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LAG Düsseldorf, Urteil vom 07.09.2012, 6 Sa 138/12
Schlagworte: | Betriebsschließung, Betriebsstilllegung, Kündigung: Betriebsbedingt | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Düsseldorf | |
Aktenzeichen: | 6 Sa 138/12 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 07.09.2012 | |
Leitsätze: | 1. Im Falle der Schließung einer Betriebskrankenkasse enden die Arbeitsverhältnisse der bei ihr beschäftigten Mitarbeiter/innen nicht deshalb, weil die Arbeitgeberin erloschen ist. Die gemäß § 155 Abs.1 S.2 SGB V zum Zwecke der Abwicklung fingierte Betriebskrankenkasse ist als Rechtsperson mit der ursprünglichen Körperschaft identisch. 2. Die Arbeitsverhältnisse der ordentlich kündbaren Arbeitnehmer einer Betriebskrankenkasse enden nicht gemäß § 164 Abs.4 S.1 SGB V zum Zeitpunkt der Schließung kraft Gesetzes. § 164 Abs.4 S.1 SGB V setzt voraus, dass zunächst das in § 164 Abs.3 SGB V vorgesehene Unterbringungsverfahren durchgeführt worden ist. Da die ordentlich kündbaren Arbeitnehmer einer Betriebskrankenkasse gemäß § 155 Abs.4 S.9 SGB V von diesem Unterbringungsverfahren ausgenommen sind, findet § 164 Abs.4 S.1 SGB V auf sie keine Anwendung. |
|
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 09.12.2011, 1 Ca 5773/11 Nachgehend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.11.2013, 2 AZR 966/12 |
|
Tenor:
I.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 09.12.2011 - AZ: 1 Ca 5773/11 - wird auf Kosten der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, das der Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung zum Zwecke der Klarstellung wie folgt neu gefasst wird:
1.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen der Beklagten vom 18.11.2011 nicht beendet worden ist.
2.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien jedenfalls über den 31.12.2011 hinaus fortbestanden hat.
3.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
II.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis mit Schließung der Beklagten beendet worden ist. Außerdem stehen eine außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung aus betriebsbedingten Gründen im Streit.
Die Beklagte war als Körperschaft des öffentlichen Rechts Trägerin einer gesetzlichen Krankenkasse und beschäftigte zuletzt ca. 270 Arbeitnehmer. Mit Bescheid vom 02.11.2011 verfügte das Bundesversicherungsamt, dass sie mit Ablauf des 31.12.2011 gemäß § 153 S. 1 Nr. 3 SGB V i.V.m. § 90 Abs. 1 SGB IV geschlossen wird. Wegen des genauen Inhalts und der darin enthaltenen Begründung der Schließungsentscheidung wird auf Bl. 41 ff. d.A. verwiesen. Der Bescheid ist von einigen Mitarbeitern, nicht jedoch von der Beklagten, angegriffen worden. Seit dem 01.01.2012 wickelt die BKK für Heilberufe Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung die Krankenkasse ab.
Der am 12.05.1971 geborene Kläger war seit dem 01.04.1999 bei der Beklagten gegen ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von zuletzt 3.538,- € als Sachbearbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der "Tarifvertrag BKK für Heilberufe" Anwendung, der u.a. folgende Regelungen enthielt:
"§ 10 Beschäftigungszeit
(1)Beschäftigungszeit sind die bei der BKK und deren Rechtsvorgänger in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegten Zeiten, auch wenn sie unterbrochen sind.
...
§ 31 Kündigung
...
(3) Im Übrigen beträgt die Kündigungsfrist bei einer Beschäftigungszeit gemäß § 10
von mehr als 6 Monaten6 Wochen,
von mindestens 5 Jahren3 Monate,
von mindestens 8 Jahren4 Monate,
von mindestens 10 Jahren5 Monate,
von mindestens 12 Jahren6 Monate,
von mindestens 15 Jahren7 Monate
zum Schluss eines Kalendervierteljahres.
Die Kündigungsfristen gelten beidseitig für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
...
§ 32 Unkündbare Beschäftigte
(1)Nach einer Beschäftigungszeit von 20 Jahren, frühestens jedoch nach Vollendung des 40. Lebensjahres, kann den Beschäftigten nur aus einem in ihrer Person oder in ihrem Verhalten liegenden wichtigen Grund gekündigt werden.
..."
Zunächst kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 15.09.2011 23 zum 31.03.2012. Mit einem Schreiben vom 16.11.2011 teilte die Beklagte dem Kläger sodann mit, dass sein Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.12.2011, mit dem Tag der durch den Bescheid verfügten Schließung, sein Ende finden werde. Zudem erhielt er ein Schreiben der Beklagten vom 18.11.2011, in dem diese erklärte, das Arbeitsverhältnis werde "hilfsweise außerordentlich zum 31.12.2011, äußerst hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt’" gekündigt.
Allen Arbeitnehmern wurde mit einem Schreiben der "BKK für Heilberufe Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung" vom 23.11.2011 ein Angebot auf Abschluss eines befristeten Vertrages für die Zeit vom 01.01. bis zum 30.06.2012 unterbreitet. Der Kläger nahm dieses Angebot nicht an.
Führungsmitarbeitern wurden Beschäftigungsangebote mit längerer Befristungsdauer unterbreitet. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass in der Abwicklungskörperschaft über den 30.06.2012 hinaus - zumindest in verringertem Umfang - Beschäftigungsbedarf auch für Mitarbeiter unterhalb der Führungsebene besteht. Mittlerweile wurden mit einigen Beschäftigten die befristeten Verträge bis zum 31.12.2012 verlängert.
Gegenstand des Rechtsstreits war zunächst die Kündigung vom 15.09.2011 zum 31.03.2012. Insoweit haben die Parteien sich in einem Teilvergleich darauf geeinigt, dass diese Kündigung nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat. Vor Abschluss dieses Teilvergleiches hat der Kläger die Klage mit einem am 09.12.2011 zugestellten Schriftsatz um einen Kündigungsschutzantrag bezogen auf die Kündigung vom 18.11.2011 erweitert. Eine zwischenzeitliche weitere Kündigung vom 19.03.2012 zum 30.06.2012 hat der Kläger mit einer gesonderten Klage angegriffen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, sein Arbeitsverhältnis sei infolge der Schließung der Kasse nicht kraft Gesetzes beendet worden. Wolle man die §§ 164 Abs. 4 S. 1, 155 Abs. 4 S. 9 SGB V dahin verstehen, dass die Arbeitsverhältnisse ordentlich kündbarer Arbeitnehmer ohne weiteres mit dem Tag der verfügten Schließung endeten, wären die Normen verfassungswidrig. Es läge u.a. ein Verstoß gegen Art. 12 Abs.1 GG vor.
Die hilfsweise ausgesprochene außerordentliche sowie die ordentliche Kündigung seien unwirksam. Die Schließung der Kasse stelle keinen wichtigen Grund für eine Beendigung zum 31.12.2011 dar. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Beklagte - unstreitig - allen Mitarbeitern eine Weiterbeschäftigung mindestens bis zum 30.06.2012 und teilweise für eine Dauer von bis zu 18 Monaten angeboten habe.
Der Kläger hat beantragt,
1.festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht kraft Gesetzes zum 31.12.2011 aufgelöst wird;
2.festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 18.11.2011 nicht aufgelöst wird;
3.festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 18.11.2011 nicht aufgelöst wird.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, aufgrund der Schließung sei das Arbeitsverhältnis gemäß § 155 Abs. 4 S. 9 SGB V i.V.m. § 164 Abs. 4 S. 1 SGB V mit dem Ablauf des 31.12.2011 beendet worden. Diese Rechtsfolge ergebe sich eindeutig aus dem Wortlaut der beiden Normen. Da der Kläger nicht zu dem Kreis der nach § 164 Abs. 3 SGB V betroffenen Beschäftigten gehöre, müsse er nicht "untergebracht" werden, sondern sein Arbeitsverhältnis ende ohne Weiteres.
Die Normen seien auch mit dem Grundgesetz vereinbar. Zwar werde damit in das Grundrecht der Arbeitnehmer auf Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG eingegriffen. Dieser Eingriff sei jedoch gerechtfertigt, da er zur Sicherung der finanziellen Stabilität und Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung geeignet, erforderlich und angemessen sei. Wegen der Dritthaftung der Betriebskrankenkassen für die Verbindlichkeiten der leistungsunfähigen geschlossenen Betriebskrankenkassen gemäß § 155 Abs. 4 Sätze 4 bis 6 SGB V würde die Leistungsfähigkeit des gesamten Systems durch die Übernahme von Personalkosten weiter geschwächt. Der Erhalt der Leistungsfähigkeit des Krankenkassensystems sei als überragend wichtiger Allgemeinwohlbelang einzustufen. Demgegenüber seien die Einschnitte in die Rechte der Arbeitnehmer vergleichsweise gering. Denn im Fall der Schließung einer Krankenkasse müssten die Arbeitsverhältnisse ohnehin durch Kündigung beendet werden.
Auch der Umstand, dass Kündigungsfristen nicht eingehalten würden, führe nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Normen. Denn die Aufsichtsbehörde habe nach den gesetzlichen Vorgaben den Schließungszeitpunkt nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen. Bei der Ausübung des Ermessens würden die Belange der Arbeitnehmer durch Bestimmung eines erst in der Zukunft liegenden Zeitpunktes
(hier fast zwei Monate) berücksichtigt. Schließlich sei eine Verkürzung der Kündigungsfristen auch z.B. im Fall der Insolvenz gesetzlich vorgesehen.
Die hilfsweise außerordentliche sowie die äußerst hilfsweise ordentliche Kündigung seien wirksam. Wegen der Schließung der Krankenkasse zum 31.12.2011 sei ihr die Fortsetzung der Arbeitsverhältnisse über diesen Zeitpunkt hinaus nicht zuzumuten. Der Beschäftigungsbedarf sei jedenfalls deshalb entfallen, da die Schließung die Existenz des Arbeitsvertragspartners, der BKK für Heilberufe, endgültig beendet habe. Eine Sozialauswahl habe sie nicht durchführen müssen, weil die Arbeitsverhältnisse sämtlicher kündbarer Arbeitnehmer gekündigt worden seien. Unter Hinweis auf ein Schreiben vom 03.11.2011 hat sie behauptet, der Personalrat sei ordnungsgemäß vor Ausspruch der Kündigungen angehört worden.
Mit Urteil vom 09.12.2011 hat das Arbeitsgericht der Klage vollumfänglich stattgegeben. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen wie folgt begründet:
Das Arbeitsverhältnis habe nicht kraft Gesetzes geendet. Die Beklagte sei mit der Abwicklungskörperschaft identisch. Eine geschlossene Betriebskrankenkasse gelte gemäß § 155 Abs.1 S.2 SGB V als fortbestehend, bis die Geschäfte abgewickelt seien. Das Arbeitsverhältnis sei nicht kraft Gesetzes beendet worden. § 164 Abs.4 S.1 SGB V bedürfe einer verfassungskonformen Auslegung dahingehend, dass die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer, die vom Arbeitgeber weiter beschäftigt würden, nicht mit der Schließung endeten. Dasselbe habe zu gelten, wenn einem Arbeitnehmer ein Weiterbeschäftigungsangebot gemacht werde, welches er nicht annehme. Auch dann habe nämlich eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestanden mit der Folge, dass für eine gesetzliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein Raum bleibe.
Die Kündigungen vom 18.11.2011 hätten das Arbeitsverhältnis ebenfalls nicht beendet. Die außerordentliche Kündigung sei gemäß § 626 Abs.2 BGB verfristet. Dringende betriebliche Erfordernisse für eine ordentliche Kündigung lägen nicht vor. Durch die Schließung der Krankenkasse seien nicht automatisch die Arbeitsplätze entfallen. Eine unternehmerische Entscheidung, zu welchem Zeitpunkt aufgrund der fortschreitenden Abwicklung die Arbeitsverhältnisse beendet würden, die denknotwendig eine entsprechende Abwicklungskonzeption voraussetze, sei nicht erkennbar.
Gegen dieses Urteil, welches ihr am 02.01.2012 zugestellt worden ist, hat die Beklagte mit einem am 27.01.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 02.03.2012 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Beklagte rügt, die Annahme des Arbeitsgerichts, es handle sich bei der Beklagten und der BKK für Heilberufe Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung um identische Rechtspersonen, sei unzutreffend. Die fehlende Identität ergebe sich u.a. aus folgenden Gesichtspunkten: Die hoheitliche Anordnung der Schließung habe die Existenz der BKK für Heilberufe Körperschaft des öffentlichen Rechts als actus contrarius zum Errichtungsakt beendet. Die Beendigung der Existenz eines Rechtsträgers setze zwingend einen hoheitlichen Rechtsakt voraus; ein solcher ergehe aber nach dem Schließungsbescheid nicht mehr. Die Finanzverwaltung erkenne die Abwicklungskörperschaft als eigenständigen Rechtsträger an. Sie sei verpflichtet, eine neue Steuernummer zu beantragen. Auch die Einführung der Achtwochenfrist zwischen Zustellung des Schließungsbescheides und Schließung einer Betriebskrankenkasse zeige, dass der Gesetzgeber im Jahr 2011 Handlungsbedarf zum besseren Schutz der Arbeitnehmer gesehen habe. Eines solchen Schutzes hätte es nicht bedurft, wenn die Rechtspersönlichkeit einer Betriebskrankenkasse nicht mit der Schließung untergehen würde. Sinn und Zweck der gesetzlichen Konzeption des Schließungsprocederes sei es, dass die Abwicklungskörperschaft nicht an gesetzlich vorgegebene Faktoren gebunden sein solle, die ihr Gestaltungsspielräume nähmen. Sie solle neue Arbeitsverhältnisse je nach Bedarf schließen können. Über eine etwaige Identität des Vorstandes der Abwicklungskörperschaft mit demjenigen der geschlossenen Betriebskrankenkasse sage § 155 Abs.1 S.3 SGB V nichts aus. Aus dem Gesetzeswortlaut des § 155 Abs.1 S.2 SGB V ("gilt ... als fortbestehend") folge die Fiktion einer Existenz, woraus zu schließen sei, dass tatsächlich eine Beendigung der Existenz eingetreten sei. Die fingierte Abwicklungskörperschaft setze die Abwicklung der untergegangenen Betriebskrankenkasse fort. Dies entspreche auch dem gesetzgeberischen Willen, wie der Begründung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 16.06.2008 zu entnehmen sei (BT-Drs. 16/9559, S. 16). Danach solle die Schließung "insbesondere wegen ihrer Auswirkungen auf die Beschäftigten und die Versicherten der Krankenkasse nur Ultima Ratio" sein. Ginge man von einer Rechtsträgeridentität aus, so wären auf die Beschäftigten überhaupt keine Auswirkungen zu verzeichnen.
Das Arbeitsverhältnis habe durch die Beendigung der Existenz der Beklagten und im Übrigen ipso jure aufgrund von § 155 Abs.4 S.9 i.V.m. § 164 Abs.4 SGB V geendet. Die Beendigung der Arbeitsverhältnisse ergebe sich unabhängig von § 164 Abs.4 S.1 SGB V bereits aus dem Erlöschen des ursprünglichen Arbeitgebers. § 164 Abs.4 S.1 SGB V komme dementsprechend lediglich eine deklaratorische Bedeutung zu. Eine verfassungskonforme Auslegung in dem vom Arbeitsgericht vertretenen Sinne sei weder möglich noch zulässig. Es bedürfe gar keines besonderen Schutzes der Arbeitnehmer, die aufgrund von Befristungen weiterbeschäftigt würden, da ihnen die Befristungskontrollklage offen stünde. Da die Abwicklungskörperschaft nicht mit der geschlossenen Betriebskrankenkasse identisch sei, könne es auf Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bei der BKK für Heilberufe Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung nicht ankommen. Dementsprechend seien auch die außerordentliche, zumindest aber die ordentliche Kündigung vom 18.11.2011 wirksam. Die außerordentliche Kündigung sei auch nicht verfristet. Die 2-Wochen-Frist sei gewahrt, weil die Frist aufgrund der zuvor durchzuführenden Prüfung schwieriger Rechtsfragen erst mit deren Abschluss am 10.11.2011 zu laufen begonnen habe.
Die Beklagte behauptet, der Personalrat sei mit dem Schreiben vom 03.11.2011 (Anlage B 1) vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß beteiligt worden. Am 07.11.2011 habe das Erörterungsgespräch stattgefunden. Auch seien die Entlassungen bei der Agentur für Arbeit gemäß §§ 17 KSchG angezeigt worden. Zunächst sei sie mit Schreiben vom 03.11.2011 unter Beifügung der Personalratsanhörung über die Einleitung des Unterrichtungsverfahrens beim Personalrat informiert worden (Anlage B 2). Nach Ablauf der zweiwöchigen Frist sei die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit erfolgt (Anlage B 3). Mit Schreiben vom 18.11.2011 sei der Personalrat über die Durchführung der geplanten Kündigungen informiert worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 09.12.2011 - AZ: 1 Ca 5773/11 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Kläger verteidigt das angefochtene Urteil unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Selbst wenn man aber von einer Verfassungsmäßigkeit des § 164 Abs.4 S.1 SGB V ausginge, so müsse die Norm so verstanden werden, dass sie nur greife, wenn eine Betriebskrankenkasse tatsächlich schließe und nicht weiterhin unter Einsatz ihrer Mitarbeiter für die bisherigen Mitglieder der Krankenkasse Abrechnungen vornehme. Die Kündigungen seien ebenfalls unwirksam, da noch Beschäftigungsbedarf bestehe. Im Übrigen gehe es nicht an, wenn erst gekündigt und sodann unter Außerachtlassung jeglicher Sozialauswahl neue Arbeitsverträge angeboten würden.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht hat der Kläger klargestellt, dass mit dem Antrag zu 1) die Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses über den 31.12.2011 hinaus gemeint sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle vom 09.02. und 07.09.2012 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
A.
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
I. Gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen keine Bedenken.
Sie ist nach Maßgabe der §§ 66 Abs.1, Abs.6 ArbGG i.V.m. § 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist auch statthaft gemäß § 64 Abs.1, 2 lit. c) ArbGG.
II. Die Berufung ist aber unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat weder unmittelbar aufgrund der Schließung geendet noch ist es durch die Kündigung vom 18.11.2011 zum 31.12.2011 oder zu einem späteren Zeitpunkt beendet worden.
1. Die Klage ist zulässig.
a) Die Beklagte ist parteifähig im Sinne des § 50 Abs. 1 ZPO.
Sie ist nämlich zumindest teilrechtsfähig. Dem steht die durch den Bescheid des Bundesversicherungsamtes vom 02.11.2011 verfügte Schließung der BKK für Heilberufe zum 31.12.2011 nicht entgegen. Infolge der gesetzlichen Fiktion des § 155 Abs.1 S.2 SGB V gilt sie als fortbestehend, soweit es der Zweck der Abwicklung erfordert.
aa) Bei dieser kraft Gesetzes fingierten Abwicklungskörperschaft handelt es sich nicht um eine von der Beklagten zu unterscheidende Rechtspersönlichkeit.
Nicht die Neugründung einer Abwicklungskörperschaft, sondern das Fortbestehen der Beklagten wird gemäß § 155 Abs.1 S.2 SGB V fingiert. Es entspricht der nahezu einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass im Falle der Abwicklung einer geschlossenen Betriebskrankenkasse kein neuer Rechtsträger entsteht bzw. fingiert wird (so ausdrücklich: LAG Berlin - Brandenburg Urteile v. 12.04.2012 - 5 Sa 2554/11 - Rn. 26, v. 08.05.2012 - 7 Sa 2558/11 - Rn. 22, v. 11.05.2012 - 13 Sa 2486/11 - Rn. 26 und v. 24.05.2012 - 18 Sa 2605/11, 18 Sa 116/12, Rn. 45, alle zitiert nach juris; vgl. weiter: LAG Baden - Württemberg v. 18.05.2012 - 7 Sa 13/12 - Rn. 15, juris; VG Baden - Württemberg v. 20.12.2011 - PB 15 S 2128/11 - Rn. 6, juris; Dalichau, SGB V Gesetzliche Krankenversicherung, Anm. II. 2. zu § 155 SGB V; Kasseler Kommentar-Peters, Sozialversicherungsrecht, § 155 SGB V Rn.3; Gutzeit NZS 2012, 362; Klimpe-Auerbach, SozSich 2011, S. 270, 272). Auch das Arbeitsgericht Stuttgart räumt in dem Urteil vom 14.12.2011 - 22 Ca 4263/11 -, auf welches sich die Beklagte zur Stützung ihrer Ansicht beruft, ein, dass nicht etwa eine neue (Abwicklungs-)Körperschaft fingiert werde, sondern die "gesetzlich fingierte Beklagte" (also die Betriebskrankenkasse!) "nur noch fiktiv bestehen" bleibe (S.6 des Urteils).
Die Identität der geschlossenen Betriebskrankenkasse und der Abwicklungskörperschaft ergibt sich aus Folgendem:
Gemäß § 155 Abs.1 S.2 SGB V gilt eine aufgelöste oder geschlossene Betriebskrankenkasse als fortbestehend, soweit es der Zweck der Abwicklung erfordert. Das Fortbestehen der Betriebskrankenkasse wird fingiert, damit die Handlungsfähigkeit für die Abwicklung erhalten bleibt (vgl. etwa Dalichau, SGB V Gesetzliche Krankenversicherung, Anm. II. 2. zu § 155 SGB V). Daraus folgt zweierlei: Zum einen wird die Existenz der Betriebskrankenkasse eigentlich mit der Schließung beendet. Zum anderen wird aber zum Zwecke der Abwicklung nicht etwa ein neuer Rechtsträger gegründet, sondern es erfolgt eine Fiktion des Weiterbestandes der bisherigen Körperschaft. Der Wortlaut ist eindeutig und schließt die von der Beklagten vertretene 2-Rechtsträger-Theorie aus. So gilt die Fiktion nicht für "eine", sondern für "die" Betriebskrankenkasse, wodurch sprachlich ein Bezug zu der "aufgelösten oder geschlossenen Betriebskrankenkasse" in dem vorhergehenden Satz (§ 155 Abs.1 S.1 SGB V) hergestellt wird. Da sie als "fortbestehend" (Hervorhebung durch Unterzeichner) gilt, kann es sich bei der Abwicklungskörperschaft nicht um einen neuen Rechtsträger handeln. Außerdem bedürfte eine neue Körperschaft - auch im Falle einer bloßen Fiktion - der Bestellung eines Vorstandes. Gemäß § 155 Abs.1 S.1 SGB V wickelt jedoch der Vorstand der aufgelösten oder geschlossenen Betriebskrankenkasse, nicht derjenige einer neuen Abwicklungskörperschaft die Geschäfte ab. Dies ist nicht auf die Zeit bis zur Schließung begrenzt. Dementsprechend geht auch § 155 Abs.1 S.3 SGB V davon aus, dass der alte Vorstand im Amt bleiben kann, denn andernfalls hätte es einer Regelung bedurft, die nicht ausschließlich für den Fall des Ausscheidens dieses Vorstandes gilt. Stattdessen hätte der Gesetzgeber dann regeln müssen, dass der Vorstand der Abwicklungskörperschaft immer von der Aufsichtsbehörde bestimmt wird.
Ob sich aus der Vergabe einer neuen Steuernummer schließen lässt, dass die Finanzverwaltung von einem neuen Rechtsträger ausgeht, kann dahingestellt bleiben. Eine solche etwaige Einschätzung der Finanzverwaltung entfaltet im vorliegenden Rechtsstreit keine Bindungswirkung.
bb) Mit der Fiktion des Fortbestehens ist die Beklagte handlungsfähig und kann sogar neue Rechtsverhältnisse begründen, soweit der Zweck der Abwicklung es erfordert (vgl. Krauskopf/Baier, Soziale Krankenversicherung etc., § 155 SGB V Rn. 5; Gutzeit NZS 2012, 361, 362 f.). Daraus ergibt sich die Parteifähigkeit bezüglich eines Bestandsschutzprozesses, da die Beendigung von Arbeitsverhältnissen zur Abwicklung gehört (vgl. LAG Baden-Württemberg v. 21.05.2012 - 1 Sa 2/12 - Rn. 44, juris).
b) Es bestehen auch keine Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags zu 1).
aa) Dieser bedarf allerdings zunächst der Auslegung. Dem Wortlaut nach soll lediglich ein bestimmter Beendigungsgrund angegriffen werden. Dies ist aber außerhalb der ausschließlich für Kündigungen bzw. Befristungen geltenden Sonderregelungen der §§ 4 KSchG und 17 S.1 TzBfG nicht möglich. Nur dort gilt der sog. punktuelle Streitgegenstandsbegriff (vgl. hierzu BAG v. 12.05.2005 - 2 AZR 426/04 -, unter B I. 2. der Entscheidungsgründe, AP Nr. 53 zu § 4 KSchG 1969; BAG v. 10.10.2002 - 2 AZR 622/01 -, unter B I. 2. a der Entscheidungsgründe, AP Nr. 49 zu § 4 KSchG 1969). Zwar können einzelne Rechte, Pflichten oder Folgen eines Rechtsverhältnisses zulässiger Gegenstand einer Feststellungsklage sein (sog. Elementenfeststellungsklage), dies gilt jedoch nicht für bloße Vorfragen oder einzelne Elemente eines Rechtsverhältnisses (vgl. BAG v. 25.09.2003 - 8 AZR 446/02 - AP Nr. 256 zu § 613a BGB, unter II. 1. a) aa) der Entscheidungsgründe). Allerdings kann ein falsch formulierter Antrag nach § 133 BGB analog entsprechend ausgelegt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG v. 31.01.2008 - 8 AZR 2/07 - AP Nr. 339 zu § 613a BGB, Rn.25; BAG v. 25.09.2003 a.a.O., unter II. 1. a) aa) der Entscheidungsgründe; BAG v. 10.10.1996 - 8 AZR 778/94 - unter 2. b) der Entscheidungsgründe). So ist beispielsweise im Falle eines Betriebsübergangs der Antrag auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis übergegangen sei, dahingehend auszulegen, dass der Fortbestand des ursprünglich mit dem Veräußerer bestehenden Arbeitsverhältnisses zum (mutmaßlichen) Betriebsübernehmer geklärt werden soll (BAG v. 31.01.2008 a.a.O., Rn.25; BAG v. 25.09.2003 a.a.O., unter II. 1. a) aa) der Entscheidungsgründe; BAG v. 10.10.1996 a.a.O., unter 2. b) der Entscheidungsgründe). Dementsprechend ist hier der Antrag zu
1) so zu verstehen, dass die Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten über den 31.12.2011 hinaus beantragt wird.
bb) Das für den Feststellungsantrag gemäß § 256 Abs.1 ZPO erforderliche allgemeine Feststellungsinteresse folgt daraus, dass sich die Beklagte auf anderweitige Beendigungstatbestände beruft. Durch die beantragte Feststellung kann die Frage geklärt werden, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien fortbesteht oder ob es automatisch durch die Beendigung der Existenz der Beklagten bzw. kraft Gesetzes gemäß § 155 Abs.4 S.9 i.V.m. § 164 Abs.4 S.1 SGB V geendet hat.
Das Feststellungsinteresse fehlt auch nicht etwa deswegen, weil der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 31.12.2011 hinaus ohnehin als Vorfrage bei der Beurteilung der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 18.11.2011 geprüft werden muss. Dies gilt nämlich nur im Falle eines Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag. Sofern die Kündigung hingegen als sozial gerechtfertigt angesehen würde, könnte der Bestand des Arbeitsverhältnisses zum beabsichtigten Beendigungszeitpunkt dahinstehen. Da hierüber noch nicht rechtskräftig entschieden ist, besteht ein Feststellungsinteresse für den allgemeinen Feststellungsantrag.
Ob der Antrag darüber hinaus auch als sog. Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs.2 ZPO zulässig wäre, kann dahingestellt bleiben.
2. Die Klage ist auch begründet.
a) Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand über den 31.12.2011 hinaus fort.
aa) Die Beendigung des bisherigen unbefristeten Arbeitsverhältnisses ist nicht faktisch dadurch eingetreten, dass mit der Schließung die Existenz der BKK für Heilberufe Körperschaft des öffentlichen Rechts erloschen ist.
Gemäß § 155 Abs.1 S.2 SGB V gilt die Beklagte zum Zwecke der Abwicklung als fortbestehend. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen. Würden unabhängig davon automatisch wegen der Beendigung der Existenz des bisherigen Arbeitgebers alle Arbeitsverhältnisse enden, so bedürfte es der §§ 155 Abs.4 S.9, 164 Abs.4 S.1 SGB V nicht. Ob Arbeitnehmern, die nicht zum Zwecke der Abwicklung der Kasse benötigt werden, wie z.B. Außendienstmitarbeitern, mit der Schließung "der Arbeitgeber abhanden kommt", wie im Schrifttum vertreten wird (vgl. Gutzeit NZS 2012, 361, 365), kann dahinstehen. Die Kläger wurde jedenfalls noch zum Zwecke der Abwicklung benötigt, wie das ihr unterbreitete Angebot auf Abschluss eines befristeten Vertrages zeigt.
bb) Das bisherige Arbeitsverhältnis hat nicht gemäß § 155 Abs.4 S.9 i.V.m. § 164 Abs.4 S.1 SGB V zum 31.12.2011 kraft Gesetzes geendet.
Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob dem Arbeitsgericht bezüglich der Ausführungen zu einer verfassungskonformen Auslegung des § 164 Abs.4 S.1 SGB V zu folgen ist. § 164 Abs.4 S.1 SGB V findet unabhängig hiervon auf ordentlich kündbare Arbeitnehmer von Betriebskrankenkassen keine Anwendung. Dieses Ergebnis folgt aus einer Auslegung der vorgenannten Normen (ebenso: LAG Baden-Württemberg v. 21.05.2012 - 1 Sa 2/12 - Rn.46 ff.; LAG Berlin - Brandenburg v. 12.04.2012 - 5 Sa 2554/11 - Rn. 27 ff.; LAG Berlin - Brandenburg v. 24.05.2012 - 18 Sa 2605/11, 18 Sa 116/12 - Rn. 47 ff., juris; Wolter, Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 155 Abs. 4 S. 9, 164 Abs. 2 bis Abs. 4 aus Anlass der Schließung der City BKK zum 30.06.2011, S. 14; Klimpe-Auerbach, SozSich 2011, S. 270, 272. Anderer Ansicht: LAG Baden-Württemberg v. 18.05.2012 - 7 Sa 13/12 - Rn. 25 ff., juris; Gutzeit NZS 2012, 361 ff.; Bohlen-Schöning KrV 2011, 85; Grau/Sittard KrV 2012, 6; Thomma KrV 2012, 27).
Bei der einfach-gesetzlichen Auslegung ist auf den Wortlaut der Vorschrift, den systematischen Gesamtzusammenhang, die Entstehungsgeschichte und den Zweck der Norm abzustellen (vgl. etwa BAG v. 15.02.2012 - 7 AZR 734/10 - NZA 2012, 919; BAG v. 06.04.2011 - 7 AZR 716/09 - AP Nr. 82 zu § 14 TzBfG). Zur Ermittlung der Entstehungsgeschichte und des Zwecks der Vorschrift kann auf die Gesetzesmaterialien zurückgegriffen werden (vgl. BAG v. 19.06.2012 - 3 AZR 464/11 - Rn.24, juris; BAG v. 15.02.2012 a.a.O., Rn. 20 u. 23; BAG v. 13.02.2008 - 2 AZR 864/06 - AP Nr. 5 zu § 85 SGB IX). Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze ergibt sich hier Folgendes:
aaa) Um die Reichweite der Verweisungsnorm des § 155 Abs.4 S.9 SGB V zutreffend erfassen zu können, bedarf es zunächst einmal der Feststellung, welchen Regelungsinhalt die in Bezug genommene Vorschrift des § 164 Abs.4 S.1 SGB V hat. Diese Norm führt ausschließlich in den Fällen zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses, in denen zuvor das Unterbringungsverfahren nach § 164 Abs.3 SGB V ordnungsgemäß durchgeführt worden ist.
(1) In Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, ob die ordnungsgemäße Durchführung des Unterbringungsverfahrens gemäß § 164 Abs.3 SGB V Voraussetzung für die Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen gemäß § 164 Abs.4 SGB V ist.
Nach einer Ansicht tritt die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gemäß § 164 Abs.4 S.1 SGB V auch dann ein, wenn das Unterbringungsverfahren gemäß § 164 Abs.3 SGB V zuvor nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden ist (vgl. LAG Baden-Württemberg v. 18.05.2012 - 7 Sa 13/12 - Rn. 47, juris; Gutzeit NZS 2012, 361, 364; Grau/Sittard, KrV 2012, 6, 10; Thomma KrV 2012, 27, 28; Bohlen-Schöning, KrV 2011, 85, 86). Hierfür spreche der Wortlaut, denn es endeten die Anstellungsverhältnisse aller Beschäftigten, die nicht untergebracht worden seien, ohne dass danach differenziert werde, warum eine Unterbringung unterblieben sei. Ein Verstoß gegen § 164 Abs.3 SGB V löse lediglich Schadenersatzansprüche aus.
Nach anderer Ansicht kann die gesetzliche Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gemäß § 164 Abs.4 S.1 SGB V nur eintreten, wenn zuvor das Unterbringungsverfahren gemäß § 164 Abs.3 SGB V ordnungsgemäß durchgeführt worden ist (LAG Baden-Württemberg v. 21.05.2012 - 1 Sa 2/12 - Rn.46 ff.; LAG Berlin - Brandenburg v. 12.04.2012 - 5 Sa 2554/11 - Rn. 27 ff.; LAG Berlin - Brandenburg v. 08.05.2012 - 7 Sa 2558/11 - juris; LAG Berlin - Brandenburg v. 24.05.2012 - 18 Sa 2605/11, 18 Sa 116/12 - Rn. 47 ff., juris; Klimpe-Auerbach, SozSich 2011, 270, 272; Jahn, SGB Sozialgesetzbuch für die Praxis, SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung Teil 2, § 164 Rn. 28; Peters in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 73. Ergänzungslieferung 2012, § 164 SGB V Rn. 5). Die Absätze 3 und 4 der Vorschrift stünden in einem untrennbaren Zusammenhang (vgl. LAG Baden-Württemberg v. 21.05.2012 - 1 Sa 2/12 - Rn. 52).
(2) Die Kammer schließt sich der zweitgenannten Meinung an.
(a) Der Wortlaut ist nicht eindeutig, spricht aber eher für die hier vertretene Auffassung.
Zwar scheint auf den ersten Blick mehr darauf hinzudeuten, dass ausschließlich auf die tatsächliche Unterbringung, nicht auf die Unterbringungsbemühungen abgestellt werden soll, denn andernfalls hätte die Formulierung "untergebracht werden können" nahegelegen (vgl. LAG Baden - Württemberg v. 21.05.2012 - 1 Sa 2/12 - Rn.51, juris). Der zweite Blick zeigt aber, dass ein in diesem Sinne wörtliches Verständnis nicht durchgehalten werden kann. Die Auffassung, die eine derartige Auslegung für zutreffend hält, vermag nicht zu erklären, warum die Unterbringung im Sinne des Absatzes 3 überhaupt in Absatz 4 S.1 SGB V genannt wird, wenn hierdurch kein Bezug auf das dort geregelte Verfahren hergestellt werden soll. Ein Abstellen auf die tatsächliche Unterbringung - den Unterbringungserfolg - würde zu dem absurden Ergebnis führen, dass die Anstellungsverhältnisse derjenigen Beschäftigten, die bei einer anderen Krankenkasse untergebracht wurden, nicht enden würden. Ausgerechnet die Vertragsverhältnisse der am wenigsten schutzwürdigen - weil bereits anderweitig untergebrachten - Beschäftigten würden dann fortbestehen. Um dies zu vermeiden, wäre man gezwungen, den Wortlaut der Vorschrift hinsichtlich der Einschränkung "die nicht nach Absatz 3 untergebracht werden" vollständig zu ignorieren. So kommt das Arbeitsgericht Chemnitz in einem Urteil vom 28.11.2011 - 11 Ca 1506/11 - zu dem Schluss, § 164 Abs.4 SGB V enthalte eine planwidrige unbewusste Regelungslücke, mit dem Ergebnis, dass entgegen des Wortlauts die Arbeitsverhältnisse der nach § 164 Abs.3 SGB V untergebrachten Arbeitnehmer mit der Schließung enden (KrV 2012, 27 [Leitsatz], mit Gründen in juris). Teilweise wird auch mit einem "Erst-Recht-Schluss" argumentiert (Gutzeit NZS 2012, 361, 367; Thomma KrV 2012, 28, 29).
(b) Systematische Erwägungen sprechen ebenfalls gegen eine "Tabula-Rasa-Lösung".
Ausgangspunkt des Gesetzes sind nicht die normalen Arbeitnehmer, sondern die sog. Dienstordnungsangestellten. Zunächst wird für diese in § 164 Abs.3 S.1 und S.2 SGB V eine Unterbringungsverpflichtung normiert, ehe dann in Satz 3 eine modifizierte Regelung für die "übrigen Beschäftigten" erfolgt. Wie die erste Kammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg überzeugend aufgezeigt hat, orientiert sich das Gesetz insoweit weitgehend an den Regelungen des öffentlichen Dienstrechts (LAG Baden-Württemberg v. 21.05.2012 - 1 Sa 2/12 - Rn. 58 ff., zitiert nach juris). So sehen die Vorschriften des Beamtenrechts ebenfalls Regelungen für den Fall vor, dass eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ihre Rechtspersönlichkeit verliert. § 16 Abs.1 BeamtStG bestimmt für den Fall der Umbildung, dass die Beamten der eingegliederten Körperschaft in den Dienst der aufnehmenden Körperschaft übertreten. Das Beamtenverhältnis wird nach § 17 Abs.1 BeamStG mit dem neuen Dienstherrn fortgesetzt. Grundsätzlich ist dem Beamten nach § 18 Abs.1 S.1 BeamtStG ein gleichbewertetes Amt zu übertragen. Wenn eine derartige Verwendung nicht möglich ist, kann ihm auch ein anderes Amt mit geringerem Grundgehalt übertragen werden. Lediglich dann, wenn eine anderweitige Unterbringung nicht möglich ist, weil die Zahl der vorhandenen Beamten den tatsächlichen Bedarf bei der aufnehmenden oder neuen Körperschaft übersteigt, kommt eine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand in Betracht (vgl. § 18 Abs.2 BeamtStG).
Es liegt nahe, dass der Gesetzgeber für die den Beamten rechtlich weitgehend gleichgestellten Dienstordnungsangestellten eine vergleichbare Regelung schaffen wollte. Dementsprechend sind starke Ähnlichkeiten erkennbar. Gemäß § 164 Abs.3 S.1 SGB V sind die Dienstordnungsangestellten verpflichtet, eine dienstordnungsmäßige Stelle bei einer anderen (Innungs-)Krankenkasse anzunehmen. Ähnlich wie in § 18 Abs.1 S.2 BeamtStG vorgesehen, kann auch Dienstordnungsangestellten eine Stelle mit einer niedrigeren Besoldung übertragen werden, wobei allerdings § 164 Abs.3 S.2 SGB V einen Ausgleich der Differenz zur bisherigen Besoldung vorsieht. Die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses - bzw. Versetzung in den einstweiligen Ruhestand - wird als nachrangige Alternative vorgesehen (§ 18 Abs.2 S.1 BeamtStG: "wenn die Zahl der ... vorhandenen Beamtinnen und Beamten den tatsächlichen Bedarf übersteigt"; § 164 Abs.4 S.1 SGB V: "die nicht nach Absatz 3 untergebracht werden").
Dieser Vergleich mit den beamtenrechtlichen Regelungen spricht dafür, dass die ordnungsgemäße Durchführung des Unterbringungsverfahrens nach § 164 Abs.3 SGB V Voraussetzung für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 164 Abs.4 S.1 SGB V ist. Andernfalls wäre nämlich die Beendigung des Anstellungsverhältnisses der Dienstordnungsangestellten anders als die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand bei den Beamten nicht mehr ultima ratio. Krankenkassen könnten sich auf "kaltem Wege" ihrer Dienstordnungsangestellten entledigen, ohne ihrer Unterbringungsverpflichtung nachzukommen. Die weitgehende Gleichstellung von Dienstordnungsangestellten mit Beamten (vgl. hierzu nur BAG v. 24.05.2012 - 6 AZR 679/10 - Rn. 15, juris) wäre in dem wichtigen Bereich der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses obsolet. Der Verweis auf dann entstehende Schadenersatzansprüche (so etwa Bohlen-Schöning KrV 2011, 85, 86) vermag nicht zu überzeugen. Ein Schadenersatz kann bestenfalls finanzielle Folgen ausgleichen, nicht aber den sonstigen Wert eines Arbeitsverhältnisses ersetzen. Dieses erschöpft sich nämlich nicht darin, einem Arbeitnehmer den Lebensunterhalt zu sichern. Die Beschäftigung ist Teil der im Grundgesetz in Art. 1 und 2 geschützten Würde des Menschen und dessen Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Das Leben eines Menschen wird zu einem ganz wesentlichen Teil durch das Arbeitsverhältnis bestimmt und geprägt. Die Arbeit in einem Arbeitsverhältnis stellt für einen Arbeitnehmer eine wesentliche Möglichkeit zur Entfaltung seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten und damit zur Entfaltung seiner Persönlichkeit dar (vgl. hierzu die grundlegenden Ausführungen des Großen Senats des BAG, Beschluss v. 27.02.1985 - GS 1/84 - AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht).
(c) Der Zweck der Norm spricht entscheidend für die hier vertretene Auffassung.
Die Befürworter der Tabula-Rasa-Lösung sehen den Zweck des § 164 Abs.4 S.1 SGB V in einer geordneten und planbaren Abwicklung einer notleidenden gesetzlichen Krankenkasse (vgl. etwa die Ausführungen der siebten Kammer des LAG Baden - Württemberg, Urteil v. 18.05.2012 - 7 Sa 13/12 - Rn. 53, juris; Gutzeit NZS 2012, 361, 366 und NZS 2012, 410, 413). Die Krankenkasse solle auf Grundlage eines Personalbestandes "Null" vornehmlich mit vormaligen Arbeitnehmern über neue - in der Regel befristete - Arbeitsverträge die Abwicklungsarbeit organisieren können (Gutzeit NZS 2012, 361, 366 ; Grau/Sittard KrV 2012, 6, 10). Es solle eine zu hohe Belastung des Gesamtsystems der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Abwicklungskosten vermieden werden (Grau/Sittard KrV 2012, 6, 10). Finanzielle Folgelasten durch Unwägbarkeiten im Personalbestand könnten über den Haftungsverbund zu einer Art "Dominoeffekt" führen und in der Folge auch die Leistungsfähigkeit weiterer Kassen gefährden (Gutzeit NZS 2012, 410, 414).
Für diese behaupteten Zweckrichtungen des § 164 Abs.4 S.1 SGB V lassen sich weder im Gesetz selbst noch in der Entstehungsgeschichte Anhaltspunkte finden. Wäre wirklich der Schutz der Krankenkassen intendiert, dann dürfte es das Unterbringungsverfahren gemäß § 164 Abs.3 SGB V nicht geben, denn hierdurch können in der Tat erhebliche - und zwar dauerhafte - Personalkosten auf die anderen Krankenkassen zukommen. Außerdem ist bei dieser Zweckrichtung wiederum nicht erklärbar, warum § 164 Abs.4 S.1 SGB V überhaupt eine Einschränkung vornimmt ("die nicht nach Absatz 3 untergebracht werden"), statt schlicht und ergreifend alle Arbeitsverhältnisse zum Schließungszeitpunkt zu beenden. Gegen den Zweck "Schutz der Krankenkassen/Verhinderung eines Domino - Effekts" spricht auch, dass zum Zeitpunkt der Entstehung des § 164 SGB V (Gesundheitsreformgesetz vom 20.12.1988) ein möglicher Zusammenbruch des Krankenkassensystems nicht ernsthaft in der Diskussion stand und sich jedenfalls den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen lässt. Hätte eine solche Befürchtung tatsächlich zum damaligen Zeitpunkt bestanden, dann wäre die Regelung sicherlich nicht zunächst auf die Innungskrankenkassen beschränkt, sondern zeitgleich für die Orts- und Betriebskrankenkassen eingeführt worden.
Der wirkliche Sinn und Zweck des Gesetzes ist ein anderer: Er erschließt sich schon aus der oben aufgezeigten Gesetzessystematik. Dem Gesetzgeber ging es zunächst einmal darum, eine Regelung für die Dienstordnungsangestellten zu finden, deren Anstellungsverhältnisse nicht nach den allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen beendet werden können (vgl. hierzu auch die Gesetzesbegründung zu § 171a SGB V, der für Vereinigungen von Betriebs- und Ersatzkassen auf § 164 Abs.2 bis 5 SGB V verweist. Dort heißt es: "Satz 4 [gemeint ist erkennbar Satz 5, Anm. d. Unterzeichner] enthält eine Folgeregelung zur Sicherung der Ansprüche der DO-Angestellten durch die vereinigte Krankenkasse" [BT-Drucksache 16/3100 S. 156]). Um den übrigen Beschäftigten einen besonderen Schutz zukommen zu lassen, wurde auch für diese ein Unterbringungsverfahren geschaffen und allein deshalb auch die Konsequenz der nicht erfolgreichen Unterbringungsbemühungen gemäß § 164 Abs.4 S.1 SGB V eingeführt.
Dass tatsächlich ein Schutz der Arbeitnehmer - und nicht der Krankenkassen - beabsichtigt war, geht aus der Entstehungsgeschichte zweifelsfrei hervor. § 164 Abs. 3 S.1-3 und Abs. 4 SGB V stimmen inhaltlich mit § 173 Abs. 3 und 4 des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP überein (vgl. BT-Drucksache 11/2237, S.54). In der Entwurfsbegründung heißt es hierzu (BT-Drucksache 11/2237, S.212):
"Zu Absatz 3 bis 5
Im Interesse des von der Auflösung oder Schließung einer Innungskrankenkasse betroffenen Personals wird vorgesehen, dass grundsätzlich sowohl den dienstordnungsmäßigen Angestellten als auch den übrigen Bediensteten der Krankenkasse die Weiterbeschäftigung entweder beim zuständigen Landesverband der Innungskrankenkassen oder bei einer anderen Innungskrankenkasse anzubieten ist. Die Übernahme der Beschäftigten soll zu denselben oder mindestens gleichwertigen Bedingungen erfolgen. Nur in den Fällen, in denen eine Weiterbeschäftigung nicht möglich ist, sollen die Vertragsverhältnisse enden."
(Hervorhebungen durch Unterzeichner)
Erstmals im Jahr 2011 finden sich parlamentarische Äußerungen, die den §§ 155 Abs. 4 S.9, 164 Abs.4 S.1 SGB V einen anderen Sinn beimessen. Auf eine Anfrage der Abgeordneten Anette Kramme (SPD) antwortete die Parlamentarische Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz, gesetzlich sei bestimmt, "dass die Vertragsverhältnisse der oben genannten Beschäftigten, die nicht wie beschrieben untergebracht werden, mit dem Tag der Schließung enden." Das gelte "auch dann, wenn keine oder keine zumutbaren Stellen angeboten" würden (Plenarprotokoll 107/17, Sitzung des Deutschen Bundestages vom 11.05.2011, S. 12273). Diese Antwort kann bei der Ermittlung des Gesetzeszwecks aber nicht herangezogen werden. Zum einen erfolgte die Äußerung mehr als zwölf Jahre nach Inkrafttreten des § 164 Abs.4 S.1 SGB V, kann also nicht die Entstehungsgeschichte dokumentieren. Zum anderen handelt es sich um eine Meinungsäußerung der (jetzigen) Bundesregierung, nicht des (damaligen) Gesetzgebers.
(d) Dem dargelegten Verständnis des § 164 Abs.4 S.1 SGB V kann nicht entgegengehalten werden, hierin läge eine gegen das Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs.1 GG) verstoßende Sanktion gegen wechselunwillige Arbeitnehmer (so Gutzeit NZS 2012, 361, 365).
Dem ist zunächst einmal entgegen zu halten, dass der Schutz der freien Wahl des Arbeitsvertragspartners nur sicherstellt, dass den Arbeitnehmern kein Vertragspartner gegen ihren Willen aufgedrängt werden kann. Es stellt aber keine Maßregelung dar, wenn das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Vertragspartner nach Ablehnung des Wechsels zu einem neuen Arbeitgeber beendet wird, sofern der bisherige Arbeitsplatz in Wegfall geraten ist (vgl. für den Fall, dass ein Arbeitnehmer einem Betriebsübergang widerspricht: BAG v. 15.03.2012 - 8 AZR 858/09 - juris; Ascheid/Preis/Schmidt [APS] - Steffan, 4. Auflage 2012, BGB § 613a Rn. 225). Nichts anderes wird durch § 164 Abs.4 S.1 SGB V bezweckt.
Im Übrigen würde sich die Situation nicht anders darstellen, wenn man allein auf den Unterbringungserfolg abstellen würde. Auch dann würden die Arbeitsverhältnisse derjenigen Beschäftigten enden, die eine Unterbringung bei einer anderen Krankenkasse abgelehnt haben. Wenn man den Wortlaut des § 164 Abs.4 S.1 SGB V nicht völlig ignoriert, würden sogar ausschließlich die Beschäftigungsverhältnisse derjenigen Mitarbeiter fortbestehen, die anderweitig untergebracht wurden.
bbb) Die sog. Tabula-Rasa-Lösung wurde nicht durch die Verweisungsnorm des § 103 155 Abs.4 S.9 SGB V für die ordentlich kündbaren Arbeitnehmer der Betriebskrankenkassen eingeführt.
(1) Auch der Wortlaut dieser Norm ist nicht eindeutig.
Zwar wird lediglich bezüglich § 164 Abs.3 S.3 SGB V eine ausdrückliche Einschränkung vorgenommen, so dass von der Verweisung auf § 164 Abs.4 S.1 SGB V grundsätzlich alle Beschäftigten erfasst werden. Der Wortlaut dieser Norm gibt aber keinen Aufschluss darüber, ob es sich um eine Rechtsgrund- oder eine Rechtsfolgenverweisung handeln soll. Nur im letztgenannten Fall käme es auf die der Norm des § 164 Abs.4 S. 1 SGB V immanente Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Durchführung des Unterbringungsverfahrens nicht an.
(2) Die Gesetzessystematik spricht gegen die Ansicht, § 164 Abs.4 S.1 SGB V gelte 106 für die ordentlich kündbaren Beschäftigten. Dem Gesamtzusammenhang lässt sich nämlich entnehmen, dass § 155 Abs.4 S.9 107 SGB V keineswegs nur auf die Rechtsfolgen des § 164 Abs.2 - 4 SGB V verweisen wollte. Der Gesetzgeber wollte nicht unabhängig von den Voraussetzungen des § 164 Abs.2 bis 4 SGB V sämtliche Rechtsfolgen dieser Norm auf alle Beschäftigten der Betriebskrankenkassen zur Anwendung bringen. So gelten § 164 Abs.3 S.1 und S.2 SGB V selbstverständlich nur für die Dienstordnungsangestellten der Betriebskrankenkassen, nicht für die sonstigen Beschäftigten derselben. Dann gibt es aber auch keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass § 164 Abs.4 S.1 SGB V unabhängig von der Voraussetzung eines zuvor ordnungsgemäßen Durchführungsverfahrens zur Anwendung kommen soll, allein diesbezüglich also lediglich ein Verweis auf die Rechtsfolgen des § 164 Abs.4 S.1 SGB V gemeint ist.
(3) Auch die Entstehungsgeschichte und der dabei zum Ausdruck gekommene Sinn 108 und Zweck des § 155 Abs.4 S.9 SGB V sprechen gegen eine Anwendbarkeit des § 164 Abs.4 S.1 auf die ordentlich kündbaren Arbeitnehmer von Betriebskrankenkassen.
So heißt es in der Entwurfsbegründung (BT-Drucksache 16/9559, S. 19) hierzu:
"Durch die entsprechende Anwendung des § 164 Abs.2 bis 4 werden auch im Bereich der Betriebskrankenkassen die Beschäftigungsansprüche der Dienstordnungsangestellten (DO-Angestellte) und der übrigen Beschäftigten in unkündbaren Arbeitsverhältnissen insoweit gesichert, als ihnen bei den anderen Betriebskrankenkassen eine ihrer bisherigen Stellung entsprechende Stelle anzubieten ist. Die Rechtsposition dieser Beschäftigten wird hierdurch entsprechend den vorhandenen Regelungen für Orts - und Innungskrankenkassen gesichert, wie es als Folge von kassenübergreifenden Fusionen bereits in § 171a SGB V geregelt ist."
Der Begründung lässt sich entnehmen, dass eine der Rechtslage bei den Innungs- und Ortskrankenkassen entsprechende Regelung geschaffen werden sollte. Keineswegs sollte eine völlig neue, bisher nicht bekannte Regelung, nämlich die Beendigung von Arbeitsverhältnissen kraft Gesetzes ohne vorgeschaltetes Unterbringungsverfahren, eingeführt werden. Die lediglich intendierte Übernahme bereits in anderen Bereichen bestehender Bestimmungen lässt sich zusätzlich der Bezugnahme auf die kassenübergreifenden Fusionen entnehmen, für die gemäß § 171a Abs.2 S. 5 SGB V auch im Bereich der Betriebskrankenkassen bereits § 164 Abs.3 und 4 SGB V galt. Weiter lässt sich der Begründung entnehmen, dass die entsprechende Anwendung des § 164 Abs.2 bis 4 SGB V dem Schutz der Arbeitnehmer dienen sollte. Für eine dem Schutz der Krankenkassen dienende Tabula-Rasa-Lösung findet sich kein Anhaltspunkt. Weder werden die ordentlich kündbaren Beschäftigten erwähnt noch ist davon die Rede, den Betriebskrankenkassen müsse eine Planungssicherheit gegeben werden oder es solle ein Domino - Effekt im Haftungsverbund verhindert werden.
Eine andere Sichtweise ist auch nicht aufgrund der weiteren Gesetzesentwicklung geboten. Soweit durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz vom 22.12.2011 in § 153 SGB V die Regelung aufgenommen wurde, dass zwischen dem Zeitpunkt und der Zustellung des Schließungsbescheids mindestens acht Wochen liegen müssen, bestätigt dies nicht die Auffassung, alle Arbeitsverhältnisse endeten mit der Schließung. Die 8-Wochen-Frist dient nicht dem Schutz der Arbeitnehmer, sondern allein dem Schutz der Versicherten, wie der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist. Dort heißt es (BT-Drucksache 17/8005, S. 122):
"Zu Nummer 59c - neu - (§ 153 SGB V)
... Mit dieser Regelung soll erreicht werden, dass für die Mitglieder einer geschlossenen Krankenkasse ein ausreichender Zeitraum zur Verfügung steht, um das Wahlrecht zu einer neuen Krankenkasse auszuüben, ..."
Die Gesetzesinitiative einiger Abgeordneter sowie der Fraktion der SPD vom 06.07.2011 (BT-Drucksache 17/6485) ist vom Gesetzgeber nicht aufgegriffen worden, so dass keinerlei Rückschlüsse auf dessen Willen gezogen werden können. Die in der Begründung zu diesem Antrag getätigten Rechtsansichten spiegeln nicht die Ansicht des Gesetzgebers in der 16. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages (Inkrafttreten des § 155 Abs.4 S.9 SGB V), sondern die einer Fraktion im 17. Deutschen Bundestag wider.
(4) Durch eine solche Auslegung der Norm entstehen auch keine Wertungswidersprüche. Der Einwand, die ordentlich kündbaren Arbeitnehmer stünden dann besser als die eigentlich schutzwürdigeren unkündbaren Arbeitnehmer (vgl. etwa Gutzeit NZS 2012, 361, 365; Grau/Sittard, KrV 2012, 6, 10) verfängt nicht.
Bei einem Günstigkeitsvergleich darf nicht ausschließlich auf die negative Beendigungsfolge des § 164 Abs.4 S.1 SGB V abgestellt werden. Zugleich wird den ordentlich unkündbaren Beschäftigten zuvor ein Anspruch auf Unterbringung bei einer anderen Betriebskrankenkasse verschafft. Bei einem Gesamtvergleich der sich daraus ergebenden Rechtsstellung der unkündbaren mit den kündbaren Arbeitnehmern ergibt sich somit, dass die erstgenannte Gruppe aufgrund der Anwendung der Regelungen des § 164 Abs.3 und 4 SGB V deutlich besser geschützt wird als die Gruppe der "normalen" Beschäftigten der Betriebskrankenkassen, deren Arbeitsverhältnisse zwar nicht kraft Gesetzes, aber aufgrund von Kündigungen enden werden, sobald der Beschäftigungsbedarf entfallen ist.
cc) Das Arbeitsverhältnis ist nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 18.11.2011 zum 31.12.2011 beendet worden.
aaa)Die Kündigung gilt nicht gemäß §§ 4, 7 KSchG als wirksam. Mit seiner am 09.12.2011 zugestellten Klageerweiterung hat der Kläger die Kündigung vom 18.11.2011 fristgerecht angegriffen.
bbb) Die außerordentliche Kündigung ist gemäß § 626 BGB unwirksam. Zwar dürfte 122 keine Verfristung gemäß § 626 Abs.2 BGB vorliegen, da es sich bei der Schließung der Krankenkasse um einen sog. Dauertatbestand handelt. Die Voraussetzungen des § 626 Abs.1 BGB sind aber nicht erfüllt.
(1) Gemäß § 626 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Die Prüfung, ob danach im konkreten Fall ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vorliegt, hat nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in zwei Schritten zu erfolgen (vgl. BAG v. 27.04.2006 - 2 AZR 386/05 - NZA 2006, 977; BAG v. 07.07.2005 - 2 AZR 581/04 - NZA 2006, 98; BAG v. 11.12.2003 - 2 AZR 36/03 - AP Nr. 179 zu § 626 BGB; BAG v. 02.03.1989 - 2 AZR 280/88 - EzA § 626 BGB n.F. Nr. 118; BAG v. 17.05.1984 - 2 AZR 3/83 - AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung). Zunächst ist festzustellen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Dabei muss auch festgestellt werden, ob der an sich zur außerordentlichen Kündigung geeignete Sachverhalt im Streitfall zu einer konkreten Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat. In einer zweiten Stufe ist zu untersuchen, ob nach Abwägung der in Betracht kommenden Interessen der Parteien des Arbeitsverhältnisses die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist.
(2) Die Schließung der Betriebskrankenkasse ist schon an sich nicht geeignet, die außerordentliche Kündigung eines ordentlich kündbaren Arbeitnehmers zu rechtfertigen.
Eine außerordentliche und zugleich fristlose Kündigung aus betriebsbedingten Gründen ist regelmäßig unzulässig (vgl. nur BAG v. 18.03.2010 - 2 AZR 337/08 - AP Nr. 228 zu § 626 BGB, Rn. 16). Zu prüfen ist, ob dem Arbeitgeber im Fall ordentlicher Kündbarkeit eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar wäre. Das ist bei einer betriebsbedingten Kündigung regelmäßig nicht der Fall. Dem Arbeitgeber ist, wenn aus betrieblichen Gründen eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer entfällt, selbst im Insolvenzfall zumutbar, die Kündigungsfrist einzuhalten (BAG v. 18.03.2010 a.a.O., Rn. 16; BAG v. 08.04.2003 - 2 AZR 355/02 - AP Nr. 181 zu § 626 BGB, zu II 3b aa der Gründe). Das muss dann erst Recht im Fall der Schließung gelten, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dieser Weg zur Abwicklung einer Betriebskrankenkasse nach der Vorstellung des Gesetzgebers derjenige ist, der sich für die Beschäftigten weniger belastend auswirkt als der Insolvenzfall (vgl. die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung [GKV-OrgWg v. 16.06.2008], BT - Drucksache 16/9559, S. 16, Spalte 2). Etwas anderes gilt nur, wenn eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist, und der Arbeitgeber ohne eine außerordentliche Kündigungsmöglichkeit gezwungen wäre, ein sinnloses Arbeitsverhältnis über viele Jahre hinweg allein durch Gehaltszahlungen, denen keine entsprechende Arbeitsleistung gegenübersteht, aufrechtzuerhalten (ständige Rspr., vgl. nur BAG v. 10.05.2007 - 2 AZR 626/05 - AP Nr. 1 zu § 626 BGB Unkündbarkeit; BAG v. 22.07.1992 - 2 AZR 84/92 - EzA § 626 nF BGB Nr. 141). Dies ist hier nicht der Fall, weil der Kläger nicht unkündbar ist.
(3) Selbst wenn man aber davon ausgehen würde, dass die Schließung einer Betriebskrankenkasse an sich geeignet wäre, die außerordentliche entfristete Kündigung eines ordentlich kündbaren Arbeitnehmers zu rechtfertigen, so wäre die außerordentliche Kündigung vom 18.11.2011 dennoch unwirksam. Betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung können sich aus innerbetrieblichen Umständen (Unternehmerentscheidungen bzw. Rationalisierungsmaßnahmen, Umstellung oder Einschränkung der Produktion) oder aus außerbetrieblichen Gründen (z. B. Auftragsmangel oder Umsatzrückgang) ergeben (vgl. BAG, Urteil vom 13.02.2008 - 2 AZR 79/06 - juris; BAG v. 12.04.2002 - 2 AZR 256/01 - AP Nr. 120 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 17.06.1999 - 2 AZR 141/99 - AP Nr. 101 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Beide Varianten setzen voraus, dass aufgrund der betrieblichen Umstände der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers weggefallen und eine weitere Einsatzmöglichkeit für ihn nicht möglich ist. Die Gesamtumstände müssen den Schluss rechtfertigen, dass eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auch zu gegebenenfalls geänderten Bedingungen nicht mehr möglich ist (vgl. BAG v. 13.02.2008 a.a.O.; BAG v. 12.04.2002 a.a.O.; BAG v. 17.06.1999 a.a.O.). Daran fehlt es hier, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat.
(a)Die Schließung rechtfertigt nicht bereits deshalb die Kündigung, weil die Beklagte nach dem 31.12.2011 nicht mehr existent ist. Ihr Fortbestehen wird vielmehr gemäß § 155 Abs.1 S.2 SGB V zum Zwecke der Abwicklung fingiert. Auf die obigen Ausführungen unter Ziffer II. 1. a) aa) wird insoweit verwiesen. Bestandteil dieses geänderten Geschäftszwecks ist auch die Abwicklung der Arbeitsverhältnisse (vgl. VGH Baden-Württemberg v. 20.12.2011 - PB 15 A 2128/11 - Rn. 7, juris).
(b) Der Beschäftigungsbedarf ist nicht zum 31.12.2011 entfallen, wie daran zu ersehen ist, dass die Beklagte in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Ausspruch der Kündigung jedem Arbeitnehmer ein Angebot auf Abschluss eines befristeten Vertrages für die Zeit vom 01.01. bis zum 30.06.2012 gemacht hat.
b) Das Arbeitsverhältnis ist ebenfalls nicht durch die ordentliche Kündigung vom 18.11.2011 beendet worden. Die Kündigung ist gemäß § 1 Abs.1 KSchG unwirksam, da sie nicht gemäß § 1 Abs.2 KSchG sozial gerechtfertigt ist. Betriebsbedingte Gründe liegen nicht vor.
Es fehlt jeglicher Vortrag der Beklagten dazu, dass zum Beendigungszeitpunkt kein Beschäftigungsbedarf für die Klägerin mehr bestand. Da die Kündigung bei Anwendung der einschlägigen Kündigungsfrist des § 31 Abs.3 TV BKK für Heilberufe frühestens zum 30.06.2012 hätte wirken können, hätte die Beklagte vortragen müssen, woraus sich bei Ausspruch der Kündigung die Prognose ergeben habe, der Beschäftigungsbedarf werde ab diesem Zeitpunkt entfallen. Von einem vollständigen Wegfall jeglichen Beschäftigungsbedarfs bei der Abwicklungskörperschaft ist sie jedoch ersichtlich selbst nicht ausgegangen, wie der Umstand zeigt, dass mit Führungskräften Verträge geschlossen wurden, die über den 30.06.2012 hinausgingen. Da der Betrieb nicht ausschließlich mit Führungskräften hätte weitergeführt werden können, stand damit schon im November 2011 fest, dass ein Bedarf zur Beschäftigung von Arbeitnehmern auch unterhalb der Führungsebene bestehen würde. Dies hat sich durch die tatsächliche Entwicklung bestätigt, da die befristeten Arbeitsverhältnisse einiger Arbeitnehmer bis zum 31.12.2012 verlängert wurden. Ob und in welchem Umfang bei Ausspruch der Kündigung mit einem verringerten Bedarf kalkuliert worden ist, lässt sich dem Vortrag der Beklagten nicht entnehmen. Stattdessen wurden unterschiedslos die Arbeitsverhältnisse aller Arbeitnehmer gekündigt, bei denen keine Zustimmungserfordernisse anderer Behörden etwa aufgrund von Schwerbehinderungen oder Elternzeit bestanden.
B.
I. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO.
II. Die Revision wurde für die Beklagte gemäß § 72 Abs.2 Nr.1 ArbGG zugelassen, weil der Entscheidung Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zugrunde liegen.
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