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LAG Bre­men, Be­schluss vom 23.11.2016, 3 Sa 78/16

   
Schlagworte: Befristung, Diskriminierungsverbote: Alter
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Bremen
Aktenzeichen: 3 Sa 78/16
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 23.11.2016
   
Leitsätze:
Vorinstanzen:
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Bre­men

3 Sa 78/16
3 Ca 3165/15

B E S C H L U S S

In dem Rechts­streit

Kläger und Be­ru­fungskläger,

Proz.-Bev.:

ge­gen

Be­klag­te und Be­ru­fungs­be­klag­te,

Proz.-Bev.:

hat die 3. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Bre­men auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 23. No­vem­ber 2016 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin für Recht er­kannt:

1. Dem Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on wer­den gemäß Art. 267 des Ver­trags über die Ar­beits­wei­se der Eu­ropäischen Uni­on (AEUV) fol­gen­de Fra­gen vor­ge­legt:

 

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Ist § 5 Nr. 1 der am 18. März 1999 ge­schlos­se­nen Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge im An­hang der Richt­li­nie 1999/70/EG des Ra­tes vom 28. Ju­ni 1999 zu der EGB-UN­ICE-CEEP-Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge da­hin aus­zu­le­gen, dass er ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung ent­ge­gen­steht, die es den Ar­beits­ver­trags­par­tei­en oh­ne wei­te­re Vor­aus­set­zun­gen zeit­lich un­be­grenzt ermöglicht, die ver­ein­bar­te Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze durch Ver­ein­ba­rung während des Ar­beits­verhält­nis­ses, ge­ge­be­nen­falls auch mehr­fach, hin­aus­zu­schie­ben, nur weil der Ar­beit­neh­mer durch Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze ei­nen An­spruch auf Al­ters­ren­te hat?

2. Falls der Ge­richts­hof die Fra­ge 1 be­jaht:
Gilt die Un­ver­ein­bar­keit der in Fra­ge 1 ge­nann­ten na­tio­na­len Re­ge­lung mit § 5 Nr. 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung auch im Fal­le des erst­ma­li­gen Hin­aus­schie­bens der Be­en­di­gung?

3. Sind Art. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf (Richt­li­nie 2000/78/EG) und/oder die all­ge­mei­nen Grundsätze des Ge­mein­schafts­rechts da­hin aus­zu­le­gen, dass sie ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung ent­ge­gen­ste­hen, die es den Ar­beits­ver­trags­par­tei­en oh­ne wei­te­re Vor­aus­set­zun­gen zeit­lich un­be­grenzt ermöglicht, die ver­ein­bar­te Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze durch Ver­ein­ba­rung während des Ar­beits­verhält­nis­ses, ge­ge­be­nen­falls auch mehr­fach, hin­aus­zu­schie­ben, nur weil der Ar­beit­neh­mer durch Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze ei­nen An­spruch auf Al­ters­ren­te hat?

4. Das Be­ru­fungs­ver­fah­ren wird bis zur Ent­schei­dung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on über das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen aus­ge­setzt.

Gründe

A. Ge­gen­stand des Aus­gangs­ver­fah­rens

Die Par­tei­en strei­ten über die Be­fris­tung des Ar­beits­verhält­nis­ses so­wie Ansprüche auf An­nah­me­ver­zugs­lohn.

 

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Der am ... 1949 ge­bo­re­ne Kläger war seit dem Jahr 2001 als an­ge­stell­ter Leh­rer für die Se­kun­dar­stu­fe II bei der Be­klag­ten beschäftigt.

Gemäß § 2 des am 25. Sep­tem­ber 2001 ge­schlos­se­nen Ar­beits­ver­trags fin­det auf das Ar­beits­verhält­nis der Bun­des­an­ge­stell­ten­ta­rif­ver­trag und die die­sen ergänzen­den, ändern­den oder er­set­zen­den Ta­rif­verträge in der für die Freie Han­se­stadt Bre­men gel­ten­den Fas­sung An­wen­dung. Der Bun­des­an­ge­stell­ten­ta­rif­ver­trag ist mitt­ler­wei­le durch den Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst der Länder (fol­gend als "TV-L" be­zeich­net) er­setzt wor­den.

Mit Schrei­ben vom 5. Fe­bru­ar 2014 be­an­trag­te der Kläger die Wei­ter­beschäfti­gung über die Re­gel­al­ters­gren­ze hin­aus bis zum En­de des Schul­jah­res 2015/2016. Un­ter dem 24. Ok­to­ber 2014 schlos­sen die Par­tei­en ei­ne Ver­ein­ba­rung mit dem fol­gen­den In­halt:

„Zwi­schen ..., ver­tre­ten durch ... und Herrn H. J. ge­bo­ren am ...1949 wird fol­gen­de Ver­ein­ba­rung nach § 41 Satz 3 SGB VI i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 TV-L ge­schlos­sen: Die au­to­ma­ti­sche Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses vom 31.7.2007 gemäß § 44 Nr. 4 TV-L wird bis zum 31. Ju­li 2015 hin­aus­ge­scho­ben. Das Ar­beits­verhält­nis en­det mit Ab­lauf die­ses Da­tums, oh­ne dass es ei­ner Kündi­gung be­darf. [...j“

Mit Schrei­ben vom 4. Fe­bru­ar 2015 be­an­trag­te der Kläger wie­der­um die Wei­ter­beschäfti­gung bis zum En­de des Schul­halb­jah­res 2015/2016. Mit Schrei­ben vom 28. Mai 2015 lehn­te die Be­klag­te die­sen Wunsch ab. Der Kläger wand­te sich mit Schrei­ben sei­nes Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten vom 16. Ju­ni 2015 an die Be­klag­te und wies dar­auf hin, dass ei­ne Be­fris­tung auf Grund­la­ge von § 41 S. 3 SGB VI eu­ro­pa­recht­lich un­zulässig sei. Mit Schrei­ben vom 27. Ju­li 2015 erklärte die Be­klag­te, dass das Ver­trags­verhält­nis wirk­sam bis zum 31. Ju­li 2015 be­fris­tet sei.

B. Das ein­schlägi­ge na­tio­na­le Recht

§ 41 SGB VI in der seit dem 23. Ju­ni 2014 gel­ten­den Fas­sung re­gelt Fol­gen­des:

„§ 41 Al­ters­ren­te und Kündi­gungs­schutz
...Sieht ei­ne Ver­ein­ba­rung die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit dem Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze vor, können die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en durch Ver­ein­ba­rung während des Ar­beits­verhält­nis­ses den Be­en­di­gungs­zeit­punkt, ge­ge­be­nen­falls auch mehr­fach, hin­aus­schie­ben.“

Die ein­schlägi­gen Re­ge­lun­gen im Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst der Länder

 

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„Ab­schnitt V - Be­fris­tung und Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses

§ 30 Be­fris­te­te Ar­beits­verträge

(1) Be­fris­te­te Ar­beits­verträge sind zulässig auf Grund­la­ge des Teil­zeit- und Be­fris­tungs­ge­set­zes so­wie an­de­rer ge­setz­li­cher Vor­schrif­ten über die Be­fris­tung von Ar­beits­verträgen....

§ 44 TV-L Son­der­re­ge­lun­gen für Beschäftig­te als Lehr­kräfte

...

Nr. 4 zu Ab­schnitt V - Be­fris­tung und Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses

Das Ar­beits­verhält­nis en­det, oh­ne dass es ei­ner Kündi­gung be­darf, mit Ab­lauf des Schul­halb­jah­res (31. Ja­nu­ar be­zie­hungs­wei­se 31. Ju­li), in dem die Lehr­kraft das ge­setz­lich fest­ge­leg­te Al­ter zum Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­ren­te voll­endet hat.“

C. Ein­schlägi­ge Vor­schrif­ten des Uni­ons­rechts

§ 5 Nr. 1 der am 18. März 1999 ge­schlos­se­nen Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge im An­hang der Richt­li­nie 1999/70/EG des Ra­tes vom 28. Ju­ni 1999 zu der EGB-UN­ICE-CEEP-Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge (ABl. L 175, S. 43) lau­tet:

„1. Um Miss­brauch durch auf­ein­an­der­fol­gen­de be­fris­te­te Ar­beits­verträge oder -verhält­nis­se zu ver­mei­den, er­grei­fen die Mit­glied­staa­ten nach der ge­setz­lich oder ta­rif­ver­trag­lich vor­ge­schrie­be­nen oder in dem Mit­glied­staat übli­chen Anhörung der So­zi­al­part­ner und/oder die So­zi­al­part­ner, wenn kei­ne gleich­wer­ti­gen ge­setz­li­chen Maßnah­men zur Miss­brauchs­ver­hin­de­rung be­ste­hen, un­ter Berück­sich­ti­gung der An­for­de­run­gen be­stimm­ter Bran­chen und/oder Ar­beit­neh­mer­ka­te­go­ri­en ei­ne oder meh­re­re der fol­gen­den Maßnah­men:

a) sach­li­che Gründe, die die Verlänge­rung sol­cher Verträge oder Verhält­nis­se recht­fer­ti­gen;

b) die ins­ge­samt ma­xi­mal zulässi­ge Dau­er auf­ein­an­der­fol­gen­der Ar­beits­verträge oder -verhält­nis­se;

c) die zulässi­ge Zahl der Verlänge­run­gen sol­cher Verträge oder Verhält­nis­se.

 

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2. Die Mit­glied­staa­ten, nach Anhörung der So­zi­al­part­ner, und/oder die So­zi­al­part­ner le­gen ge­ge­be­nen­falls fest, un­ter wel­chen Be­din­gun­gen be­fris­te­te Ar­beits­verträge oder Beschäfti­gungs­verhält­nis­se:

a) als ‚auf­ein­an­der­fol­gend‘ zu be­trach­ten sind;

b) als un­be­fris­te­te Verträge oder Verhält­nis­se zu gel­ten ha­ben.“

Ar­ti­kel 1, 2 und 6 Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf (Richt­li­nie 2000/78/EG) lau­ten:

Ar­ti­kel 1 Zweck

Zweck die­ser Richt­li­nie ist die Schaf­fung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Aus­rich­tung in Beschäfti­gung und Be­ruf im Hin­blick auf die Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung in den Mit­glied­staa­ten.

Ar­ti­kel 2

Der Be­griff "Dis­kri­mi­nie­rung"

(1) Im Sin­ne die­ser Richt­li­nie be­deu­tet "Gleich­be­hand­lungs­grund­satz", dass es kei­ne un­mit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­nes der in Ar­ti­kel 1 ge­nann­ten Gründe ge­ben darf.

(2) Im Sin­ne des Ab­sat­zes 1

a) liegt ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung vor, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes der in Ar­ti­kel 1 ge­nann­ten Gründe in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt, als ei­ne an­de­re Per­son erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde;

b) liegt ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung vor, wenn dem An­schein nach neu­tra­le Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren Per­so­nen mit ei­ner be­stimm­ten Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung, ei­ner be­stimm­ten Be­hin­de­rung, ei­nes be­stimm­ten Al­ters oder mit ei­ner be­stimm­ten se­xu­el­len Aus­rich­tung ge­genüber an­de­ren Per­so­nen in be­son­de­rer Wei­se be­nach­tei­li­gen können, es sei denn:

 

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i) die­se Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sach­lich ge­recht­fer­tigt, und die Mit­tel sind zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich, oder

ii) der Ar­beit­ge­ber oder je­de Per­son oder Or­ga­ni­sa­ti­on, auf die die­se Richt­li­nie An­wen­dung fin­det, ist im Fal­le von Per­so­nen mit ei­ner be­stimm­ten Be­hin­de­rung auf­grund des ein­zel­staat­li­chen Rechts ver­pflich­tet, ge­eig­ne­te Maßnah­men ent­spre­chend den in Ar­ti­kel 5 ent­hal­te­nen Grundsätzen vor­zu­se­hen, um die sich durch die­se Vor­schrift, die­ses Kri­te­ri­um oder die­ses Ver­fah­ren er­ge­ben­den Nach­tei­le zu be­sei­ti­gen.

(3) Un­erwünsch­te Ver­hal­tens­wei­sen, die mit ei­nem der Gründe nach Ar­ti­kel 1 in Zu­sam­men­hang ste­hen und be­zwe­cken oder be­wir­ken, dass die Würde der be­tref­fen­den Per­son ver­letzt und ein von Einschüchte­run­gen, An­fein­dun­gen, Er­nied­ri­gun­gen, Entwürdi­gun­gen oder Be­lei­di­gun­gen ge­kenn­zeich­ne­tes Um­feld ge­schaf­fen wird, sind Belästi­gun­gen, die als Dis­kri­mi­nie­rung im Sin­ne von Ab­satz 1 gel­ten. In die­sem Zu­sam­men­hang können die Mit­glied­staa­ten den Be­griff "Belästi­gung" im Ein­klang mit den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und Ge­pflo­gen­hei­ten de­fi­nie­ren.

(4) Die An­wei­sung zur Dis­kri­mi­nie­rung ei­ner Per­son we­gen ei­nes der Gründe nach Ar­ti­kel 1 gilt als Dis­kri­mi­nie­rung im Sin­ne des Ab­sat­zes 1.

(5) Die­se Richt­li­nie berührt nicht die im ein­zel­staat­li­chen Recht vor­ge­se­he­nen Maßnah­men, die in ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft für die Gewähr­leis­tung der öffent­li­chen Si­cher­heit, die Ver­tei­di­gung der Ord­nung und die Verhütung von Straf­ta­ten, zum Schutz der Ge­sund­heit und zum Schutz der Rech­te und Frei­hei­ten an­de­rer not­wen­dig sind.

[...]

Ar­ti­kel 6

Ge­recht­fer­tig­te Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters

(1) Un­ge­ach­tet des Ar­ti­kels 2 Ab­satz 2 können die Mit­glied­staa­ten vor­se­hen, dass Un­gleich­be­hand­lun­gen we­gen des Al­ters kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­len, so­fern sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen sind und im Rah­men des na­tio­na­len Rechts durch ein le­gi­ti­mes Ziel, wor­un­ter ins­be­son­de­re rechtmäßige Zie­le aus den Be­rei­chen Beschäfti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt und be­ruf­li­che Bil­dung zu ver­ste­hen sind, ge­recht­fer­tigt sind und die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sind.

Der­ar­ti­ge Un­gleich­be­hand­lun­gen können ins­be­son­de­re Fol­gen­des ein­sch­ließen:

 

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a) die Fest­le­gung be­son­de­rer Be­din­gun­gen für den Zu­gang zur Beschäfti­gung und zur be­ruf­li­chen Bil­dung so­wie be­son­de­rer Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen, ein­sch­ließlich der Be­din­gun­gen für Ent­las­sung und Ent­loh­nung, um die be­ruf­li­che Ein­glie­de­rung von Ju­gend­li­chen, älte­ren Ar­beit­neh­mern und Per­so­nen mit Fürsor­ge­pflich­ten zu fördern oder ih­ren Schutz si­cher­zu­stel­len;

b) die Fest­le­gung von Min­dest­an­for­de­run­gen an das Al­ter, die Be­rufs­er­fah­rung oder das Dienst­al­ter für den Zu­gang zur Beschäfti­gung oder für be­stimm­te mit der Beschäfti­gung ver­bun­de­ne Vor­tei­le;

c) die Fest­set­zung ei­nes Höchst­al­ters für die Ein­stel­lung auf­grund der spe­zi­fi­schen Aus­bil­dungs­an­for­de­run­gen ei­nes be­stimm­ten Ar­beits­plat­zes oder auf­grund der Not­wen­dig­keit ei­ner an­ge­mes­se­nen Beschäfti­gungs­zeit vor dem Ein­tritt in den Ru­he­stand.

(2) Un­ge­ach­tet des Ar­ti­kels 2 Ab­satz 2 können die Mit­glied­staa­ten vor­se­hen, dass bei den be­trieb­li­chen Sys­te­men der so­zia­len Si­cher­heit die Fest­set­zung von Al­ters­gren­zen als Vor­aus­set­zung für die Mit­glied­schaft oder den Be­zug von Al­ters­ren­te oder von Leis­tun­gen bei In­va­li­dität ein­sch­ließlich der Fest­set­zung un­ter­schied­li­cher Al­ters­gren­zen im Rah­men die­ser Sys­te­me für be­stimm­te Beschäftig­te oder Grup­pen bzw. Ka­te­go­ri­en von Beschäftig­ten und die Ver­wen­dung im Rah­men die­ser Sys­te­me von Al­ters­kri­te­ri­en für ver­si­che­rungs­ma­the­ma­ti­sche Be­rech­nun­gen kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters dar­stellt, so­lan­ge dies nicht zu Dis­kri­mi­nie­run­gen we­gen des Ge­schlechts führt.

D. Er­for­der­lich­keit der Ent­schei­dung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on und Erläute­rung der Vor­la­ge­fra­ge

Für die Ent­schei­dung des Rechts­streits kommt es auf die Aus­le­gung von § 5 Nr. 1 der am 18. März 1999 ge­schlos­se­nen Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge im An­hang der Richt­li­nie 1999/70/EG des Ra­tes vom 28. Ju­ni 1999 an. Da es vor­lie­gend an ei­nem Sach­grund im Sin­ne des Teil­zeit- und Be­fris­tungs­ge­set­zes für die zwi­schen den Par­tei­en ge­schlos­se­ne Ver­ein­ba­rung vom 14. Ok­to­ber 2014, in der die­se die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum 31. Ju­li 2015 hin­aus­ge­scho­ben ha­ben, fehlt, kommt es maßgeb­lich dar­auf an, ob § 41 S. 3 SGB VI als Rechts­grund­la­ge die­ser Ver­ein­ba­rung mit § 5 Nr. 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung ver­ein­bar ist.

Der An­wen­dungs­be­reich der Rah­men­ver­ein­ba­rung ist vor­lie­gend ein­schlägig. Der Wort­laut des § 2 Nr. 1 ist weit ge­fasst, da er all­ge­mein auf „be­fris­tet beschäftig­te Ar­beit­neh­mer mit ei­nem Ar­beits­ver­trag oder -verhält­nis gemäß der ge­setz­lich, ta­rif­ver­trag­lich oder nach den Ge­pflo­gen­hei­ten in je­dem Mit­glied­staat gel­ten­den

 

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De­fi­ni­ti­on“ ab­stellt. Auch die De­fi­ni­ti­on des Be­griffs „be­fris­tet beschäftig­ter Ar­beit­neh­mer“ im Sin­ne der Rah­men­ver­ein­ba­rung, die in de­ren § 3 Nr. 1 ent­hal­ten ist, er­fasst al­le Ar­beit­neh­mer, oh­ne da­nach zu un­ter­schei­den, ob sie an ei­nen öffent­li­chen oder an ei­nen pri­va­ten Ar­beit­ge­ber ge­bun­den sind (EuGH 4. Ju­li 2006, Aden­eler u. a., C-212/04, EU:C:2006:443, Rn. 56; 13. März 2014, Márquez Sa­mo­ha­no, C-190/13, EU:C:2014:146, Rn. 38; 26. No­vem­ber 2014, Mas­co­lo u. a., C-22/13, C-61/13, C-63/13 und C-418/13, EU:C:2014:2401, Rn. 67). Auch nimmt die Rah­men­ver­ein­ba­rung kei­ne be­stimm­te Bran­che von ih­rem An­wen­dungs­be­reich aus (EuGH 21. Sep­tem­ber 2016 – C-614/15 –, Rn. 35).

Es ist da­her die Auf­ga­be des na­tio­na­len Ge­richts zu über­prüfen, ob die na­tio­na­le Re­ge­lung die in § 5 der Rah­men­ver­ein­ba­rung ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen erfüllt (EuGH 3. Ju­li 2014, Fia­min­go u. a., C-362/13, C-363/13 und C-407/13, EU:C:2014:2044, Rn. 66 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung, so­wie vom 26. No­vem­ber 2014, Mas­co­lo u. a., C-22/13, C-61/13, C-63/13 und C-418/13, EU:C:2014:2401, Rn. 81; 21. Sep­tem­ber 2016 – C-614/15 –, Rn. 44, ju­ris).

Vor­lie­gend ha­ben die Par­tei­en im Ar­beits­ver­trag vom 30. Ju­li 2001 die An­wend­bar­keit der ein­schlägi­gen Ta­rif­verträge ver­ein­bart. Da­mit fin­det un­ter an­de­ren die Re­ge­lung des § 44 Nr. 4 TV-L auf das Ar­beits­verhält­nis An­wen­dung, wo­nach das Ar­beits­verhält­nis mit Ab­lauf des Schul­halb­jah­res en­det, in dem der Kläger das ge­setz­lich fest­ge­leg­te Al­ter zum Er­rei­chen ei­ner ab­schlags­frei­en Re­gel­al­ters­ren­te voll­endet hat. Hier­bei han­delt es sich nach den oben ge­nann­ten Grundsätzen um ei­ne Be­fris­tung. Das Hin­aus­schie­ben die­ser Be­fris­tung nach § 41 S. 3 SGB VI stellt dem­ent­spre­chend ei­ne Verlänge­rung die­ser Be­fris­tung dar, auch wenn der Wort­laut des Ge­set­zes nicht das Wort Verlänge­rung son­dern „hin­aus­schie­ben“ ver­wen­det. Gemäß der wei­ten Fas­sung der Rah­men­ver­ein­ba­rung un­terfällt auch die­ser Tat­be­stand den uni­ons­recht­li­chen Be­fris­tungs­re­ge­lun­gen, da es sich der Sa­che nach um die Verlänge­rung der Be­fris­tung des Ar­beits­verhält­nis­ses han­delt.

Der An­wen­dung der Rah­men­ver­ein­ba­rung steht im vor­lie­gen­den Fall nicht ent­ge­gen, dass die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en nur ein­mal von der Möglich­keit des§ 41 S. 3 SGB VI Ge­brauch ge­macht ha­ben. Da die­se Re­ge­lung tat­be­stand­lich an die ar­beits­ver­trag­li­che Ver­ein­ba­rung an­knüpft, wo­nach das Ar­beits­verhält­nis mit Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze en­det, stellt es ei­ne Verlänge­rung der ar­beits­ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Be­fris­tung dar, so dass der Tat­be­stand der Mehr­fach­be­fris­tung erfüllt ist.

§ 5 Nr. 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung ver­folgt das Ziel, den wie­der­hol­ten Rück­griff auf be­fris­te­te Ar­beits­verträge oder -verhält­nis­se, der als Quel­le po­ten­zi­el­len Miss­brauchs zu­las­ten der Ar­beit­neh­mer an­ge­se­hen wird, ein­zu­gren­zen, in­dem ei­ne Rei­he von

 

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Min­dest­schutz­be­stim­mun­gen vor­ge­se­hen wird, die die Pre­ka­ri­sie­rung der La­ge der Beschäftig­ten ver­hin­dern sol­len (EuGH 4. Ju­li 2006, Aden­eler u. a., C-212/04, EU:C:2006:443, Rn. 63, vom 23. April 2009, An­gel­i­da­ki u. a., C-378/07 bis C-380/07, EU:C:2009:250, Rn. 73, vom 26. Ja­nu­ar 2012, Kücük, C-586/10, EU:C:2012:39, Rn. 25, vom 13. März 2014, Márquez Sa­mo­ha­no, C-190/13, EU:C:2014:146, Rn. 41, vom 3. Ju­li 2014, Fia­min­go u. a., C-362/13, C-363/13 und C-407/13, EU:C:2014:2044, Rn. 54, und vom 26. No­vem­ber 2014, Mas­co­lou. a., C-22/13, C-61/13, C-63/13 und C-418/13, EU:C:2014:2401, Rn. 72).

Aus dem zwei­ten Ab­satz der Präam­bel der Rah­men­ver­ein­ba­rung so­wie aus ih­ren All­ge­mei­nen Erwägun­gen 6 und 8 lässt sich ent­neh­men, dass fes­te Beschäfti­gungs­verhält­nis­se ei­nen wich­ti­gen As­pekt des Ar­beit­neh­mer­schut­zes dar­stel­len, während be­fris­te­te Ar­beits­verträge nur un­ter be­stimm­ten Umständen den Bedürf­nis­sen so­wohl der Ar­beit­ge­ber als auch der Ar­beit­neh­mer ent­spre­chen können (EuGH 4. Ju­li 2006, Aden­eler u. a., C-212/04, EU:C:2006:443, Rn. 62, vom 3. Ju­li 2014, Fia­min­go u. a., C-362/13, C-363/13 und C-407/13, EU:C:2014:2044, Rn. 55, und vom 26. No­vem­ber 2014, Mas­co­lo u. a., C-22/13, C-61/13, C-63/13 und C-418/13, EU:C:2014:2401, Rn. 73).

Da­her ver­pflich­tet § 5 Nr. 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung die Mit­glied­staa­ten im Hin­blick auf die Ver­mei­dung des miss­bräuch­li­chen Ein­sat­zes auf­ein­an­der­fol­gen­der be­fris­te­ter Ar­beits­verträge oder -verhält­nis­se da­zu, ef­fek­tiv und mit ver­bind­li­cher Wir­kung min­des­tens ei­ne der dort auf­geführ­ten Maßnah­men zu er­grei­fen, wenn ihr in­ner­staat­li­ches Recht kei­ne gleich­wer­ti­gen ge­setz­li­chen Maßnah­men enthält. Die­sen An­for­de­run­gen genügt § 41 S. 3 SGB VI nicht, da kei­ner der in § 5 Nr. 1 Buchst. a bis c auf­geführ­ten drei Maßnah­men in die­ser Re­ge­lung auf­geführt ist. Die­se Maßnah­men be­tref­fen im Ein­zel­nen sach­li­che Gründe, die die Verlänge­rung sol­cher Ar­beits­verträge oder -verhält­nis­se recht­fer­ti­gen, die ins­ge­samt ma­xi­mal zulässi­ge Dau­er die­ser auf­ein­an­der­fol­gen­den Ar­beits­verträge oder -verhält­nis­se und die zulässi­ge Zahl ih­rer Verlänge­run­gen (vgl. EuGH 23. April 2009, An­gel­i­da­ki u. a., C-378/07 bis C-380/07, EU:C:2009:250, Rn. 74, vom 26. Ja­nu­ar 2012, Kücük, C-586/10, EU:C:2012:39, Rn. 26, vom 13. März 2014, Márquez Sa­mo­ha­no, C-190/13, EU:C:2014:146, Rn. 42, vom 3. Ju­li 2014, Fia­min­go u. a., C-362/13, C-363/13 und C-407/13, EU:C:2014:2044, Rn. 56, und vom 26. No­vem­ber 2014, Mas­co­lo u. a., C-22/13, C-61/13, C-63/13und C-418/13, EU:C:2014:2401, Rn. 74; 21. Sep­tem­ber 2016 – C-614/15).

Dem­ge­genüber ermöglicht § 41 S. 3 SGB VI ein zeit­lich un­ein­ge­schränk­tes und mehr­fa­ches Hin­aus­schie­ben der ver­ein­bar­ten Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze. Dass § 5 Nr. 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung der

 

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Ver­wen­dung auf­ein­an­der fol­gen­der be­fris­te­ter Ar­beits­verträge ent­ge­gen­steht, die al­lein da­mit ge­recht­fer­tigt wird, dass sie in ei­ner all­ge­mei­nen Rechts­vor­schrift ei­nes Mit­glied­staats vor­ge­se­hen ist, hat der EuGH be­reits fest­ge­stellt (EuGH 04. Ju­li 2006 – C-212/04 - Aden­eler).

Der na­tio­na­le Ge­setz­ge­ber hat zur Be­gründung der Re­ge­lung in § 41 S. 3 SGB VI an­knüpfend an die Ent­schei­dung des EuGH vom 21. Ju­li 2011 aus­geführt, dass mit dem Hin­aus­schie­ben des Be­en­di­gungs­zeit­punk­tes über das Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze hin­aus Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­ge­ber bei­spiels­wei­se re­agie­ren können, wenn ei­ne Nach­be­set­zung der ent­spre­chen­den Stel­le nicht naht­los er­fol­gen könne. Auch könn­ten Ar­beit­neh­mer lau­fen­de Pro­jek­te mit ih­rer Sach­kun­de er­folg­reich zum Ab­schluss brin­gen oder neu ein­ge­stell­te, jünge­re Kol­le­gen in ih­re Tätig­keit ein­ar­bei­ten (BT-Drs. 18/1489 S. 25).

Der Kam­mer er­scheint frag­lich, ob die­se vom na­tio­na­len Ge­setz­ge­ber an­geführ­ten grundsätz­lich le­gi­ti­men Zie­le ei­ne Ab­wei­chung von § 5 Nr. 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung ge­re­gel­ten Maßnah­men zur Ver­mei­dung ei­nes Miss­brauchs von Mehr­fach­be­fris­tun­gen er­for­dern bzw. ei­ne sol­che Ab­wei­chung an­ge­mes­sen er­scheint.

Das so­zi­al­po­li­ti­sche Ziel ei­ner Beschäfti­gungs­ver­tei­lung zwi­schen den Ge­ne­ra­tio­nen (vgl. EuGH 12.10.2010 Ro­sen­bladt aaO) wird durch ein Hin­aus­schie­ben der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nach Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze zwar nicht unmöglich ge­macht, je­doch zeit­lich hin­aus­gezögert. Die vom na­tio­na­len Ge­setz­ge­ber als Be­gründung für § 41 S. 3 SGB VI ge­nann­te Möglich­keit, durch das Hin­aus­schie­ben der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses bei Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze ei­ne Ein­ar­bei­tung ei­nes jünge­ren Ar­beit­neh­mers zu ermögli­chen, kommt aus der Sicht der Kam­mer nur ei­ne ge­rin­ge prak­ti­sche Be­deu­tung zu. Da der Ar­beit­ge­ber das Al­ter sei­nes Ar­beit­neh­mers kennt, und er da­her weiß, wann das Ar­beits­verhält­nis durch Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze en­det, hat er re­gelmäßig aus­rei­chend Zeit, recht­zei­tig ei­nen ge­eig­ne­ten Nach­fol­ger zu fin­den und die­sen ein­ar­bei­ten zu las­sen. Um­ge­kehrt kommt ei­ne Ein­ar­bei­tung durch den aus­schei­den­den Ar­beit­neh­mer dann nicht in Be­tracht, wenn ein Nach­fol­ger zum Zeit­punkt des Aus­schei­dens noch nicht ge­fun­den wur­de. Ei­nes Hin­aus­schie­bens der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses im Sin­ne des § 41 S. 3 SGB VI be­darf da­her in der Pra­xis nur in ei­nem sol­chen Fall, in dem der Ar­beit­ge­ber ei­nen Nach­fol­ger für den aus­schei­den­den Ar­beit­neh­mer zeit­lich erst so kurz vor dem Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze des aus­schei­den­den Ar­beit­neh­mers fin­det, dass die­ser nicht aus­rei­chend Zeit hat, sei­nen Nach­fol­ger noch vor Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ein­zu­ar­bei­ten. Die­se Fall­kon­stel­la­ti­on er­for­dert je­doch kei­ne Ab­wei­chung von § 5 Nr. 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung. Die Ein­ar­bei­tung ei­nes nach­fol­gen­den Ar­beit­neh­mers ist

 

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re­gelmäßig zeit­lich be­grenzt. Es be­ste­hen da­her für die Kam­mer kei­ne sach­li­chen An­halts­punk­te dafür, war­um für ei­ne sol­che Ein­ar­bei­tung ei­ne mehr­fa­che Be­fris­tungsmöglich­keit oh­ne zeit­li­che Ober­gren­ze er­for­der­lich sein soll.

Ent­spre­chen­des gilt für die Fall­kon­stel­la­ti­on, in der der Ar­beit­ge­ber zum Zeit­punkt des ver­trag­li­chen Aus­schei­dens des Ar­beit­neh­mers noch kei­nen ge­eig­ne­ten Nach­fol­ger ge­fun­den hat. Wird die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses hin­aus­ge­scho­ben, um ei­nen ge­eig­ne­ten Nach­fol­ger zu fin­den, da­mit die­ser vom aus­schei­den­den Ar­beit­neh­mer noch ein­ge­ar­bei­tet wer­den kann, be­darf auch die­se Fall­kon­stel­la­ti­on kei­ner un­be­grenz­ten Be­fris­tungsmöglich­keit.

Der wei­te­re vom na­tio­na­len Ge­setz­ge­ber be­nann­te Zweck, wo­nach das Hin­aus­schie­ben der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses bei Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze die Möglich­keit eröff­ne, dass ein Ar­beit­neh­mer ein Pro­jekt ab­sch­ließen könne, be­darf aus der Sicht der Kam­mer kei­ner von § 5 Nr. 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung ab­wei­chen­den Son­der­re­ge­lung im Sin­ne des § 41 S. 3 SGB VI, da die Pro­jekt­be­fris­tung ei­nen Sach­grund im Sin­ne des § 14 Abs. 1 Nr. 1 Tz­B­fG dar­stellt.

Es fehlt auch an ei­ner gleich­wer­ti­gen ge­setz­li­chen Maßnah­me, die ef­fek­tiv und ab­schre­ckend das mit § 5 Nr. 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung ver­folg­te Ziel der Ver­hin­de­rung des Miss­brauchs von Mehr­fach­be­fris­tun­gen gewähr­leis­tet.

An­ge­sichts des ein­deu­ti­gen Ge­set­zes­wort­lauts sieht sich die Kam­mer an ei­ner uni­ons­rechts­kon­for­men Aus­le­gung des § 41 S. 3 SGB VI ge­hin­dert. Der Grund­satz der uni­ons­kon­for­men Aus­le­gung kann nicht die Grund­la­ge für ei­ne Aus­le­gung des na­tio­na­len Rechts con­tra le­gem bil­den (vgl. EuGH 08. No­vem­ber 2016 – C-554/14 –, Rn. 66; 16. Ju­ni 2005, Pu­pi­no, C-105/03, EU:C:2005:386, Rn. 47; 5. Sep­tem­ber 2012, Lopes Da Sil­va Jor­ge, C-42/11, EU:C:2012:517, Rn. 55 und 56). Die Mit­glied­staa­ten verfügen bei der Um­set­zung von Uni­ons­recht über ein Er­mes­sen. Der na­tio­na­le Ge­setz­ge­ber hat­te vor­lie­gend bei Ab­fas­sung des § 41 S. 3 SGB VI die Wahl, auf ei­ne oder meh­re­re der in § 5 Nr. 1 a bis c ge­nann­ten Maßnah­men oder aber auf be­ste­hen­de gleich­wer­ti­ge ge­setz­li­che Maßnah­men zurück­zu­grei­fen, und zwar un­ter Berück­sich­ti­gung der An­for­de­run­gen be­stimm­ter Bran­chen und/oder Ar­beit­neh­mer­ka­te­go­ri­en (vgl. EuGH 3. Ju­li 2014, Fia­min­gou. a., C-362/13, C-363/13 und C-407/13, EU:C:2014:2044, Rn. 59 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung, so­wie vom 26. No­vem­ber 2014, Mas­co­lo u. a., C-22/13, C-61/13, C-63/13 und C-418/13, EU:C:2014:2401, Rn. 75; 21. Sep­tem­ber 2016 – C-614/15 –, Rn. 39, ju­ris). Ein sol­ches Er­mes­sen steht dem­ge­genüber der Kam­mer nicht zu. Da­durch, dass der na­tio­na­le Ge­setz­ge­ber von sei­nem Er­mes­sen nicht uni­ons­kon­form Ge­brauch ge­macht hat, erwächst nicht für die Kam­mer im Rah­men der uni­ons­rechts­kon­for­men Aus­le­gung die Möglich­keit, an Stel­le des Ge­set­zes­ge­bers ein

 

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Er­mes­sen con­tra le­gem aus­zuüben und die nach § 41 S. 3 SGB VI un­ein­ge­schränk­te Möglich­keit der Verlänge­rung der Be­fris­tung im Sin­ne des § 5 Nr. 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung zu be­gren­zen.

Sieht das Uni­ons­recht, wie im vor­lie­gen­den Fall, kei­ne spe­zi­fi­schen Sank­tio­nen für den Fall vor, dass Miss­bräuche fest­ge­stellt wor­den sind, ob­liegt es den na­tio­na­len Stel­len, Maßnah­men zu er­grei­fen, die nicht nur verhält­nismäßig, son­dern auch ef­fek­tiv und ab­schre­ckend ge­nug sein müssen, um die vol­le Wirk­sam­keit der zur Durchführung der Rah­men­ver­ein­ba­rung er­las­se­nen Nor­men si­cher­zu­stel­len (EuGH 3. Ju­li 2014, Fia­min­go u. a., C-362/13, C-363/13 und C-407/13, EU:C:2014:2044, Rn. 62 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung, so­wie vom 26. No­vem­ber 2014, Mas­co­lo u. a., C-22/13, C-61/13, C-63/13 und C-418/13, EU:C:2014:2401, Rn. 77; 21. Sep­tem­ber 2016 – C-614/15).

Die Not­wen­dig­keit, die vol­le Wirk­sam­keit ei­nes Ver­bots ei­ner Richt­li­nie zu gewähr­leis­ten, be­deu­tet da­her vor­lie­gend, dass die Kam­mer § 41 S. 3 SGB VI ent­we­der nicht an­wen­det oder den Ge­richts­hof um Vor­ab­ent­schei­dung er­sucht.

Aus der Sicht der Kam­mer be­darf es ei­ner Klärung der Fra­ge, ob die in § 5 Nr. 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung vor­ge­schrie­be­nen Maßnah­men im Hin­blick auf den mit der Rah­men­ver­ein­ba­rung ver­folg­ten Zweck im vor­lie­gen­den Fall er­for­der­lich sind. Der Eu­ropäische Ge­richts­hof hat ei­ne Aus­le­gung zur Ver­ein­bar­keit von § 41 S.3 SGB VI bis­her noch nicht vor­ge­nom­men. Be­steht der Zweck der Richt­li­nie dar­in, miss­bräuch­li­che Mehr­fach­be­fris­tun­gen zu ver­hin­dern, um da­durch ei­ne Pre­ka­ri­sie­rung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses vor­zu­beu­gen, so stellt sich die Fra­ge, ob ei­ne sol­che Pre­ka­ri­sie­rung bei der vor­lie­gen­den Fall­kon­stel­la­ti­on, bei der der Ar­beit­neh­mer die Re­gel­g­ren­ze für den ge­setz­li­chen An­spruch auf Be­zug von Al­ters­ren­te er­reicht hat, ein­schlägig ist. So hat der Ge­richts­hof fest­ge­stellt, dass Klau­seln über die au­to­ma­ti­sche Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses, wenn der Beschäftig­te das Ren­ten­al­ter er­reicht hat, grundsätz­lich nicht als ei­ne übermäßige Be­ein­träch­ti­gung der be­rech­tig­ten In­ter­es­sen der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer an­zu­se­hen sind (EuGH 12. Ok­to­ber 2010 - C-45/09 - [Ro­sen­bladt] Rn. 47).

Klärungs­bedürf­tig ist aus der Sicht der Kam­mer auch die Fra­ge, ob die in § 5 Nr. 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung vor­ge­schrie­be­nen Maßnah­men für die vor­lie­gen­de Fall­kon­stel­la­ti­on des­halb ent­behr­lich sein könn­ten, weil durch die Re­ge­lung des § 41 S. 3 SGB VI ei­nem Ar­beit­neh­mer der Ver­bleib im Ar­beits­verhält­nis ermöglicht wird, der an­sons­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis aus­schei­den müss­te. Die Re­ge­lung des § 41 S. 3 SGB VI ließe sich auch da­hin­ge­hend in­ter­pre­tie­ren, dass hier­durch ein Hin­aus­drängen älte­rer Ar­beit­neh­mer aus dem Ar­beits­verhält­nis durch Be­fris­tung des Ar­beits­verhält­nis­ses auf das Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze ab­ge­mil­dert wird. Ein Ar­beit­neh­mer, der das

 

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Re­gel­al­ter für den Be­zug ei­ner ge­setz­li­chen Al­ters­ren­te er­reicht, un­ter­schei­det sich nämlich nicht nur im Hin­blick auf die so­zia­le Ab­si­che­rung von an­de­ren Ar­beit­neh­mern, son­dern auch da­durch, dass er sich re­gelmäßig am En­de sei­nes Ar­beits­le­bens be­fin­det und er da­mit im Hin­blick auf die Be­fris­tung nicht vor der Al­ter­na­ti­ve ei­nes an­sons­ten un­be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­ses steht, son­dern re­gelmäßig mit der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses die Be­en­di­gung des ak­ti­ven Ar­beits­le­bens ins­ge­samt und da­mit der Ein­tritt in die Ren­te ver­bun­den ist.

Für die Ent­schei­dung des Rechts­streits kommt es auch auf die Aus­le­gung der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf (Richt­li­nie 2000/78/EG) an.

Der Ge­richts­hof hat be­reits fest­ge­stellt, dass Klau­seln über die au­to­ma­ti­sche Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses, wenn der Beschäftig­te das Ren­ten­al­ter er­reicht hat, grundsätz­lich nicht als ei­ne übermäßige Be­ein­träch­ti­gung der be­rech­tig­ten In­ter­es­sen der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer an­zu­se­hen sind (EuGH 12. Ok­to­ber 2010 - C-45/09 - [Ro­sen­bladt] Rn. 47). Ei­ne der­ar­ti­ge Re­ge­lung stel­le nämlich nicht nur auf ein be­stimm­tes Al­ter ab, son­dern berück­sich­ti­ge auch den Um­stand, dass den Be­trof­fe­nen am En­de ih­rer be­ruf­li­chen Lauf­bahn ein fi­nan­zi­el­ler Aus­gleich durch ei­nen Ein­kom­mens­er­satz in Ge­stalt ei­ner Al­ters­ren­te zu­kom­me (vgl. EuGH 21. Ju­li 2011 - C-159/10 und C-160/10 - [Fuchs] Rn. 64 ff., EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2000/78 Nr. 20; 12. Ok­to­ber 2010 - C-45/09 - [Ro­sen­bladt] Rn. 48, aaO). Nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs er­schei­ne es da­her „nicht un­vernünf­tig“, wenn die Stel­len ei­nes Mit­glied­staats annähmen, dass ei­ne Maßnah­me wie die in § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG fest­ge­leg­te Zulässig­keit von Klau­seln über die au­to­ma­ti­sche Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses bei Er­rei­chen des Ren­ten­al­ters des Beschäftig­ten an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sein könne, um die auf­ge­zeig­ten le­gi­ti­men Zie­le der na­tio­na­len Ar­beits- und Beschäfti­gungs­po­li­tik zu er­rei­chen (EuGH 12. Ok­to­ber 2010 - C-45/09 - [Ro­sen­bladt] Rn. 51, aaO; vgl. in die­sem Sin­ne be­reits 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 - [Pa­la­ci­os de la Vil­la] Rn. 72, Slg. 2007, I-8531).

Der Kam­mer er­scheint vor­lie­gend frag­lich, ob die Recht­fer­ti­gungs­gründe für die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze auch auf die Verlänge­rung ei­ner sol­chen Be­fris­tung über­tra­gen wer­den können. Das so­zi­al­po­li­ti­sche Ziel ei­ner Beschäfti­gungs­ver­tei­lung zwi­schen den Ge­ne­ra­tio­nen (vgl. EuGH 12.10.2010 Ro­sen­bladt aaO) wird, wie be­reits dar­ge­legt, durch ein Hin­aus­schie­ben der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nach Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze zwar nicht unmöglich ge­macht, je­doch zeit­lich hin­aus­gezögert.

 

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Der Zweck des § 41 S. 3 SGB VI kann je­doch auch so ver­stan­den wer­den, dass hier­durch ein Hin­aus­drängen älte­rer Ar­beit­neh­mer aus dem Ar­beits­verhält­nis durch Be­fris­tung des Ar­beits­verhält­nis­ses auf das Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze ab­ge­mil­dert wird. An­ders als jünge­re Ar­beit­neh­mer steht ein Ar­beit­neh­mer mit Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze re­gelmäßig vor der Al­ter­na­ti­ve, die­ses Ar­beits­verhält­nis zu verlängern oder ganz aus dem Er­werbs­le­ben aus­zu­schei­den.

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