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LAG Hamm, Ur­teil vom 10.10.2016, 11 Sa 335/13

   
Schlagworte: Urlaub: Krankheit
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Aktenzeichen: 11 Sa 335/13
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 10.10.2016
   
Leitsätze:

Das Berufungsgericht hat einer abgelehnten Bewerberin um eine Stelle als „Buchhalter/-in“ gemäß § 15 Abs. 2 AGG eine Entschädigung von 3.000,00 € zugesprochen:

Auf dem zurückgesandten Lebenslauf der Klägerin hatte der Arbeitgeber neben der Textzeile „Verheiratet, ein Kind“ handschriftlich vermerkt „7 Jahre alt!“ und die sich dann ergebende Wortfolge „ein Kind, 7 Jahre alt!“ durchgängig unterstrichen. In dem darin liegenden Abstellen auf das Problem der Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Berufstätigkeit hat die Kammer eine nicht gerechtfertigte mittelbare Diskriminierung wegen des weiblichen Geschlechts gesehen (§ 3 Abs.2, § 1 AGG).

Die durch den Vermerk des Arbeitgebers gemäß § 22 AGG begründete Vermutung einer (mittelbaren) Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Geschlechts hat der Arbeitgeber nicht widerlegt, insbesondere nicht durch den Hinweis, dass eine junge Frau ohne Kind und mit besserer Qualifikation eingestellt worden sei.

Die Frage, ob die Klägerin ggf. einen höheren Entschädigungsbetrag beanspruchen konnte, stellte sich aus Gründen des § 61 b Abs. 1 ArbGG nicht. Innerhalb der dreimonatigen Klagefrist des § 61 b Abs. 1 ArbGG hatte die Klägerin (lediglich) 3.000,00 € eingeklagt. Die Klageerweiterung auf 6.081,00 € erfolgte erst Monate nach Ablauf der Klagefrist.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat die Kammer die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Siegen, Urteil vom 22.01.2013, 1 Ca 907/12
Nachfolgend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.09.2014, 8 AZR 753/13
   

Te­nor:

Auf die Be­ru­fung der Kläge­rin wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Sie­gen vom 22.01.2013 – 1 Ca 907/12 – teil­wei­se ab­geändert und wie folgt neu ge­fasst:

Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an die Kläge­rin 3.000,00 € nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 21.06.2012 zu zah­len.

Die wei­ter­ge­hen­de Kla­ge wird ab­ge­wie­sen.

Im Übri­gen wird die Be­ru­fung zurück­ge­wie­sen.

Der Kläger und die Be­klag­te tra­gen je­weils die Hälf­te der Kos­ten des Rechts­streits.

Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand

Die Kläge­rin nimmt die Be­klag­te auf ei­ne Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG in An­spruch.

Die Kläge­rin ist 1974 ge­bo­ren. Sie ist ver­hei­ra­tet und hat ein Kind. Sie verfügt über ei­nen Ab­schluss als Ver­wal­tungs- und Büro­kauf­frau. Der Ab­schluss ist von der IHK K1 am 09.06.1998 als Be­rufs­aus­bil­dung zur Büro­kauf­frau an­er­kannt wor­den. We­gen wei­te­rer Ein­zel­hei­ten zur Per­son und zum be­ruf­li­chen Wer­de­gang der Kläge­rin wird auf den in Ko­pie vor­ge­leg­ten Le­bens­lauf Be­zug ge­nom­men (Bl. 91, 92 GA).

Die Be­klag­te be­treibt ei­nen lo­ka­len Ra­dio­sen­der. Per Zei­tungs­an­zei­ge vom 14.04.2012 such­te die Be­klag­te ei­ne(n) „Buch­hal­ter/-in" mit ab­ge­schlos­se­ner kaufmänni­scher Leh­re. Auf die Ko­pie der An­zei­ge wird Be­zug ge­nom­men (Bl. 39 GA). Die Kläge­rin be­warb sich mit An­schrei­ben vom 14.04.2012 (Bl. 7 GA). Bei­gefügt war der be­reits oben ge­nann­te Le­bens­lauf (Bl. 91, 92 GA). Mit Schrei­ben vom 02.05.2012 er­teil­te die Be­klag­te ei­ne Ab­sa­ge und teil­te mit, „dass wir von Ih­rer Be­wer­bung kei­nen Ge­brauch ma­chen können, da wir uns für ei­nen an­de­ren Be­wer­ber ent­schie­den ha­ben" (Bl. 8 GA). Bei­gefügt wa­ren „zu un­se­rer Ent­las­tung" die Be­wer­bungs­un­ter­la­gen. Auf dem zurück­ge­sand­ten Le­bens­lauf fand die Kläge­rin ne­ben der Text­zei­le „Ver­hei­ra­tet, ein Kind" den bei der Be­klag­ten hand­schrift­lich an­ge­brach­ten Ver­merk vor: „7 Jah­re alt!", die so ent­ste­hen­de Wort­fol­ge „ein Kind, 7 Jah­re alt!" ist durchgängig un­ter­stri­chen wor­den (Ko­pie Bl. 38 GA).

Mit Schrei­ben vom 06.06.2012 mach­te die Kläge­rin ge­genüber der Be­klag­ten ei­ne Entschädi­gung we­gen Ver­s­toßes ge­gen das AGG gel­tend. Die Be­klag­te ant­wor­te­te un­ter dem 21.06.2012 ab­leh­nend. Die Nicht­berück­sich­ti­gung der Kläge­rin ha­be nichts mit dem Ge­schlecht, dem Fa­mi­li­en­stand oder der Un­ter­halts­be­rech­ti­gung [sic] zu tun, es sei­en aus­sch­ließlich die Qua­li­fi­ka­tio­nen ge­we­sen, die zur Ein­stel­lung ei­ner Mit­be­wer­be­rin geführt hätten.

Die Kla­ge auf Zah­lung ei­ner Entschädi­gung von 3.000,00 € ist am 23.07.2012 bei dem Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­gen und der Be­klag­ten am 01.08.2012 zu­ge­stellt wor­den. Der An­trag der Kla­ge­schrift lau­tet: „... die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin 3.000,00 € nebst 5 Pro­zent­punk­te Zin­sen über dem Ba­sis­zins seit dem 21.06.2012 zu zah­len". In der Kla­ge­be­gründung führt die Kläge­rin aus, ihr ste­he ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung zu; sie ma­che „ge­genwärtig ei­nen An­spruch von ins­ge­samt 3.000,00 € gel­tend" (Bl. 2 GA).

Die Be­klag­te gibt an, sie ha­be Frau W1 ein­ge­stellt, ei­ne jun­ge Frau, die das Ab­itur ha­be, Aus­bil­dun­gen zur Bank­kauf­frau und zur Steu­er­fach­an­ge­stell­ten ab­sol­viert ha­be, zu­letzt in ei­ner größeren nam­haf­ten Steu­er­be­ra­ter- und Wirt­schafts­prüfungs­ge­sell­schaft als Steu­er­fach­an­ge­stell­te ge­ar­bei­tet ha­be und seit meh­re­ren Mo­na­ten an ei­ner Wei­ter­bil­dungs­maßnah­me zur Bi­lanz­buch­hal­te­rin teil­neh­me.

Im Sep­tem­ber 2012 teil­te die Be­klag­te mit, dass sich das Brut­to­mo­nats­ent­gelt der be­setz­ten Stel­le auf 2.027,00 € beläuft. Mit Schrift­satz vom 04.10.2012 ist die Kla­ge­for­de­rung auf 6.081,00 € er­wei­tert wor­den (=3 x 2027,00 € / Bl. 32 – 37 GA).

Die Kläge­rin hat vor­ge­tra­gen, auf­grund des hand­schrift­lich von der Be­klag­ten auf ih­rem Le­bens­lauf an­ge­brach­ten Ver­merks müsse sie da­von aus­ge­hen, dass sie auf­grund des Um­stan­des, dass sie ein sie­benjähri­ges Kind (zu be­treu­en) ha­be, nicht ein­ge­stellt wor­den sei. Der hand­schrift­li­che Ver­merk be­gründe ein In­diz für ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Ge­schlechts nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG we­gen ih­rer Mut­ter­schaft. Da­bei sei auch zu berück­sich­ti­gen, dass sie im Le­bens­lauf das Al­ter ih­res Kin­des gar nicht an­ge­ge­ben ha­be, son­dern die Be­klag­te dies sich selbst aus den Be­wer­bungs­un­ter­la­gen her­aus er­rech­net ha­be. Ent­ge­gen der An­sicht der Be­klag­ten sei al­lein das Al­ter ei­nes Kin­des kein Be­leg oder Nach­weis dafür, ob ei­ne Voll­zeittätig­keit der Be­wer­be­rin möglich sei und ent­spre­chend aus­rei­chen­de Be­treu­ungsmöglich­kei­ten für das Kind be­ste­hen würden. Die von der Be­klag­ten an­ge­brach­te No­tiz spre­che eher dafür, dass die Be­klag­te das Vor­han­den­sein ei­nes Kin­des mit ei­ner Voll­zeittätig­keit nicht für kom­pa­ti­bel hal­te. Ge­gen die­se In­dizwir­kung spre­che es auch nicht, wenn die Be­klag­te tatsächlich, wie von ihr be­haup­tet, ei­ne jun­ge Frau mit der theo­re­ti­schen Möglich­keit ei­ner Schwan­ger­schaft ein­ge­stellt ha­be. Dies be­sei­ti­ge die In­dizwir­kung des hand­schrift­li­chen Ver­merks für ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung nicht. Auch ver­hei­ra­te­te Mütter hätte nach wie vor schlech­te­re Ein­stel­lungs­chan­cen auf dem Ar­beits­markt, da Ar­beit­ge­ber grundsätz­lich da­von aus­gin­gen, dass über­wie­gend Frau­en El­tern­zeit in An­spruch neh­men oder beim Krank­heits­fall die Be­treu­ung der Kin­der über­neh­men würden und in­so­weit dem Ar­beit­ge­ber nicht mehr voll zur Verfügung stünden. Dies ha­be un­ter an­de­rem auch den Hin­ter­grund, dass Männer nach wie vor re­gelmäßig den höhe­ren Ver­dienst in­ner­halb ei­ner Fa­mi­lie er­zie­len würden. Die Be­klag­te ha­be nicht nach­voll­zieh­bar erklären können, wes­halb sie hand­schrift­lich den Ver­merk an­ge­bracht ha­be, wenn doch die Tat­sa­che ei­nes Kin­des und/oder das Al­ter des Kin­des kei­ne Be­deu­tung für ih­re Ein­stel­lungs­ent­schei­dung ge­habt ha­be. Ihr ste­he da­her ein Entschädi­gungs­an­spruch in Höhe des drei­fa­chen Brut­to­mo­nats­ver­diens­tes der aus­ge­schrie­be­nen Stel­le zu.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin 6.081,00 Eu­ro nebst 5 Pro­zent­punk­ten über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 21.06.2012 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te hat vor­ge­tra­gen, sie ha­be ei­ne Buch­hal­te­rin ge­sucht, die so­wohl in der De­bi­to­ren- und Kre­di­to­ren­buch­hal­tung als auch in der Kos­ten­rech­nung und im Jah­res­ab­schluss zu Hau­se ge­we­sen sei und die be­reits über viel­sei­ti­ge Kennt­nis­se verfügt ha­be. Es sei zwar rich­tig, dass sie im Ab­sa­ge­schrei­ben der Kläge­rin mit­ge­teilt ha­be, dass sie ei­nen Be­wer­ber ein­ge­stellt ha­be. Dies sei feh­ler­haft, aber un­er­heb­lich ge­we­sen. Tatsächlich ha­be sie ei­ne jun­ge ver­hei­ra­te­te Frau be­fris­tet ein­ge­stellt, die ne­ben der Aus­bil­dung zur Büro­kauf­frau über ent­spre­chend um­fang­rei­che Kennt­nis­se zur De­bi­to­ren- und Kre­di­to­ren­buch­hal­tung verfügt ha­be so­wie in der Kos­ten­rech­nung zu Hau­se ge­we­sen sei. Auch die Jah­res­ab­schluss­ar­bei­ten hätten zum Auf­ga­ben­ge­biet der zu be­set­zen­den Stel­le gehört. Die ein­ge­stell­te Be­wer­be­rin ha­be zunächst ihr Ab­itur ab­sol­viert, dann ei­ne Aus­bil­dung zur Bank­kauf­frau und zur Steu­er­fach­an­ge­stell­ten ge­macht und sich schließlich zur Bi­lanz­buch­hal­te­rin wei­ter­ge­bil­det. Sie ha­be als Sach­be­ar­bei­te­rin der Buch­hal­tung ge­ar­bei­tet und mo­nat­li­che in­ter­na­tio­na­le Aus­wer­tun­gen nach HGB und USGA­AB er­stellt und zu­letzt als Steu­er­fach­an­ge­stell­te in ei­ner Steu­er­be­ra­ter- und Wirt­schafts­prüfungs­ge­sell­schaft ge­ar­bei­tet. Die Aus­wah­l­ent­schei­dung ha­be sie al­lein nach den Qua­li­fi­ka­tio­nen der Be­wer­ber ge­trof­fen. Al­lein fach­li­che Ge­sichts­punk­te sei­en maßge­bend für die Ein­stel­lungs­ent­schei­dung ge­we­sen. Fa­mi­li­en­stand und Be­treu­ungs­pflicht ge­genüber Kin­dern hätten dem­ge­genüber kei­ne Be­deu­tung ge­habt. Die Tat­sa­che ei­nes sie­ben Jah­re al­ten Kin­des und der Fa­mi­li­en­stand der Kläge­rin sei­en aus ih­rer, der Be­klag­ten, Sicht kein Pro­blem ge­we­sen, da der Ehe­mann oder aber an­de­re Fa­mi­li­en­an­gehöri­ge sich im Fall ei­ner Er­kran­kung um das Kind kümmern könn­ten. Tatsächlich ha­be sie auch in­so­weit kei­ne Über­le­gung an­ge­stellt. Die No­tiz sei für sie le­dig­lich hilf­reich ge­we­sen, weil man da­durch ge­wusst ha­be, dass das Kind der Kläge­rin schon in der Schu­le sei und da­mit ei­ne Voll­zeit­beschäfti­gung möglich sei. Es sei nicht rich­tig, dass ver­hei­ra­te­te Mütter nach wie vor schlech­te­re Ein­stel­lungs­chan­cen auf dem Ar­beits­markt hätten.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge mit Ur­teil vom 22.01.2013 ab­ge­wie­sen. Die Kläge­rin ha­be kei­nen An­spruch auf Zah­lung ei­ner Entschädi­gung we­gen ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung. Ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des lie­ge nicht vor. Selbst wenn die Be­klag­te die Kläge­rin nicht ein­ge­stellt ha­ben soll­te auf­grund der Tat­sa­che, dass sie Mut­ter ei­nes sie­benjähri­gen Kin­des sei, lie­ge ei­ne
Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Ge­schlechts vor. Die Tat­sa­che der El­tern­schaft be­ste­he un­abhängig vom Ge­schlecht, da so­wohl Be­wer­ber Väter als auch Be­wer­be­rin­nen Mütter sein könn­ten. Ei­ne Dif­fe­ren­zie­rung nach der Tat­sa­che der El­tern­schaft sei kei­ne Dif­fe­ren­zie­rung nach ei­nem in § 1 AGG verpönten Merk­mal. Ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung im Sin­ne von § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG lie­ge nicht vor. Auch ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung sei nicht ge­ge­ben. Bil­de man in­so­weit die Ver­gleichs­grup­pe von Frau­en mit ei­nem sie­benjähri­gen Kind auf der ei­nen Sei­te und Männern mit ei­nem sie­benjähri­gen Kind auf der an­de­ren Sei­te als Be­wer­ber, so könne die Kam­mer un­ter Zu­grun­de­le­gung ei­ner hy­po­the­ti­schen Be­trach­tungs­wei­se nicht da­von aus­ge­hen, dass Frau­en ent­spre­chend häufi­ger nicht ein­ge­stellt würden als Männer. Un­ter Berück­sich­ti­gung der ge­setz­li­chen Re­ge­lun­gen in § 45 SGB V könne auch bei hy­po­the­ti­scher Be­trach­tungs­wei­se nicht da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass Frau­en sich häufi­ger um ein er­krank­tes Kind kümmer­ten als Männer. Im Übri­gen sei zu berück­sich­ti­gen, dass in­so­weit kei­ne fi­nan­zi­el­le Be­las­tung für den Ar­beit­ge­ber be­ste­he. Ei­ne Grup­pen­bil­dung zwi­schen Frau­en mit ei­nem sie­benjähri­gen Kind und Frau­en oh­ne sie­benjähri­ges Kind sei vor­lie­gend nicht möglich, da die El­tern­schaft kein nach § 1 AGG verpöntes Merk­mal sei. Nach al­le­dem ha­be die Kläge­rin In­di­zi­en für ei­ne dis­kri­mi­nie­ren­de Be­nach­tei­li­gung bei der Ein­stel­lungs­ent­schei­dung nicht dar­ge­legt. Ein Entschädi­gungs­an­spruch be­ste­he nicht.

Das Ur­teil ist der Kläge­rin am 25.Fe­bru­ar 2013 zu­ge­stellt wor­den. Die Kläge­rin hat am 13.März 2013 Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se am 16. April 2013 be­gründet.

Die Kläge­rin wen­det ein, das Ar­beits­ge­richt ha­be die Vor­schrif­ten des AGG und da­bei ins­be­son­de­re die des § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG rechts­feh­ler­haft an­ge­wandt und aus­ge­legt. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG lie­ge ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts in Be­zug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AGG auch im Fall ei­ner ungüns­ti­ge­ren Be­hand­lung ei­ner Frau we­gen Schwan­ger­schaft oder Mut­ter­schaft vor. Dies sei hier der Fall. Be­griff­lich sei die Mut­ter­schaft der Sta­tus, in den ei­ne Frau durch Ge­burt, Ad­op­ti­on oder sons­ti­ge An­nah­me ei­nes Kin­des ge­lan­ge (De­fi­ni­ti­on Wi­ki­pe­dia). So­weit das Ar­beits­ge­richt Sie­gen der Auf­fas­sung sei, der Be­griff der Mut­ter­schaft in § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG sei in un­mit­tel­ba­rem Zu­sam­men­hang der Schwan­ger­schaft zu ver­ste­hen, las­se die be­griff­li­che Be­deu­tung ei­ne sol­che Aus­le­gung nicht zu. Grundsätz­lich sei es denk­bar und möglich, dass ei­ne Frau we­gen Mut­ter­schaft nicht nur 6 und 8 Wo­chen nach der Ge­burt ei­ne Be­nach­tei­li­gung er­fah­re. So könne auch die Mut­ter ei­nes er­wach­se­nen, aber schwer kran­ken oder be­hin­der­ten Kin­des auf­grund ih­rer be­son­de­ren fa­mi­liären Ver­pflich­tung ge­genüber die­sem Kind durch­aus auch noch nach Er­rei­chen des Mündig­keits­al­ters des Kin­des ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ih­rer Mut­ter­schaft er­fah­ren. Es be­ste­he auch recht­lich kein Bedürf­nis, den An­wen­dungs­be­reich der Mut­ter­schaft tat­be­stand­lich ein­zu­schränken. Es ver­blei­be bei ih­rer Rechts­auf­fas­sung, dass sie sich auf ei­ne Be­nach­tei­li­gung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG be­ru­fen könne. Der hand­schrift­lich auf­ge­brach­te Ver­merk sei ein In­diz für ei­ne Be­nach­tei­li­gung der Be­wer­be­rin we­gen Mut­ter­schaft. Die Be­treu­ung ei­nes Kin­des im Grund­schul­al­ter be­gründe aus Sicht ei­nes Ar­beit­ge­bers das po­ten­zi­el­le Ri­si­ko, dass hier nach sechs­mo­na­ti­ger Beschäfti­gung durch die Ar­beit­neh­me­rin ein An­spruch auf Teil­zeit nach dem Tz­B­fG gel­tend ge­macht wer­de. Auf­grund vor­ge­ge­be­ner Be­treu­ungs­zei­ten durch ent­spre­chen­de Ein­rich­tun­gen müsse der Ar­beit­ge­ber auch da­mit rech­nen, dass ei­ne Mut­ter bezüglich ih­rer Ar­beits­zei­ten und bei der even­tu­el­len Ab­leis­tung von Über­stun­den we­ni­ger Fle­xi­bi­lität zei­ge als kin­der­lo­se Frau­en. Die Auf­fas­sung des Ar­beits­ge­rich­tes, dass nicht da­von aus­ge­gan­gen wer­den könne, dass Frau­en sich häufi­ger um ein er­krank­tes Kind kümmer­ten als Männer, ge­he an der Ar­beits­rea­lität vor­bei. Ge­gen die­se Wer­tung durch das Ar­beits­ge­richt sprächen die nach­fol­gen­den Zah­len: Über 3/4 al­ler aus­sch­ließlich ge­ringfügig Beschäftig­ten sei­en weib­li­chen Ge­schlechts (Quel­le: Veröffent­li­chung des BMFJ). Mit 30,2 Wo­chen­stun­den ha­be Deutsch­land nach den Nie­der­lan­den die zweitkürzes­te Frau­en­ar­beits­zeit in Eu­ro­pa (Er­geb­nis ei­ner Stu­die des In­sti­tuts Ar­beit und Qua­li­fi­ka­ti­on der Uni­ver­sität Duis­burg – Es­sen). Es wer­de da­von aus­ge­gan­gen, dass die­se Zah­len ge­richts­be­kannt sei­en. Ge­ge­be­nen­falls sei ein Sach­verständi­gen­gut­ach­ten ein­zu­ho­len. Laut ei­ner DAK-Sta­tis­tik be­tra­ge der An­teil der Männer, die kran­ke Kin­der be­treu­ten, im Jahr 2011 nur 10 % (al­ler­dings Ten­denz stei­gend). Die Teil­zeit­quo­te von Frau­en in Deutsch­land lie­ge deut­lich über EU-Durch­schnitt, sta­tis­tisch ar­bei­te fast je­de zwei­te Frau in Teil­zeit. Sta­tis­tisch ar­bei­te­ten 54,7 % der teil­zeit­beschäftig­ten Frau­en in Teil­zeit aus fa­mi­liären Gründen. Bei Un­ter­su­chun­gen zur Per­so­nal­aus­wahl sei fest­ge­stellt wor­den, dass die Be­nach­tei­li­gung von Müttern si­gni­fi­kant sei. Die Kom­pe­tenz von Müttern wer­de nied­ri­ger ein­geschätzt als die kin­der­lo­ser Be­wer­be­rin­nen. We­gen der in­so­weit von der Kläge­rin als An­hang zur Be­ru­fungs­be­gründung vor­ge­leg­ten Un­ter­la­gen wird auf Blatt 93 - 104 GA Be­zug ge­nom­men. Al­lein der Um­stand, dass sich ein Mit­ar­bei­ter der Be­klag­ten der Mühe un­ter­zo­gen ha­be, aus ih­rem Le­bens­lauf das Al­ter ih­res Kin­des her­aus zu rech­nen und die­ses hand­schrift­lich un­ter Beifügung ei­nes Aus­ru­fe­zei­chens und ei­ner Un­ter­strei­chung auf dem Le­bens­lauf zu ver­mer­ken, bestäti­ge, dass so­wohl das Vor­han­den­sein des Kin­des als auch das Al­ter des Kin­des für die Be­klag­te bei der Aus­wahl der Be­wer­ber ein re­le­van­tes Merk­mal ge­we­sen sei. Sie sei nicht zum Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den wor­den, ob­wohl ih­re Qua­li­fi­ka­ti­on den in der Stel­len­aus­schrei­bung an­ge­ge­be­nen An­for­de­run­gen genüge. Der hand­schrift­li­che Ver­merk be­gründe ei­ne Ver­mu­tung gemäß § 22 AGG, dass ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des vor­lie­ge. Die Ver­mu­tungs­wir­kung wer­de nicht da­durch ent­kräftet, dass die Be­klag­te ei­ne „jun­ge Frau" ein­ge­stellt ha­be. Un­strei­tig sei die­se jun­ge Frau kin­der­los. Bestätigt ha­be die Be­klag­te, dass die Ein­stel­lung be­fris­tet er­folgt sei. Da­mit könne die Be­klag­te je­den­falls für zwei Jah­re auf­grund der Be­fris­tung des Ar­beits­verhält­nis­ses das Ri­si­ko ei­ner Schwan­ger­schaft und El­tern­zeit mi­ni­mie­ren. Auf­grund der Kin­der­lo­sig­keit der ein­ge­stell­ten Mit­ar­bei­te­rin dro­he nicht das Ri­si­ko ei­ner Ent­gelt­fort­zah­lung we­gen Er­kran­kung ei­nes zu be­treu­en­den Kin­des. Eben­falls sei die Gel­tend­ma­chung ei­nes Teil­zeit­an­spru­ches un­wahr­schein­lich. Bei ei­ner kin­der­lo­sen Mit­ar­bei­te­rin könne die Be­klag­te auch von ei­ner größeren zeit­li­chen Fle­xi­bi­lität z.B. in Zu­sam­men­hang mit an­fal­len­der Mehr­ar­beit aus­ge­hen. Der Sach­ver­halt las­se aus ob­jek­ti­ver Sicht mit über­wie­gen­der Wahr­schein­lich­keit dar­auf schließen, dass die Be­nach­tei­li­gung we­gen des Merk­mals des Kin­des er­folgt sei. Sie ha­be im Be­wer­bungs­ver­fah­ren ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge­re Be­hand­lung er­fah­ren als die von der Be­klag­ten ein­ge­stell­te Be­wer­be­rin. Nach ständi­ger Recht­spre­chung des BAG genüge als Be­nach­tei­li­gung auch die Ver­sa­gung ei­ner Chan­ce. Nach den Aus­schrei­bungs­kri­te­ri­en sei sie je­den­falls nicht als ob­jek­tiv un­ge­eig­net an­zu­se­hen. Aus den vor­ge­tra­ge­nen sta­tis­tisch be­leg­ba­ren Er­fah­rungssätzen fol­ge im Übri­gen auch, dass ent­ge­gen der Wer­tung durch das Ar­beits­ge­richt auch die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung ge­ge­ben sei­en. Aus den dar­ge­leg­ten und sta­tis­tisch be­leg­ten Zah­len sei der Rück­schluss zulässig, dass bei Müttern, je­den­falls von Kin­dern im Grund­schul­al­ter, nicht nur die Ge­fahr ei­ner merk­mals­be­ding­ten Be­nach­tei­li­gung be­ste­he, son­dern von ei­ner ver­gleichs­wei­se ungüns­ti­ge­ren Be­hand­lung we­gen die­ses Merk­mals aus­zu­ge­hen sei. Dies bestäti­ge auch der Um­stand, dass Ex­per­ten ge­ra­de Frau­en im­mer wie­der emp­feh­len würden, Kin­der im Le­bens­lauf zu ver­schwei­gen (ent­spre­chen­de Un­ter­la­gen: An­la­gen 4 und 5, Bl. 99 – 104 GA). Im­mer wie­der wer­de in der öffent­li­chen Dis­kus­si­on zum Ge­bur­tenrück­gang in Deutsch­land die man­geln­de Ver­ein­bar­keit von Fa­mi­lie und Be­ruf als sta­tis­tisch nach­ge­wie­se­ner
Haupt­ur­sa­che ge­nannt. Bei der tatsächlich ein­ge­stell­ten Be­wer­be­rin lie­ge un­strei­tig ei­ne Mut­ter­schaft nicht vor. Es lie­ge al­so auch ei­ne Be­nach­tei­li­gung im Sin­ne des Ge­set­zes vor und zwar im Sin­ne ei­ner un­mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

un­ter Abände­rung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Sie­gen vom 22.01.2013 die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin 6.081,00 € nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz hier­aus seit dem 21.06.2012 zu zah­len.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te ver­tei­digt das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts. Ein An­spruch auf Zah­lung ei­ner Entschädi­gung gemäß § 15 AGG be­ste­he nicht. Bei der Aus­wahl des ge­eig­ne­ten Be­wer­bers / der ge­eig­ne­ten Be­wer­be­rin ha­be sie nicht ge­gen die Be­stim­mun­gen der §§ 1 ff. AGG ver­s­toßen. Sie un­ter­hal­te ei­nen klei­nen Be­trieb. Des­halb ha­be sie un­ter den Be­wer­bern die­je­ni­gen her­aus­ge­sucht, die die um­fas­sends­ten Kennt­nis­se vor­zu­wei­sen hätten, da­mit sie möglichst uni­ver­sell ein­ge­setzt wer­den könn­ten. Bei der Kläge­rin sei et­wa zu berück­sich­ti­gen, dass sie für knapp zwei Jah­re nicht in ih­rem ge­lern­ten Be­ruf son­dern statt­des­sen als Verkäufe­r­in ge­ar­bei­tet ha­be und da­nach vier Jah­re lang über­haupt nicht in ei­nem Beschäfti­gungs­verhält­nis ge­stan­den ha­be. Dem­ge­genüber ha­be die Zeu­gin W1 ei­ne ab­ge­schlos­se­ne Aus­bil­dung als Bank­kauf­frau und als Steu­er­fach­an­ge­stell­te und sei von Au­gust 2003 bis Au­gust 2004 als Be­zirks­lei­te­rin der Lan­des­bau­spar­kas­se in K2 und da­nach als kaufmänni­sche An­ge­stell­te bei ver­schie­de­nen Un­ter­neh­men tätig ge­we­sen. Zum Zeit­punkt der Be­wer­bung ha­be Frau W1 in ei­ner nam­haf­ten Steu­er­be­ra­ter- und Wirt­schafts­prüfungs­ge­sell­schaft ge­ar­bei­tet. Darüber hin­aus ha­be sie sich be­reits seit meh­re­ren Mo­na­ten in ei­ner Wei­ter­bil­dungs­maßnah­me zur Bi­lanz­buch­hal­te­rin be­fun­den (Be­weis: Zeug­nis W1, Zeug­nis F1). Aus­schlag­ge­bend für die Ein­stel­lung der Zeu­gin W1 sei ge­we­sen, dass die Kläge­rin „nur" ei­ne Aus­bil­dung als Büro­kauf­frau ab­ge­schlos­sen ha­be und mit dem Schwer­punkt Kre­di­to­ren­buch­hal­tung ge­ar­bei­tet ha­be, wo­hin­ge­gen sich aus den Be­wer­bungs­un­ter­la­gen der Zeu­gin W1 er­ge­be, dass sie so­wohl Er­fah­rung in der De­bi­to­ren- als auch in der Kre­di­to­ren­buch­hal­tung als auch in der Kos­ten­rech­nung, Lohn­buch­hal­tung und bei der An­fer­ti­gung von Jah­res­ab­schlüssen ha­be. Die Zeu­gin W1 sei in je­der Hin­sicht fach­lich bes­ser qua­li­fi­ziert als die Kläge­rin. Der hand­schrift­li­che Zu­satz „sie­ben Jah­re alt", den ei­ner ih­rer Mit­ar­bei­ter für den Geschäftsführer ge­schrie­ben ha­be, sei nichts wei­ter als die lo­gi­sche Ergänzung der ei­ge­nen An­ga­ben der Kläge­rin, dass sie ein Kind ha­be, dass sie zwi­schen Ju­ni 2005 und Mai 2009 nicht ge­ar­bei­tet ha­be und dass sie ih­re vor­letz­te Ar­beits­stel­le we­gen Mut­ter­schaft auf­ge­ge­ben ha­be. Die Tat­sa­che, dass das Kind zum Zeit­punkt der Be­wer­bung sie­ben Jah­re alt ge­we­sen sei, ha­be in­des kei­ne Aus­wir­kung auf die Aus­wah­l­ent­schei­dung ge­habt. Dies gel­te um­so mehr, als sie, die Be­klag­te, statt der Kläge­rin ei­ne – eben­falls – ver­hei­ra­te­te jun­ge Frau ein­ge­stellt ha­be, bei der sie ge­wis­ser­maßen je­der­zeit da­mit rech­nen müsse, dass die­se schwan­ger wer­de. Sie wer­de dann or­ga­ni­sa­to­ri­schen Auf­wand be­trei­ben müssen, um die Zeu­gin W1 je­den­falls über­g­angs­wei­se zu er­set­zen. Dies wer­de deut­lich schwie­ri­ger sein als sich ins­ge­samt dar­auf ein­zu­stel­len, dass ei­ne Mit­ar­bei­te­rin ein be­reits sie­benjähri­ges Kind ha­be, das in die Grund­schu­le ge­he und für das al­lein we­gen sei­nes Al­ters be­reits zahl­rei­che Be­treu­ungsmöglich­kei­ten bestünden. Der hand­schrift­li­che Zu­satz „sie­ben Jah­re alt" stel­le mit­hin kein In­diz für ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar. Dies gel­te un­abhängig da­von, dass tat­be­stand­lich we­der ei­ne un­mit­tel­ba­re noch ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung nach dem AGG vor­lie­ge. Das Ar­beits­ge­richt ha­be rich­tig er­kannt, dass ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des nicht vor­lie­ge. Die Tat­sa­che der El­tern­schaft be­ste­he un­abhängig vom Ge­schlecht. Ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung im Sin­ne von § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG lie­ge nicht vor. Denn ver­bo­ten sei im Rah­men die­ses Tat­be­stan­des le­dig­lich ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen Schwan­ger­schaft und Mut­ter­schaft. Der Be­griff der Mut­ter­schaft müsse hier im Zu­sam­men­hang mit dem Be­griff der Schwan­ger­schaft aus­ge­legt wer­den. Auch ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung lie­ge nicht vor. Ei­ne sol­che schei­de be­reits be­griffs­not­wen­dig aus. Denn er­for­der­lich wäre ei­ne be­nach­tei­li­gen­de Maßnah­me hin­sicht­lich ver­schie­de­ner Per­so­nen­grup­pen, die sich im Hin­blick auf die Merk­ma­le des § 1 AGG un­ter­schie­den. Dass ei­ne Per­son ein Kind oder Kin­der ha­be, sei aber gar kein geschütz­tes Merk­mal nach § 1 AGG. Die Kläge­rin ma­che nicht deut­lich, wel­che all­ge­mei­ne Re­gel auf­ge­stellt wor­den sein sol­le, die sich mit­tel­bar be­nach­tei­li­gend für die Kläge­rin aus­ge­wirkt ha­be. Die Bil­dung der Ver­gleichs­grup­pe „Frau­en mit sie­benjähri­gem Kind" und „Männer mit sie­benjähri­gem Kind" führe nicht da­zu, dass da­von aus­zu­ge­hen sei, dass Frau­en ent­spre­chend häufi­ger nicht ein­ge­stellt würden als Männer. Ein An­spruch auf Ver­rin­ge­rung der Ar­beits­zeit gemäß § 8 Tz­B­fG könne von je­dem Ar­beit­neh­mer ge­stellt wer­den, des­sen Ar­beits­verhält­nis länger als 6 Mo­na­te be­stan­den ha­be. Selbst wenn die von der Kläge­rin vor­ge­leg­ten Sta­tis­ti­ken zu­träfen, in­di­zier­ten die­se Zah­len kei­ne Be­nach­tei­li­gung der Kläge­rin auf­grund von Tat­be­stands­merk­ma­len aus dem AGG. Ins­ge­samt ha­be sie 38 Be­wer­bun­gen für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le er­hal­ten und zwar 24 von Be­wer­be­rin­nen und 14 von männ­li­chen Be­wer­bern. Ob­wohl sie, die Be­klag­te, sich un­pro­ble­ma­tisch für ei­nen männ­li­chen Be­wer­ber hätte ent­schei­den können, ha­be sie sich für die Be­wer­be­rin mit der aus ih­rer Sicht höchs­ten Qua­li­fi­ka­ti­on ent­schie­den, ob­wohl es sich hier­bei um ei­ne ver­hei­ra­te­te jun­ge Frau ge­han­delt ha­be, die – wie be­reits vor­ge­tra­gen – je­der­zeit schwan­ger wer­den könne.

Die Kam­mer hat die Da­ten und die Aus­wer­tung des Mi­kro­zen­sus 2010 durch das Sta­tis­ti­sche Bun­des­amt zur Fra­ge von Ver­ein­bar­keit von Fa­mi­lie und Be­ruf zum Ge­gen­stand der münd­li­chen Ver­hand­lung ge­macht und den Par­tei­en des Rechts­streits zur Ein­sicht­nah­me vor­ge­legt (Kel­ler, Hau­stein, Ver­ein­bar­keit von Fa­mi­lie und Be­ruf – Er­geb­nis­se des Mi­kro­zen­sus 2010, Sta­tis­ti­sches Bun­des­amt, Wirt­schaft und Sta­tis­tik, Ja­nu­ar 2012, S. 30 – 50; de­sta­tis/ .../Wirt­schaf­tS­ta­tis­tik/ ...Ver­ein­bar­keitFa­mi­lie­Be­ruf...) (Bl. 138 ff GA).

Ent­schei­dungs­gründe

Die Be­ru­fung der Kläge­rin ist statt­haft und zulässig gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 25 b ArbGG. Die Kläge­rin hat ih­re Be­ru­fung form- und frist­ge­recht ent­spre­chend den An­for­de­run­gen der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO ein­ge­legt und be­gründet. Die Be­ru­fung der Kläge­rin hat hin­sicht­lich ei­nes Teil­be­tra­ges von 3.000,00 € Er­folg. In­so­weit war das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts un­ter Zurück­wei­sung der
wei­ter­ge­hen­den Be­ru­fung der Kläge­rin teil­wei­se ab­zuändern. Der An­spruch der Kläge­rin folgt aus § 15 Abs. 2 AGG.

1. Der persönli­che An­wen­dungs­be­reich des AGG ist eröff­net. Die Kläge­rin ist als Be­wer­be­rin „Beschäftig­te" i. S. d. AGG. Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG gel­ten als Beschäftig­te auch Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber für ein Beschäfti­gungs­verhält­nis. Die Be­klag­te ist als „Ar­beit­ge­be­rin" pas­siv le­gi­ti­miert. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG ist Ar­beit­ge­ber i. S. d. Ge­set­zes, wer „Per­so­nen nach Ab­satz 1" des § 6 AGG „beschäftigt". Ar­beit­ge­ber ist al­so der­je­ni­ge, der um Be­wer­bun­gen für ein von ihm an­ge­streb­tes Beschäfti­gungs­verhält­nis bit­tet. Dies trifft auf die Be­klag­te auf­grund der Stel­len­aus­schrei­bung zu.

2. Die Kläge­rin hat den ihr zu­er­kann­ten An­spruch von 3.000,00 € in­ner­halb der ge­setz­li­chen Fris­ten gemäß §§ 15 Abs. 4 AGG, 61 b Abs. 1 ArbGG gel­tend ge­macht, Hin­sicht­lich des über 3.000,00 € hin­aus­ge­hen­den Teils der Kla­ge­for­de­rung ist die Frist des § 61 b Abs. 1 ArbGG da­ge­gen nicht ein­ge­hal­ten wor­den.

Die Ab­leh­nung der Be­wer­bung wur­de der Kläge­rin mit­tels Schrei­bens der Be­klag­ten vom 02.05.2012 mit­ge­teilt. Mit Brief vom 06.06.2012 hat die Kläge­rin Ansprüche nach dem AGG gel­tend. Da­mit hat sie die Zwei-Mo­nats-Frist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG ge­wahrt. Die Be­klag­te wies die Ansprüche mit Schrei­ben vom 21.06.2012 zurück. Mit der dann am 20.07.2012 bei dem Ar­beits­ge­richt Sie­gen ein­ge­gan­ge­nen und am 01.08.2012 zu­ge­stell­ten Kla­ge hat die Kläge­rin die Drei­mo­nats­frist des § 61b Abs. 1 ArbGG für den dort ein­ge­klag­ten Be­trag von 3.000,00 € ge­wahrt.

Die Kla­ge­er­wei­te­rung auf den Be­trag von 6.081,00 € er­folg­te da­ge­gen erst mit Schrift­satz 29 vom 04.10.2012. Die­ses Da­tum liegt außer­halb der Drei­mo­nats­frist des § 61 b Abs. 1 ArbGG. Dies hat zur Fol­ge, dass die Kläge­rin we­gen Versäum­ens der Kla­ge­frist ei­ne über 3.000,00 € hin­aus­ge­hen­de Entschädi­gung nicht be­an­spru­chen kann.

3. Der für ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG er­for­der­li­che 30 Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 AGG ist zu be­ja­hen. Die hier ge­ge­be­nen Tat­sa­chen las­sen ei­nen Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 AGG ver­mu­ten. Die Be­klag­te hat die Ver­mu­tung nicht aus­zuräum­en ver­mocht.

a) Die Kläge­rin ist i.S.d. § 3 AGG be­nach­tei­ligt wor­den. Ein Nach­teil liegt bei ei­ner Aus­wah­l­ent­schei­dung zur Stel­len­be­set­zung vor, wenn ei­ne Be­wer­bung ab­ge­lehnt wird, oh­ne zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den wor­den zu sein. Ei­ne Be­nach­tei­li­gung kann in der Ver­sa­gung ei­ner Chan­ce lie­gen. Durch die Nicht­ein­la­dung wur­de der Kläge­rin die Chan­ce auf Ein­stel­lung ver­sagt (vgl. BAG 19.08.2010 AP AGG § 15 Nr. 5 Rn. 51; BAG 23.08.2012 – 8 AZR 285/11 – AP AGG § 3 Nr. 9).

b) Nach dem un­ter­brei­te­ten Sach­ver­halt ist ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts zu ver­mu­ten. Die Be­klag­te hat in den Be­wer­bungs­un­ter­la­gen hin­ter der An­ga­be der Kläge­rin „ver­hei­ra­tet, ein Kind" hand­schrift­lich an­gefügt „7 Jah­re alt!" und die sich dann er­ge­ben­de Wort­fol­ge „ein Kind, 7 Jah­re alt!" durch­ge­hend un­ter­stri­chen. Dar­in liegt ein In­diz gemäß § 22 AGG, dass die­ser Ge­sichts­punkt für die Nicht­berück­sich­ti­gung der Kläge­rin be­deut­sam war. Die­ses In­diz lässt ei­ne Be­nach­tei­li­gung der Kläge­rin we­gen ih­res Ge­schlechts ver­mu­ten. Das Ge­schlecht gehört zu den nach § 1 AGG verpönten Merk­ma­len.

aa) Al­ler­dings stellt ein Ab­stel­len auf das Kri­te­ri­um „ein Kind, 7 Jah­re alt" ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Kläge­rin kei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts dar. Ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt, als ei­ne an­de­re Per­son er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde. In Satz 2 wird ergänzend klar­ge­stellt, dass bei der Stel­len­be­set­zung ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts auch im Fal­le ei­ner ungüns­ti­ge­ren Be­hand­lung ei­ner Frau we­gen Schwan­ger­schaft oder Mut­ter­schaft vor­liegt. Da­mit sind in­des nur Tat­sa­chen ge­meint, die Männer und Frau­en nicht in glei­cher Wei­se be­tref­fen können. Das Merk­mal der Mut­ter­schaft um­fasst nur Umstände, die un­mit­tel­bar mit der Schwan­ger­schaft und der Ge­burt zu­sam­menhängen und un­trenn­bar mit dem Ge­schlecht der Frau ver­bun­den sind. Dar­un­ter fällt bei­spiels­wei­se die In­an­spruch­nah­me von Mut­ter­schutz­zei­ten un­mit­tel­bar vor und nach der Ge­burt. Nicht er­fasst sind hin­ge­gen Umstände, die so­wohl die Frau wie auch den Mann auf­grund ih­rer El­tern­schaft be­tref­fen können. Aus die­sem Grund stellt bei­spiels­wei­se ein be­nach­tei­li­gen­des Ab­stel­len auf die In­an­spruch­nah­me von El­tern­zeit kei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen Mut­ter­schaft und da­mit kei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts dar (BAG 27.01.2011 AP TVöD § 17 Nr. 1 = NZA 2011, 1361). Glei­ches gilt hier für das Merk­mal „ein Kind, 7 Jah­re alt", auch die­ses kann den Mann auf­grund sei­ner El­tern­schaft be­tref­fen.

bb) Ein Ab­stel­len auf das Merk­mal „ein Kind, 7 Jah­re alt" erfüllt je­doch ent­ge­gen der Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts den Tat­be­stand ei­ner mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts i.S.d. § 3 Abs. 2 AGG.

Ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung liegt vor, wenn dem An­schein nach neu­tra­le Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren Per­so­nen we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ge­genüber an­de­ren Per­so­nen in be­son­de­rer Wei­se be­nach­tei­li­gen können, es sei denn die be­tref­fen­den Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sach­lich ge­recht­fer­tigt und die Mit­tel sind zur Er­rei­chung des Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich. Da­mit sind Kon­stel­la­tio­nen er­fasst, in de­nen durch die an­ge­wand­ten Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren Träger ei­nes der Merk­ma­le des § 1 AGG zah­lenmäßig we­sent­lich stärker be­nach­tei­ligt wer­den als Per­so­nen, bei de­nen die­ses Merk­mal nicht vor­liegt. Es geht um Si­tua­tio­nen, in de­nen die nach­tei­li­ge Aus­wir­kung ty­pi­scher­wei­se über­wie­gend grup­pen­an­gehöri­ge Per­so­nen trifft: Dies kann die Ver­mu­tung be­gründen, dass ge­ra­de die Grup­pen­zu­gehörig­keit maßgeb­li­che Ur­sa­che der Be­nach­tei­li­gung ist (ErfK-Schlach­ter, 13. Aufl. 2013, § 3 AGG Rn. 7 un­ter Hin­weis u.a. auf EuGH 27.10.1993 „End­er­by" AP EWG-Ver­trag Art. 119 Nr. 50 = NZA 1994, 797 u. BAG 18.05.2006 AP TV So­zSich § 8 Nr. 1 = NZA 2007, 103). Bei der Prüfung, ob ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung ge­ge­ben ist, ist der Ge­samt­heit der Per­so­nen, die von der Re­ge­lung er­fasst wer­den, die Ge­samt­heit der Per­so­nen ge­genüber zu stel­len, die durch die Re­ge­lung be­nach­tei­ligt wer­den. Im Ver­gleich die­ser Grup­pen ist zu über­prüfen, ob die Träger ei­nes Merk­mals des § 1 AGG be­son­ders be­nach­tei­ligt sind (BAG 27.01.2011 AP TVöD § 17 Nr. 1 Rn. 28= NZA 2011, 1361). Ei­ne ver­bo­te­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen des weib­li­chen Ge­schlechts setzt des­halb vor­aus, dass sich in der durch die Maßnah­me oder Re­ge­lung be­nach­tei­lig­ten Grup­pe im Ver­gleich zur begüns­tig­ten Grup­pe we­sent­lich mehr Frau­en be­fin­den als Männer (BAG 19.01.2011 AP AGG § 3 Nr. 7 Rn. 33).

Die Möglich­keit ei­ner mit­tel­ba­ren Dis­kri­mi­nie­rung ist et­wa an­ge­nom­men wor­den, wenn bei ei­ner Stel­len­aus­schrei­bung feh­ler­freie Deutsch­kennt­nis­se ge­for­dert wer­den; dies hat ty­pi­scher­wei­se be­son­ders nach­tei­li­ge Aus­wir­kun­gen auf Be­wer­ber an­de­rer eth­ni­scher Grup­pen (LAG Hamm 17.07.2008 – 16 Sa 544/08 - NZA-RR 2009,13). Ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts ist be­jaht wor­den, wenn Teil­zeit­beschäftig­te für Über­stun­den in der Zeit­span­ne zwi­schen dem re­gulären En­de ih­rer Ar­beits­zeit und der­je­ni­gen von Voll­zeit­beschäftig­ten ge­rin­ger vergütet wer­den als die von Letz­te­ren er­brach­ten re­gulären Ar­beits­stun­den, wenn die Un­gleich­be­hand­lung we­sent­lich mehr Frau­en als Männer be­trifft (EuGH 06.12.2007 –C-300/06 – AP EG Art. 141 Nr. 17 = NZA 2008, 31).

In der Li­te­ra­tur wird ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts bei­spiels­wei­se an­ge­nom­men, wenn bei ei­ner Ein­stel­lung die An­for­de­rung be­son­de­rer zeit­li­cher Fle­xi­bi­lität ge­stellt wird. Ei­ne sol­che be­ruf­li­che An­for­de­rung ist ge­eig­net, Frau­en be­son­ders stark zu be­ein­träch­ti­gen, weil die­se auch heu­te noch über­wie­gend für Fa­mi­lie und Haus­halt zuständig sind (Bau­er-Göpfert-Krie­ger, AGG, 3. Aufl. 2011, § 3 AGG Rn. 38 a.E.). Feld­hoff nimmt ein Pro­blem mit­tel­ba­rer Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Ge­schlechts an, wenn es um Fra­gen der Ver­ein­bar­keit von Be­ruf und fa­mi­liären Pflich­ten geht, weil die­se noch im­mer über­wie­gend Frau­en ge­sell­schaft­lich zu­ge­wie­sen sind und von ih­nen erfüllt wer­den (ju­risPK-Fa­mi­lie und Be­ruf-Feld­hoff, 2009, Ka­pi­tel 8.1 Vor­be­mer­kun­gen Rn.1, 2 = S. 421).

Ent­spre­chen­des gilt hier für das Merk­mal „ein Kind, 7 Jah­re alt". Mit die­sem Merk­mal ist die Fra­ge der Ver­ein­bar­keit von be­ruf­li­cher Tätig­keit und Be­treu­ung ei­nes min­derjähri­gen Kin­des im Grund­schul­al­ter in den Blick ge­nom­men. Die The­ma­tik „Ver­ein­bar­keit von Fa­mi­lie [mit min­derjähri­gen Kin­dern] und Be­ruf" be­trifft in der ge­sell­schaft­li­chen Rea­lität der Bun­des­re­pu­blik ganz vor­ran­gig die Frau­en. So stim­men die oben ge­nann­ten Stim­men in der Li­te­ra­tur dar­in übe­rein, dass die Kin­der­be­treu­ung nach wie vor über­wie­gend als Auf­ga­be der Frau ge­se­hen wird und vor­ran­gig von Frau­en wahr­ge­nom­men wird (Bau­er-Göpfert-Krie­ger, aaO; ju­risPK-Fa­mi­lie und Be­ruf-Feld­hoff aaO). Bestätigt fin­det sich die­ser Be­fund in den Da­ten und der Aus­wer­tung des Mi­kro­zen­sus 2010 durch das Sta­tis­ti­sche Bun­des­amt (Kel­ler, Hau­stein, Ver­ein­bar­keit von Fa­mi­lie und Be­ruf – Er­geb­nis­se des Mi­kro­zen­sus 2010, Sta­tis­ti­sches Bun­des­amt, Wirt­schaft und Sta­tis­tik, Ja­nu­ar 2012, S. 30 – 50; de­sta­tis/ .../Wirt­schaf­tS­ta­tis­tik/ ...Ver­ein­bar­keitFa­mi­lie­Be­ruf...). Dem­zu­fol­ge be­ein­flus­sen Fa­mi­li­en­gründung und Kin­der ins­be­son­de­re bei den Frau­en das Er­werbs­ver­hal­ten. Während bei den Müttern die höchs­te Er­werbstätig­keits­quo­te von et­wa 70 % erst im Al­ter von 40 bis 50 Jah­ren er­reicht wird, sind Väter durchgängig häufi­ger er­werbstätig als Männer oh­ne Kind. Ak­tiv er­werbstätig sind 60 % der Mütter und 84 % der Väter. Von den er­werbstäti­gen Müttern ar­bei­ten wie­der­um 70 % (nur) in Teil­zeit, während es bei den Vätern nur knapp 6 % sind. Mit zu­neh­men­dem Al­ter des Kin­des steigt die Er­werbstäti­gen­quo­te der Mütter deut­lich an, während bei den Vätern die Be­tei­li­gung am Er­werbs­le­ben weit­ge­hend un­abhängig vom Her­an­wach­sen der Kin­der ist. Wenn bei­de Part­ner er­werbstätig sind, ist ei­ne Voll­zeit­beschäfti­gung des Va­ters in Kom­bi­na­ti­on mit ei­ner Teil­zeittätig­keit der Mut­ter das mit Ab­stand häufigs­te Ar­beits­zeit­mo­dell. Die Ver­ein­bar­keit von Fa­mi­lie und Be­ruf stellt vor al­lem für Frau­en ei­ne be­son­de­re Her­aus­for­de­rung dar (Kel­ler, Hau­stein, aaO S. 31, 33, 34, 43; vgl. auch: Schleu­se­ner-Suckow-Voigt, AGG, 3. Aufl. 2011, § 22 AGG Rn. 32 [Voigt]).

Ei­ne Dif­fe­ren­zie­rung nach dem Kri­te­ri­um „ein Kind, 7 Jah­re alt" ist im hier zu ent­schei­den­den Fall nicht sach­lich ge­recht­fer­tigt durch ein rechtmäßiges Ziel, das die Mit­tel zur Er­rei­chung des Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich er­schei­nen lässt (§ 3 Abs. 2 letz­ter Halb­satz AGG). Bau­er-Göpfert-Krie­ger be­ja­hen ei­ne Recht­fer­ti­gung des Ein­stel­lungs­kri­te­ri­ums „zeit­li­che Fle­xi­bi­lität" bei­spiel­haft für den An­walts­be­ruf, für den zeit­li­che Fle­xi­bi­lität not­wen­di­ge Vor­aus­set­zung sei (Bau­er-Göpfert-Krie­ger, AGG, 3. Aufl. 2011, § 3 AGG Rn. 38 a.E.). Ver­gleich­ba­re recht­fer­ti­gen­de Umstände i.S.d. § 3 Abs. 2 letz­ter Halb­satz AGG sind bei dem hier zu be­ur­tei­len­den Sach­ver­halt nicht fest­stell­bar.

c) Mit der hand­schrift­li­chen Ergänzung und der Un­ter­strei­chung der Wort­fol­ge „ein Kind, 7 Jah­re alt!" in den Be­wer­bungs­un­ter­la­gen der Kläge­rin ist ei­ne Hilfs­tat­sa­che ge­ge­ben, die ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts ver­mu­ten lässt.

Nach § 22 AGG ist von ei­ner Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des aus­zu­ge­hen, wenn ei­ne Par­tei In­di­zi­en be­weist, die ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen des in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ver­mu­ten las­sen. Dann trägt die an­de­re Par­tei die Be­weis­last dafür, dass kein Ver­s­toß ge­gen die Be­stim­mun­gen zum Schutz vor Be­nach­tei­li­gung vor­ge­le­gen hat. Ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung we­gen des frag­li­chen Merk­mals ist be­reits dann ge­ge­ben, wenn die Be­nach­tei­li­gung an das Merk­mal an­knüpft oder da­durch mo­ti­viert ist. Aus­rei­chend ist, dass das Merk­mal Be­stand­teil ei­nes Mo­tivbündels war, das die Ent­schei­dung be­ein­flusst hat (BAG 23.08.2012 AP AGG § 3 Nr. 9 – 8 AZR 285/11 – Rn. 30 mwN). Auf ein schuld­haf­tes Han­deln oder gar ei­ne Be­nach­tei­li­gungs­ab­sicht kommt es nicht an (BAG 23.08.2012 AP AGG § 3 Nr. 9 – 8 AZR 285/11 – Rn. 30). Die Hilfs­tat­sa­che muss nicht zwin­gend den Schluss auf die Kau­sa­lität zu­las­sen. Es reicht aus, wenn nach all­ge­mei­ner Le­bens­er­fah­rung für ei­ne Ver­knüpfung der Be­nach­tei­li­gung mit dem frag­li­chen Merk­mal des § 1 AGG ei­ne über­wie­gen­de Wahr­schein­lich­keit be­steht (BAG 23.08. 2012 AP AGG § 3 Nr. 9 – 8 AZR 285/11 – Rn. 32; BAG 22.07.2010 AP AGG § 22 Nr. 2 – 8 AZR 1012/08).

Die hand­schrift­li­chen Ergänzung und Un­ter­strei­chung der Wort­fol­ge „ein Kind, 7 Jah­re alt!" spricht nach der all­ge­mei­nen Le­bens­er­fah­rung dafür, dass die da­mit ge­kenn­zeich­ne­te Pro­ble­ma­tik der Ver­ein­bar­keit von Kin­der­be­treu­ung und Be­rufstätig­keit Teil ei­nes Mo­tivbündels war, das zur Ab­leh­nung der Be­wer­bung der Kläge­rin geführt hat. Die­se In­dizwir­kung ist durch das Vor­brin­gen der Be­klag­ten nicht aus­geräumt. Der
Hin­weis, dass die ein­ge­stell­te Be­wer­be­rin bes­ser qua­li­fi­ziert sei, wi­der­legt die Ver­mu­tung nicht. In § 15 Abs. 2 AGG ist be­stimmt, dass der Entschädi­gungs­an­spruch bei ei­ner Nicht­ein­stel­lung auf ma­xi­mal drei Mo­nats­gehälter be­schränkt ist, wenn der oder die Beschäftig­te auch bei be­nach­tei­li­gungs­frei­er Aus­wahl nicht ein­ge­stellt wor­den wäre. Aus die­ser Ge­set­zes­for­mu­lie­rung geht her­vor, dass nicht nur Be­nach­tei­li­gun­gen bei der Aus­wah­l­ent­schei­dung selbst son­dern auch Be­nach­tei­li­gun­gen im Aus­wahl­ver­fah­ren sank­tio­niert wer­den. So hat das BAG ei­ne Be­nach­tei­li­gung be­reits in der Nicht­ein­la­dung zum Vor­stel­lungs­gespräch ge­se­hen (BAG 28.05.2009 – 8 AZR 536/08 – AP AGG § 8 Nr.1 = NZA 2009,1016; Schleu­se­ner-Suckow-Voigt, AGG 3. Aufl. 2011, § 15 Rn. 34 [Voigt];). Durch den Hin­weis auf die Ein­stel­lung ei­ner bes­ser qua­li­fi­zier­ten Be­wer­be­rin ist nicht nach­ge­wie­sen, dass das pöna­li­sier­te Merk­mal bei der Ent­schei­dung über­haupt kei­ne Rol­le ge­spielt hat. Der Nach­weis muss so geführt wer­den, dass der Ein­fluss un­zulässi­ger Kri­te­ri­en po­si­tiv aus­ge­schlos­sen wer­den kann (BAG 05.02.2004 – 8 AZR 112/03 – AP BGB § 611 a Nr. 23 = NZA 2004, 540; Schleu­se­ner-Suckow-Voigt, AGG 3. Aufl. 2011, § 22 Rn. 47 [Voigt]). Die In­dizwir­kung ist wei­ter auch nicht durch den Um­stand wi­der­legt, dass die berück­sich­tig­te Be­wer­be­rin ei­ne jun­ge Frau oh­ne Kin­der ist. In­so­weit ist an­er­kannt, dass die ge­schlechts­spe­zi­fi­sche Be­nach­tei­li­gung in ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on dar­in liegt, dass an das ge­schlechts­spe­zi­fi­sche Kri­te­ri­um der Ver­ein­bar­keit von Kin­der­be­treu­ung und Be­rufstätig­keit (.s.o.) an­ge­knüpft wor­den ist und ein hy­po­the­ti­scher männ­li­cher Be­wer­ber nach der Le­bens­er­fah­rung nicht we­gen des Kri­te­ri­ums „ein Kind, 7 Jah­re alt" be­nach­tei­ligt wor­den wäre (vgl. Bau­er-Göpfert-Krie­ger, AGG, 3. Aufl. 2011, § 3 AGG Rn. 19 a.E. für den Fall der Be­vor­zu­gung ei­ner nicht schwan­ge­ren Be­wer­be­rin ge­genüber ei­ner schwan­ge­ren Be­wer­be­rin mit mögli­cher­wei­se bes­se­ren No­ten). Der Hin­weis der Be­klag­ten, bei ei­ner Be­wer­be­rin mit ei­nem sie­benjähri­gen Kind sei die zu er­war­ten­de Be­ein­träch­ti­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses durch die Auf­ga­be der Kin­der­be­treu­ung ge­rin­ger zu ver­an­schla­gen als bei ei­ner jun­gen Frau oh­ne Kind, die ja im Ver­lau­fe des – hier be­fris­te­ten - Ar­beits­verhält­nis­ses schwan­ger wer­den könne, fin­det kei­ne zu­rei­chen­de Stütze in der Le­bens­er­fah­rung, um hin­rei­chend si­cher aus­sch­ließen zu können, dass die Fa­mi­li­en­si­tua­ti­on der Kläge­rin kei­ner­lei Rol­le in­ner­halb ei­nes Mo­tivbündels für die Ab­leh­nung ih­rer Be­wer­bung ge­spielt hat. Wei­te­re Umstände für ei­ne Wi­der­le­gung der In­dizwir­kung sind nicht er­sicht­lich.

3. Der Kläge­rin steht ei­ne Entschädi­gung in der aus­ge­ur­teil­ten Höhe von 3.000,00 € zu. Nach § 15 Abs. 2 AGG kann die be­nach­tei­lig­te Per­son bei Vor­lie­gen der Vor­aus­set­zun­gen der §§ 15 Abs. 2, Abs. 1, 7 Abs. 1, 3 Abs. 2, 1 AGG we­gen des Scha­dens, der nicht Vermögens­scha­den ist, ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung be­an­spru­chen. Bei ei­ner Nicht­ein­stel­lung darf die Entschädi­gung drei Mo­nats­gehälter nicht über­stei­gen, wenn der oder die Beschäftig­te auch bei be­nach­tei­li­gungs­frei­er Aus­wah­l­ent­schei­dung nicht ein­ge­stellt wor­den wäre. Der zu­er­kann­te Be­trag un­ter­schrei­tet die­se Gren­ze deut­lich. Die zu­er­kann­te Entschädi­gung von 3.000,00 € liegt et­was un­ter dem 11/2fachen des Mo­nats­ent­gelts der aus­ge­schrie­be­nen Stel­le. Die­ser Be­trag ist an­ge­mes­sen; auf je­den Fall ist er nicht zu hoch be­mes­sen. Bei der Fest­set­zung der Entschädi­gung sind die Umstände des Ein­zel­falls zu berück­sich­ti­gen. Zu die­sen zählen et­wa die Art und Schwe­re der Be­nach­tei­li­gung, ih­re Dau­er und Fol­gen, der An­lass und der Be­weg­grund des Han­delns, der Grad der Ver­ant­wort­lich­keit des Ar­beit­ge­bers, et­wa ge­leis­te­te Wie­der­gut­ma­chung oder er­hal­te­ne Ge­nug­tu­ung und das Vor­lie­gen ei­nes Wie­der­ho­lungs­fal­les. Fer­ner ist auch der Sank­ti­ons­zweck der Norm zu berück­sich­ti­gen, so dass auch be­deut­sam ist, dass der Be­trag zur Er­zie­lung ei­ner wirk­lich ab­schre­cken­den Wir­kung ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber ge­eig­net ist (BAG 23.08.2012 – 8 AZR 285/11 – AP AGG § 3 Nr. 9 Rn. 38; BAG 22.01.2009 – 8 AZR 906/07 – AP AGG § 15 Nr. 1 Rn. 82). In der Kom­men­tar­li­te­ra­tur wird aus­geführt, dass der an­ge­mes­se­ne Entschädi­gungs­be­trag bei ei­ner Ein­stel­lungs­dis­kri­mi­nie­rung in den meis­ten Fällen in­ner­halb ei­ner Span­ne von 500,00 € bis 10.000,00 € lie­gen wer­de (Schleu­se­ner-Suckow-Voigt, AGG 3. Aufl. 2011, § 15 Rn. 50 [Voigt]) oder dass re­gelmäßig ei­ne Entschädi­gung von ein bis ein­ein­halb Mo­nats­ent­gel­ten an­ge­mes­sen sein dürf­te (Bau­er-Göpfert-Krie­ger, AGG, 3. Aufl. 2011, § 15 AGG Rn. 35). Hier hat die Kam­mer ins­be­son­de­re berück­sich­tigt, dass es sich nicht um ei­nen Fall der un­mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung han­delt son­dern „nur" um ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung. An­de­rer­seits geht es um ei­ne Pro­ble­ma­tik, de­ren Be­deut­sam­keit für die Beschäfti­gungs­si­tua­ti­on weib­li­cher Beschäftig­ter
Ge­gen­stand ei­nes seit Jah­ren breit geführ­ten ge­sell­schafts­po­li­ti­schen Dis­kur­ses ist. Art und Schwe­re der Be­ein­träch­ti­gung und der Ge­sichts­punkt ab­schre­cken­der Wir­kung las­sen den Be­trag von 3.000,00 € ge­bo­ten er­schei­nen. Ob ggf. auch ein (et­was) höhe­rer Be­trag an­ge­mes­sen wäre, kann da­hin­ge­stellt blei­ben. In­ner­halb der drei­mo­na­ti­gen Kla­ge­frist des § 61 b Abs. 1 ArbGG hat die Kläge­rin ei­nen kon­kret be­zif­fer­ten Kla­ge­an­trag über le­dig­lich 3.000,00 € anhängig ge­macht. Die späte­re Er­wei­te­rung der Kla­ge er­folg­te nach Ab­lauf der Kla­ge­frist (s.o.). Da die Kla­ge­frist wie die zwei­te Stu­fe ei­ner ta­rif­ver­trag­li­chen Aus­schluss­frist wirkt (Schleu­se­ner-Suckow-Voigt, AGG 3. Aufl. 2011, § 15 Rn. 80 [Voigt]), ist die Kläge­rin auf den in­ner­halb der Kla­ge­frist ein­ge­for­der­ten Be­trag von 3.000,00 € be­schränkt. We­gen des 3.000,00 € über­stei­gen­den Be­trags war die Kla­ge aus den Gründen des § 61 b Abs. 1 ArbGG ab­zu­wei­sen. Die Zins­for­de­rung ist be­gründet gemäß §§ 286, 288, 247 BGB.

4. Die Kos­ten des Rechts­streits wa­ren den Par­tei­en ent­spre­chend dem Aus­maß des je­wei­li­gen Un­ter­lie­gens auf­zu­er­le­gen, § 92 Abs. 1 ZPO. We­gen grundsätz­li­cher Be­deu­tung hat die Kam­mer für bei­de Par­tei­en die Re­vi­si­on zu­ge­las­sen, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

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