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LAG Düsseldorf, Urteil vom 17.01.2012, 17 Sa 252/11
Schlagworte: | Verdachtskündigung, Kündigung: Verdachtskündigung | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Düsseldorf | |
Aktenzeichen: | 17 Sa 252/11 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 17.01.2012 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Solingen - 2 Ca 916/10 lev | |
17 Sa 252/11
2 Ca 916/10 lev
Arbeitsgericht Solingen
Verkündet am 17. Januar 2012
Willms
Regierungsbeschäftigte
als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
des Herrn N. T., N. aue 30, N.,
- Kläger und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Hüttemann u.a., Franz-Kail-Straße 2, 51375 Leverkusen,
g e g e n
B. Recyling und Logistik GmbH & Co. KG, gesetzlich vertreten durch die B. Recycling und Logistik Verwaltungsgesellschaft mbH, diese wiederum vertreten durch ihren Geschäftsführer I.-K. T., C. werth 1-3, F.,
- Beklagte und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Kümmerlein u.a., Messeallee 2, 45131 Essen,
hat die 17. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 17.01.2012 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Jansen als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Weihs und den ehrenamtlichen Richter Holz
für R e c h t erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 11.01.2011 – 2 Ca 916/10 lev – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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T A T B E S T A N D
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung, hilfsweise fristgerechten Kündigung mit einer Auslauffrist zum 31.12.2010 wegen Unterschlagung bzw. des dringenden Verdachts einer Unterschlagung.
Der am 19.05.1972 geborene verheiratete und einem Kind unterhaltspflichtige Kläger ist seit dem 01.09.1997 bei der Beklagten zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 3.239,70 € beschäftigt. Er war Wahlbewerber bei der im Mai 2010 durchgeführten Betriebsratswahl.
Der Kläger wurde am 02.03.1998 zum Kassenführer ernannt. Er wurde als Annahmekontolleur/Springer sowohl im Wertstoffzentrum als auch in der stationären mobilen Schadstoffsammlung eingesetzt.
Bei der Beklagten besteht seit dem 01.02.1998 eine Geschäftsanweisung über den Verfahrensablauf und die Zuständigkeit bei der Kassenführung.
In der Anweisung heißt es u.a.:
Ziffer 4. „Vorgehensweise bei Handkassen und Zahlstellen“
1. Das Kassenbuch muss täglich geführt werden. Bei jedem Zu- oder Abgang innerhalb der Kasse muss eine Eintragung ins Kassenbuch er-
folgen.
Ziffer 4.1 „Kassenbelege“
Für jeden Geldein- und ausgang der Kasse ist durch den Kassenführer eine Quittung auszustellen...“
Bei einem Kassenvorgang werden Daten in den PC eingegeben und der Vor-druck „Wiegebeleg“, der aus mehreren Seiten besteht, in den Drucker gelegt. Das oberste Blatt des Ausdrucks wird abgerissen, dem Kunden ausgehändigt und der Rest in einem Ablagefach gesammelt. Der Wiegebeleg enthält u.a. eine fortlaufende Belegnummer, das Datum, den Namen des eingeloggten Verwiegers und den Betrag. Der Verwieger hat die Anweisung, das Kfz- Zeichen des
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Fahrzeuges, mit dem Abfall angeliefert wird, handschriftlich einzutragen. Alle Zahlungsvorgänge, die in die Kasse eingegeben werden, werden archiviert und bei einem Ausdruck im Kassenjournal chronologisch aufgeführt.
Am Ende des Tages wird im Kassenbuch ein rechnerischer Bestand durch Ausdruck der Zahlungsvorgänge ermittelt, der mit der Menge des innerhalb der Kasse befindlichen Barbestandes verglichen wird. Verwiegungen, die nicht zu einer Bareinnahme führen, werden im Kassenabschluss nicht ausgedruckt.
Bei der Beklagten sind zwei Schichten (Früh– und Spätschicht) eingerichtet. Bei dem Schichtwechsel erfolgt kein Kassenabschlag.
Am 01.06.2010 war der Kläger mit den Mitarbeitern C. und L. nach dem Betriebstagebuch im Wertstoffzentrum an der Kasse für die Frühschicht von 8:00 Uhr bis 15:45 Uhr eingeteilt. Der Mitarbeiter H. hatte als Kassenführer mit den Mitarbeitern T. und Q. von 12:30 Uhr bis 20:00 Uhr die Spätschicht.
Da der Kläger am 01.06.2010 erst verspätet um 8:07 Uhr einstempelte, loggte sich der Mitarbeiter L. bei seinem Dienstbeginn in das System ein. Bei Übernahme der Kasse durch den Kläger loggte sich der Mitarbeiter L. nicht aus und der Kläger stellte das System auch nicht auf seinen Namen um. Auf den von der Beklagten eingereichten Belegen (Lieferscheinen/Wiegebelegen) des Wert-stoffzentrums (WZ) vom 01.06.2010 ist als Verwieger von 7:32 Uhr an Herr L. aufgeführt. Die Belege ab 11:46 Uhr bis 14:49 Uhr weisen Herrn M. T. als Verwieger aus. In den Belegen ab 14:53 Uhr wird Herr H. aufgeführt (Anlage B 17 Bl. 197 - 276 d. A.).
Das eingereichte schriftliche Kassenjournal vom 01.06.2010 von 19:57 Uhr enthält den Namen des Mitarbeiters L. und einen Kassenbestand von 952,67 € mit einem vorhandenen Grundbetrag von 500,00 € und einer Bareinnahme von 452,67 €, sowie 57 Kassiervorgänge des Privat-WZ. Darunter sind auf den Tag verteilt 16 Vorgänge mit einem Betrag von 14,99 €, davon drei die um 8:16 Uhr, 8:29 Uhr und 8:55 Uhr ausgedruckt wurden.
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Die Beklagte wirft dem Kläger vor, zwischen 8:45 Uhr und 9:00 Uhr von dem Zeugen C., der Holzvertäfelungsabfall geladen hatte, 14,99 € entgegengenommen, ihm darüber keine Quittung erteilt und sich den Betrag ohne ordnungsgemäße Verbuchung zugeeignet zu haben.
Mit Schreiben vom 09.06.2010 lud die Beklagte den Kläger zu einem Personalgespräch am 10.06.2010 um 15:30 Uhr wegen aufgetretener Unregelmäßigkeiten von Bareinzahlungen ein. Sie wies darauf hin, dass es zu einer außerordentlichen Kündigung führen kann, wenn sich herausstellen sollte, dass der Kläger den vom Kunden in Empfang genommenen Betrag unterschlagen haben sollte. Ausweislich der von der Beklagten über das Gespräch gefertigten Protokollnotiz vom 10.06.2010 entgegnete der Kläger auf die Vorwürfe, dass er sich nicht zu den Vorwürfen äußern werde und sich schon ergeben werde, dass an den Vorwürfen „nichts dran“ sei.
Mit Schreiben vom 11.06.2010 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer außerordentlichen fristlosen Tatkündigung, hilfsweisen außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist und zu einer außerordentlichen fristlosen Verdachtskündigung hilfsweise mit sozialer Auslauffrist an. Mit Schreiben vom 14.06.2010 erhob der Betriebsrat Bedenken gegen die beabsichtigte Kündigung.
Mit Schreiben vom 15.06.2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist von sechs Monaten zum Quartalsende zum 31.12.2010.
Am 29.06.2010 erstattete die Beklagte eine weitere Strafanzeige wegen Betrugs gegen den Kläger und alle anderen Mitarbeiter des Wertstoffzentrums. Bereits am 19.01.1010 hatte die Beklagte gegen den Kläger und andere Mitarbeiter aufgrund eines anonymen Hinweises eine Strafanzeige wegen nicht ordnungsgemäßer Abrechnung von angeliefertem Müll erstattet. Die Verfahren gegen den Kläger wurden zwischenzeitlich eingestellt.
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Mit der am 16.06.2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen die Kündigung und begehrt die Weiterbeschäftigung bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.
Der Kläger hat vorgetragen, dass er stets Quittungen für die Entgegennahme von Geldern im Rahmen der Abfallentsorgung ausgestellt und die Beträge der Kasse zugeführt habe. Er habe sich nicht an dem Eigentum der Beklagten auch nicht am 01.06.2010 vergriffen. Der behauptete Vorfall sei ihm nicht erinnerlich.
Der Kläger hat beantragt
1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche fristlose Kündigung, hilfsweise außerordentliche Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist vom 15.06.2010 nicht beendet worden ist oder bis zum 31.12.2010 beendet werden wird,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages vom 11.02.1998 vorläufig weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Kündigung wegen erwiesener Straftat zumindest aber wegen des dringenden Verdachts einer Straftat wirksam sei. Sie hat behauptet, dass der Zeuge C. dem Mitarbeiter G. der B. GmbH Co KG am 01.06.2010 mitgeteilt habe, dass er am 01.06.2010 zwischen 8:45 und 9:00 Uhr Abfall mit seinem Fahrzeug - Kennzeichen LEV-B 119 - Müll entsorgt und 14.99 € bezahlt, aber keine Quittung erhalten habe. Der Mitarbeiter G. habe den Logistikleiter, Herrn L., informiert, der am 04.06.2011 eine Überprüfung der Abrechnung vom 01.06.2011 veranlasst habe. Sie habe ergeben, dass die am 01.06.2011 um 19:57 Uhr von Herrn H. durchgeführte Abrechnung keine Differenz zwischen Kassenabschluss und Wiegebelegen ausgewiesen habe. Der
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Ausdruck habe 57 Wiegevorgänge mit Bareinnahmen, davon 16 mit 14,99 € von denen die letzteren drei um 8:16 Uhr, 8:29 Uhr und 8:55 Uhr erfolgt seien. Keiner dieser Belege habe das KFZ-Kennzeichen des Zeugen C. enthalten, der den Kläger auf einem Foto als denjenigen Mitarbeiter erkannt habe, dem er das Geld gegeben habe. Aus diesem Grunde habe sich der Verdacht einer strafbaren Handlung aufgedrängt.
Durch Urteil vom 11.01.2011 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger als Wahlbewerber den Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 S. 2 KSchG genieße und deswegen nur aus wichtigem Grund gekündigt werden könne. Die Beklagte habe aber die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung nicht darlegen können. Von einer Straftat könne nicht ausgegangen werden, da keiner der von ihr benannten Zeugen etwas dazu sagen könne, ob der Kläger das Geld eingesteckt habe. Das bloße Unterlassen der Erstellung oder Herausgabe einer Zahlungsquittung sei kein Beweis für ein Eigentumsdelikt. Es seien auch keine ausreichenden Tatsachen vorgetragen, die den dringenden Verdacht einer Straftat begründeten. Selbst wenn man den Beklagtenvortrag in Bezug auf die Darlegungen des Zeugen C. als richtig unterstelle, ergebe sich kein dringender Tatverdacht. Aus einer fehlenden Quittung oder einem fehlenden Zahlungsvorgang könne nicht auf die unzulässige Vereinnahmung des kassierten Betrages geschlossen werden. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem behaupteten fehlenden überschüssigen Betrag i.H.v.14,99 € beim Kassenabschluss. Es sei zwischen den Schichten keine Kassenübergabe erfolgt, sodass auch nicht feststellbar sei, ob nicht zu dem Zeitpunkt ein überzähliger Betrag von 14,99 € vorhanden gewesen sei. Es könne ein anderer Mitarbeiter den überzähligen Betrag unbemerkt entnommen haben. Es sei auch nicht dargelegt worden, dass derjenige, der den Kassenabschluss letztlich durchgeführt habe, eine besondere Vertrauensstellung gehabt oder in gesonderter Weise kontrolliert worden sei. Dies hätte nahe gelegen, da die Beklagte, wie sich aus der fünf Monate zuvor gestellten Strafanzeige ergebe, auch alle Mitarbeiter der Schicht vom 01.06.2010 verdächtigte, Straftaten zu ihrem Nachteil begangen zu haben. Der Umstand, dass sich der Kläger im Anhörungstermin nicht konkret eingelassen habe, führe nicht
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zu einer anderen Beurteilung. Darüber hinaus sei die Anhörung des Betriebsrats zweifelhaft, da diesem fälschlicherweise mitgeteilt worden sei, dass in dem angegebenen Zeitraum am Morgen des 01.06.2010 kein Wiegebeleg von 14,99 € existiert habe. Eine fristlose Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist sei bei dem nach § 15 KSchG geschützten Personenkreis nicht zulässig.
Gegen das der Beklagten am 10.02.2011 zugestellte Urteil des ersten Rechtszuges hat die Beklagte mit dem am 18.02.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit dem am 11.04.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die fristlose Kündigung gerechtfertigt sei. Aus dem Sachvortrag ergebe sich, dass der Kläger eine Unterschlagung begangen habe. Zumindest sei der dringende Verdacht einer Unterschlagung gegeben. Der Zeuge C. könne bestätigen, dass er an den Kläger am 01.06.2010 zwischen 8:45 Uhr und 9:00 Uhr 14,99 € gezahlt aber keine Quittung erhalten habe. Bereits daraus ergebe sich, dass der Kläger keinen ordnungsgemäßen Kassiervorgang durchgeführt habe. Dies werde auch dadurch bestätigt, dass kein Wiegebeleg mit dem Kennzeichen des Zeugen C. vorhanden sei. Da die Kassiervorgänge fortlaufend aufgezeichnet würden, habe ein entsprechender Vorgang in der Zeit zwischen 8:45 Uhr und 9:00 Uhr dokumentiert sein müssen. Der von Herrn H. am 01.06.2010 um 19:57 Uhr durchgeführte Kassenabschluss habe keinen Überschuss i.H.v. 14,99 € ergeben. Da die Höhe der eingenommenen Barbeträge mit denen der dokumentierten Kassiervorgänge übereingestimmt habe, lasse dies nur den Schluss zu, dass sich der Kläger den eingenommenen Betrag rechtswidrig zugeeignet habe. Zumindest bestehe ein dahingehender dringender Verdacht. Für die Auffassung spreche auch das Verhalten im Rahmen der Anhörung und im Prozess. Der Kläger habe im Anhörungsgespräch den Sachverhalt nur bestritten und keine Erläuterung abgegeben. Dieser hätte ihm aber in Erinnerung sein müssen. Der Umstand, dass zwischen den Schichten kein Kassenabschlag gemacht werde, führe nicht zu einer anderen Beurteilung genauso wenig wie die vom Kläger vertretene Auffassung,
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dass ein Dritter einen Überschuss aus der Kasse hätte nehmen können. Dies widerspräche der allgemeinen Lebenswirklichkeit. Es habe kein Anlass bestanden, warum ein Dritter den Kasseninhalt hätte überprüfen sollen, zumal der Mitarbeiter damit rechnen musste, dass die Einzahlung ohne Quittung veröffentlicht wird. Damit hätte ein Verdacht auf ihn fallen können. Im Übrigen sprächen die tatsächlichen Umstände gegen die Herausnahme eines Überschusses durch einen Dritten. Dies hätte nur durch einen Vergleich der Belege mit der Kasseneinnahme erfolgen können. Angesichts der Vielzahl der Kassiervorgänge am 01.06.2010 sei die Annahme lebensfremd.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 11.01.2011, Az.: 2 Ca 916/10 lev, zugestellt am 10.02.2011, abzuändern und die Klage ab-zuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 11.01.2011, Az.: 2 Ca 916/10 lev, zurückzuweisen.
Der Kläger ist der Auffassung, dass die Kündigung nicht gerechtfertigt sei. Er habe seine Verpflichtungen erfüllt und keine Unterschlagung begangen. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen ihn sei eingestellt worden. Die fehlende Übergabe des Quittungsbelegs an den Zeugen C., das Fehlen eines Wiegebelegs, auf dem das Kennzeichen des Fahrzeuges dieses Zeugen aufgeführt sei, und der fehlende Überschuss i.H.v.14, 99 € im Kassenabschluss vom 01.06.2010 würden bestritten. Diese Umstände könnten zudem weder eine Tatkündigung noch eine Verdachtskündigung begründen. Das Fehlen des Belegs und des Nachweises eines nicht ordnungsgemäßen Kassiervorgangs spreche nur für eine Vertragsverletzung, nicht aber für eine rechtswidrige Zueignung eines kassierten Betrages. Eine Vertragsverletzung könne aber nicht ohne vorherige Abmahnung eine Kündigung rechtfertigen. Der Betrag könne zudem auch ohne Kassiervorgang der Kasse zugeführt worden seien. Dagegen spreche auch nicht der fehlende Überschuss am Abend. Während der Schicht habe
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er keinen alleinigen Zugang zur Kasse gehabt. Er sei bei seiner Abwesenheit u.a. in der Pause von anderen Mitarbeitern der Schicht vertreten worden. Bei dem Schichtwechsel sei auch kein Kassenabschlag gemacht worden. Damit hätten andere Mitarbeiter die Möglichkeit gehabt, einen eventuellen Überschuss der Kasse zu entnehmen. Der Verweis der Beklagten auf die Menge der Kassiervorgänge überzeuge nicht, da sie sich am Vormittag im überschaubaren Rahmen gehalten hätten. Bei der Beurteilung dürfe auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Beklagte gegen alle Mitarbeiter der Schicht und auch andere Mitarbeiter eine Strafanzeige wegen Betrugs erhoben habe. Damit habe sie deutlich gemacht, dass sie allen Mitarbeitern nicht vertraue. Trotzdem habe sie es nicht für notwendig befunden, den Kassenabschlag mittels Vier-Augen-Prinzip durchzuführen. Es könne im Übrigen auch nicht von einem fehlenden Kassiervorgang bezüglich des Zeugen C. ausgegangen werden. Der Umstand, dass ein Wiegebeleg mit dem Fahrzeugkennzeichen dieses Zeugen fehle, stehe dem nicht entgegen. Das Kennzeichen werde per Hand eingetragen. Insofern seien auch Fehler möglich. Es komme hinzu, dass auch Eintragungen auf nicht überprüften Angaben der Kunden beruhten. Zudem würden aus dem Gedächtnis nachträglich Eintragungen vorgenommen, was wiederum zu Fehlern führen könne. Darüber hinaus sei die Kündigung wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats unwirksam. Dem Betriebsrat sei fehlerhaft mitgeteilt worden, dass zwischen 8:45 Uhr und 9:00 Uhr keine Einnahme von 14,99 € erfolgt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zugrunde liegenden Sachverhaltes sowie des widerstreitenden Sachvortrags und der unterschiedlichen Rechtsauffassungen der Parteien wird ergänzend Bezug genommen auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen und den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
A. Die Berufung ist zulässig. Sie ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 b ArbGG) sowie in gesetzlicher Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 66 Absatz 1 S. 1 und S. 2 i.V.m. §§ 519, 520 ZPO).
B. Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 15.06.2010 noch durch die hilfsweise ausgesprochene frist-lose Kündigung mit sozialer Auslauffrist bis zum 31.12.2010 beendet worden.
2. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kammer anschließt, ist die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung in zwei Stufen zu prüfen. Es ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., BAG 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 - AP Nr. 229 zu § 626 BGB; 26.03. 2009 - 2 AZR 953/07 - AP BGB § 626 Nr. 220; 27.04.2006 - 2 AZR 386/05 - AP Nr. 202 zu § 626 BGB). Der Kündigende ist für die Tatsachen, die die Kündigung bedingen, darlegungs- und beweispflichtig. Das gilt aber auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen (BAG 28.08.2008 - 2 AZR 15/07 - EzA § 626 BGB Nr. 22; 17.06.2003 - 2 AZR 123/02 - EzA § 626 BGB Nr. 4; 06.08.1987 - 2 AZR 226/87 - EzA § 626 BGB Nr. 109).
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3. Die Beklagte stützt die Kündigung auf eine Unterschlagung, hilfsweise den Verdacht einer Unterschlagung.
a) Die Voraussetzungen für eine Tatkündigung liegen nicht vor. Die Kammer folgt der Auffassung des Arbeitsgerichts sowohl im Ergebnis als in der Begründung.
Die Beklagte hat nicht ausreichend dargelegt, dass sich der Kläger am 01.06.2010 einen zwischen 8:45 Uhr und 9:00 Uhr kassierten Betrag von 14,99 € zugeeignet hat. Die Beklagte konnte keine Person benennen, die gesehen hat, dass der Kläger einen solchen Betrag eingesteckt hat. Es kann auch dahinstehen, ob der Zeuge den Betrag an den Kläger gezahlt hat, ein Vorgang über die Einnahme im elektronischen Kassensystem vorhanden ist und der Kassenabschluss am Abend keinen Überschuss in Höhe dieses Betrages ergeben hat. Aus diesen Indizien alleine kann nicht der Schluss gezogen werden, dass der Betrag nicht der Kasse zugeführt worden ist. Das Arbeitsgericht weist zu Recht darauf hin, dass der Annahme bereits entgegensteht, dass der Kläger keinen alleinigen Zugang zur Kasse hatte. Damit kann die Entnahme des Geldes durch einen Dritten nicht ausgeschlossen werden. Es hat zudem überzeugend darauf hingewiesen, dass eine Vielzahl von Möglichkeiten bestehen, warum es nicht zu einer Verbuchung gekommen ist und kein Überschuss vorhanden war. Letztlich kann auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, dass der vorhandene Wiegebeleg von 8:55 Uhr dem Vorgang C. zugeordnet werden kann. Die Eintragung des Kennzeichens kann fehlerhaft sein.
b) Die Kündigung ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Verdachtskündigung wirksam.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann nicht nur eine schwere, insbesondere schuldhafte Vertragspflichtverletzung eine außerordent-
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liche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund an sich rechtfertigen (BAG 25.11.2010 - 2 AZR 801/09 - DB 2011, 880-881; BAG 19.04.2007 - 2 AZR 78/06 - EzTöD 100 § 34 Abs. 2 TVöD-AT Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; BAG 02.03.2006 - 2 AZR 53/05 - EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; BAG 16.08.1991 - 2 AZR 604/90 - EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 41; BAG 15.01.1986 - 7 AZR 128/83 - EzA BGB § 626 n.F. Nr. 100). Auch der Verdacht einer strafbaren Handlung stellt einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (BAG 25.11.2010 - 2 AZR 801/09 – aaO; 23.06 2009 - 2 AZR 474/07 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47). Der Verdacht muss auf konkrete Tatsachen gestützt sein. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung der Pflichtverletzung ist die strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend. Ein Vermögensdelikt zum Nachteil des Arbeitgebers ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil v. 13.12.2007 - 2 AZR 537/06 - AP BGB § 626 Nr. 210 m.w.N.) regelmäßig geeignet, eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen, selbst wenn es nur um geringe Werte geht.
bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Beklagte keine ausreichenden Tatsachen vorgetragen, die den dringenden Verdacht begründen, dass sich der Kläger am 01.06.2010 einen Geldbetrag in Höhe von 14,99 € rechtswidrig zugeeignet hat.
(1) Der Beklagten ist zwar zu folgen, dass bei Vorliegen des behaupteten Ablaufs, dass der Kunde C. dem Kläger zwischen 8:45 Uhr und 09:00 Uhr einen Betrag von 14,99 € ausgehändigt hat, darüber kein Kassiervorgang vorhanden ist und der Kassenabschluss am Abend keinen Überschuss in Höhe des Betrages ergeben hat, der Verdacht besteht, dass der Betrag nicht der Kasse zugeführt worden ist. Die Verdachtskündigung setzt jedoch einen dringenden Tat-
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verdacht voraus. Die Umstände müssen so beschaffen sein, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft (BAG 25.11.2010 aaO.; 12.05.2010 - 2 AZR 587/08 - AP KSchG § 15 Nr. 67).
(2) Die von der Beklagten vorgetragenen Tatsachen führen aber nach Auffassung der Kammer nicht zu einem dringenden Tatverdacht bzw. zu einer großen Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger das Geld nicht der Kasse zugeführt hat und für sich verwandt hat.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass es keinen Kassiervorgang gegeben hat und dem Zeugen C. keine Quittung ausgehändigt wurde, spricht dies nicht unmittelbar für Unterschlagung. Der fehlende Kassiervorgang und das Unterlassen der Aushändigung einer Quittung können auf Nachlässigkeit beruhen. Hierbei übersieht die Kammer nicht, dass das Verhalten des Kassenführers in einer Geschäftsanweisung der Beklagten im Einzelnen aufgeführt ist. Dies schließt aber nicht aus, dass sie vom Arbeitnehmer im Einzelfall mal nicht beachtet werden. Nicht jeder Arbeitnehmer arbeitet fehlerfrei. Der Verstoß gegen die Geschäftsanweisung kann aber nicht die fristlose Kündigung rechtfertigen. Nach dem im Kündigungsschutzrecht geltenden ultima-ratio-Prinzip setzt eine Kündigung wegen einer schuldhaften Vertragsverletzung eine vorherige Abmahnung voraus. Dies liegt aber hier nicht vor.
Es kann bereits nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, dass der Beleg von 8:55 Uhr mit der laufenden NR. 200 103 987 dem Vorgang C. zugeordnet werden kann. Er enthält zwar ein anderes Fahrzeugkennzeichen. Der Kläger weist aber nachvollziehbar darauf hin, dass bei der handschriftlichen Eintragung des Kennzeichens Fehler auftreten können. Er hat ausgeführt, dass der Kunde das Kennzeichen teilweise selbst angebe und es teilweise abgelesen werde. Wenn es zunächst übersehen worden sei, werde der Beleg nachträglich aus der Erinnerung vervollständigt. Ein Hörfehler erscheint der Kammer zwar im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit der Kennzeichen unwahrscheinlich. Wenn
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aber eine Befragung zum Kennzeichen nicht erfolgt und der Beleg lediglich im Nachhinein zur Vervollständigung ausgefüllt worden ist, sind auch solche Unterschiede denkbar und erklärbar. Insoweit kann dieser Vortrag des Klägers nicht ohne Weiteres zurückgewiesen werden.
Von besonderer Bedeutung ist aber, dass der Kläger keinen ausschließlichen Zugang zur Kasse hatte. Nach dem unwidersprochenen Vortrag des Klägers wurde er während der Frühschicht bei seiner Abwesenheit von der Kasse auch von den anderen Schichtmitarbeitern vertreten. Andere Personen hatten damit die Möglichkeit, einen Überschuss von 14,99 € aus der Kasse zu entnehmen. Dies gilt erst recht, wenn man berücksichtigt, dass selbst beim Schichtwechsel kein Kassenabschlag stattgefunden hat. Der Kassenabschlag fand erst um 19:57 Uhr und damit über acht Stunden nach dem Vorfall statt. Damit hatten auch Mitarbeiter der Spätschicht Zugang zur Kasse, ohne dass der Kläger anwesend war und die Kassenvorgänge überprüfen konnte. Angesichts dieser Umstände kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Dritter einen Überschuss aus der Kasse genommen hat. Dies steht der Annahme eines dringenden Tatverdachts entgegen.
Der Beurteilung der Kammer kann die Beklagte nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass es der Lebenswirklichkeit widerspreche, dass ein anderer Mitarbeiter in der Früh- oder Spätschicht oder sogar derjenige, der den Kassenabschluss gemacht hatte, einen Kassenüberschuss an sich nimmt. Zum Einen sei ein Überschuss aufgrund der Vielzahl der Kassiervorgänge bei einem pauschalen Kassenüberschlag nicht zu erkennen. Zum Anderen müsse ein anderer Mitarbeiter, der einen Überschuss aus der Kasse nimmt, damit rechnen, bei der Entnahme entdeckt zu werden. Er könne auch nicht ausschließen, dass der ohne Kassiervorgang in die Kasse gelegte Betrag von dem insoweit tätigen Mitarbeiter angezeigt werde.
Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass es nach den eingereichten Belegen von 8:06 Uhr bis 10:10 Uhr überhaupt nur 12 Barentnahmen, davon fünf mit dem Betrag von 14,99 € und nach dem Kassenjournal am gesamten Tag nur 57
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Bareinnahmen gegeben hat. Die Einnahmen sind damit nicht so umfangreich, dass eine zwischenzeitliche kurzfristige Kassenübersicht durch eine andere Person ausgeschlossen werden kann. Es darf nicht übersehen werden, dass nach dem unwidersprochenen Klägervortrag die Belege nach dem Kassiervorgang in einer Ablage hinterlegt werden und damit zu einem Abgleich mit den tatsächlichen Einnahmen zur Verfügung stehen.
Soweit die Beklagte darauf hingewiesen hat, dass die Arbeitnehmer nicht während der ganzen Arbeitszeit überprüft werden könnten, sie müsse sich darauf verlassen können, dass die eingesetzten Kassenführer die Geschäftsanweisung genauestens beachten und von ihr insofern keine weiteren Indizien zur Annahme eines dringenden Tatverdachts verlangt werden könnten, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Dies schließt nicht genauere Sicherungssysteme aus. Es ist durchaus möglich, durch weitere Anweisungen sicherzustellen, dass verhaltensbedingte Mängel einzelnen Arbeitnehmern konkret zu-geordnet werden können. Dies kann bereits dadurch sichergestellt werden, dass eine Vertretung oder ein Schichtwechsel ohne einen Kassenabschluss untersagt wird. Im Einzelhandel nehmen die Kassierer teilweise ihre Kasse bei dem Verlassen ihres Arbeitsplatzes mit. Aufgrund des ausschließlichen Zugangs des einzelnen Arbeitnehmers zur Kasse kann eine Differenz dem jeweiligen Inhaber der Kasse konkret zugeordnet werden. Durch diese Verhaltensweise wird der Arbeitnehmer geschützt, unberechtigt in den Verdacht von Unregelmäßigkeiten zukommen. Die Handhabung im konkreten Fall lässt aber eine unmittelbare Zuordnung eines Kassenfehlbestandes nicht zu.
Dass sich der Kläger nicht konkret zu dem Vorgang C. geäußert hat, weil er ihn nach seiner Einlassung nicht mehr in Erinnerung hat und nur allgemein darauf verweist, alle einkassierten Beträge abgeführt zu haben, führt nicht dazu, die allgemeinen Lebensumstände und möglichen Verhaltensalternativen bei der Beurteilung nicht zu berücksichtigen. Der Sachverhalt lag zum Zeitpunkt der Einladung zum Anhörungsgespräch mit Schreiben vom 09.06.2010 mehrere Tage zurück. Nach dem Klägervortrag hat er jeden Tag in dem Wertstoffzent-rum gearbeitet. Angesichts der Vielzahl von Kunden aus dem privaten und ge-
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werblichen Bereich - am 01.06.2010 waren es 57 Vorgänge - ist es nachvollziehbar, wenn er sich nach mehreren Tagen nicht an einen einzelnen Vorgang oder einen Kunden erinnern kann. Etwas Anderes könnte sich zwar ergeben, wenn der Vorgang mit außergewöhnlichen Umständen verbunden gewesen wäre. Solche Umstände ergeben sich aber nicht aus dem Sachvortrag. Danach hat der Zeuge C. den geforderten Betrag bezahlt und ohne Quittung und Rüge das Werkstoffzentrum verlassen hat. Dem von der Beklagten eingereichten Protokoll über die Vernehmung des Herren C. vom 23.08.2010 lässt sich auch kein anderer Ablauf entnehmen.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht deswegen, weil sich der Kläger im Rahmen seiner Anhörung nicht auf die nunmehr im Prozess vorgetragenen Umstände, wie das unrichtige Ausfüllen eines Belegs, das Einlegen eines ein-genommen Betrages in die Kasse ohne dies in die Kasse einzugeben bzw. die Möglichkeit der Entnahme durch andere Arbeitnehmer aufgrund des fehlenden ausschließlichen Zugangs zur Kasse, berufen, sondern den Vorhaltungen der Beklagten nur entgegengehalten hat, dass er sich ohne Rechtsbeistand nicht zu den Vorwürfen äußern werde und sich schon ergeben werde, dass an dem Sachverhalt nichts dran sei. Aufgrund des Anschreibens zum Anhörungstermin vom 09.06.2010 wusste der Kläger, dass man ihn verdächtigte, eine Unterschlagung begangen zu haben. Er wusste auch, dass der Sachverhalt insbesondere seine Einlassungen Konsequenzen für sein Arbeitsverhältnis haben konnten. Insofern ist es nachvollziehbar und kann ihm nicht zum Nachteil gereichen, wenn er die Beklagte darauf verweist, dass er sich ohne Rechtsbeistand nicht zur Sache äußern will.
Es liegen auch keine sonstigen Umstände in der Person oder im Verhalten des Klägers aus der Vergangenheit vor, die im vorliegenden Fall eine andere Gewichtung der vorgetragenen und unter Beweis gestellten Tatsachen erfordern. Die auch den Kläger betreffende Strafanzeige vom 19.01.2010 ist dazu nicht geeignet. Sie wurde gegen neun Mitarbeiter des Wertstoffzentrums gestellt. Allen Mitarbeitern wurde aufgrund eines anonymen Hinweises vorgeworfen, die Müllentsorgung von Privatpersonen und Gewerbetreibenden nicht ordnungs-
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gemäß abgerechnet zu haben. Ein konkreter Tatverdacht gegen den Kläger hat sich aber nicht ergeben. Das Verfahren wurde zwischenzeitlich von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Sonstige weitere erhebliche Pflichtverletzungen des Klägers in dem bisherigen nunmehr ca. 13 Jahre andauernden Beschäftigungsverhältnis wurden von der Beklagten nicht vorgetragen.
Nach alledem reichen die vorgetragenen Tatsachen nicht aus, um mit Wahrscheinlichkeit davon ausgehen zu können, dass der Kläger den streitigen Betrag nicht der Kasse der Beklagten zugeführt und sich rechtswidrig zugeeignet hat. Da die Übergabe des Geldes durch den Zeugen, das Fehlen eines Kassiervorgangs und der fehlende Überschuss beim abendlichen Kassenabschlag für die Beurteilung unterstellt wurde, kam es nicht auf die Vernehmung der von der Beklagten insoweit benannten Zeugen an. Die außerordentliche Kündigung vom 09.06.2010 erweist sich danach bereits wegen Fehlens eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB als rechtsunwirksam. Ob die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG wirksam gewesen ist, war danach nicht mehr entscheidend.
II. Die von der Beklagten mit Schreiben vom 15.06.2010 hilfsweise ausgesprochene außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist ist ebenfalls unwirksam. Das Arbeitsverhältnis hat nicht am 31.12.2010 sein Ende gefunden.
Der Kläger fällt unter den Schutz des § 15 KSchG. Der Kläger war bei der Wahl vom 19.05.2010 Wahlbewerber. Gemäß § 15 Abs. 3 S. 1 KSchG ist die Kündigung eines Wahlbewerbers innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Die Frist war zum Zeitpunkt des Ausspruchs der fristlosen Kündigung mit Schreiben vom 15.06.2010 noch nicht abgelaufen.
Die Beklagte kann dem Umstand, dass kein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung gegeben ist, nicht durch die Gewährung einer der gesetzlichen Kündigungsfrist entsprechenden sozialen Auslauffrist Rechnung tragen. Nach der
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Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kammer anschließt, ist eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist gegenüber dem nach § 15 KSchG geschützten Personenkreis unzulässig (BAG 17.01.2008 - 2 AZR 821/06 - AP KSchG 1969 § 15 Nr. 62; BAG 12.05.2010 - 2 AZR 587/08 - NZA-RR 2011, 15). Die Zulassung einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist aus verhaltensbedingten Gründen würde die kündigungsrechtlichen Grenzen zwischen dem kündbaren und dem nach § 15 KSchG geschützten Arbeitnehmer verwischen. Sie führt in Fällen, in denen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist, nicht aber bis zum Auslaufen des Sonderkündigungsschutzes zumutbar ist, zur Zulässigkeit einer Kündigung, die im Ergebnis der - eigentlich ausgeschlossenen - ordentlichen Kündigung gleichkommt. Sie stellt damit für diese Fallgruppe den unkündbaren Betriebsrat/Wahlbewerber mit dem kündbaren Arbeitnehmer gleich. Sinn des Gesetzes ist es aber, den geschützten Personenkreis - abgesehen von den Fällen des § 15 Abs. 4, 5 KSchG - von der Bedrohung durch ordentliche Kündigung gerade mit Rücksicht auf seine besondere Stellung auszunehmen. Bei Zulassung einer verhaltensbedingten Kündigung mit Auslauffrist würde sich exakt die Gefahr realisieren, die der Gesetzgeber durch die Schaffung des § 15 KSchG ausschalten wollte (BAG 17.01.2008 - 2 AZR 821/06 – m.w.N. a.a.O.).
III. Zu Recht hat das Arbeitsgericht aufgrund der unwirksamen außerordentlichen Kündigung vom 15.06.2010 auch dem Weiterbeschäftigungsbegehren des Klägers stattgegeben.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 27.02.1985 - GS 1/84 - AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 14) hat der gekündigte Arbeitnehmer einen aus §§ 611, 613, 242 BGB, Art. 1 und 2 GG abgeleiteten allgemeinen Beschäftigungsanspruch außer im Falle einer offensichtlich unwirksamen Kündigung mindestens dann, wenn der Arbeitnehmer im Kündigungsprozess ein obsiegendes Urteil erstreitet. Ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers ist nur bis zur Entscheidung der ersten Instanz im Kündigungsschutzprozess anzuerken-
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nen. Diese Interessenlage ändert sich dann, wenn der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess ein obsiegendes Urteil erstreitet. In diesem Fall kann die Ungewissheit über den endgültigen Prozessausgang für sich allein ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers nicht mehr begründen. Will der Arbeitgeber auch für diesen Fall die Beschäftigung verweigern, so muss er zusätzliche Gründe anführen, aus denen sich sein überwiegendes Interesse ergibt. Derartige Gründe hat die Beklagte auch im Berufungsrechtszug nicht vorgetragen.
IV. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels zu tragen.
Der Streitwert hat sich in der Berufungsinstanz nicht geändert, § 63 GKG.
Für die Zulassung der Revision zum Bundesarbeitsgericht bestand nach § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.
RECHTSMITTELBELEHRUNG
Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.
(Jansen)
(Weihs)
(Holz)
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