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Tarifliche Unkündbarkeit und Altersdiskriminierung
17.01.2014. Viele Arbeitnehmer sind aufgrund eines Tarifvertrags ordentlich unkündbar, wenn sie ein bestimmtes Lebensalter erreicht haben und eine bestimmte Mindestzeit im Betrieb beschäftigt sind.
Solche tariflichen Unkündbarkeitsregelungen helfen vor allem bei betriebsbedingten Kündigungswellen, da die unkündbaren Arbeitnehmer dann von vornherein vor einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung sicher sind.
Diese Sicherheit besteht aber aufgrund des Verbots der altersbedingten Diskriminierung dann nicht, wenn eine Sozialauswahl zwischen dem Unkündbaren und vergleichbaren "normalen" Arbeitnehmern grob fehlerhaft wäre: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.06.2013, 2 AZR 295/12.
- Tarifliche Unkündbarkeit oder Verbot der Altersdiskriminierung - was geht vor?
- Der Fall des BAG: Tariflich unkündbarer Arbeitnehmer wird außerordentlich und hilfsweise ordentlich gekündigt, jeweils aus betriebsbedingten Gründen
- BAG: Sieht ein Tarifvertrag die Unkündbarkeit ab einem bestimmten Alter vor, muss er grobe Auswahlfehler bei der Sozialauswahl zulasten jüngerer Arbeitnehmer ausschließen
Tarifliche Unkündbarkeit oder Verbot der Altersdiskriminierung - was geht vor?
Tarifvertraglich festgelegte Unkündbarkeitsregelungen können bei größeren betriebsbedingten Entlassungswellen dazu führen, dass ein Arbeitnehmer, der aufgrund seines vorgerückten Alters und seiner langen Betriebszugehörigkeit unkündbar ist, seinen Job behalten darf, während ein nur ein oder zwei Jahre jüngerer Kollege betriebsbedingt gekündigt wird, obwohl er deutlich länger im Betrieb beschäftigt ist und eine höhere Belastung mit Unterhaltspflichten aufweist, so dass er bei einer Sozialauswahl mit seinem unkündbaren Kollegen als schutzbedürftiger anzusehen wäre.
Aus Sicht des betriebsbedingt gekündigten, aber "eigentlich" sozial schutzbedürftigeren Arbeitnehmers ist das ein Fall von altersbedingter Diskriminierung:
Gäbe es die tarifliche Unkündbarkeit nicht und wäre dort nicht eine Altersgrenze festgelegt, die er um einige wenige Jahre oder Monate verfehlt, wäre nicht ihm gekündigt worden. Gekündigt worden wäre aufgrund der Sozialauswahl seinem ein oder zwei Jahre älteren, insgesamt aber deutlich weniger schutzbedürftigen Kollegen. Diese Benachteiligung liegt allein am Lebensalter.
Nun verbieten das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und die hinter ihm stehende EU-Richtlinie, die Richtlinie 2000/78/EG, altersbedingte Ungleichbehandlungen nicht ohne jede Ausnahme. Vielmehr erlauben sie es unter bestimmten Voraussetzungen, Arbeitnehmer wegen ihres jungen oder vorgerückten Lebensalters besser oder schlechter als vergleichbare Arbeitnehmer zu behandeln, wenn es dafür triftige Sachgründe gibt.
Konkret muss eine altersbedingte Ungleichbehandlung gemäß § 10 Sätze 1 und 2 AGG "objektiv und angemessen" und "durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt" sein. Außerdem müssen die Mittel zur Erreichung dieses Ziels "angemessen und erforderlich" sein.
Fraglich ist, unter welchen Voraussetzungen tarifvertragliche Unkündbarkeitsregelungen unter diese Erlaubnis fallen, d.h. bis zu welcher Grenze der Schutz älterer Arbeitnehmer vor ordentlichen betriebsbedingten Kündigungen gehen kann. Zu dieser Frage hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinem Urteil vom 20.06.2013 (2 AZR 295/12) geäußert.
Der Fall des BAG: Tariflich unkündbarer Arbeitnehmer wird außerordentlich und hilfsweise ordentlich gekündigt, jeweils aus betriebsbedingten Gründen
Im Streitfall kündigte ein Aluminium verarbeitendes Unternehmen mit mehr als zehn Arbeitnehmern im August 2009 einem Maschinenschlosser, der zum Kündigungszeitpunkt 53 Jahre alt war, seit über 34 Jahren im Betrieb beschäftigt war und für eine unterhaltsberechtigte Person zu sorgen hatte. Hintergrund der Kündigung war eine betriebsbedingte Entlassungswelle.
Auf das Arbeitsverhältnis war der Manteltarifvertrag für Beschäftigte zum ERA-Tarifvertrag Metall- und Elektroindustrie Südwürttemberg-Hohenzollern vom 14.06.2005 (MTV) anzuwenden. Dieser enthält in § 4.4 Satz 1 folgende Regelung:
"Einem Beschäftigten, der das 53., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet hat und dem Betrieb mindestens drei Jahre angehört, kann nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden."
Aufgrund dieser Regelung sprach der Arbeitgeber eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit einer Auslauffrist zu Ende März 2010 aus. Hilfsweise (für den Fall der Unwirksamkeit dieser Kündigung) sprach er eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung zu Ende März 2010 aus.
Aus Sicht des Arbeitgebers konnte er den gekündigten Schlosser überhaupt nicht mehr einsetzen, da er aufgrund gesundheitlicher Probleme nur tagsüber arbeiten konnte. Das aber passte nicht oder nur schlecht in das Schichtsystem des Arbeitgebers.
Allein mit solchen Problemchen lässt sich die außerordentliche (!) betriebsbedingte Kündigung eines tariflich unkündbaren Arbeitnehmers aber nicht begründen, da hierfür ein "wichtiger Grund" im Sinne von § 626 Abs.1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erforderlich ist. Für die Wirksamkeit einer solchen Kündigung müsste das Arbeitsverhältnis nach der Rechtsprechung "sinnentleert", d.h. der Leistungsaustausch dauerhaft unmöglich sein. Davon konnte hier nicht wirklich die Rede sein.
Aber mit seiner ordentlichen betriebsbedingten Kündigung hatte der Arbeitgeber ja noch einen zweiten Pfeil im Köcher, nur dass eine solche (ordentliche) Kündigung § 4.4 Satz 1 MTV ja ausgeschlossen war. An dieser Stelle argumentierte der Arbeitgeber, dass § 4.4 Satz 1 altersdiskriminierend sei und daher gemäß § 7 AGG in Verbindung mit 134 BGB nichtig.
Das mit dem Fall befasste Arbeitsgericht Ulm - Kammern Ravensburg (Urteil vom 14.09.2010, 8 Ca 525/09) und das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg überzeugte das nicht (Urteil vom 9.12.2011, 20 Sa 85/10). Sie gaben dem Arbeitnehmer Recht.
BAG: Sieht ein Tarifvertrag die Unkündbarkeit ab einem bestimmten Alter vor, muss er grobe Auswahlfehler bei der Sozialauswahl zulasten jüngerer Arbeitnehmer ausschließen
Auch das BAG entschied gegen den Arbeitgeber, der damit über drei Instanzen verloren hatte. In der Begründung heißt es:
§ 4.4 Satz 1 MTV ist durch ein legitimes sozialpolitisches Ziel gerechtfertigt, nämlich durch den Schutz älterer Arbeitnehmer vor betriebsbedingten Kündigungen, so das BAG. Und auch die anderen Voraussetzungen von § 10 Sätze 1 und 2 AGG sind hier erfüllt, vorausgesetzt, die tarifliche Unkündbarkeitsregelung wird in einer "gesetzes- und verfassungskonformen sowie an ihrem Sinn und Zweck orientierten" Weise ausgelegt (Urteil, Rn.41).
Diese "Auslegung" besagt, dass die Unkündbarkeitsregelung bei einer Auswahlentscheidung, wie sie bei Entlassungswellen zwischen verschiedenen möglichen Kündigungskandidaten vorzunehmen ist, nicht zu einer grob fehlerhaften Sozialauswahl führen darf. Als Beispiel nennt das BAG hier den denkbaren Fall,
"dass ein 50 Jahre alter, seit 25 Jahren im Betrieb beschäftigter Arbeitnehmer, der zwei Personen zum Unterhalt verpflichtet ist, seinen Arbeitsplatz zugunsten eines seit drei Jahren beschäftigten, 53 Jahre alten, nicht unterhaltsverpflichteten Arbeitnehmers verliert." (Rn.49).
Eine solche Wirkung der Unkündbarkeitsregelung bei einer konkreten Auswahlentscheidung wäre nicht mehr durch § 10 Sätze 1 und 2 AGG gedeckt. Daher müsste in einer solchen Auswahl- bzw. Konfliktsituation die Unkündbarkeitsregelung zurücktreten, so dass ein nach den Buchstaben des Tarifvertrags ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer letztlich doch ordentlich kündbar ist.
Dass der hier anwendbare § 4.4 Satz 1 MTV eine solche Einschränkung nicht enthält, macht nach Ansicht der Erfurter Richter nichts (Rn.53). Offen bleibt, ob das BAG hier eine Art ungeschriebene Ausnahme im Wege der Auslegung in den Tarifvertrag "hineinliest" oder aber der Meinung ist, dass die tarifliche Unkündbarkeitsregelung "unangewendet" blieben muss, wenn sie in einem extremen Fall zu einer grob fehlerhafte Sozialauswahl führen würde.
Ob einschränkende Tarifauslegung oder Anwendungsgrenze: Im vorliegenden Fall hatte der beklagte Arbeitgeber von alldem nichts, denn der gekündigte Arbeitnehmer war ja nicht nur 53 Jahre alt, sondern auch 34 Jahre im Betrieb beschäftigt und hatte Unterhaltspflichten. Außerdem hatte der Arbeitgeber keinen vergleichbaren Arbeitnehmer genannt, der mit dem gekündigten Schlosser vergleichbar und extrem schutzbedürftiger wäre.
Fazit: Tarifliche Unkündbarkeitsvorschriften sind auch dann keine unzulässige Altersdiskriminierung, wenn sie praktisch allein auf das Alter abstellen und andere Faktoren ausblenden. Allerdings steht ihre Anwendung auf betriebsbedingte Kündigungen im Einzelfall unter dem ungeschriebenen Vorbehalt, dass die Sozialauswahl zwischen unkündbaren und ordentlich kündbaren Arbeitnehmern nicht grob fehlerhaft ist. Zur Vermeidung einer groben Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl kann (und muss) der Arbeitgeber die tarifliche Unkündbarkeitsregelung "unangewendet" lassen.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.06.2013, 2 AZR 295/12
- Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 9.12.2011, 20 Sa 85/10
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Alter
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Außerordentliche Kündigung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Betriebsbedingte Kündigung
- Handbuch Arbeitsrecht: Sozialauswahl
- Handbuch Arbeitsrecht: Unkündbarkeit
- Arbeitsrecht aktuell: 19/197 Interner Arbeitsmarkt statt Kündigungsschutz?
- Arbeitsrecht aktuell: 13/351 Kündigung wegen Betriebsschließung - Schließung einer Krankenkasse
- Arbeitsrecht aktuell: 12/147 Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung
Letzte Überarbeitung: 30. August 2019
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