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LAG Nürn­berg, Ur­teil vom 21.09.2009, 6 Sa 808/08

   
Schlagworte: Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten, Betriebsänderung, Kleinbetrieb
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Aktenzeichen: 6 Sa 808/08
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 21.09.2009
   
Leitsätze:

1. Legt der Arbeitgeber im Kleinbetrieb (hier: 13 Arbeitnehmer) einen abgrenzbaren Teil (hier: Fuhrpark) still, ist eine interessenausgleichspflichtige Betriebsänderung dann gegeben, wenn dieser Teil "wesentlich" für den Kleinbetrieb war.

2. Für die erforderliche quantitative Betrachtung ist die Staffel des § 17 Abs. 1 KSchG unter Beachtung ihres für größere Betriebe abnehmenden Verlaufs "nach unten" fortzusetzen. Der Betriebsteil ist als wesentlich anzusehen, wenn in ihm mindestens 30% der Arbeitnehmer des Betriebs beschäftigt waren. Dabei kommt es auf die im stillgelegten Teil vorhandenen Arbeitsplätze an, so dass auch Arbeitnehmer zu berücksichtigen sind, die ohnehin wegen Erreichens der Altersgrenze ausscheiden. Zu berücksichtigen ist auch, ob es sich um Voll- oder um Teilzeitarbeitsplätze handelt.

3. Das zusätzliche Vorliegen von wirtschaftlicher Bedeutung des stillgelegten Teils für den gesamten Kleinbetrieb ist zur Begründung der Wesentlichkeit auch im Kleinbetrieb nicht erforderlich (entgegen LAG Düsseldorf vom 09.03.2009, 5 Sa 1626/08).

4. Zur Berechnung des Nachteilsausgleichs nach § 113 Abs. 3 BetrVG.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 23.09.2008, 4 Ca 1659/08
   

6 Sa 808/08

4 Ca 1659/08

 

Verkündet am: 21.09.2009

(Ar­beits­ge­richt Nürn­berg) 

 

H...,
Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

Lan­des­ar­beits­ge­richt Nürn­berg
Im Na­men des Vol­kes
UR­TEIL
In dem Rechts­streit


J... B...

- Kläger, Be­ru­fungs­be­klag­ter und An­schluss­be­ru­fungskläger -

 

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te/r:

Rechts­anwälte M... & Part­ner


g e g e n


Fir­ma R... I... GmbH,
ver­tre­ten durch die Geschäftsführer A... Pf... und B... Be...


- Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und An­schluss­be­ru­fungs­be­klag­te -


Pro­zess­be­vollmäch­tig­te/r:
Herrn S... K... Ver­band Sp... und L... No... e.V.,

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erlässt die 6. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nürn­berg auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 9. März 2009 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt V e t t e r als Vor­sit­zen­den und die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Fal­len­ba­cher und Böhmländer


im Na­men des Vol­kes


fol­gen­des


Ur­teil:


I. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten und die An­schluss­be­ru­fung des Klägers ge­gen das En­dur­teil des Ar­beits­ge­richts Nürn­berg vom 23.09.2008, Az. 4 Ca 1659/08, wer­den zurück­ge­wie­sen.


II. Bei der Kos­ten­ent­schei­dung ers­ter In­stanz hat es sein Be­wen­den. Von den Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens hat der Kläger 2/7, die Be­klag­te 5/7 zu tra­gen.


III. Die Re­vi­si­on zum Bun­des­ar­beits­ge­richt wird zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand:


Die Par­tei­en strei­ten über die Ver­pflich­tung ei­ner ehe­ma­li­gen Ar­beit­ge­be­rin zur Zah­lung ei­nes Nach­teils­aus­gleichs an den gekündig­ten Ar­beit­neh­mer.


Der am 30.05.1947 ge­bo­re­ne Kläger war seit 25.08.1967 bei der Be­klag­ten als Kraft­fah­rer für die Nie­der­las­sung N... beschäftigt. Er er­hielt zu­letzt ein Brut­to­ent­gelt oh­ne Spe­sen von et­wa 2.600,- € mo­nat­lich, mit Spe­sen von et­wa 2.900,- € mo­nat­lich. Die Be­klag­te beschäftig­te zu­letzt ins­ge­samt über 250 Ar­beit­neh­mer in ei­ner größeren Zahl von Nie­der­las­sun­gen. In der Nie­der­las­sung N..., in der ein Be­triebs­rat be­steht, beschäftig­te sie zu­letzt 13 Ar­beit­neh­mer, da­von fünf in Voll­zeit als Kraft­fah­rer; der Beschäftig­te Ni..., der seit De­zem­ber 2000 Al­ters­ru­he­geld be­zieht, wur­de darüber hin­aus spo­ra­disch zur Durchführung von Klein­trans­por­ten ein­ge­setzt. Die sie­ben in der Ver­wal­tung täti­gen Ar­beit­neh­mer, un­ter de­nen drei als ge­ringfügig beschäftig­te Aus­hil­fen tätig sind, dis­po­nie­ren und or­ga­ni­sie­ren Trans­port­dienst­leis­tun­gen. 87% des in der Nie­der­las­sung N... er­ziel­ten Um­sat­zes wur­den über die fremd­ver­ge­be­nen Trans­por­te er­zielt.


Mit Schrei­ben vom 22.02.2008 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis des Klägers mit Wir­kung zum 28.02.2009 mit der Be­gründung, sie ha­be sich ent­schlos­sen, den Fuhr­park der Nie­der­las­sung N... still­zu­le­gen. Drei wei­te­re Kraft­fah­rer er­hiel­ten eben­falls Kündi­gun­gen zum ge­nann­ten Zeit­punkt. Der Kraft­fah­rer B..., Be­triebs­rats­mit­glied, schied we-


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gen Er­rei­chens der Al­ters­gren­ze oh­ne­hin zum 30.11.2008 aus. Der Mit­ar­bei­ter Ni... soll­te wei­ter in ge­rin­gem Um­fang und von Fall zu Fall für die Durchführung von Klein­trans­por­ten zur Verfügung ste­hen.


Mit sei­ner am 11.03.2008 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge hat sich der Kläger zunächst ge­gen die Wirk­sam­keit der Kündi­gung ge­wandt und auch Wei­ter­beschäfti­gung be­an­tragt. Mit am 19.06.2008 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nem Schrift­satz hat er den An­spruch ge­stellt, ei­ne Ab­fin­dung nach § 113 Be­trVG we­gen feh­len­der Durchführung ei­nes In­ter­es­sen­aus­gleichs zu zah­len. Zu­letzt hat er al­lein die­sen An­trag auf­recht­er­hal­ten und Kündi­gungs­schutz- so­wie Wei­ter­beschäfti­gungs­an­trag zurück­ge­nom­men.


Der Kläger hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, der An­spruch auf Ab­fin­dung er­ge­be sich dar­aus, dass die Be­klag­te mit der Sch­ließung des Fuhr­parks der Nie­der­las­sung N... ei­ne Be­triebsände­rung durch­geführt ha­be, oh­ne mit dem Be­triebs­rat über ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich ver­han­delt zu ha­ben. Die Per­so­nal­re­du­zie­rung in der Nie­der­las­sung N... be­tref­fe ein­sch­ließlich des als Fah­rer ein­ge­setz­ten Ar­beit­neh­mers Ni... sechs von 13 Ar­beit­neh­mern und da­mit ei­nen we­sent­li­chen Be­triebs­teil. Oh­ne­hin han­de­le es sich beim nun­mehr still­ge­leg­ten Fuhr­park um ei­nen we­sent­li­chen Be­triebs­teil. Je­den­falls in Be­trie­ben mit nicht mehr als 20 Ar­beit­neh­mern könne auf die Re­gel­wer­te des § 17 Abs. 1 KSchG nicht zurück­ge­grif­fen wer­den. Quan­ti­ta­tiv han­de­le es sich um die Still­le­gung ei­nes Be­triebs­teils mit ei­ner Be­leg­schaft von 46% des Ur­sprungs­be­triebs. Qua­li­ta­tiv sei der Fuhr­park als be­triebs­wirt­schaft­lich und tech­nisch ab­grenz­ba­re Or­ga­ni­sa­ti­on in­ner­halb des Be­trie­bes zu be­trach­ten. Der Fuhr­park sei so­zu­sa­gen die Herz­kam­mer der Nie­der­las­sung N... ge­we­sen, ein wich­ti­ger Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­reich mit drei Lkw, al­so für den Be­trieb ins­ge­samt we­sent­li­chen An­la­gen. Durch die Fremd­ver­ga­be die­ser Leis­tun­gen würden auch Pro­duk­ti­ons­me­tho­de und Be­triebs­or­ga­ni­sa­ti­on geändert.


Der Kläger hat vor dem Ar­beits­ge­richt da­her – nach Zurück­nah­me der auf die Kündi­gung be­zo­ge­nen Anträge – zu­letzt fol­gen­den An­trag ge­stellt:

Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an den Kläger ei­ne Ab­fin­dung nach § 113 Be­trVG zu zah­len, de­ren Höhe in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stellt wird.


Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.


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Sie hat die An­sicht ver­tre­ten, ein Ab­fin­dungs­an­spruch be­ste­he nicht, weil ei­ne Be­triebsände­rung nicht vor­lie­ge. Beim Fuhr­park der Nie­der­las­sung N... han­de­le es sich we­der um ei­nen gan­zen Be­trieb noch um ei­nen we­sent­li­chen Be­triebs­teil. Ein sol­cher lie­ge nur dann vor, wenn der be­trof­fe­ne Be­triebs­teil in­ner­halb der Ge­samt­or­ga­ni­sa­ti­on im Verhält­nis zum Ge­samt­be­trieb von er­heb­li­cher wirt­schaft­li­cher Be­deu­tung sei. Die wirt­schaft­li­che Be­deu­tung des Fuhr­parks sei je­doch ge­ring ge­we­sen. Der Fuhr­park ha­be aus vier Lastzügen und ei­nem klei­nen Lie­fer­wa­gen be­stan­den. Mit die­sem Fuhr­park sei­en im Jahr 2007 nur 13% des Um­sat­zes von et­wa 3,127 Mio. Eu­ro ab­ge­wi­ckelt wor­den. Auch quan­ti­ta­tiv feh­le es am Merk­mal der We­sent­lich­keit. Von der Still­le­gung sei­en nur vier Kraft­fah­rer be­trof­fen ge­we­sen, weil das Ar­beits­verhält­nis des Mit­ar­bei­ters B... we­gen Er­rei­chens der ver­ein­bar­ten Al­ters­gren­ze oh­ne­hin schon zum 30.11.2008, und da­mit vor der Sch­ließung, aus­ge­lau­fen sei. Das oh­ne­hin äußerst ge­ringfügi­ge Aus­hilfs­verhält­nis des Mit­ar­bei­ters Ni..., der im ers­ten Halb­jahr 2008 nur ins­ge­samt 36 St­un­den zur Durchführung von Klein­trans­por­ten ein­ge­setzt wor­den sei, sol­le wei­ter­lau­fen. Für die Be­triebs­or­ga­ni­sa­ti­on ha­be der Fuhr­park, wie der An­teil an den Umsätzen zei­ge, kei­ne er­heb­li­che Be­deu­tung. Die Still­le­gung des Fuhr­parks sei auch nicht als grund­le­gen­de Ände­rung der Be­triebs­or­ga­ni­sa­ti­on an­zu­se­hen; der Be­triebs­zweck der Nie­der­las­sung be­ste­he in der Durchführung von Spe­di­ti­ons­geschäften, al­so in der Or­ga­ni­sa­ti­on von Trans­por­ten. An die­ser Zweck­set­zung ände­re sich durch die Still­le­gung des ei­ge­nen Fuhr­parks nichts. Auch der Geschäfts­ab­lauf ände­re sich nur un­we­sent­lich. Für den Dis­po­nen­ten sei es un­er­heb­lich, ob er die Trans­port­auf­ga­be an ei­ge­ne oder an frem­de Mit­ar­bei­ter ver­ge­be. Ins­ge­samt führe die vollständi­ge Um­stel­lung auf Fremd­ver­ga­be eher zu ei­ner Ver­rin­ge­rung der Ver­wal­tungs­leis­tun­gen.


Die Be­klag­te trägt vor, sie ha­be – ob­wohl der Auf­fas­sung, es lie­ge kei­ne Be­triebsände­rung vor – am 07.02.2008 mit dem Be­triebs­rat über ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich ge­spro­chen. Es sei ein frei­wil­li­ger So­zi­al­plan an­ge­bo­ten wor­den. Nähe­res er­ge­be sich aus ei­nem Ver­merk vom 11.02.2008, auf den Be­zug ge­nom­men wer­de (An­la­ge zum Schrift­satz der Be­klag­ten­ver­tre­ter vom 11.07.2008, Bl. 34 f. d.A.).

Das Ar­beits­ge­richt hat mit En­dur­teil vom 23.09.2008 wie folgt er­kannt:


1. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an den Kläger € 25.000,- brut­to als Nach­teils­aus­gleich zu zah­len.

2. Von den Kos­ten des Rechts­streits trägt die Be­klag­te 60%, der Kläger 40%.


3. Der Streit­wert wird auf € 25.000,- fest­ge­setzt.


4. Die Be­ru­fung wird nicht ge­son­dert zu­ge­las­sen.


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Das Ar­beits­ge­richt hat sei­ne Ent­schei­dung im we­sent­li­chen da­mit be­gründet, bei der Still­le­gung des Fuhr­parks der Nie­der­las­sung N... han­de­le es sich um ei­ne Be­triebsände­rung nach § 111 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 Be­trVG. Da­nach lie­ge ei­ne Ein­schränkung des gan­zen Be­trie­bes oder von we­sent­li­chen Be­triebs­tei­len auch dann vor, wenn ein Per­so­nal­ab­bau ei­ne ge­wis­se Min­dest­zahl von Ar­beit­neh­mern be­tref­fe. Die Recht­spre­chung ori­en­tie­re sich für die Min­dest­zahl an den Zah­len und Pro­zent­an­ga­ben des § 17 Abs. 1 KSchG. Hier­bei han­de­le es sich je­doch um Re­gel­wer­te, die im Ein­zel­fall auch un­ter­schrit­ten wer­den könn¬ten. In Klein­be­trie­ben könne oh­ne­hin nicht auf die Re­gel­wer­te des § 17 Abs. 1 KSchG zurück­ge­grif­fen wer­den. Hier könne ei­ne Be­triebsände­rung an­ge­nom­men wer­den, wenn nach Kopf­zah­len min­des­tens 30% der im Be­trieb beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer von ei­ner Maßnah­me be­trof­fen sei­en. Die Be­klag­te ha­be vier von ursprüng­lich 13 Ar­beit­neh­mern gekündigt; da­mit sei der Schwel­len­wert von 30% schon über­schrit­ten. Zu berück­sich­ti­gen sei zu­dem, dass ein wei­te­rer Mit­ar­bei­ter oh­ne Kündi­gung aus­ge­schie­den sei. Auch sei­en un­ter den nicht gekündig­ten Mit­ar­bei­tern vier nur ge­ringfügig beschäftigt. Berück­sich­ti­ge man nicht rei­ne Kopf­zah­len, son­dern auch die Ar­beits­an­tei­le, erhöhe sich die Quo­te der von der Maßnah­me be­trof­fe­nen Mit­ar­bei­tern noch­mals beträcht­lich. Die Be­klag­te ha­be nicht aus­rei­chend ver­sucht, ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich mit dem Be­triebs­rat her­bei­zuführen; sie ha­be ins­be­son­de­re nicht die Ei­ni­gungs­stel­le an­ge­ru­fen. Als Nach­teils­aus­gleich sei ei­ne Ab­fin­dungs­zah­lung von 25.000,- € an­ge­mes­sen. Zweck die­ser Ab­fin­dung sei, dem Ar­beit­neh­mer ei­nen Aus­gleich für Vermögens- und Nicht­vermögensschäden zu gewähren, die sich aus dem Ver­lust des Ar­beits­plat­zes ergäben. Fak­to­ren sei­en die Dau­er der Be­triebs­zu­gehörig­keit und das Le­bens­al­ter des Ar­beit­neh­mers. Aus­ge­hend von der am Ge­richts­stand­ort gebräuch­li­chen Ab­fin­dungs­for­mel von ei­nem Drit­tel ei­nes Mo­nats­ge­halts pro Beschäfti­gungs­jahr er­rech­ne sich ein Ab­fin­dungs­be­trag von gut 35.000,- €. Zu be­ach­ten sei je­doch, dass die vor­lie­gen­de Be­triebsände­rung nicht so­zi­al­plan­pflich­tig sei. Die aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung sei wirk­sam. Vor die­sem Hin­ter­grund hätte der Kläger auch bei Ein­hal­tung der for­mel­len Schrit­te des Ver­suchs zur Er­zie­lung ei­nes In­ter­es­sen¬aus­gleichs kei­nen An­spruch auf Ab­fin­dung ge­habt. Es kom­me hin­zu, dass die Be­klag­te ernst­haf­te Ver­hand­lun­gen über ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich nicht aus bösem Wil­len, son­dern aus ei­nem Rechts­irr­tum un­ter­las­sen ha­be, weil sie da­von aus­ge­gan­gen sei, dass auch im Klein­be­trieb die Zah­len des § 17 Abs. 1 KSchG maßgeb­lich sei­en. Da die Be­klag­te mit dem Be­triebs­rat des­sen un­ge­ach­tet über die Still­le­gung ge­spro­chen und auch ei­nen frei­wil­li­gen So­zi­al­plan an­ge­bo­ten ha­be, sei kei­ne be­son­de­re Sank­ti­onswürdig­keit ge­ge­ben.


Das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts ist der Be­klag­ten aus­weis­lich der Post­zu­stel­lungs­ur­kun­de am 06.10.2008 zu­ge­stellt wor­den. Die Be­klag­te hat durch ih­re Pro­zess­ver­tre­ter mit

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Schrift­satz vom 03.11.2008, beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­gen am 04.11.2008, Be­ru­fung ein­le­gen las­sen. Sie hat ih­re Be­ru­fung mit Schrift­satz ih­rer Pro­zess­ver­tre­ter vom 04.12.2008, beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­gen am sel­ben Tag, be­gründet. Die­se Be­ru­fungs­be­gründung ist den Ver­tre­tern des Klägers am 09.12.2008 förm­lich zu­ge­stellt wor­den. Des­sen Er­wi­de­rungs­frist ist auf­grund am 10.12.2008 ein­ge­gan­ge­nen An­trags bis 20.02.2009 verlängert wor­den. Der Kläger hat mit Schrift­satz vom 17.02.2009, beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­gen am 18.12.2009, An­schluss­be­ru­fung ein­ge­legt.


Zur Be­gründung ih­rer Be­ru­fung trägt die Be­klag­te vor, das Ar­beits­ge­richt ha­be fälsch­lich das Vor­lie­gen ei­ner Be­triebsände­rung an­ge­nom­men. Nach der Richt­schnur des § 17 Abs. 1 KSchG müss­ten hierfür min­des­tens sechs Ar­beit­neh­mer be­trof­fen sein. Die­se Gren­ze sei vor­lie­gend mit der Ent­las­sung von vier Mit­ar­bei­tern nicht er­reicht. Der aus Al­ters­gründen oh­ne­hin aus­schei­den­de Ar­beit­neh­mer sei hierfür ir­re­le­vant. Der Ge­setz­ge­ber ha­be auf die Un­ter­gren­ze von sechs Ar­beit­neh­mern auch in an­de­ren Vor­schrif­ten, et­wa in § 112a Be­trVG, ab­ge­stellt, eben­so wie in § 17 Abs. 1 KSchG. Die­ser Rechts­ge­dan­ke tref­fe auch für die An­nah­me ei­ner Be­triebsände­rung nach § 111 Be­trVG zu. Selbst wenn man ei­ne an­de­re Auf­fas­sung ver­tre­te, sei auch in Klein­be­trie­ben nicht in je­dem Fall auf die Gren­ze von 30% ab­zu­stel­len. Mit ab­neh­men­der Be­triebs­größe müsse die re­la­ti­ve Be­deu­tung der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer ge­genüber der Rest­be­leg­schaft stei­gen. Aus die­sem Grund würden in der Li­te­ra­tur auch an­de­re Grenz­wer­te, et­wa 33,33%, ver­tre­ten. Letz­te­re Gren­ze sei vor­lie­gend kei­nes­falls über­schrit­ten. Auch sei die qua­li­ta­ti­ve Be­deu­tung der Maßnah­me zu berück­sich­ti­gen. Bei Durchführung ei­ner Ge­samt­abwägung wäre das Ar­beits­ge­richt zum Er­geb­nis ge­kom­men, dass kei­ne Be­triebsände­rung vor­lie­ge, weil ei­ne außer­gewöhn­li­che, über die lau­fen­de Geschäftsführung hin­aus­ge­hen­de Maßnah­me vor­lie­gen müss­te, die das Ge­präge der be­trieb­li­chen Ein­heit verändern würde. Vor­lie­gend sei die wirt­schaft­li­che Be­deu­tung des Fuhr­parks mit nur 13% der er­ziel­ten Umsätze als ge­ring an­zu­se­hen. Für die be­trieb­li­che Or­ga­ni­sa­ti­on sei es na­he­zu oh­ne Be­deu­tung, ob die zu or­ga­ni­sie­ren­den Trans­por­te mit ei­ge­nen Fahr­zeu­gen und Fah­rern oder über Fremd­fir­men ab­ge­wi­ckelt würden. Die kun­den­sei­ti­ge Ab­wick­lung blei­be hier­von gänz­lich un­berührt. Das Ge­präge des Be­triebs sei durch die Still­le­gung des Fuhr­parks un­verändert ge­blie­ben. Im Hin­blick auf die Ab­fin­dungshöhe ha­be das Ar­beits­ge­richt nicht aus­rei­chend berück­sich­tigt, dass die Aus­sich­ten des Klägers auf dem Ar­beits­markt nicht schlecht sei­en. Es sei all­ge­mein be­kannt, dass in Deutsch­land Fahr­per­so­nal ex­trem knapp sei und dass er­fah­re­ne Fah­rer hände­rin­gend ge­sucht würden. Das Ar­beits­ge­richt ha­be auch nicht hin­rei­chend in die Erwägun­gen ein­ge­stellt, dass höchst­rich­ter­lich noch nicht hin­rei­chend geklärt sei, un­ter wel­chen Umständen im Klein­be­trieb ei­ne Be­triebsände­rung an­zu­neh­men sei. Aus die­sem Grund kom­me ei­ne Ab­fin­dung in Höhe von al­len­falls ei­nem Drit­tel des in § 10 KSchG nor­mier­ten Höchst­be­tra­ges in Be­tracht. Der sich er­rech­nen­de Be­trag sei we­gen der gu­ten Aus­sich­ten des Klägers auf dem Ar­beits­markt noch zu min­dern.


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Der Kläger hat be­strit­ten, dass aus­rei­chend Aus­sich­ten auf dem Ar­beits­markt vor­han­den sei­en und gel­tend ge­macht, dass auch das Ar­beits­ge­richt ei­nen Ab­fin­dungs­be­trag von 35.000,- € als Aus­gangs­punkt er­rech­net ha­be. Die vom Ar­beits­ge­richt vor­ge­nom­me­nen Ab­schläge sei­en ge­ra­de im Hin­blick auf sein Al­ter nicht ge­recht­fer­tigt. Auf ein Ver­schul­den der Be­klag­ten kom­me es ent­ge­gen der An­sicht des Ar­beits­ge­richts nicht an. Ge­recht­fer­tigt sei ein Ab­fin­dungs­be­trag von min­des­tens 35.000,- €.


Die Be­klag­te stellt da­her in der Be­ru­fung den An­trag,


das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Nürn­berg vom 23.09.2008 (Az. 4 Ca 1659/08) ab­zuändern und nach dem Schluss­an­trag des Be­ru­fungs­be­klag­ten der ers­ten In­stanz zu er­ken­nen.


Der Kläger be­an­tragt


Zurück­wei­sung der Be­ru­fung.


Im We­ge der An­schluss­be­ru­fung be­an­tragt er,


das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Nürn­berg vom 23.09.2008 (4 Ca 1659/08) teil­wei­se ab­zuändern und die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an den Kläger ei­ne Ab­fin­dung nach § 113 Be­trVG zu zah­len, de­ren Höhe grundsätz­lich in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stellt wird, aber 35.000,- € nicht un­ter­schrei­ten soll­te.


Die Be­klag­te be­an­tragt hier­zu


Zurück­wei­sung der An­schluss­be­ru­fung des Klägers.


Der Kläger ist der Auf­fas­sung, die Be­klag­te be­strei­te zu Un­recht das Vor­lie­gen ei­ner Be­triebsände­rung. Seit der No­vel­lie­rung des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes im Jahr 2001 könne für Klein­be­trie­be nicht auf die Staf­fel des § 17 Abs. 1 KSchG zurück­ge­grif­fen wer­den. Auch das Ar­beits­ge­richt Duis­burg ge­he für Klein­be­trie­be von ei­ner Schwel­le der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer von 30% aus. Außer­dem ha­be sich das Ge­präge durch die Still­le­gung des Fuhr­parks verändert, weil dort in er­heb­li­chem Maße Per­so­nal- und Sach­mit­tel ein­ge­setzt ge­we­sen sei­en. Aus die­sem Grund sei auch ei­ne Ein­schränkung des gan­zen Be­trie­bes ge­ge­ben, die nicht in bloßem Per­so­nal­ab­bau be­ste­he. Auch lie­ge ei­ne Be­triebsände­rung im Sin­ne der Nr. 4 des § 111 Be­trVG vor, da die für ein Un­ter­neh­men der


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Trans­port­bran­che un­erläss­li­chen Trans­port­leis­tun­gen fremd­ver­ge­ben wer­den soll­ten. Hier­durch wer­de auch die Pro­duk­ti­ons­me­tho­de und die Be­triebs­or­ga­ni­sa­ti­on verändert.


Die Be­klag­te wen­det ein, das Ar­beits­ge­richt ha­be nicht aus­rei­chend be­ach­tet, dass nur vier Ar­beit­neh­mer ent­las­sen wor­den sei­en. Der Ar­beit­neh­mer B... sei we­gen Er­rei­chens der Al­ters­gren­ze und nicht we­gen der Still­le­gung aus­ge­schie­den. Es sei falsch, dass die Durchführung von Trans­port­leis­tun­gen für ein Un­ter­neh­men der Trans­port­bran­che un­erläss­lich sei. Die meis­ten Spe­di­teu­re führ­ten Trans­port­leis­tun­gen nicht selbst durch. Das Tätig­keits­bild bei ihr sei nach der Still­le­gung des Fuhr­parks na­he­zu iden­tisch; die Auf­träge, die durch ei­ge­ne Fahr­ten durch­geführt wor­den sei­en und ei­nen Um­fang von 13% am Um­satz ge­habt hätten, sei­en nicht weg­ge­fal­len, son­dern würden nun­mehr eben­falls über Dritt­fir­men ab­ge­wi­ckelt. Das Ge­präge der be­trieb­li­chen Ein­heit ha­be sich hier­durch nicht verändert. Der Geschäfts­ab­lauf sei na­he­zu gleich ge­blie­ben. Sch­ließlich sei das Aus­maß des be­triebs­ver­fas­sungs­wid­ri­gen Ver­hal­tens als ge­ring zu be­wer­ten; sie, die Be­klag­te, ha­be mit dem Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den über ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich ge­spro­chen, ha­be sich im Grun­de hier­auf ge­ei­nigt und die­sen le­dig­lich nicht schrift­lich nie­der­ge­legt, wie sich aus dem Be­spre­chungs­ver­merk vom 04.12.2008 er­ge­be. Sie wei­se dar­auf hin, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt Düssel­dorf die Kla­ge im Fall des Kol­le­gen des Klägers, eben­falls früher in der Nie­der­las­sung N... tätig, ab­ge­wie­sen ha­be.


Die Kam­mer hat Be­weis er­ho­ben zur Fra­ge, ob und mit wel­cher Wahr­schein­lich­keit ein 61-jähri­ger Kraft­fah­rer mit langjähri­ger Er­fah­rung Aus­sicht ha­be, im Raum N... ei­ne neue Stel­le als Kraft­fah­rer zu er­hal­ten, durch Aus­kunft der Bun­des­agen­tur für Ar­beit, Re­gio­nal­di­rek­ti­on Nord­bay­ern. Hin­sicht­lich der er­hal­te­nen An­ga­ben wird auf das Schrei­ben der Re­gio­nal­di­rek­ti­on vom 07.04.2009 nebst An­la­gen Be­zug ge­nom­men (Bl. 137 ff. d.A.). Die Par­tei­en ha­ben sich im Ver­hand­lungs­ter­min vom 09.03.2009 aus­drück­lich mit ei­ner Ver­wer­tung der Aus­sa­ge oh­ne zusätz­li­che münd­li­che Ver­hand­lung ein­ver­stan­den erklärt. Die Be­klag­te hat mit Schrift­satz vom 10.06.2009 (Bl. 145 d.A.) und durch Erklärung ih­res Pro­zess­ver­tre­ters ge­genüber dem Kam­mer­vor­sit­zen­den aus­drück­lich auf er­neu­te Durchführung ei­ner münd­li­chen Ver­hand­lung ver­zich­tet und um Ent­schei­dungs­verkündung ge­be­ten. We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten wird auf den Tat­be­stand des ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teils (Bl. 49 ff. d.A.), die zwi­schen den Par­tei­en in der Be­ru­fungs­in­stanz ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen so­wie die Nie­der­schrift über die Ver­hand­lung vom 09.03.2009 (Bl. 121 f. f.A.).Be­zug ge­nom­men.

 

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Ent­schei­dungs­gründe:


I. 


Be­ru­fung und An­schluss­be­ru­fung sind zulässig. Sie sind ins­be­son­de­re in­ner­halb der hierfür ge­setz­lich be­stimm­ten Fris­ten ein­ge­legt und be­gründet wor­den. Der für die Be­ru­fung nöti­ge Be­schwer­de­wert ist er­reicht (§ 64 Abs. 2b ArbGG). Die für die An­schluss­be­ru­fung nor­mier­te Frist ist mit der Frist zur Be­ru­fungs­er­wi­de­rung wirk­sam durch Verfügung des Vor­sit­zen­den vom 11.12.2008 au­to­ma­tisch mit­verlängert wor­den (vgl. Ger­mel­mann/Matt-hes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 7. Aufl.2009, § 64 Rn. 106; Zöller-Heßler, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 524 Rn. 10).


II. 


Be­ru­fung und An­schluss­be­ru­fung sind aber nicht be­gründet. Das Ar­beits­ge­richt hat die Be­klag­te zu­tref­fend zur Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung in Höhe von 25.000,- € an den Kläger ver­ur­teilt. Die Be­ru­fungs­kam­mer folgt den eingängi­gen und zu­tref­fen­den Ausführun­gen des Ar­beits­ge­richts, de­nen sie sich wei­test­ge­hend an­sch­ließt, so dass auf ei­ne er­neu­te, nur wie­der­ho­len­de Dar­stel­lung ver­zich­tet wer­den kann (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Ins­be­son­de­re im Hin­blick auf die Höhe der fest­ge­setz­ten Ab­fin­dung und die von den Par­tei­en in der Be­ru­fungs­in­stanz vor­ge­tra­ge­nen Ar­gu­men­te ist hin­zu­zufügen:


1. Ent­ge­gen der An­sicht der Be­klag­ten und ent­ge­gen auch der An­sicht des LAG Düssel­dorf im Ur­teil vom 05.03.2009 (5 Sa 1626/08, zi­tiert nach ju­ris) – be­tref­fend den Fall des Kol­le­gen des Klägers und eben­falls die hier zu be­wer­ten­de Still­le­gung des Fuhr­parks in der Nie­der­las­sung N... – ist vor­lie­gend von ei­ner Be­triebsände­rung im Sin­ne des § 111 S. 3 Nr. 1 Be­trVG aus­zu­ge­hen.


a. Da­bei ist zunächst zu be­ach­ten, dass ein un­mit­tel­ba­rer Rück­schluss auf die in § 17 Abs. 1 KSchG als we­sent­lich an­ge­se­he­nen Gren­zen bei Klein­be­trie­ben nichts her­gibt. Für die bis­he­ri­ge ober­ge­richt­li­che Recht­spre­chung konn­te die Pro­ble­ma­tik nicht auf­tre­ten, weil bis zur Be­trVG-Re­form vom 27.07.2001 (BGBl. I, 1852) die Be­tei­li­gungs­pflicht des Be­triebs­rats nach §§ 111 ff. Be­trVG nur dann in Be­tracht kam, wenn im Be­trieb selbst mehr als zwan­zig wahl­be­rech­tig­te Ar­beit­neh­mer re­gelmäßig beschäftigt wa­ren. Nun­mehr be­steht die Be­tei­li­gungs­pflicht un­abhängig von der Größe des Be­trie­bes im­mer schon dann, wenn das Un­ter­neh­men mit sei­ner Beschäftig­ten­zahl die Schwel­le der ge­nann­ten Ar­beit­neh­mer­zahl über­schrei­tet. Dies ist vor­lie­gend un­strei­tig der Fall.


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b. Die Be­klag­te hat den Fuhr­park still­ge­legt, al­so ei­nen auch nach An­ga­ben der Be­klag­ten vom rest­li­chen Be­trieb, in dem in ers­ter Li­nie Spe­di­ti­ons­geschäfte über Fremd­fir­men ab­ge­wi­ckelt wer­den, ab­grenz­ba­ren Teil des Klein­be­trie­bes. Da­mit geht es vor­lie­gend nicht al­lein dar­um, ob die Zahl der ent­las­se­nen Ar­beit­neh­mer in Form ei­nes rei­nen Per­so­nal­ab­baus die Gren­ze über­schrei­tet, bei der al­lei­ne die­ser Ab­bau ei­ne Ein­schränkung des gan­zen Be­trie­bes oder von we­sent­li­chen Be­triebs­tei­len dar­stellt. Ent­schei­dend ist viel­mehr, ob der Fuhr­park selbst als we­sent­li­cher Teil des ursprüng­li­chen Be­trie­bes an­zu­se­hen war. Zwar ist für die Qua­li­fi­ka­ti­on ei­nes still­ge­leg­ten Be­triebs­teils als „we­sent­lich“ im Sin­ne des § 111 S. 3 Nr. 1 Be­trVG in ers­ter Li­nie eben­falls – wie beim rei­nen Per­so­nal­ab­bau – auf die in § 17 Abs. 1 KSchG zum Aus­druck kom­men­de Wer­tent­schei­dung des Ge­setz­ge­bers ab­zu­stel­len (zu­letzt BAG vom 18.03.2008, 1 ABR 77/06, zi­tiert nach ju­ris, Rn. 19). Al­ler­dings kann die­se Zah­len­staf­fel des § 17 Abs. 1 KSchG für die­se Kon­stel­la­ti­on der Still­le­gung ei­nes Be­triebs­teils nicht wie bei ei­nem vom Ar­beit­ge­ber ver­an­lass­ten Per­so­nal­ab­bau vollständig über­nom­men wer­den mit der Fol­ge, dass auch im Klein­be­trieb die Ar­beits­verhält­nis­se von min­des­tens sechs Ar­beit­neh­mern aus be­trieb­li­chen Gründen be­en­det wer­den müss­ten (so wohl Fit­ting/En­gels/Schmidt/ Tre­bin­ger/Lin­sen­mai­er, Be­trVG, 24. Aufl. 2008, § 111 Rn. 75 und ins­bes. 48; aus­drück­lich auch Stef­fan in Ha­Ko-Be­trVG, 2. Aufl. 2006, § 111 Rn. 25; Hess in HSWGN, Be­trVG, 7. Aufl. 2008, § 111 Rn. 107; SWS, Be­trVG, 9. Aufl. 2002, § 111-113 Rn. 45a; Löwisch/Kai­ser, Be­trVG, 5. Aufl. 2002, § 111 Rn. 25; auch Lin­ge­mann NZA 2002, 934, 936, der die Zah­len­staf­fel des § 17 Abs. 1 KSchG al­ler­dings un­rich­tig als al­lein maßgeb­lich be­trach­tet). Ins­be­son­de­re führt der Hin­weis auf § 112a Abs. 1 Be­trVG, der für die So­zi­al­plan­pflicht von ei­ner Min­dest­zahl von sechs be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mern aus­geht, hierfür nicht wei­ter; § 112a Be­trVG be­schränkt die So­zi­al­plan­pflicht beim rei­nen Per­so­nal­ab­bau; die Vor­schrift greift nicht bei an­de­ren Tat­beständen des § 111 S. 3 Be­trVG, auch nicht bei der Teil­still­le­gung, in der über den bloßen Per­so­nal­ab­bau hin­aus we­sent­li­che be­trieb­li­che Struk­tu­ren ein­ge­schränkt oder we­sent­li­che Be­triebs­tei­le still­ge­legt wer­den. Für die Fra­ge der Still­le­gung ei­nes Be­triebs­teils hat es im übri­gen das Bun­des­ar­beits­ge­richt schon vor der Be­trVG-Re­form 2001 für möglich ge­hal­ten, dass auch ein klei¬ner Be­triebs­teil mit we­ni­ger als sechs Beschäftig­ten als „we­sent­li­cher“ Be­triebs­teil im Sin­ne des § 111 S. 3 Nr. 1 Be­trVG an­ge­se­hen wer­den könn­te, und des­sen Be­deu­tung für den Ge­samt­be­trieb ge­prüft (BAG vom 07.08.1990, 1 AZR 445/89, zi­tiert nach ju­ris, Rn. 25 ff.: Still­le­gung ei­nes Be­triebs­teils mit drei Schäre­rin­nen und ei­nem Vor­ar­bei­ter in ei­nem Be­trieb mit 27 Ar­beit­neh­mern).

 

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c. Das rei­ne Ab­stel­len auf die Be­trof­fen­heit von mehr als fünf Ar­beit­neh­mern er­scheint zu­min­dest für die Teil­still­le­gung auch auf­grund ei­ner wei­te­ren Über­le­gung als aus­ge­schlos­sen. Für die Still­le­gung des gan­zen Be­trie­bes kann auch in Klein­be­trie­ben nach dem kla­ren Ge­set­zes­wort­laut nicht auf die Min­dest­zahl von sechs be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mern ab­ge­stellt wer­den. Würde der Ar­beit­ge­ber ei­nen Klein­be­trieb mit sie­ben oder acht Beschäftig­ten nicht still­le­gen, son­dern mit ei­ner Be­set­zung von zwei oder drei Per­so­nen auf­recht­er­hal­ten, würde nach der ge­nann­ten Auf­fas­sung – im Ge­gen­satz zur ge­sam­ten Still­le­gung – we­gen Nicht­er­rei­chens der Min­dest­zahl von mehr als fünf be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mern dann kei­ne Be­triebsände­rung vor­lie­gen – ob­wohl die We­sent­lich­keit für die­sen Fall, be­trach­tet man, wie seit der Be­trVG-Re­form 2001 ge­setz­lich vor­ge­schrie­ben, nur die vor­her be­ste­hen­de be­trieb­li­che Ein­heit, kei­nes­falls ver­neint wer­den könn­te.


d. Die Kam­mer schließt sich da­her der Auf­fas­sung an, dass in Fortführung der Staf­fel des § 17 Abs. 1 KSchG nach un­ten in Klein­be­trie­ben auch klei­ne­re Ar­beit­neh­mer­zah­len zur An­nah­me ei­nes we­sent­li­chen Be­triebs­teils und ei­ner Be­triebsände­rung aus­rei­chen können. Da­bei er­scheint es in Fortführung der Staf­fel des § 17 Abs. 1 KSchG in der Tat als sinn­voll, in Be­trie­ben mit bis zu 20 Ar­beit­neh­mern auf die not­wen­di­ge Zahl von min­des­tens 30% be­trof­fe­ner Ar­beit­neh­mer ab­zu­stel­len (so über­zeu­gend Ri­char­di-An­nuß, Be­trVG, 11. Aufl. 2008, § 111 Rn. 74; GK-Oet­ker, Be­trVG, 8. Aufl. 2005, § 111 Rn. 73; Sch­wei­bert in Wil­le­sen/Ho­hen­statt/Schwei-bert/Seibt, Um­struk­tu­rie­rung und Über­tra­gung von Un­ter­neh­men, 3. Aufl. 2008, Buch­sta­be C Rn. 21; jetzt auch Koch in Schaub, Ar­beits­rechts­hand­buch, 13. Aufl. 2009, § 244 Rn. 16a; Gil­len/Vah­le NZA 2005, 1385, 1386; Däubler in Däubler/ Kitt­ner/Kle­be, Be­trVG, 11. Aufl. 2008, § 111 Rn. 45a geht von ei­nem Drit­tel be­trof­fe­ner Ar­beit­neh­mer aus; ein Drit­tel befürwor­tend auch LAG Düssel­dorf vom 05.03.2009, 5 Sa 1626/09, zi­tiert nach ju­ris, Rn. 41; an­ge­sichts der ge­rin­gen Zah­len­größen und der Not­wen­dig­keit zur Auf­run­dung – „min­des­tens“ – dürf­ten die Un­ter­schie­de ge­ring sein).


e. Vor­lie­gend han­delt es sich bei quan­ti­ta­ti­ver Be­trach­tung beim still­ge­leg­ten Be­triebs­teil Fuhr­park um ei­nen we­sent­li­chen Be­triebs­teil. Im Be­triebs­teil wa­ren fünf von ins­ge­samt 13 Ar­beit­neh­mern beschäftigt. Da­bei ist für die Fra­ge der quan­ti­ta­tiv zu be­stim­men­den We­sent­lich­keit nicht ent­schei­dend, dass der Ar­beit­neh­mer B... nicht im Zu­ge der Teil­still­le­gung gekündigt wur­de, son­dern auf­grund des na­he­zu zeit­glei­chen Er­rei­chens der Al­ters­gren­ze aus dem Ar­beits­verhält­nis aus­ge­schie­den ist. Hier­auf – auf die Zahl der im Rah­men des Per­so­nal­ab­baus auf Ver­an­las­sung des Ar­beit­ge­bers aus­ge­schie­de­nen Ar­beit­neh­mer – kommt es nur beim rei­nen Per­so­nal­ab­bau an, weil nach Sinn und Zweck des In­ter­es­sen­aus­gleichs in

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die­sem Fall die Aus­wir­kun­gen auf die­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer be­trach­tet wer­den müssen, die den Ar­beits­platz we­gen der vom Ar­beit­ge­ber ver­an­lass­ten Ein­schränkung des Be­trie­bes ver­lo­ren ha­ben. An­ders liegt der Fall, wenn es um die Qua­li­fi­zie­rung ei­nes weg­fal­len­den Be­triebs­teils als „we­sent­lich“ oder un­we­sent­lich geht. Dann sind al­lein die Größen­ord­nun­gen des weg­fal­len­den im Verhält­nis zum ursprüng­li­chen Be­trieb ins Verhält­nis zu set­zen, un­abhängig da­von, aus wel­chem Grund und auf­grund wel­cher Rechts­ge­stal­tung die Ar­beitsplätze nun­mehr endgültig weg­ge­fal­len sind. Aus­zu­ge­hen ist vor­lie­gend da­her da­von, dass fünf von ursprüng­lich 13 Ar­beitsplätzen ent­fal­len sind (eben­so LAG Düssel­dorf, a.a.O.). Die Gren­ze von 30% – auch die Gren­ze von ei­nem Drit­tel – ist da­mit, stellt man al­lein auf die Quan­tität des Be­triebs­teils ab, über­schrit­ten.


f. Dies gilt um­so mehr, wenn man mit Blick auf die Größe des still­ge­leg­ten Teils nicht
auf die rei­nen Kopf­zah­len ab­stellt – was für die Er­rei­chung der Größen­ord­nung für den Per­so­nal­ab­bau zwin­gend er­scheint –, son­dern wenn man auch die Ar­beits­zeit­an­tei­le in die Abwägung ein­be­zieht. Die Be­klag­te trägt selbst vor, dass von den ver­blei­ben­den acht Ar­beit­neh­mern vier als Ge­ring­ver­die­ner tätig sind, da­von ei­ner nur zur Aus­hil­fe mit ei­ner St­un­den­zahl von zu­letzt ins­ge­samt 36 St­un­den im Halb¬jahr. Stellt man dies zusätz­lich in Rech­nung, dann war der still­ge­leg­te Teil mit fünf Vol­l­ar­beitsplätzen, be­zo­gen auf den Ein­satz von Ar­beits­kraft, prak­tisch eben­so groß wie der ver­blei­ben­de Teil mit vier Voll­zeit- und vier Ge­ring­zeit­kräften. Aus die­sem Grund be­ste­hen für die Be­ru­fungs­kam­mer an der We­sent­lich­keit des still­ge­leg­ten Teils, be­trach­tet man schon die Quan­tität im Verhält­nis zum ursprüng­li­chen Ge­samt­be­trieb, kei­ne Zwei­fel.


g. Nach Über­zeu­gung der Be­ru­fungs­kam­mer ist – in­so­weit ent­ge­gen der Auf­fas­sung des LAG Düssel­dorf – nicht zusätz­lich auf ei­ne be­son­de­re wirt­schaft­li­che Be­deu­tung des still­ge­leg­ten Teils im Verhält­nis zum Ge­samt­be­trieb ab­zu­stel­len. So­weit die wirt­schaft­li­che Be­deu­tung her­an­ge­zo­gen wird, wird dies in den­je­ni­gen Kon­stel­la­tio­nen ge­prüft, in de­nen die not­wen­di­ge quan­ti­ta­ti­ve We­sent­lich­keit nicht er­reicht ist. Aus die­sem Grund hat das BAG im Ur­teil vom 19.01.1999 (1 AZR 342/98, zi­tiert nach ju­ris) zunächst aus­geführt, die We­sent­lich­keit des Be­triebs­teils könne sich aus der Be­deu­tung des Be­triebs­teils in­ner­halb der Ge­samt­or­ga­ni­sa­ti­on er­ge­ben (Rn. 42); ein Be­triebs­teil könne „darüber hin­aus“ auch dann we­sent­lich sein, wenn in ihm ein er­heb­li­cher Teil der Ge­samt­be­leg­schaft beschäftigt wer­de (vgl. Rn. 43). Das BAG hat in die­ser Ent­schei­dung ei­ne über die quan­ti­ta­tiv fest­ge­stell­te „We­sent­lich­keit“ ei­ne zusätz­li­che qua­li­ta­ti­ve Be­deu­tung ge­ra­de nicht ver­langt. Das­sel­be gilt für die Ent­schei­dung vom 08.06.1999 (1 AZR 696/98, eben­falls zi­tiert nach ju­ris). Dort legt das BAG dar, dass sich die We­sent­lich­keit zwar aus der Be-


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deu­tung für den Ge­samt­be­trieb er­ge­ben könne, dass im Re­gel­fall ein Be­triebs­teil aber nur dann als we­sent­lich an­ge­se­hen wer­den könne, wenn in ihm auch ein er­heb­li­cher Teil der Be­leg­schaft beschäftigt sei (Rn. 31). Ei­ne be­son­de­re Be­deu­tung zusätz­lich zur Beschäfti­gung ei­nes er­heb­li­chen Teils der Be­leg­schaft im still­ge­leg­ten Teil wird al­so ge­ra­de nicht ver­langt.


h. Das­sel­be gilt für das vom LAG Düssel­dorf zi­tier­te Ur­teil des BAG vom 27.06.2002 (2 AZR 489/01, zi­tiert nach ju­ris). Dort hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt zunächst erklärt, die Recht­spre­chung ha­be „das Vor­lie­gen ei­nes we­sent­li­chen Be­triebs­teils im Re­gel­fall nur dann be­jaht, wenn in dem frag­li­chen Be­triebs­teil ein er­heb­li­cher Teil der Ge­samt­be­leg­schaft beschäftigt“ sei, wo­bei auf die Zah­len­wer­te des § 17 Abs. 1 KSchG ab­zu­stel­len sei (Rn. 24). Der Satz, „auch wenn man darüber hin­aus bei der Prüfung, ob ein we­sent­li­cher Be­triebs­teil vor­liegt, die wirt­schaft­li­che und sons­ti­ge Be­deu­tung des Be­triebs­teils mit berück­sich­tigt“ (Rn. 25), zielt er­kenn­bar dar­auf ab, die­se Be­deu­tung könne da­zu führen, dass der im Streit­fall quan­ti­ta­tiv nicht we­sent­li­che Teil mögli­cher­wei­se qua­li­ta­tiv von ei­ner sol­chen Be­deu­tung sein könne, dass ei­ne Be­triebsände­rung trotz der feh­len­den Größe an­ge­nom­men wer­den könn­te. Dies ent­spricht auch der sons­ti­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts. So hat das BAG et­wa im Be­schluss vom 28.03.2006 (1 ABR 5/05, zi­tiert nach ju­ris) aus­geführt (Rn. 41): „Mit neun Ar­beit­neh­mern er­reich­te sie (ge­meint: die Grup­pe der Ar­beit­neh­mer) nicht annähernd den Zah­len­wert des § 17 Abs. 1 KSchG, der grundsätz­lich er­for­der­lich ist, um von ei­nem we­sent­li­chen Be­triebs­teil im Sin­ne des § 111 S. 3 Nr. 1 Be­trVG aus­ge­hen zu können (..). Sie hat­te für den Ge­samt­be­trieb auch kei­ne sol­che Schlüssel­funk­ti­on, dass es auf­grund ei­ner qua­li­ta­ti­ven Be­trach­tung ge­recht­fer­tigt wäre, trotz Nicht­er­rei­chens des Schwel­len­wer­tes des § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KSchG von ei­nem we­sent­li­chen Be­triebs­teil aus­zu­ge­hen. Da­her konn­te da­hin­ste­hen, ob ein Be­triebs­teil auch un­abhängig von der Zahl der in ihm Beschäftig­ten auf Grund an­de­rer Umstände, ins­be­son­de­re sei­ner Be­deu­tung für den Ge­samt­be­trieb, als we­sent­li­cher Be­triebs­teil an­ge­se­hen wer­den kann.“ Die­se Grundsätze wer­den wie­der­holt im Be­schluss des BAG vom 18.03.2008 (1 ABR 77/06). Auch dort wird zunächst fest­ge­stellt, dass die Ab­tei­lung mit zehn Ar­beit­neh­mern nicht annähernd den Zah­len­wert des § 17 Abs. 1 KSchG, der grundsätz­lich er­for­der­lich sei, um von ei­nem we­sent­li­chen Be­triebs­teil aus­zu­ge­hen, er­rei­che. Es sei auch nicht er­sicht­lich, dass dem still­ge­leg­ten Teil ei­ne sol­che Schlüssel­funk­ti­on zu­kom­me, dass es auf Grund ei­ner qua­li­ta­ti­ven Be­trach­tung ge­recht­fer­tigt wäre, „trotz Nicht­er­rei­chens des Schwel­len­wer­tes“ von ei­nem we­sent­li­chen Be­triebs­teil aus­zu­ge­hen (Rn. 19).

 

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i. All die­se Ent­schei­dun­gen zei­gen, dass es für die Prüfung der We­sent­lich­keit dann, wenn die Zahl der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer quan­ti­ta­tiv er­reicht war, auf ei­ne zusätz­li­che Be­deu­tung des Be­triebs­teils in qua­li­ta­ti­ver Hin­sicht nicht mehr an­kommt.


j. Die Kam­mer hält es im Ge­gen­satz zur Auf­fas­sung des LAG Düssel­dorf nicht für an­ge­bracht, für die Teil­still­le­gung in Klein­be­trie­ben hierfür ei­ne Aus­nah­me zu ma­chen und zusätz­lich zur quan­ti­ta­ti­ven Be­trof­fen­heit ei­ne qua­li­ta­ti­ve We­sent­lich­keit zu ver­lan­gen (dort Rn. 43). Ei­ne Ab­wei­chung von all­ge­mei­nen Maßstäben für Klein­be­trie­be recht­fer­tigt sich nicht schon dar­aus – wor­auf die Ar­gu­men­ta­ti­on des LAG Düssel­dorf hin­deu­ten könn­te –, dass Klein­be­trie­be in § 17 Abs. 1 KSchG nicht er­fasst sind. Nicht der Ge­setz­ge­ber hat nämlich be­stimmt, dass für die An­nah­me der We­sent­lich­keit die Zah­len­staf­fel des § 17 Abs. 1 KSchG her­an­zu­zie­hen wäre, son­dern das Bun­des­ar­beits­ge­richt ver­wen­det die­se Staf­fel im Rah­men ei­ner nicht ab­sch­ließen­den „Richt­schnur“ (vgl. schon BAG vom 06.06.1978, 1 AZR 495/75, zi­tiert nach ju­ris, Rn. 27; eben­so BAG vom 07.08.1990, a.a.O., Rn. 20). Die Kam­mer kann auch sonst kei­ne Be­gründung hierfür er­ken­nen. Für die Fest­stel­lung, ob über die Men­ge der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer ein Be­triebs­teil von er­heb­li­cher Größe ist, sind eben nicht Ar­beits­markt­ge­sichts­punk­te – wie bei § 17 KSchG – maßgeb­lich. Ent­schei­dend ist der Blick auf die­je­ni­ge Ein­heit, für die ein Be­triebs­rat gewählt ist und die aus die­sem Grund als „Be­trieb“ im Sin­ne des § 111 S. 3 Nr. 1 Be­trVG an­zu­se­hen ist (BAG vom 19.01.1999, a.a.O., Rn. 41; BAG vom 08.06.1999, 1 AZR 696/98, zi­tiert nach ju­ris, Rn. 20). Die­se be­trieb­li­che Ein­heit ist für die Fra­ge, ob ein Be­trieb still­ge­legt wird, aber auch für die Fra­ge, ob ein Teil ei­nes sol­chen Be­triebs still­ge­legt wird, als Aus­gangs­größe maßgeb­lich. Dies ent­spricht dem Wil­len des Ge­setz­ge­bers im Be­trVG-Re­form­ge­setz 2001. In der Be­gründung zu die­sem Ge­setz heißt es aus­drück­lich (BT-Drs. 14/5714 vom 02.04.2003, S. 51 zu Nr. 70): „An den Tat­be­stands­vor­aus­set­zun­gen für das Vor­lie­gen ei­ner kon­kre­ten Be­triebsände­rung ändert sich da­durch nichts. Die Be­ur­tei­lung bleibt un­verändert be­triebs­be­zo­gen.“ Dies gilt nach dem Wil­len des Ge­setz­ge­bers auch für Klein­be­trie­be; das Auf­stel­len zusätz­li­cher An­for­de­run­gen hierfür ne­ben der Fortführung der Staf­fel des § 17 Abs. 1 KSchG – un­ter Be­ach­tung des Ver­laufs der im­mer wei­te­ren Ab­sen­kung bei größeren Ein­hei­ten – auf Klein­be­trie­be ist nicht ge­recht­fer­tigt. Aus die­sem Grund kann es da­hin­ste­hen, ob die qua­li­ta­ti­ve Be­deu­tung sich am Bei­trag am Ge­samt­um­satz erschöpfen kann und ob hierfür ent­schei­dend sein kann, ob die ver­blei­ben­de Be­leg­schaft ih­re Tätig­keit im we­sent­li­chen un­verändert fortführen kann (so LAG Düssel­dorf, a.a.O.).


k. Nach all­dem kommt es für die Prüfung der We­sent­lich­keit des still­ge­leg­ten Be­triebs­teils auf die wirt­schaft­li­che Be­deu­tung für den Ge­samt­be­trieb oder für den


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ver­blei­ben­den Rest­be­trieb nicht an. Die Be­klag­te hat schon quan­ti­ta­tiv be­trach­tet ei­nen we­sent­li­chen Teil des N... Be­trie­bes still­ge­legt. Es liegt ei­ne Be­triebsände­rung vor.


2. Die Be­klag­te hat ih­re sich aus §§ 111 ff. Be­trVG er­ge­ben­den Pflich­ten ver­letzt. Sie trägt zwar vor, sie ha­be mit dem Be­triebs­rats­mit­glied B... über die Still­le­gung des Fuhr­parks ge­spro­chen und ei­nen frei­wil­li­gen So­zi­al­plan an­ge­bo­ten. Sie hat sich hier­bei auf den Ver­merk vom 11.02.2008 be­ru­fen. Die­ser Vor­trag der Be­klag­ten kann als zu­tref­fend un­ter­stellt wer­den. Die Be­klag­te hat ih­re Pflich­ten da­mit nicht in vol­lem Um­fang erfüllt. Sie trägt selbst nicht vor, dass sie mit dem Be­triebs­rat ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich ab­ge­schlos­sen hätte, dass sie sich mit dem Be­triebs­rats­mit­glied B... über die Still­le­gung des Fuhr­parks ge­ei­nigt hätte. Dies zeigt auch der von der Be­klag­ten vor­ge­leg­te Ver­merk vom 11.02.2008, in dem von ei­ner Ei­ni­gung ge­ra­de nicht die Re­de ist. Auch würde es hierfür an der in § 112 Abs. 1 S. 1 Be­trVG vor­ge­schrie­be­nen Schrift­form feh­len. Hat es aber kei­ne Ei­ni­gung ge­ge­ben, dann hätte die Be­klag­te wei­ter ver­su­chen müssen, ei­ne sol­che Ei­ni­gung noch her­bei­zuführen. Sie hätte, so­weit der Be­triebs­rat hier­auf nicht aus­drück­lich ver­zich­tet hätte – was auch die Be­klag­te nicht vor­ge­tra­gen hat –, hier­zu die Ei­ni­gungs­stel­le an­ru­fen und ei­nen Ei­ni­gungs­ver­such mit de­ren Hil­fe vor­neh­men müssen (ständi­ge Recht­spre­chung seit BAG vom 18.12.1984, 1 AZR 176/82; BAG vom 20.11.2001, 1 AZR 97/01, Rn. 15, je­weils zi­tiert nach ju­ris). Sie hat die­sen Ver­such nicht un­ter­nom­men. Da­mit be­steht ein An­spruch auf Nach­teils­aus­gleich nach § 113 Abs. 3 Be­trVG zu­guns­ten des Klägers.


3. Zu Recht hat das Ar­beits­ge­richt als Nach­teils­aus­gleich ei­nen Be­trag von 25.000,- € zu­guns­ten des Klägers fest­ge­setzt. Durch die Ver­wei­sung auf § 10 KSchG, in dem höhe­re Ab­fin­dungs­gren­zen bei länge­rer Be­triebs­zu­gehörig­keit und höhe­rem Le­bens­al­ter fest­ge­schrie­ben sind, hat der Ge­setz­ge­ber ge­zeigt, dass es ne­ben dem bis­he­ri­gen Ent­gelt des Ar­beit­neh­mers maßgeb­lich auf die­se bei­den Ge­sichts­punk­te an­kommt. Darüber hin­aus ist auch die La­ge auf dem Ar­beits­markt bei der Be­rech­nung der Ab­fin­dung von Be­deu­tung (BAG vom 10.12.1996, 1 AZR 290/96, zi­tiert nach ju­ris, Rn. 30 und 38). Da­ne­ben kann das Aus­maß des be­triebs­ver­fas­sungs­wid­ri­gen Ver­hal­tens des Ar­beit­ge­bers berück­sich­tigt wer­den (BAG vom 20.11.2001, 1 AZR 97/01, Rn. 16; BAG vom 22.07.2003, 1 AZR 541/02, Rn. 24, eben­falls zi­tiert nach ju­ris). Auch die tatsächlich er­lit­te­nen Nach­tei­le sind zu be­ach­ten (BAG vom 13.06.1989, 1 AZR 819/87, Rn. 40; BAG vom 24.08.2006, 8 AZR 317/05, Rn. 61, je­weils zi­tiert nach ju­ris). Darüber hin­aus können auch be­son­de­re so­zia­le Umstände des Ar­beit­neh­mers zusätz­lich Be­ach­tung fin­den (KR-Spil­ger, Ge­mein­schafts­kom­men­tar zum Be­trVG, 8. Aufl. 2007, § 10 KSchG Rn. 52).


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Legt man die­se Kri­te­ri­en zu­grun­de, so ist – aus­ge­hend von ei­nem Brut­to­ent­gelt oh­ne Spe­sen, weil da­von aus­zu­ge­hen ist, dass die­sen ent­spre­chen­de Auf­wen­dun­gen des Klägers ent­ge­gen­ge­stan­den ha­ben – ent­spre­chend den An­ga­ben der Par­tei­en ein Mo­nats­ent­gelt von 2.600,- € zu­grun­de zu le­gen. Im Zeit­punkt des Zu­gangs der Kündi­gung be­stand das Ar­beits­verhält­nis mehr als 40 Jah­re. Der Kläger war mehr als 61 Jah­re alt. Es ergäbe sich – un­abhängig da­von, ob man von ei­ner beim Ar­beits­ge­richt Nürn­berg „übli­chen“ Faust­for­mel von 1/3 Mo­nats­ge­halt pro Beschäfti­gungs­jahr aus­ge­hen kann wie das Ar­beits­ge­richt oder von ei­ner all­ge­mein „übli­chen“ For­mel von 1/2 (so das LAG Rhein­land-Pfalz vom 06.11.2007, 3 Sa 375/07, zi­tiert nach ju­ris, Rn. 26) – ei­ne den Be­trag von 25.000,- € über­stei­gen­de Ab­fin­dungs­sum­me. Ir­gend­wel­che persönli­chen so­zia­len Umstände hat der Kläger nicht vor­ge­tra­gen. Zu berück­sich­ti­gen ist zu sei­nen Guns­ten auch, dass nach der von den Par­tei­en nicht be­an­stan­de­ten Aus­kunft der Ar­beits­agen­tur prak­tisch kei­ne Aus­sicht für den Kläger be­stand und be­steht, auf dem Ar­beits­markt un­ter­zu­kom­men. Zu berück­sich­ti­gen ist al­ler­dings auch, dass ein er­heb­li­ches Fehl­ver­hal­ten der Be­klag­ten nicht fest­zu­stel­len ist. Sie ver­tritt in ei­ner strei­ti­gen, noch nicht höchst­rich­ter­lich ent­schie­de­nen Rechts­fra­ge ei­ne ver­tret­ba­re Auf­fas­sung. Das Maß des be­triebs­ver­fas­sungs­wid­ri­gen Ver­hal­tens ist al­so ge­ring. Dies ist zu ih­ren Guns­ten zu berück­sich­ti­gen. Ob So­zi­al­plan­pflicht be­stand, ist un­er­heb­lich; § 112a Be­trVG mit sei­ner Ein­schränkung kommt je­den­falls nicht zur An­wen­dung, weil sich die Be­triebsände­rung nicht auf die bloße Ent­las­sung be­schränkt, so dass ei­ne Her­ab­set­zung we­gen feh­len­der So­zi­al­plan­pflicht, wie das Ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men hat, nicht ver­an­lasst ist. Zu be­ach­ten ist aber, dass die Nach­tei­le des Klägers we­gen der Möglich­keit zum bal­di­gen Ren­ten­be­zug be­grenzt sind. Das Ar­beits­verhält­nis des Klägers ist zum 28.02.2009 be­en­det wor­den. Bis zum Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­ren­te hat er noch ei­nen Zeit­raum von drei Jah­ren und drei Mo­na­ten zu über­brücken. Da­bei hat er die Möglich­keit, 24 Mo­na­te Ar­beits­lo­sen­geld und dann vor­ge­zo­ge­ne Al­ters­ren­te – wenn­gleich mit Ab­schlägen – zu be­zie­hen (Kütt­ner, Per­so­nal­buch 2009, Al­ters­ren­te Rn. 48). Dem Ar­beit­neh­mer sol­len je­doch Nach­tei­le aus­ge­gli­chen wer­den, er soll aber kei­ne Vor­tei­le ge­genüber dem­je­ni­gen Stand er­zie­len, den er oh­ne die Kündi­gung er­reicht hätte (so zu­tref­fend auch LAG Ber­lin vom 23.07.2006, 7 Sa 2371/05, zi­tiert nach ju­ris). Es recht­fer­tigt sich un­ter Abwägung all die­ser Ge­sichts­punk­te ei­ne Fest­set­zung auf 25.000,- €. Die Te­n­o­rie­rung als Brut­to­be­trag, wie sie das Ar­beits­ge­richt vor­ge­nom­men hat, soll da­bei ver­deut­li­chen, dass die­ser Be­trag nicht un­gekürzt zur Aus­zah­lung kom­men kann, son­dern dass der Ar­beit­ge­ber die hier­auf an­fal­len­den Steu­er­beträge ab­zu­zie­hen hat.


4. Nach all­dem hat das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend ent­schie­den. Dem Kläger steht der An­spruch, wie ihn das Ar­beits­ge­richt te­n­o­riert hat, zu. Be­ru­fung und An­schluss­be­ru­fung sind als un­be­gründet zurück­zu­wei­sen.


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5. Die Kos­ten­ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts, das auch die zurück­ge­nom­me­nen Anträge des Klägers zu berück­sich­ti­gen hat­te, ist von den Par­tei­en nicht an­ge­grif­fen wor­den und auch nicht zu be­an­stan­den. Die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens sind ent­spre­chend dem Ob­sie­gen bzw. Un­ter­lie­gen der Par­tei­en an­tei­lig zu tra­gen (§ 64 Abs. 7 ArbGG, § 92 Abs. 1 ZPO).


6. Die Zu­las­sung der Re­vi­si­on er­folgt we­gen der grundsätz­li­chen Be­deu­tung und we­gen der Ab­wei­chung zur Ent­schei­dung des LAG Düssel­dorf vom 05.03.2009 (5 Sa 1626/08) im eben­falls den Nürn­ber­ger Be­trieb der Be­klag­ten be­tref­fen­den Par­al­lel­fall.


Rechts­mit­tel­be­leh­rung:


Ge­gen die­ses Ur­teil kann die Be­klag­te Re­vi­si­on ein­le­gen.


Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb ei­ner Frist von ei­nem Mo­nat ein­ge­legt und in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten be­gründet wer­den.


Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung des Ur­teils.


Die Re­vi­si­on muss beim


Bun­des­ar­beits­ge­richt

Hu­go-Preuß-Platz 1

99084 Er­furt

Post­an­schrift:
Bun­des­ar­beits­ge­richt
99113 Er­furt


Te­le­fax-Num­mer:
0361 2636-2000


ein­ge­legt und be­gründet wer­den.


Die Re­vi­si­ons­schrift und die Re­vi­si­ons­be­gründung müssen von ei­nem Rechts­an­walt un­ter­zeich­net sein.
Es genügt auch die Un­ter­zeich­nung durch ei­nen Be­vollmäch­tig­ten der Ge­werk­schaf­ten und von Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­bern so­wie von Zu­sam­men­schlüssen sol­cher Verbände
- für ih­re Mit­glie­der
- oder für an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung
und de­ren Mit­glie­der


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oder
von ju­ris­ti­schen Per­so­nen, de­ren An­tei­le sämt­lich in wirt­schaft­li­chem Ei­gen­tum ei­ner der im vor­ge­nann­ten Ab­satz be­zeich­ne­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen ste­hen,
- wenn die ju­ris­ti­sche Per­son aus­sch­ließlich die Rechts­be­ra­tung und Pro­zess­ver­tre­tung
die­ser Or­ga­ni­sa­ti­on und ih­rer Mit­glie­der oder an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der ent­spre­chend de­ren Sat­zung durchführt
- und wenn die Or­ga­ni­sa­ti­on für die Tätig­keit der Be­vollmäch­tig­ten haf­tet.


In je­dem Fall muss der Be­vollmäch­tig­te die Befähi­gung zum Rich­ter­amt ha­ben.

Zur Möglich­keit der Re­vi­si­ons­ein­le­gung mit­tels elek­tro­ni­schen Do­ku­ments wird auf die Ver­ord­nung über den elek­tro­ni­schen Rechts­ver­kehr beim Bun­des­ar­beits­ge­richt vom 09.03.2006 (BGBl. I, 519 ff.) hin­ge­wie­sen. Ein­zel­hei­ten hier­zu un­ter
http://www.bun­des­ar­beits­ge­richt.de


Vet­ter 

Vor­sit­zen­der Rich­ter 

am Lan­des­ar­beits­ge­richt 

 

Fal­len­ba­cher 

Eh­ren­amt­li­cher 

Rich­ter

 

Böhmländer

Eh­ren­amt­li­cher

Rich­ter

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