HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 07.11.2006, 5 Sa 159/06

   
Schlagworte: Ausbildungsvergütung, Vergütung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Aktenzeichen: 5 Sa 159/06
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 07.11.2006
   
Leitsätze:

1. Die BAG-Rechtsprechung zum Begriff der "angemessenen Vergütung" i. S. v. § 17 Abs. 1 BBiG (= § 10 Abs. 1 BBiG a. F.) findet auf den wortgleichen Begriff in § 12 Abs. 1 KrPflG Anwendung.

2. Bei fehlender Tarifbindung ist stets die tarifliche Vergütung als Maßstab für die Beurteilung der Angemessenheit der Ausbildungsvergütung gemäß § 17 Abs. 1 BBiG heranzuziehen. Nur bei Fehlen eines einschlägigen Lohn-Tarifvertrages kann auf die branchenübliche Vergütung abgestellt werden.

3. Sofern eine vertragliche vereinbarte Ausbildungsvergütung nicht zumindest 80 % der entsprechenden tariflichen Vergütung entspricht, wird die Unangemessenheit der Vergütung i. S. v. § 17 Abs. 1 BBiG vermutet.

4. Allein der Umstand, dass es sich bei dem Ausbildungsträger um eine gemeinnützige juristische Person handelt, rechtfertigt es nicht, bei der Prüfung der Angemessenheit von der Orientierung an den einschlägigen Tarifverträgen abzusehen.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Kiel, Urteil vom 16.02.2006, 1 Ca 2271 c/05
Nachgehend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.02.2008, 9 AZR 1091/06
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein

Ak­ten­zei­chen: 5 Sa 159/06 ö. D. 1 Ca 2271 c/05 ArbG Kiel (Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben!)

 

Verkündet am 07.11.2006

gez. ...
als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

Ur­teil

Im Na­men des Vol­kes

In dem Rechts­streit pp.

hat die 5. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Schles­wig-Hol­stein auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 07.11.2006 durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Lan­des­ar­beits­ge­richt ... als Vor­sit­zen­de und die eh­ren­amt­li­chen Rich­te­rin­nen ... und ... als Bei­sit­ze­rin­nen

für Recht er­kannt:

1. Auf die Be­ru­fung der Kläge­rin wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­rich­tes Kiel vom 16. Fe­bru­ar 2006, Ak­ten­zei­chen 1 Ca 2271 c/05, ab­geändert und die Be­klag­te ver­ur­teilt, 3.055,02 EUR brut­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 11. Ok­to­ber 2005 an die Kläge­rin zu zah­len.

2. Die Be­klag­te trägt die Kos­ten des Rechts­streits ers­ter und zwei­ter In­stanz.

3. Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

 

- 2 -

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil kann durch Ein­rei­chung ei­ner Re­vi­si­ons­schrift bei dem Bun­des­ar­beits­ge­richt in 99084 Er­furt, Hu­go-Preuß-Platz 1, Te­le­fax: (0361) 26 36 - 20 00 Re­vi­si­on ein­ge­legt wer­den.

Die Re­vi­si­ons­schrift muss

bin­nen ei­ner Not­frist von ei­nem Mo­nat

beim Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­gen sein.

Der Re­vi­si­onskläger muss die Re­vi­si­on be­gründen. Die Re­vi­si­ons­be­gründung ist, so­fern sie nicht be­reits in der Re­vi­si­ons­schrift ent­hal­ten ist, in ei­nem Schrift­satz bei dem Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­zu­rei­chen. Die Frist für die Re­vi­si­ons­be­gründung beträgt

zwei Mo­na­te.

Die Fris­ten für die Ein­le­gung und die Be­gründung der Re­vi­si­on be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Die Re­vi­si­ons­schrift muss das Ur­teil be­zeich­nen, ge­gen das die Re­vi­si­on ge­rich­tet wird, und die Erklärung ent­hal­ten, dass ge­gen die­ses Ur­teil Re­vi­si­on ein­ge­legt wer­de.

Der Re­vi­si­ons­schrift soll ei­ne Aus­fer­ti­gung oder be­glau­big­te Ab­schrift des an­ge­foch­te­nen Ur­teils bei­gefügt wer­den.

Die Re­vi­si­on und die Re­vi­si­ons­be­gründung müssen von ei­nem bei ei­nem deut­schen Ge­richt zu­ge­las­se­nen Rechts­an­walt un­ter­zeich­net sein.

(Rechts­mit­tel­schrif­ten, Rechts­mit­tel­be­gründungs­schrif­ten und wech­sel­sei­ti­ge Schriftsätze im Ver­fah­ren vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt sind in sie­ben­fa­cher - für je­den wei­te­ren Be­tei­lig­ten ei­ne wei­te­re - Aus­fer­ti­gung ein­zu­rei­chen.)

Der Schrift­form wird auch durch Ein­rei­chung ei­nes elek­tro­ni­schen Do­ku­ments genügt, wenn es für die Be­ar­bei­tung durch das Ge­richt ge­eig­net ist. Schriftsätze können da­zu über ei­ne ge­si­cher­te Ver­bin­dung in den elek­tro­ni­schen Ge­richts­brief­kas­ten des Bun­des­ar­beits­ge­richts ein­ge­legt wer­den. Die er­for­der­li­che Zu­gangs- und Über­tra­gungs­soft­ware kann li­zenz­kos­ten­frei über die In­ter­net­sei­te des Bun­des­ar­beits­ge­richts (www.bun­des­ar­beits­ge­richt.de) her­un­ter­ge­la­den wer­den. Das Do­ku­ment ist mit ei­ner qua­li­fi­zier­ten Si­gna­tur nach dem Si­gna­tur­ge­setz zu ver­se­hen. Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den sich auf der In­ter­net­sei­te des Bun­des­ar­beits­ge­richts (s.o.) so­wie un­ter www.egvp.de.

 

- 3 -

T a t b e s t a n d :

Die Par­tei­en strei­ten um die An­ge­mes­sen­heit der ver­ein­bar­ten Aus­bil­dungs­vergütung für die Mo­na­te Ok­to­ber 2004 bis Au­gust 2005.

Die Par­tei­en schlos­sen ei­nen Aus­bil­dungs­ver­trag über die Aus­bil­dung der Kläge­rin in der Zeit vom 01.10.2004 bis 30.09.2007 zur Ge­sund­heits- und Kran­ken­pfle­ge­rin.

Al­lei­ni­ger Ge­sell­schaf­ter der Be­klag­ten ist die K... und K... R...-E... gGmbH (im Fol­gen­den: K... gGmbH), de­ren Träger der Kreis R...-E... ist. Die K... gGmbH ist ta­rif­ge­bun­den, während für die Be­klag­te kei­ne Ta­rif­bin­dung be­steht. Die K... gGmbH stell­te in der Ver­gan­gen­heit jähr­lich rund 60 Aus­zu­bil­den­de zu ta­rif­ver­trag­li­chen Be­din­gun­gen ein. Die als ge­meinnützi­ge GmbH geführ­te Be­klag­te wur­de am 01.10.2004 als Aus­bil­dungs­träger ge­gründet. Zwi­schen der Be­klag­ten und der K... gGmbH be­steht ein Ko­ope­ra­ti­ons­ver­trag. Da­nach stellt die K... gGmbH die nach den ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten ge­for­der­te theo­re­ti­sche und prak­ti­sche Aus­bil­dung der Aus­zu­bil­den­den si­cher. Sie wird auch an der Aus­wahl der Aus­zu­bil­den­den be­tei­ligt und de­ren ver­ant­wort­li­che Ab­tei­lungs­lei­ter sind ge­genüber den Aus­zu­bil­den­den wei­sungs­be­fugt. Die K... gGmbH zahlt der Be­klag­ten für je­den Aus­zu­bil­den­den mo­nat­lich ei­nen be­stimm­ten Be­trag.

In dem zwi­schen den Par­tei­en ge­schlos­se­nen Aus­bil­dungs­ver­trag vom 29.09.2004 ver­ein­bar­ten die Par­tei­en – so­weit hier von Be­lang – u. a. Fol­gen­des:

„§ 3 Grundsätz­li­ches über das Rechts­verhält­nis

Das Aus­bil­dungs­verhält­nis rich­tet sich, so­weit die­ser Aus­bil­dungs­ver­trag kei­ne spe­zi­el­len Re­ge­lun­gen enthält, nach dem Ta­rif­ver­trag zur Re­ge­lung der Rechts­verhält­nis­se der Schüle­rin­nen/Schüler, die nach Maßga­be des Kran­ken­pfle­ge­ge­set­zes aus­ge­bil­det wer­den, vom 28. Fe­bru­ar 1986 und den die­sen ergänzen­den, ändern­den und er­set­zen­den Ta­rif­verträgen in der je­weils gel­ten­den Fas­sung.

 

- 4 -

§ 6 Zah­lung und Höhe der Aus­bil­dungs­vergütung

1. Die Aus­zu­bil­den­de erhält die nach­fol­gen­de mo­nat­li­che Aus­bil­dungs­vergütung

im ers­ten Aus­bil­dungs­jahr 500,-- Eu­ro,
im zwei­ten Aus­bil­dungs­jahr 550,-- Eu­ro,
im drit­ten Aus­bil­dungs­jahr 600,-- Eu­ro.

2. Für Nacht­diens­te wird ein Zeit­zu­schlag in Höhe von 1,-- Eu­ro ge­zahlt. Was Nacht­ar­beit ist, er­gibt sich aus den Be­stim­mun­gen, die für die An­ge­stell­ten im Be­ruf der Ge­sund­heits- und Kran­ken­pfle­ge­rin bei der K... und K... R...-E... gGmbH gel­ten.

3. Wei­ter­ge­hen­de Zah­lun­gen er­fol­gen nicht. Zeit­zu­schläge für Diens­te zu ungüns­ti­gen Zei­ten und Schicht­zu­la­gen sind in die­ser Aus­bil­dungs­vergütung pau­schal ent­hal­ten.“

§ 10 Abs. 1 des Ta­rif­ver­tra­ges zur Re­ge­lung der Rechts­verhält­nis­se der Schüle­rin­nen/Schüler, die nach Maßga­be des Kran­ken­pfle­ge­ge­set­zes oder der des Heb­am­men­ge­set­zes aus­ge­bil­det wer­den (im Fol­gen­den: MTV-Schü) i. V. m. § 3 Abs. 1 des Aus­bil­dungs­ta­rif­ver­tra­ges Nr. 12 für Schüle­rin­nen/Schüler, die nach Maßan­ga­be des Kran­ken­pfle­ge­ge­set­zes oder des Heb­am­men­ge­set­zes aus­ge­bil­det wer­den (im Fol­gen­den: Aus­bVerg-TV) sieht dem­ge­genüber mo­nat­li­che Aus­bil­dungs­vergütun­gen in fol­gen­der Höhe vor:

- im ers­ten Aus­bil­dungs­jahr 729,06 €
- im zwei­ten Aus­bil­dungs­jahr 788,57 €
- im drit­ten Aus­bil­dungs­jahr 884,44 €

Zu­dem er­hiel­ten die Aus­zu­bil­den­den nach dem MTV-Schü i. V. m. dem Aus­bVerg-TV – be­zo­gen auf den streit­ge­genständ­li­chen Zeit­raum – für das Jahr 2004 ei­ne Ein­mal­zah­lung in Höhe von 30,00 €, ei­ne an­tei­li­ge Zu­wen­dung über 149,71 € so­wie Ur­laubs­geld in Höhe von 255,65 € und für 2005 ei­ne Ein­mal­zah­lung in Höhe von 100,00 €. Hier­an ge­mes­sen un­ter­schritt das Ge­samt­vo­lu­men der ar­beits­ver­trag­lich be­stimm­ten Vergütung das Ge­samt­vo­lu­men der ta­rif­lich vor­ge­se­he­nen Vergütung um 35,65 %.

Am 28.09.2005 hat die Kläge­rin Kla­ge er­ho­ben und für den Zeit­raum vom Ok­to­ber 2004 bis Au­gust 2005 Zah­lung des Dif­fe­renz­be­tra­ges zwi­schen der ihr ge­zahl­ten ver­trag­li­chen Vergütung und der ta­rif­li­chen Aus­bil­dungs­vergütung nach dem MTV-Schü i. V. m. dem Aus­bVerg-TV be­an­sprucht.

 

- 5 -

We­gen des wei­te­ren Sach- und Streit­stands in ers­ter In­stanz, ins­be­son­de­re des strei­ti­gen Par­tei­vor­brin­gens, so­wie der erst­in­stanz­li­chen Anträge wird auf den Tat­be­stand des an­ge­foch­te­nen Ur­teils ein­sch­ließlich der In­be­zug­nah­men ver­wie­sen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Zah­lungs­kla­ge mit Ur­teil vom 16.02.2006 ab­ge­wie­sen. Die Be­klag­te ha­be den der Kläge­rin nach § 6 des Ar­beits­ver­tra­ges zu­ste­hen­den Vergütungs­an­spruch erfüllt. Ein darüber hin­aus­ge­hen­der An­spruch in Höhe der ta­rif­li­chen Aus­bil­dungs­vergütung ste­he der Kläge­rin nicht zu. Dies er­ge­be sich auch nicht aus ei­ner un­zulässi­gen Um­ge­hung der Ta­rif­bin­dung nach § 242 BGB. Die Gründung ei­ner ta­rif­ge­bun­de­nen Aus­bil­dungs­ge­sell­schaft zum Zwe­cke der Um­ge­hung der Ta­rif­bin­dung sei zulässig. Dies fol­ge aus der ne­ga­ti­ven Ko­ali­ti­ons­frei­heit gemäß Art. 9 GG. Dies gel­te je­den­falls dann, wenn – wie vor­lie­gend – die Aus­bil­dungs­ge­sell­schaft (Be­klag­te) zu­sam­men mit dem Aus­bil­dungs­be­trieb (K... gGmbH) er­heb­lich über den Be­darf aus­bil­de. Ein An­spruch auf ta­rif­li­che Vergütung er­ge­be sich auch nicht aus dem Rechts­ge­dan­ken des § 9 Ziff. 2 AÜG i. V. m. § 10 Abs. 4 AÜG. Die ver­trag­li­che Vergütung sei auch gemäß § 12 Abs. 1 KrPflG an­ge­mes­sen. Das Tat­be­stands­merk­mal der An­ge­mes­sen­heit i. V. m. § 12 Abs. 1 KrPflG sei iden­tisch mit dem­je­ni­gen in § 10 BBiG. Nach den von der Recht­spre­chung ent­wi­ckel­ten Grundsätzen sei da­von aus­zu­ge­hen, dass ei­ne Vergütung gemäß dem ein­schlägi­gen Ta­rif­ver­trag als an­ge­mes­sen zu ver­ste­hen sei. Es gel­te der richter­recht­lich ge­prägte An­satz­punkt, wo­nach ei­ne wi­der­leg­li­che Ver­mu­tung für die Un­an­ge­mes­sen­heit spre­che, wenn die ta­rif­li­che Aus­bil­dungs­vergütung in ei­ner Ge­samt­be­trach­tung um mehr als 20 % un­ter­schrit­ten wer­de. Die­ser Grund­satz gel­te in­des­sen nicht aus­nahms­los. Un­ter Abwägung der In­ter­es­sen­la­ge bei­der Ver­trags­part­ner und un­ter Berück­sich­ti­gung der be­son­de­ren Umstände des Ein­zel­fal­les im Kran­ken­haus­be­reich sei vor­lie­gend die Ver­mu­tung der Un­an­ge­mes­sen­heit wi­der­legt. Zwar könne ein ta­rif­ge­bun­de­ner Aus­bil­der sich grundsätz­lich sei­ner ge­setz­li­chen Pflicht nicht da­durch ent­zie­hen, dass er sei­nen Aus­bil­dungs­be­trieb durch das Da­zwi­schen­schal­ten ei­nes ge­meinnützi­gen, nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Bil­dungs­trägers de­cke. In­des­sen sei vor­lie­gend be­deut­sam, dass die Aus­bil­dung im Kran­ken­haus­be­reich statt­fin­de, der von der be­grenz­ten Zu­wei­sung von Gel­dern der So­zi­al­ver­si­che­rungs­träger ge­prägt sei. Die­se vergüte­ten auf­wands­be­zo­gen. Von die­ser Vergütung sei grundsätz­lich ei­ne Aus­bil­dung weit über dem ei­ge­nen

 

- 6 -

Be­darf hin­aus nicht ge­deckt. Fer­ner sei zu berück­sich­ti­gen, dass nicht nur die Be­klag­te, son­dern auch die K... gGmbH ge­meinnützig sei­en. In­so­fern die­ne die Aus­bil­dung nicht der Ge­winn­erzie­lung. Die Be­klag­te und die K... gGmbH bil­de­ten un­strei­tig weit über dem ei­ge­nen Be­darf aus. Da­bei sei ir­re­le­vant, dass die K... gGmbH auch in der Ver­gan­gen­heit stets ent­spre­chend über Be­darf aus­ge­bil­det ha­be. Denn auf­grund der heu­ti­gen Si­tua­ti­on mit den deut­lich ge­rin­ge­ren Res­sour­cen sei ei­ne Aus­bil­dung weit über Be­darf wirt­schaft­lich kaum trag­bar. Selbst un­ter Berück­sich­ti­gung der Tat­sa­che, dass die Be­klag­te auch Kran­ken­pfle­geschüler für den all­ge­mei­nen Ar­beits­markt aus­bil­de, sei ein Be­darf durch die Aus­bil­dung von 20 Pfle­geschüle­rin­nen lang­fris­tig ge­deckt. Die Be­klag­te und die K... gGmbH bil­de­ten dem­ge­genüber 2 1/2-mal so vie­le Schüler aus. Das hin­ter die­ser Pra­xis ste­hen­de Ziel des öffent­lich-recht­li­chen Trägers der Kran­kenhäuser sei le­gi­tim und ge­sell­schaft­lich erwünscht. Über den Träger der K... gGmbH so­wie über die Fi­nan­zie­rung der Kran­kenhäuser größten­teils durch öffent­lich-recht­li­che So­zi­al­ver­si­che­rung sei da­von aus­zu­ge­hen, dass hier öffent­li­che Gel­der für die Schaf­fung zusätz­li­cher Aus­bil­dungs­plätze ver­wandt würden. Die Be­grenzt­heit der öffent­li­chen Mit­tel und das vom Staat zu ver­fol­gen­de ge­samt­wirt­schaft­li­che In­ter­es­se, möglichst vie­len ar­beits­lo­sen Ju­gend­li­chen die Möglich­keit ei­ner qua­li­fi­zier­ten Be­rufs­aus­bil­dung zu ver­schaf­fen, recht­fer­ti­ge vor­lie­gend ein Un­ter­schrei­ten der ta­rif­li­chen Aus­bil­dungssätze auch weit un­ter 20 %. Da­bei sei zu berück­sich­ti­gen, dass die ab­so­lu­te Höhe der von der Be­klag­ten ge­zahl­ten Aus­bil­dungs­vergütung sich im Rah­men an­de­rer Aus­bil­dungs­vergütun­gen wie bei­spiels­wei­se der Aus­bil­dungs­verhält­nis­se von Arzt­hel­fe­rin­nen be­we­ge. Die ver­trag­li­che Net­to­aus­bil­dungs­vergütung lie­ge auch ober­halb der Sätze, die ein Be­zie­her von Ar­beits­lo­sen­geld II be­zie­he. Da die Be­klag­te und die K... gGmbH die Leis­tun­gen der Kläge­rin nicht kom­mer­zi­ell ver­wer­te­ten und die Aus­bil­dun­gen ih­nen kei­ner­lei fi­nan­zi­el­le Vor­tei­le brin­ge, tre­te der Ge­sicht­punkt, dass der Vergütung ei­ne Min­des­tent­loh­nung für die Leis­tung der Aus­zu­bil­den­den dar­stel­len müsse, zurück.

Ge­gen die­ses ihr am 23.03.2006 zu­ge­stell­te Ur­teil hat die Kläge­rin/ Be­klag­te am 19.04.2006 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se am 19.05.2006 be­gründet.

 

- 7 -

Die Kläge­rin trägt vor,

das Ar­beits­ge­richt sei un­zu­tref­fend da­von aus­ge­gan­gen, dass im Kran­ken­haus­be­reich die Kos­ten für die Aus­bil­dung von Kran­ken­pfle­geschüle­rin­nen über den ei­ge­nen Be­darf hin­aus nicht durch ent­spre­chen­de Zu­wei­sung der Kran­ken­kas­se ge­deckt sei­en. Dies sei in­des­sen falsch. Die Aus­bil­dung zum Ge­sund­heits- und Kran­ken­pfle­ger sei kraft Ge­set­zes an das Kran­ken­haus ge­bun­den, ob­gleich die Ge­sund­heits-und Kran­ken­pfle­ger auch in an­de­ren Be­rei­chen tätig würden, so z. B. in der am­bu­lan­ten Pfle­ge und in Al­ten­hei­men, Re­ha- und Kur­ein­rich­tun­gen. Je­des Aus­bil­dungs­kran­ken­haus kom­me mit­hin der ge­setz­li­chen Ver­pflich­tung nach, den ge­sam­ten ge­sell­schaft­li­chen Be­darf an qua­li­fi­zier­tem Per­so­nal aus­zu­bil­den. Nach der Ände­rung des Kran­ken­pfle­ge­ge­set­zes er­fol­ge die Re­fi­nan­zie­rung der Aus­bil­dungs­kos­ten außer­halb des übli­chen nach Fall­pau­scha­len vergüte­ten Leis­tungs­bud­gets in spe­zi­el­len neu ein­ge­rich­te­ten Aus­bil­dungs­bud­gets. Den durch das Kran­ken­pfle­ge­ge­setz veränder­ten Aus­bil­dungs­struk­tu­ren (höhe­rer Theo­rie­an­teil, mehr kran­ken­haus­ex­ter­ne Pra­xiseinsätze) sei durch ei­ne Verände­rung des An­rech­nungs­schlüssels auf voll aus­ge­bil­de­tes Pfle­ge­per­so­nal von 7 : 1 aus 9,5 : 1 zu Guns­ten des aus­bil­den­den Kran­ken­hau­ses Rech­nung ge­tra­gen wor­den. Die Mehr­kos­ten für die Aus­bil­dungs­vergütun­gen würden über das völlig selbstständi­ge Aus­bil­dungs­bud­get über die Kran­ken­kas­sen re­fi­nan­ziert. Der über den An­rech­nungs­schlüssel hin­aus­ge­hen­de Kos­ten­an­teil sol­le ab 2006 über Aus­bil­dungs­fonds re­fi­nan­ziert wer­den, in die auch nicht aus­bil­den­de Kran­kenhäuser ein­zah­len müss­ten. So­lan­ge es die­se nicht ge­be, würden die Mehr­kos­ten über ge­son­der­te Aus­bil­dungs­bud­gets re­fi­nan­ziert. Das aus­bil­den­de Kran­ken­haus müsse mit­hin bei der Aus­bil­dung nicht aus ei­ge­nen Mit­tel „zu­but­tern“. Ei­ne wirt­schaft­li­che Not­wen­dig­keit die Aus­bil­dungs­vergütung zu sen­ken ha­be mit­hin nicht be­stan­den. Die Kran­ken­kas­sen re­fi­nan­zier­ten die ta­rif­li­che Vergütung in vol­ler Höhe. Der fi­nan­zi­el­le Vor­teil der Kran­ken­kas­sen ha­be vor Ände­rung des Kran­ken­pfle­ge­ge­set­zes dar­in be­stan­den, dass sie bei nied­ri­ge­ren Aus­bil­dungs­vergütun­gen ei­nen ge­rin­ge­ren Bei­trag aus dem Ge­samt­bud­get in das in­ter­ne Aus­bil­dungs­bud­get aus­glie­dern muss­ten und so die bei der Aus­bil­dung „ge­spar­ten“ Mit­tel für an­de­re all­ge­mei­ne Zwe­cke aus­ge­ben konn­ten. Es ha­be mit­hin für die Be­klag­te kei­ne Ver­an­las­sung be­stan­den, von der ta­rif­lich ver­ein­bar­ten und da­mit an­ge­mes­se­nen Aus­bil­dungs­vergütung ab­zu­wei­chen. Des Wei­te­ren ha­be das Ar­beits­ge­richt oh­ne nähe­re Be­gründung un­ter­stellt, dass durch öffent­lich-recht­li­che Gel­der zusätz­li­che Ar­beitsplätze im Ge­sund­heits­we­sen, so auch der Ar­beits­platz der Kläge­rin, ge­schaf­fen wor­den sei­en.

 

- 8 -

Die Aus­bil­dung der Kläge­rin wer­de in­des­sen nicht durch öffent­lich-recht­li­che Gel­der (Steu­ern), son­dern durch die ge­setz­li­che Kran­ken­kas­se fi­nan­ziert. Die Kran­ken­kas­sen fi­nan­zier­ten die Aus­bil­dung aus den Beiträgen der Ver­si­cher­ten, Steu­er­gel­der der öffent­li­chen Hand würden hierfür nicht her­an­ge­zo­gen. Nur wenn öffent­li­che Gel­der zur vollständi­gen oder an­tei­li­gen Fi­nan­zie­rung von Aus­bil­dungs­plätzen ein­ge­setzt und staat­lich geförder­te Aus­bil­dungs­pro­gram­me mit Hil­fe ge­meinnützi­ger Bil­dungs­träger um­ge­setzt würden, sei re­gelmäßig da­von aus­zu­ge­hen, dass die hier­mit ge­schaf­fe­nen Aus­bil­dungs­plätze in ei­nem ge­meinnützi­gen, öffent­li­chen In­ter­es­se lägen. Die­se Vor­aus­set­zun­gen lägen hier nicht vor. Auch der Ver­gleich der Aus­bil­dung der Kläge­rin zur Ge­sund­heits- und Kran­ken­pfle­ge­rin mit der­je­ni­gen ei­ner Arzt­hel­fe­rin ge­he fehl, da vor­lie­gend un­strei­tig ein Ta­rif­ver­trag exis­tie­re. Die ver­trag­li­che Aus­bil­dungs­vergütung sei mit­hin un­an­ge­mes­sen, da sie die ent­spre­chen­de ta­rif­li­che Aus­bil­dungs­vergütung weit mehr als 20 % un­ter­schrei­te.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

das an­ge­foch­te­ne Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Kiel vom 16.02.2006 zu ändern und die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, 3.055,02 € brut­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 % über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 11.10.2005 an die Kläge­rin zu zah­len.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te trägt vor,

die An­ge­mes­sen­heit der Vergütung ei­ner Aus­zu­bil­den­den müsse in ei­nem an­ge­mes­se­nen Verhält­nis zu der Vergütung ei­ner aus­ge­bil­de­ten Ar­beit­neh­me­rin ste­hen. Da­bei sei je­doch nicht nur die ta­rif­li­che Vergütung, son­dern auch die markt­be­stimm­te außer­ta­rif­li­che Vergütung, wie sie von nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­bern ge­zahlt wer­de, zu berück­sich­ti­gen. Be­zo­gen auf die Kran­ken­pfle­ge er­hal­te ei­ne Aus­zu­bil­den­de während des zwei­ten Aus­bil­dungs­jah­res ei­ne ta­rif­li­che Vergütung über 11,45 € pro Ar­beits­stun­de bei 900 Ar­beits­stun­den, dem­ge­genüber über­stei­ge der St­un­den­lohn ei­ner aus­ge­bil­de­ten Ge­sund­heits- und Kran­ken­pfle­ge­rin bei ei­nem nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber bei 1.600 Ar­beits­stun­den die­sen nur um 0,20 €. Die­sen Um­stand berück­sich­ti­ge die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts bei der Ausfüllung des un­be­stimm­ten Rechts­be­griffs der An­ge­mes­sen­heit der Aus­bil­dungs­ver-

 

- 9 -

gütung nicht, so­dass die Recht­spre­chung grundsätz­lich zu kor­ri­gie­ren sei. Un­ge­ach­tet des­sen hätten sich durch die zum 01.01.2004 in Kraft ge­tre­te­nen Ände­run­gen des KrPflG die ef­fek­ti­ven Ar­beits­zei­ten der Aus­zu­bil­den­den durch die Erhöhung der theo­re­ti­schen Un­ter­richts­stun­den von 1.600 auf 2.100 St­un­den um 31 % ver­rin­gert. Die­se Ver­rin­ge­rung wer­de auch nicht kom­pen­siert durch die An­he­bung des An­rech­nungs­schlüssels auf aus­ge­bil­de­tes Pfle­ge­per­so­nal von 7 : 1 auf 9,5 : 1. Das neue Kran­ken­pfle­ge­ge­setz sei zum 01.01.2004 in Kraft ge­tre­ten, da­ge­gen grei­fe die Ände­rung des An­rech­nungs­schlüssels nach § 17 a Kran­ken­haus­fi­nan­zie­rungs­ge­set­zes erst zum 01.01.2005. Die Kläge­rin könne sich mit­hin we­gen der Ge­halts- und Son­der­nach­zah­lun­gen für das Jahr 2004 hier­auf nicht be­ru­fen. Fer­ner wir­ke sich das neue Kran­ken­pfle­ge­ge­setz zu­dem fi­nan­zi­ell nach­tei­lig für die Aus­bil­dungs­träger aus, weil die prak­ti­sche Aus­bil­dung nicht nur in Kran­kenhäusern, son­dern auch in am­bu­lan­ten und an­de­ren sta­ti­onären Ein­rich­tun­gen statt­fin­de. Zu­dem führe der höhe­re Theo­rie­an­teil der Aus­bil­dung da­zu, dass die An­zahl der Lehr­per­so­nen ha­be erhöht wer­den müssen. Selbst wenn der Ge­setz­ge­ber vor­ge­se­hen ha­be, dass die ge­sam­ten Mehr­kos­ten durch die Kran­ken­kas­sen ge­deckt würden, sei die prak­ti­sche Um­set­zung nicht er­folgt. Die von den Selbst­ver­wal­tungs­part­nern geführ­ten Ver­hand­lun­gen über Richt­wer­te der durch­schnitt­li­chen Aus­bil­dungs­kos­ten sei­en im Herbst 2005 ge­schei­tert. Da­her sei ge­ra­de nicht si­cher­ge­stellt, dass die Kran­ken­kas­sen die Aus­bil­dungs­kos­ten in vol­lem Um­fang re­fi­nan­zie­ren. Die Be­klag­te bie­tet Sach­verständi­gen­be­weis dafür an, dass die ver­ein­bar­te Aus­bil­dungs­vergütung auf­grund der un­zu­rei­chen­den Fi­nan­zie­rung durch die Kran­ken­kas­sen er­folgt sei. Selbst wenn bis zur Einführung ei­nes Aus­bil­dungs­fonds die erhöhten Aus­bil­dungs­kos­ten durch ein ge­son­der­tes Aus­bil­dungs­bud­get re­fi­nan­ziert würden, sei nicht nach­zu­voll­zie­hen, war­um ein sol­ches Bud­get durch die Erhöhung ei­ner Aus­bil­dungs­vergütung in er­heb­li­cher Wei­se be­las­tet wer­den soll­te. Zu­dem könne ein durch die nicht aus­bil­den­den Kran­kenhäuser fi­nan­zier­ter Fonds die Gewährung ei­ner höhe­ren Aus­bil­dungs­vergütung nicht auf Dau­er si­chern. Die nicht aus­bil­den­den Kran­ken­kas­sen würden ei­ne Art „Stra­fe“ zah­len müssen. Selbst wenn die Kran­ken­kas­sen die Aus­bil­dungs­kos­ten in vol­lem Um­fang über­neh­men würden, müsse bei der An­zahl der Aus­zu­bil­den­den im­mer noch be­dacht wer­den, dass die­se in ei­nem an­ge­mes­se­nen Verhält­nis zu dem aus­ge­bil­de­ten Per­so­nal stünden. Auch ha­be das Ar­beits­ge­richt rich­ti­ger­wei­se dar­auf ab­ge­stellt, dass die Kran­ken­haus­träger ein le­gi­ti­mes und ge­sell­schaft­lich erwünsch­tes Ziel ver­folg­ten, wenn sie sich dar­um bemühten, möglichst vie­len Ju­gend­li­chen ei­ne Aus­bil-

 

- 10 -

dung zu ermögli­chen. Auch dies­bezüglich be­ruft sich die Be­klag­te auf die Ein­ho­lung ei­nes Sach­verständi­gen­gut­ach­tens. Un­ter Berück­sich­ti­gung des­sen so­wie ei­nes Ver­gleichs mit der Aus­bil­dungs­vergütung ei­ner Arzt­hel­fe­rin sei das ver­ein­bar­te ver­trag­li­che Aus­bil­dungs­ent­gelt an­ge­mes­sen, zu­mal den bedürf­ti­gen Aus­zu­bil­den­den die Möglich­keit zu­ste­he, Be­rufs­aus­bil­dungs­bei­hil­fe in An­spruch zu neh­men (Be­weis: Sach­verständi­gen­gut­ach­ten).

We­gen des wei­te­ren Vor­brin­gens der Par­tei­en im Be­ru­fungs­ver­fah­ren wird auf den münd­lich vor­ge­tra­ge­nen In­halt der zwi­schen ih­nen ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen so­wie den In­halt des Sit­zungs­pro­to­kolls vom 07.11.2006 ver­wie­sen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Be­ru­fung der Kläge­rin ist zulässig. Sie ist dem Be­schwer­de­wert nach statt­haft so­wie form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den, §§ 64 Abs. 2 lit. b; 66 Abs. 1 ArbGG; § 519 ZPO.

Auch in der Sa­che selbst ist die Be­ru­fung be­gründet.

Die Kläge­rin hat ge­genüber der Be­klag­ten für die Mo­na­te Ok­to­ber 2004 bis ein­sch­ließlich Au­gust 2005 An­spruch auf rest­li­che Aus­bil­dungs­vergütung in­klu­si­ve sons­ti­ger Vergütungs­be­stand­tei­le in un­strei­ti­ger Höhe von 3.055,02 € brut­to.

Die­ser An­spruch folgt aus §§ 17 Abs. 1; 12 Abs. 1 KrPflG. Die ver­trag­lich ver­ein­bar­te Vergütung ist nach § 17 Abs. 1 KrPflG un­wirk­sam und da­mit nich­tig, weil sie der Höhe nach nicht an­ge­mes­sen ist i. S. v. § 12 Abs. 1 KrPflG (I.). Die Nich­tig­keit der ver­trag­li­chen Vergütungs­ab­re­de führt da­zu, dass die Kläge­rin An­spruch auf ei­ne an­ge­mes­se­ne Aus­bil­dungs­vergütung in Höhe der ent­spre­chen­den ta­rif­li­chen Aus­bil­dungs­vergütung nach dem MTV-Schü i. V. m. dem Aus­bVergTV hat (II.).

I. Die zwi­schen den Par­tei­en ver­trag­lich ver­ein­bar­te Aus­bil­dungs­vergütung verstößt ge­gen die Vor­ga­ben des § 12 Abs. 1 KrPflG. Nach die­ser Vor­schrift hat die Kran­ken­pfle­geschüle­rin ge­genüber dem Träger der Aus­bil­dung An­spruch auf ei­ne

 

- 11 -

an­ge­mes­se­ne Aus­bil­dungs­vergütung. Die­ser An­spruch ist nach § 17 Abs. 1 KrPflG un­ab­ding­bar. Da der Wort­laut „an­ge­mes­se­ne Vergütung“ in § 12 Abs. 1 KrPflG dem­je­ni­gen in § 17 Abs. 1 BBiG (i.d.F. vom 23.03.2005; wort­gleich mit: § 10 Abs. 1 BBiG a.F.) ent­spricht, kann zur Be­stim­mung der An­ge­mes­sen­heit der Aus­bil­dungs­vergütung im vor­lie­gen­den Fall eben­falls auf die zu § 10 Abs.1 BBiG a.F. er­gan­ge­ne Recht­spre­chung zurück­ge­grif­fen wer­den.

1. Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts so­wie der In­stanz­ge­rich­te hat die Aus­bil­dungs­vergütung re­gelmäßig drei Funk­tio­nen.

a) Ei­ne an­ge­mes­se­ne Aus­bil­dungs­vergütung soll zum ei­nen dem Aus­zu­bil­den­den bzw. des­sen El­tern zur Durchführung der Be­rufs­aus­bil­dung ei­ne fi­nan­zi­el­le Hil­fe sein, zum an­de­ren die Her­an­bil­dung ei­nes aus­rei­chen­den Nach­wuch­ses an qua­li­fi­zier­ten Fach­kräften gewähr­leis­ten und schließlich ei­ne Ent­loh­nung dar­stel­len (BAG, Urt. v. 15.12.2005 – 6 AZR 224/05 -, zit. n. Ju­ris, m.w.N.; Säch­si­sches LAG, Urt. v. 30.09.2005 – 3 Sa 542/04 -, zit. n. Ju­ris). Da­nach ist ei­ne Vergütung an­ge­mes­sen, wenn sie hilft, die Le­bens­hal­tungs­kos­ten zu be­strei­ten, und zu­gleich ei­ne Min­des­tent­loh­nung für die Leis­tun­gen des Aus­zu­bil­den­den dar­stellt. Es ist zunächst Sa­che der Ver­trags­par­tei­en, die Höhe der Vergütung fest­zu­le­gen, so­fern nicht bei der Ta­rif­ge­bun­den­heit bei­der Par­tei­en oder bei All­ge­mein­ver­bind­lich­keit die ta­rif­li­chen Sätze maßgeb­lich sind, was vor­lie­gend nicht der Fall ist. Das Ge­setz bil­ligt den Par­tei­en ei­nen Be­ur­tei­lungs­spiel­raum, wel­che Vergütung im Ein­zel­fall als an­ge­mes­sen an­zu­se­hen ist. Dar­aus folgt, dass sich die ge­richt­li­che Über­prüfung der An­ge­mes­sen­heit nur dar­auf er­streckt, ob die im Ein­zel­fall ver­ein­bar­te Vergütung die Min­desthöhe er­reicht, die noch als an­ge­mes­sen an­zu­se­hen ist (BAG, Urt. v. 25.07.2002 – 6 AZR 311/00 -, AP Nr. 11 zu § 10 BBiG).

b) Die An­ge­mes­sen­heit der Aus­bil­dungs­vergütung wird un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­part­ner und un­ter Berück­sich­ti­gung der be­son­de­ren Umstände des Ein­zel­fal­les fest­ge­stellt (BAG, Urt. v. 15.11.2000 – 5 AZR 296/99 -, BA­GE 96, 237, 246). Hier­bei ist auf die Ver­kehrs­an­schau­ung ab­zu­stel­len. Wich­tigs­ter An­halts­punkt dafür sind die ein­schlägi­gen Ta­rif­verträge, da sie von den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en aus­ge­han­delt sind und an­zu­neh­men ist, dass in ih­nen die bei­der­sei­ti­gen In­ter­es­sen hin­rei­chend berück­sich­tigt sind. Ei­ne ein­zel­ver­trag­lich ver­ein­bar­te Aus­bil­dungs­vergü-

 

- 12 -

tung, die der Höhe nach ei­ner ent­spre­chen­den ta­rif­li­chen Aus­bil­dungs­vergütung ent­spricht, ist stets als an­ge­mes­sen an­zu­se­hen (std. BAG Rspr., sie­he nur: BAG, Urt. v. 15.12.2005 – 6 AZR 224/05 -, a.a.O., m.w.N.). Nur wenn ei­ne ta­rif­li­che Re­ge­lung fehlt, kann auf die bran­chenübli­chen Sätze ab­ge­stellt oder ei­ne der Ver­kehrs­auf­fas­sung des be­tref­fen­den In­dus­trie­zweigs ent­spre­chen­de Vergütung zu­grun­de ge­legt wer­den. So­fern mit­hin ei­ne ta­rif­li­che Vergütung für den kon­kre­ten Aus­bil­dungs­be­ruf exis­tiert, aber man­gels Ta­rif­bin­dung der Par­tei­en bzw. man­gels All­ge­mein­ver­bind­lich­keit kei­ne An­wen­dung fin­det, ist die­se ta­rif­li­che Vergütung als Ver­gleichs­maßstab für die Be­ur­tei­lung der An­ge­mes­sen­heit der ver­trag­li­chen Vergütung her­an­zu­zie­hen. Ver­trag­lich ver­ein­bar­te Aus­bil­dungs­vergütun­gen sind dann nicht mehr an­ge­mes­sen i. S. v. §§ 12 Abs. 1 KrPflG, 17 Abs. 1 BBiG, wenn sie die in ei­nem Ta­rif­ver­trag ent­hal­te­nen Vergütun­gen um mehr als 20 % un­ter­schrei­ten (BAG, Urt. v. 25.07.2002 – 6 AZR 311/00 -, AP Nr. 11 zu § 10 BBiG; BAG, Urt. v. 08.05.2003 – 6 AZR 191/02 -, § 10 Nr. 14 zu § 10 BBiG). So­fern die ver­trag­lich ver­ein­bar­te Vergütung nicht zu­min­dest 80 % der ent­spre­chen­den ta­rif­li­chen Vergütung ent­spricht, wird die Un­an­ge­mes­sen­heit der Vergütung i. S. v. §§ 12 Abs. 1 KrPflG, 10 Abs. 1 BBiG ver­mu­tet.

c) Der Aus­zu­bil­den­de trägt bei ei­ner Kla­ge auf an­ge­mes­se­ne Vergütung i. S. v. §§ 12 Abs. 1 KrPflG, 17 Abs. 1 BBiG die Dar­le­gungs- und Be­weis­last für die Un­an­ge­mes­sen­heit der ihm ge­zahl­ten bzw. ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Aus­bil­dungs­vergütung. In­des­sen sind an die Dar­le­gungs­last kei­ne stren­gen An­for­de­run­gen zu stel­len. Er genügt sei­ner Dar­le­gungs­last in al­ler Re­gel, wenn er vorträgt und be­weist, dass sei­ne ver­trag­li­che Vergütung die ein­schlägi­ge ta­rif­li­che Vergütung mehr als 20 % un­ter­schrei­tet. Der Ar­beit­ge­ber kann die durch die Recht­spre­chung auf­ge­stell­te Ver­mu­tungs­wir­kung in­des­sen wi­der­le­gen, war­um im kon­kre­ten Ein­zel­fall ein von den ge­schil­der­ten Grundsätzen ab­wei­chen­der Maßstab gel­ten soll (BAG, Urt. v. 25.07.2002 – 6 AZR 311/00 -, a.a.O.).

d) Al­lein der Um­stand, dass es sich bei dem Aus­bil­dungs­träger um ei­ne ge­meinnützi­ge ju­ris­ti­sche Per­son han­delt, recht­fer­tigt es nicht, bei der Prüfung der An­ge­mes­sen­heit der Aus­bil­dungs­vergütung von der Ori­en­tie­rung an den ein­schlägi­gen Ta­rif­verträgen ab­zu­se­hen. Die ta­rif­li­che Vergütung bleibt nicht nur dann ein ge­eig­ne­ter Maßstab, wenn ein nicht ta­rif­ge­bun­de­ner Aus­bil­der die im ei­ge­nen In­ter­es­se lie­gen­de Aus­bil­dung über­be­trieb­lich or­ga­ni­siert, son­dern auch, wenn durch das Da­zwi-

 

- 13 -

schen­schal­ten ei­nes ge­meinnützi­gen, nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Bil­dungs­trägers ein ta­rif­ge­bun­de­ner Aus­bil­der sich sei­nen ta­rif­ver­trag­li­chen Pflich­ten ent­zie­hen will (BAG, Urt. v. 24.10.2002 – 6 AZR 626/00 -, AP Nr. 12 zu § 10 BBiG). Ein als ge­meinnützi­ge GmbH be­trie­be­nes Un­ter­neh­men ist ein ganz nor­ma­ler pri­vat­recht­lich or­ga­ni­sier­ter Wirt­schafts­be­trieb, der auf dem all­ge­mei­nen Markt mit den übri­gen Per­so­nen- und Ka­pi­tal­ge­sell­schaf­ten in Wett­be­werb tritt. Da die gGmbH in­des­sen die er­ziel­ten Ge­win­ne nicht ausschüttet, son­dern in das Un­ter­neh­men steckt, wird sie steu­er­recht­lich begüns­tigt. Al­lein die­ser Um­stand recht­fer­tigt es nicht, von den von der Recht­spre­chung zur An­ge­mes­sen­heit der Aus­bil­dungs­vergütung i. S. v. § 17 Abs. 1 BBiG auf­ge­stell­ten Grundsätzen zu­las­ten der Aus­zu­bil­den­den ab­zu­wei­chen.

2. Hier­an ge­mes­sen ist die in § 6 des Aus­bil­dungs­ver­tra­ges ver­ein­bar­te Aus­bil­dungs­vergütung nicht an­ge­mes­sen. Vor­lie­gend un­ter­schrei­tet die ver­trag­lich ver­ein­bar­te Vergütung un­strei­tig die ta­rif­li­che Vergütung um 35,65 % nach dem MTV-Schü. Da­mit tritt die von der Recht­spre­chung ent­wi­ckel­te Ver­mu­tungs­wir­kung ein, dass die Aus­bil­dungs­vergütung nicht an­ge­mes­sen i. S. v. §§ 12 Abs. 1 KrPflG, 17 Abs. 1 BBiG und da­mit nich­tig ist, §§ 17 Abs. 1 KrPflG, 25 BBiG (= § 18 BBiG a.F.). Die Ver­mu­tungs­wir­kung ist vor­lie­gend auch nicht da­durch wi­der­legt, dass die Aus­bil­dung der Kläge­rin durch öffent­li­che Gel­der oder Spen­den zur Schaf­fung zusätz­li­cher Aus­bil­dungs­plätze fi­nan­ziert wird (a). Die Be­klag­te hat auch nicht dar­ge­legt, dass ein Un­ter­schrei­ten der ta­rif­li­chen Aus­bil­dungs­vergütung von über 35 % gleich­wohl der In­ter­es­sen­la­ge bei­der Par­tei­en ent­sprach (b). Für ein Ab­wei­chen von den vom Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­wi­ckel­ten Grundsätzen zur An­ge­mes­sen­heit der Aus­bil­dungs­vergütung be­steht kein An­lass (c).

a) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­klag­ten fi­nan­ziert sie die Aus­bil­dung der Kläge­rin ge­ra­de nicht aus öffent­li­chen (Förder-)Mit­teln und/oder Spen­den­gel­dern zur Schaf­fung zusätz­li­cher Aus­bil­dungs­plätze, um ar­beits­lo­sen Ju­gend­li­chen ei­nen Aus­bil­dungs­platz zu ver­schaf­fen. Die vor­lie­gen­de Fall­kon­stel­la­ti­on ist mit den­je­ni­gen, die den Ent­schei­dun­gen des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 24.10.2002 – 6 AZR 626/00 – und vom 08.05.2003 – 6 AZR 191 – zu­grun­de la­gen, nicht ver­gleich­bar. In die­sen vom Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schie­de­nen Fällen wur­de die Aus­bil­dung je­weils zur Schaf­fung zusätz­li­cher Aus­bil­dungs­plätze durch öffent­li­che Förder­mit­tel und Spen­den­gel­der fi­nan­ziert. Ein von Wirt­schafts­verbänden in­iti­ier­ter und durch Spen­den­gel-

 

- 14 -

der der Mit­glieds­fir­men so­wie Förder­mit­tel der öffent­li­chen Hand fi­nan­zier­ter Aus­bil­dungs­pakt soll­te in den dor­ti­gen Fällen die Schaf­fung zusätz­li­cher Aus­bil­dungs­plätze ga­ran­tie­ren. Wer­den öffent­li­che Gel­der zur vollständi­gen oder an­tei­li­gen Fi­nan­zie­rung von Aus­bil­dungs­plätzen ein­ge­setzt und staat­lich geförder­te Aus­bil­dungs­pro­gram­me mit Hil­fe ge­meinnützi­ger Bil­dungs­träger um­ge­setzt, ist re­gelmäßig da­von aus­zu­ge­hen, dass die hier­mit ge­schaf­fe­nen Aus­bil­dungs­plätze in ei­nem ge­meinnützi­gen, öffent­li­chen In­ter­es­se lie­gen (BAG, Urt. v. 24.10.2002 – 6 AZR 626/00 -, a.a.O.) Die­se Vor­aus­set­zun­gen, die ei­ne Un­ter­schrei­tung der ta­rif­li­chen Aus­bil­dungs­vergütung um mehr als 20 % recht­fer­ti­gen, lie­gen hier in­des­sen un­strei­tig nicht vor.

aa) Bei der Be­klag­ten han­delt es sich ge­ra­de nicht um ei­ne der­ar­ti­ge ge­meinnützi­ge Initia­ti­ve zur Schaf­fung zusätz­li­cher Ar­beitsplätze. Sie selbst fi­nan­ziert die Aus­bil­dung we­der aus Spen­den­gel­dern noch aus Förder­mit­teln der öffent­li­chen Hand. Dies be­haup­tet die Kläge­rin nicht ein­mal. Viel­mehr trägt sie selbst vor, dass sie so­wohl ih­re lau­fen­den Kos­ten als auch die Aus­bil­dungs­vergütun­gen aus dem Pau­schal­be­trag, der ihr auf­grund des mit der K... gGmbH ge­schlos­se­nen Ko­ope­ra­ti­ons­ver­tra­ges von der K... gGmbH ge­zahlt wer­de, fi­nan­zie­re.

Aber auch die dem Aus­bil­dungs­be­trieb zur Verfügung ste­hen­de Mut­ter­ge­sell­schaft der Be­klag­ten, die K... gGmbH, erhält zur Fi­nan­zie­rung des mit der Be­klag­ten ge­schlos­se­nen Ko­ope­ra­ti­ons­ver­tra­ges kei­ne öffent­li­chen Förder­mit­tel. We­der der Bund noch das Land Schles­wig-Hol­stein stel­len vor­lie­gend öffent­li­che Förder­mit­tel zur Fi­nan­zie­rung der kläge­ri­schen Aus­bil­dung zur Verfügung. Zu­tref­fend weist in­so­weit die Kläge­rin dar­auf hin, dass die Aus­bil­dung der Kläge­rin letzt­lich al­lein durch die ge­setz­li­chen Kran­ken­kas­sen fi­nan­ziert wird. Die­se fi­nan­zie­ren die Aus­bil­dung der Ge­sund­heits- und Kran­ken­pfle­ge­rin­nen als so­li­da­ri­sche Ge­mein­schafts­auf­ga­be ih­rer ver­si­cher­ten Mit­glie­der und der Ar­beit­ge­ber durch de­ren Beiträge.

bb) Des Wei­te­ren ver­kennt die Be­klag­te auch, dass sie nicht zusätz­li­che Aus­bil­dungs­plätze ge­schaf­fen hat, um ar­beits­lo­sen Ju­gend­li­chen ei­ne Zu­kunfts­per­spek­ti­ve zu bie­ten. Viel­mehr bil­det sie als jet­zi­ger Aus­bil­dungs­träger in glei­chem Um­fang Aus­zu­bil­den­de aus wie es zu­vor die Mut­ter­ge­sell­schaft ge­tan hat. Die An­zahl der Aus­bil­dungs­plätze ist mit ih­rer Gründung un­strei­tig nicht erhöht wor­den.

 

- 15 -

Hier­an ändert auch der Um­stand nichts, dass die Be­klag­te über dem ei­gent­li­chen Be­darf ih­rer Mut­ter­ge­sell­schaft, der K... gGmbH, aus­bil­det. Die­ser Um­stand trägt der Ge­set­zes­la­ge Rech­nung, dass die Aus­bil­dung zur Ge­sund­heits- und Kran­ken­pfle­ge­rin nach dem KrPflG nur in Kran­kenhäusern statt­fin­den kann. Da aber nicht al­le Kran­kenhäuser Aus­bil­dungs­be­trie­be sind und zu­dem un­strei­tig ein Be­darf an der Beschäfti­gung aus­ge­bil­de­ter Ge­sund­heits- und Kran­ken­pfle­ge­rin­nen in der am­bu­lan­ten Kran­ken­pfle­ge so­wie in Kur­ein­rich­tun­gen und Al­ten­hei­men be­steht, bil­den die Aus-bil­dungs-Kran­kenhäuser stets über ih­ren tatsächli­chen Be­darf aus. Die Re­fi­nan­zie­rung der Aus­bil­dungs­kos­ten er­folgt nach der In­ten­ti­on des § 17 a KHG in vol­lem Um­fang, auch wenn die aus­bil­den­den Kran­kenhäuser über ih­ren tatsächli­chen Be­darf hin­aus aus­bil­den. Die Be­klag­te hat auch nicht dar­ge­legt, dass sie ge­mes­sen an dem ge­sell­schaft­li­chen Ge­samt­be­darf an Kran­ken­schwes­tern weit über Be­darf aus­bil­de, um Ju­gend­li­chen gleich­wohl ei­nen Aus­bil­dungs­platz an­zu­bie­ten. So­weit das Ar­beits­ge­richt hier da­von aus­ge­gan­gen ist, dass vor­lie­gend der Ge­samt­be­darf durch die Aus­bil­dung von 20 Pfle­geschüle­rin­nen ge­deckt sein dürf­te, scheint die­se An­zahl willkürlich ge­grif­fen zu sein, zu­min­dest ist sie durch kei­nen ent­spre­chen­den Sach­vor­trag der Par­tei­en be­legt. Die in­so­weit dar­le­gungs- und be­weis­pflich­ti­ge Be­klag­te hat mit­hin nicht dar­ge­legt, dass sie zusätz­li­che Aus­bil­dungs­plätze ge­schaf­fen ha­be.

b) Die Be­klag­te kann sich zur Wi­der­le­gung der Ver­mu­tungs­wir­kung der Un­an­ge­mes­sen­heit der Aus­bil­dungs­vergütung auch nicht mit Er­folg dar­auf be­ru­fen, dass sich die Ge­set­zes­la­ge in Be­zug auf die Aus­bil­dung nach dem KrPflG geändert ha­be, oh­ne dass der Aus­bVergTV dem­ent­spre­chend geändert wor­den sei. Die ver­rin­ger­te tatsächlich von den Aus­zu­bil­den­den zu leis­ten­de Ar­beit zu­guns­ten der Erhöhung des theo­re­ti­schen Un­ter­richts wird durch die An­he­bung des An­rech­nungs­schlüssels auf aus­ge­bil­de­tes Per­so­nal kom­pen­siert. Sie recht­fer­tigt zu­min­dest nicht ein Un­ter­schrei­ten der ta­rif­li­chen und da­mit an­ge­mes­se­nen Aus­bil­dungs­vergütung um mehr als 35 %. Hier­an ändert auch der Um­stand nichts, dass der An­rech­nungs­schlüssel erst mit Wir­kung ab dem 01.01.2005 an­ge­ho­ben wur­de. Der Aus­bil­dungs­ver­trag der Kläge­rin be­gann am 01.10.2004, so­dass al­len­falls drei Mo­na­te noch der al­te An­rech­nungs­schlüssel bei be­reits ver­rin­ger­ter tatsäch­li­cher Ar­beits­leis­tung galt. Die Be­klag­te hat auch nicht im An­satz schlüssig dar­ge­legt, dass ei­ne Aus­bil­dungs­vergütung der Kläge­rin in Höhe von nicht ein­mal 65 % der ta­rif­li­chen Aus­bil­dungs­vergütung we­gen

 

- 16 -

ei­ner nur drei­mo­na­ti­gen „Ar­beits­zeit­ver­rin­ge­rung“ noch an­ge­mes­sen i. S. v. §§ 12 Abs. 1 KrPflG, 17 Abs. 1 BBiG ist.

c) Es ist vor­lie­gend nicht ge­bo­ten, von den vom Bun­des­ar­beits­ge­richt zu § 17 Abs. 1 BBiG (= § 10 Abs. 1 BBiG a.F.) ent­wi­ckel­ten Grundsätzen zur An­ge­mes­sen­heit der Aus­bil­dungs­vergütung ab­zu­wei­chen. Dies gilt ins­be­son­de­re auch in Be­zug auf die Ver­mu­tungs­wir­kung, dass ei­ne die ta­rif­li­che Aus­bil­dungs­vergütung um mehr als 20 % un­ter­schrei­ten­de ein­zel­ver­trag­li­che Aus­bil­dungs­vergütung un­an­ge­mes­sen ist. Da­bei ist die Kam­mer der Auf­fas­sung, dass die Aus­bil­dungs­vergütung re­gelmäßig deut­lich ge­rin­ger sein soll­te als die Vergütung für ent­spre­chend aus­ge­bil­de­tes Per­so­nal, weil sie ge­ra­de kei­nen rei­nen Ent­gelt­cha­rak­ter be­sitzt. In­des­sen ver­kennt die Be­klag­te - ih­ren Vor­trag als wahr un­ter­stellt – bei ih­rem Ver­gleich zwi­schen der ta­rif­li­chen Aus­bil­dungs­vergütung pro tatsächlich ge­leis­te­ter Ar­beits­stun­de und dem St­un­den­lohn ei­ner aus­ge­bil­de­ten, aber nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Kran­ken­schwes­ter zwei­er­lei: Ne­ben ei­ner Ent­loh­nung ge­leis­te­ter Ar­beit soll die Aus­bil­dungs­vergütung ei­nen Bei­trag zu den Le­bens­hal­tungs­kos­ten dar­stel­len und ei­nen qua­li­fi­zier­ten Nach­wuchs gewähr­leis­ten. Die Aus­bil­dungs­vergütung be­sitzt dem­ent­spre­chend ge­ra­de nicht aus­sch­ließlich Ent­gelt­cha­rak­ter, so­dass es un­zulässig ist, die St­un­den­vergütung al­lein auf der Grund­la­ge der tatsächlich ge­leis­te­ten Ar­beits­zeit zu er­rech­nen. Fer­ner über­sieht die Be­klag­te, dass §§ 12 Abs. 1 KrPflG, 17 Abs. 1 BBiG die An­ge­mes­sen­heit der Aus­bil­dungs­vergütung aus­drück­lich vor­schrei­ben, während § 611 Abs. 1 BGB ein ent­spre­chen­des Tat­be­stands­merk­mal nicht auf­weist. Der aus­ge­bil­de­te Ar­beit­neh­mer, der man­gels bei­der­sei­ti­ger Ta­rif­bin­dung oder All­ge­mein­ver­bind­lich­keit kei­nen ta­rif­li­chen Vergütungs­an­spruch hat, hat grundsätz­lich „nur“ An­spruch auf die mit dem Ar­beit­ge­ber ver­ein­bar­te Vergütung. Dies gilt auch dann, wenn die ein­zel­ver­trag­lich ver­ein­bar­te Vergütung sehr viel ge­rin­ger ist als die ent­spre­chen­de ta­rif­li­che Vergütung. Die Vergütung muss nach § 611 Abs. 1 Hbs. 2 BGB ge­ra­de nicht „an­ge­mes­sen“ sein. Nur dann, wenn die Ver­trags­par­tei­en die Höhe der Vergütung ver­trag­lich nicht fest­ge­legt ha­ben, ist in Er­man­ge­lung ei­ner Ta­xe die von der Be­klag­ten als Ver­gleichs­maßstab her­an­ge­zo­ge­ne (markt-)„übli­che“ Vergütung zu zah­len, § 612 Abs. 2 BGB. Grundsätz­lich hat der Ar­beit­neh­mer in ei­nem Ar­beits­verhält­nis mit­hin nur An­spruch auf den ein­zel­ver­trag­li­chen Lohn, es sei denn, es liegt ein Fall des Lohn­wu­chers i. S. v. § 138 Abs. 2 BGB vor. Die Vor­aus­set­zun­gen des Lohn­wu­chers sind in­des­sen nicht mit der Vor­aus­set­zung ei­ner nicht mehr an­ge­mes-

 

- 17 -

se­nen Vergütung i. S. d. §§ 12 Abs. 1 KrPflG, 17 Abs. 1 BBiG ver­gleich­bar. Von Lohn­wu­cher ist erst dann aus­zu­ge­hen, wenn zwi­schen Leis­tung und Ge­gen­leis­tung ein auffälli­ges Miss­verhält­nis be­steht. Ob­gleich das Bun­des­ar­beits­ge­richt bis­lang noch kei­ne Richt­wer­te zur Fest­stel­lung ei­nes auffälli­gen Miss­verhält­nis­ses ent­wi­ckelt hat, erfüllt ei­ne ein­zel­ver­trag­lich ver­ein­bar­te Vergütung, die 21 % ge­rin­ger ist als der ent­spre­chen­de Ta­rif­lohn, un­be­strit­ten noch nicht den Tat­be­stand des Lohn­wu­chers (vgl. BAG, Urt. v. 24.03.2004 – 5 AZR 303/03 -, AP Nr. 59 zu § 138 BGB), während ei­ne Aus­bil­dungs­vergütung über 89 % des Ta­rif­lohns für Aus­zu­bil­den­de un­an­ge­mes­sen und da­mit nich­tig ist. In­so­fern kann un­ter­stellt wer­den, dass teil­wei­se die nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Kran­ken­schwes­tern ein die ta­rif­li­che Aus­bil­dungs­vergütung nur ge­ring über­schrei­ten­des Ge­halt be­zie­hen, oh­ne dass dies be­reits den Tat­be­stand des Lohn­wu­chers erfüllt. Dies ist letzt­lich Aus­fluss der Ver­trags­frei­heit (BAG, Urt. v. 27.01.1999 – 4 AZR 52/98 -, zit. n. Ju­ris; LAG Hamm, Urt. v. 10.04.2002 – 18 Sa 1870/01 -, zit. n. Ju­ris). Der Ge­setz­ge­ber geht an die­ser Stel­le da­von aus, dass der mündi­ge Bürger sei­ne (Vergütungs-)In­ter­es­sen im Rah­men der Ver­trags­ver­hand­lun­gen selbst wah­ren kann. Vor die­sem Hin­ter­grund sieht die Kam­mer kei­ne Ver­an­las­sung, von den zu § 17 Abs. 1 BBiG ent­wi­ckel­ten Grundsätzen und Richt­wer­ten zur An­ge­mes­sen­heit der Aus­bil­dungs­vergütung ab­zu­wei­chen.

3. Nach al­le­dem ist die nach § 6 des Aus­bil­dungs­ver­tra­ges ver­ein­bar­te Aus­bil­dungs­vergütung un­an­ge­mes­sen i. V. m. § 12 Abs. 1 KrPflG und da­mit nach § 17 Abs. 1 KrPflG nich­tig.

II. Die Nich­tig­keit der Vergütungs­ab­re­de hat zur Fol­ge, dass die Kläge­rin an­stel­le der un­wirk­sa­men ver­trag­li­chen Re­ge­lung An­spruch auf die nach § 12 Abs. 1 KrPflG zu be­mes­sen­de an­ge­mes­se­ne Vergütung hat. Die ta­rif­li­che Aus­bil­dungs­vergütung ist stets als an­ge­mes­sen an­zu­se­hen. Zwar steht den Ver­trags­par­tei­en im Rah­men der Ver­trags­ver­hand­lun­gen und Ver­ein­ba­rung der an­ge­mes­se­nen Aus­bil­dungs­vergütung ein Spiel­raum zu, in­des­sen ist es dem Ge­richt ver­wehrt, die­sen Spiel­raum an­stel­le der Par­tei­en durch Ur­teil aus­zuschöpfen. Viel­mehr kann als an­ge­mes­sen dann nur die sich aus dem Ta­rif­ver­trag er­ge­ben­de Vergütung in vol­ler Höhe her­an­ge­zo­gen wer­den (Säch­si­sches LAG, Urt. v. 30.09.2005 – 3 Sa 542/04 -, zit. n. Ju­ris). Ei­ne gel­tungs­er­hal­ten­de An­he­bung der nich­ti­gen ver­trag­li­chen Aus­bil­dungs­vergütung auf 80 % des Ta­rif­ni­veaus ana­log § 140 BGB kommt man­gels kon­kre­ter An­halts­punk­te

 

- 18 -

nicht in Be­tracht. Die Kläge­rin hat mit­hin für den streit­ge­genständ­li­chen Zeit­raum von Ok­to­ber 2004 bis Au­gust 2005 An­spruch auf die Aus­bil­dungs­vergütung nach dem MTV-Schü i. V. m. dem Aus­bVerg-TV in un­strei­ti­ger Höhe von 3.055,02 brut­to.

III. Die gel­tend ge­mach­te Zins­for­de­rung er­gibt sich aus § 291 i. V. m. §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1, BGB.

IV. Nach al­le­dem war die Be­ru­fung be­gründet und der Kla­ge un­ter Abände­rung des an­ge­foch­te­nen Ur­teils statt­zu­ge­ben.

Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG.

Die Rechts­sa­che hat über den vor­lie­gen­den Ein­zel­fall hin­aus rechts­grundsätz­li­che Be­deu­tung, so­dass die Re­vi­si­on zu­zu­las­sen war, § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG.

 

gez. ... gez. ... gez. ...

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 


zur Übersicht 5 Sa 159/06