HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

ArbG Ber­lin, Ur­teil vom 30.07.2009, 33 Ca 5772/09

   
Schlagworte: Diskriminierung: Weltanschauung
   
Gericht: Arbeitsgericht Berlin
Aktenzeichen: 33 Ca 5772/09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 30.07.2009
   
Leitsätze:

Eine unterschiedliche Behandlung einer Bewerberin oder eines Bewerbers wegen eines absehbaren Konflikts mit langjährig Beschäftigten, der sich an der früheren Tätigkeit der Bewerberin oder des Bewerbers für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik entzündet, ist keine (unerlaubte) Benachteiligung wegen der Weltanschauung.

Vorinstanzen:
   

Ar­beits­ge­richt Ber­lin


Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)
33 Ca 5772/09


Verkündet

am 30.07.2009

 


als Ur­kunds­be­am­ter/in
der Geschäfts­stel­le
 


Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil

 

 

 

In Sa­chen

pp


hat das Ar­beits­ge­richt Ber­lin, 33. Kam­mer, auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 30.07.2009
durch die Rich­te­rin am Ar­beits­ge­richt Dr. H. als Vor­sit­zen­de
so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herr G. und Frau J.
für Recht er­kannt:

I.
Die Kla­ge wird ab­ge­wie­sen.


II.
Die Kos­ten des Rechts­streits wer­den der Kläge­rin auf­er­legt.


III.
Der Wert des Streit­ge­gen­stan­des wird auf 8.100,00 EUR fest­ge­setzt.

 

 

 

 

 

 

2

 

T a t b e s t a n d

Die Par­tei­en strei­ten über ei­nen An­spruch der Kläge­rin auf Scha­dens­er­satz und/oder Entschädi­gung we­gen Be­nach­tei­li­gung bei der Ein­stel­lung auf­grund der Welt­an­schau­ung.

Die … ge­bo­re­ne Kläge­rin war von 1974 bis 1990 beim Mi­nis­te­ri­um für Staats­si­cher­heit (MfS) der sei­ner­zei­ti­gen Deut­schen De­mo­kra­ti­schen Re­pu­blik (DDR) als Se­kretärin beschäftigt und in der tech­ni­schen Ab­tei­lung der Sport­ver­ei­ni­gung D. (SV D.) in Ber­lin-H. tätig. Auf­ga­be der tech­ni­schen Ab­tei­lung des SV D. war es, für die schnel­le und rei­bungs­lo­se Präsen­ta­ti­on der Trai­nings- und Wett­kampf­er­geb­nis­se auf den An­zei­ge­ta­feln der Sportstätten zu sor­gen.

Vom 23. Ju­li 2008 bis zum 31. Ja­nu­ar 2009 war die Kläge­rin als Leih­ar­beit­neh­me­rin der Fir­ma A im Se­kre­ta­ri­at des Vor­stan­des der Be­klag­ten, der Kas­senärzt­li­chen Ver­ei­ni­gung B, als Se­kretärin ein­ge­setzt. Die Be­klag­te beschäftigt et­wa 360 Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer.

Im Ok­to­ber 2008 spra­chen die Kläge­rin und die Vor­stands­vor­sit­zen­de der Be­klag­ten, Frau C, die in den 60er Jah­ren selbst Tur­ne­rin beim SV D. war und der die Tätig­keit der Kläge­rin für den MfS aus vor­an­ge­gan­ge­nen Gesprächen be­kannt war, über ei­ne mögli­che Über­nah­me der Kläge­rin. Ob Frau C die Kläge­rin hier­auf an­sprach oder ob die Kläge­rin selbst In­ter­es­se an ei­ne Über­nah­me äußer­te, ist zwi­schen den Par­tei­en strei­tig. Am 5. No­vem­ber 2008 wand­te sich die Be­klag­te an die Fir­ma A um zu klären, ob im Fall der Kläge­rin ei­ne pro­vi­si­ons­freie Über­nah­me vor Ab­lauf der 12-Mo­nats-Frist möglich ist. Die Fir­ma erklärte sich mit ei­ner Über­nah­me der Kläge­rin frühes­tens ab dem 1. Fe­bru­ar 2009 un­ter der Prämis­se von Fol­ge­aufträgen bei ent­spre­chen­dem Per­so­nal­be­darf ein­ver­stan­den. Dar­auf­hin bat die Ab­tei­lungs­lei­te­rin Per­so­nal der Be­klag­ten, Frau D, die Kläge­rin um Ein­rei­chung ih­rer Per­so­nal­un­ter­la­gen. Am 10. No­vem­ber 2008 überg­ab die Kläge­rin u. a. ih­ren Le­bens­lauf (Bl. 11 ff. d. A.) und ei­nen aus­gefüll­ten Per­so­nal­fra­ge­bo­gen (Bl. 14 ff. d. A.). Frau D teil­te der Kläge­rin mit, sie wer­de in­for­miert, wann die Ein­stel­lungs­un­ter­su­chung durch den Be­triebs­arzt statt­fin­de. So­bald die Un­ter­su­chung er­folgt sei, würden die Un­ter­la­gen dem Per­so­nal­rat und nach des­sen Zu­stim­mung dem Vor­stand vor­ge­legt.

Am 28. No­vem­ber 2008 kam es zwi­schen der Kläge­rin und ei­ner Kol­le­gin Frau E, die seit dem 1. Au­gust 1995 bei der Be­klag­ten beschäftigt ist und seit­dem stets im Se­kre­ta­ri­at des

3

Vor­stan­des tätig war, zu ei­nem Eklat we­gen der frühe­ren Tätig­keit der Kläge­rin für das MfS. Frau E äußer­te ge­genüber der Kläge­rin:

„Mit Ih­nen spre­che ich pri­vat kein Wort mehr. Ich ha­be von Ih­nen was im In­ter­net er­fah­ren. Sie sind für mich der Ab­schaum der Ge­sell­schaft.“

An­sch­ließend ver­ließ sie den Raum. Frau E ver­ur­teilt die Tätig­keit der Kläge­rin für das MfS. Ob sie selbst Be­trof­fe­ne ist, ist nicht geklärt.

Am 18. De­zem­ber 2008 er­stat­te­te die Kläge­rin ge­gen Frau E Straf­an­zei­ge we­gen Be­lei­di­gung. Ob das Verhält­nis zwi­schen Frau E und der Kläge­rin be­reits vor dem Eklat mit Span­nun­gen und Kon­flik­ten be­las­tet war oder ob sich das Verhält­nis erst ab­gekühlt hat­te, nach­dem Frau E von der Tätig­keit der Kläge­rin für das MfS er­fah­ren hat­te, ist zwi­schen den Par­tei­en strei­tig. Fer­ner ist strei­tig, ob Frau C und/oder Frau D die Kläge­rin dar­in bestärkt hat­ten, Straf­an­zei­ge ge­gen Frau E zu er­stat­ten.

Am 18./19. De­zem­ber 2008 ent­schied der Vor­stand der Be­klag­ten, von ei­ner Über­nah­me der Kläge­rin Ab­stand zu neh­men und die Tätig­keit der Kläge­rin mit dem 31. Ja­nu­ar 2009 zu be­en­den. Vom 13. bis zum 23. Ja­nu­ar 2009 war die Kläge­rin auf Kos­ten der Be­klag­ten von ih­rem Ein­satz frei­ge­stellt. An­sch­ließend hat­te sie Ur­laub.

Mit an­walt­li­chem Schrei­ben vom 9. Fe­bru­ar 2008 (Bl. 18 ff. d. A.) mach­te die Kläge­rin ge­genüber der Be­klag­ten Scha­dens­er­satz in Höhe von 8.100,00 EUR ba­sie­rend auf ei­nem hy­po­the­ti­schen Ge­halt von 2.700,00 EUR brut­to mo­nat­lich gel­tend.

Mit der beim Ar­beits­ge­richt Ber­lin am 25. März 2009 ein­ge­gan­ge­nen, der Be­klag­ten am 2. April 2009 zu­ge­stell­ten Kla­ge ver­folgt die Kläge­rin den gel­tend ge­mach­ten An­spruch wei­ter.

Die Kläge­rin stützt den An­spruch auf § 15 AGG bzw. § 15 AGG ana­log i. V. m. Ar­ti­kel 3 GG und dem ar­beits­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­satz. Sie meint, sie sei von der Be­klag­ten letzt­lich we­gen ih­rer frühe­ren Tätig­keit für das MfS als Aus­fluss ih­rer da­ma­li­gen Welt­an­schau­ung des Mar­xis­mus-Le­ni­nis­mus, die sich in ih­rer Tätig­keit für den MfS ma­ni­fes­tiert ha­be, nicht über­nom­men wor­den. Dar­in lie­ge ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen der Welt­an­schau­ung i. S. d. § 1 AGG. Sie trägt vor, sämt­li­che Mit­ar­bei­ter, ins­be­son­de­re die haupt­amt­li­chen Mit­ar­bei­ter des MfS hätten sich voll und ganz mit dem kom­mu­nis­ti­schen/so­zia­lis­ti­schen Sys­tem des Mar­xis­mus-Le­ni­nis­mus iden­ti­fi­zie­ren müssen. Das MfS ha­be sich im Kampf des Pro­le­ta­ri­ats ge­gen den Ka­pi­ta­lis­mus und für den Mar­xis­mus-Le­ni­nis­mus als Schild und Schwert der So­zia­lis­ti­schen Ein­heits­par­tei Deutsch­lands (SED) gefühlt und sei von die­ser auch so be­zeich­net wor­den. Je­der Bürger,

4

der ei­ne ab­wei­chen­de Mei­nung geäußert ha­be, sei als Geg­ner der Par­tei und Feind der DDR an­ge­se­hen wor­den. Als Or­ga­ni­sa­ti­on mit dem höchs­ten Si­cher­heits­an­spruch in der DDR ha­be das MfS bei der Aus­wahl späte­rer haupt­amt­li­cher Mit­ar­bei­ter de­ren po­li­ti­scher Zu­verlässig­keit höchs­te Be­deu­tung bei­ge­mes­sen. Man ha­be sog. so­zi­al­po­li­ti­sche Persönlich­kei­ten mit ei­nem kla­ren Klas­sen­stand­punkt ge­sucht und über­wie­gend Kin­der von be­reits beschäftig­ten Mit­ar­bei­tern ein­ge­stellt, weil man da­von aus­ge­gan­gen sei, dass bei die­sen die ge­for­der­te po­li­ti­sche Über­zeu­gung und ein Verständ­nis für Ge­heim­hal­tung und ständi­ge Dienst­be­reit­schaft am ehes­ten vor­han­den sei. Noch vor ei­nem ers­ten of­fe­nen Wer­be­gespräch sei­en die Aspi­ran­ten gründ­lichst durch­leuch­tet wor­den. Dies ha­be die Sich­tung der Schul­ka­derak­te, Be­fra­gun­gen des Lehrkörpers und an­de­rer in der Er­zie­hung täti­ger Per­so­nen, die Über­prüfung der ge­sell­schaft­li­chen Ak­ti­vitäten und die vollständi­ge Über­prüfung des ge­sam­ten Um­gangs bis hin zur Be­fra­gung der Nach­bar­schaft um­fasst. Wei­ter hätten die Be­trof­fe­nen ei­ne Ver­schwie­gen­heits­erklärung un­ter­schrei­ben müssen, de­ren Nicht­ein­hal­tung ein Ver­fah­ren we­gen Lan­des­ver­rats nach sich ge­zo­gen ha­be. Im Fall ei­ner Ab­leh­nung sei es vor­ge­kom­men, dass be­ruf­li­che und ge­sell­schaft­li­che Nach­tei­le in Aus­sicht ge­stellt wor­den sei­en. Ei­ne Mit­glied­schaft in der SED sei für die Tätig­keit für das MfS in der Re­gel eben­falls un­ab­ding­ba­re Vor­aus­set­zung ge­we­sen.

Zwi­schen ihr und Frau E ha­be ein gu­tes bis freund­schaft­li­ches Verhält­nis be­stan­den. Die­ses sei erst ab­gekühlt, nach­dem Frau E Kennt­nis von ih­rer frühe­ren Tätig­keit für das MfS er­langt ha­be. Nach dem Eklat am 28. No­vem­ber 2008 ha­be Frau C sie ge­fragt, wie sie sich fühle. Als sie dar­auf ge­ant­wor­tet ha­be, sie über­le­ge, ob sie Straf¬nzei­ge er­stat­ten sol­le, ha­be Frau C sinn­gemäß geäußert, dass dies ihr gu­tes Recht sei. Frau D ha­be sinn­gemäß geäußert, dass sie sich das an ih­rer Stel­le eben­falls nicht ge­fal­len las­sen würde. Die Kläge­rin meint, die Be­klag­te sei ver­pflich­tet ge­we­sen, ge­gen Frau E mit ar­beits­recht­lich zulässi­gen Mit­teln bis hin zur Ab­mah­nung, Ver­set­zung und Kündi­gung vor­zu­ge­hen. Zu­min­dest aber sei sie ver­pflich­tet ge­we­sen zu ver­su­chen, den Kon­flikt in ei­nem ge­mein­sa­men Gespräch aus­zuräum­en, um ei­ne wei­te­re Zu­sam­men­ar­beit zu ermögli­chen. Statt­des­sen ha­be es der Be­klag­ten aus­ge-reicht, dass Frau E ei­ne Zu­sam­men­ar­beit mit ihr ab­lehnt, und sich kom­men­tar­los auf die Sei­te von Frau E ge­stellt.

Die Kläge­rin be­an­tragt,


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin 8.100,00 EUR nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit Rechtshängig­keit zu zah­len.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

5

Die Be­klag­te trägt vor, sie ha­be von der Über­nah­me der Kläge­rin Ab­stand ge­nom­men, um den Be­triebs­frie­den nicht zu gefähr­den. Be­reits vor der Aus­ein­an­der­set­zung am 28. No­vem­ber 2008 sei das Verhält­nis zwi­schen der Kläge­rin und Frau E im­mer wie­der mit Span­nun­gen und Kon­flik­ten be­las­tet ge­we­sen. Die Si­tua­ti­on ha­be sich suk­zes­si­ve auf­ge­baut. Nach der Aus­ein­an­der­set­zung sei klar ge­we­sen, dass Frau E ei­ne Zu­sam­men­ar­beit mit der Kläge­rin ab­leh­ne. Ei­ne dau­er­haf­te, aus ar­beits­or­ga­ni­sa­to­ri­schen Gründen nicht ver­meid­ba­re Zu­sam­men­ar­beit sei des­halb aus­sichts­los und nicht zu ver­ant­wor­ten ge­we­sen. Außer­dem sei da­mit zu rech­nen ge­we­sen, dass der Per­so­nal­rat sei­ne Zu­stim­mung zu ei­ner Über­nah­me der Kläge­rin ver­wei­gern würde. Der Kon­flikt sei dem Per­so­nal­rat nicht ver­bor­gen ge­blie­ben. Die­ser ha­be sich da­hin po­si­tio­niert, sich vor­ran­gig für die In­ter­es­sen der be­reits beschäftig­ten Mit­ar­bei­ter ein­zu­set­zen und den Be­triebs­frie­den zu gewähr­leis­ten. Spätes­tens nach der Er­stat­tung der Straf­an­zei­ge sei die At­mo­sphäre im Se­kre­ta­ri­at des Vor­stan­des ir­re­pa­ra­bel zerstört ge­we­sen. We­der Frau C noch Frau D hätten die Kläge­rin dar­in bestärkt, Straf­an­zei­ge zu er­stat­ten. Sie hätten ihr we­der zu­ge­ra­ten noch ab­ge­ra­ten, son­dern sich ins­ge­samt neu­tral ver­hal­ten.

Die Be­klag­te meint, ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen der Welt­an­schau­ung kom­me schon des­halb nicht in Be­tracht, weil die Tätig­keit für das MfS kei­ne Welt­an­schau­ung i. S. d. § 1 AGG sei. Glei­ches gel­te für die po­li­ti­sche Über­zeu­gung des Mar­xis­mus-Le­ni­nis­mus. Außer­dem ha­be die Kläge­rin in kei­ner Wei­se dar­ge­legt, dass sie tatsächlich Anhänge­rin des Mar­xis­mus-Le­ni­nis­mus sei, son­dern le­dig­lich dar­auf ver­wie­sen, dass ei­ne Tätig­keit für das MfS oh­ne die­se Über­zeu­gung nicht denk­bar sei. Je­den­falls aber sei die Ent­schei­dung, von der Über­nah­me der Kläge­rin Ab­stand zu neh­men, ge­recht­fer­tigt. Es sei nicht zu be­an­stan­den, dass sie den Be­triebs­frie­den, der durch die Kläge­rin kon­kret gefähr­det ge­we­sen sei, zum An­lass ge­nom­men ha­be, sich ge­gen die Kläge­rin zu ent­schei­den.

We­gen des wei­te­ren Vor­brin­gens der Par­tei­en und den von ih­nen geäußer­ten Rechts­an­sich­ten wird auf die zwi­schen ih­nen ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst de­ren An­la­gen so­wie auf die Pro­to­kol­le der Güte- und Kam­mer­ver­hand­lung Be­zug ge­nom­men.

 

 

6


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die Kla­ge hat kei­nen Er­folg.

I.

Die Kla­ge ist zulässig, je­doch nicht be­gründet. Die Kläge­rin hat ge­gen die Be­klag­te kei­nen An­spruch auf Zah­lung von Scha­dens­er­satz oder ei­ner Entschädi­gung we­gen dis­kri­mi­nie­ren­der Nicht­ein­stel­lung. Ein sol­cher An­spruch er­gibt sich we­der un­mit­tel­bar aus § 15 AGG in Ver­bin­dung mit den wei­te­ren Vor­schrif­ten des all­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes, noch aus § 15 AGG ana­log i. V. m. Ar­ti­kel 3 GG und dem ar­beits­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­satz, noch aus an­de­ren recht­li­chen Ge­sichts­punk­ten.

1.
Ein An­spruch auf Scha­dens­er­satz und/oder Entschädi­gung nach § 15 AGG be­steht nicht.

Nach § 15 Abs. 1 AGG i. V. m. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG ha­ben Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber, die un­ter Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 Abs. 1 i. V. m. § 1 AGG nicht ein­ge­stellt wor­den sind, ge­gen den zukünf­ti­gen Ar­beit­ge­ber ei­nen An­spruch auf Er­satz des ih­nen hier­durch ent­stan­de­nen Scha­dens, es sei denn, der Ar­beit­ge­ber hat den Ver­s­toß nicht zu ver­tre­ten. Darüber hin­aus ha­ben sol­che Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber nach § 15 Abs. 2 AGG we­gen ei­nes Scha­dens, der nicht Vermögens­scha­den ist, ei­nen An­spruch auf ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung in Geld. Vor­lie­gend schei­det ein An­spruch auf ma­te­ri­el­len Scha­dens­er­satz nach § 15 Abs. 1 AGG schon des­halb aus, weil die Kläge­rin we­der be­haup­tet noch dar­ge­legt hat, dass ihr durch die Nichtüber­nah­me von der Fir­ma A in ein Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten ein ma­te­ri­el­ler Scha­den ent­stan­den ist. Ein An­spruch auf Entschädi­gung we­gen ei­nes im­ma­te­ri­el­len Scha­dens ist nicht ge­ge­ben, weil ein Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 Abs. 1 AGG nicht vor­liegt.

a)
Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftig­te nicht we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des be­nach­tei­ligt wer­den. Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber für ein Beschäfti­gungs­verhält­nis sind nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG Beschäftig­te im Sin­ne des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes.

7

Zu den in § 1 AGG ge­nann­ten Gründen gehört u. a. die Welt­an­schau­ung. Was un­ter dem Be­griff „Welt­an­schau­ung“ i. S. d. § 1 AGG zu ver­ste­hen ist, ist um­strit­ten. Über­wie­gend wird an­ge­nom­men, dem Be­griff kom­me ei­ne ähn­li­che Be­deu­tung wie dem Be­griff „Re­li­gi­on“ zu und be­deu­te ei­ne nur mit der Per­son des Men­schen ver­bun­de­ne Ge­wiss­heit über be­stimm­te Aus­sa­gen zum Welt­gan­zen so­wie zur Her­kunft und zum Ziel des men­sch­li­chen Le­bens, wo­bei sich der Be­griff „Welt­an­schau­ung“ von dem Be­griff „Re­li­gi­on“ da­durch un­ter­schie­de, dass er auf rein in­ner­welt­li­che Bezüge be­schränkt sei (u. a. Schleu­se­ner/Suckow/Voigt-Schleu­se­ner § 1 Rn. 48; Bau­er/ Göpfert/Krie­ger § 1 Rn. 30; Wen­de­ling-Schröder/St­ein-St­ein § 1 Rn. 36 ff.; MüKo-Thüsing, § 1 Rn. 70; wohl auch ErfK-Schlach­ter, § 1 Rn. 8). An­de­re wie­der­um ver­tre­ten u. a. un­ter Be­ru­fung auf die nicht­deut­schen Fas­sun­gen der Richt­li­nie 2000/78/EG, dass der Be­griff richt­li­ni­en­kon­form wei­ter zu ver­ste­hen sei und auch sons­ti­ge fes­te Über­zeu­gun­gen um­fas­se (sie­he z. B. Däubler/Bertz­bach-Däubler § 1 Rn. 61 ff.). Vor­lie­gend kommt es auf die­se Un­ter­schei­dung nicht an. Denn auch dann, wenn man von dem en­ge­ren Verständ­nis des Be­griffs „Welt­an­schau­ung“ aus­geht, fällt die po­li­ti­sche Über­zeu­gung „Mar­xis­mus-Le­ni­nis­mus“, auf die sich die Kläge­rin be­ruft, als ge­samt­ge­sell­schaft­li­che Theo­rie un­ter den Be­griff „Welt­an­schau­ung“ i. S. d. § 1 AGG (Wen­de­ling-Schröder/St­ein-St­ein, § 1 Rn. 37; Däubler/Bertz­bach-Däubler, § 1 Rn. 60 m. w. N.).

b)
Ei­ne Be­nach­tei­li­gung i. S. d. § 7 Abs. 1 AGG kann so­wohl un­mit­tel­bar als auch mit­tel­bar er­fol­gen. Die Kläge­rin ist je­doch we­der un­mit­tel­bar noch mit­tel­bar we­gen ei­ner Welt­an­schau­ung be­nach­tei­ligt wor­den.

aa)
Ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes in § 1 ge­nann­ten Grun­des ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt, als ei­ne an­de­re Per­son in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde. Da­nach schei­det ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­lung we­gen der Welt­an­schau­ung aus.

(1)
Zunächst hat die Kläge­rin kei­ne Tat­sa­chen vor­ge­tra­gen, die die Ver­mu­tung zu­las­sen, die Be­klag­te ha­be sich ge­gen ei­ne Über­nah­me ent­schie­den, weil die Kläge­rin über­zeug­te Mar­xis­tin-Le­ni­nis­tin ist bzw. ehe­mals ge­we­sen ist. Es ist schon nicht er­sicht­lich, dass die Kläge­rin tatsächlich vom Mar­xis­mus-Le­ni­nis­mus über­zeugt war, als sie für das MfS ge­ar­bei­tet hat. Denn dies hat sie, wor­auf die Be­klag­te zu­tref­fend hin­ge­wie­sen hat, nicht ein­mal selbst be­haup­tet, son­dern le­dig­lich dar­auf ver­wie­sen, dass ei­ne Tätig­keit für das MfS

8

nur bei ent­spre­chen­der po­li­ti­scher Über­zeu­gung denk­bar ge­we­sen sei. Sie hat auch nicht vor­ge­tra­gen, dass sie sich ge­genüber Vor­stands­mit­glie­dern oder Beschäftig­ten der Be­klag­ten über ih­re po­li­ti­sche Über­zeu­gung geäußert hat. Es sind auch kei­ne An­halts­punk­te dafür ge­ge­ben, dass die Be­klag­te die Kläge­rin we­gen der An­nah­me i. S. d. § 7 Abs. 1, 2. Halb­satz AGG, sie sei über­zeug­te Mar­xis­tin-Le­ni­nis­tin, nicht über­nom­men hat.

Wei­ter ist nicht er­sicht­lich, dass die Kläge­rin nicht über­nom­men wor­den ist, weil sie für das MfS tätig war. Da­ge­gen spricht schon, dass die Be­klag­te die Über­nah­me der Kläge­rin an­ge­dacht und ent­spre­chend gefördert hat, gleich­wohl un­strei­tig zu­min­dest Frau C die frühe­re Tätig­keit der Kläge­rin für das MfS be­kannt war. An­dern­falls hätte außer­dem na­he ge­le­gen, dass die Be­klag­te spätes­tens nach Sich­tung der Be­wer­bungs­un­ter­la­gen der Kläge­rin, aus de­nen die frühe­re Tätig­keit der Kläge­rin für das MfS ein­deu­tig her­vor­geht, von der Über­nah­me­ab­sicht wie­der Ab­stand ge­nom­men hätte. Viel­mehr hat sich die Be­klag­te of­fen­sicht­lich nur des­halb ge­gen ei­ne Ein­stel­lung der Kläge­rin ent­schie­den, weil sie auf­grund des Kon­flikts zwi­schen Frau E und der Kläge­rin we­gen der frühe­ren Tätig­keit der Kläge­rin für das MfS im Fall der Über­nah­me der Kläge­rin ei­ne er­heb­li­che Be­ein­träch­ti­gung des Be­trieb­frie­dens befürch­te­te und in An­be­tracht der Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen Frau E und der Kläge­rin am 28. No­vem­ber 2008 und der Straf­an­zei­ge der Kläge­rin ge­gen Frau E vom 18. De­zem­ber 2008 auch befürch­ten muss­te. Denn auf Grund der ab­leh­nen­den Hal­tung von Frau E ge­genüber der Kläge­rin, die in der Aus­ein­an­der­set­zung am 28. No­vem­ber 2008 deut­lich zum Aus­druck ge­kom­men ist, und der Re­ak­ti­on der Kläge­rin dar­auf war ei­ne dau­er­haf­te ge­deih­li­che Zu­sam­men­ar­beit nicht mehr vor­stell­bar.

Der ei­gent­li­che Grund für die Ent­schei­dung ge­gen Kläge­rin lag da­nach in der Gefähr­dung des Be­triebs­frie­dens durch den Kon­flikt zwi­schen den bei­den Frau­en und nur in­di­rekt in der frühe­ren Tätig­keit der Kläge­rin für das MfS, weil dies die Ur­sa­che für den Kon­flikt war.

(2)
Ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen der Welt­an­schau­ung kann dar­in nur ge­se­hen wer­den, wenn Vor­aus­set­zung für die Tätig­keit der Kläge­rin für das MfS als Ur­sa­che des Kon­flik­tes zwin­gend ei­ne be­stimm­te po­li­ti­sche Über­zeu­gung ge­we­sen wäre (st. Rspr. des EuGH zu Schwan­ger­schaft und Ge­schlecht seit 1990, EuGH vom 08.11.1990 Rs. C-177/88 - Dek­ker, AP Nr. 23 zu Art. 119 EWG-Ver­trag; so­wie aus jünge­rer Zeit EuGH vom 20.09.2007 Rs. C-116/06 – Ki­iski, NZA 2007, 1274, und vom 26.02.2008 Rs. C-506/06 - Mayr, AP Nr. 7 zu EWG-Richt­li­nie Nr. 92/85). Hier­von kann un­ter Berück­sich­ti­gung des in der DDR herr­schen­den ge­sell­schaft­li­chen Drucks und den all­ge­mein be­kann­ten herr­schen­den

9

Be­din­gun­gen ins­be­son­de­re der be­kann­ten Vor­ge­hens­wei­se des MfS bei der An­wer­bung von in­of­fi­zi­el­len und of­fi­zi­el­len Mit­ar­bei­tern nicht aus­ge­gan­gen wer­den.

Die Kläge­rin trägt selbst vor, dass je­der Bürger der ei­ne der in der DDR herr­schen­den po­li­ti­schen Über­zeu­gung zu­wi­der­lau­fen­de Mei­nung äußer­te, als Feind der SED und der DDR an­ge­se­hen wur­de. Fer­ner hat sie vor­ge­tra­gen, dass es zu­min­dest vor­kam, dass Per­so­nen die nicht be­reit wa­ren, ge­genüber dem MfS ei­ne Ver­schwie­gen­heits­erklärung ab­zu­ge­ben, mit be­ruf­li­chen und ge­sell­schaft­li­chen Nach­tei­len rech­nen muss­ten. Außer­dem ist be­kannt, dass Mit­ar­bei­ter des MfS ge­genüber den übri­gen Bürge­rin­nen und Bürgern der DDR zahl­rei­che ma­te­ri­el­le und im­ma­te­ri­el­le Vor­tei­le ge­nos­sen (vgl. BVerfG vom 08.07.1997 - 1 BvR 1934/93 -, AP Nr. 98 zu Art. 12 GG, Rz. 34 zi­tiert nach ju­ris und vom 28.04.1999 - 1 BvL 11/94 u. a. -, NJW 1999, 2505, Rz. 143 zi­tiert nach ju­ris). Von ei­ner zwin­gen­den Ver­knüpfung der Tätig­keit für das MfS mit ei­ner be­stimm­ten Welt­an­schau­ung ver­gleich­bar mit Schwan­ger­schaft und ei­nem be­stimm­ten Ge­schlecht kann des­halb nicht aus­ge­gan­gen wer­den. Dies gilt auch für die haupt­amt­li­chen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter des MfS. Denn es ist je­den­falls nicht aus­ge­schlos­sen, dass Per­so­nen trotz der um­fas­sen­den Über­prüfung durch das MfS auch aus an­de­ren Gründen für das MfS tätig wa­ren und nicht al­lein nur auf­grund ih­rer po­li­ti­schen Über­zeu­gung.

bb)
Ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung i. S. d. § 3 Abs. 2 AGG ist eben­falls nicht ge­ge­ben.

Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung vor, wenn dem An­schein nach neu­tra­le Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren Per­so­nen we­gen ei­nes in § 1 ge­nann­ten Grun­des ge­genüber an­de­ren Per­so­nen in be­son­de­rer Wei­se be­nach­tei­li­gen können, es sei denn, die be­tref­fen­den Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sach­lich ge­recht­fer­tigt und die Mit­tel sind zur Er­rei­chung die­ses Ziel an­ge­mes­sen und er­for­der­lich.

Vor­lie­gend kann un­ter­stellt wer­den, dass zu­min­dest der über­wie­gen­de Teil der für das MfS haupt­amt­lich täti­gen Per­so­nen vom Mar­xis­mus-Le­ni­nis­mus über­zeugt war und Per­so­nen mit die­ser Welt­an­schau­ung we­gen ei­ner frühe­ren Tätig­keit für das MfS viel eher in Kon­flik­te an ih­ren Ar­beits­platz ge­ra­ten und da­durch Nach­tei­le ha­ben als Per­so­nen mit ei­ner an­de­ren oder kei­ner Welt­an­schau­ung. Dies al­lein ist für die Ver­mu­tung ei­ner mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung je­doch nicht aus­rei­chend.

(1)

10


Vor­aus­set­zung für ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung ist nach § 3 Abs. 2 AGG nämlich nicht nur, dass Per­so­nen mit ei­ner be­stimm­ten Welt­an­schau­ung auf­grund wei­te­rer Umstände häufi­ger Nach­tei­le er­lei­den als Per­so­nen mit ei­ner an­de­ren oder kei­ner Welt­an­schau­ung. Viel­mehr ist für ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung - eben­so wie für ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­lung nach § 3 Abs. 1 AGG - wei­ter Vor­aus­set­zung, dass sie sich in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on mit den Per­so­nen be­fin­den, die die­se Welt­an­schau­ung nicht ha­ben oder nicht ge­habt ha­ben und sol­che Nach­tei­le we­ni­ger häufig er­fah­ren. Dies er­gibt sich dar­aus, dass dem Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 Abs. 1 AGG der all­ge­mei­ne Grund­satz zu­grun­de liegt, dass glei­che Sach­ver­hal­te nicht un­ter­schied­lich und un­ter­schied­li­che Sach­ver­hal­te nicht gleich be­han­delt wer­den dürfen, es sei denn, dass ei­ne der­ar­ti­ge Be­hand­lung ob­jek­tiv ge­recht­fer­tigt ist (vgl. z. B. EuGH vom 20.09.2007, Rs.C-116/06 – Ki­iski, a. a. O., Rz. 54 m .w. N.; Däubler/ Bertz­bach-Schra­der/Schu­bert, § 3 Rn. 18; Bau­er/Göpfert/Krie­ger, § 3 Rn. 11).

An der ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on fehlt es vor­lie­gend. Die Si­tua­ti­on, in der sich die Kläge­rin während ih­res Ein­sat­zes bei der Be­klag­ten und der an­ge­dach­ten Über­nah­me in ein Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten be­fand, un­ter­schei­det sich nämlich so­wohl von der ei­ner Be­wer­be­rin oder ei­nem Be­wer­ber, die oder der vor­mals über­zeug­te Mar­xis­tin-Le­ni­nis­tin bzw. über­zeug­ter Mar­xist-Le­ni­nist war oder auch noch ist, je­doch nicht für das MfS tätig war, als auch von der von Per­so­nen, die ei­ne an­de­re Welt­an­schau­ung oder kei­ne Welt­an­schau­ung ha­ben und dem­zu­fol­ge mit großer Wahr­schein­lich­keit eben­falls nicht für das MfS tätig wa­ren, da­durch, dass sie beim MfS beschäftigt war und sich der Kon­flikt ge­ra­de dar­an entzünde­te.

Bei ei­ner Tätig­keit für das MfS han­delt es sich um die Tätig­keit für ei­ne Or­ga­ni­sa­ti­on, de­ren Tätig­keit und Auf­ga­ben­stel­lung in fun­da­men­ta­lem Wi­der­spruch zur Wert­ord­nung des Grund­ge­set­zes stand (BVerfG vom 04.04.2001 - 2 BvL 7/98 -, AP Nr. 19 zu § 19 BAT-O, Rz. 60 zi­tiert nach ju­ris) und wel­che des­halb auch nicht dem Schutz des all­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes un­ter­liegt (vgl. Däubler/Bertz­bach-Däubler, § 1 Rn. 71; Wen­de­ling-Schröder/St­ein-St­ein, § 1 Rn. 43). Das MfS war ein zen­tra­ler Be­stand­teil des to­ta­litären Macht­ap­pa­ra­tes der DDR. Es fun­gier­te als In­stru­ment der po­li­ti­schen Kon­trol­le und Un­ter­drückung der ge­sam­ten Bevölke­rung und dien­te un­ter Ver­let­zung des für ei­ne de­mo­kra­ti­sche Ge­sell­schaft fun­da­men­ta­len Schut­zes der Men­schenwürde, der Frei­heits­rech­te und rechts­staat­li­chen Grundsätze ins­be­son­de­re da­zu, po­li­tisch an­ders Den­ken­de oder Aus­rei­se­wil­li­ge zu über­wa­chen, ab­zu­schre­cken und aus­zu­schal­ten (vgl. BVerfG vom 21.05.1996 - 2 BvL 1/95 -, NJW 1996, 2720, Rz. 100 zi­tiert nach ju­ris; vom 08.07.1997 - 1 BvR 1934/93 -, a. a. O., Rz. 34 zi­tiert nach ju­ris, und vom 04.04.2001 - 2 BVL 7/98 -, a. a. O., Rz. 60 zi­tiert nach ju­ris). Ei­ne auf­grund frühe­rer Tätig­keit für das MfS

11

auf­tre­ten­de Kon­flikt­si­tua­ti­on während ei­nes Ein­stel­lungs­ver­fah­rens ist des­halb nicht mit ei­ner Si­tua­ti­on in ei­nem Ein­stel­lungs­ver­fah­ren ver­gleich­bar, bei der ein der­ar­ti­ger Kon­flikt nicht auf­tritt.

(2)
Aber auch dann, wenn man den vor­ste­hen­den Über­le­gun­gen nicht folgt und da­von aus­geht, dass die Kläge­rin, weil sie we­gen des Kon­flikts mit Frau E nicht ein­ge­stellt wor­den ist, mit­tel­bar we­gen ei­ner Welt­an­schau­ung ungüns­ti­ger be­han­delt wor­den ist als an­de­re Per­so­nen in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on, die ei­ne an­de­re oder kei­ne Welt­an­schau­ung ha­ben, liegt ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung nicht vor. Denn nach § 3 Abs. 2 AGG ist ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung - eben­so wie nach Ar­ti­kel 2 Abs. 2 Buch­sta­be b der Richt­li­nie 2000/78/EG ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung - nur dann ge­ge­ben, wenn die Un­gleich­be­hand­lung nicht durch ei­nen sach­li­chen Grund ge­recht­fer­tigt ist. Ein sach­li­cher Grund liegt vor, wenn der Un­gleich­be­hand­lung ein rechtmäßiges Ziel zu­grun­de liegt und die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sind.

Um­strit­ten ist, wem hierfür die Dar­le­gungs- und Be­weis­last i. S. d. § 22 AGG ob­liegt, ob ent­spre­chend der Ge­set­zes­be­gründung die oder der Beschäftig­te Tat­sa­chen vor­brin­gen muss, die das Feh­len ei­ne sach­li­chen Grun­des ver­mu­ten las­sen (so Bau­er/ Göpfert/Krie­ger, § 3 Rn. 37; Mei­nel/Heyn/Herms, § 3 Rn. 29; ErfK-Schlach­ter, § 3 Rn. 9) oder ob ent­spre­chend dem Ge­set­zes­wort­laut und aus Gründen des ef­fek­ti­ven Rechts­schut­zes der Ar­beit­ge­ber dar­le­gen muss, dass die Un­gleich­be­hand­lung sach­lich ge­recht­fer­tigt ist (so Schleu­se­ner/Su­kow/Voigt-Voigt, § 22 Rn. 10; Däubler/ Bertz­bach-Bertz­bach, § 22 Rn. 37; für ei­ne Lösung über die Grundsätze der ab­ge­stuf­ten Dar­le­gungs- und Be­weis­last Nol­lert-Ba­ra­sio/Per­reng, § 3 Rn. 16 f., und Kitt­ner/ Zwan­zi­ger-Zwan­zi­ger, § 22 Rn. 22). Vor­lie­gend kommt es dar­auf nicht an, weil die Un­gleich­be­hand­lung schon nach dem un­strei­ti­gen Sach­ver­halt sach­lich ge­recht­fer­tigt ist.

(a)
Die Gewähr­leis­tung des Be­triebs­frie­dens, die der ei­gent­li­che Grund für die Nicht­ein­stel­lung der Kläge­rin war, ist ein rechtmäßiges Ziel.

(b)
Um den Be­triebs­frie­den dau­er­haft zu gewähr­leis­ten, hat­te die Be­klag­te nur zwei Möglich­kei­ten. Ent­we­der konn­te sie von der Ein­stel­lung der Kläge­rin Ab­stand neh­men oder sie hätte sich von Frau E tren­nen oder die­se an ei­nen an­de­ren Ar­beits­platz ver­set­zen müssen, da ei­ne dau­er­haf­te en­ge und ge­deih­li­che Zu­sam­men­ar­beit der bei­den Frau­en im

12

Se­kre­ta­ri­at des Vor­stan­des we­gen des Kon­flikts um die frühe­re Tätig­keit der Kläge­rin für das MfS nicht zu er­war­ten war.

Ein mil­de­res Mit­tel zur Wie­der­her­stel­lung des Be­triebs­frie­dens, das die Kläge­rin oder Frau E we­ni­ger be­las­tet hätte, stand der Be­klag­ten auf­grund der Art und des Aus­maßes des Kon­flik­tes nicht zur Verfügung. Ins­be­son­de­re war ent­ge­gen der Ar­gu­men­ta­ti­on der Kläge­rin auch nicht da­mit zu rech­nen, dass sich der Kon­flikt durch ein ge­mein­sa­mes Gespräch hätte be­rei­ni­gen las­sen. Zwar war die Kläge­rin nicht mit der ei­gent­li­chen Ziel­set­zung und Auf­ga­ben­stel­lung des MfS be­fasst, son­dern in der tech­ni­schen Ab­tei­lung des SV D. tätig und da­mit nur am Ran­de in die Or­ga­ni­sa­ti­on und die Tätig­keit des MfS ein­ge­bun­den, was Frau E mögli­cher­wei­se nicht be­kannt war. In ih­ren Be­wer­bungs­un­ter­la­gen hat­te die Kläge­rin hier­zu kei­ne An­ga­ben ge­macht. Je­doch war in An­be­tracht der hef­ti­gen Re­ak­ti­on von Frau E am 28. No­vem­ber 2008 und der Straf­an­zei­ge der Kläge­rin ge­gen Frau E vom 18. De­zem­ber 2008 als Re­ak­ti­on hier­auf nicht da­mit zu rech­nen, dass die­ser Um­stand an der grundsätz­lich ab­leh­nen­den Hal­tung von Frau E ge­genüber ei­ner Zu­sam­men­ar­beit mit der Kläge­rin et­was geändert hätte. Da­bei ist auch zu berück­sich­ti­gen, dass das ge­sam­te Aus­maß der um­fas­sen­den Be­spit­ze­lung der Bevölke­rung durch das MfS erst nach 1989 allmählich zu Ta­ge ge­tre­ten ist, zu ei­nem tief grei­fen­den Ver­trau­ens­ver­lust bei zahl­rei­chen Men­schen ins­be­son­de­re in Ost­deutsch­land geführt hat und das The­ma noch lan­ge nicht bewältigt ist. Die Aus­ein­an­der­set­zun­gen um das MfS oder Per­so­nen, die für das MfS tätig wa­ren, be­herr­schen auch heu­te noch im­mer wie­der die öffent­li­che Dis­kus­si­on und ru­fen nach wie vor nicht nur bei den Be­trof­fe­nen hef­ti­ge Emo­tio­nen und un­versöhn­li­che, kaum dif­fe­ren­zie­ren­de Hal­tun­gen her­vor. Es kommt des­halb auch nicht dar­auf an, ob Frau E selbst Be­trof­fe­ne ist. Denn auch dann, wenn dies nicht der Fall ist, zeigt schon ih­re Re­ak­ti­on am 28. No­vem­ber 2008 ih­re klar ab­leh­nen­de Hal­tung ge­genüber Per­so­nen, die wie die Kläge­rin für das MfS tätig wa­ren.

(c)
Dass sich die Be­klag­te letzt­lich für Frau E und ge­gen die Kläge­rin ent­schied, ist nicht un­an­ge­mes­sen. Ge­gen ih­re Ver­pflich­tung aus § 12 Abs. 3 AGG hat die Be­klag­te nicht ver­s­toßen. Zum ei­nen war Frau E be­reits seit vie­len Jah­ren bei der Be­klag­ten beschäftigt und seit ih­rer Ein­stel­lung im Se­kre­ta­ri­at des Vor­stan­des tätig. Zum an­de­ren be­ruht die ab­leh­nen­de Hal­tung von Frau E ge­genüber der Kläge­rin nicht auf ei­ner mit dem Ziel des all­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes nicht zu ver­ein­ba­ren­den Ein­stel­lung, was die Be­klag­te nicht hätte hin­neh­men dürfen, son­dern aus­sch­ließlich dar­auf, dass die Kläge­rin für ei­ne die Men­schen- und Frei­heits­rech­te miss­ach­ten­de Un­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on tätig war.

 

13

2.
Ein An­spruch auf Entschädi­gung folgt auch nicht aus § 15 AGG ana­log oder aus an­de­ren scha­dens­er­satz­recht­li­chen Vor­schrif­ten oder Grundsätzen we­gen ei­ner Ver­let­zung des ar­beits­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes i. V. m. Ar­ti­kel 3 Abs. 3 Satz 1 GG, wo­nach u. a. nie­mand we­gen sei­ner po­li­ti­schen An­schau­ung be­nach­tei­ligt oder be­vor­zugt wer­den darf.

Da­hin­ge­stellt blei­ben konn­te, ob § 15 AGG im Fall ei­ner Ver­let­zung des ar­beits­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes ana­log an­wend­bar ist oder ob sich Scha­dens­er­satz­ansprüche aus an­de­ren scha­dens­er­satz­recht­li­chen Vor­schrif­ten oder Grundsätzen her­lei­ten las­sen. Eben­so konn­te of­fen blei­ben, ob der ar­beits­recht­li­che Gleich­be­hand­lungs­grund­satz auf Ein­stel­lungs­si­tua­tio­nen über­haupt an­wend­bar ist (ab­leh­nend BAG vom 20.08.1986 - 4 AZR 272/85 -, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Ta­rif­verträge - Se­nio­rität; eben­so z. B. ErfK-Preis, § 611 BGB Rn. 578; of­fen ge­las­sen BAG vom 19.02.2003 - 7 AZR 67/02 -, AP Nr. 58 zu Art. 33 Abs. 2 GG; dif­fe­ren­zie­rend Kitt­ner/Däubler/ Zwan­zi­ger-Zwan­zi­ger, Art. 3 GG Rn. 59) und ob der Ab­stand­nah­me der Be­klag­ten von der Über­nah­me der Kläge­rin ein all­ge­mei­nes ge­ne­ra­li­sie­ren­des Prin­zip als Vor­aus­set­zung für die An­wend­bar­keit des ar­beits­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­satz zu­grun­de lag (vgl. da­zu z. B. BAG vom 13.08.2008 - 7 AZR 513/07 -, EzA § 14 Tz­B­fG Nr. 52).

Ei­ne Ver­let­zung des ar­beits­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes kommt aus den glei­chen Gründen nicht in Be­tracht, we­gen de­rer auch ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen der Welt­an­schau­ung aus­schei­det. Auf­grund der Be­son­der­hei­ten der frühe­ren Tätig­keit der Kläge­rin für das MfS fehlt es schon an der er­for­der­li­chen ver­gleich­ba­ren La­ge mit an­de­ren po­ten­ti­el­len Be­wer­be­rin­nen oder Be­wer­bern. Je­den­falls aber ist die Dif­fe­ren­zie­rung auf­grund der frühe­ren Tätig­keit der Kläge­rin für das MfS sach­lich ge­recht­fer­tigt. In­so­fern wird auf die obi­gen Ausführun­gen ver­wie­sen.

II.

Die Kos­ten des Rechts­streits wa­ren nach § 46 Abs. 2 ArbGG, § 91 Abs. 1 ZPO der Kläge­rin als der un­ter­le­gen­den Par­tei auf­zu­er­le­gen.

Der nach § 61 Abs. 1 ArbGG im Ur­teil fest­zu­set­zen­de Streit­wert beläuft sich nach § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 3 f. ZPO auf die Höhe der von der Kläge­rin gel­tend ge­mach­ten Haupt­for­de­rung.

14


Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil kann von der Kläge­rin Be­ru­fung ein­ge­legt wer­den.

Die Be­ru­fungs­schrift muss von ei­nem/r Rechts­an­walt/Rechts­anwältin oder ei­nem/r Ver­tre­ter/in ei­ner Ge­werk­schaft bzw. ei­ner Ar­beit­ge­ber­ver­ei­ni­gung oder ei­nes Zu­sam­men­schlus­ses sol­cher Verbände ein­ge­reicht wer­den.

Die Be­ru­fungs­schrift muss in­ner­halb

ei­ner Not­frist von ei­nem Mo­nat

bei dem

Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg,
Mag­de­bur­ger Platz 1, 10785 Ber­lin,

ein­ge­gan­gen sein. Die Be­ru­fungs­schrift muss die Be­zeich­nung des Ur­teils, ge­gen das die Be­ru­fung ge­rich­tet wird, so­wie die Erklärung ent­hal­ten, dass Be­ru­fung ge­gen die­ses Ur­teil ein­ge­legt wer­de.

Die Be­ru­fung ist gleich­zei­tig oder in­ner­halb

ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten

in glei­cher Form schrift­lich zu be­gründen.

Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­setz­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Da­bei ist zu be­ach­ten, dass das Ur­teil mit der Ein­le­gung in den Brief­kas­ten oder ei­ner ähn­li­chen Vor­rich­tung für den Pos­t­emp­fang als zu­ge­stellt gilt. Wird bei der Par­tei ei­ne schrift­li­che Mit­tei­lung ab­ge­ge­ben, dass das Ur­teil auf der Geschäfts­stel­le ei­nes Amts­ge­richts oder ei­ner von der Post be­stimm­ten Stel­le nie­der­ge­legt ist, gilt das Schriftstück mit der Ab­ga­be der schrift­li­chen Mit­tei­lung als zu­ge­stellt, al­so nicht erst mit der Ab­ho­lung der Sen­dung. Das Zu­stel­lungs­da­tum ist auf dem Um­schlag der Sen­dung ver­merkt.

Für die Be­klag­te ist kein Rechts­mit­tel ge­ge­ben.

Von der Be­gründungs­schrift wer­den zwei zusätz­li­che Ab­schrif­ten zur Un­ter­rich­tung der eh­ren­amt­li­chen Rich­ter/in­nen er­be­ten.

Wei­te­re Statt­haf­tig­keits­vor­aus­set­zun­gen er­ge­ben sich aus § 64 Abs.2 ArbGG:
"Die Be­ru­fung kann nur ein­ge­legt wer­den,
a) wenn sie in dem Ur­teil zu­ge­las­sen wor­den ist,
b) wenn der Wert des Be­schwer­de­ge­gen­stan­des 600 Eu­ro über­steigt,
c) in Rechts­strei­tig­kei­ten über das Be­ste­hen, das Nicht­be­ste­hen oder die Kündi­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses oder
d) wenn es sich um ein Versäum­nis­ur­teil han­delt, ge­gen das der Ein­spruch an sich nicht statt­haft ist, wenn die Be­ru­fung oder An­schluss­be­ru­fung dar­auf gestützt wird, dass der Fall schuld­haf­ter Versäum­ung nicht vor­ge­le­gen ha­be."


Dr. H.

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 


zur Übersicht 33 Ca 5772/09