schrift je­doch auch be­trugsähn­li­che Be­ge­hungs­wei­sen und geht des­halb im Rah­men sei­nes An­wen­dungs­be­rei­ches dem Be­trugs­tat­be­stand als Spe­zi­al­ge­setz vor (BGH NStZ 2007, 527). Die­se Ge­set­zesände­rung ist mit Blick auf § 2 Abs. 3 StGB auch für die Straf­bar­keit vor dem 1. Au­gust 2004 be­gan­ge­ner Ta­ten von Be­deu­tung, wenn die ge­bo­te­ne kon­kre­te Be­trach­tung er­gibt, daß § 266 a StGB n.F. die für den An­ge­klag­ten güns­ti­ge­re Re­ge­lung enthält (BGH wis­tra 2008, 180).

 

gez. Braun 

gez. Marx-Lei­ten­ber­ger 

gez. Ewald

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