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LAG München, Urteil vom 05.07.2010, 3 Sa 141/10
Schlagworte: | Betriebsübergang, Widerspruchsrecht | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht München | |
Aktenzeichen: | 3 Sa 141/10 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 05.07.2010 | |
Leitsätze: | Das für die Verwirkung des Widerspruchsrechts nach § 613 BGB erforderliche Umstandsmoment kann nicht ausschließlich durch eine Disposition des Arbeitnehmers verwirklicht werden. Bei außergewöhnlich stark ausgeprägtem Zeitmoment können wegen der Wechselwirkung zwischen Zeit- und Umstandsmoment auch andere Verhaltensweisen, z. B. Vereinbarungen, mit denen der Inhalt des Arbeitsverhältnisses gravierend geändert wird, zur Begründung des Umstandsmoments ausreichen (hier: Einverständnis des Arbeitnehmers mit der Abtretung von Ansprüchen auf Arbeitsentgelt in Höhe des zu erwartenden Insolvenzgeldes und auf das Insolvenzgeld selbst an eine Bank zur Vorfinanzierung der Insolvenzgeldzahlung). |
|
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht München, Urteil vom 25.11.2009, 19 Ca 5862/09 | |
3 Sa 141/10
19 Ca 5862/09
(ArbG München)
Verkündet am: 05.07.2010
Kübler
Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
Landesarbeitsgericht München
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
A.
- Kläger und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte:
gegen
Firma I. AG,
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
- 2 -
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2010 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenfelder und die ehrenamtlichen Richter Högele und Koehn
für Recht erkannt:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 25.11.2009 - 19 Ca 5862/09 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses der Parteien nach einem Teilbetriebsübergang mit der früheren Arbeitgeberin und über die vom Kläger begehrte Beschäftigung bei diesem Unternehmen zu unveränderten Bedingungen.
Der Kläger war seit August 1978 bei der Firma S. AG beschäftigt. Sein Arbeitsverhältnis ging zum 01.04.1999 im Rahmen von Umstrukturierungs- und Ausgliederungsmaßna-men auf die Beklagte über. Diese informierte den Kläger mit Schreiben vom 30.03.2006, sie habe den Geschäftsbereich Speicherprodukte, in dem der Kläger tätig war, in eine separate Speichergesellschaft - die nachmalige Q. AG - ausgegliedert. Wegen des Inhalts des genannten Schreibens wird auf Blatt 18 bis 21 der Akte verwiesen.
Der Kläger war seit 01.05.2006, dem im Schreiben vom 30.03.2006 genannten Zeitpunkt des Übergangs, bei der Q. AG beschäftigt zu einem Bruttogehalt von zuletzt 0,00 € monatlich.
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Die Q. AG teilte dem Kläger mit Schreiben vom 28.11.2006 mit, ab 01.10.2005 trete hinsichtlich der variablen Vergütung im übertariflichen Bereich (sogenannter ÜT-Bonus) eine Änderung dahingehend in Kraft, dass der Bonus zur Berechnung des Auszahlungsbetrages nicht mehr mit dem I.-Faktor multipliziert werde. Wegen des Inhalts dieses Schreibens wird auf Blatt 85 der Akte verwiesen. Der Kläger wurde im genannten Schreiben gebeten, sein Einverständnis bezüglich der beschriebenen Neuregelung durch Unterschrift und Rückgabe der Kopie bis 20.12.2006 zu bestätigen. Am 15.12.2006 erklärte der Kläger mit seiner Unterschrift sein Einverständnis zur genannten Änderung der variablen Vergütung.
Mit Schreiben vom 20.02.2007 (Blatt 86 der Akte) wurde der Kläger darüber informiert, dass seine Position einem sogenannten Global Grade 14 zugeordnet worden sei, was mit einem höheren Einkommen verbunden war.
Wegen erheblicher wirtschaftlicher Schwierigkeiten stellte die Q. AG im Januar 2009 beim Amtsgericht M. Insolvenzantrag. Das Amtsgericht M. ordnete mit Beschluss vom 23.01.2009 - 1501 IN 209/09 - die vorläufige Insolvenzverwaltung an und bestellte Herrn Dr. J. zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Das Insolvenzverfahren wurde sodann am 01.04.2009 eröffnet.
Um das Insolvenzgeld vorzufinanzieren, schlossen die Arbeitnehmer der Q. AG sowie dieses Unternehmen einen „Vertrag über den Ankauf von Ansprüchen auf Arbeitsentgelt (Gruppenvertrag)“ ab, wobei der Vertragstext unter dem 28.01.2009 eine Vertragsunterzeichnung durch die C.-Bank AG, Filiale M., die Q. AG, den Betriebsrat der Q. AG M. sowie des vorläufigen Insolvenzverwalters Dr. J. vorsah. Ebenso war als „Anlage 1“ eine Erklärung des jeweiligen Arbeitnehmers über die Annahme dieses Vertrags vorgesehen. Wegen des Inhalts des genannten Vertrags sowie der Anlage 1 hierzu wird auf Blatt 88 bis 91 der Akte verwiesen. Der Kläger unterzeichnete die „Erklärung“ am 30.01.2009. Im genannten Vertrag ist bestimmt, dass „der Arbeitnehmer“ seine Ansprüche auf Netto-Arbeitsentgelt im Sinne von § 185 Abs. 1 SGB III regresslos an die C.-Bank verkauft bzw. die Ansprüche auf das an die Stelle des Netto-Arbeitsentgelts tretenden Insolvenzgeldes an diese Bank abtritt Zug um Zug gegen Zahlung der entsprechenden Beträge.
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Mit Schreiben vom 31.03.2009 (Blatt 23 der Akte) widersprach der Kläger gegenüber der Beklagten dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses gemäß § 613 a Abs. 6 BGB, weil keine rechtmäßige Unterrichtung nach § 613 a Abs. 5 BGB erfolgt sei, und bot der Beklagten seine vertragsgemäße Arbeitsleistung an.
Der Kläger ist der Auffassung, er habe trotz Zeitablaufs noch wirksam dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen können, weil das Unterrichtungsschreiben vom 30.03.2006 fehlerhaft sei. Er sei dort nicht über die Höhe des Grundkapitals und auch nicht über die korrekte Bezeichnung des übernehmenden Unternehmens und dessen Anschrift informiert worden. Er meint, er habe das Widerspruchsrecht nicht verwirkt, weil es hierfür am sogenannten Umstandsmoment fehle. Dieses könne insbesondere nicht aus der Abtretung von Ansprüchen auf Arbeitsentgelt an die C.-Bank M. abgeleitet werden.
Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger sei mit Schreiben vom 30.03.2006 ordnungsgemäß über den Betriebsübergang informiert worden. Er habe seit 01.05.2006 genau gewusst, wer sein Vertragspartner und Arbeitgeber sein werde und habe im Laufe der Jahre jedenfalls auch positive Kenntnis über die Rechtsform seines neuen Arbeitgebers erlangt. Im Übrigen sei die Ausübung des Widerspruchsrechts aufgrund des langen Zeitablaufs verwirkt. Das für die Verwirkung erforderliche Umstandsmoment ergebe sich daraus, dass der Kläger durch Abänderung seines Arbeitsvertrages hinsichtlich der variablen Vergütung über sein Arbeitsverhältnis disponiert habe und vor allem daraus, dass er dem Verkauf seiner Ansprüche auf Arbeitsentgelt an die C.-Bank zugestimmt habe. Er sei im Gruppenvertrag und in der Anlage hierzu ausdrücklich als Arbeitnehmer der Q. AG bezeichnet worden.
Das Arbeitsgericht München hat mit Endurteil vom 25.11.2009, auf das hinsichtlich des unstreitigen Sachverhalts im Übrigen, des streitigen Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug, der erstinstanzlich gestellten Anträge und der Einzelheiten der rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts verwiesen wird, die Klage abgewiesen und dies damit begründet, dass der Kläger sein Widerspruchsrecht hinsichtlich des Übergangs seines Arbeitsverhältnisses - trotz unzureichender Information nach § 613 a Abs. 5 BGB - verwirkt habe. Das für eine Verwirkung erforderliche Zeitmoment sei ohne weiteres erfüllt. Die Gesamtschau in Bezug auf das Umstandsmoment ergebe, dass dieses aus dem Abschluss
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des Gruppenvertrags in Zeiten erheblicher wirtschaftlicher Schwierigkeiten der Q. AG und aus der bereitwilligen Einverständniserklärung des Klägers mit dem Wegfall des I.-Faktors bei der Berechnung der variablen Vergütung folge. Es sei nicht einleuchtend, dass nur durch Aufgabe eines Arbeitsverhältnisses ein Vertrauenstatbestand geschaffen werden könne. Das Festhalten am Arbeitsverhältnis mit der Q. AG wirke auch für die Beklagte, die sich die vertrauensbildenden Umstände zurechnen lassen dürfe.
Der Kläger hat gegen das ihm am 15.01.2010 zugestellte Endurteil vom 25.11.2009 mit einem am 12.02.2010 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 08.03.2010 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Er rügt, dass sich das Erstgericht nicht mit der Fehlerhaftigkeit des Informationsschreibens vom 30.03.2006 auseinandergesetzt habe, und wiederholt seinen erstinstanzlichen Vortrag hierzu. Insbesondere hält er daran fest, dass er das Widerspruchsrecht nicht verwirkt habe. Zum einen gebe es keine Höchstfrist für eine Verwirkung. Zum anderen habe er durch das Zuwarten nach dem Insolvenzantrag der Q. AG kein Umstandsmoment gesetzt. Auch das Einverständnis des Klägers mit dem Wegfall des I.-Faktors bei der variablen Vergütung begründe kein Umstandsmoment. Das gleiche gelte in Bezug auf den Vertrag über den Ankauf von Nettoentgeltansprüchen bzw. Ansprüchen auf Insolvenzgeld durch die C.-Bank. Dadurch sei das Arbeitsverhältnis nicht auf eine neue Grundlage gestellt worden. Vor allem auch ergebe sich aus der Bezeichnung des Klägers im Gruppenvertrag als Arbeitnehmer der Q. AG kein Umstandsmoment. Eine korrekte Nachinformation durch die Beklagte habe nicht stattgefunden. Über das Arbeitsverhältnis habe er nicht disponiert. Auch unter Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen Zeit- und Umstandsmoment ergebe die Gesamtschau nicht, dass das Widerspruchsrecht verwirkt sei.
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Der Kläger beantragt:
1. Das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 25.11.2009 - 19 Ca 5862/09 - wird aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 01.05.2006 hinaus fortbesteht.
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Teamleader Applikationsingenieur zu beschäftigen.
4. Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält daran fest, dass der Kläger über den Betriebsübergang mit Schreiben vom 30.03.2006 ordnungsgemäß unterrichtet worden sei und dass das Widerspruchsrecht unter Berücksichtigung der Wechselwirkung von Zeit- und Umstandsmoment jedenfalls verwirkt sei. Die Disposition über das Arbeitsverhältnis sei nur eine der möglichen Konstellationen des Vorliegens des Umstandsmoments. Hier sei vor allem zu berücksichtigen, dass ein besonders stark ausgeprägtes Zeitmoment vorliege. In den vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fällen sei das Zeitmoment wesentlich kürzer gewesen. Bei einem langen Zeitraum von - wie hier - etwa drei Jahren seien geringere Anforderungen an das Umstandsmoment zu stellen.
Die Beklagte pflichtet dem Arbeitsgericht darin bei, dass das Umstandsmoment erfüllt sei und weist außerdem in diesem Zusammenhang auf das Zuwarten des Klägers mit dem Widerspruch nach Stellung des Insolvenzantrags durch die Q. AG hin.
Zum Beschäftigungsanspruch trägt die Beklagte vor, dieser gehe auf eine unmögliche Leistung, weil der Bereich Speicherprodukte vollständig ausgegliedert worden sei. An der
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Nichtbeschäftigung des Klägers bestehe ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse der Beklagten. Vor allem lasse sich der Beschäftigungsanspruch nicht vollstrecken.
Hinsichtlich des sonstigen Vortrags der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 08.03.2010, 04.06.2010 und 16.06.2010, der Beklagten vom 12.04.2010, 09.06.2010 und 14.06.2010 verwiesen, ferner auf die Sitzungsniederschrift vom 17.06.2010.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
I.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien besteht nicht über den 01.05.2006 hinaus fort ungeachtet des Widerspruchs des Klägers vom 31.03.2009 gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses.
1. Dabei konnte das Arbeitsgericht - entgegen der Auffassung des Klägers - dahin- stehen lassen, ob eine ordnungsgemäße, den Anforderungen des § 613 a Abs. 5 BGB entsprechende Information über den Betriebsübergang vorlag oder ob das Informationsschreiben vom 30.03.2006 fehlerhaft war mit der Folge, dass der Beginn der Widerspruchsfrist nicht zu laufen begonnen hat (aus der reichhaltigen Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts: BAG 12.11.2009 - 8 AZR 530/07, Juris-Rn. 20 mit weiteren Rechtssprechungsnachweisen). Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 24.07.2008 (8 AZR 205/07), die eine Entscheidung der erkennenden Berufungskammer betrifft, ausgeführt, für die Entscheidung des Rechtsstreits könne dahinstehen, ob der Widerspruch deshalb nicht verspätet gewesen sei, weil die Beklagte den Kläger mit ihrem (dortigen) Schreiben nicht ordnungsgemäß unterrichtet und damit die einmonatige Widerspruchsfrist des § 613 a Abs. 6 Satz 1 BGB nicht in Gang gesetzt habe. Der Kläger
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habe seinen Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses zwar formgerecht erklärt; sein Widerspruchsrecht sei jedoch unabhängig von der Frage der ordnungsgemäßen Unterrichtung nach § 613 a Abs. 5 BGB verwirkt gewesen.
Wenn das Arbeitsgericht ebenso vorgegangen ist, ist dies nicht zu beanstanden.
Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass das Informationsschreiben vom 30.03.2006 unzureichend war, weil die übernehmende Firma ungenau bezeichnet war und vor allem die Anschrift der Übernehmerin fehlte, abgesehen davon, dass - ebenso fehlerhaft - eine konkrete Information über die Q. AG als mögliche Adressatin eines Widerspruchs nicht erfolgte. Eine etwaige spätere Kenntnis des Klägers von diesen Umständen ist unerheblich; eine heilende „Nachinformation“ findet nicht statt (vgl. BAG 23.07.2009 - 8 AZR 558/08).
2. Das Widerspruchsrecht des Klägers war im Zeitpunkt seiner Ausübung am 31.03.2009 verwirkt.
a) Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB). Mit der Verwirkung wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie dient dem Vertrauensschutz und verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger längere Zeit seine Rechte nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckt haben, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist (vgl. z. B. BAG 12.11.2009 - 8 AZR 530/07). Hinsichtlich des Zeitmoments ist nicht auf eine feststehende Monatsfrist abzustellen, sondern auf die konkreten Umstände des Einzelfalles. Dabei ist davon auszugehen, dass bei schwierigen Sachverhalten die Rechte des Arbeitnehmers erst nach längerer Untätigkeit verwirken können. Ferner ist die Länge des Zeitablaufs in Wechselwirkung zu dem ebenfalls erforderlichen Umstandsmoment zu setzen. Je stärker das gesetzte Vertrauen oder die Umstände, die eine Geltendmachung für den Anspruchsgegner unzumutbar machen, sind, desto schneller kann ein Anspruch
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verwirken (vgl. z. B. BAG 12.11.2009 - 8 AZR 370/07 und 8 AZR 718/07; BAG 23.07.2009 - 8 AZR 357/08; BAG 27.11.2008 - 8 AZR 174/07). Entscheidend ist eine Gesamtbetrachtung (vgl. BAG 02.04.2009 - 8 AZR 178/07).
b) Vorliegend ist das Zeitmoment zweifellos erfüllt. Denn der Kläger hat erst - fast auf den Tag genau - drei Jahre nach Zugang des Informationsschreibens über den Betriebsübergang Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses erhoben. Für die Berufungskammer ist unerfindlich, wie der Kläger zu der Auffassung gelangen kann, es liege „kein überlanges Zeitmoment“ vor.
Das Bundesarbeitsgericht hat das Zeitmoment z. B. nach 17 Monaten (BAG 03.11.2009 - 8 AZR 530/07), nach 15 oder 15,5 Monaten (BAG 02.04.2009 - 8 AZR 473/07 und 8 AZR 357/08) oder beispielsweise auch bereits nach zehn Monaten (BAG 27.11.2008 - 8 AZR 225/07) als erfüllt angesehen.
Auch wenn man bei der gebotenen Gesamtbetrachtung annimmt, dass das Umstandsmoment ausgesprochen schwach ausgeprägt ist, ist dies eine sehr lange Zeit, die für die Erfüllung des Zeitmoments ausreicht.
c) Auch das Umstandsmoment ist erfüllt.
aa) Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in einer großen Zahl von Entscheidungen in jüngerer und jüngster Zeit angenommen, das Umstandsmoment sei regelmäßig erfüllt, wenn der betreffende Arbeitnehmer über den Bestand seines Arbeitsverhältnisses disponiert habe, indem er etwa einen Aufhebungsvertrag geschlossen oder eine Kündigung durch den Betriebsübernehmer hingenommen habe (vgl. z. B. BAG 12.11.2009 - 8 AZR 530/07; BAG 23.07.2009 - 8 AZR 357/08 und 8 AZR 541/08; BAG 02.04.2009 - 8 AZR 178/07 und 8 AZR 473/07; BAG 23.07.2009 - 8 AZR 541/08 und 8 AZR 558/08). Allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer (zunächst) - wie hier - widerspruchslos beim Betriebserwerber weiterarbeite und von diesem die Arbeitsvergütung entgegennehme, stelle ebenso wenig eine Disposition über den Bestand des Arbeitsverhältnisses dar wie Vereinbarungen mit dem Betriebserwerber, durch welche einzelne Arbeitsbedingungen, z. B. Art und Umfang der zu erbringenden Arbeitsleistung, Höhe der Arbeitsvergütung, geän-
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dert werden. Vielmehr stellten sich nur solche Vereinbarungen oder Verhaltensweisen des Arbeitnehmers als Disposition über den Bestand des Arbeitsverhältnisses dar, durch welche es zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses komme (BAG 21.07.2009 - 8 AZR 541/08).
In dieser Weise hat der Kläger über sein Arbeitsverhältnis zweifellos nicht disponiert. Auch kann der von der Beklagten im ersten Rechtszug geäußerten Auffassung, eine Disposition über das Arbeitsverhältnis im Sinne der Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts liege in der Änderung des Arbeitsvertrages hinsichtlich der Bonusregelung, nicht gefolgt werden.
bb) Gleichwohl hat der Kläger hier das Umstandsmoment erfüllt. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass dieses Moment, das heißt der Vertrauenstatbestand, nicht ausschließlich durch eine Disposition über den Bestand des Arbeitsverhältnisses begründet werden kann. Auch dem Hinweis des Bundesarbeitsgerichts (BAG 23.07.2009 - 8 AZR 541/08, Juris-Rn. 56), Vereinbarungen mit dem Betriebserwerber über die Änderung von Arbeitsbedingungen stellte keine Disposition über den Bestand des Arbeitsverhältnisses dar, ist gerade nicht zu entnehmen, dass nur Dispositionen über den Bestand des Arbeitsverhältnisses geeignet wären, das Umstandsmoment zu begründen. Vielmehr folgt aus diesem Hinweis allein, dass solche arbeitsverhältnisinhaltsbezogenen Vereinbarungen eben keine auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses bezogenen Dispositionen sind.
Dass nicht nur Dispositionen über den Bestand des Arbeitsverhältnisses das Umstandsmoment begründen könne, folgt aus der These von der Wechselwirkung von Zeit- und Umstandsmoment. Diese These würde partiell leerlaufen, wenn es nur bei einer solchen Disposition zu einer Verwirkung des Widerspruchsrechts kommen könnte. Denn dann wäre auch das ausgeprägteste Zeitmoment nicht geeignet, die Anforderungen an das Umstandsmoment zu senken. In Bezug auf die Disposition über den Bestand des Arbeitsverhältnisses gibt es nur ein Ja oder Nein, nicht aber eine graduelle Abstufung.
Auch das Bundesarbeitsgericht hat in Einzelfällen andere, weniger gewichtige Umstände bei deutlich verwirklichtem Zeitmoment genügen lassen, z. B. ein Rechtsanwaltsschreiben, das den Betriebsübergang als gegebene Tatsache hinstellte (vgl. BAG 24.07.2008 -
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8 AZR 205/07, Juris-Rn. 32 und 33) oder die Weiterarbeit des Arbeitnehmers trotz prekärer wirtschaftlicher Lage des Unternehmens und Falschinformation (vgl. BAG 24.07.2008 - 8 AZR 175/07). Nicht zuletzt hat das Bundesarbeitsgericht (vgl. BAG 23.07.2009 - 8 AZR 541/08, Juris-Rn. 55) ausgeführt, dies - dass der Arbeitgeber davon habe ausgehen dürfen, der Widerspruch werde nicht mehr ausgeübt - sei „regelmäßig“ dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer über den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Betriebserwerber disponiert hat. Dagegen hat es nicht postuliert, dies sei ausschließlich dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer über den Bestand des Arbeitsverhältnisses disponiert habe.
Nach allem reichen angesichts der außergewöhnlich langen Zeit zwischen dem Informationsschreiben und der Ausübung des Widerspruchsrechts im vorliegenden Fall hier auch weniger gewichtige Umstände als die Disposition über den Bestand des Arbeitsverhältnisses für die Erfüllung des Umstandsmoments aus.
cc) Das Arbeitsgericht hat diese Umstände zu Recht vor allem darin gesehen, dass der Kläger durch seine Zustimmungserklärung vom 30.01.2009 zu den Regelungen des „Gruppenvertrags“ deutlich und nachhaltig zu erkennen gegeben habe, dass er zum Arbeitgeber Q. auch in Zeiten großer wirtschaftlicher Not stehe. Der Kläger hat damit - insbesondere durch die Abtretung von Gehaltsansprüchen und Ansprüchen auf Insolvenzgeld - dokumentiert, er wolle selbst bei Existenzgefährdung der „neuen“ Arbeitgeberin am Arbeitsverhältnis mit dieser festhalten. Er hat sein Arbeitsverhältnis mit deren Schicksal durch diesen Vorgang eng verknüpft und eher das Risiko einer ungewissen beruflichen Zukunft in Kauf genommen, als die Rückkehr zum früheren Arbeitgeber anzustreben.
Angesichts dieser Umstände brauchte die Beklagte nicht mehr damit zu rechnen, dass der Kläger den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit ihr geltend machen werde. Das insoweit bei der Beklagten entstandene Vertrauen ist auch schutzwürdig angesichts der langen Zeit zwischen dem Unterrichtungsschreiben vom 30.03.2006 und dem Widerspruch vom 31.03.2009 sowie mit Rücksicht darauf, dass der Kläger unschwer in der Lage war, alsbald nach Aufnahme der Arbeit bei der Q. AG die Fehlerhaftigkeit des Informationsschreibens in Bezug auf die Bezeichnung der Erwerberin und ihren Sitz zu erkennen und sich auf die korrekten Verhältnisse einzustellen. Insoweit hat der Einwand der Beklag-
- 12 -
ten, seit 01.05.2006 habe der Kläger genaue Kenntnis darüber, wer sein Vertragspartner bzw. Arbeitgeber sei, einen berechtigten Kern.
Weniger gewichtig ist - trotz des außergewöhnlich stark ausgeprägten Zeitmoments - das Einverständnis des Klägers mit dem Wegfall des „I.-Faktors“ bei seiner variablen Vergütung. Dies ist ein durchaus nicht ungewöhnlicher Vorgang bei der Durchführung eines Arbeitsverhältnisses. Einen besonderen Aussagegehalt dahin, dass sich der Kläger vom bisherigen Arbeitgeber habe lösen wollen und sich ausschließlich „auf Gedeih und Verderb“ an die Übernehmerin binde, lässt sich diesem Vorgang - anders als dem Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit dem „Gruppenvertrag“ - nicht entnehmen.
Dagegen wird das Umstandsmoment noch dadurch verstärkt, dass der Kläger nach Abgabe seiner Einverständniserklärung zum „Gruppenvertrag“ noch zwei Monate bis zur Ausübung des Widerspruchsrechts zuwartete - ein Umstand, der sich wohl nur mit dem Ablauf des Zeitraums für die Insolvenzgeldzahlung erklären lässt, aber gleichwohl die Annahme der Beklagten verstärken musste, der Kläger werde die Insolvenz seiner neuen Arbeitgeberin hinnehmen, ohne Neigungen zu entwickeln, zu der Beklagten zurückzukehren.
d) Dass sich die Beklagte als Überträgerin des Teilbetriebes auf die Kenntnis der Q. AG als Übernehmerin berufen darf, entspricht der ständigen Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 27.11.2008 - 8 AZR 174/07; BAG 02.04.2009 - 8 AZR 473/07 und 8 AZR 220/07).
II.
Da zwischen den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits kein Arbeitsverhältnis mehr besteht, kann der Kläger von der Beklagten nicht Beschäftigung als Teamleader Applikationsingenieur verlangen.
- 13 -
III.
Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
IV.
Die Revision wird zugelassen. Wegen der Einzelheiten wird auf die nachfolgende Rechtsmittelbelehrung verwiesen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil kann der Kläger Revision einlegen.
Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
Die Revision muss innerhalb einer Frist von einem Monat eingelegt und innerhalb einer Frist von zwei Monaten begründet werden.
Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils.
Die Revision muss beim
Bundesarbeitsgericht
Hugo-Preuß-Platz 1
99084 Erfurt
Postanschrift:
Bundesarbeitsgericht
99113 Erfurt
- 14 -
Telefax-Nummer:
0361 2636-2000
eingelegt und begründet werden.
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
Es genügt auch die Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten der Gewerkschaften und von Vereinigungen von Arbeitgebern sowie von Zusammenschlüssen solcher Verbände
- für ihre Mitglieder
- oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder
oder
von juristischen Personen, deren Anteile sämtlich in wirtschaftlichem Eigentum einer der im vorgenannten Absatz bezeichneten Organisationen stehen,
- wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt
- und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
In jedem Fall muss der Bevollmächtigte die Befähigung zum Richteramt haben.
Zur Möglichkeit der Revisionseinlegung mittels elektronischen Dokuments wird auf die Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesarbeitsgericht vom 09.03.2006 (BGBl. I, 519 ff.) hingewiesen. Einzelheiten hierzu unter http://www.bundesarbeitsgericht.de
Dr. Rosenfelder
Högele
Koehn
- 15 -
Hinweis der Geschäftsstelle:
Das Bundesarbeitsgericht bittet, alle Schriftsätze in siebenfacher Ausfertigung einzureichen.
Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:
Dr. Martin Hensche Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hensche@hensche.de | |
Christoph Hildebrandt Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hildebrandt@hensche.de | |
Nina Wesemann Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht Kontakt: 040 / 69 20 68 04 wesemann@hensche.de |