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Anhörung „light“ genügt bei Vorkenntnissen des Arbeitnehmers für Verdachtskündigung.
23.04.2008. Eine Verdachtskündigung ist unwirksam, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht vorher zu den Verdachtsmomenten, auf die er die Verdachtskündigung stützen will, angehört hat.
Bei einer solchen Anhörung muss der Arbeitgeber die Karten auf den Tisch legen, d.h. die aus seiner Sicht bestehenden Verdachtsmomente vollständig offenlege.
Diese Pflicht geht allerdings nicht so weit, dass der Arbeitgeber die ihm bekannten Inhalte einer Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft dem Arbeitnehmer bekannt machen muss. Eine Pflicht zur Information über den Sachstand einer solchen Ermittlungsakte besteht nicht, wenn der Arbeitnehmer die von Polizei und Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfe schon aus einer anderen Quelle kennt: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.03.2008, 2 AZR 961/06.
- Wie genau muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bei einer Anhörung vor einer Verdachtskündigung über die bestehenden Verdachtsmomente informieren?
- Der Hamburger Autoreifenfall: Schul-Sozialpädagoge ist dringend verdächtig, Autoreifen seiner Lehrerkollegen aufgeschlitzt zu haben
- BAG: Der Arbeitgeber ist nicht unbedingt dazu verpflichtet, den Arbeitnehmer bei der Anhörung über die Inhalte einer Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft zu informieren
Wie genau muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bei einer Anhörung vor einer Verdachtskündigung über die bestehenden Verdachtsmomente informieren?
Oft hat der Arbeitgeber für einen gravierenden, für eine außerordentliche Kündigung hinreichenden Pflichtverstoß eines Arbeitnehmers keine zwingenden Beweise, sondern kann nur auf mehr oder weniger dringende Verdachtsmomente verweisen. In einem derartigen Fall gesteht die Rechtsprechung dem Arbeitgeber die Möglichkeit einer Verdachtskündigung zu.
Da eine Kündigung wegen des bloßen Verdachts aber stets mit dem Risiko verbunden ist, Unschuldige zu treffen, muss der Tatverdacht dringend sein. Außerdem muss der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung eine Anhörung des Arbeitnehmers vorgenommen haben, damit sich dieser zu den Verdachtsmomenten äußern und sie ggf. entkräften kann. Eine Verdachtskündigung ohne vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist daher immer unwirksam.
Fraglich ist im Einzelfall immer wieder, wie genau der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bei der Anhörung über die aus Arbeitgebersicht bestehenden Verdachtsmomente informieren muss.
Zu dieser Frage meint das Bundesarbeitsgericht (BAG), die Sachverhaltsangaben müssten nicht so umfassend und genau sein wie die Informationen, die der Arbeitgeber dem Betriebsrat bei dessen Information ("Betriebsratsanhörung") gemäß § 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geben müsse. Hier verlangt man so viele und detaillierte Angaben, dass der Betriebsrat in die Lage versetzt wird, sich ohne eigene Nachforschungen ein Bild von der Rechtmäßigkeit der in Aussicht genommenen Kündigung zu machen.
Demgegenüber reicht es bei der Anhörung des Arbeitnehmers zwar nicht aus, wenn der Arbeitnehmer nur mit vagen Sachverhaltsangaben oder gar mit bloßen Wertungen konfrontiert wird. So umfassend wie der Betriebsrat muss der betroffene Arbeitnehmer aber nicht informiert werden.
Was im einzelnen zu den bereits vorliegenden „wesentlichen Erkenntnissen“ des Arbeitgebers gehört, die er dem Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des BAG bei der Anhörung nicht vorenthalten darf, was also die „relevanten Umstände“ sind, aus denen der Arbeitgeber seinen Verdacht ableitet und die er dem Arbeitnehmer daher mitteilen muss (vgl. BAG, Urteil vom 26.09.2002, 2 AZR 424/01), ist nicht abschließend geklärt.
Diese Fragen sind von großer Bedeutung, weil behauptete Fehler bei der Anhörung oft die einzigen brauchbaren Argumente sind, mit denen der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung angreifen kann. Unklar ist zum Beispiel, ob bzw. unter welchen Umständen der Arbeitgeber, falls er die Inhalte einer polizeilichen oder staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte kennt, diese dem Arbeitnehmer im Rahmen der Anhörung mitteilen muss.
Dazu stellte das BAG vor einigen Jahren (mit Urteil vom 26.09.2002, 2 AZR 424/01) klar, dass eine solche Pflicht jedenfalls dann nicht besteht, wenn der verdächtigte Arbeitnehmer bereits zu Beginn der im Rahmen eines Personalgesprächs vorgenommenen Anhörung abschließend mitteilt, sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht äußern zu wollen.
Bislang noch nicht entschieden ist die Frage, ob die dem Arbeitgeber bekannten Inhalte einer Ermittlungsakte nicht mitgeteilt werden müssen, wenn der Arbeitnehmer aus anderer Quelle bereits über die wesentlichen, von den Strafverfolgungsbehörden erhobenen Vorwürfe informiert ist. Über einem solchen Fall hatte das BAG mit Urteil vom 13.03.2008 (2 AZR 961/06) zu entscheiden.
Der Hamburger Autoreifenfall: Schul-Sozialpädagoge ist dringend verdächtig, Autoreifen seiner Lehrerkollegen aufgeschlitzt zu haben
Der klagende Arbeitnehmer, ein in einer Schule eingesetzter Sozialpädagoge, war dringend verdächtig, in mehreren Fällen die Autoreifen von Lehrern, die sich kritisch über seine Arbeit geäußert hatten, zerstochen zu haben. Nachdem die betroffenen Lehrer Strafanzeige erstattet hatten, installierte die Polizei eine Videoüberwachungsanlage, woraufhin es zu weiteren, gefilmten Sachbeschädigungen kam. Zwei der betroffenen Lehrer meinten, den Sozialpädagogen auf den Videobändern erkennen zu können.
In der Folge erhielt die Schulverwaltung Kenntnis über den Inhalt der wegen des Verdachts der Sachbeschädigung geführten Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft. Sie unterrichtete den Arbeitnehmer, der die Vorwürfe bestritt, im Rahmen der gebotenen Anhörung schriftlich über ihre Kenntnis der Ermittlungsakte und ihren Verdacht, der Kläger habe mehrfach Reifen von Kollegen beschädigt.
In diesem Anhörungsschreiben teilte sie dem Arbeitnehmer aber nicht den genauen Inhalt der Ermittlungsakte mit. Insbesondere informierte sie ihn nicht darüber, zu welchen genauen Zeitpunkten er sich mutmaßlich als Reifenstecher betätigt haben soll. Der Arbeitnehmer erklärte daraufhin nach Erhalt dieses Anhörungsschreibens, sich nicht äußern zu wollen.
Daraufhin sprach die Schulverwaltung eine außerordentliche Verdachtskündigung aus, die der Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht Hamburg im Wege der Kündigungsschutzklage angriff.
Das Arbeitsgericht Hamburg (Urteil vom 27.06.2005, 21 Ca 523/03) und das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamburg (Urteil vom 11.05.2006, 2 Sa 71/05) gaben dem Kläger recht. In einem wegen des Verdachts der Sachbeschädigung vor dem Amtsgericht geführten Strafprozess wurde der Kläger noch vor Abschluss des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Die hiergegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hatte keinen Erfolg.
Das LAG Hamburg stützte sein zugunsten des Klägers ergangenes Urteil im wesentlichen darauf, der Kläger habe auf der Grundlage der schriftlichen Anhörung keine ausreichende Möglichkeit gehabt, sich zu den einzelnen Tatvorwürfen zu äußern, da die Schulverwaltung hier keine Daten mitgeteilt hatte. Der Kläger hatte außerdem vor Ausspruch der Kündigung auch keine anderweitige Kenntnis von den Inhalten der Ermittlungsakte. Daher war die Anhörung nach Ansicht des LAG rechtlich fehlerhaft.
BAG: Der Arbeitgeber ist nicht unbedingt dazu verpflichtet, den Arbeitnehmer bei der Anhörung über die Inhalte einer Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft zu informieren
Die Revision der Beklagten vor dem BAG hatte Erfolg. Sie führte zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
In Übereinstimmung mit dem LAG Hamburg ging das BAG davon aus, dass gegen den Kläger ein dringender und auf objektive Tatsachen gegründeter Verdacht bestand, seine Kollegen durch das Aufschlitzen der Reifen vorsätzlich geschädigt zu haben. Dass dieser Verdacht durch den strafgerichtlichen Freispruch aus Mangel an Beweisen nicht weggefallen war, versteht sich angesichts der Gründe für den Freispruch von selbst.
Anders als das LAG war das BAG aber der Meinung, der Arbeitnehmer sei vor der Kündigung in ausreichendem Maße angehört worden. Dabei stellte das BAG entscheidend darauf ab, dass dem Kläger die in Betracht kommenden Tattage aus einem früher gegen ihn ergangenen Durchsuchungsbefehl bekannt waren. Daher wusste er schon unabhängig von dem Anhörungsschreiben des Arbeitgebers, das die möglichen Tattage nicht nochmals im Einzelnen aufführte, welche Sachbeschädigungen ihm vorgeworfen wurden. Daher konnte er sich zu den Vorwürfen konkret äußern, ohne dazu die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft zu kennen.
Fazit: Angesichts dieses Prozessverlaufs kann dem Arbeitgeber nur dringend dazu geraten werden, die rechtlich gebotene Anhörung des Arbeitnehmers in Fällen wie dem vorliegenden mit einem möglichst umfassenden Anhörungsschreiben zu beginnen. Jede Diskussion über den Umfang der Kenntnisse des Arbeitnehmers bezüglich der ihm vorgehaltenen Verdachtsmomente erübrigt sich, wenn diese vollständig im Anhörungsschreiben aufgelistet werden.
Nähere Informationen zu diesem Vorgang finden Sie hier:
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.03.2008, 2 AZR 961/06
- Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 11.05.2006, 2 Sa 71/05
- Handbuch Arbeitsrecht: Anhörung des Betriebsrats
- Handbuch Arbeitsrecht: Verdachtskündigung
- Arbeitsrecht aktuell: 18/247 BAG weicht Anhörung bei Verdachtskündigungen auf
- Arbeitsrecht aktuell: 18/094 LAG Kiel urteilt zu Verdachtskündigung
- Arbeitsrecht aktuell: 15/038 Kein Anspruch auf Hinzuziehung eines Anwalts zu BEM-Gesprächen
- Arbeitsrecht aktuell: 12/074 Anhörung des Betriebsrats darf keine vermeidbaren Fehler enthalten
Hinweis: In der Zwischenzeit, d.h. nach Erstellung dieses Artikels, hat das Gericht seine Entscheidungsgründe schriftlich abgefasst und veröffentlicht. Die Entscheidungsgründe im Volltext finden Sie hier:
Letzte Überarbeitung: 30. Oktober 2018
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