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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/220

Pfle­ge­zeit darf nicht mehr­mals ge­nom­men wer­den

Ar­beits­ge­richt trifft Ent­schei­dung zum Pfle­geZG: Ar­beits­ge­richt Stutt­gart, Ur­teil vom 24.09.2009, 12 Ca 1792/09
Gipsbein Gipsarm Pfle­ge­zeit kann nicht ge­stü­ckelt wer­den

27.11.2009. Das Pfle­ge­zeit­ge­setz (Pfle­geZG) war bis­her kaum Ge­gen­stand der Recht­spre­chung.

Jetzt be­fasst sich ei­ne ak­tu­el­le Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts (ArbG) Stutt­gart mit der in die­sem Ge­setz ge­re­gel­ten Pfle­ge­zeit, die dem Ar­beit­neh­mer das Recht auf Frei­stel­lung zur Pfle­ge na­her An­ge­hö­ri­ger ein­räumt, ArbG Stutt­gart, Ur­teil vom 24.09.2009, 12 Ca 1792/09.

Frei­stel­lung nach dem Pfle­ge­zeit­ge­setz (Pfle­geZG)

Am 01.07.2008 trat das Ge­setz über die Pfle­ge­zeit in Kraft. Ziel des Ge­set­zes ist die Ver­bes­se­rung der Ver­ein­bar­keit von fa­mi­liärer Pfle­ge und Er­werbstätig­keit (§ 1 Pfle­geZG). Ar­beit­neh­mern, die ei­nen pfle­ge­bedürf­ti­gen na­hen An­gehöri­gen ha­ben, soll ermöglicht wer­den, die­sen selbst zu pfle­gen, oh­ne durch ih­re Be­rufstätig­keit dar­an ge­hin­dert zu sein. Hierfür hält das Ge­setz zwei ver­schie­de­ne In­stru­men­te be­reit:

Bei kurz­zei­ti­gem, aku­tem Pfle­ge­be­darf, gibt § 2 dem Beschäftig­ten ein Recht „der Ar­beit bis zu zehn Ta­ge fern zu blei­ben“. Er hat dem Ar­beit­ge­ber die Ver­hin­de­rung an der Ar­beits­leis­tung und de­ren vor­aus­sicht­li­che Dau­er un­verzüglich mit­zu­tei­len.

Zur länger­fris­ti­gen Pfle­ge ei­nes na­hen An­gehöri­gen sieht § 3 Pfle­geZG die so ge­nann­te Pfle­ge­zeit vor. Ein Ar­beit­neh­mer der ei­nen An­gehöri­gen in häus­li­cher Um­ge­bung pflegt, ist „von der Ar­beits­leis­tung vollständig oder teil­wei­se frei­zu­stel­len“. Die In­an­spruch­nah­me muss der Ar­beit­neh­mer, an­ders als das Fern­blei­ben we­gen aku­ten Pfle­ge­be­darfs nach § 2 Pfle­geZG, we­nigs­ten 10 Ta­ge vor Be­ginn schrift­lich ankündi­gen. Da­bei muss er gleich­zei­tig erklären, in wel­chem Um­fang und für wel­chen Zeit­raum die Frei­stel­lung in An­spruch ge­nom­men wer­den soll. Die Länge der Pfle­ge­zeit beträgt höchs­ten sechs Mo­na­te für je­den na­hen An­gehöri­gen (§ 4 Abs. 1 S. 1 Pfle­geZG).

An­ge­lehnt ist die Ge­stal­tung der Pfle­ge­zeit nach § 3 Pfle­geZG an die El­tern­zeit nach dem El­tern­geld- und El­tern­teil­zeit­ge­setz (BEEG). Al­ler­dings ist sie nicht in al­len Punk­ten gleich ge­re­gelt. So sieht das BEEG aus­drück­lich vor, dass die El­tern­zeit auf zwei und mit Zu­stim­mung des Ar­beit­ge­bers auch auf meh­re­re Zeit­ab­schnit­te ver­teilt wer­den kann (§ 16 Abs.1 S. 5 BEEG), während das Pfle­geZG hier­zu kei­ne Aus­sa­ge trifft.

In der ju­ris­ti­schen Fach­li­te­ra­tur wird über­wie­gend da­von aus­ge­gan­gen, ei­ne Auf­tei­lung der Pfle­ge­zeit sei nicht möglich. Pro na­hem An­gehöri­gen könne nur ein­mal Pfle­ge­zeit ge­nom­men wer­den, Un­ter­bre­chun­gen sei­en nicht möglich. Bis­wei­len wird aber auch das Ge­gen­teil ver­tre­ten. Nur, wenn ei­ne Auf­tei­lung möglich sei, wer­de dem Zweck des Ge­set­zes, die Ver­ein­bar­keit von Be­ruf und fa­mi­liärer Pfle­ge zu fördern, ent­spro­chen. Da das Pfle­ge­zeit­ge­setz erst seit kur­zem gilt, hat sich die Recht­spre­chung bis­her al­ler­dings noch nicht mit die­sem Pro­blem be­fasst.

In ei­ner Ent­schei­dung vom 24.09.2009 hat­te nun aber das Ar­beits­ge­richt Stutt­gart die Fra­ge zu be­ant­wor­ten (ArbG Stutt­gart, Ur­teil vom 24.09.2009, 12 Ca 1792/09).

Der Fall des Ar­beits­ge­richts Stutt­gart: Ar­beit­neh­mer möch­te zwei­mal für we­ni­ge Ta­ge sei­ne pfle­ge­bedürf­ti­ge Mut­ter pfle­gen

Der kla­gen­de Ar­beit­neh­mer er­hielt auf ei­ge­nen Wunsch ei­ne Frei­stel­lung nach § 3 Pfle­geZG, al­so „Pfle­ge­zeit“, für vier Ta­ge im Ju­ni 2009, um sei­ne pfle­ge­bedürf­ti­ge Mut­ter zu pfle­gen. Für De­zem­ber for­der­te er von sei­nem Ar­beit­ge­ber ei­ne wei­te­re zweitägi­ge Frei­stel­lung, um sei­ne Mut­ter zu pfle­gen. Die In­an­spruch­nah­me hat­te er dem Ar­beit­ge­ber über ein hal­bes Jahr vor­her schrift­lich an­gekündigt.

Die­se Frei­stel­lung bestätig­te der Ar­beit­ge­ber nicht. Er ging nämlich da­von aus, dass der An­spruch des Klägers auf Pfle­ge­zeit zur Pfle­ge sei­ner Mut­ter schon durch die In­an­spruch­nah­me im Ju­ni ab­ge­gol­ten sei. Denn für ei­nen An­gehöri­gen könne man die Pfle­ge­zeit nur ein­mal oh­ne Un­ter­bre­chung in An­spruch neh­men.

Der Kläger war da­ge­gen der Auf­fas­sung, dass der An­spruch auf Pfle­ge­zeit auch mehr­mals bis zur Er­rei­chung der Pfle­gehöchst­dau­er von 6 Mo­na­ten je An­gehöri­gem gel­tend ge­macht wer­den könne.

Ar­beits­ge­richt Stutt­gart: Pfle­ge­zeit darf nur ein­mal ge­nom­men wer­den

Das Ar­beits­ge­richt wies die Kla­ge als un­be­gründet ab. Ein An­spruch auf Pfle­ge­zeit für die zwei Ta­ge im De­zem­ber be­steht sei­ner An­sicht nach nicht. Pfle­ge­zeit nach § 3 kann nämlich bis zu ei­ner Höchst­dau­er von sechs Mo­na­ten je An­gehöri­gem nur oh­ne Un­ter­bre­chung in An­spruch ge­nom­men wer­den, ei­ne Auf­tei­lung auf meh­re­re Zeiträume ist nicht möglich, meint das Ge­richt. Der An­spruch des Klägers auf Frei­stel­lung nach § 3 zur Pfle­ge sei­ner Mut­ter sei durch die In­an­spruch­nah­me der vier Ta­ge im Ju­ni des­halb schon ab­ge­gol­ten.

Das Ge­richt stützt sich im we­sent­li­chen auf ei­nen Ver­gleich zum El­tern­zeit­ge­setz (BEEG). Des­sen § 16 Abs. 1 S. 5 sieht nämlich die Möglich­keit der Auf­tei­lung der El­tern­zeit aus­drück­lich vor. Da das Pfle­geZG nach dem Vor­bild des BEEG ge­stal­tet sei, ei­ne Auf­tei­lung der Pfle­ge­zeit aber ge­ra­de nicht vor­sieht, muss da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass ei­ne Auf­tei­lung auf meh­re­re Zeiträume hier ge­ra­de nicht ge­wollt ist, so die Schluss­fol­ge­rung des Ar­beits­ge­richts.

Dafür spricht nach An­sicht des Ge­richts auch der Un­ter­schied zwi­schen § 2 und § 3 Pfle­geZG. Für ei­ne aku­te Pfle­ge­si­tua­ti­on und kurz­fris­ti­gen Pfle­ge­be­darf, der ge­ge­be­nen­falls mehr­mals und mit Un­ter­bre­chun­gen auf­tre­ten kann, ist die Frei­stel­lung zur „Akut­pfle­ge“ nach § 2 ge­dacht, während nach § 3 nur länger­fris­ti­ge Pfle­ge­zeit in An­spruch ge­nom­men wer­den soll.

Ent­schei­dend spricht auch § 5 Pfle­geZG ge­gen ei­ne Auf­teil­bar­keit, so das Ge­richt. § 5 gewährt nämlich für Ar­beit­neh­mer für Pfle­ge­zei­ten nach § 2 und § 3 Pfle­geZG Son­derkündi­gungs­schutz. Bei In­an­spruch­nah­me der Pfle­ge­zeit nach § 3 be­ginnt der Kündi­gungs­schutz für den Ar­beit­neh­mer schon zu dem Zeit­punkt, in dem der Ar­beit­neh­mer ankündigt, Pfle­ge­zeit neh­men zu wol­len. Wenn die­se Ankündi­gung Wo­chen oder - wie im ent­schie­de­nen Fall gar Mo­na­te - vor Be­ginn der Pfle­ge­zeit er­folgt und zu­dem noch ei­ne Auf­tei­lung der Pfle­ge­zeit möglich ist, kann der Ar­beit­neh­mer durch ge­schick­te Ver­tei­lung qua­si für sei­ne Unkünd­bar­keit sor­gen, so das Ge­richt wei­ter. Dies kann nach An­sicht des Ge­richts aber nicht ge­wollt ge­we­sen sein.

Die Ent­schei­dung ist nach­voll­zieh­bar be­gründet und liegt auf der Li­nie der wohl herr­schen­den Mei­nung. In der Tat legt vor al­lem der Ver­gleich zum nur we­nig älte­ren El­tern­zeit­ge­setz na­he, dass ei­ne Auf­tei­lung der Pfle­ge­zeit nicht möglich ist. Auch die Ge­fahr des Miss­brauchs zum „Er­schlei­chen von Unkünd­bar­keit“ we­gen des ab Ankündi­gung der Pfle­ge­zeit be­ste­hen­den Son­derkündi­gungs­schut­zes ist nicht ganz von der Hand zu wei­sen. An­de­rer­seits sind die­se Ar­gu­men­te nicht zwin­gend. Zu­dem bleibt im vor­lie­gen­den Fall un­klar, war­um der Ar­beit­neh­mer nicht auf die In­an­spruch­nah­me der kürze­ren Frei­stel­lung nach § 2 Pfle­geZG ver­wie­sen wur­de.

Vor al­lem mit Blick auf den Zweck des Ge­set­zes, die Ver­ein­bar­keit von Be­ruf und häus­li­cher fa­mi­liärer Pfle­ge her­zu­stel­len, wäre ei­ne an­de­rer Ent­schei­dung wünschens­wert ge­we­sen. Denn trotz al­len gu­ten Wil­lens ist die­ser Zweck durch das Ge­setz oh­ne­hin un­zu­rei­chend gefördert: Der durch­schnitt­li­che Zeit­raum, in dem Pfle­ge­bedürf­ti­ge der Pfle­ge bedürfen, dau­ert et­wa drei Jah­re, die Pfle­ge­zeit nach § 3 je­doch höchs­tens sechs Mo­na­te.

Außer­dem über­zeugt nicht, dass bei An­gehöri­gen, die nicht ständig son­dern mit Un­ter­bre­chun­gen pfle­ge­bedürf­tig sind, nur der An­spruch nach § 2 be­ste­hen soll. Kon­se­quenz des­sen könn­te letzt­lich sein, dass Beschäftig­te da­von ab­ge­hal­ten wer­den, ih­re An­gehöri­gen zu pfle­gen, wenn ab­seh­bar ist, dass dies - et­wa nach ei­nem Kran­ken­haus­auf­ent­halt - länger als zehn Ta­ge aber deut­lich we­ni­ger als sechs Mo­na­te nötig wäre, weil da­durch der lan­ge Pfle­ge­zeit­an­spruch ver­lo­ren geht. In der Kon­se­quenz führt dies da­zu, dass man für die In­an­spruch­nah­me der Pfle­ge­zeit bis zum letztmögli­chen Zeit­punkt war­ten soll­te, um den An­gehöri­gen we­nigs­ten zu­letzt be­glei­ten zu können. Ob dies In­ten­ti­on des Ge­setz­ge­bers war, ist frag­lich.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, ha­ben das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ba­den-Würt­tem­berg als Be­ru­fungs­ge­richt und das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) die Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts Stutt­gart bestätigt. Das LAG-Ur­teil und das BAG-Ur­teil so­wie ei­ne Be­spre­chung des BAG-Ur­teils fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 17. Juli 2017

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