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Überstunden kann man schätzen

10.09.2015. Deutsche Arbeitnehmer gehören beim Thema Überstunden im EU-Vergleich zu den Spitzenreitern. Zwei Drittel aller Beschäftigten sitzen regelmäßig länger als vereinbart im Büro.
Dementsprechend oft kommt es zu Lohnklagen, mit denen der klagende Arbeitnehmer Bezahlung von Überstunden verlangt, die Arbeitgeber meist bestreiten.
Hier hilft dem Arbeitnehmer, der die Beweislast für seine behaupteten Überstunden trägt, die Möglichkeit einer gerichtlichen Schätzung, d.h. die Arbeitsgerichte können den Umfang der streitigen Überstunden in bestimmten Fällen schätzen: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.03.2015, 5 AZR 602/13.
- Was müssen Arbeitnehmer vortragen, wenn sie Überstunden erfolgreich einklagen wollen?
- Der Streitfall: Busfahrer verlangt von Arbeitgeber die nachträgliche Vergütung von 649,65 Überstunden
- BAG: Gericht darf Überstunden schätzen, wenn der Arbeitnehmer nicht jede einzelne Überstunde beweisen kann
Was müssen Arbeitnehmer vortragen, wenn sie Überstunden erfolgreich einklagen wollen? 
Im Normalfall ist im Arbeits- oder in einem Tarifvertrag die tägliche und/oder wöchentliche Arbeitszeit festgelegt. Wer auf Anweisung des Arbeitgebers hin länger arbeitet, leistet Überstunden. Sie sind im Allgemeinen zu bezahlen, auch wenn darüber keine vertraglichen Regelungen getroffen wurden, denn schließlich geht man ja zur Arbeit, um Geld zu verdienen.
Grundlage für den Anspruch auf Bezahlung von Überstunden ist dann § 612 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Danach "gilt" eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Eine solche Vergütungserwartung besteht nur in Ausnahmefällen nicht, so z.B. dann, wenn der Arbeitnehmer sehr gut verdient und/oder Dienste "höherer Art" zu erbringen hat und/oder wenn sein Gehalt variable erfolgsabhängige Bestandteile umfasst wie z.B. Verkaufsprovisionen.
Normalverdiener können daher in der Regel vom Arbeitgeber verlangen, dass ihre Überstunden bezahlt werden. Das führt vor Gericht immer wieder zum Streit darüber, ob überhaupt Überstunden geleistet wurden - und wenn ja, wie viele. Hier muss der klagende Arbeitnehmer im Prinzip für jede einzelne Überstunde nachweisen,
- dass er sie geleistet hat (Datum? Uhrzeit? Arbeitsaufgaben?), und
- dass der Arbeitgeber diese Überstunde angeordnet (wie? durch welchen Vorgesetzten?) oder zumindest gekannt und geduldet hat.
An diesen Voraussetzungen scheitern viele Klagen, d.h. der Arbeitgeber kommt oft damit durch, dass er jegliche Mehrarbeit schlicht bestreitet.
Hier hilft dem Arbeitnehmer in manchen Fällen § 287 Zivilprozessordnung (ZPO). Nach Absatz 1 dieser Vorschrift kann das Gericht in Schadensersatzprozessen den Umfang des streitigen Schadens schätzen, und nach § 287 Abs.2 ZPO ist eine solche Schätzung auch bei vertraglichen Ansprüchen ausnahmsweise möglich,
"soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen."
Ist daher unbestritten, dass der Arbeitnehmer Überstunden gemacht hat, ist allerdings streitig, in welchem Umfang, dann kann das Gericht den Umfang der streitigen Überstunden schätzen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist das aber nur dann möglich, wenn der Aufklärungsaufwand vor Gericht wegen der (geringen) Bedeutung der streitigen Überstunden unverhältnismäßig wäre.
In einem aktuellen Urteil hat sich das BAG zugunsten des Arbeitnehmers auf § 287 Abs.2 ZPO berufen und die Bedeutung dieser Vorschrift gestärkt: BAG, Urteil vom 25.03.215, 5 AZR 602/13.
Der Streitfall: Busfahrer verlangt von Arbeitgeber die nachträgliche Vergütung von 649,65 Überstunden 
Im Streitfall war ein Busfahrer befristet für elf Monate bei einem privaten Omnibusunternehmen tätig, und zwar für einen Monatslohn von 1.800,00 EUR brutto. Im Arbeitsvertrag hieß es, der Busfahrer werde "in Vollzeit" tätig beschäftigt. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses klagte er Bezahlung von angeblichen 649,65 Überstunden ein, wobei er seine "vollzeitige" Beschäftigung als 40-Stunden-Woche interpretierte.
Das Arbeitsgericht Dortmund wies die Klage ab (Urteil vom 18.04.2012, 5 Ca 2205/12), wohingegen das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm ihr immerhin im Umfang von 108 Überstunden stattgab (LAG Hamm, Urteil vom 18.04.2013, 8 Sa 1649/12).
Dabei berief sich das LAG auf eine (etwas ungeschickte oder der zivilprozessualen Wahrheitspflicht gehorchende?) Einlassung des verklagten Busunternehmens, dass die Arbeitszeit des Busfahrers "allenfalls 8,5 Stunden pro Tag" betragen habe.
Darauf nagelte das LAG den Arbeitgeber fest, denn immerhin lag dieser Aussage eine konkrete Betrachtung der täglichen Fahrttouren, der Rüstzeiten usw. zugrunde. Dass der Arbeitgeber sie ganz zuletzt widerrief, ließ das LAG nicht gelten, denn diesen Rückzieher hätte der Arbeitgeber mit Rechenfehlern oder dgl. konkret begründen müssen.
Der Busfahrer seinerseits machte sich die Behauptung von 8,5 Arbeitsstunden pro Tag "hilfsweise zu eigen", d.h. er berief sich ebenfalls darauf. Auf dieser Grundlage "schätzte" das LAG den Mindestumfang der Überstunden unter Berufung auf § 287 Abs.2 ZPO mit 0,5 Stunden pro Arbeitstag, woraus sich 108 zu bezahlende Überstunden errechneten.
BAG: Gericht darf Überstunden schätzen, wenn der Arbeitnehmer nicht jede einzelne Überstunde beweisen kann 
Das BAG wies die Revision des Busunternehmens zurück und segnete auch die Begründung des LAG ab, wonach im hier im Streitfall von einer 40-Stunden-Woche auszugehen war und 0,5 Überstunden pro Tag unstreitig blieben.
Die Kernaussage der Entscheidung, die das BAG in Übereinstimmung mit älteren Urteilen formuliert, lautet (Urteil, Randnr.21):
"Nach diesen Grundsätzen kommt eine „Überstundenschätzung“ in Betracht, wenn aufgrund unstreitigen Parteivorbringens, eigenem Sachvortrag des Arbeitgebers oder dem vom Tatrichter nach § 286 Abs.1 ZPO für wahr erachteten Sachvortrag des Arbeitnehmers feststeht, dass Überstunden geleistet wurden, weil die dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewiesene Arbeit generell oder zumindest im Streitzeitraum nicht ohne die Leistung von Überstunden zu erbringen war. Kann in einem solchen Falle der Arbeitnehmer nicht jede einzelne Überstunde belegen (etwa weil zeitnahe Arbeitszeitaufschriebe fehlen, überhaupt der Arbeitgeber das zeitliche Maß der Arbeit nicht kontrolliert hat oder Zeugen nicht zur Verfügung stehen), kann und muss der Tatrichter nach pflichtgemäßen Ermessen das Mindestmaß geleisteter Überstunden schätzen, sofern dafür ausreichende Anknüpfungstatsachen vorliegen. Jedenfalls ist es nicht gerechtfertigt, dem aufgrund des vom Arbeitgeber zugewiesenen Umfangs der Arbeit im Grundsatz berechtigten Arbeitnehmer jede Überstundenvergütung zu versagen (vgl. BAG 21. Mai 1980 - 5 AZR 194/78 - zu 4 a der Gründe; BGH 17. Dezember 2014 - VIII ZR 88/13 - Rn. 46)."
Und da hier im Streitfall die Leistung von mindestens 8,5 Arbeitsstunden aufgrund der Einlassung des Arbeitgebers unstreitig war, war die vom LAG vorgenommene Schätzung von 0,5 Überstunden pro Tag in Ordnung, so das BAG.
Kritisch ist anzumerken, dass es im vorliegenden Fall gar nichts zu "schätzen" gab, weil der Arbeitgeber die Ableistung von 8,5 Arbeitsstunden pro Tag zugestanden hatte. In diesem Umfang war nämlich das Vorbringen des Arbeitnehmers, er habe ständig erheblich länger als 8 Stunden pro Tag gearbeitet, nicht bestritten worden und damit als unstreitig anzusehen (§ 138 Abs.3 ZPO). Im Ergebnis war die Berufung des LAG Hamm und des BAG auf § 287 Abs.2 ZPO überflüssig, d.h. auf diese ZPO-Vorschrift kam es letztlich gar nicht an.
Fazit: Obwohl die Aussagen des BAG zu § 287 Abs.2 ZPO für den Streitfall genau genommen unerheblich sind, sind sie ein Signal für die Arbeitsgerichte, bei der Schätzung von Überstunden großzügiger zu verfahren als es dem Wortlaut der Vorschrift entspricht. Denn laut BAG kann bereits dann eine Schätzung vorgenommen werden, wenn "feststeht, dass Überstunden geleistet wurden", z.B. weil die Arbeitsmenge in der regulären Arbeitszeit nicht zu bewältigen ist.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.03.2015, 5 AZR 602/13
- Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 18.04.2013, 8 Sa 1649/12
- Arbeitsgericht Dortmund, Urteil vom 18.04.2012, 5 Ca 2205/12
- Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertrag und allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) - Überstundenregelung
- Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitszeit und Arbeitszeitrecht
- Handbuch Arbeitsrecht: Lohnklage
- Handbuch Arbeitsrecht: Überstunden, Mehrarbeit
- Arbeitsrecht aktuell: 20/073 Freistellung unter Anrechnung von Urlaub
- Arbeitsrecht aktuell: 20/001 Europarecht und Mitbestimmung bei der Arbeitszeiterfassung
- Arbeitsrecht aktuell: 19/128 Nachweis der Arbeitsleistung vor Gericht
- Arbeitsrecht aktuell: 19/116 Pflicht zur Arbeitszeiterfassung
- Arbeitsrecht aktuell: 12/149 Bei Überstundenklagen sind Überstunden konkret nachzuweisen
- Arbeitsrecht aktuell: 12/019 Überstunden - Duldung durch Führungskraft genügt
- Arbeitsrecht aktuell: 11/250 Überstunden: Bezahlung nicht immer erforderlich - Berliner Anwalt scheitert vor dem BAG
- Arbeitsrecht aktuell: 11/010 Keine pauschale Abgeltung „erforderlicher Überstunden“ mit dem Gehalt
Letzte Überarbeitung: 15. Juli 2020
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