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Di­gi­ta­le Be­triebs­rats­sit­zung we­gen Co­ro­na-Kri­se

Än­de­rung des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes: Be­triebs­rats­ver­samm­lung jetzt als Vi­deo- oder Te­le­fon­kon­fe­renz mög­lich
Betriebsratssitzung, Versammlung, Konferenz, Meeting

05.10.2020. Der Bun­des­tag hat ein Ge­setz zur Än­de­rung des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes (Be­trVG) an­läss­lich der Co­ro­na-Kri­se be­schlos­sen.

Da­zu wird das oh­ne­hin zur Ver­ab­schie­dung an­ste­hen­de Ge­setz zur För­de­rung der be­ruf­li­chen Wei­ter­bil­dung pp., vom 20.05.2020, als Ge­le­gen­heit ge­nutzt, um ei­nen neu­en Pa­ra­gra­phen in das Be­trVG ein­zu­fü­gen: Für die Dau­er der Co­ro­na-Epi­de­mie sol­len auch di­gi­ta­le Sit­zun­gen des Be­triebs­rats mög­lich sein.

Hin­ter­grund der Ge­set­zes­än­de­rung ist, dass nach der bis­he­ri­gen Fas­sung des Be­trVG di­gi­ta­le Sit­zun­gen un­zu­läs­sig wa­ren. Ge­mäß § 30 Satz 1 und 4 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) fin­den die Sit­zun­gen des Be­triebs­rats in der Re­gel wäh­rend der Ar­beits­zeit statt und sind nicht öf­fent­lich. Er­gän­zend heißt es in § 33 Abs.1 Satz 1 Be­trVG, dass die Be­schlüs­se des Be­triebs­rats „mit der Mehr­heit der Stim­men der an­we­sen­den Mit­glie­der ge­fasst“ wer­den. Für die Be­schluss­fä­hig­keit wie­der­um setzt das Ge­setz vor­aus, dass min­des­tens die Hälf­te der Be­triebs­rats­mit­glie­der an der Be­schluss­fas­sung teil­nimmt (§ 33 Abs.2 Be­trVG).

Die­se Vor­schrif­ten se­hen die meis­ten Ar­beits­recht­ler aus Grund da­für, dass der Be­triebs­rat sei­ne Sit­zun­gen als Prä­senz­sit­zung ab­hal­ten muss, d.h. dass da­zu die Be­triebs­rats­mit­glie­der per­sön­lich an ei­nem Ort bzw. in ei­nem Raum zu­sam­men­kom­men müs­sen, wo sie „die Tü­ren hin­ter sich zu­ma­chen kön­nen“.

Da­her sind Be­schlüs­se im sog. Um­lauf­ver­fah­ren aus­ge­schlos­sen, al­so z.B. durch ei­ne Rund-E-Mail zu ei­nem be­stimm­ten The­ma an al­le Be­triebs­rats­mit­glie­der, die sich dann per E-Mail äu­ßern. Eben­so aus­ge­schlos­sen ist nach herr­schen­der An­sicht ei­ne Be­schluss­fas­sung durch Te­le­fon- oder Vi­deo­kon­fe­renz. Denn so­wohl beim Um­lauf­ver­fah­ren als auch bei ei­ner di­gi­ta­len Un­ter­hal­tung kann die Nicht-Öf­fent­lich­keit der Be­triebs­rats­sit­zung nicht ge­währ­leis­tet wer­den.

Vor dem Hin­ter­grund der ak­tu­el­len Emp­feh­lun­gen, auf­grund der Co­ro­na-Pan­de­mie per­sön­li­che Kon­tak­te wei­test­ge­hend zu ver­mei­den, hat sich Bun­des­ar­beits­mi­nis­ter Heil in ei­ner sog. „Mi­nis­ter­er­klä­rung“ vom 20.03.2020 da­für aus­ge­spro­chen, Be­triebs­rats­sit­zun­gen per Vi­deo- oder Te­le­fon­kon­fe­renz ab­zu­hal­ten. In der Er­klä­rung heißt es:

„Wir sind da­her der Mei­nung, dass in der ak­tu­el­len La­ge, wenn bei­spiels­wei­se die Teil­nah­me an ei­ner Prä­senz­sit­zung zu Ge­fah­ren für das Le­ben oder die Ge­sund­heit der Be­triebs­rats­mit­glie­der führt oder we­gen be­hörd­li­cher An­ord­nun­gen nicht mög­lich ist, auch die Teil­nah­me an ei­ner Be­triebs­rats­sit­zung mit­tels Vi­deo- oder Te­le­fon­kon­fe­renz ein­schließ­lich on­line ge­stütz­ter An­wen­dun­gen wie WebEx Mee­tings oder Sky­pe, zu­läs­sig ist. Dies gilt so­wohl für die Zu­schal­tung ein­zel­ner Be­triebs­rats­mit­glie­der als auch ei­ne vir­tu­el­le Be­triebs­rats­sit­zung. Die Be­schlüs­se, die in ei­ner sol­chen Sit­zung ge­fasst wer­den, sind nach un­se­rer Auf­fas­sung wirk­sam. Weil es ei­ne hand­schrift­lich un­ter­zeich­ne­te An­we­sen­heits­lis­te in solch ei­nem Fall nicht ge­ben kann, soll­te die Teil­nah­me ge­gen­über dem Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den in Text­form, al­so zum Bei­spiel per E-Mail be­stä­tigt wer­den.“

Recht­lich ge­se­hen hat­te die­se "Mi­nis­ter­er­klä­rung" je­doch kei­ne Aus­wir­kung auf die ge­setz­li­che Re­ge­lun­gen. Da­her hat die Gro­ße Ko­ali­ti­on ei­nen Ent­wurf zur Ge­set­zes­än­de­rung auf den Weg ge­bracht. Die­ser soll die Be­schluss­fas­sung und da­mit die Hand­lungs­fä­hig­keit von Be­triebs- und Per­so­nal­rä­ten wäh­rend der Co­ro­na-Epi­de­mie ab­si­chern. Da­durch sol­len Gre­mi­en­sit­zun­gen per Te­le­fon- oder Vi­deo­kon­fe­ren­zen mög­lich sein.

Kon­kret wur­de ein neu­er § 129 in das Be­trVG ein­ge­führt, der wie folgt lau­tet:

„Son­der­re­ge­lun­gen aus An­lass der Co­vid-19-Pan­de­mie

(1) Die Teil­nah­me an Sit­zun­gen des Be­triebs­rats, Ge­samt­be­triebs­rats, Kon­zern­be­triebs­rats, der Ju­gend- und Aus­zu­bil­den­den­ver­tre­tung, der Ge­samt-Ju­gend- und Aus­zu­bil­den­den­ver­tre­tung und der Kon­zern-Ju­gend- und Aus­zu­bil­den­den­ver­tre­tung so­wie die Be­schluss­fas­sung kön­nen mit­tels Vi­deo- und Te­le­fon­kon­fe­renz er­fol­gen, wenn si­cher­ge­stellt ist, dass Drit­te vom In­halt der Sit­zung kei­ne Kennt­nis neh­men kön­nen. Ei­ne Auf­zeich­nung ist un­zu­läs­sig. § 34 Ab­satz 1 Satz 3 gilt mit der Maß­ga­be, dass die Teil­neh­mer ih­re An­we­sen­heit ge­gen­über dem Vor­sit­zen­den in Text­form be­stä­ti­gen. Glei­ches gilt für die von den in Satz 1 ge­nann­ten Gre­mi­en ge­bil­de­ten Aus­schüs­se.

(2) Für die Ei­ni­gungs­stel­le und den Wirt­schafts­aus­schuss gilt Ab­satz 1 Satz 1 und 2 ent­spre­chend.

(3) Ver­samm­lun­gen nach den §§ 42, 53 und 71 kön­nen mit­tels au­dio­vi­su­el­ler Ein­rich­tun­gen durch­ge­führt wer­den, wenn si­cher­ge­stellt ist, dass nur teil­nah­me­be­rech­tig­te Per­so­nen Kennt­nis von dem In­halt der Ver­samm­lung neh­men kön­nen. Ei­ne Auf­zeich­nung ist un­zu­läs­sig.“

Um die von vie­len Be­triebs­rä­ten be­reits on­line ab­ge­hal­te­nen Be­triebs­rats­sit­zun­gen und ih­re Er­geb­nis­se recht­lich ab­zu­si­chern, gilt die­se Re­ge­lung rück­wir­kend ab An­fang März 2020.

In die­ser Wei­se ge­än­dert wur­den auch das Spre­cher­aus­schuss­ge­setz (SprAuG), das die be­trieb­li­che Ver­tre­tung der lei­ten­den An­ge­stell­ten re­gelt, so­wie das Ge­setz über Eu­ro­päi­sche Be­triebs­rä­te (Eu­ro­päi­sche Be­triebs­rä­te-Ge­setz - EBRG).

Die An­pas­sun­gen im Per­so­nal­ver­tre­tungs­recht be­tref­fen nicht nur die Ab­hal­tung von Per­so­nal­rats­sit­zun­gen, son­dern auch die Per­so­nal­rats­wah­len. Die Re­ge­lun­gen zur Ab­hal­tung von On­line-Sit­zun­gen wur­den in ei­nen neu­en § 37 Abs.3 BPers­VG auf­ge­nom­men. Hier heißt es:

„(3) Per­so­nal­rats­mit­glie­der kön­nen mit­tels Vi­deo- oder Te­le­fon­kon­fe­ren­zen an Sit­zun­gen teil­neh­men, wenn

1. vor­han­de­ne Ein­rich­tun­gen ge­nutzt wer­den, die durch die Dienst­stel­le zur dienst­li­chen Nut­zung frei­ge­ge­ben sind,

2. vor­be­halt­lich ei­ner ab­wei­chen­den Re­ge­lung in der Ge­schäfts­ord­nung kein Mit­glied des Per­so­nal­ra­tes un­ver­züg­lich nach Be­kannt­ga­be der Ab­sicht zur Durch­füh­rung der Sit­zung mit­tels Vi­deo- oder Te­le­fon­kon­fe­renz die­sen Ver­fah­ren ge­gen­über dem Vor­sit­zen­den wi­der­spricht und

3. der Per­so­nal­rat ge­eig­ne­te or­ga­ni­sa­to­ri­sche Maß­nah­men trifft, um si­cher­zu­stel­len, dass Drit­te vom In­halt der Sit­zung kei­ne Kennt­nis neh­men kön­nen.

Ei­ne Auf­zeich­nung ist un­zu­läs­sig. Per­so­nal­rats­mit­glie­der, die mit­tels Vi­deo- oder Te­le­fon­kon­fe­renz an Sit­zun­gen teil­neh­men, gel­ten als an­we­send. § 41 Ab­satz 1 Satz 3 fin­det mit der Maß­ga­be An­wen­dung, dass der Vor­sit­zen­de vor Be­ginn der Be­ra­tung die zu­ge­schal­te­ten Per­so­nal­rats­mit­glie­der fest­stellt und in die An­we­sen­heits­lis­te ein­trägt.“

Um die Per­so­nal­rats­wah­len in den Bun­des­be­hör­den im Wahl­jahr 2020 ab­zu­si­chern, kön­nen vor­han­de­ne Per­so­nal­ver­tre­tun­gen bis zum Ab­schluss der Wah­len ge­schäfts­füh­rend im Amt blei­ben. Die ent­spre­chen­de Re­ge­lung gilt rück­wir­kend ab An­fang März 2020. Au­ßer­dem ist ei­ne Brief­wahl an­stel­le ei­ner Prä­senz­wahl mit per­sön­li­cher Stimm­ab­ga­be mög­lich, wenn ei­ne Stimm­ab­ga­be in der Dienst­stel­le nicht si­cher­ge­stellt wer­den kann.

Die Än­de­run­gen des Be­trVG und des BPers­VG sind der­zeit zeit­lich be­grenzt. Die Be­trVG-Än­de­run­gen gel­ten nur bis zum En­de des lau­fen­den Jah­res 2020, die BPers­VG-Än­de­run­gen lau­fen En­de März 2021 aus.

Da­her for­dert der Bun­des­ver­band der Ar­beits­recht­ler in Un­ter­neh­men (BVAU) in ei­nem of­fe­nen Brief an Ar­beits­mi­nis­ter Hu­ber­tus Heil, den § 129 Be­trVG auch über das Jahr 2020 - not­falls er­neut be­fris­tet - zu ver­län­gern. Nach ih­ren An­ga­ben war die Än­de­rung "not­wen­dig und hilf­reich" und die Mög­lich­keit der di­gi­ta­len Be­schluss­be­fas­sung von Be­triebs­rä­ten oder di­gi­ta­le Be­triebs­ver­samm­lun­gen wird viel­fach in Un­ter­neh­men ge­nutzt.

Wei­te­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 16. November 2021

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